Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2017 - X ZR 11/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:170117UXZR11.15.0
17.01.2017
vorgehend
Bundespatentgericht, 3 Ni 6/13, 30.09.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 11/15 Verkündet am:
17. Januar 2017
Hartmann
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Borrelioseassay
EPÜ Art. 83; PatG § 34 Abs. 4
Ein In-vitro-Verfahren, bei dem mit einem durch seine offenbarte Aminosäurensequenz
und der für diese codierenden Nukleinsäuresequenz definierten Polypeptid
oder mit Polypeptiden, für die im Patent nicht näher bestimmte Segmente
der Nukleinsäuresequenz codieren, auf eine spezifische immunologische
Bindung getestet werden kann (hier: auf gegen Borrelia burgdorferi gerichtete
Antikörper), ist insgesamt ausführbar offenbart, wenn das Verfahren mit einem
der vollen Sequenzlänge entsprechenden Polypeptid mit einem praktisch
brauchbaren Ergebnis ausgeführt werden kann, auch wenn besser geeignete
Segmente nicht ohne erfinderisches Bemühen aufgefunden werden können.
BGH, Urteil vom 17. Januar 2017 - X ZR 11/15 - Bundespatentgericht
ECLI:DE:BGH:2017:170117UXZR11.15.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Grabinski und Hoffmann und die Richterin Dr. Kober-Dehm

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 30. September 2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 20. Februar 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität einer US-amerikanischen Patentanmeldung vom 21. Februar 1996 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 894 143 (Streitpatents), dessen Ansprüche 1, 2, 8, 9, 13, 15 und 16 in der nach Durchführung eines Einspruchsverfahrens geänderten Fassung der Patentschrift in der Verfahrenssprache lauten: 1. An isolated immunogenic polypeptide (a) having at least 85 % homology to the amino acid sequence of SEQ ID No. 2, and (b) which specifically binds with antibodies raised against a polypeptide having the amino acid sequence of SEQ ID No. 2.
2. An isolated nucleic acid segment comprising (a) the nucleic acid sequence of SEQ ID No. 1, or (b) the complement of (a). 8. An isolated immunogenic polypeptide encoded by a nucleic acid according to any one of claims 2 to 6. 9. The polypeptide of claim 8, further defined as an isolated polypeptide which specifically binds with antibodies raised against a polypeptide having at least the amino acid sequence of SEQ ID No. 2. 13. A purified antibody that specifically binds to the polypeptide of claim 9. 15. An in-vitro method of diagnosing Lyme disease comprising probing a sample from a subject, for the presence of a nucleic acid segment of any of claims 2 to 6, or an antibody that binds immunologically to a polypeptide of claim 9. 16. An in-vitro method of assaying Borrelia infection comprising (a) obtaining an antibody that binds immunologically to a polypeptide of claim 9 or a polypeptide that binds immunologically to such an antibody; (b) admixing a sample obtained from a subject and the antibody or the polypeptide; and (c) determining, whether immunologic binding occurs between the antibody and a polypeptide or between the polypeptide and an antibody in the sample; wherein immunologic binding is indicative of Borrelia infection.
2
Die Klägerin hat das Streitpatent mit ihrer Nichtigkeitsklage, deren Abweisung die Beklagte beantragt hat, im Umfang seiner Ansprüche 13, 15 und 16 angegriffen und geltend gemacht, insoweit gehe sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten, als internationale Anmeldung WO 97/31123 veröffentlichten Fassung hinaus, sei der Schutzbereich des Patents erweitert, seine Lehre nicht so vollständig und deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und sei die Erfindung nicht patentfähig.
3
Das Patentgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer Berufung, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang der Ansprüche 13, 15 und 16 weiter.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg. Das Patentgericht hat das Streitpatent und die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe zutreffend beurteilt.
5
I. Das Streitpatent betrifft Antigene und Antikörper, die für die Diagnose einer Borrelioseform verwendet werden können, die nach dem Ort ihrer Erstbeschreibung Lyme-Borreliose genannt wird und deren Erreger das Bakterium Borrelia burgdorferi ist. Es betrifft ferner die für die (Aminosäure-)Sequenz Nr. 2 des Streitpatents kodierende (Nukleinsäure-)Sequenz Nr. 1 und Segmente derselben sowie Verfahren zu deren Verwendung.
6
1. Die Lyme-Borreliose ist, wie in der Beschreibung des Streitpatents erläutert wird, eine durch pathogene Spirochäten des Genus Borrelia übertragene bakterielle Infektion. Sie sei, so führt die Patentschrift aus, in ihrem Verlauf schwer zu diagnostizieren, da sie oft untypische und mit anderen Infektionen überlappende Verlaufsformen zeige. Da die Krankheit darüber hinaus auch zu Lähmungen führen könne, bestehe ein dringendes Bedürfnis für deren effektive therapeutische und prophylaktische Behandlung. Eine Möglichkeit der Di- agnose sei im Stand der Technik im Nachweis von Bestandteilen des Erregers gesehen worden.
7
In der Streitpatentschrift wird des Weiteren das endemische rezidivierende Fieber als eine durch andere Borrelia-Spezies, insbesondere B. hermsii, hervorgerufene und in zwei oder mehr "Rückfällen" auftretende epizotische Infektion beschrieben, deren erste Welle durch Borreliae verursacht werde, die ein bestimmtes variables Hauptprotein (Variable Major Protein, VMP) exprimierten. Entwickle ein Patient nach einer Infektion Antikörper gegen dieses Protein, würden die Bakterien dieses Stereotyps zerstört und die Krankheitssymptome klängen ab. Unter dem Druck des Immunsystems trete jedoch bei einem Teil der noch im Wirt vorhandenen Borrelia-Erreger eine antigene Veränderung in Richtung eines anderen Stereotyps auf. Diese veränderten Erreger würden von den gebildeten Antikörpern nicht mehr erkannt, so dass sie sich vermehrten und einen erneuten Fieberschub auslösen könnten.
8
Ähnliche Mechanismen der antigenen Variation würden auch für Borreliaburgdorferi -Erreger angenommen, da diese Erkrankung trotz des Auftretens von Wirts-Antikörpern und zellulärer Immunantwort im Allgemeinen ebenfalls über Monate und Jahre andauere, was auf ein effektives Umgehen der Immunantwort hindeute. Von Borrelia burgdorferi seien bisher verschiedene Gene und Proteine charakterisiert worden, einschließlich der äußeren Oberflächenproteine (Outer surface proteins) OspA bis OspD. Befriedigende Lösungsansätze für eine zuverlässige Diagnose der Lyme-Borreliose hätten sich hieraus aber nicht ergeben, so dass weiterhin ein Bedarf nach geeigneten diagnostischen Kits bestehe.
9
2. Das Patentgericht hat es in Anlehnung an die Patentschrift (Abs. 8 [= Abs. 9 der deutschen Übersetzung 697 33 944 T3]) rechtsfehlerfrei als der Er- findung zugrundeliegende Aufgabe bezeichnet, Mittel und Verfahren für (die Behandlung und) den zuverlässigen Nachweis der Lyme-Borreliose (oder genauer : einer Infektion mit dem Erreger derselben) bereitzustellen.
10
3. Zur Lösung des Problems schlägt das Streitpatent mit den angegriffenen Ansprüchen einen aufgereinigten Antikörper und Verfahren mit folgenden Merkmalen vor (in Fettdruck die von der Klägerin - substantiiert - allein angegriffenen Alternativen): Anspruch 13 13 einen aufgereinigten Antikörper, der spezifisch an ein isoliertes immunogenes Polypeptid bindet, 13.1 für das eine Nukleinsäure codiert, welche die (Nukleinsäure -)Sequenz Nr. 1 oder eine komplementäre Sequenz umfasst, und 13.2 das spezifisch an Antikörper bindet, die gegen ein Polypeptid erzeugt wurden, das zumindest die (Aminosäure -)Sequenz Nr. 2 aufweist. Anspruch 15 15 In-vitro-Verfahren zur Diagnose der Lyme-Borreliose, umfassend die Untersuchung einer Probe eines Subjekts auf das Vorliegen 15.1 eines Nukleinsäuresegments nach den Patentansprüchen 2 bis 6, 15.2 eines Polypeptids, für das eine Nukleinsäure codiert, welche die (Nukleinsäure-)Sequenz Nr. 1 oder eine komplementäre Sequenz umfasst, oder 15.3 eines Antikörpers, der immunologisch an ein Polypeptid bindet, 15.3.1 für das eine Nukleinsäure codiert, welche die (Nukleinsäure-)Sequenz Nr. 1 oder eine komplementäre Sequenz umfasst, und 15.3.2 das spezifisch an Antikörper bindet, die gegen ein Polypeptid erzeugt wurden, das zumindest die (Aminosäure-)Sequenz Nr. 2 aufweist. Anspruch 16 16 In-vitro-Verfahren zum Nachweis einer Borrelia-Infektion, umfassend: 16.1 Erhalten eines 16.1.1 Antikörpers, der immunologisch an ein Polypeptid bindet, 16.1.1.1 für das eine Nukleinsäure codiert, welche die (Nukleinsäure-)Sequenz Nr. 1 oder eine komplementäre Sequenz umfasst, und 16.1.1.2 das spezifisch an Antikörper bindet, die gegen ein Polypeptid erzeugt wurden, das zumindest die (Aminosäure -)Sequenz Nr. 2 aufweist, oder 16.1.2 Polypeptids, das immunologisch an einen solchen Antikörper bindet, 16.2 Mischen einer von einem Subjekt erhaltenen Probe mit dem Antikörper oder Polypeptid und 16.3 Bestimmung, ob eine immunologische Bindung zwischen dem Antikörper und einem Polypeptid in der Probe oder zwischen dem Polypeptid und einem Antikörper in der Probe auftritt, wobei die Bindung einen Hinweis auf eine Borrelia-Infektion darstellt.
11
4. Die Streitpatentschrift erläutert, die Erfindung offenbare eine repetitive DNA-Sequenz einer Länge von etwa 500 Basenpaaren, die in multiplen, nicht identischen Kopien in einem Plasmid infektiöser Borrelia burgdorferi, dem Erreger der Lyme-Borreliose, vorliege. Diese codiere für ein oberflächenexpo- niertes Lipoprotein, das Sequenzähnlichkeit zu dem variablen Hauptprotein (VMP) in Borrelia hermsii aufweise (Abs. 105, 124 der Beschreibung [= Abs. 123, 142 T3]). Es sei erstmals in B. burgdorferi identifiziert worden; wegen der Ähnlichkeit mit dem Hauptprotein in B. hermsii spricht das Streitpatentvon VMP-ähnlichen Sequenzen (VMP-like sequences - Vls) (Abs. 107, 125 [= Abs. 125, 143 T3]). Über die genetische Organisation der Vls-Stelle lehrt das Streitpatent, dass diese aus einer exprimierten und 15 ruhenden Vls-Kassetten bestehe, die ihrerseits konservierte und variable Regionen aufwiesen. Die konservierten Sequenzen seien dabei für die Rekombination zwischen der exprimierten und den ruhenden Vls-Sequenzen wesentlich, wobei die genetische Diversität in den variablen Regionen der Vls-Expressionsstelle (VlsE) zu beobachten sei (Abs. 106, 110, 120 [Abs. 124, 128, 138 T3]). Für die VlsE-Stelle werden daher die exakte Nukleinsäuresequenz (Sequenz Nr. 1 des Streitpatents ) und die 356 Aminosäuren umfassende Aminosäuresequenz (Sequenz Nr. 2) angegeben.
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5. Das Patentgericht hat die erfindungsgemäße Lehre, soweit für das Berufungsverfahren von Interesse, wie folgt weiter erläutert:
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Unter einem Polypeptid im Sinne des Merkmals 16.1.2 sei nicht wegen des Singulars (a polypeptide) allein das Polypeptid mit der Sequenznummer 2 (in Volllänge) zu verstehen. Dieses stelle zwar das zentrale Polypeptid der erfindungsgemäßen Lehre dar. Hierauf werde der Fachmann - ein Team aus einem auf dem Gebiet der Immunologie tätigen Molekularbiologen oder Biochemiker und einem klinisch tätigen Mediziner - aber das Polypeptid nach Merkmal 16.1.2 nicht reduzieren. Denn der Beschreibung (Abs. 146-155 [= Abs. 166-175 T3]) entnehme er, dass auch als Epitop-Kernsequenzen (epitopic core se- quences) bezeichnete Polypeptide als zur Erfindung gehörend einzubeziehen seien, von denen das Streitpatent lehre, dass sie aufgrund ihrer konservierten Regionen immunologisch kreuzreaktiv mit einem oder mehreren Anti-VlsAntikörpern seien (z.B. Kreuzreaktivität zwischen einem Borrelia-burgdorferisensu -stricto-VlsE-Peptid und einem gegen eine VlsE-Stelle der Spezies B. afzelii gerichteten Antikörper) und primäre, sekundäre oder tertiäre Strukturen aufwiesen, die einem Epitop im Vls-Protein ähnelten, wobei der Grad der Ähnlichkeit nur so hoch sein müsse, dass ein mono- oder polyklonaler Antikörper an das Polypeptid mit einer Epitop-Kernsequenz binde oder dieses anderweitig erkenne (Abs. 146 f. [= Abs. 166 f. T3]). In den Epitop-Kernsequenzen erkenne der Fachmann somit einen Pool von Polypeptiden, die sich durch ihre Abstammung aus konservierten Regionen der Vls-Genkassette und ihre daraus resultierende Kreuzreaktivität zum Nachweis zahlreicher gegen die VlsE-Stelle gerichteter Antikörper eigneten. Dagegen spreche auch nicht der Rückbezug in Patentanspruch 16 auf Patentanspruch 9. Dieser werde aus fachmännischer Sicht nicht als stoffliche Definition der im Verfahren nach Patentanspruch 16 als diagnostische Nachweisreagenzien einsetzbaren Polypeptide verstanden, sondern lediglich als Hinweis auf die Spezifität der Antikörper, mit denen diese Polypeptide eine immunologische Bindung eingingen. Demnach handele es sich bei den Antikörpern um solche, die gegen das Polypeptid der Sequenz Nr. 2 und damit die VlsE-Stelle gerichtet seien. Die Sequenz Nr. 2 bestimme damit nicht nur den Kreis der für die Diagnose einer Borrelia-Infektion in Frage kommenden Antikörper, sondern indirekt auch die für den Nachweis dieser Antikörper geeigneten Polypeptide, da nur Polypeptide mit einer gewissen Ähnlichkeit zur Sequenz Nr. 2 in der Lage seien, die immunologische Bindung mit den AntiVlsE -Antikörpern eingehen zu können. Varianten der Sequenz Nr. 2 werde der Fachmann auch deshalb in Betracht ziehen, weil für den immunologischen Nachweis spezifischer Antikörper regelmäßig mehrere Antigene verwendet würden und dem Fachmann bekannt sei, dass in der Immundiagnostik neben Volllängenproteinen häufig auch trunkierte Proteine als Epitope eingesetzt wür- den. Schließlich ergebe sich auch aus der Verwendung des Volllängenproteins in Beispiel 11 des Streitpatents nichts anderes.
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6. Dieses sorgfältig begründete Verständnis der erfindungsgemäßen Lehre greift die Berufung ohne Erfolg an.
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Schon der Wortlaut des Patentanspruchs 16 spricht nicht für sie; erst recht kann keine Rede davon sein, dass die Auslegung des Patentgerichts, wie die Berufung meint, weit über den Wortsinn hinausginge. Der Patentanspruch setzt als ersten Schritt des In-vitro-Verfahrens (Merkmal 16.1) das Erhalten eines Antikörpers oder eines Polypeptids voraus, der im zweiten Schritt (Merkmal 16.2) mit der auf eine Antigen-Antikörper-Reaktion zu untersuchenden Probe in Verbindung gebracht wird. Im dritten Schritt (Merkmal 16.3) wird dann bestimmt , ob eine borrelia-(burgdorferi-)spezifische immunologische Reaktion erfolgt ist. Der Antikörper ist in Merkmal 16.1.1 dadurch charakterisiert, dass er spezifisch an die Sequenz Nr. 2 bindet; nur insoweit geht es um eine bestimmte Sequenz. Das Polypeptid (Antigen) ist hingegen dadurch charakterisiert, dass es an einen Antikörper im Sinne des Merkmals 16.1.1 bindet. Damit sind, wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, sowohl Antikörper als auch Antigen nur durch ihre spezifische Bindung, nicht aber durch ihre Sequenzlänge definiert ; ausdrücklich bemerkt die Streitpatentschrift, dass zur erfindungsgemäßen Verwendung etwa acht bis zwanzig Aminosäuren lange Peptide bevorzugt würden (Abs. 149 [= Abs. 169 T3]). Wenn das Patentgericht - etwas missverständlich - davon spricht, der "Begriff 'Erhalten eines Polypeptides'" sei "als Synonym für eine Vielzahl von Polypeptiden" zu interpretieren, ersetzt es daher nicht die Einzahl durch die Mehrzahl, sondern bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine Vielzahl von Antigenen den Polypeptidbegriff ausfüllen kann. Die Ausführungen des Patentgerichts zu den Epitop-Kernsequenzen sind daher nur konsequent.
16
Die mithin für die Definition des Polypeptids im Sinne des Merkmals 16.1.2 entscheidende spezifische Bindung kommt in Patentanspruch 16 nicht nur in Merkmal 16.1.1.2 zum Ausdruck, sondern auch in Merkmal 16.3, da die mit dem Polypeptid entsprechend Merkmal 16.2 in Verbindung gebrachte Probe mittels des geschützten In-vitro-Verfahrens - dessen Zweck entsprechend - nicht auf irgendeine immunologische Bindung analysiert wird, sondern darauf, ob eine Bindung auftritt, die einen Hinweis auf eine Borrelia-(burgdorferi-sensulato -)Infektion darstellt (is indicative of Borrelia infection). Das Verfahren wird damit auch nicht - wie die Berufung meint - durch zwei Unbekannte definiert, denn Patentanspruch 16 dient nicht dazu, dem Fachmann anzugeben, wie er ein im Sinne des Merkmals 16.1.2 geeignetes Polypeptid auszuwählen hat. Es versteht sich vielmehr, dass bei der Ausführung des Verfahrens nur ein Polypeptid verwendet werden kann, von dem der Fachmann - aufgrund der Beschreibung des Streitpatents oder eigener Orientierungsversuche - weiß, dass es zur spezifischen Bindung im Sinne des Merkmals 16.1.1.2 geeignet ist und demgemäß aufgrund dieser Bindung als Indikator der Borrelieninfektion im Sinne des Merkmals 16.3 verwendet werden kann.
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Ein anderes Auslegungsergebnis ergibt sich auch nicht aus der Beschränkung des Streitpatents im Einspruchsverfahren, wie das Patentgericht gleichfalls zutreffend ausgeführt hat. Die angegriffenen Patentansprüche sind im Einspruchsverfahren unverändert geblieben. Inwieweit Ansprüche auf Teile der Sequenz Nr. 2 gestrichen worden sind, ist unerheblich, da die Sequenz in den angegriffenen Patentansprüchen nur als Bezugspunkt für die Bindungsspezifität dient. Der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer, die sich zu den Ansprüchen 15 und 16 nicht weiter verhält, ist kein abweichendes Verständnis zu entnehmen. Es ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass die Beschwerdekammer davon spricht, die Erfindung ebne den Weg zu einer zuverlässigeren Diagnose der Lyme-Borreliose "with appropriate immunogenic po- lypeptides (see claims 8 to 9) … [and] in vitro methods for the use of the same" (T 0502/08 - 3.3.08 vom 16. Dezember 2009 unter Nr. 9 der Gründe). Eine bestimmte Definition der im Kontext der Patentansprüche 15 und 16 "geeigneten" immunogenen Polypeptide kommt darin nicht zum Ausdruck; sie wäre im Übrigen für das Patentnichtigkeitsverfahren auch nicht bindend.
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II. Ohne Erfolg wendet sich die Berufung gegen die Annahme des Patentgerichts , der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche gehe nicht über die Anmeldungsunterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
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1. Das Patentgericht hat dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
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Die in der - den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen entsprechenden - internationalen Patentanmeldung formulierten Ansprüche 13 und 23, die sich mit der Diagnose der Lyme-Borreliose bzw. dem Nachweis einer Borrelieninfektion befassten, seien - anders als die Patentansprüche 15 und 16 - zwar nicht auf den Nachweis eines nativen Antikörpers, sondern eines nativen Proteins gerichtet. In der Beschreibung fänden sich aber wiederholt Angaben dazu, dass die anmeldungsgemäße Lehre auch einen Kit zur Diagnose der LymeBorreliose sowie damit verwandter Krankheitsbilder umfasse, der Proteine für den Nachweis von Antikörpern im Serum infizierter Menschen oder Tieren enthalte (WO 97/31123, S. 4, Z. 8/9 iVm Z. 12-20 und S. 6, Z. 10-12 sowie S. 48 f. zu 4.3). Eine entsprechende Stütze für eine auf dem Nachweis von Antikörpern basierende In-vitro-Diagnostik finde sich auch in den Ansprüchen 14 und 24 der Anmeldung, die isolierte Polypeptide sowie einen diese Polypeptide enthaltenden immundiagnostischen Kit zum Nachweis von Anti-VlsE-Antikörpern beschrieben. Demzufolge führe die "Umwandlung" des im ursprünglichen Anspruch 23 genannten Antigen-Tests in einen Antikörper-Test, wie er in den Pa- tentansprüchen 15 und 16 beschrieben wird, zu keinem vom Offenbarungsgehalt der Ursprungsunterlagen abweichenden Sinngehalt.
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Zu Unrecht vermisse die Klägerin auch Beispiele, in denen die In-vitroVerfahren der Patentansprüche 15 und 16 ursprünglich offenbart seien. Beispiel 11 des Streitpatents wie schon seiner Anmeldung beschreibe Immunoblots, bei denen u. a. die Anti-VlsE-Antikörper im Serum eines mit einem Lyme-BorrelienStamm infizierten Patienten durch ihre Bindung an das VlsE-Protein bzw. davon abgeleitete VlsE-Varianten nachgewiesen würden (S. 87 f. iVm Figur 6E). Damit werde ein In-vitro-Test offenbart, bei dem entsprechend der Lehre der Patentansprüche 15 und 16 das Polypeptid der Sequenz Nr. 2 sowie Derivate davon für den Nachweis von Anti-VlsE-Antikörpern verwendet würden.
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Fehl gehe auch der Einwand der Klägerin, die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbarten kein diagnostisches Verfahren, bei dem Antikörper mit beliebigen Polypeptiden wie in den Patentansprüchen 15 und 16 nachgewiesen würden. Aus fachmännischer Sicht kämen in diesen Verfahren aufgrund des spezifischen Nachweises von Anti-VlsE-Antikörpern nicht beliebige Polypeptide zum Einsatz, sondern nur diejenigen aus dem Polypeptidpool mit Epitop-Kernsequenzen, die von Anti-VlsE-Antikörpern erkannt würden und demzufolge Varianten des stofflich definierten VlsE-Polypeptids mit der Sequenz Nr. 2 darstellten. Für einen solchen Polypeptidpool finde sich in den ursprünglichen Unterlagen in dem mit der Bereitstellung von EpitopKernsequenzen befassten Kapitel 4.4 auch eine entsprechende Stütze (S. 49, Z. 23 bis S. 52, Z. 14).
23
2. Diese zutreffenden Ausführungen bedürfen keiner Ergänzung. Entgegen der Auffassung der Berufung ist es unschädlich, dass die Ursprungsunterlagen nicht ausdrücklich ein Verfahren zum Antikörpernachweis beanspru- chen. Für den Fachmann ist offensichtlich, dass die offenbarten und beanspruchten , an solche Antikörper bindende Polypeptide enthaltende Kits zum Nachweis der Antikörper dienen sollen. Der Kit "verkörpert" geradezu das in den Patentansprüchen 15 und 16 bezeichnete Verfahren. Verfahrensmerkmale, die über die Bereitstellung und bestimmungsgemäße Verwendung eines solchen Kits hinausgingen, sind den Patentansprüchen nicht zu entnehmen.
24
Soweit das Patentgericht von der "Umwandlung" des im ursprünglichen Anspruch 23 genannten Antigentest in einen Antikörpertest spricht, hat es damit lediglich zum Ausdruck bringen wollen, dass der Antikörpertest auch ursprungsoffenbart ist.
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Ebenso unerheblich ist es, dass, wie die Berufung meint, EpitopKernsequenzen nicht "im Zusammenhang mit den diagnostischen Verfahren der Ansprüche 15 und 16" ursprungsoffenbart seien. Es genügt, dass die Kernsequenzen als wesentlich für die Antigen-Antikörper-Bindung offenbart sind.
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III. Zutreffend hat das Patentgericht ferner eine Schutzbereichserweiterung verneint.
27
1. Es hat angenommen, der Schutzbereich der Patentansprüche 15 und 16 sei nicht dadurch erweitert, dass diese - weiterhin - stofflich nicht näher definierte Polypeptide umfassten, obwohl die stofflich definierten Peptidfragmente des ursprünglich erteilten Patentanspruchs 1 sowie die Alternativen c und d des erteilten Patentanspruchs 2, die auf isolierte Nukleinsäuresequenzen mit einer Länge von 20 Basenpaaren gerichtet gewesen seien, im Einspruchsverfahren ersatzlos gestrichen worden seien. Die Bereitstellung von aus der Vls-Genkassette abgeleiteten Epitop-Kernsequenzen, die von Anti-VlsE-Antikörpern erkannt würden und sich daher für eine Borrelien-Diagnostik eigneten, sei auch mit Blick auf die Ansprüche 15 und 16 in der beschränkten Fassung des Streitpatents in unveränderter Weise offenbart. Deshalb gehörten nicht nur das Polypeptid der Sequenz Nr. 2, sondern auch davon abgeleitete, stofflich nicht näher definierte Peptidfragmente, die mit Anti-VlsE-Antikörpern eine Bindung eingingen, weiterhin zu der im Streitpatent offenbarten technischen Lehre, so dass deren Einbeziehung in die Patentansprüche 15 und 16 nicht zu einer Schutzbereichserweiterung führe.
28
2. Die Angriffe der Berufung hiergegen sind unbegründet. Insoweit gilt nichts anderes als für die entsprechenden Einwände gegen die Ursprungsoffenbarung.
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IV. Die Erfindung ist so deutlich und vollständig offenbart, dass der Fachmann sie ausführen kann.
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1. Das Patentgericht hat hierzu ausgeführt, die stofflich nicht näher definierten Polypeptide, die in den In-vitro-Verfahren der Patentansprüche 15 und 16 zum Nachweis der in den Patientenseren enthaltenen Anti-VlsE-Antikörper verwendet würden, stellten keine unzulässige Verallgemeinerung dar, der zufolge die Lehre der Patentansprüche 15 und 16 nicht verwirklicht werden könne. Das Streitpatent enthalte mit dem darin genannten Beispiel 11 zum einen ein Ausführungsbeispiel, welches das Prinzip der in den Patentansprüchen 15 und 16 beschriebenen In-vitro-Verfahren anhand von Immunoblots beschreibe (Abs. 259 [= Abs. 279 T3]). Die in der Figur 6E gezeigten Ergebnisse für das im Beispiel 11 getestete Patientenserum ließen erkennen, dass die Anti-VlsEAntikörper im Serum des Patienten nicht nur mit dem Polypeptid der Sequenz Nr. 2 aus dem Klon B31-5A3 bzw. dem GST-Vls1-Fusionsprotein reagierten (Abs. 259 f. [= Abs. 279 f. T3]), sondern auch mit den VlsE-Varianten M1e4A und M1e4C (Abs. 259 f. [= Abs. 279 u. 281 T3]). Die Tatsache, dass die in der Figur 6E gezeigten VlsE-Varianten M1e4A und M1e4C dabei eine schwächere immunochemische Bindung zu den Anti-VlsE-Antikörpern zeigten als das VlsEPolypeptid der Sequenz Nr. 2, belege nicht das Versagen des Tests, sondern liefere vielmehr die Bestätigung dafür, dass Anti-VlsE-Antikörper auch an die in den Patentansprüchen 15 und 16 genannten VlsE-Varianten bänden und es bei den streitpatentgemäßen In-vitro-Tests nicht auf die Intensität der einzelnen Signale, sondern auf deren grundsätzliche Nachweisbarkeit ankomme. Mit den aus Beispiel 11 erhaltenen Ergebnissen der Figur 6E offenbare das Streitpatent demzufolge einen ausführbaren Weg zur Durchführung der beanspruchten Invitro -Verfahren.
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Zum anderen gebe das Streitpatent genügend Informationen, um dem Fachmann unter zumutbarem Aufwand die praktische Realisierung der beanspruchten Verfahren zu ermöglichen. In der Streitpatentschrift fänden sich nicht nur Angaben dazu, dass die In-vitro-Verfahren der Patentansprüche 15 und 16 als antikörperbasiertes Nachweisverfahren (Enzyme Linked Immunosorbent Assay, ELISA) durchgeführt werden könnten, sondern auch, welche strukturellen und funktionellen Eigenschaften die darin als Antigen verwendeten EpitopKernsequenzen aufweisen müssten und auf welche Weise diese erhalten würden (Abs. 142-145 [= Abs. 162-165 T3] und 146-155 [= Abs. 166-175 T3]). Hinzu komme, dass - wie ausgeführt - die patentgemäßen Epitop-Kernsequenzen aus den konservierten Regionen der Sequenz Nr. 2 stammen müssten, um kreuzreaktive Bindungen mit verschiedenen Anti-VlsE-Antikörpern eingehen zu können, so dass entgegen der Auffassung der Klägerin auch die Zahl der als Epitop-Kernsequenzen in Frage kommenden Polypeptide nicht unendlich sei und das Auffinden geeigneter Epitop-Kernsequenzen vom Fachmann keinesfalls die Durchführung eines umfangreichen Forschungsprogramms erfordere. Einer deutlichen und vollständigen Offenbarung stehe auch nicht entgegen, dass die Patentansprüche 15 und 16 neben tauglichen auch untaugliche Varianten mit umfassten, da es zum allgemeinen Wissen und Können eines im Be- reich der Immunologie tätigen Fachmanns gehöre, für einen ihm bekannten Antikörper geeignete Epitope zu ermitteln. Zu einer gegenteiligen Beurteilung der Sachlage gebe auch die Aussage des Streitpatents, dass einige Seren von an Lyme-Borreliose leidenden Patienten mit manchen VlsE-Varianten nicht reagierten , keinen Anlass. Dadurch würden nicht sämtliche patentgemäßen Epitope als untauglich eingestuft. Es werde vielmehr lediglich darauf hingewiesen werden, dass derartige VlsE-Varianten die Expression und Antigenvariation von VlsE in vivo bestätigten (Abs. 261 [= Abs. 282 T3]).
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Für ihre Behauptung, dem Fachmann werde nicht vermittelt, wie er mit den streitpatentgemäßen Verfahren zwischen Borrelia burgdorferi und Borrelia hermsii unterscheiden könne, biete die - insoweit darlegungspflichtige - Klägerin keinerlei Beweismittel an. Bloße Zweifel reichten hierzu nicht aus.
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2. Auch dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.
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a) Schon die erste Begründungslinie des angefochtenen Urteils trägt das vom Patentgericht gewonnene Ergebnis, dass die in den angegriffenen Patentansprüchen bezeichnete geschützte Erfindung ausführbar offenbart ist.
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Zwar mag die Berufung zu Recht beanstanden, dass das Patentgericht angenommen hat, von den in dem Wirtsorganismus aufgrund von Rekombination entstehenden neuen Polypeptiden, die im Streitpatent als M1e4A und M1e4C bezeichnet werden, zeigten im Beispiel 11 beide eine positive Reaktion, während eine solche Reaktion tatsächlich nur für den Klon M1e4C erkennbar ist. Darauf kommt es aber nicht an. Die Klägerin stellt nicht in Frage, dass die erwartete Antikörperreaktion nicht nur bei dem - das VlsE des Streitpatents umfassenden - GST-Vls1-Fusionsprotein, sondern auch bei der M1e4C-Variante auftrat. Damit ist aber dem Fachmann die Eignung des Volllängenpolypeptids für den Nachweis einer im Sinne der Merkmale 16.1.1.2 und 16.3 spezifischen, als Infektionsindikator tauglichen immunologischen Bindung und somit ein möglicher Weg für die Ausführung des beanspruchten Verfahrens aufgezeigt. Dass hierbei - was ohnehin niemals vollständig vermeidbar sein dürfte - unter Umständen falsch-negative Ergebnisse auftreten, ist unerheblich. Die Ausführbarkeit setzt nicht voraus, dass der bestmögliche Weg zur Verwirklichung der erfindungsgemäßen Lehre aufgezeigt wird.
36
Die ausführbare Offenbarung rechtfertigt nicht nur den Schutz eines Invitro -Verfahrens, in dem eben dieses Volllängenpolypeptid verwendet wird, sondern auch den Schutz von Verfahren, die sich eines Fragments dieses Peptids bedienen. Denn mit dem Aufweisen der Sequenz Nr. 2 und ihrer immunologischen Bedeutung hat der Erfinder den entscheidenden Beitrag geliefert, der es ermöglicht, mit der Sequenz in ihrer Gesamtheit oder einzelnen Segmenten den erfindungsgemäßen Erfolg zu erzielen. Dies gilt auch dann, wenn mit einem solchen Segment - wie mit dem von den Parteien diskutierten, von der sechsten konservierten und jedenfalls für den Hauptteil der stabilen Immunantwort verantwortlichen Region der Sequenz Nr. 2 abgeleiteten C6-Peptid - (deutlich ) überlegene Ergebnisse erzielt werden können und die Auffindung der Eignung dieses Segments ihrerseits eine erfinderische Tätigkeit erfordern sollte. Das Streitpatent lehrt den Fachmann, dass das Polypeptid mit der Sequenz Nr. 2 nicht in seiner Gesamtheit, sondern mit bestimmten Epitopen für die Antigen -Antikörper-Reaktion verantwortlich ist. Auch wenn diese Epitope nicht konkret bezeichnet werden und das Streitpatent auch nicht angibt, in welcher konservierten Region sie zu finden sind, bedient sich deswegen auch derjenige der erfindungsgemäßen Lehre, der solche Epitope auffindet und anstelle des Gesamtpeptids verwendet. Nach der in einem solchen Fall gebotenen wertenden Betrachtung dessen, was die Erfindung ausmacht und worin sie ihren allgemeinsten Ausdruck findet (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25. Februar 2010 - Xa ZR 100/05, BGHZ 184, 300 - Thermoplastische Zusammensetzung), ge- bührt dem Ersterfinder ein umfassender Schutz, der nicht schon dann leerläuft, wenn Ausführungsformen der Erfindung verwendet werden, die nicht der zunächst allein konkret offenbarten, noch unzulänglichen Form entsprechen, sondern sich einer theoretisch wie praktisch überlegenen Weiterentwicklung bedienen. Voraussetzung hierfür ist nur, dass die offenbarte Ausführungsform überhaupt praktisch brauchbar ist; dies ist indessen, wie ausgeführt, hier der Fall.
37
b) Hiernach kommt es auf die weiteren Ausführungen des Patentgerichts nicht mehr an, dass die Ermittlung geeigneter antigener Epitope keinen unzumutbaren Aufwand für den Fachmann erfordere, vielmehr aufgrund der Angaben der Patentschrift hierzu und dem allgemeinen Fachwissen des Fachmanns möglich sei. Allerdings legt die Klägerin auch zweitinstanzlich nicht hinreichend dar, dass diese Beurteilung des fachkundig besetzten Patentgerichts nicht zutrifft. Dass sich die Eignung möglicher Epitope nicht theoretisch vorhersagen lässt, ist dafür nicht zureichend.
38
c) Auch unter dem Gesichtspunkt der Kreuzreaktivität zwischen Borrelia burgdorferi und Borrelia hermsii fehlt es nicht an der Ausführbarkeit der Erfindung. Insbesondere belegt es nicht die mangelnde Eignung der erfindungsgemäßen Polypeptide, dass auch Patienten mit Rückfallfieber mit dem C6-Peptid reagieren mögen.
39
Die Kreuzreaktivität wird nicht nur im Stand der Technik, sondern ebenso im Streitpatent angesprochen und ist auch vom Patentgericht nicht übersehen worden. Zum einen kann jedoch aus den vorstehend zu b angeführten Gründen nicht festgestellt werden, dass es dem Fachmann - bei einer Homologie von 30 bis 50 % zwischen Borrelia burgdorferi und Borrelia hermsii - nicht möglich ist, die Spezifität der immunologischen Bindung des erfindungsgemäßen In-VitroVerfahrens zu verbessern. Zum anderen schließen im Einzelfall mögliche falsch-positive Ergebnisse ebenso wenig wie falsch-negative die Ausführbarkeit und praktische Brauchbarkeit des Verfahrens aus. Auch in der von der Klägerin vorgelegten Veröffentlichung von Ledue et al. in Clin. Vaccine Immunol. 15 (2008), 1796 (BK7) ist insoweit lediglich von "lower specifities" die Rede. In dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten E. wird im Übrigen unwidersprochen darauf hingewiesen, dass Rückfallfiebererkrankungen und LymeBorreliose über die Anamnese und das klinische Bild gut voneinander abgrenzbare Erkrankungen seien (Gks-B3, S. 8).
40
V. Schließlich hat das Patentgericht zu Recht die Patentfähigkeit des Gegenstands der angegriffenen Patentansprüche bejaht.
41
1. Es hat hierzu ausgeführt:
42
Der Gegenstand der angegriffenen Ansprüche sei neu.
43
Die Abhandlung "Immunochemische Analyse der Immunantwort bei Spätmanifestationen der Lyme Borreliose" von Wilske et al. in Zbl. Bakt. Hyg. A 267 (1988), 549 (K4) betreffe eine Analyse der Immunantwort bei einer Spätmanifestation der Lyme-Borreliose mit dem Ziel festzustellen, ob diese bei Patienten , die mit einem europäischen Lyme-Borrelienstamm infiziert seien, stammspezifische heterogene Muster zeigen oder in Abhängigkeit vom Krankheitsbild bestimmte Reaktionsmuster auftreten (vgl. K4, Titel iVm S. 551, 2. Abs.). Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, untersuchten die Autoren die Seren von sieben an Acrodermatitis chronica atrophicans (kurz ACA) und zehn an Lyme-Arthritis erkrankten Patienten. Die Seren dieser Patienten würden im Western Blot auf ihre Reaktivität mit den Proteinen von fünf unterschiedlichen Borrelien-Isolaten untersucht. Vorab werde das Proteinmuster der verwendeten Lyme-Borrelien-Stämme bestimmt (vgl. K4, S. 550 "Zusammenfassung" , Sätze 1 bis 3 und S. 551, Abschnitt "Lyme-Borrelien-Stämme" und "Pati- entenseren"). In diesen seien die Proteinbanden bei 31/32 kDa als OspA- und OspB-Proteine identifiziert; die Proteine bei 21/22 kDa würden als Protein C (später OspC) bezeichnet und das Protein mit 41 kDa als das in Fachkreisen bekannte Flagellinprotein identifiziert. Als wesentlich würden ferner die Proteine bei 17/18 kDa bewertet (vgl. K4, S. 552, 1. Abs. iVm Abb. 1 und S. 554, 1.-3. Abs.). Anschließend würden in einem Western Blot mittels der in den Patientenseren enthaltenen Antikörper diverse Proteinbanden in den Ganzzelllysaten der Borrelienstämme nachgewiesen (vgl. K4, S. 554/555, Abb. 3 und 4). Damit werde zwar ein in vitro durchgeführtes Nachweisverfahren beschrieben, das die patentgemäßen Merkmale 16.1, 16.2 und 16.3 aufweise. Angaben dazu, dass in diesem Verfahren auch Polypeptide zum Einsatz kämen, die mit einem AntiVlsE -Antikörper oder einem für das Polypeptid der Sequenz Nr. 2 spezifischen Antikörper eine immunologische Bindung eingingen, fänden sich dagegen nicht. Für die fehlende Neuheitsschädlichkeit der Entgegenhaltung sei ausschlaggebend , dass keine Aminosäuresequenz mit der patentgemäßen Sequenz Nr. 2 offenbart werde. Demzufolge könne der Fachmann in K4 auch keine Polypeptide unmittelbar und eindeutig mitlesen, die entsprechend Merkmal 16.1.2 dazu befähigt wären, mit einem Anti-VlsE-Antikörper eine Antigen-AntikörperReaktion einzugehen. Polypeptide mit solchen Eigenschaften möchten ein inhärenter Bestandteil der in K4 getesteten Borrelia-Lysate sein. In Unkenntnis der Lehre der Erfindung gebe die Arbeit dem Fachmann jedoch keine Informationen an die Hand, die es ihm ermöglichten, derartige Polypeptide zu erkennen oder zu identifizieren. Es werde nämlich nur von Polypeptiden mit einer Molekülmasse im Bereich von 17/18, 21/22, 31/32 und 41 kDa berichtet, während das Polypeptid der Sequenz Nr. 2 nach den - von der Klägerin mit den von ihr vorlegten Versuchen bestätigten - Angaben im Streitpatent ein Molekulargewicht von etwa 45 kDa aufweise (Streitpatent Abs. 250 [= Abs. 270 T3]). Soweit die in K4 ausgewerteten Western-Blots zahlreiche weitere reaktive Proteinbanden im Be- reich von 40 kDa aufwiesen, seien dem Dokument nähere Angaben zu diesen Proteinbanden nicht zu entnehmen, so dass der Fachmann auch in diesen zusätzlichen Proteinbanden kein VlsE-Polypeptid mit der Sequenz Nr. 2 erkennen könne. Da Nukleinsäure- oder Aminosäuresequenzen für die in K4 beschriebene technische Lehre ferner nicht von Bedeutung seien, würden unabhängig von den gezeigten Proteinbanden auch keine stofflichen Daten offenbart, die das Identifizieren eines VlsE-Polypeptids ermöglichen würden. Entsprechendes gelte auch für Patentanspruch 15.
44
In der Abhandlung "Relapsing Fever and Its Serological Discrimination from Lyme Borreliosis" von Rath et al. in Infection 20 (1992), 283 (K8), einem Fallbericht, der sich mit der serologischen Unterscheidung zwischen dem von Borrelia hermsii verursachten Rückfallfieber und der durch Borrelia-burgdorferiErreger ausgelösten Lyme-Borreliose befasse, würden die für Borrelia hermsii bzw. Borrelia burgdorferi typischen Proteinbanden mit denjenigen Proteinbanden verglichen, die von Antikörpern im Serum eines Patienten mit Rückfallfieber bei den jeweiligen Erregern erkannt würden (vgl. K8, S. 284, re. Sp., Figur 2 mit Text). Mit Hilfe der dabei angewandten Immunoblot-Technik würden in dem untersuchten Serum IgG- und IgM-Antikörper identifiziert, die eine Kreuzreaktivität zu Polypeptiden mit einem Molekulargewicht von 41 (dem bekannten FlagellinProtein von Borrelia burgdorferi) und 60 kDa aus Borrelia burgdorferi aufwiesen. Im Zusammenhang mit den IgG-Antikörpern werde darüber hinaus eine starke Kreuzreaktivität zu Borrelia-burgdorferi-Antigenen mit einem Molekulargewicht von 40, 36, 34, 30 und 20 kDa festgestellt (vgl. K8, S. 285, re. Sp., 4. Abs.) und insgesamt der Schluss gezogen, dass Borrelia-hermsii-Stämme konservierte Epitope exprimierten, die mit Epitopen von Borrelia burgdorferi kreuzreaktiv seien (vgl. K8, S. 286, spaltenübergreifender Abs.). Diese pauschale Aussage werde nicht weiter präzisiert. K8 offenbare danach weder ein In-vitro-Verfahren, bei dem Polypeptide mit einer Affinität zu Anti-VlsE-Antikörpern entsprechend Merkmal 16.1.2 verwendet, noch ein solches Verfahren, bei dem entsprechend Merkmal 15.3 Anti-VlsE-Antikörper in Patientenseren nachgewiesen würden. Auch aufgereinigte Antikörper, die gegen das Polypeptid der Sequenz Nr. 2 gerichtet seien (Patentanspruch 13), würden in K8 nicht beschrieben. Das alleinige Sichtbarmachen diverser Proteinbanden reiche nicht aus, um die auf dem Auffinden des Polypeptids der Sequenz Nr. 2 basierende technische Lehre, wie sie den Patentansprüchen 13, 15 und 16 zugrunde liege, neuheitsschädlich vorwegzunehmen, auch wenn das streitpatentgemäße VlsE-Polypeptid der Sequenz Nr. 2 sowie dagegen gerichtete Antikörper bereits in dem in K8 untersuchten Serum vorhanden gewesen seien. Deren Nachweis könne nur in Kenntnis des Polypeptids der Sequenz Nr. 2 durchgeführt werden.
45
Der Gegenstand des Streitpatents sei durch die Entgegenhaltungen auch nicht nahegelegt.
46
Aus K4 sei dem Fachmann bekannt, dass die Antikörper aus den Seren von Patienten mit einer Spätmanifestation der Lyme-Borreliose mit den verschiedensten Antigenen unterschiedlicher europäischer Lyme-Borrelienstämme eine immunologische Bindung eingingen und daher ein sehr heterogenes Antikörperspektrum lieferten. In den Proteinbanden im Bereich von 17/18, 21/22, 31/32 und 41 kDa, auf die in der Abhandlung wiederholt hingewiesen werde, werde der Fachmann keine für die Serodiagnostik der Lyme-Borreliose geeigneten Antigene erkennen. Die Autoren hielten den Nachweis von IgGAntikörpern mit einem einzigen Borrelien-Stamm bei Verwendung der Immunfluoreszenztechnik zwar für möglich (vgl. K4, S. 557, letzter und vorletzter Satz). Dies liefere dem Fachmann aber lediglich eine Veranlassung dafür, weiterhin nach Antigenen zu suchen, die den zuverlässigen Nachweis einer Infektion mit Borrelia-Erregern ermöglichten. K4 lege weder ein In-vitro-Verfahren nahe , bei dem - wie in den Verfahren der Patentansprüche 15 und 16 - ein Anti- VlsE-Antikörper nachgewiesen werde, noch artifiziell erzeugte aufgereinigte Antikörper, wie sie in Patentanspruch 13 beschrieben würden. Eine entsprechende Lehre werde dem Fachmann auch nicht durch eine Zusammenschau der Entgegenhaltungen K4 und K8 vermittelt.
47
Die aus K8 zu ziehende Schlussfolgerung, dass die Borrelia-hermsiiErreger außer einer antigenischen Variabilität auch konservierte antigenische Epitope exprimierten, die mit Epitopen von Borrelia burgdorferi kreuzreaktiv seien (vgl. K8, S. 286, li. Sp., letzter Satz und re. Sp.), möge zwar konservierte Epitope in den Proteinen von Borrelia-Erregern ins Blickfeld des Fachmanns gerückt haben. Angaben dazu, in welchem Protein sich diese befänden und ob derartige Epitope als Antigene für den serologischen Nachweis einer BorreliaInfektion tatsächlich geeignet seien, erhalte der Fachmann in K8 aber nicht. Selbst dem Einsatz konservierter Epitope bei der In-vitro-Diagnostik einer Borrelia -Infektion werde der Fachmann in Kenntnis dieser Arbeit eher skeptisch gegenüberstehen, da die dort genannten Epitope aufgrund ihrer Kreuzreaktivität keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Spezies wie Borrelia hermsii und Borrelia burgdorferi ermöglichten. Der Fachmann erhalte keinen Hinweis darauf, dass für den Nachweis einer Borrelia-Infektion Epitope von Vorteil seien , die wie die Sequenz Nr. 2 bei einer Borrelia-Infektion eine starke Immunantwort im Wirt auslösten und aufgrund ihrer konservierten Regionen zudem von verschiedenen Anti-VlsE-Antikörpern trotz genetischer Variationen erkannt würden (vgl. Streitpatent Abs. 124 f. [= Abs. 142 f. T3] und 248 [= Abs. 268 T3] iVm Figur 3B).
48
2. Gegen diese Beurteilung erhebt die Berufung keine durchgreifenden Rügen.
49
Insbesondere trifft es nicht zu, dass sich das Patentgericht bei der Beurteilung der Neuheit in Widerspruch zu seiner Annahme gesetzt hätte, dass das Polypeptid im Sinne des Merkmals 16.1.2 nur durch seine immunologische Bindung definiert wird. Denn erst die Offenbarung der Volllängensequenz Nr. 2 versetzt den Fachmann in die Lage, diese oder geeignete aus dieser Sequenz abgeleitete Peptide für einen Antigen-Antikörper-Test bereitzustellen. Wie der Senat bereits entschieden hat, wird ein Verfahren zum Nachweis einer bestimmten Antigen-Antikörper-Reaktion nicht durch eine Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen, in der zwar eine spezifische Immunreaktion beschrieben wird, jedoch weder Antigen noch Antikörper näher charakterisiert werden (BGH, Urteil vom 19. April 2016 - X ZR 148/11, GRUR 2016, 1027 - Zöliakiediagnoseverfahren). So verhält es sich auch im Streitfall, in dem erst das Streitpatent aufzeigt, dass sich die für die spezifische immunologische Bindung im Sinne des Merkmals 16.3 maßgeblichen Epitope auf die konservierten Regionen der Vls-Genkassette zurückführen lassen.
50
Dass diese Erkenntnis und damit die aus ihr abgeleitete Lehre der Patentansprüche 13, 15 und 16 nahelegen hätten, zeigt die Berufung nicht auf.
51
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck Gröning Grabinski Hoffmann Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 30.09.2014 - 3 Ni 6/13 (EP) -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 34


(1) Eine Erfindung ist zur Erteilung eines Patents beim Deutschen Patent- und Markenamt anzumelden. (2) Die Anmeldung kann auch über ein Patentinformationszentrum eingereicht werden, wenn diese Stelle durch Bekanntmachung des Bundesministeriums d

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Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2017 - X ZR 11/15 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 19. Apr. 2016 - X ZR 148/11

bei uns veröffentlicht am 19.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 148/11 Verkündet am: 19. April 2016 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ne
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Bundesgerichtshof Urteil, 12. März 2019 - X ZR 34/17

bei uns veröffentlicht am 12.03.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 34/17 Verkündet am: 12. März 2019 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: ne

Bundesgerichtshof Urteil, 12. März 2019 - X ZR 32/17

bei uns veröffentlicht am 12.03.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 32/17 Verkündet am: 12. März 2019 Anderer Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

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(1) Eine Erfindung ist zur Erteilung eines Patents beim Deutschen Patent- und Markenamt anzumelden.

(2) Die Anmeldung kann auch über ein Patentinformationszentrum eingereicht werden, wenn diese Stelle durch Bekanntmachung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz im Bundesgesetzblatt dazu bestimmt ist, Patentanmeldungen entgegenzunehmen. Eine Anmeldung, die ein Staatsgeheimnis (§ 93 Strafgesetzbuch) enthalten kann, darf bei einem Patentinformationszentrum nicht eingereicht werden.

(3) Die Anmeldung muß enthalten:

1.
den Namen des Anmelders;
2.
einen Antrag auf Erteilung des Patents, in dem die Erfindung kurz und genau bezeichnet ist;
3.
einen oder mehrere Patentansprüche, in denen angegeben ist, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll;
4.
eine Beschreibung der Erfindung;
5.
die Zeichnungen, auf die sich die Patentansprüche oder die Beschreibung beziehen.

(4) Die Erfindung ist in der Anmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, daß ein Fachmann sie ausführen kann.

(5) Die Anmeldung darf nur eine einzige Erfindung enthalten oder eine Gruppe von Erfindungen, die untereinander in der Weise verbunden sind, daß sie eine einzige allgemeine erfinderische Idee verwirklichen.

(6) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung Bestimmungen über die Form und die sonstigen Erfordernisse der Anmeldung zu erlassen. Es kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf das Deutsche Patent- und Markenamt übertragen.

(7) Auf Verlangen des Deutschen Patent- und Markenamts hat der Anmelder den Stand der Technik nach seinem besten Wissen vollständig und wahrheitsgemäß anzugeben und in die Beschreibung (Absatz 3) aufzunehmen.

(8) Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung Bestimmungen über die Hinterlegung von biologischem Material, den Zugang hierzu einschließlich des zum Zugang berechtigten Personenkreises und die erneute Hinterlegung von biologischem Material zu erlassen, sofern die Erfindung die Verwendung biologischen Materials beinhaltet oder sie solches Material betrifft, das der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist und das in der Anmeldung nicht so beschrieben werden kann, daß ein Fachmann die Erfindung danach ausführen kann (Absatz 4). Es kann diese Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf das Deutsche Patent- und Markenamt übertragen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 148/11 Verkündet am:
19. April 2016
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zöliakiediagnoseverfahren
EPÜ Art. 52 Abs. 1, Art. 56; PatG § 1 Abs. 1, § 4

a) Ein Verfahren zum Nachweis einer bestimmten Antigen-Antikörper-Reaktion
(hier: Antikörper gegen Gewebe-Transglutaminase) wird nicht durch eine
Vorveröffentlichung neuheitsschädlich getroffen, in der zwar eine spezifische
Immunreaktion (hier: zur Diagnose der Zöliakie) beschrieben wird, jedoch
weder Antigen noch Antikörper näher charakterisiert werden.
ECLI:DE:BGH:2016:190416UXZR148.11.0


b) Der Umstand, dass in einem zusammenfassenden Zwischenbericht (Abstract) über noch nicht abgeschlossene Forschungsarbeiten zwei Antigene als identifiziert bezeichnet werden, legt es dem an der Entwicklung eines hinreichend spezifischen Immunoassays interessierten Fachmann nicht notwendigerweise nahe, sich um die Nacharbeitung der berichteten Forschungsergebnisse zu bemühen. Für die Erfolgserwartung des Fachmanns kann auch von Bedeutung sein, inwieweit ihm die Angaben im Abstract eine Einschätzung der Sachgerechtigkeit und Zuverlässigkeit der Versuchsanlage und -durchführung und der Reproduzierbarkeit der angegebenen Ergebnisse erlauben. BGH, Urteil vom 19. April 2016 - X ZR 148/11 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. April 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski und Hoffmann, die Richterin Schuster sowie den Richter Dr. Deichfuß

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des 3. Senats (Nichtigkeitssenats ) des Bundespatentgerichts vom 28. Juni 2011 abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Tatbestand:


1
Die Beklagten sind Inhaber des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 912 898 (Streitpatents), das am 14. Juli 1997 unter Inanspruchnahme einer deutschen Priorität vom 18. Juli 1996 angemeldet worden ist und ein immunologisches Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie betrifft. Das Streitpatent umfasst neun Ansprüche, von denen Anspruch 1 wie folgt lautet: "Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Sprue oder Zöliakie, dadurch gekennzeichnet, dass Antikörper gegen GewebeTransglutaminase (tTG) aus Körperflüssigkeiten durch eine Immunreaktion mit Gewebe-Transglutaminase (tTG), deren immunreaktiven Sequenzen oder Analoga nachgewiesen werden, wobei die Immunreaktion nicht mit einem Gewebeschnitt eines tierischen oder menschlichen Gewebes durchgeführt wird."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents, insbesondere der Patentansprüche 8 und 9, sei nicht so deutlich offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne. Zudem fehle es an der Patentfähigkeit. Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben das Streitpatent hilfsweise in der Fassung von fünf Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung, mit der sie den Antrag auf Klageabweisung und die erstinstanzlichen Hilfsanträge weiterverfolgen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.
3
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr. Dr. S. B. , , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


4
Die zulässige Berufung der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.
5
I. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Diagnose oder Therapiekontrolle der Zöliakie oder Sprue (im Folgenden nur: Zöliakie).
6
Nach den Erläuterungen in der Streitpatentschrift war für die Diagnose der Zöliakie und die Verlaufskontrolle unter glutenfreier Diät im Prioritätszeitpunkt die Dünndarm-Biopsie der "Goldstandard". Zunehmend gewännen aber auch nicht-invasive Methoden der Diagnostik an Bedeutung, die auf immunologischen Markern beruhten. Da in den Seren der Zöliakie-Patienten Antikörper (Immunglobuline) der Klassen A (IgA) und G (IgG) vorkämen, die zum einen gegen Gliadin und zum anderen gegen ein Autoantigen des Endomysiums, eines speziellen Bindegewebes, gerichtet seien, könnten die Seren im enzymgekoppelten Immunadsorptionstest (ELISA) auf IgG- und IgA-Antikörper gegen Gliadin sowie durch indirekte Immunfluoreszenz auf IgG- und IgA-Antikörper gegen Endomysium getestet werden. Während Antikörper gegen Gliadin nicht spezifisch genug für die Zöliakie seien, werde für die IgA-Antikörper gegen Endomysium eine hohe Sensitivität und Spezifität berichtet. Für den Immunfluoreszenz -Nachweis würden jedoch Ösophagusschnitte von Primaten benötigt, was als generelle Screeningmethode zu aufwändig sei, einer subjektiven Bewertung unterliege und nicht die Erfassung von Zöliakie-Patienten mit einer IgADefizienz erlaube (Abs. 9 und 13).
7
Nach den weiteren Ausführungen in der Streitpatentschrift existiert kein nicht-invasiver, spezifischer, quantitativer, schnell, leicht und kostengünstig durchzuführender Nachweistest für die Zöliakie und deren Therapiekontrolle (Abs. 14), womit das der Erfindung zugrunde liegende technische Problem bezeichnet ist.
8
Um einen solchen Test bereitzustellen, wird in Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung folgendes Verfahren vorgeschlagen, das sich in Anlehnung an das angefochtene Urteil wie folgt gliedern lässt: 1. Das Verfahren dient der Diagnose oder zur Therapiekontrolle der Zöliakie. 2. Es werden Antikörper gegen Gewebe-Transglutaminase (tTG) aus Körperflüssigkeiten nachgewiesen. 3. Der Nachweis erfolgt durch eine Immunreaktion mit 3.1 Gewebe-Transglutaminase (tTG), 3.2 immunreaktiven tTG-Sequenzen oder 3.3 Analoga 4. Die Immunreaktion wird nicht mit einem Gewebeschnitt eines tierischen oder menschlichen Gewebes durchgeführt.
9
Ein Analogon im Sinne des Merkmals 3.3 ist eine antigene Struktur (etwa eines Polypeptids oder Proteins), die mit Rezeptoren von Antikörpern gegen Gewebe-Transglutaminase aus Körperflüssigkeiten eine Immunreaktion eingeht und diese dadurch nachweist. Dies erschließt sich dem Fachmann, als der - in Übereinstimmung mit den Ausführungen im angefochtenen Urteil - ein promovierter Diplom-Chemiker der Fachrichtung Biochemie, ein promovierter DiplomBiomechaniker oder ein promovierter Biologe mit jeweils besonderen Kenntnissen und Erfahrungen auf dem Gebiet der Immunologie sowie auf dem Gebiet der Aufarbeitung von Proteinen anzusehen ist, der mit der Entwicklung von Immuntests oder von Immunreagenzien befasst und vertraut ist, wenn er sich vor Augen führt, dass in den anderen beiden Varianten des erfindungsgemäßen Verfahrens die Anti-tTG-Antikörper aus Körperflüssigkeit durch eine Immunreaktion mit Gewebe-Transglutaminase oder deren immunreaktiven Sequenzen nachgewiesen werden. Entsprechend muss ein Analogon solcher Sequenzen nach der dritten Variante des erfindungsgemäßen Verfahrens gleichfalls über diese Eigenschaft verfügen. Dieses Verständnis von Patentanspruch 1 wird gestützt durch die Beschreibung des Streitpatents, wonach als tTG-Analoga alle antigenen Strukturen verstanden werden, die mit Antikörpern gegen GewebeTransglutaminase eine Immunreaktion eingehen wie z.B. synthetische Peptide (Abs. 20).
10
II. Das Patentgericht hat den Gegenstand des Streitpatents für nicht patentfähig erachtet und seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
11
Bei der Bewertung der Patentfähigkeit des beanspruchten Verfahrens komme es aus Sicht des Fachmanns nicht auf die enzymatische Funktion oder die Herkunft der eingesetzten Reagenzien an, sondern entscheidend sei allein die immunologische Fähigkeit des Reagenzes, mit den im Serum von ZöliakiePatienten vorhandenen, gegen Gewebe-Transglutaminase gebildeten Antikörpern einen detektierbaren Immunkomplex zu bilden. Demnach seien unter Analoga der Gewebe-Transglutaminase alle antigenen Strukturen bzw. diese enthaltenden Stoffe (Peptide und Proteine) zu verstehen, die mit Anti-tTGAntikörpern jedweder Herkunft eine Immunreaktion einzugehen bzw. einen Immunkomplex zu bilden vermöchten.
12
Dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der erteilten Fassung des Streitpatents fehle danach die Neuheit. Bereits durch die Veröffentlichung von Mäki, Hällström und Marttinen ("Reaction of human non-collagenous polypeptides with coeliac disease autoantibodies"; The Lancet 338 [1991], 724 f. - K3) und die weitere Veröffentlichung der Autoren Marttinen und Mäki ("Purification of Fibroblast Derived Celiac Disease Autoantigen Molecules"; Pediatric Research 34 [1993], 420-423 - K4) werde das erfindungsgemäße Verfahren vorweggenommen. In der Entgegenhaltung K3 seien gereinigte, nicht von Kollagen stammende Polypeptide aus Fibroblasten fötalen Lungengewebes beschrieben, die spezifisch mit Autoantikörpern von Zöliakie-Patienten reagierten. Diese autoantigenen Polypeptide bänden spezifisch an Autoantikörper gegen Reticulin (ARA) und Endomysium (EMA). Die damit in K3 beschriebene Immunkomplexbildung stelle ein immundiagnostisches Verfahren zur Bestimmung der Zöliakie dar. Ebenso seien in der K4 aufgereinigte autoantigene Polypeptide der Zöliakie aus Humanfibroblasten beschrieben, die aufgrund ihrer immunologischen Funktion an IgA-Antikörper aus Serum von Zöliakie-Patienten bänden. Bei den in der K3 und K4 offenbarten Polypeptiden handele es sich jedenfalls um tTG-Analoga. Denn das Vorliegen korrelierender Testergebnisse, die mit endomysialen Gewebeschnitten einerseits und isolierten Autoantigenen der Zöliakie andererseits erhalten würden, bedeute nichts anderes als das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen von IgA- und/oder IgG-Antikörpern gegen GewebeTransglutaminase.
13
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 werde auch durch die - lediglich für die Neuheitsprüfung nach Art. 54 Abs. 3 EPÜ heranzuziehende - deutsche Offenlegungsschrift 195 20 480 (K5) offenbart. In der K5 werde ein ELISA zur Diagnose der Zöliakie durch den Nachweis von Antikörpern in Körperflüssigkeiten beschrieben. Als immundiagnostische Reagenzien würden antigene Polypeptide aus Affendünndarm, aus Rattenleber und/oder aus Schafslunge und damit keine Gewebeschnitte eingesetzt, wobei das Vorkommen der von diesen Antigenen spezifisch gebundenen Antikörper mit der Gegenwart von AntiEndomysium -Antikörpern korreliere. Das bedeute nichts anderes als das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen von IgA- und/oder IgG-Antikörpern gegen tTG, deren immunreaktive Sequenzen und Analoga in den untersuchten Körperflüssigkeiten , unabhängig davon, wie dieser Vergleich zwischen endomysealem Gewebe und daraus isolierten Autoantigenen durchgeführt werde.
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Das erfindungsgemäße Verfahren sei auch nicht neu gegenüber dem u.a. auf die Erfinder zurückgehenden Abstract von Dieterich et al. (Gut, 4th United European Gastroenterology Week, 17-21 September 1995, A 76 f., Abstract 773 - K6). Die K6 betreffe bereits ausweislich ihres Titels die Charakteri- sierung von Autoantigenen der Zöliakie mit dem Ziel des Nachweises der gegen diese Antigene aus extrazellulärer Gewebematrix (Extracellular Matrix - ECM) von Endomysium gerichteten Antikörpern von Zöliakie-Patienten. Im Einzelnen seien aus der humanen Fibrosarkom-Zelllinie HT-1080 zwei native Antoantigene der Zöliakie mit Molekulargewichten von 90 und 300 kDa nach Immunpräzipitation mit IgA-Antikörpern aus Seren von Zöliakie-Patienten isoliert und teilweise charakterisiert worden. Die dabei verwendete Immunpräzipitation von IgA-Antikörpern mit Kulturmedium sowie Zelllysat von HT-1080 habe sämtliche Arbeitsschritte einer Immunreaktion und damit eines diagnostischen Verfahrens umfasst. Die 90-kDa-Bande wie auch die 300-kDa-Fraktion hätten zumindest ein autoantigenes Protein der Zöliakie aufgewiesen, das mit gegen Endomysium bzw. die extrazelluläre Gewebematrix gerichteten Antikörpern von ZöliakiePatienten eine Immunpräzipitation eingehe und damit in seiner immunologischen Funktion mit der im Endomysium lokalisierten Gewebe-Transglutaminase korreliere.
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Selbst wenn das erfindungsgemäße Nachweisverfahren in den Entgegenhaltungen K3, K4 und K6 nicht vollständig offenbart sein sollte, sei es jedenfalls durch diese Schriften nahegelegt worden. Der Fachmann habe Anlass gehabt , jede dieser Veröffentlichungen als Ansatzpunkt zur Lösung der Aufgabe zu wählen, einen nicht-invasiven, spezifischen, schnellen und kostengünstigen immunologischen Test zum Nachweis der Zöliakie bereitzustellen, weil die Schriften jeweils konkret auf die Diagnostik der Zöliakie in Korrelation zu endomysialen Gewebeschnitten als Reagenz Bezug nähmen. Das gelte auch für die K6, weil sich schon aus deren Überschrift nicht nur die Charakterisierung der Autoantigene der Zöliakie, sondern auch die immunologische Relevanz für die Diagnostik der Zöliakie erkennen lasse. Ausgehend von der Bezugnahme in dem Abstract auf die Zöliakie-Diagnose anhand des Nachweises von Endomysium mittels entsprechender Gewebeschnitte als diagnostischen Reagenzes habe der Fachmann auch deshalb Anlass gehabt, die K6 als Ausgangspunkt seiner Arbeit an einem Immuntest für Zöliakie zu wählen und gerade diese beiden Antigene dabei als Reagenzien zum Nachweis spezifischer Antikörper in den Körperflüssigkeiten von Zöliakie-Patienten in Betracht zu ziehen, weil es sich bei HT-1080 um eine schnell wachsende, öffentlich verfügbare und standardisierte Zelllinie handele. Ausgehend von den Angaben in der K6 gelinge dem Fachmann nicht nur die Anzucht von Human-Fibroblasten der Zelllinie HT-1080, sondern auch die Aufreinigung der beiden in K6 identifizierten Proteine mit autoantigenen Eigenschaften. Es habe auf der Hand gelegen, diese Proteine in einem üblichen immunologischen Verfahren wie einem ELISA mit Patientensera zur Diagnose der Zöliakie einzusetzen.
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Die Nacharbeitung der Lehre der K6 zur Bereitstellung beider dort identifizierter autoantigener Proteine bereite dem Fachmann keine Probleme. Dies gelte auch für die Durchführung der Immunpräzipitation. Eine Präferenz für eine der beiden üblichen Methoden der Immobilisierung von Antikörpern (durch Affinitätsbindung oder durch kovalente Bindung) gehe aus der K6 nicht hervor, deshalb auch nicht zwingend eine Präferenz für eine Affinitätsbindung über Sepharose -Protein A. Die Wahl und selbst eine gegebenenfalls notwendige Durchführung mit nach beiden Methoden immobilisierten IgA-Antikörpern überfordere den Fachmann, der das Ziel durch Vergleichstests stets überprüfbar vor Augen habe, nicht. Auch das Vorliegen zweier Proteine mit autoantigenen Eigenschaften stelle den Fachmann nicht vor Schwierigkeiten, weil beide in der K6 eindeutig beschrieben und unterschiedlich lokalisiert seien. Im Gutachten des italienischen Gerichtssachverständigen Dr. C. G. aus einem den italienischen Anteil des Streitpatents betreffenden, vor dem Tribunale di Roma geführten Patentstreitverfahren sei demgegenüber das Wissen und Können des Fachmanns deutlich zu niedrig angesetzt.
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III. Die Beurteilung des Patentgerichts hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren nicht stand.
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1. Die Verfahrenslehre aus Patentanspruch 1 in der erteiltenFassung ist neu.
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a) Sie wird nicht durch die K3 und die K4 vorweggenommen. In der K3 werden zwar sechs gereinigte, aus Fibroblasten fötalen Lungengewebes stammende , nicht kollagene Polypeptide mit einem Molekulargewicht von 18,5 bis 37 kDa beschrieben, die spezifisch mit Autoantikörpern von Zöliakie-Patienten reagieren. Es wird jedoch nicht offenbart, dass es sich bei diesen Polypeptiden um Gewebe-Transglutaminase oder immunreaktive Sequenzen derselben handelt. Infolgedessen ist der Entgegenhaltung auch nicht zu entnehmen, dass die mit ihrem Molekulargewicht identifizierten Polypeptide Epitope aufweisen, die mit Rezeptoren von Anti-tTG-Antikörpern eine Immunreaktion eingehen. Gleiches gilt für die vier in der K4 beschriebenen, aus fötalem Lungengewebe stammenden, nicht kollagenen und gereinigten Polypeptide mit Molekulargewichten von 17 bis 39,5 kDa. Bei diesen konnte ebenfalls eine spezifische Reaktion mit Autoantikörpern von Patienten mit Zöliakie festgestellt werden, ohne dass die Entgegenhaltung einen Hinweis darauf enthält, dass es sich bei den Polypeptiden gerade um Gewebe-Transglutaminase, immunreaktive Sequenzen derselben oder antigene Strukturen handelt, die mit Anti-tTG-Antikörpern immunologisch reagieren. Zudem wird in keiner der beiden Vorveröffentlichungen ein Verfahren offenbart, das der Diagnose oder der Therapiekontrolle der Zöliakie dient.
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Entgegen der Auffassung des Patentgerichts genügt es für eine Vorwegnahme der erfindungsgemäßen Lehre nicht, dass die aufgefundenen Polypeptide immunreaktive tTG-Sequenzen oder Analoga umfasst haben mögen. Denn Patentanspruch 1 ist nicht auf die Gewebe-Transglutaminase, immunreaktive Sequenzen derselben oder Analoga gerichtet, sondern auf ein Verfahren, bei dem Antikörper gegen Gewebe-Transglutaminase nachgewiesen werden. Ein Verfahren zum Nachweis von Antikörpern gegen Gewebe-Transglutaminase wird jedoch nicht offenbart, wenn weder Antigen noch Antikörper identifiziert sind und daher nicht Anti-tTG-Antikörper nachgewiesen werden, sondern nur eine zöliakiespezifische Immunreaktion aufgezeigt wird.
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b) Die Verfahrenslehre aus Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung geht auch nicht aus der K5 hervor, die nach Art. 54 Abs. 3 EPÜ für die Neuheitsprüfung zu berücksichtigen ist. Danach wird zwar ein Test zur Diagnose von Zöliakie anhand der Bestimmung von Antikörpern in Seren von Patienten mit Zöliakie vorgeschlagen, bei dem als immundiagnostische Reagenzien antigene Polypeptide aus Affendünndarm, aus Rattenleber und/oder aus Schafslunge verwendet werden. Auch die K5 offenbart jedoch nicht, dass es sich bei diesen Polypeptiden um Gewebe-Transglutaminase, immunreaktive Sequenzen derselben oder antigene Strukturen handelt, die mit Anti-tTG-Antikörpern immunologisch reagieren.
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c) Das erfindungsgemäße Verfahren ist schließlich auch neu gegenüber der u.a. auf die Erfinder des Streitpatents zurückgehenden Zusammenfassung (Abstract) K6. In der K6 wird zwar angegeben, dass unter Verwendung der mesenchymalen humanen Zelllinie HT-1080 und mittels Immunopräzipitation zwei native Autoantigene der Zöliakie mit einem scheinbaren Molekulargewicht von 90 kDa (zellassoziiert) und von 300 kDa (ins Medium freigesetzt) identifiziert worden seien. Die Proteine werden jedoch nicht näher charakterisiert , und es wird kein Verfahren aufgezeigt, welches der Diagnose oder Therapiekontrolle der Zöliakie dient. Es bleibt damit offen, ob eines der beiden als "identifiziert" bezeichneten Autoantigene zur Herbeiführung einer Immunreaktion im Rahmen eines solchen Diagnose- oder Therapiekontrollverfahrens geeignet ist.
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2. Die Verfahrenslehre aus Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab.
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a) Dem Patentgericht kann nicht in der Annahme beigetreten werden, der Fachmann, der zum Prioritätszeitpunkt bestrebt war, einen nicht-invasiven, spezifischen und empfindlichen Nachweistest für die Zöliakie zu entwickeln, habe die K6 als Ausgangspunkt für seine Arbeiten gewählt. Verhandlung und Beweisaufnahme haben keine hinreichende Anhaltspunkte dafür erbracht, dass der Fachmann Anlass hatte, seine Bemühungen in der Erwartung, die in dem Abstract berichteten Ergebnisse nacharbeiten zu können und auf diese Weise ein für die Entwicklung eines Nachweisverfahrens geeignetes Autoantigen in die Hand zu bekommen (vgl. zur hinreichend begründeten Erfolgserwartung als Kriterium für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit BGH, Urteil vom 15. Mai 2012 - X ZR 98/09, GRUR 2012, 803 Rn. 46 - Calcipotriol-Monohydrat), auf die Identifizierung der in der K6 nur mit ihrem Molekulargewicht bezeichneten Proteine zu richten.
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(1) Der Abstract bemerkt einleitend, dass die molekularen Mechanismen noch immer unbekannt seien, obwohl Gliadin offensichtlich bei der Pathogenese von Zöliakie beteiligt sei. Außerdem scheine Zöliakie mit intestinalen T-ZellLymphomen assoziiert zu sein. Das Serum unbehandelter Patienten enthalte IgG- und IgA-Antikörper, die mit der extrazellulären Matrix (ECM) normaler menschlicher Zellen reagierten. Für die Zöliakiediagnose würden Antikörper gegen Endomysium, Retikulin und Gliadin durch indirekte Immunfluoreszenz oder ELISA nachgewiesen. Insbesondere der IgA-Endomysium-Antikörper sei hochsensitiv und stehe in Beziehung zu den aktiven Zöliakiephasen. Bis jetzt seien jedoch die Zielantigene nicht identifiziert worden, möglicherweise, weil sie durch Western-Blot-Verfahren nicht nachweisbar seien. Insoweit wird der Stand der Technik wiedergegeben, wie er dem Fachmann insbesondere aus den Entgegenhaltungen K3 und K4 bekannt war.
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(2) In dem Abstract wird sodann berichtet, dass zum Zweck der Identifizierung der ECM-Antigene HT-1080-Zellen von menschlichem Fibrosarkom mit S-Methionin metabolisch markiert und das Kulturmedium sowie das Zelllysat mit IgA-Antikörpern von Zöliakie-Patienten immunopräzipitiert worden seien. Bei der SDS-PAGE/Autoradiographie seien zwei Proteine mit einem scheinbaren Molekulargewicht von 90 kDa (zell-assoziiert) und einem Molekulargewicht von 300 kDa (ins Medium freigesetzt) identifiziert worden. Ausreichende Mengen der Proteine würden gegenwärtig isoliert, um Informationen zur Primärsequenz zu erhalten. Als Schlussfolgerung wird wiedergegeben, dass unter Verwendung der mesenchymalen humanen Zelllinie HT-1080 und mittels Immunopräzipitation zwei native Autoantigene der Zöliakie identifiziert worden seien.
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(3) Die Entgegenhaltung K6 enthält damit zwar die Behauptung, es sei nunmehr gelungen, zwei native Autoantigene der Zöliakie zu identifizieren. Der Fachmann erhielt aus dem Abstract jedoch keinerlei nähere Informationen, aufgrund derer er abschätzen konnte, ob diese Behauptung tatsächlich zutraf (was objektiv nicht oder nur zum Teil der Fall war, da sich später zeigte, dass es sich bei einem der beiden vermeintlichen Autoantigene der Zöliakie um Fibronectin handelte). Da ausgeführt wird, gegenwärtig würden zur Bestimmung der Primärsequenz ausreichende Mengen der Proteine isoliert, wird unmittelbar deutlich , dass von einer Identifizierung zweier nativer Autoantigene im strengen Sinne noch keine Rede sein konnte; der gerichtliche Sachverständige spricht in seinem schriftlichen Gutachten dementsprechend anschaulich davon, die Autoren lehnten sich mit dieser Bemerkung "sehr weit aus dem Fenster". In dem offenbar gemeinten weiteren Sinne war die Identifizierung von zöliakiespezifischen Antigenen jedoch auch bereits in der K3 und in der K4 ("We have identified extracellular matrix noncollagenous protein molecules that specifically react with CD patient sera IgA", K4 S. 420 li. Sp.) berichtet worden, ohne dass bislang tatsächlich solche Antigene näher charakterisiert worden wären.
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(4) Dieser Umstand wiegt um so schwerer, als der K6, ihrem Charakter als Abstract und eine Art "Zwischenbericht" über die nach Einschätzung der Autoren bisher erzielten Ergebnisse entsprechend, keinerlei Einzelheiten über Anlage und Durchführung der Untersuchungen zu entnehmen waren. Der "Zwi- schenbericht" konnte demgemäß auch nicht Gegenstand einer kritischen Prüfung auf die Wahrung wissenschaftlicher Standards gewesen sein, wie sie bei einer "Originalarbeit" zu erwarten war, und aus dem Umstand, dass ein verheißungsvolles Ergebnis angekündigt wurde, war mithin nicht zu schließen, dass sich dieses Ergebnis tatsächlich verifizieren ließ. Der Fachmann, der die Verfahrensschritte nacharbeiten wollte, hätte zudem die konkreten Bedingungen für Versuchsaufbau und Durchführung erst selbst festlegen und damit das Risiko eingehen müssen, auch aufgrund abweichender Bedingungen zu anderen Ergebnissen zu gelangen, als sie in der K6 genannt werden.
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Hinzu kommt, dass der Abstract auch hinsichtlich der Ergebnisse der durchgeführten Verfahren nur wenige Informationen enthält. Weder ist die erwähnte Autoradiographie des immunpräzipitierten Zelllysats aus HT-1080Zellen nach der Trennung durch Gelelektrophorese in der K6 wiedergegeben, noch enthält der Abstract nähere Angaben zur Reaktivität der Antigene mit den Seren von Zöliakie-Patienten. Zudem fehlen Angaben, ob die angegebene Reaktivität der Proteine mit einem Molekulargewicht von 90 und 300 kDa mit Zöliakieseren durch fehlende Reaktivität mit Seren von gesunden Erwachsenen oder Patienten mit anderen Erkrankungen validiert wurde.
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(5) Bei der in der K6 zur Identifizierung der Ziel-Antigene vorgeschlagenen Immunpräzipitation des aus der HT-1080-Zelllinie gewonnenen Zelllysats mit IgA-Antikörpern von Patienten mit aktiver Zöliakie war für den Fachmann aufgrund der Polyklonalität der Patientenseren zudem nicht absehbar, ob er die Ziel-Antigene mit hinreichend gesicherter Aussicht auf Erfolg und in erforderlichen Mengen reproduzieren konnte. Da polyklonale Seren - anders als ein definierter monoklonaler Antikörper - in der Regel gegen verschiedene Epitope gerichtet sind, musste er vielmehr mit einer je nach Patient unterschiedlichen Bandbreite an Reaktivitäten oder gegebenenfalls Kreuzreaktivitäten rechnen. Es war daher nicht unwahrscheinlich, dass bei Nacharbeitung des in der K6 nur allgemein beschriebenen Verfahrens mehr als ein Protein mit 90 oder 300 kDa präzipitiert werden würde oder - mit anderen Worten - auch ganz andere Antigene als die Zielantigene erhalten würden, zumal durch die in der K6 vorgeschlagene Gelelektrophorese gerade auch sehr geringe Mengen präzipitiertes Protein erfasst werden konnten. Dieses Risiko wurde nicht dadurch ausgeschlossen , dass die beiden Zielantigene in der K6 mit ihrem Molekulargewicht von 90 und 300 kDa charakterisiert werden, weil derartige Gewichtsangaben als alleiniges Kriterium nicht hinreichend sind, um Proteine sicher zu identifizieren.
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(6) Gegen die Annahme, die Entgegenhaltung K6 habe dem Fachmann eine hinreichend begründete Erfolgserwartung vermittelt, spricht vor diesem Hintergrund weiter, dass in der K6 nicht begründet wird, weshalb als Ausgangsmaterial , aus dem die Autoantigene gewonnen worden sein sollen, kein gesundes humanes Gewebe gewählt wurde, sondern die Zelllinie HT-1080 von menschlichem Fibrosarkom, die zum Prioritätszeitpunkt bereits über 20 Jahre alt war.
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Nach den überzeugenden Erläuterungen des gerichtlichen Sachverständigen war für den Fachmann, der einen spezifischen und sensitiven Test zur Diagnose der Zöliakie durch Immunreaktion entwickeln wollte, die Auswahl des richtigen Ausgangsmaterials (Ressource) zur Gewinnung des für einen Bioassay benötigten Antigens von großer Bedeutung. Dabei bot es sich für ihn primär an, humanes Gewebematerial zu wählen, das idealer-, aber nicht notwendigerweise aus Dünndarmproben stammt. Entsprechend wird auch in wissenschaftlichen Veröffentlichungen aus den letzten fünf Jahren vor dem Prioritätstag des Streitpatents humanes Gewebe als Ressource für die Immunreaktion mit Autoantikkörpern von Zöliakie-Patienten verwendet, wie in den Publikationen von Mäki/Hällström und Marttinen sowie Marttinen und Mäki (K3 und K4) fötales Lungengewebe und in einem Untersuchungsbericht von Volta et al. ("IgA antiendomysial antibodies on human umbilical cord tissue for celiac disease screening. Save both money and monkey", Digestive diseases and sciences. 1995, 1902 ff.; vgl. auch Streitpatent, Abs. 9) humane Nabelschnüre. Lediglich in der vor der Priorität des Streitpatents angemeldeten, aber nicht veröffentlichten deutschen Offenlegungsschrift K5 wird die Verwendung von Affendünndarm vom Rhesusaffen oder Orang-Utan, von Rattenleber oder Schafslunge vorgeschlagen. Zwar handelt es sich auch bei den in der K6 für die Immunreaktion mit IgA-Antikörpern ausgewählten HT-1080-Zellen von Fibrosarkom um humanes Zellmaterial. Gegen deren Verwendung sprach jedoch, dass es Tumorzellen sind und der Fachmann auf derart veränderte Zellen als Ausgangsmaterial für das Zielantigen zum immunologischen Nachweis von Zöliakie nur dann zurückgegriffen hätte, wenn sichergestellt gewesen wäre, dass mit der Tumoreigenschaft der Zellen - im Vergleich zu gesundem humanen Gewebe - keine Komplikationen im Hinblick auf die angestrebte Immunreaktion zu erwarten waren. Dass dies, etwa durch entsprechende Testverfahren (vgl. die Nachveröffentlichung Dieterich, Ehni, Bauer, Donner, Volta, Riecken und Schuppan in Nature Medicine 1997, 797, li. Spalte, letzter Abs. - K83) überprüft worden war, ergab sich für den Fachmann jedoch weder aus allgemeinen fachlichen Erwägungen noch aus der K6 selbst, in der die Auswahl von HT-1080-Zellen von Fibrosarkom als Ressource nicht begründet wird. Bedenken gegen die Verwendung von HT-1080-Zellen als Ausgangsmaterial folgten auch daraus, dass es sich zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents um eine über 20 Jahre alte Zelllinie handelte, die bereits vielfach passagiert worden war. Der demgegenüber mit der humanen Fibrosakom-Zelllinie HT-1080 verbundene Vorteil, dass aufgrund der Proliferationsfähigkeit der Zelllinie potentiell eine beliebig große Zellmenge für eine Sequenzierung der isolierten und aufgereinigten IgA-reaktiven Antigene zur Verfügung stand, fiel für die Auswahlentscheidung solange nicht ins Gewicht , wie deren grundsätzliche Eignung für eine Reaktion mit IgA-Antikörpern in Patientenserum nicht hinreichend geklärt war, und hierzu konnte der Fachmann der K6 nichts entnehmen.
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Das Fehlen einer Begründung für die Entscheidung, HT-1080-Zellen als Ausgangsmaterial zu wählen, wurde auch nicht dadurch kompensiert, dass un- ter den sechs als Autoren der K6 aufgeführten Wissenschaftlern an vierter Stelle Umberto Volta genannt ist, der bereits als Koautor des (oben genannten) im Jahre 1995 veröffentlichten Untersuchungsberichts sowie einer Vielzahl von weiteren Publikationen auf diesem Gebiet in Erscheinung getreten war. Auch wenn Professor Volta, wie die Klägerin vorträgt, zum Prioritätstag des Streitpatents einer der weltweit führenden Meinungsbildner auf dem Gebiet der Immunologie von Zöliakieerkrankungen gewesen sein mag, wäre es doch aus fachlicher Sicht rein spekulativ gewesen, aus seiner Nennung als Koautor des Abstracts Schlüsse auf die Verlässlichkeit der dort berichteten Ergebnisse zu ziehen.
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(7) Gegen die Wahl der K6 als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines immunreaktiven Verfahrens zum Nachweis von Zöliakie sprach schließlich auch, dass dem Fachmann aus damaliger Sicht mit der K3/K4 ein vergleichsweise aussichtsreicher Ansatz zur Verfügung stand. Im Abstract der K4 wird (unter Bezugnahme auch auf die Ergebnisse der K3) davon berichtet, dass insgesamt elf gereinigte und mit ihrem Molekulargewicht bestimmte AutoantigenPolypeptide aus der nicht-kollagenen Matrix-Zone von fötalem Lungengewebe "entdeckt" worden seien, die mit IgA-Serum von Zöliakie-Patienten reagiert hätten. Damit wurden zwar auch in der K3/K4 IgA-Seren verschiedener ZöliakiePatienten für die Immunpräzipitation eingesetzt, so dass die Reproduzierbarkeit von Autoantigenen in hinreichender Menge und Reinheit aufgrund der Polyklonalität genauso wenig abschätzbar war wie bei der K6. Gegenüber der K6 hatten die K3/K4 jedoch den Vorzug, dass nicht kanzerogen verändertes humanes Gewebe als Ausgangsmaterial gewählt wurde. In der K3/K4 wird zudem das Verfahren zur Identifizierung der Autoantigene konkret in seinen einzelnen Schritten (vgl. in K4, S. 420 re. Sp. unter "Materials and Methods") und Ergebnissen (K4, S. 421 unter "Results"; zur Reaktivität der 11 "entdeckten" Autoantigen -Polypeptide vgl. auch K4, Figuren 3 und 4) beschrieben. Auch lässt sich der K4 entnehmen, dass die antigene Spezifität der Polypeptide durch ELISA unter Verwendung von zehn Kindern mit unbehandelter Zöliakie und zehn Testpersonen ohne Zöliakie bestätigt worden seien (K4, S. 422, li. Sp. vorletzter vollständiger Abs.). Alle diese Angaben erleichterten dem Fachmann nicht nur die praktische Nacharbeitung der beschriebenen Verfahren, sondern vermittelten ihm auch eine größere Sicherheit, dass er die Verfahren erfolgreich würde nacharbeiten können. Die eher kleine Zeitspanne von zwei Jahren zwischen der Veröffentlichung der K4 im Jahr 1993 und der K6 im Jahr 1995 stand dieser Erfolgserwartung nicht entgegen, zumal der Prioritätstag des Streitpatents nur ein knappes Jahr später liegt.
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Die rechtliche Verfügbarkeit des in der K3/K4 offenbarten Ausgangsmaterials (fötales Lungengewebe) wurde durch die 1991 veröffentlichten "Richtlinien zur Verwendung fetaler Zellen und fetaler Gewebe" der zentralen Kommission der Bundesärztekammer zur Wahrung ethischer Grundsätze in der Reproduktionsmedizin , Forschung an menschlichen Embryonen und Gentherapie nicht ausgeschlossen. Die Richtlinien sehen zwar in Nr. 4.8 vor, dass experimentelle Forschungen und Heilversuche, die Untersuchungen an oder mit fetalen Zellen oder fetalen Geweben zum Gegenstand haben, einer öffentlichrechtlichen Ethikkommission zur Beurteilung vorgelegt werden müssen und die Ethikkommission sich unter anderem zu vergewissern hat, dass die gewünschten Erkenntnisse nicht auf eine andere Weise gewonnen werden können (Deutsches Ärzteblatt 88, Heft 48, 28. November 1991, A-4296, A-4298, Nr. 4.8 - K81). Diese Voraussetzungen sind jedoch im vorliegenden Fall nicht gegeben, weil der Fachmann aus damaliger Sicht den in der K6 allgemein beschriebenen Ansatz für ein Verfahren zur Diagnose von Zöliakie als weniger erfolgversprechend angesehen hat als den, der in der K3/K4 aufgezeigt wurde.
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b) Ausgehend von der K3/K4 war die Lehre aus Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht naheliegend. Nach diesen Entgegenhaltungen wurde aus fötalem Lungengewebe ein Proteinkomplex synthetisiert und sekretiert, der mit IgA von Zöliakie-Patienten reagiert und daraus insgesamt elf Monokomponen- ten-Polypeptide mit einem Molekulargewicht von 17 bis 39,5 kDA identifiziert, die mit IgA aus Serum von Kindern mit Zöliakie reagierten (K4, S. 420, li. Sp.). Eine Anregung, nach Gewebe-Transglutaminase, einer Sequenz derselben oder einem Analogon zu forschen, war dem nicht zu entnehmen. Zudem wird in der K4 im Hinblick auf eine wissenschaftliche Vorveröffentlichung ausgeführt, dass das dort beschriebene, aus einem seltenen Hauttumor extrahierte epitheliale , extrazelluläre 90-kDa-Glycoprotein nicht das Antigen zu sein scheine, das durch Anti-Retikulin-Antikörper (ARA) erkannt werde (K4, S. 422, re. Sp. unten). Zwar ergibt sich daraus keine Aussage zur Reaktivität des Proteins mit AntiEndomysium -Antikörper. Eine Motivation in diese Richtung zu forschen, folgte daraus aber auch nicht. Vielmehr wurde der Fachmann durch die K3/K4 allein dazu veranlasst, seine Forschung auf die elf identifizierten MonokomponentenPolypeptide mit den genannten Molekulargewichten von 17 bis 39,5 kDa auszurichten.
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IV. Ohne Erfolg macht die Klägerin ferner geltend, der Gegenstand der Patentansprüche 8 und 9 sei nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann ihn ausführen könne.
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Nach der Rechtsprechung des Senats ist es hinreichend, wenn dem Fachmann ein nacharbeitbarer Weg zur Ausführung der Erfindung offenbart wird (BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 Rn. 36 - Polymerisierbare Zementmischung; Urteil vom 10. November 2015 - X ZR 88/13, Rn. 24). Dies ist hier hinsichtlich der Patentansprüche 1 bis 7 der Fall, da dem Fachmann in der Beschreibung des Streitpatents ein Protein mit der enzymatischen Funktion einer Transglutaminase aus dem Lebergewebe eines Meerschweinchens offenbart wird, das erfolgreich als Reagenz in einem immunologischen Verfahren zur Diagnose und Verlaufskontrolle der Zöliakie eingesetzt wurde (Abs. 46 ff.), wie auch das Patentgericht nicht verkannt hat. Die Beschreibung hat den Fachmann zudem in die Lage versetzt, mittels im Handel erhältlicher Gewebe-Transglutaminase aus Meerschweinchen ein oral zu verabreichendes Mittel zur Behandlung von Patienten mit Zöliakie bereitzustellen bzw. zu verwenden, wie das Patentgericht ebenfalls zutreffend hinsichtlich der Patentansprüche 8 und 9 ausgeführt hat. Dem Fachmann war es damit zudem möglich, immunreaktive tTG-Sequenzen und Analoga für ein Verfahren zur Diagnose und Therapiekontrolle von Zöliakie und auf ihre Eignung als orales pharmazeutisches Mittel zu deren Behandlung hin zu untersuchen.
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V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 91 Abs. 1 ZPO. Meier-Beck Grabinski Hoffmann Schuster Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 28.06.2011 - 3 Ni 10/10 (EU) -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)