Bundesgerichtshof Urteil, 29. Apr. 2015 - 5 StR 79/15

bei uns veröffentlicht am29.04.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR79/15
vom
29. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässigen Vollrausches
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 17. September 2014 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte freigesprochen worden ist.
Auf die Revision des Angeklagten wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit gegen ihn die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässigen Vollrausches zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Mit seiner gegen die Verurteilung gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Freispruch; sie beanstandet die Beweiswürdigung. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten hat lediglich hinsichtlich der Anordnung der Maßregel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierten der Angeklagte und sein Bekannter K. , die beide Alkoholiker sind, am 31. Oktober 2013 in der Wohnung des Angeklagten erhebliche Mengen Bier und Schnaps. Sie schliefen am Abend ein. Am nächsten Morgen tranken sie ihre Alkoholvorräte leer. Es kam zum Streit, wer von beiden weiteren Alkohol beschaffen und bezahlen sollte. Der Angeklagte, der so schwer alkoholisiert war, dass seine Steuerungsfähigkeit aufgehoben war, ergriff ein auf dem Wohnzimmertisch liegendes Brotmesser und versetzte K. damit einen Hieb auf die Stirn, der eine mehrere Zentimeter lange, blutende Schnittverletzung verursachte.
3
Das Schwurgericht hat aufgrund der exzessiven Trinkgewohnheiten des (geständigen) Angeklagten nicht ausschließen können, dass er durch die „morgendliche Auffrischung seines Alkoholspiegels“ in einen Vollrausch geraten war. Es liege zwar nicht nahe, dass er sich bewusst und gewollt in den Zustand der Schuldunfähigkeit getrunken habe. Jedoch sei er im Laufe des nächtlichen Schlafs soweit ernüchtert gewesen, dass er habe beurteilen können, bei Wiederaufnahme des Trinkens in einen Vollrausch geraten zu können.
4
2. Dem Angeklagten lag darüber hinaus zur Last, seinen Bekannten S. in den Abend- oder Nachtstunden des 13. Februar 2014 in dessen Wohnung getötet zu haben. Nach den Urteilsfeststellungen tranken der Angeklagte und S. oftmals gemeinsam erhebliche Mengen Alkohol, so auch an diesem Abend. Der Angeklagte schlief anschließend auf der Couch ein. Als er aufwachte, stellte er fest, dass S. vor dem laufenden Fernseher in einem Sessel saß und sich nicht bewegte. Der Angeklagte versuchte, S. zu we- cken; er bemerkte hierbei, dass dieser „vollkommen kalt war“. Seitlich unterhalb des Sessels war eine große Blutlache sichtbar. Der Angeklagte verließ nun die Wohnung und begab sich nach Hause. Am nächsten Tag offenbarte er einem Bekannten, dass S. tot sei; dieser verständigte die Polizei.
5
Der Leichnam wies eine etwa 7 cm tiefe Stichverletzung unterhalb der rechten Leistengegend auf. Hierbei waren – todesursächlich – die rechte Oberschenkelarterie und -vene durchtrennt worden. Weitere nicht todesursächliche Stich- bzw. Schnittverletzungen befanden sich im Bereich des Brustkorbes sowie am rechten Oberarm. Das Leichenblut wies eine Blutalkoholkonzentration von 3,03 ‰ auf.
6
Das Landgericht hat sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten überzeugen können. Es sei angesichts des Vorfalls vom 1. November 2013 zwar naheliegend, dass der die Tat bestreitende Angeklagte auch mit S. in Streit geraten sei und ihn dabei mit einem Messer angegriffen habe. Nachzuweisen sei dies aber nicht. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass S. sich die Verletzungen in depressiver Stimmung selbst beigebracht oder dass er – wie vom Angeklagten eingewendet – eine weitere Person in seine Wohnung eingelassen habe, die ihn getötet habe.

II.


7
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg, denn die Beweiswürdigung des Landgerichts (§ 261 StPO) hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
8
a) Das Revisionsgericht muss es zwar grundsätzlich hinnehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts ; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob ihm Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402; vom 7. Juni 2011 – 5 StR 26/11).
9
b) Solche Rechtsfehler liegen hier vor. Die Beweiswürdigung der Schwurgerichtskammer enthält Lücken. Des Weiteren hat sie die Anforderungen an die tatgerichtliche Überzeugungsbildung überspannt und sich dadurch den Blick für eine Gesamtwürdigung der für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Tatumstände verstellt.
10
aa) Zu Recht weist der Generalbundesanwalt hinsichtlich der vom Landgericht in Betracht gezogenen Möglichkeit eines Suizids darauf hin, dass ein grundlegender Erörterungsmangel vorliegt. Zwar geht die Schwurgerichtskammer in Übereinstimmung mit dem rechtsmedizinischen Sachverständigen davon aus, dass die vorgefundenen Verletzungen keine typischen Suizidmerkmale aufwiesen, zumal es an „Probeschnitten“ fehle. Es seien jedoch nicht die „normalen“ und typischen Verhältnisse einer Selbsttötung der Beurteilung zugrunde zu legen, weil es sich bei S. um einen (depressiven) Alkoholiker handelte, der zum Zeitpunkt des Todes stark betrunken gewesen sei. Deshalb halte sie „es in dem genau so hohen Grad für möglich, dassS. sich durch einen Stich in die Beinschlagader das Leben nahm, wie sie es für unwahrscheinlich halte, dass der Angeklagte dem S. in Tötungsabsicht ausgerechnet ins Bein stach“ (UA S. 15).
11
Ungeachtet dessen, dass eine fehlende Tötungsabsicht des Angeklagten nicht die Täterschaft insgesamt in Frage stellen könnte, verhält sich das Urteil nicht dazu, inwieweit S. sich die weiteren, im Einzelnen nicht näher beschriebenen Verletzungen im Bereich des Brustkorbes und am rechten Oberarm zugefügt haben kann und soll. In diesem Zusammenhang wäre vor allem dessen (verbliebene) Handlungsfähigkeit zur Selbstbeibringung aller Verletzungen zu erörtern gewesen. Des Weiteren geht das Landgericht nicht auf den der Selbsttötungsthese widerstreitenden Umstand ein, dass in der – wenn auch von Angehörigen des S. gesäuberten – Wohnung kein Messer mit Blutanhaftungen vorgefunden worden ist.
12
bb) Es gibt keinen hinreichenden Anhaltspunkt dafür, dass eine weitere unbekannte Person dem Opfer die tödlichen Verletzungen beigebracht haben könnte. Das Landgericht selbst hält es für „nicht besonders naheliegend“, dass S. eine dritte Person in seine Wohnung eingelassen hat, die ihn dann getötet habe, ohne dass der Angeklagte hiervon geweckt worden wäre. Die – von der Schwurgerichtskammer in Zweifel gezogene – Einlassung des Angeklagten, er habe „dunkel in Erinnerung, dass es geklingelt habe“, und der Umstand, dass sich Personen aus dem Trinkermilieu „nicht selten“ in der Tatwohnung getroffen haben, vermögen Anhaltspunkte für eine Alternativtäterthese über die bloß theoretische Ebene hinaus nicht zu begründen.
13
2. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie den Schuldund den Strafausspruch angreift. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen eines fahrlässigen Vollrausches (§ 323a Abs. 1 StGB), insbesondere den von der Revision vermissten Zeitpunkt des vorwerfbaren Sichberauschens festgestellt (UA S. 9). Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat hingegen keinen Bestand.
14
a) Die Voraussetzungen für die gemäß § 64 Satz 2 StGBerforderliche hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges sind vom Landgericht nicht dargetan. Es verweist lediglich auf die Beurteilung des forensischpsychiatrischen Sachverständigen, dass der Angeklagte zurzeit zwar nicht motiviert sei, an einer solchen Behandlung teilzunehmen, was einer Heilbehandlung aber nicht entgegenstehe, weil dieser motivierungsfähig sei. Dieser Einschätzung hat sich das Landgericht ohne Begründung angeschlossen.
15
b) Das Landgericht hat damit rechtsfehlerhaft eine eigene und ausreichende Würdigung hinsichtlich einer konkreten Aussicht eines Behandlungser- folgs nicht vorgenommen. Vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Alters des Angeklagten, seiner langjährigen Alkoholabhängigkeit und körperlichen Verwahrlosung sowie zahlreicher im Ergebnis erfolgloser stationärer Entgiftungsbehandlungen hätte es mit Blick auf dessen geäußerte Therapieunwilligkeit einer eingehenderen Darlegung in den Urteilsgründen bedurft, auf welche Umstände das Landgericht die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht stützt. Soweit es sich zudem nicht zur prognostizierten Therapiedauer verhält, kann schließlich auch nicht beurteilt werden, ob insoweit überhaupt eine tragfähige Basis für eine konkrete Therapieerfolgsaussicht besteht (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 2014 – 5 StR 37/14, NStZ 2014, 315 mwN).
Sander Dölp König
Berger Bellay

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Lastenausgleichsgesetz - LAG

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Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 323a Vollrausch


(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat

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5 StR 26/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 7. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Juni
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 16. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
a) Am frühen Abend des 30. August 2008 konsumierte der Angeklagte mit seinem langjährigen Freund und Nachbarn L. Alkohol in nicht feststellbaren Mengen. Am darauffolgenden Tag fand er L. in dessen Wohnung auf dem Boden des Schlafzimmers liegend auf. Dieser war nicht ansprechbar, blutete stark am Kopf und wies am Hals Würgemale auf.
4
Der vom Angeklagten telefonisch verständigte Rettungssanitäter versorgte den Geschädigten und überführte ihn dann in ein Krankenhaus. Es wurden ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades, eine Kopfplatzwunde sowie eine Fraktur der Kieferhöhle links diagnostiziert. Ursache der Verletzungen waren stumpfe Gewalteinwirkungen. Der Geschädigte erlangte das Bewusstsein nicht wieder und verstarb am 16. Mai 2009 infolge einer durch die erlittenen Verletzungen bedingten Lungenentzündung.
5
Auf den Geschädigten war in seiner Wohnung unter anderem mit einem Tonbandgerät eingeschlagen worden, an dem Blut, Gewebeteile und Haare des Geschädigten sowie – auf der Rückseite des Geräts – eine Fingerabdruckspur des Zeigefingers der rechten Hand des Angeklagten festgestellt wurden. An der Wohnungseingangstür fehlte im Bereich des Schlosses und des Türknaufs ein etwa zehn mal zehn Zentimeter großes Glasfenster. Mit einem Griff durch die Öffnung konnte die Wohnungstür von außen geöffnet werden. Im Bereich des fehlenden Fensters befand sich eine Blutspur des Angeklagten. Seine Hose wies Blutanhaftungen des Geschädigten auf.
6
b) Das Landgericht vermochte sich nicht von der Täterschaft des Angeklagten zu überzeugen. Es sei trotz der „festgestellten Spuren, die auf den ersten Blick ein den Angeklagten schwer belastendes Indiz“ darstellten, „nicht mit der erforderlichen Gewissheit auszuschließen, dass ein unbekann- ter Dritter zum Tatzeitpunkt die Wohnung des Geschädigten aufsuchte“ (UA S. 13). Es wäre einem solchen möglich gewesen, „in Einbruchsabsicht in die Wohnung des Geschädigten einzudringen, da das kleine Glasfenster in der Wohnungstür des Geschädigten fehlte“ (UA S. 18).
7
Hinsichtlich der Fingerabdruckspur hat die Schwurgerichtskammer die Einlassung des Angeklagten als „lebensnah“ und „nicht zu widerlegen“ ange- sehen, er habe das Tonbandgerät bei seinen Besuchen „öfter angefasst, zum Beispiel wenn der Geschädigte seine Wohnung umgeräumt habe“ (UA S. 11). Auch seine Angaben zur Blutspur an der Wohnungstür seien nicht zu widerlegen; dieser Bewertung hat die Schwurgerichtskammer die Vermutung des Angeklagten zugrunde gelegt, die Blutspur könne entstanden sein, als er dem Geschädigten an einem ihm nicht mehr erinnerlichen Tag geholfen habe , den Schließzylinder an der Wohnungstür auszutauschen (UA S. 12). Ferner hat das Landgericht die Aussage des Angeklagten zur Entstehung der Blutspuren auf seiner Kleidung – er habe den Kopf des Geschädigten „nach dessen Auffinden hochgehoben“ (UA S. 14) – nicht zu widerlegen vermocht. Dass in der Wohnung und an dem Tonbandgerät nur Spuren des Geschädigten und des Angeklagten gesichert worden seien, vermittle nicht die Überzeugung von dessen Täterschaft. Gegen die Täterschaft spreche, dass ein „Motiv für ein derart brutales Vorgehen“ (UA S. 16) nicht zu erkennen sei und die Vorstrafen des Angeklagten mit dem hier vorliegenden Tatbild nicht korrespondierten.
8
2. Die durch die Schwurgerichtskammer vorgenommene Beweiswürdigung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
a) Das Revisionsgericht hat es grundsätzlich hinzunehmen, wenn das Tatgericht einen Angeklagten freispricht, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Rechtsfehlerhaft ist es auch, wenn sich das Tatgericht bei seiner Beweiswürdigung darauf beschränkt, die einzelnen Belastungsindizien gesondert zu erörtern und auf ihren jeweiligen Beweiswert zu prüfen, ohne eine Gesamtabwägung aller für und gegen die Täterschaft sprechenden Umstände vorzunehmen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt ferner, ob überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt worden sind (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 27. April 2010 – 1 StR 454/09, NStZ 2011, 108, 109, und vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 15).
10
b) Zwar hat das Landgericht vorliegend die den Angeklagten belastenden Indizien dargestellt und gewürdigt. Deren Bewertung genügt den vorstehenden Grundsätzen jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht.
11
aa) Die Schwurgerichtskammer hat ihrer Beweiswürdigung entlastende Angaben des Angeklagten zugrunde gelegt, ohne sie in ihrem Wahrheitsgehalt näher überprüft zu haben.
12
So spricht nach den Urteilsfeststellungen – trotz sogar denkbarer näherer Aufklärbarkeit durch als Zeugen gehörte Nachbarn – kein objektiver Umstand dafür, dass die Fingerabdruckspuren des Angeklagten an der Rückseite des als Schlagwerkzeug eingesetzten – nicht näher beschriebenen – Tonbandgeräts bei Besuchen des Angeklagten in der Wohnung des Geschädigten entstanden sind. Entsprechendes gilt für die vom Angeklagten herrührende Blutspur an der Wohnungseingangstür des Geschädigten, zumal der Angeklagte eine Verletzung bei einer Reparatur des Schließzylinders schon zeitlich nicht näher einzuordnen vermochte, ja nicht einmal mit Bestimmtheit sagen konnte, ob er sich bei der vorgeblichen Reparatur überhaupt und gegebenenfalls wie verletzt habe. Im Übrigen ist auch zu einer – gegebenenfalls hochgradig relevanten – tatnahen Handverletzung des An- geklagten im Urteil nichts festgestellt. In Bezug auf seine mit dem Blut des Geschädigten beschmierte Kleidung fehlt es an näheren Angaben zum Spurenbild , zum Verteidigungsvorbringen des Angeklagten und zur Konkordanz von beidem.
13
bb) Die Beweiswürdigung ist auch darüber hinaus lückenhaft. Zwar können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalls ab. Sind dabei – wie hier – erhebliche Belastungsindizien gegeben, muss das Tatgericht in seine Beweiswürdigung und deren Darlegung alle wesentlichen für und gegen den Angeklag- ten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen und im Gesamten betrachten (vgl. BGH, Urteile vom 22. Mai 2007 – 1 StR 582/06 – und vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, NStZ-RR 2002, 338 mwN; Brause NStZ-RR 2010, 329, 330 f.). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht:
14
(1) So führt die Schwurgerichtskammer aus, dass sie einer im Ermittlungs - und Hauptverfahren „möglicherweise wahrheitswidrig“ aufgestellten Behauptung des Angeklagten, sich mit einem auf dem Fußabtreter vorgefun- denen Wohnungsschlüssel Zutritt zur Wohnung verschafft zu haben, „kein besonderes Verdachtsmoment“ beimisst (UA S. 16). Sie unterlässt jedoch die bei der hier gegebenen Beweislage unerlässliche nähere Dokumentation früherer Einlassungen des Angeklagten zu sämtlichen belastenden Indiztatsachen (vgl. BGH, Urteile vom 16. August 1995 – 2 StR 94/95, BGHR StPO § 261 Einlassung 6, und vom 1. Februar 2011 – 1 StR 408/10 Rn. 26).
15
(2) Im Übrigen hätte im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung (vgl. auch BGH, Urteile vom 10. Dezember 1986 – 3 StR 500/86, und vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2 und Beweiswürdigung, unzureichende 20) namentlich Beachtung finden sollen , dass der vom Landgericht als nicht ausräumbar angesehene Alternativsachverhalt eines nächtlichen Wohnungseinbruchs – für den es zudem jenseits der Beschaffenheit der Wohnungseingangstür des Opfers keinen Anhalt gibt – durch einen unbekannten Dritten bei dem ersichtlich mittellosen Geschädigten genauso wenig lebensnah erscheint, wie ein nach den Angaben des Angeklagten gegen 2.00 Uhr erfolgtes Klopfen des Geschädigten am Fenster des Angeklagten, verbunden mit der ansatzlosen und dann nicht weiter ausgeführten Erwähnung einer Frau und eines „starken Mannes“ (UA S. 9). Sonstige Anhaltspunkte für eine Alternativtäterschaft werden im Urteil nicht erwogen.
16
cc) Die Beweiswürdigung begegnet schließlich insofern durchgreifenden Bedenken, als die Schwurgerichtskammer die Persönlichkeitsfremdheit der Tat und das Fehlen eines Tatmotivs als der Täterschaft des Angeklagten widerstreitende Umstände erachtet hat.
17
Die Bewertung, dass die den Verurteilungen des Angeklagten zugrunde liegenden Taten mit der hier angeklagten Tat „nicht vergleichbar“ seien, steht schon in Widerspruch zu den hierzu getroffenen Feststellungen. Die durch das Amtsgericht Görlitz abgeurteilte gefährliche Körperverletzung vom 20. September 2008 umfasste – wie an anderer Stelle der Urteilsgründe ausgeführt ist (UA S. 6) – Schläge „mit zwei Bierflaschen, von denen eine zerbrach“, auf deren Stirn und Hinterkopf.Hinzu kommt, dass sowohl durch die Verurteilung als auch für den Abend des hier gegenständlichen Geschehens Alkoholkonsum des Angeklagten festgestellt ist. Neigt dieser aber oh- nehin „zu aggressivem Verhalten, was auch durch Nichtigkeiten ausgelöst werden kann“ (UA S. 4), und liegt zudem eine alkoholbedingte Enthemmung vor, kann eine vermeintlich grundlos begangene Gewalthandlung nicht als außergewöhnlich bewertet werden. Dass eine – in den Details des Ablaufs ohnehin nicht mehr aufklärbare – Tat unter solchen Vorzeichen im Nachhinein für Dritte sinnlos erscheinen mag, deutet auch nicht schon an sich auf ein fehlendes Motiv hin. Darüber hinaus würde selbst ein rational nicht nachvollziehbares Handeln kein den Angeklagten maßgeblich entlastendes Indiz darstellen.
Basdorf Raum Schneider König Bellay

(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Therapiedauer und konkrete Erfolgsaussicht.
BGH, Urteil vom 10. April 2014 5 StR 37/14
LG Braunschweig
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 37/14
vom
10. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. April
2014, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 2. September 2013 dahin abgeändert, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.
Die Staatskasse hat die Kosten der Revision und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen einer Reihe von Vergehen nach dem Betäubungsmittel- und dem Arzneimittelgesetz sowie wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie Wertersatzverfall angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt im Ergebnis vertretene Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich allein gegen den Maßregelausspruch. Das Rechtsmittel ist begründet und führt zum Wegfall der Maßregel.

2
1. Das Landgericht hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen:
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a) Der 34-jährige Angeklagte konsumiert seit dem 14. Lebensjahr Cannabis sowie seit dem 17. Lebensjahr Kokain und ist in diesem Zusammenhang vielfach unter anderem mit Raubdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten. Erstmals 2005 nahm er eine stationäre Therapie auf, aus der er jedoch wegen eines Drogenrückfalls entlassen werden musste. Eine kurze Zeit später begonnene erneute stationäre Behandlung brach er ab. Aus zwei ambulanten Therapien im November 2005 und im August 2006 wurde er wegen Drogenrückfällen entlassen. Im Frühjahr 2007 scheiterte eine weitere Behandlung in einer Therapieeinrichtung , da sich Mitarbeiter und Patienten von ihm bedroht fühlten. Erstmals im Februar 2008 schloss er eine rund viermonatige ambulante Therapie regulär ab; im selben Jahr kam es jedoch wieder zu einem Rückfall. Nach einer erneuten ambulanten Therapie war er von Ende 2010 bis Anfang 2012 abstinent. Wegen des Verlusts seines Arbeitsplatzes begann er dann jedoch abermals mit dem täglichen Konsum von Kokain und Cannabis. Auch seine Festnahme im vorliegenden Verfahren und die spätere Außervollzugsetzung des Haftbefehls hielten ihn nicht davon ab, weiterhin Betäubungsmittel zu konsumieren und zu deren Beschaffung wiederum Straftaten zu begehen (UA S. 29).
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b) Sachverständig beraten hat die Strafkammer die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB bejaht. Auch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht (§ 64 Satz 2 StGB) sei gegeben. Der Angeklagte sei therapiemotiviert. Er sehe für sich selber das Erfordernis professioneller Unterstützung und habe als Therapieaufträge die Bearbeitung seiner Biografie und das Erreichen von Langzeit- lebenszielen wie das Fortführen seiner Ehe und das Erlangen eines Arbeitsplatzes formuliert. Trotz der Schwere einer bei ihm bestehenden dissozialen Persönlichkeitsstörung erscheine der Aufbau einer therapeutischen Beziehung „noch möglich“. Polytoxikomanie sowie hirnorganische Folgen des Drogen- missbrauchs seien nicht feststellbar. Die vom Sachverständigen prognostizierte Therapiedauer von „etwa vier bis fünf Jahren“ stehe der Annahme hinreichend konkreter Erfolgsaussicht nicht entgegen, weil dem Gesetz nicht zu entnehmen sei, dass Therapien von über zwei Jahren generell als aussichtslos einzustufen seien (UA S. 36 ff.).
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2. Die Beschränkung des Rechtsmittels ist wirksam. Anhaltspunkte dafür, dass die Strafe von der Maßregelanordnung beeinflusst sein könnte, ergeben sich nicht.
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3. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Feststellungen tragen nicht die Annahme des Landgerichts, es bestehe eine hinreichend konkrete Aussicht, den Angeklagten durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt zumindest eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in seinen Hang zu bewahren und von der Begehung auf seinen Hang zurückgehender erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten (§ 64 Satz 2 StGB).
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a) Bei dem seit frühester Jugend Betäubungsmittel konsumierenden Angeklagten ist eine Vielzahl von Therapieabbrüchen bzw. Rückfällen nach Absolvierung von Therapien zu verzeichnen (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 23. Oktober 1996 – 4 StR 473/96, NStZ-RR 1997, 131, 132; vom 21. Januar 2014 – 2 StR 650/13). Neben anderen Risikofaktoren (vgl. Schalast in Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 341) kommt als weiterer sehr ungünstiger Umstand hinzu, dass bei dem An- geklagten „primär“ eine dissoziale Persönlichkeitsstörung und (nur) „sekundär“ eine Abhängigkeit von Kokain und Cannabis besteht (UA S. 30), was die Erfolgsaussichten einer Entwöhnungsbehandlung weiter vermindert (vgl. Nedopil /Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 158; Querengässer u.a., RuP 2014, 21). Jedenfalls bei derart ungünstigen Ausgangsbedingungen besteht bei einer durch den Sachverständigen und ihm folgend die Strafkammer prognostizierten Therapiedauer von „etwa vier bis fünf Jahren, einschließlich einer Adaptationsphase“ (UA S. 36) keine tragfähige Basis für die erforderliche konkrete Therapieaussicht, deren Unsicherheit sich im Übrigen aus den Urteilsausführungen selbst (UA S. 37) erschließt. Einzig die Therapiemotivation des Angeklagten im Zeitpunkt der Hauptverhandlung lässt unter solchen Vorzeichen nicht hinreichend sicher (§ 64 Satz 2 StGB) auf einen erfolgreichen Verlauf im Sinne des Gesetzes schließen. Hinzu kommt, dass es angesichts der Höhe der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Dauer der anzurechnenden Untersuchungshaft kaum möglich wäre, die Therapie innerhalb der verlängerten Höchstfrist des § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB zu beenden (vgl. zu deren Berechnung van Gemmeren in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 64 Rn. 9). Hierzu haben die Prozessbeteiligten in der Revisionshauptverhandlung Stellung genommen; der Vertreter der Bundesanwaltschaft hat hierauf seinen Antrag maßgeblich gestützt.
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b) Da eine Bejahung der Voraussetzungen des § 64 Satz 2 StGB auf der Grundlage der Feststellungen sicher ausscheidet, führt die – gegen eine zusätzliche Belastung des Angeklagten gerichtete, ihn mithin aus Rechtsgründen begünstigende (§ 296 Abs. 2 StPO) – Revision der Staatsanwaltschaft zum Wegfall der Maßregel (vgl. zur Kostenfolge § 473 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGH, Urteil vom 20. September 2011 – 1 StR 120/11; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 473 Rn. 16).

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4. Bei dieser Sachlage braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob es an einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2 StGB im vorliegenden Fall bereits allein deshalb fehlt, weil die prognostizierte Therapiedauer zwei Jahre überschreitet (in diesem Sinne BGH, Urteile vom 11. März 2010 – 3 StR 538/09, JR 2010, 500; vom 20. Dezember 2012 – 3 StR 377/12, StV 2013, 698; vom 27. März 2013 – 2 StR 384/12, StV 2013, 698; vom 16. Januar 2014 – 4 StR 496/13; Beschlüsse vom 17. April 2012 – 3StR 65/12, BGHR StGB § 64 Abs. 2 Erfolgsaussicht 1; vom 17. Juli 2012 – 4 StR 223/12, StraFo 2012, 413; vom 8. August 2012 – 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7). Der Senat hält jedoch an seiner gegenteiligen Auffassung (BGH, Beschluss vom 6. Februar 1996 – 5 StR 16/96) fest; danach steht eine Behandlungsdauer von mehr als zwei Jahren einer konkreten Erfolgsaussicht jedenfalls nicht grundsätzlich entgegen. Eine strikte Begrenzung der Unterbringungsdauer auf zwei Jahre mit der Folge der generellen Aussichtslosigkeit bei absehbar eine längere Dauer erfordernden Unterbringungen lässt sich dem Gesetzwortlaut nicht entnehmen (vgl. van Gemmeren aaO Rn. 73 mwN). § 67d Abs. 1 Satz 1 StGB enthält gerade keine starre Beschränkung der Unterbringungsdauer; die Vorschrift ist vielmehr im Zusammenhang mit § 67d Abs. 1 Satz 3 StGB zu sehen, der ausdrücklich eine Verlängerung der Zweijahresfrist vorsieht. Eine solche Begrenzung lässt sich auch nicht mit systematischen Erwägungen begründen, findet in den Gesetzesmaterialien keinen Niederschlag (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 218, siehe auch BT-Drucks. V/4095, S. 33) und widerstreitet dem Gesetzeszweck, die Allgemeinheit bei Bedarf auch durch im Einzelfall zwei Jahre übersteigende Therapie vor gefährlichen Tätern zu schützen (vgl. dazu auch Trenckmann, JR 2010, 501). Insbesondere ergäben sich im Vorfeld und in Konkurrenz zu schwereren freiheitsentziehenden Maßregeln (§§ 63, 66 StGB) prinzipielle Sperren gegen unter Umständen konkret aussichtsreiche längere Entzugstherapien. Diese wären – gerade auch im Blick auf § 72 StGB – mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz schwerlich vereinbar und widersprächen in Fällen der Sicherungsverwahrung dem vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) initiierten gesetzlichen Konzept, Sicherungsverwahrung durch individuelle und intensive Therapie vermeidbar zu machen (vgl. § 66c Abs. 2 StGB).
Basdorf Sander Schneider
Dölp König