Bundesgerichtshof Urteil, 23. Okt. 2012 - VI ZR 260/11

bei uns veröffentlicht am23.10.2012
vorgehend
Amtsgericht Bonn, 104 C 624/10, 24.05.2011
Landgericht Bonn, 5 S 140/11, 21.09.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 260/11 Verkündet am:
23. Oktober 2012
Böhringer-Mangold
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
LugÜ 2007 Art. 9, Art. 11
Nach den Art. 9 und 11 LugÜ 2007 kann der Geschädigte einen nach dem anwendbaren
nationalen Recht bestehenden Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer
mit Sitz in einem ausländischen Staat im Geltungsbereich des LugÜ 2007 beim
Gericht seines Wohnsitzes geltend machen.
BGH, Urteil vom 23. Oktober 2012 - VI ZR 260/11 - LG Bonn
AG Bonn
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. Oktober 2012 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll
und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Pauge

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Zwischenurteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Bonn vom 21. September 2011 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen. Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien streiten über die Höhe des Schadensersatzanspruchs der Klägerin nach einem Verkehrsunfall, der sich im August 2010 in der Schweiz ereignete. Die Klägerin wohnt in Bonn, der Sitz der Beklagten, des Haftpflichtversicherers des Unfallgegners der Klägerin, ist in Bern (Schweiz). Die Klägerin hat die Klage beim Amtsgericht Bonn erhoben. Die Parteien streiten vorrangig über die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte.
2
Das Amtsgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit als unzulässig abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht die Klage durch Zwischenurteil für zulässig erklärt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision.

Entscheidungsgründe:

I.

3
Das Berufungsgericht führt u.a. aus:
4
Zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit seien vorliegend Art. 9 und 11 des Luganer Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 (LugÜ 2007) heranzuziehen. Diese Vorschriften seien inhaltsgleich mit den Art. 9 und 11 EuGVVO. Die Auslegung, die die Art. 9 und 11 EuGVVO durch den Europäischen Gerichtshof erfahren hätten (Urteil vom 13. Dezember 2007 - C-463/06, NJW 2008, 819), sei auf die Art. 9 und 11 LugÜ 2007 zu übertragen. Danach könne der Geschädigte einen nach dem anwendbaren nationalen Recht bestehenden Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer auch am Gericht seines Wohnsitzes klageweise geltend machen.

II.

5
Die dagegen gerichtete Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte mit Recht bejaht.
6
1. Zutreffend nimmt das Berufungsgericht an, dass im vorliegenden Rechtsstreit die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte nach den Vorschriften des Luganer Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 zu beurteilen ist. Dass dieses Übereinkommen für die Schweiz erst am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, während die Klage bereits am 30. Dezember 2010 zugestellt wurde, hält das Berufungsgericht mit Recht für unbeachtlich. Den zeitlichen Anwendungsbereich des Übereinkommens legt Art. 63 Abs. 1 LugÜ 2007 - soweit hier maßgeblich - wie folgt fest: Die Vorschriften dieses Übereinkommens sind nur auf solche Klagen … anzuwenden, die erhoben … worden sind, nachdem dieses Übereinkommen im Ursprungsstaat … in Kraft getreten ist.
7
Das Abkommen ist in den EU-Staaten, also auch in Deutschland als Ursprungsstaat der Klage, am 1. Januar 2010, mithin vor Klageerhebung, in Kraft getreten. Dass, wie die Revision ausführt, aufgrund der unterschiedlichen Zeitpunkte des Inkrafttretens für die Europäische Union einerseits und die Schweiz andererseits eine unerwünschte "Diskordanz" droht, ist nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 63 Abs. 1 LugÜ 2007 hinzunehmen.
8
2. Mit Recht legt das Berufungsgericht auch Art. 9 und 11 LugÜ 2007 dahin aus, dass der Geschädigte einen nach dem anwendbaren nationalen Recht bestehenden Direktanspruch gegen den im Ausland sitzenden Haftpflichtversicherer auch beim Gericht seines Wohnsitzes klageweise geltend machen kann. Diese Vorschriften des Luganer Übereinkommens vom 30. Oktober 2007 sind ebenso auszulegen wie die inhaltsgleichen Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO).
9
a) Die Art. 9 und 11 LugÜ 2007 lauten: Artikel 9 LugÜ 2007 (1) Ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines durch dieses Übereinkommen gebundenen Staates hat, kann verklagt werden:
a) vor den Gerichten des Staates, in dem er seinen Wohnsitz hat,
b) in einem anderen durch dieses Übereinkommen gebundenen Staat bei Klagen des Versicherungsnehmers , des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, oder
c) ...
(2) ... Artikel 11 LugÜ 2007 (1) Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist. (2) Auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 8, 9 und 10 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist. (3) ... Die Art. 9 und 11 EuGVVO lauten: Artikel 9 EuGVVO (1) Ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden:
a) vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat,
b) in einem anderen Mitgliedstaat bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, oder
c) ... (2) ... Artikel 11 EuGVVO (1) Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist. (2) Auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 8, 9 und 10 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist. (3) ...
10
b) Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 26. September 2006 (- VI ZR 200/05, VersR 2006, 1677 ff.) dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO dahin zu verstehen ist, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat.
11
Der Europäische Gerichtshof hat im Urteil vom 13. Dezember 2007 (Rechtssache C-463/06, VersR 2008, 111 Rn. 21 ff.) die Vorlagefrage bejaht und dies wie folgt begründet:
12
"Abschnitt 3 des Kapitels II der Verordnung Nr. 44/2001, der die Art. 8 bis 14 enthält, sieht Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen vor, die zu den Regeln hinzukommen, die durch die allgemeinen Vorschriften in Abschnitt 1 desselben Kapitels der Verordnung aufgestellt werden. In diesem Abschnitt 3 werden mehrere Zuständigkeitsregeln für Klagen gegen den Versicherer aufgestellt. Er sieht insbesondere vor, dass ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a), vor dem Gericht des Ortes , an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, wenn die Klage von dem Versicherungsnehmer , dem Versicherten oder dem Begünstigten erhoben wird (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b), und schließlich bei der Haftpflichtversicherung oder bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen vor dem Gericht des Ortes erhoben werden kann, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 10). In Bezug auf die Haftpflichtversicherung verweist Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf diese Zuständigkeitsregeln für Klagen, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt.
13
Zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist daher die Tragweite der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung zu bestimmen. Insbesondere ist festzustellen , ob diese Verweisung dahin auszulegen ist, dass durch sie nur den durch die letztgenannte Bestimmung bezeichneten Gerichten, d.h. den Gerichten des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten, die Zuständigkeit für die Entscheidung über die unmittelbare Klage des Geschädigten gegen den Versicherer zuerkannt wird, oder ob aufgrund dieser Verweisung auf die unmittelbare Klage die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellte Zuständigkeitsregel des Wohnsitzes des Klägers angewendet werden kann.
14
Hierzu ist festzustellen, dass diese Vorschrift sich nicht darauf beschränkt , die Zuständigkeit den Gerichten des Wohnsitzes der darin aufgezählten Personen zuzuweisen, sondern dass sie vielmehr die Regel der Zuständigkeit des Wohnsitzes des Klägers aufstellt und damit diesen Personen die Befugnis zuerkennt, den Versicherer vor dem Gericht des Ortes ihres eigenen Wohnsitzes zu verklagen.
15
Eine Auslegung der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin gehend, dass diese dem Geschädigten nur erlaubt, vor den aufgrund der letztgenannten Vorschrift zuständigen Gerichten zu klagen, d.h. den Gerichten des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten, würde daher dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 unmittelbar zuwiderlaufen. Mit dieser Verweisung wird der Anwendungsbereich dieser Regel auf andere Kategorien von Klägern gegen den Versicherer als dem Versicherungsnehmer, dem Versicherten oder dem Begünstigten aus dem Versicherungsvertrag erstreckt. Die Funktion dieser Verweisung besteht somit darin, der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b enthaltenen Liste von Klägern die Personen hinzuzufügen, die einen Schaden erlitten haben.
16
Dabei kann die Anwendung dieser Zuständigkeitsregel auf die unmittelbare Klage des Geschädigten nicht von dessen Qualifizierung als "Begünstigter" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 abhängen , denn die Verweisung auf diese Vorschrift durch Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung ermöglicht die Erstreckung der Zuständigkeitsregel auf diese Rechtsstreitigkeiten über die Zuordnung des Klägers zu einer der in dieser Vorschrift aufgeführten Kategorien hinaus.
17
Diese Erwägungen werden auch durch die teleologische Auslegung der im Ausgangsverfahren betroffenen Vorschriften gestützt. Nach dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 soll diese einen günstigeren Schutz der schwächeren Parteien gewährleisten, als ihn die allgemeinen Zuständigkeitsregeln vorsehen (vgl. in diesem Sinn EuGH, Urteile vom 13. Juli 2000 - C-412/98, Slg. 2000, I-5925 Rn. 64, Group Josi, und vom 12. Mai 2005 - C-112/03, Slg. 2005, I-3707 Rn. 40, Société financière et industrielle du Peloux, sowie Urteil vom 26. Mai 2005 - C-77/04, Slg. 2005, I-4509, Rn. 17, GIE Réunion européenne u.a.). Dem Geschädigten das Recht zu verweigern, vor dem Gericht des Ortes seines eigenen Wohnsitzes zu klagen, würde ihm nämlich einen Schutz vorenthalten, der demjenigen entspricht, der anderen ebenfalls als schwächer angesehenen Parteien in Versicherungsrechtsstreitigkeiten durch diese Verordnung eingeräumt wird, und stünde daher im Widerspruch zum Geist dieser Verordnung. Außerdem hat die Verordnung Nr. 44/2001, wie die Kommission zu Recht feststellt, diesen Schutz im Verhältnis zu dem Schutz, der sich aus der Anwendung des Brüsseler Übereinkommens ergab, verstärkt.
18
Diese Auslegung wird durch den Wortlaut der Richtlinie 2000/26 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 44/2001 durch die Richtlinie 2005/14 geänderten Fassung bestätigt. In dieser Richtlinie hat der Gemeinschaftsgesetzgeber nämlich nicht nur in Art. 3 die Zuerkennung eines Direktanspruchs des Geschädigten gegen das Versicherungsunternehmen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgesehen , sondern er hat auch ausdrücklich im Erwägungsgrund 16a auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 Bezug genommen, um auf das Recht des Geschädigten hinzuweisen, eine Klage gegen den Versicherer vor dem Gericht des Ortes zu erheben, an dem der Geschädigte seinen Wohnsitz hat.
19
Schließlich ist zu den Folgen der Qualifizierung der unmittelbaren Klage des Geschädigten gegenüber dem Versicherer, die, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, im deutschen Recht Gegenstand eines Meinungsstreits sind, festzustellen, dass die Anwendung der durch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregel auf eine solche Klage nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass diese im nationalen Recht als Delikthaftungsklage , die sich auf ein außerhalb der vertraglichen Rechtsbeziehungen liegendes Recht bezieht, qualifiziert wird. Die Natur dieser Klage im nationalen Recht ist nämlich für die Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung unerheblich, da diese Zuständigkeitsregeln in einem Abschnitt, nämlich Abschnitt 3 des Kapitels II dieser Verordnung, enthalten sind, der Versicherungssachen im Allgemeinen betrifft und der sich von dem Abschnitt über besondere Zuständigkeiten für Verträge oder unerlaubte Handlungen betreffende Sachen, nämlich Abschnitt 2 des Kapitels II, unterscheidet. Die einzige Bedingung, von der Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 die Anwendung dieser Zuständigkeitsregel abhängig macht, besteht darin, dass die unmittelbare Klage im nationalen Recht vorgesehen sein muss."
20
Diesem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften ist der erkennende Senat gefolgt (Urteil vom 6. Mai 2008 - VI ZR 200/05, BGHZ 176, 276). Der vorliegende Rechtsstreit gibt keinen Anlass, davon abzuweichen.
21
c) Das Berufungsgericht hat die Auslegung der Art. 9 und 11 EuGVVO durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Recht auf Art. 9 und 11 LugÜ 2007 übertragen.
22
aa) Für das Luganer Übereinkommen 2007 besteht eine Auslegungszuständigkeit des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (vgl. Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, WM 2012, 852 Rn. 28 mwN). Eine Vorlage an diesen nach Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ist hier indes nicht geboten, weil die richtige Anwendung der Art. 9 und 11 LugÜ 2007 derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum bleibt (vgl. dazu Senatsurteil vom 20. Dezember 2011 - VI ZR 14/11, aaO, mwN).
23
bb) Hinsichtlich der Möglichkeit einer Direktklage gegen den Versicherer am Wohnsitzgerichtsstand des Geschädigten ist eine einheitliche Auslegung geboten (ebenso: Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 2. Mai 2012 - 4A_531/2011, DAR 2012, 472, 473 f. mit zustimmender Anmerkung von Ansgar Staudinger; Kropholler/von Hein, Europäisches Zivilprozessrecht, 9. Aufl., Art. 11 EuGVO Rn. 4; Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2249, 2251, jeweils mwN). Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zum Verweis in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO kann auf den gleichlautenden Verweis in Art. 11 Abs. 2 LugÜ 2007 übertragen werden. Der Verweis in Art. 11 Abs. 2 LugÜ 2007 ist wie der gleichlautende Verweis in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO zu verstehen, da ersterer sich im Wesentlichen auf den Wortlaut und die Wertungen der EuGVVO stützt. Den Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften zur Richtlinie 2000/26 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung kommt lediglich eine bestätigende Funktion zu (vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 2. Mai 2012 - 4A_531/2011, aaO S. 473).
24
3. Da das anwendbare schweizerische Recht - ebenso wie das deutsche Recht (§ 115 VVG) - einen Direktanspruch vorsieht (Art. 65 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz ), hat das Berufungsgericht mit Recht die Zulässigkeit der Klage bejaht. Galke Zoll Wellner Diederichsen Pauge
Vorinstanzen:
AG Bonn, Entscheidung vom 24.05.2011 - 104 C 624/10 -
LG Bonn, Entscheidung vom 21.09.2011 - 5 S 140/11 -

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Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 115 Direktanspruch


(1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, 1. wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder2.

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 200/05
vom
26. September 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brüssel I-VO Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 lit. b
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur
Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
Ist die Verweisung in Artikel 11 Absatz 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates
vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung
und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen
(im Folgenden: EuGVVO) auf Artikel 9 Absatz 1 lit. b EuGVVO dahin zu verstehen
, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat,
an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer
erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer
seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat?
BGH, Beschluss vom 26. September 2006 - VI ZR 200/05 - OLG Köln
AG Aachen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. September 2006 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
1. Das Verfahren wird ausgesetzt. 2. Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird folgende Frage zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist die Verweisung in Artikel 11 Absatz 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) auf Artikel 9 Absatz 1 lit. b EuGVVO dahin zu verstehen , dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat?

Gründe:

I.

1
Der Kläger, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, verlangt von der Beklagten, einer Haftpflichtversicherung mit Sitz in den Niederlanden, Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls in den Niederlanden mit einem Versicherten der Beklagten. Das Amtsgericht am Wohnsitz des Klägers hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat mit einem Zwischenurteil (veröffentlicht : OLG Köln, VersR 2005, 1721) die Zulässigkeit der Klage bejaht. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung.

II.

2
Das Berufungsgericht hält die Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des Klägers in Deutschland aufgrund der Verweisung in Artikel 11 Absatz 2 auf Artikel 9 Absatz 1 lit. b EuGVVO für gegeben. Diese Auslegung entspreche dem ausdrücklichen Willen des europäischen Verordnungsgebers und sei mit dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie deren Zweck und Entstehungsgeschichte vereinbar. Der Wille des Verordnungsgebers komme eindeutig in der Erwägung 16 a der Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 zum Ausdruck, die die Richtlinie 2000/26/EG vom 16. Mai 2000 in folgender Weise ergänze: "16 a): Nach Artikel 11 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 9 Absatz 1 b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen kann der Geschädigte den Haftpflichtversicherer in dem Mitgliedstaat , in dem er seinen Wohnsitz hat, verklagen."
3
Der Schutz der schwächeren Partei gegenüber dem Versicherer, dem die Zuständigkeitsregelung in Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO zu Gunsten des Begünstigten diene, rechtfertige gleichermaßen auch bei Klagen des Unfallopfers die Einräumung eines Klage-Gerichtsstands, da sich dieses ebenfalls gegenüber dem Versicherer in einer schwächeren Position befinde und bei einem Unfall im Ausland besonders schutzbedürftig sei. Die Verweisung auf die Vorschrift des Art. 9 EuGVVO könne nach allgemeinen methodischen Grundsätzen auch ohne eine ausdrückliche Anordnung in dem Sinn verstanden werden, dass Art. 9 Abs. 1 lit. b auf den Geschädigten entsprechend anwendbar sein solle.

III.

4
1. Die Zulässigkeit der Klage und demzufolge der Erfolg der Revision hängen davon ab, wie die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO auf Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO zu verstehen ist. Nach der Umsetzung der Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 16. Mai 2000 (4. Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungs-Richtlinie) ist eine Direktklage des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer in allen Mitgliedstaaten möglich. Umstritten ist, ob aufgrund der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO der Geschädigte als "Begünstigter" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO den Haftpflichtversicherer auch an seinem eigenen Wohnsitz verklagen kann oder ob Begünstigter im Sinne des Art. 9 EuGVVO nur derjenige des Versicherungsver- trags sein kann, so dass der Geschädigte nicht die Direktklage vor dem Gericht an seinem Wohnsitz erheben könnte. Auch wenn die Erwägung 16 a in der Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 11. Mai 2005 die Auslegung des Berufungsgerichts stützt, werden hierdurch letztlich die Zweifel nicht in einer Weise beseitigt, die eine einheitliche Handhabung durch die Gerichte der Mitgliedstaaten gewährleisten könnte. Vor der Entscheidung über das Rechtsmittel der Beklagten ist deshalb das Verfahren auszusetzen und zur Klärung dieser Zweifel gemäß Artikel 234 Absatz 1 lit. b EGV eine Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof zu der im Beschlusstenor aufgestellten Frage einzuholen.
5
2. Die überwiegende Meinung in der deutschen Rechtsliteratur lehnt eine Auslegung, wonach ein Gerichtsstand am Wohnsitzgericht des Geschädigten gegeben ist, ab. Sie stützt sich unter anderem darauf, dass die Direktklage keine Versicherungssache im Sinne der Art. 8 ff. EuGVVO sei, weil der Direktanspruch im deutschen internationalen Privatrecht als deliktischer Anspruch verstanden werde und dem Deliktsstatut unterliege (hierzu vgl. Senat, BGHZ 108, 200, 202; BGHZ 120, 87, 89 m.w.N.). Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO erfasse nach Wortlaut und Stellung im Gesetz nur Versicherungssachen im engeren Sinn (vgl. Schlosser, EU-Zivilprozessrecht, 2003, Art. 11 Rn. 2.; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Auflage 2005, vor Art. 8 Rn. 7, Art. 11, Rn. 4; Geimer /Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Auflage, Art. 11, Rn. 16; Fuchs IPRax 2001, 425, 426; Lemor NJW 2002, 3666, 3667 f.). Demzufolge könne Begünstigter im Sinne des Art. 9 EuGVVO nur jemand aufgrund des Versicherungsvertrags sein, neben dem der Geschädigte durch Art. 11 Abs. 2 EuGVVO lediglich zu einem zusätzlichen Verfahrensbeteiligten werden könne.
6
3. Hiergegen wird die Meinung vertreten, dass ein Gerichtsstand am Wohnort des Geschädigten aufgrund der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO für Direktklagen des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer gegeben sei (vgl. Looschelders in der Anmerkung zu OLG Köln, VersR 2005, 1721; Staudinger in Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht 2003 Art. 11 Brüssel I-VO Rn. 6; Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht 3. Aufl. Rn. 284; Backu DAR 2003, 153; Riedmeyer DAR 2004, 203, 206; Lemor/Becker DAR 2004, 677, 684). Diese Auffassung befürwortet auch der Senat.
7
Gegen sie spricht nicht, dass der Geschädigte in Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO nicht genannt wird. Da die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 EuGVVO die Regelungen des Art. 9 EuGVVO auf den Geschädigten überträgt, muss dieser dort nicht gesondert erwähnt werden (vgl. Looschelders aaO).
8
Für die entsprechende Anwendung des Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO spricht maßgeblich, dass kurz vor Erlass der EuGVVO durch die Richtlinie 2000/26/EG vom 16. Mai 2000 (4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie) der Schutz des Geschädigten bei einem Unfall im Ausland durch die Direktklage des Geschädigten gestärkt worden ist. Die Richtlinie 2005/14/EG bekräftigt die Rechtsposition des Geschädigten weiter. Aus den Materialien über die Vorarbeiten dazu ergibt sich, dass nach dem Willen der Kommission, die auch Verordnungsgeber der EuGVVO war, und des Europäischen Parlamentes mit der Verpflichtung für die Mitgliedstaaten, den Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer einzuführen, auch ein Gerichtsstand am Wohnort des Geschädigten durch Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 lit. b EuGVVO geschaffen werden sollte. Dies statuierte erstmals der Ausschuss für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlamentes in seinem Bericht vom 10. Oktober 2003 (A5-0346/2003 ENDGÜLTIG, S. 18), gestützt auf ein (unveröffentlichtes) Gutachten seines juristischen Dienstes. Dieser Rechtsauffassung schloss sich die Kommission in ihrer Stellungnahme vom 30. April 2004 an [KOM (2004) 351 endgültig, S. 3; siehe auch KOM (2005) 57 endgültig, S. 3)]. Darauf beruht schließlich die Aufnahme der Erwägung 16 a in die Richtlinie 2005/14/EG, durch die für die Direktklage ein Gerichtsstand am Wohnsitzgericht des Geschädigten ausdrücklich bestätigt wird. Auch wenn Erwägungsgründe (Art. 253 EGV) keine verbindlichen Rechtsvorschriften, sondern lediglich Mittel zur Auslegung des betreffenden Gesetzes sind (vgl. EuGH - Rs. 215/88 - Casa Fleischhandel - Slg. 1989, 2789, 2808; Anweiler, Die Auslegungsmethoden des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften 1997 S. 253 ff.; Gruber, Methoden des internationalen Einheitsrechts 2004 S. 171 ff.; Kropholler aaO, Einl. Rn. 46) und der einschlägige Erwägungsgrund erst mehr als vier Jahre nach Erlass der EuGVVO in einen anderen EG-Rechtsakt eingefügt worden ist, ist jede Vorschrift des Gemeinschaftsrechts im Lichte des gesamten Gemeinschaftsrechts , seiner Ziele und seines Entwicklungsstands zur Zeit der Anwendung der betreffenden Vorschrift auszulegen (EuGH - Rs. 283/81 (C.I.L.F.I.T.) - Slg. 1982, 3415 (3430) = NJW 1983, 1257 (1258); Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung 1996 S. 62 ff.). Spätere Entwicklungen sind also zu berücksichtigen. Danach sprechen die überwiegenden Gründe für die Annahme, dass der Geschädigte den Direktanspruch gegen den Versicherer vor dem Gericht an seinem Wohnsitz geltend machen kann.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 27.04.2005 - 8 C 545/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 12.09.2005 - 16 U 36/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 200/05 Verkündet am:
6. Mai 2008
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Brüssel I-VO Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 Buchst. b
(früher: EuGVVO)
Nach Art. 11 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember
2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von
Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) i.V.m. Art. 9
Abs. 1 Buchst. b EuGVVO kann der Geschädigte, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat
hat, vor dem Gericht seines Wohnsitzes eine Klage unmittelbar gegen den
Versicherer erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer
seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates hat.
BGH, Urteil vom 6. Mai 2008 - VI ZR 200/05 - OLG Köln
LG Aachen
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren mit
Schriftsatzfrist bis zum 25. März 2008 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den
Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll

für Recht erkannt:
Die Revision der Beklagten gegen das Zwischenurteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 12. September 2005 wird zurückgewiesen. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Der Kläger, der in Deutschland seinen Wohnsitz hat, verlangt von der Beklagten, einer Haftpflichtversicherung mit Sitz in den Niederlanden, Schadensersatz wegen eines Verkehrsunfalls in den Niederlanden mit einem Versicherten der Beklagten. Das Amtsgericht am Wohnsitz des Klägers hat die Klage wegen fehlender internationaler Zuständigkeit deutscher Gerichte als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat mit einem Zwischenurteil (veröffentlicht : OLG Köln, VersR 2005, 1721 f.) die Zulässigkeit der Klage bejaht. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung. Der erkennende Senat hat mit Beschluss vom 26. September 2006 (veröffentlicht: VersR 2006, 1677 ff.) das Verfahren ausgesetzt und die Frage zur Auslegung der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil - und Handelssachen (im Folgenden: EuGVVO) auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EGV zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Entscheidungsgründe:

I.

2
Das Berufungsgericht hält die Zuständigkeit des Wohnsitzgerichts des Klägers in Deutschland aufgrund der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b EuGVVO für gegeben. Diese Auslegung entspreche dem ausdrücklichen Willen des europäischen Verordnungsgebers und sei mit dem Wortlaut der auszulegenden Norm sowie deren Zweck und Entstehungsgeschichte vereinbar.

II.

3
Die Revision gegen das Zwischenurteil des Berufungsgerichts bleibt erfolglos.
4
1. Der Europäische Gerichtshof hat im Urteil vom 13. Dezember 2007 (Rechtssache - C-463/06 - VersR 2008, 111 ff.) die Vorlagefrage bejaht und dies wie folgt begründet:
5
"Abschnitt 3 des Kapitels II der Verordnung Nr. 44/2001, der die Art. 8 bis 14 enthält, sieht Zuständigkeitsregeln für Versicherungssachen vor, die zu den Regeln hinzukommen, die durch die allgemeinen Vorschriften in Abschnitt 1 desselben Kapitels der Verordnung aufgestellt werden. In diesem Abschnitt 3 werden mehrere Zuständigkeitsregeln für Klagen gegen den Versicherer aufgestellt. Er sieht insbesondere vor, dass ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat (Art. 9 Abs. 1 Buchst. a), vor dem Gericht des Ortes , an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat, wenn die Klage von dem Versicherungsnehmer , dem Versicherten oder dem Begünstigten erhoben wird (Art. 9 Abs. 1 Buchst. b), und schließlich bei der Haftpflichtversicherung oder bei der Versicherung von unbeweglichen Sachen vor dem Gericht des Ortes erhoben werden kann, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist (Art. 10). In Bezug auf die Haftpflichtversicherung verweist Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf diese Zuständigkeitsregeln für Klagen, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt.
6
Zur Beantwortung der Frage des vorlegenden Gerichts ist daher die Tragweite der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung zu bestimmen. Insbesondere ist festzustellen , ob diese Verweisung dahin auszulegen ist, dass durch sie nur den durch die letztgenannte Bestimmung bezeichneten Gerichten, d. h. den Gerichten des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten, die Zuständigkeit für die Entscheidung über die unmittelbare Klage des Geschädigten gegen den Versicherer zuerkannt wird oder ob aufgrund dieser Verweisung auf diese unmittelbare Klage die in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellte Zuständigkeitsregel des Wohnsitzes des Klägers angewendet werden kann.
7
Hierzu ist festzustellen, dass diese Vorschrift sich nicht darauf beschränkt , die Zuständigkeit den Gerichten des Wohnsitzes der darin aufgezählten Personen zuzuweisen, sondern dass sie vielmehr die Regel der Zuständigkeit des Wohnsitzes des Klägers aufstellt und damit diesen Personen die Befugnis zuerkennt, den Versicherer vor dem Gericht des Ortes ihres eigenen Wohnsitzes zu verklagen.
8
Eine Auslegung der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin gehend, dass diese dem Geschädigten nur erlaubt, vor den aufgrund der letztgenannten Vorschrift zuständigen Gerichten zu klagen, d. h. den Gerichten des Wohnsitzes des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten, würde daher dem Wortlaut des Art. 11 Abs. 2 unmittelbar zuwiderlaufen. Mit dieser Verweisung wird der Anwendungsbereich dieser Regel auf andere Kategorien von Klägern gegen den Versicherer als dem Versicherungsnehmer, dem Versicherten oder dem Begünstigten aus dem Versicherungsvertrag erstreckt. Die Funktion dieser Verweisung besteht somit darin, der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b enthaltenen Liste von Klägern die Personen hinzuzufügen, die einen Schaden erlitten haben.
9
Dabei kann die Anwendung dieser Zuständigkeitsregel auf die unmittelbare Klage des Geschädigten nicht von dessen Qualifizierung als "Begünstigter" im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 abhängen , denn die Verweisung auf diese Vorschrift durch Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung ermöglicht die Erstreckung der Zuständigkeitsregel auf diese Rechtsstreitigkeiten über die Zuordnung des Klägers zu einer der in dieser Vorschrift aufgeführten Kategorien hinaus.
10
Diese Erwägungen werden auch durch die teleologische Auslegung der im Ausgangsverfahren betroffenen Vorschriften gestützt. Nach dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 soll diese einen günstigeren Schutz der schwächeren Parteien gewährleisten, als ihn die allgemeinen Zuständigkeitsregeln vorsehen (vgl. in diesem Sinne Urteile Group Josi, Rn. 64, und Société financière et industrielle du Peloux, Rn. 40, sowie Urteil vom 26. Mai 2005, GIE Réunion européenne u. a., C-77/04, Slg. 2005, I-4509, Rn. 17). Dem Geschädigten das Recht zu verweigern, vor dem Gericht des Ortes seines eigenen Wohnsitzes zu klagen, würde ihm nämlich einen Schutz vorenthalten, der demjenigen entspricht, der anderen ebenfalls als schwächer angesehenen Parteien in Versicherungsrechtsstreitigkeiten durch diese Verordnung eingeräumt wird, und stünde daher im Widerspruch zum Geist dieser Verordnung. Außerdem hat die Verordnung Nr. 44/2001, wie die Kommission zu Recht feststellt, diesen Schutz im Verhältnis zu dem Schutz, der sich aus der Anwendung des Brüsseler Übereinkommens ergab, verstärkt.
11
Diese Auslegung wird durch den Wortlaut der Richtlinie 2000/26 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 44/2001 durch die Richtlinie 2005/14 geänderten Fassung bestätigt. In dieser Richtlinie hat der Gemeinschaftsgesetzgeber nämlich nicht nur in Art. 3 die Zuerkennung eines Direktanspruchs des Geschädigten gegen das Versicherungsunternehmen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgesehen , sondern er hat auch ausdrücklich im Erwägungsgrund 16a auf die Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 Bezug genommen, um auf das Recht des Geschädigten hinzuweisen, eine Klage gegen den Versicherer vor dem Gericht des Ortes zu erheben, an dem der Geschädigte seinen Wohnsitz hat.
12
Schließlich ist zu den Folgen der Qualifizierung der unmittelbaren Klage des Geschädigten gegenüber dem Versicherer die, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, im deutschen Recht Gegenstand eines Meinungsstreits sind, festzustellen, dass die Anwendung der durch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregel auf eine solche Klage nicht dadurch ausgeschlossen wird, dass diese im nationalen Recht als Delikthaftungsklage , die sich auf ein außerhalb der vertraglichen Rechtsbeziehungen liegendes Recht bezieht, qualifiziert wird. Die Natur dieser Klage im nationalen Recht ist nämlich für die Anwendung der Vorschriften dieser Verordnung unerheblich, da diese Zuständigkeitsregeln in einem Abschnitt, nämlich Abschnitt 3 des Kapitels II dieser Verordnung, enthalten sind, der Versicherungssachen im Allgemeinen betrifft und der sich von dem Abschnitt über besondere Zuständigkeiten für Verträge oder unerlaubte Handlungen betreffende Sachen, nämlich Abschnitt 2 des Kapitels II, unterscheidet. Die einzige Bedingung, von der Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 die Anwendung dieser Zuständigkeitsregel abhängig macht, besteht darin, dass die unmittelbare Klage im nationalen Recht vorgesehen sein muss."
13
2. Danach hat das Berufungsgericht mit Recht einen Gerichtsstand am inländischen Wohnort des Klägers für die Direktklage gegen die Beklagte bejaht , da der Kläger nach der gemäß Art. 40 Abs. 1 und 4 EGBGB heranzuziehenden niederländischen Gesetzesvorschrift einen Direktanspruch gegen den niederländischen Versicherer hat (Art. 7 Nr. 2 WAM Gesetz über die Kraftfahrzeug -Haftpflichtversicherung vom 30. Mai 1963).
14
Die Revision ist deshalb zurückzuweisen. Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
Vorinstanzen:
AG Aachen, Entscheidung vom 27.04.2005 - 8 C 545/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 12.09.2005 - 16 U 36/05 -
28
c) Für das Luganer Übereinkommen II besteht - im Gegensatz zum Luganer Übereinkommen I (vgl. dazu Senatsurteile vom 27. Mai 2008 - VI ZR 69/07, BGHZ 176, 342 Rn. 9; vom 31. Mai 2011 - VI ZR 154/10 Rn. 17; EuGH, Gutachten vom 7. Februar 2006 - 1/03, Slg. 2006 S. I-1145 Rn. 19) - eine Auslegungszuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (Präambel zum Protokoll 2 nach Art. 75 LugÜ II über die einheitliche Auslegung des Übereinkommens und den ständigen Ausschuss, ABl. EU 2007, L 339, S. 27; Rauscher /Staudinger, 2011, Einl. LugÜ II Rn. 29; Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., Art. 1 EUGVVO Rn. 17). Eine Vorlage an diesen nach Art. 267 Abs. 2, 3 AEUV ist aber hier nicht geboten, weil die richtige Anwendung des Art. 15 Abs. 1 Buchst. c, Art. 16 Abs. 1 Fall 2 LugÜ II, das Teil des Gemeinschaftsrechts ist, derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt (vgl. BGH, Beschluss vom 26. November 2007 - NotZ 23/07, BGHZ 174, 273 Rn. 34; Urteil vom 13. Januar 2011 - III ZR 146/10, NJW 2011, 1509 Rn. 35).

(1) Der Dritte kann seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen,

1.
wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt oder
2.
wenn über das Vermögen des Versicherungsnehmers das Insolvenzverfahren eröffnet oder der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden ist oder ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden ist oder
3.
wenn der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist.
Der Anspruch besteht im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis und, soweit eine Leistungspflicht nicht besteht, im Rahmen des § 117 Abs. 1 bis 4. Der Versicherer hat den Schadensersatz in Geld zu leisten. Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherungsnehmer haften als Gesamtschuldner.

(2) Der Anspruch nach Absatz 1 unterliegt der gleichen Verjährung wie der Schadensersatzanspruch gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer. Die Verjährung beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem die Verjährung des Schadensersatzanspruchs gegen den ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer beginnt; sie endet jedoch spätestens nach zehn Jahren von dem Eintritt des Schadens an. Ist der Anspruch des Dritten bei dem Versicherer angemeldet worden, ist die Verjährung bis zu dem Zeitpunkt gehemmt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Die Hemmung, die Ablaufhemmung und der Neubeginn der Verjährung des Anspruchs gegen den Versicherer wirken auch gegenüber dem ersatzpflichtigen Versicherungsnehmer und umgekehrt.