Bundesgerichtshof Urteil, 18. Feb. 2011 - V ZR 137/10

published on 18/02/2011 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 18. Feb. 2011 - V ZR 137/10
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Amtsgericht Naumburg, 12 C 573/08, 21/08/2009
Landgericht Halle, 1 S 131/09, 24/06/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 137/10 Verkündet am:
18. Februar 2011
Lesniak
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Februar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Roth und die Richterinnen
Dr. Brückner und Weinland

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 24. Juni 2010 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

1
Die Parteien sind Eigentümer nebeneinander liegender Grundstücke, die entlang der gemeinsamen Grenze bebaut waren. 2006 riss die Beklagte das auf ihrem Grundstück stehende Gebäude ab. Dabei wurde auch die sechs Meter hohe, an das Nachbargebäude angrenzende Giebelwand bis auf eine Höhe von 2,50 Metern abgetragen. Auf dem darüber befindlichen, nunmehr freiliegenden Teil der Außenmauer des Nachbargebäudes ließ die Beklagte einen Glattputz auftragen. Der Kläger forderte die Beklagte vergeblich auf, diesen Teil der Mauer mit einer den heutigen Anforderungen entsprechenden Wärmedämmung zu versehen.
2
Mit der Klage verlangt der Kläger Zahlung der für die Anbringung einer Wärmedämmung erforderlichen Kosten als "Vorschuss für eine Mängelbeseiti- gung" sowie die Verurteilung der Beklagten, es ihm und von ihm beauftragten Handwerkern zu gestatten, ihr Grundstück "zum Zwecke der Mängelbeseitigung" zu betreten.
3
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

I.

4
Das Berufungsgericht meint, der geltend gemachte Anspruch stehe dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Ein solcher ergebe sich insbesondere nicht aus § 10 Abs. 3 des Nachbarschaftsgesetzes Sachsen-Anhalt (NbG-SA), wonach derjenige, der sein Gebäude abreißt, verpflichtet ist, die Außenfläche des bisher gemeinsam genutzten Teils der Wand auf eigene Kosten in einen für eine Außenwand geeigneten Zustand zu versetzen. Dieser Verpflichtung sei genügt, wenn die durch den Abriss entstandene Außenwand vor Feuchtigkeitseinflüssen geschützt sei. Die Anbringung einer bisher nicht vorhandenen Wärmeisolierung werde nicht geschuldet. Damit entfalle auch die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger das Betreten ihres Grundstücks zu gestatten.

II.

5
Die Revision des Klägers bleibt ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil erweist sich im Umfang der revisionsrechtlichen Nachprüfung im Ergebnis als richtig.
6
1. a) Der Senat hat bereits entschieden, dass dem Eigentümer eines entlang der Grundstücksgrenze bebauten Grundstücks kein Anspruch auf Vervollständigung des Witterungsschutzes seiner Außenmauer zusteht, wenn das Nachbargebäude abgerissen und dadurch eine parallel verlaufende Grenzwand beseitigt wird, die dieser Außenmauer bislang Schutz vor Witterungseinflüssen bot (Senat, Urteil vom 16. April 2010 - V ZR 171/09, NJW 2010, 1808). Bestehen zwei Grenzwände, ist jeder Eigentümer für die auf seinem Grundstück errichtete Wand verantwortlich. Der Vorteil, der sich daraus ergibt, dass eine Außenwand so lange keines oder keines vollständigen Witterungsschutzes bedarf, wie dieser Schutz von der Grenzwand des Nachbargrundstücks geboten wird, wird durch das Bürgerliche Gesetzbuch nicht geschützt.
7
Dieser Grundsatz findet auch hier Anwendung. Nach den dem Berufungsurteil zugrundeliegenden Feststellungen aus dem selbständigen Beweisverfahren waren die angrenzenden Gebäude durch zwei voneinander unabhängige Wände getrennt. Denn der gerichtlich bestellte Sachverständige unterscheidet zwischen der Giebelwand des Klägers und der parallel zu dieser ehemals vorhandenen, von der Beklagten abgetragenen Brandwand. Folgerichtig bezeichnet das Berufungsgericht die von der Beklagten abgerissene Wand im Tatbestand auch als Grenzwand.
8
Demgegenüber betreffen die Entscheidungen, aufgrund derer das Berufungsgericht die hier maßgebliche Rechtsfrage für umstritten hält (Senat, Urteil vom 28. November 1980 - V ZR 148/79, BGHZ 78, 397; OLG Dresden, NJW- RR 2008, 613; vgl. ferner Senat, Urteil vom 11. April 2008 - V ZR 158/07, NJW 2008, 2032), eine andere bauliche Situation, nämlich die sogenannte Nachbarwand (auch halbscheidige Giebelmauer oder Kommunmauer genannt). Bei dieser handelt es sich um eine gemeinschaftliche Grenzeinrichtung, die dazu bestimmt ist, von jedem der beiden Nachbarn in Richtung auf sein eigenes Grundstück benutzt zu werden; das hierdurch begründete Rechtsverhältnis der Nachbarn ist durch die §§ 921, 922 BGB sowie durch landesrechtliche Vorschriften besonders geregelt (vgl. zur Unterscheidung zwischen Nachbarwand und Grenzwand Staudinger/Roth, BGB [2002], § 921 Rn. 19 ff. und Rn. 54 ff. sowie die Abschnitte 2 [Nachbarwand] und 3 [Grenzwand] des Nachbarschaftsgesetzes von Sachsen-Anhalt).
9
b) Die Annahme des Berufungsgerichts, ein Anspruch des Klägers auf Anbringung einer Wärmeisolierung an seiner Grenzwand ergebe sich nicht aus § 10 Abs. 3 NbG-SA (gemeint offenbar: in Verbindung mit § 15 NbG-SA), unterliegt keiner revisionsrechtlichen Nachprüfung, da sich der Geltungsbereich dieser Vorschriften nicht über den Bezirk eines Oberlandesgerichts, hier des Oberlandesgerichts Naumburg, hinaus erstreckt (§ 545 Abs. 1 ZPO aF). Zwar hat der Gesetzgeber die Beschränkung der Revisibilität von Landesrecht zwischenzeitlich aufgehoben, jedoch ist die durch das FGG-Reformgesetz vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I 2586, 2702) erfolgte Änderung nach der Übergangsvorschrift des § 111 Abs. 1 Satz 1 FamFG erst auf Verfahren anzuwenden, die ab dem 1. September 2009 eingeleitet worden sind (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juli 2010 - V ZR 34/10, ZOV 2010, 222; BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 - IX ZR 127/09, WM 2010, 1715, 1716 Rn. 5; Urteil vom 19. November 2009 - IX ZR 24/09, NJW-RR 2010, 671 Rn. 8). Die diesem Verfahren zugrunde liegende Klage wurde aber bereits im Jahr 2008 erhoben.
10
Entgegen der Auffassung der Revision ist die Auslegung von § 10 Abs. 3 i.V.m. § 15 NbG-SA nicht deshalb revisionsrechtlich nachprüfbar, weil sich der Geltungsbereich der Vorschriften jedenfalls über den Bezirk des Berufungsgerichts , nämlich des Landgerichts Halle, hinaus erstreckt. Der Senat hat bereits entschieden, dass der Begriff "Oberlandesgericht" in § 545 Abs. 1 ZPO aF nicht deshalb wie "Berufungsgericht" zu lesen ist, weil die Revision seit der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Zivilprozessreform auch gegen Urteile des Landgerichts stattfindet (vgl. Urteil vom 21. November 2008 - V ZR 35/08, NJWRR 2009, 311, 312 Rn. 8 f.).
11
2. Aus demselben Grund nicht revisibel ist die Annahme des Berufungsgerichts , mangels Verpflichtung der Beklagten, eine Wärmedämmung anzubringen , stehe dem Kläger gemäß § 15 NbG-SA (gemeint offenbar: § 18 NbGSA ) auch nicht das Recht zu, deren Grundstück zu betreten. Keiner Entscheidung bedarf, anders als die Revision meint, die Frage, ob sich für den Fall, dass der Kläger die Wärmedämmung nunmehr auf eigene Kosten anzubringen beabsichtigt , ein Betretensrecht aus dem Bundesrecht ergibt. Denn Gegenstand des Antrags ist nach dessen Formulierung ("zum Zwecke der Mängelbeseitigung" ) nur das Betretensrecht, welches sich als Annex zu einer Verpflichtung der Beklagten ergeben hätte, die Anbringung einer Wärmedämmung durch den Kläger im Wege einer "Ersatzvornahme" zu dulden. Dem entspricht es, dass sich der Antrag bei der Streitwertfestsetzung der Vorinstanzen wertmäßig nicht ausgewirkt hat.

III.

12
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Krüger Stresemann Roth Weinland Brückner

Vorinstanzen:
AG Naumburg, Entscheidung vom 21.08.2009 - 12 C 573/08 -
LG Halle, Entscheidung vom 24.06.2010 - 1 S 131/09 -
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Annotations

Werden zwei Grundstücke durch einen Zwischenraum, Rain, Winkel, einen Graben, eine Mauer, Hecke, Planke oder eine andere Einrichtung, die zum Vorteil beider Grundstücke dient, voneinander geschieden, so wird vermutet, dass die Eigentümer der Grundstücke zur Benutzung der Einrichtung gemeinschaftlich berechtigt seien, sofern nicht äußere Merkmale darauf hinweisen, dass die Einrichtung einem der Nachbarn allein gehört.

Sind die Nachbarn zur Benutzung einer der in § 921 bezeichneten Einrichtungen gemeinschaftlich berechtigt, so kann jeder sie zu dem Zwecke, der sich aus ihrer Beschaffenheit ergibt, insoweit benutzen, als nicht die Mitbenutzung des anderen beeinträchtigt wird. Die Unterhaltungskosten sind von den Nachbarn zu gleichen Teilen zu tragen. Solange einer der Nachbarn an dem Fortbestand der Einrichtung ein Interesse hat, darf sie nicht ohne seine Zustimmung beseitigt oder geändert werden. Im Übrigen bestimmt sich das Rechtsverhältnis zwischen den Nachbarn nach den Vorschriften über die Gemeinschaft.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht.

(2) Die Revision kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat.

Familiensachen sind

1.
Ehesachen,
2.
Kindschaftssachen,
3.
Abstammungssachen,
4.
Adoptionssachen,
5.
Ehewohnungs- und Haushaltssachen,
6.
Gewaltschutzsachen,
7.
Versorgungsausgleichssachen,
8.
Unterhaltssachen,
9.
Güterrechtssachen,
10.
sonstige Familiensachen,
11.
Lebenspartnerschaftssachen.

(1) Die Revision kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht.

(2) Die Revision kann nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen oder verneint hat.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)