Bundesgerichtshof Urteil, 07. Feb. 2017 - 5 StR 483/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:070217U5STR483.16.0
bei uns veröffentlicht am07.02.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Für die Dauerhaftigkeit des Verlustes der Gebrauchsfähigkeit
eines Körperglieds kommt es grundsätzlich nicht darauf an, ob
das Opfer eine ihm mögliche medizinische Behandlung nicht
wahrgenommen hat.
BGH, Urteil vom 7. Februar 2017 – 5 StR 483/16
LG Chemnitz –
ECLI:DE:BGH:2017:070217U5STR483.16.0
IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 5 StR 483/16
vom 7. Februar 2017 in der Strafsache gegen

wegen schwerer Körperverletzung u.a.

ECLI:DE:BGH:2017:070217U5STR483.16.0
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 7. Februar 2017, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider, Richter Dölp, Richter Prof. Dr. König, Richter Dr. Berger
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt H.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt B.
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 9. Juni 2016 wird verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung
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in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung von Geldstrafen aus amtsgerichtlichen Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Der Angeklagte revidiert mit der Sachrüge gegen die Verurteilung; seine Revision ist unbegründet. Die zu Lasten des Angeklagten eingelegte, ebenfalls auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, ist demgegenüber innerhalb ihrer Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch erfolgreich.

I.


1. Das Landgericht hat festgestellt:
2
Der Angeklagte und der Nebenkläger bewohnten gemeinsam ein Zimmer
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in einem Asylbewerberheim. Das Verhältnis zwischen ihnen verschlechterte sich, weil der Angeklagte während einer Haftzeit des Nebenklägers dessen Freundin „nachstellte“. Deshalb zog der Nebenkläger nach seiner Entlassung am 6. Juni 2013 aus dem Zimmer aus, stellte den Angeklagten jedoch bei Zusammentreffen immer wieder in aggressiver Weise zur Rede.
Am 26. Juni 2013 begab sich der Nebenkläger abends mit einem Be4 kannten in das Asylbewerberheim zum Zimmer des Angeklagten, wo sich dieser mit seinem neuen Mitbewohner aufhielt. Der Nebenkläger wollte ein ihm gehörendes Antennenkabel mitnehmen, als der Angeklagte gerade fernsah. „Vordergründig“ deswegen kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung (UA S. 9). Der Nebenkläger sagte zum Angeklagten: „Ich ficke Deine Mutter“. Dann schlug er ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Daraufhin hieb der Angeklagte dem Nebenkläger eine Fernbedienung kräftig auf den Mund. Der Begleiter des Nebenklägers und der Mitbewohner des Angeklagten trennten die Streitenden. Während sich der Nebenkläger auf den Gang vor dem Zimmer begab, ergriff der Angeklagte ein Küchenmesser. Er folgte dem Nebenkläger und schlug mit
dem Messer mehrere Male in Richtung seines Kopfes und Halses. Dieser hob zur Abwehr seine Hände und wurde dort durch das Messer getroffen. Er zog sich während des Angriffs in die Gemeinschaftsküche der Etage zurück. Als er den Angeklagten fragte: „Hast du genug, willst du aufhören oder weitermachen ?“, ließ dieser sein Messer fallen und trat zur Seite, so dass der Nebenklä- ger die Küche verlassen konnte.
Durch den Schlag mit der Fernbedienung erlitt der Nebenkläger einen
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Bruch des Oberkiefers mit Lockerung mehrerer Zähne sowie Verlust zweier weiterer Zähne im Frontbereich des Unterkiefers. Aufgrund der Messerhiebe kam es unter anderem zu Schnittverletzungen an seiner linken Hand mit Durchtrennungen aller Beugesehnen von vier Fingern einschließlich der Nerven und zu einer potentiell lebensgefährlichen Schlagaderverletzung. Der Nebenkläger musste sich einer Notoperation unterziehen. Wegen der Verletzungen ist ihm ein Faustschluss der linken Hand unmöglich, ebenso ein vollständiges Strecken der betroffenen Finger. Bei Kälte sowie bei schnellen Greifbewegungen und beim Tragen von schwereren Lasten leidet er unter stromstoßartigen Schmerzen des linken Arms. Nach den im Urteil wiedergegebenen Ausführungen des medizinischen Sachverständigen, die das Landgericht den Feststellungen zugrunde gelegt hat, ist die linke Hand weitgehend gebrauchsunfähig. Eine wesentliche Besserung ist nicht mehr zu erwarten. Allerdings sind die Bewegungseinschränkungen der Finger zu einem Teil darauf zurückzuführen, dass er auf die erforderliche Nachsorge seiner Verletzungen verzichtete. Die neuround handchirurgischen Konsultationen, die nach Auffassung des Erstoperateurs erfolgen sollten, hat er ebenso wenig durchführen lassen wie die angeratene Physiotherapie. Bei „ordentlicher Physiotherapie und Revision“ wäre die Ein- schränkung der Bewegungsmöglichkeit deutlich geringer gewesen (UA S. 20).
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2. Das Landgericht hat eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB) angenommen, da der Nebenkläger die Finger der linken Hand dauernd nicht mehr gebrauchen könne. Bei der Strafzumessung hat es einen minder schweren Fall der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 3 StGB bejaht, weil die Tat durch eine Provokation vonseiten des Nebenklägers veranlasst worden sei. Aus demselben Grund ist es auch von einem minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Alt. 2 StGB ausgegangen.
Bei der konkreten Strafzumessung hat die Schwurgerichtskammer zu7 gunsten des Angeklagten unter anderem „die vorangegangene Provokation und Beleidigung“, das „unberechtigte Eindringen in sein Zimmer“ und den Umstand gewertet, dass die Tat lange zurückliege. Als strafschärfend hat sie gewürdigt, dass der Nebenkläger seinen Beruf als Friseur nicht mehr ausüben könne. Da- bei hat sie einschränkend berücksichtigt, „dass die Folgen in ihrer heutigen konkreten Ausprägung zu einem Teil auf die mangelnde Mitwirkung des Geschädigten bei der Nachsorge und Physiotherapie zurückzuführen sind“ (UA S. 21 f.).

II.


Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
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1. Die Feststellungen rechtfertigen die Anwendung des § 226 Abs. 1
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Nr. 2 Alt. 2 StGB.

a) Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Glied im Sinne des § 226 Abs. 1
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Nr. 2 StGB nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob die vorsätzliche Körperverletzung den Ausfall so vieler Funktionen verursacht hat, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlusts entsprechen; ein völliger Funktionsverlust des betroffenen Körperglieds ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteile vom 15. März 2007 – 4 StR 522/06, BGHSt 51, 252, 257; vom 6. November 2008 – 4 StR 375/08 Rn. 9; Beschluss vom 15. Januar 2014 – 4 StR 509/13, NStZ 2014, 213, jeweils mwN). Nach diesen Maßgaben ist gegen die Auffassung des Landgerichts, die weitgehende Unbrauchbarkeit nicht nur der betroffenen Finger, sondern der gesamten linken Hand des Nebenklägers unterfalle § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB, rechtlich nichts zu erinnern.

b) Unzweifelhaft hat sich, was bei § 226 StGB wie im Rahmen des § 227
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StGB erforderlich ist (vgl. Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 226 Rn. 1), in der schweren Folge die den Schlägen mit dem Messer innewohnende Gefahr verwirklicht. Für deren Vorhersehbarkeit ist auf die konkrete Lage sowie die persönlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Täters abzustellen; lag der Erfolg aus dieser Sicht außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit, kann er dem Täter nicht zugerechnet werden (vgl. jeweils zu § 227 StGB, BGH, Urteile vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21; vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11, NJW 2012, 2453 mwN).
Daran gemessen konnte der Angeklagte den Eintritt der qualifizierenden
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Folge absehen. Die Gefahr, dass sich der Nebenkläger gegen die auf Hals und Kopf gerichteten heftigen Messerschläge mit den Händen schützen und hieran schwerwiegende Verletzungen erleiden würde, war für ihn offensichtlich. An der Vorhersehbarkeit vermag auch eine „Mitverursachung“ eines Teils der Bewe- gungseinschränkungen durch den Verzicht des Nebenklägers auf Nachbehand- lungen nichts zu ändern. Denn ein aus ärztlicher Sicht womöglich unvernünftiges Verhalten eines Geschädigten nach gravierender Verletzung liegt – zumal angesichts der dem Angeklagten bekannten sozialen Lebensumstände des Nebenklägers – nicht außerhalb jeder Erfahrung (vgl. zur Körperverletzung mit Todesfolge BGH, Urteil vom 9. März 1994 – 3 StR 711/93, NStZ 1994, 394; Beschluss vom 8. März 2000 – 3 StR 69/00).

c) Nicht geprüft hat das Landgericht, ob es aus dem vorgenannten Grund
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etwa am Zurechnungszusammenhang in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal der „dauernden“ Gebrauchsunfähigkeit fehlen könnte. Darin ist indessen entge- gen der Auffassung des Generalbundesanwalts kein Rechtsfehler zu erblicken.
aa) Allerdings wird im Schrifttum die Meinung vertreten, dass die Dauer14 haftigkeit bzw. „Langwierigkeit“ der schweren Folgedem Täter nicht zugerechnet werden kann, wenn deren Beseitigung oder Abmilderung dem Opfer machbar und zumutbar gewesen wäre (eingehend MüKo-StGB/Hardtung, 2. Aufl., § 226 Rn. 42; siehe auch Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 226 Rn. 5; LK-StGB/Hirsch, 11. Aufl., § 226 Rn. 17). Als Kriterien der anzustellenden wertenden Abwägung werden dabei namentlich die Erfolgsaussicht von (Folge-)Operationen und die damit verbundenen Risiken genannt; gegen die Zumutbarkeit könne es sprechen, wenn dem Opfer eine Finanzierung der erforderlichen ärztlichen Maßnahmen auch mit materieller Unterstützung Dritter nicht möglich sei (vgl. MüKo-StGB/Hardtung, aaO; insoweit kritisch Stree/Sternberg-Lieben, aaO, § 226 Rn. 1a).
bb) Der Senat vermag dieser Ansicht nicht zu folgen. Er sieht sich dabei
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in grundsätzlicher Übereinstimmung mit bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteile vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, BGHSt 17, 161, 164 f.; vom 8. November 1966 – 1 StR 450/66, NJW 1967, 297, 298; offen gelassen im Urteil vom 29. Februar 1972 – 5 StR 400/71, BGHSt 24, 315, 318; siehe aber auch – nicht tragend – BGH, Beschluss vom 8.Juli 2008 – 3 StR 190/08, NStZ 2009, 92, 93 [zu § 227 StGB]).
(1) Die erhöhte Strafdrohung des § 226 StGB ist an das Ausmaß der
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vom Täter schuldhaft hervorgerufenen Rechtsgutsverletzung geknüpft. Für dessen Beurteilung ist im Grundsatz der Zeitpunkt des Urteils maßgebend (Stree/Sternberg-Lieben, aaO, § 226 Rn. 5). Die dem Angeklagten vorhersehbare Dauerhaftigkeit des Funktionsverlusts der linken Hand des Nebenklägers beruht vorliegend auf der Verletzungshandlung des Angeklagten, der ihm mit seinem Messerangriff die Beugesehnen und die Nerven von vier Fingern durchtrennt hat. Die Körperverletzung muss nicht die ausschließliche Ursache des nicht wiedergutzumachenden Schadens sein (vgl. RGSt 27, 80). Danach ist der Tatbestand des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB vollständig verwirklicht.
(2) Dass der Verletzte eine medizinische Behandlung zur Beseitigung
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oder Abmilderung der eingetretenen Beeinträchtigungen unterlässt, kann nicht dazu führen, diese vom Täter herbeigeführte gravierende Folge als Gradmesser seiner Strafwürdigkeit auszugrenzen (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, aaO). Das imAnwendungsbereich des § 226 StGB ohnehin stets außerordentlich schwer getroffene Opfer wird – hier nicht gegebene extrem gelagerte Konstellationen etwa der Böswilligkeit ausgenommen – in aller Regel aus Tätersicht nicht zu hinterfragende Gründe haben, weitere Behandlungen nicht auf sich zu nehmen, selbst wenn diese nach ärztlicher Beurteilung sinnvoll wären. Zu nennen ist insbesondere die Furcht vor den mit jeder (Folge-)Operation verbundenen Risiken und Leiden oder auch nur vor schmerzhaften Nachbehandlungen. Es würde jeglichem Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, über den Gedanken der Zurechnung eine Art Obliegenheit des Opfers zu konstruieren, sich ungeachtet dessen aus übergeordneter Sicht „zumutbaren“ (Folge-)Operationen und anderen beschwerlichen Heilmaßnah- men zu unterziehen, um dem Täter eine höhere Strafe zu ersparen (vgl. auch BGH, aaO; RGSt 27, 80). Darüber hinaus würde dem irreversibel geschädigten Opfer gegebenenfalls durch Gerichtsurteil bescheinigt, es sei gar nicht auf Dauer beeinträchtigt (vgl. Stree/Sternberg-Lieben, aaO, § 226 Rn. 1a).
(3) Hinzu kommt, dass die durch das Schrifttum angeführten Kriterien für
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die anzustellende wertende Betrachtung „vage“ sind (in diesem Sinne auch MüKo-StGB/Hardtung, aaO). Dementsprechend ist kein überzeugender rechtlicher Maßstab vorhanden, anhand dessen Risiken und Qualen sowie sonstige Beschwerlichkeiten gewichtet und dem Opfer dann „zugemutet“ werden könn- ten. Es kann in diesem Rahmen auch nicht Aufgabe der Strafjustiz sein, die ihrerseits zumeist durch viele Faktoren bedingten Motive zu bewerten, die ein Opfer von der Durchführung einer weiteren medizinischen Behandlung abgehalten haben. Der Senat hatte mehrfach über Fälle zu entscheiden, in denen Schwerstverletzte im Zeitpunkt der Hauptverhandlung bereits eine Vielzahl von Operationen über sich hatten ergehen lassen müssen. Es ist nicht ersichtlich, wie mithilfe des Kriteriums der „Zumutbarkeit“ entschieden werden könnte, ob dem hiervon erschöpften Opfer noch eine weitere Operation aufzugeben gewesen wäre, weil sie dessen Zustand nach sachverständiger Beurteilung so weit verbessert hätte, dass der von § 226 Abs. 1 StGB geforderte Schweregrad gerade nicht mehr erreicht wäre. Stellt man im Rahmen der Zumutbarkeitsbetrachtung ferner auf die Finanzierbarkeit der dem Opfer angesonnenen Behandlun- gen ab und gibt ihm insoweit gar eine „vernünftige“ Verwendung etwa vorhan- dener eigener Mittel vor (so MüKo-StGB/Hardtung, aaO), wäre die Entscheidung endgültig dem Zufall preisgegeben (vgl. auch BGH, Urteil vom 2. März 1962 – 4 StR 536/61, aaO). Die im Schrifttum befürwortete Anschauung ist danach geeignet, die Bestimmtheit der Strafdrohung (Art. 103 Abs. 2 GG, §§ 1, 2 StGB) durchgreifend in Frage zu stellen.
2. Die tateinheitliche Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung
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kann bestehen bleiben. Der Angeklagte hat eine schwere Körperverletzung (§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB) sowie eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen. Zumindest in dieser Begehungsform steht die gefährliche Körperverletzung zur schweren Körperverletzung in Tateinheit, denn die schwere Folge des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wird weder notwendig noch regelmäßig durch eine das Leben (abstrakt) gefährdende Handlung bewirkt (BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 408/08, BGHSt 53, 23, 24).
3. Die Strafzumessung lässt keinen Rechtsfehler zulasten des Angeklag20 ten erkennen. Insbesondere hat das Landgericht hier die „Mitverursachung“ der schweren Folge durch den Nebenkläger strafmildernd in die Abwägung eingestellt.

III.


Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Straf21 ausspruchs. Die von der Schwurgerichtskammer vorgenommene Strafzumessung weist bereits bei der Strafrahmenwahl einen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
Die Schwurgerichtskammer hat die Annahme eines minder schweren
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Falls der schweren und der gefährlichen Körperverletzung unter Hinweis auf die vom Nebenkläger vor der Tat ausgehende Provokation begründet und sich dabei der Sache nach zutreffend auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gestützt. Danach ist ein minder schwerer Fall der schweren und gefährlichen Körperverletzung regelmäßig anzunehmen, wenn der Angeklagte zu der Tat durch eine grundlose schwerwiegende Provokation veranlasst worden ist, die im Falle der Annahme eines (versuchten) Totschlags zwingend zu einer Strafrahmenmilderung nach § 213 Alt. 1 StGB hätte führen müssen (BGH, Beschluss vom 10. August 2004 – 3 StR 263/04, StV 2004, 654; Urteil vom 17. März 2011 – 5 StR 4/11, StraFo 2012, 24, jeweils mwN).
Jedoch ergibt sich der für den Tatbestand § 213 Alt. 1 StGB erforderliche
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Zusammenhang zwischen Provokation und Tat („hierdurch“) aus den Urteils- gründen nicht. Danach war der Angeklagte, der vom Nebenkläger immer wieder wegen des Vorfalls angegangen wurde, „entschlossen, diese Sache mit dem Geschädigten an diesem Tage «ein für alle Mal zu klären»“ (UA S. 20) und ver- folgte den bereits erheblich verletzten Nebenkläger, der im Zeitpunkt des Messerangriffs schon gewichen war und das Zimmer des Angeklagten verlassen hatte. Das legt nahe, dass einem Zorn des Angeklagten über die Beleidigung oder die ihm zugefügte körperliche Misshandlung keine tatauslösende Bedeutung mindestens in Bezug auf die Schläge mit dem Messer zugekommen ist (hierzu LK-StGB/Jähnke, aaO, § 213 Rn. 11 mwN). Weil sich das Landgericht hiermit nicht erkennbar befasst hat, begegnet die Wahl des Strafrahmens durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Damit ist dem gesamten Strafausspruch die Grundlage entzogen.

IV.


1. Die Sache bedarf daher zum Strafausspruch neuer Verhandlung und
24
Entscheidung. Da ein Tötungsdelikt gemäß § 74 Abs. 2 GVG nicht mehr inmitten steht, verweist der Senat die Sache an eine allgemeine Strafkammer zurück.
25
2. Für die durchzuführende Hauptverhandlung ist auf Folgendes hinzuweisen :
a) Sollte das neue Tatgericht abermals zur Annahme des § 213 Alt. 1
26
StGB gelangen, so würde eine nochmalige strafmildernde Berücksichtigung der Provokation des Nebenklägers ausscheiden. Zwar können und müssen die nach Art und Maß unterschiedlichen konkreten Umstände, die zu einer Milderung des Strafrahmens geführt haben, mit ihrem verbleibenden Gewicht bei der Strafhöhenbemessung berücksichtigt werden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juli 1984 – 1 StR 330/84, NStZ 1984, 548; Beschlüsse vom 24. März 1976 – 2StR 101/76, BGHSt 26, 311, 312; vom 8. April 1987 – 2 StR 91/87; vom 9. Dezember 1992 – 2 StR 535/92, BGHR StGB § 50 Strafhöhenbemessung 2 und 5). Der die Milderung des Strafrahmens bewirkende Grund als solcher scheidet allerdings insoweit aus (BGH, Beschluss vom 27. Juli 1987 – 3StR 308/87; Urteil vom 6. September 1989 – 2 StR 353/89, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Gesamtbewertung 2 und 5).

b) Den Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen sich keine Hin27 weise auf ein von der Schwurgerichtskammer strafmildernd gewertetes „unbe- rechtigtes Eindringen“ des Nebenklägers in das Zimmer des Angeklagten ent- nehmen.

c) Bei der Bildung der Gesamtstrafe wird auch die vom Amtsgericht Frei28 berg im Urteil vom 20. November 2014 verhängte Einzelfreiheitsstrafe für die Tat vom 19. November 2012 einzubeziehen sein. Denn die vorliegend zu beurteilende Tat wurde – was entgegen der Sichtweise des Landgerichts (UA S. 23) allein maßgebend ist – vor dem 20. November 2014 begangen. Den früheren Urteilen der Amtsgerichte Freiberg und Dresden kommt dabei wegen deren vollständiger Erledigung keine Zäsurwirkung (mehr) zu (vgl. Schä-
fer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1247; Sander NStZ 2016, 584, 588).
Sander Schneider Dölp
König Berger

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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

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Strafgesetzbuch - StGB | § 1 Keine Strafe ohne Gesetz


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Strafgesetzbuch - StGB | § 50 Zusammentreffen von Milderungsgründen


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(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 522/06
vom
15. März 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
____________________
Bei Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2
StGB wichtig ist, sind auch individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte
körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen.
BGH, Urteil vom 15. März 2007 - 4 StR 522/06 - Landgericht Saarbrücken
in der Strafsache
gegen
wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. März
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 5. Mai 2006, soweit es den Angeklagten B. betrifft,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der absichtlichen schweren Körperverletzung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Staatsanwaltschaft stützt ihr zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, auf die Sachrüge und erstrebt eine Verurteilung wegen absichtlicher oder wissentlicher schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 StGB.
2
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Die Revision des Angeklagten ist hingegen unbegründet.

I.


3
1. Nach den Feststellungen kamen der Angeklagte und der Mitangeklagte Bi. überein, Safder S. zu verprügeln und ihm auf diese Weise einen Denkzettel zu verpassen, weil er im Verdacht stand, das Patenkind des Mitangeklagten sexuell missbraucht zu haben. Sie lockten S. deshalb mit seinem Fahrzeug an eine abgelegene Stelle, zogen ihn dort aus seinem Pkw heraus, brachten ihn zu Boden und schlugen und traten zunächst auf ihn ein. Sodann fixierten sie die rechte Hand S. s durch Festhalten seines Unterarms so, dass die Hand flach auf dem asphaltierten Boden lag. Der Angeklagte schlug daraufhin mit einem scharfen Gipserbeil mehrfach und mit erheblicher Wucht gezielt auf die zu Boden gedrückte Hand des Tatopfers. Er trennte S. zwei Glieder des rechten Mittelfingers vollständig, den Zeige- und Ringfinger der rechten Hand nahezu vollständig ab. Während die Verletzung am Ringfinger folgenlos ausheilte, musste der Zeigefinger versteift werden und ist seither im Mittelgelenk nicht mehr beweglich. S. kann deshalb seine Faust nicht mehr schließen. Es ist ein erheblicher Kraftverlust in der rechten Hand eingetreten, ihre Funktionsfähigkeit ist erheblich eingeschränkt. S. ist verletzungsbedingt eine Minderung seiner Erwerbsfähigkeit in Höhe von 20 % zuerkannt worden.
4
2. Das Landgericht hat den Angeklagten (nur) wegen gefährlicher Körperverletzung für schuldig befunden, da er die Tat gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten Bi. (§ 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) und - in Form eines Mittäterexzesses - mittels eines gefährlichen Werkzeugs (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begangen hat. Die Voraussetzungen einer (absichtlichen oder wissentlichen) schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 2, (Abs. 2) StGB hat es indes in objektiver Hinsicht nicht für gegeben erachtet. Die Abtrennung lediglich der ersten beiden Glieder des rechten Mittelfingers stelle keinen Verlust eines wichtigen Körpergliedes im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar. Die Versteifung des rechten Zeigefingers habe keine dauernde Unbrauchbarkeit im Sinne dieser Vorschrift zur Folge, da dem Finger "die ihm im sozialen Leben zugewiesene Zeigefunktion" erhalten geblieben sei. Schließlich sei auch durch die Verletzung beider Finger die Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand nicht insgesamt aufgehoben, sondern nur erheblich eingeschränkt.

II.


5
Die Revision der Staatsanwaltschaft
6
1. Die Begründung, mit welcher das Landgericht die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen einer schweren Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB abgelehnt hat, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, dass die Strafkammer ihrer Wertung, die Versteifung des rechten Zeigefingers stelle keine dauernde Gebrauchsunfä- higkeit eines wichtigen Körpergliedes dar, einen zu engen Maßstab zu Grunde gelegt hat.
7
a) Der Zeigefinger der rechten Hand stellt, was das Landgericht letztlich offen gelassen hat, unter den hier gegebenen Umständen ein wichtiges Glied des Körpers im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB dar.
8
aa) Die Rechtsfrage, ob ein Körperglied im Sinne dieser Vorschrift "wichtig" ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Das Reichsgericht hat die Wichtigkeit eines Körperglieds rein abstrakt und generalisierend danach bestimmt , ob dessen Verlust "für jeden normalen Menschen eine wesentliche Beeinträchtigung des gesamten Körpers in seinen regelmäßigen Verrichtungen" bedeutet. Es hat also allein darauf abgestellt, welche Bedeutung das Körperglied für den Menschen überhaupt hat, unabhängig von den individuellen Besonderheiten des Verletzten (vgl. RGSt 6, 346, 347; 62, 161, 162; 64, 201, 202; RG GA Bd. 47 (1900), 168; Bd. 52 (1905), 91). Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof im Grundsatz fortgeführt (ebenso vgl. Paeffgen in NK-StGB 2. Aufl. § 226 Rdn. 29). So hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. Mai 1953 (MDR bei Dallinger 1953, 597) ausgeführt, der Zeigefinger der rechten Hand sei ein wichtiges Körperglied, da sein Verlust eine erhebliche Beeinträchtigung der Lebensführung "für jedermann" bedeute. Eine etwas differenzierendere Betrachtung findet sich in der Entscheidung des 5. Strafsenats in NJW 1991, 990, wonach jedenfalls bei dem Verlust eines Fingers das Tatbestandsmerkmal nur dann zu bejahen sei, wenn "zusätzliche Umstände" festgestellt werden können.
9
Demgegenüber beurteilt ein Teil des Schrifttums die Wichtigkeit eines Körpergliedes maßgeblich nach der Individualität des Tatopfers, namentlich nach seinen beruflichen Verhältnissen (Stree in Schönke/Schröder 27. Aufl. § 226 Rdn. 2; Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 226 Rdn. 3). Hierfür wird ausgeführt , dass die Bedeutung bestimmter Körperglieder und damit das Gewicht ihres Verlustes bei einzelnen Personen (z.B. ein Finger bei einem Berufspianisten ) größer als im Normalfall sein kann. Eine andere Meinung stellt unter Bezug auf den Schutzzweck der Norm auf die individuelle Wichtigkeit des Körpergliedes für die generellen körperlichen Mindestfähigkeiten ab. Danach sollen bei der Beurteilung der Wichtigkeit eines Körpergliedes zwar berufliche, soziale oder private Sonderfähigkeiten oder Interessen des Tatopfers außer Acht bleiben , hingegen dessen individuelle Körpereigenschaften bzw. körperliche Besonderheiten Berücksichtigung finden (Hardtung in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 27; Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 15; Horn/Wolters in SK § 226 Rdn. 10).
10
bb) Der Senat hält mit der Literatur die Auslegung, die das Tatbestandsmerkmal der "Wichtigkeit" eines Körperglieds durch das Reichsgericht erfahren hat, für zu eng und nicht mehr zeitgemäß. Er ist der Auffassung, dass bei Beurteilung der Frage, ob ein Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB wichtig ist, auch individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte körperliche (Vor-)Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen sind.
11
Einer solchen Auslegung des Tatbestandsmerkmals stehen weder der Wortlaut des Gesetzes noch tragende Rechtsprechung anderer Senate des Bundesgerichtshofs entgegen. Soweit eigene Rechtsprechung des Senats (MDR bei Dallinger 1953, 597) entgegensteht, wird diese aufgegeben.
12
§ 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein konkretes Verletzungsdelikt, dessen Erfolg auch von der jeweiligen körperlichen Beschaffenheit des Tatopfers ab- hängt. So hat ein Finger der linken Hand naturgemäß für einen Linkshänder eine größere Bedeutung als für einen Rechtshänder. Für einen Menschen ohne Hände, etwa infolge einer körperlichen Behinderung, der gelernt hat, seine Zehen als Fingerersatz einzusetzen, sind diese Zehen für das Hantieren ebenso wichtig wie die Finger für einen nicht behinderten Menschen (vgl. Hardtung in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 27). Solche dauerhaften körperlichen Besonderheiten eines Tatopfers bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals der Wichtigkeit eines Körperglieds entsprechend der vom Reichsgericht entwickelten Rechtsprechung gänzlich außer Acht zu lassen, widerspräche dem heutigen Verständnis eines gleichberechtigten Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit.
13
cc) Hiervon ausgehend ist im vorliegenden Fall der Zeigefinger der rechten Hand des Tatopfers ein wichtiges Körperglied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB und zwar unabhängig davon, ob - was sich aus dem Urteil nicht zweifelsfrei ergibt - der Verletzte Rechts- oder Linkshänder ist. Es ist nämlich auf die Besonderheit Bedacht zu nehmen, dass dem Opfer durch die Tat auch dessen rechter Mittelfinger teilweise abgetrennt wurde, sich die Verletzung mithin besonders schwerwiegend für das Tatopfer ausgewirkt hat, weil die durch die Versteifung des Zeigefingers eingetretenen Funktionsverluste nicht einmal teilweise durch den Mittelfinger übernommen werden können.
14
b) Entgegen der Auffassung des Landgerichts hat die verletzungsbedingte Versteifung auch zu einer dauernden Gebrauchsunfähigkeit des rechten Zeigefingers geführt.
15
Konnte nach der ständigen Rechtsprechung zu der Gesetzesfassung des § 224 Abs. 1 StGB a.F. nur der physische Verlust eines wichtigen Körperglie- des, nicht aber lediglich die Verminderung oder Aufhebung der Gebrauchsfähigkeit dieses Gliedes den Tatbestand der schweren Körperverletzung begründen (vgl. BGH NJW 1988, 2622; BGH StV 1992, 115), so ist seit Inkrafttreten des 6. Strafrechtsreformgesetzes in § 226 Abs. 1 Nr. 2 2. Alt. StGB die dauernde Gebrauchsunfähigkeit dem Verlust eines Körpergliedes gleichgestellt. Entgegen der Auffassung des Landgerichts setzt die dauernde Gebrauchsunfähigkeit jedoch keinen völligen, in jeder Hinsicht gegebenen Funktionsverlust des betroffenen Körpergliedes voraus. Eine so enge Auslegung entspräche weder dem Sinn des Gesetzes noch dem Willen des Gesetzgebers, der von der neu geschaffenen Tatbestandsalternative ausdrücklich jene von der Rechtsprechung nicht unter § 224 Abs. 1 StGB a.F. subsumierten Fälle der verletzungsbedingten Versteifung eines wichtigen Körpergliedes (BGH NJW 1988, 2622) erfasst sehen wollte (BTDrucks. 13/9064, S. 16). Bei einem "nur" durch Versteifung beeinträchtigten Körperglied wird jedoch zumeist irgendeine Funktion erhalten bleiben. Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Körperglied dauernd nicht mehr gebraucht werden kann, ist deshalb im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlusts entsprechen (vgl. Rengier in ZStW 111 (1999), 1, 15 f.; im Ergebnis ebenso Horn/Wolters in SK § 226 Rdn. 11, Hardtung in MünchKomm StGB § 226 Rdn. 30).
16
Dies zu Grunde gelegt, hat die festgestellte Versteifung des Zeigefingers der rechten Hand des Tatopfers entgegen der Auffassung des Landgerichts eine dauernde Unbrauchbarkeit dieses (wichtigen) Körpergliedes zur Folge (ebenso Horn/Wolters aaO). Wie der physische Verlust dieses Fingers führt dessen Versteifung zu einer - von der Strafkammer bei ihrer Abwägung gänz- lich außer Acht gelassenen - massiven Einschränkung sowohl beim Greifen als auch beim Halten und Arbeiten. Gerade durch den sog. "Pinzetten-Griff" des Daumens und des Zeigefingers wird die menschliche Handgeschicklichkeit ganz entscheidend geprägt (vgl. RGSt 6, 346, 348; Paeffgen in NK-StGB 2. Aufl. § 226 Rdn. 29). Gegenüber dieser besonderen Bedeutung des Zeigefingers für alle Greiftätigkeiten tritt die aufrechterhalten gebliebene "Zeigefunktion" dieses Fingers in den Hintergrund.
17
2. Der Senat kann den Schuldspruch selbst ändern. Die vollständig und rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen eine Verurteilung wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB nicht nur in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht. Das Landgericht ist auf der Grundlage rechtlich beanstandungsfreier Erwägungen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte dem Tatopfer absichtlich die schwere Tatfolge beigebracht hat. Die Annahme absichtlichen Handelns im Sinne des § 226 Abs. 2 StGB war im Hinblick auf das Vorgehen des Angeklagten, der, ein Widerlager ausnutzend, mit einem scharfen Beil mehrfach kräftig auf die Finger der fixierten Hand des Tatopfers schlug, nicht nur möglich, sondern nahe liegend.
18
§ 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen, da der Angeklagte wegen wissentlicher oder absichtlicher schwerer Körperverletzung angeklagt war.
19
3. Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Obwohl das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung den einer absichtlichen schweren Körperverletzung entsprechenden Schuldumfang zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt hat, kann der Senat in Anbetracht des höheren Strafrahmens des § 226 Abs. 2 StGB nicht mit letzter Sicherheit ausschließen , dass die Strafkammer bei Zugrundelegung des geänderten Schuldspruchs auf eine höhere Strafe erkannt hätte.

III.


20
Die Revision des Angeklagten
21
Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Tepperwien Kuckein Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible
9
Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Glied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlustes entsprechen (BGHSt 51, 252, 257 m.w.N.).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 509/13
vom
15. Januar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. Januar 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 3. April 2013 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte im Fall 2 der Urteilsgründe der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Führen einer verbotenen Schusswaffe und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe schuldig ist.
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall 3 der Urteilsgründe), wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit Führen einer verbotenen Schusswaffe und unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe (Fall 2 der Urteilsgründe), wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe und Patronenmunition (Fall 4 der Urteilsgründe) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall 1 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten führt zur Schuldspruchänderung im Fall 2 der Urteilsgründe; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen zu Fall 2 der Urteilsgründe schoss der Angeklagte dem Nebenkläger am 20. Juni 2011 mit einer mit Schrotpatronen geladenen Pumpgun aus einem Meter Entfernung in dessen rechtes Knie. Der Geschädigte befand sich wegen der erlittenen Schussverletzung mehr als zwei Monate lang in stationärer Behandlung. Er wurde zwölfmal operiert, zuletzt im Sommer 2012. Seit der letzten Operation kann der Geschädigte erstmals seit der Tat wieder ohne Unterarmgehstützen gehen. Infolge der Schussverletzung ist das rechte Knie dauerhaft geschädigt. Es besteht ein Muskeldefizit rechts sowie eine Beugehemmung von 60 Grad. Außerdem liegt eine Instabilität vor, die muskulär nur teilweise kompensiert werden kann, so dass in Zukunft mit dem Auftreten einer Arthrose im rechten Kniegelenk zu rechnen ist, die eine Knieprothese notwendig machen wird. Dem Geschädigten werden dauerhaft keine schweren körperlichen Belastungen, sondern nur sitzende Tätigkeiten möglich sein. Es besteht eine Minderung der Erwerbstätigkeit von 30 %.
3
2. Für die Beurteilung, ob ein wichtiges Glied im Sinne des § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht mehr gebraucht werden kann, ist im Wege einer wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob als Folge der vorsätzlichen Körperverletzung so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines physischen Verlustes entsprechen (BGH, Urteile vom 15. März 2007 – 4 StR 522/06, BGHSt 51, 252, 257 mwN und vom 6. November 2008 – 4 StR 375/08 Rn. 9).
4
Diese strengen Voraussetzungen sind nach den Urteilsfeststellungen nicht erfüllt. Die dort genannten gesundheitlichen Folgen der Tat für den Nebenkläger stellen für ihn zwar eine erhebliche Gebrauchsbeeinträchtigung dar, da er das Knie nur eingeschränkt beugen kann und ihm schwere körperliche Belastungen dauerhaft nicht möglich sein werden. Diese erheblichen Beeinträchtigungen belegen aber noch keinen Funktionsverlust, der einem physischen Verlust des Körpergliedes gleichzustellen wäre. Damit ist der Tatbestand der schweren Körperverletzung nicht erfüllt.
5
3. Das Verhalten des Angeklagten erfüllt jedoch den Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nrn. 2 und 5 StGB. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend ab.
6
Der aufgezeigte Rechtsfehler hat auf den Bestand des Strafausspruchs keine Auswirkung. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Bewertung der Körperverletzungshandlung die im Fall 2 der Urteilsgründe festzusetzende Einzelstrafe niedriger als drei Jahre und neun Monate bemessen hätte. Der Strafzumessung wäre der nämliche Strafrahmen zugrunde zu legen gewesen. Denn die Obergrenze des Strafrahmens beträgt sowohl bei § 224 Abs. 1 StGB als auch bei § 226 Abs. 1 StGB zehn Jahre. Tateinheitlich verwirklicht ist außerdem der Verbrechenstatbestand des § 51 Abs. 1 WaffG mit einer für die Bemessung der Strafe maßgeblichen Strafuntergrenze von einem Jahr und § 52 Abs. 1 Nr. 2b WaffG.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
RiBGH Dr. Mutzbauer ist urlaubsabwesend und deshalb an der Unterschrift gehindert. Sost-Scheible Bender

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Nachschlagewerk: nein
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Vorhersehbarkeit der Todesfolge nach Brechmitteleinsatz (im
Anschluss an BGHSt 55, 121).
BGH, Urteil vom 20. Juni 2012 – 5 StR 536/11
LG Bremen –
(alt: 5 StR 18/10)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 20. Juni 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Juni
2012, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt J.
als Verteidiger,
Rechtsanwältin M. ,
Rechtsanwältin Vo.
als Vertreterinnen der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Bremen vom 14. Juni 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
1. Zu Verfahrensgegenstand und Verfahrensgang:
2
Gegenstand des Verfahrens ist die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten als im Beweismittelsicherungsdienst tätiger Arzt für den am 7. Januar 2005 eingetretenen Tod des 35 Jahre alten C. aus Sierra Leone im Rahmen einer zwangsweise durchgeführten Exkorporation von Kokain.
3
a) Das Landgericht hat in seinem in dieser Sache ergangenen ersten freisprechenden Urteil vom 4. Dezember 2008 als Todesursache eine Mangelversorgung des Gehirns mit Sauerstoff (zerebrale Hypoxie) als Folge von Ertrinken nach Aspiration über einen Magenschlauch zugeführten Wassers bei forciertem Erbrechen festgestellt. Hierfür hat es ein objektiv pflichtwidriges Handeln des Angeklagten als ursächlich angesehen. Dieser habe nach dem Eingreifen des von ihm herbeigerufenen Notarztes trotz erkennbar er- höhten Aspirationsrisikos die Exkorporation fortgesetzt. Der Tod des Beschuldigten sei für den Angeklagten aber nicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen, weil er als Arzt persönlich überfordert gewesen sei und sich auf die Kompetenz des weiterhin anwesenden Notarztes habe verlassen können.
4
b) Mit Urteil vom 29. April 2010 – 5 StR 18/10 (BGHSt 55, 121) hat der Senat auf die Revisionen der Nebenklägerin, der Mutter des Verstorbenen, und seines mittlerweile gleichfalls verstorbenen Bruders als damals weiteren Nebenkläger das genannte Urteil aufgehoben. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hat er als rechtsfehlerhaft beanstandet und auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts vom neuen Tatgericht die Prüfung und Bewertung weiterer Pflichtverstöße des Angeklagten als rechtlich geboten verlangt (unterlassene Aufklärung, Durchführung eines erkennbar nicht beherrschten medizinischen Eingriffs und Fortsetzung der Exkorporation unter Verstoß gegen das Gebot der Wahrung der Menschenwürde). Der Senat hat ferner die in der Spätphase des Eingriffs vorgenommene Auslösung des Brechreizes mittels einer Pinzette sowie eines Spatels als Körperverletzung bewertet. Er hat nicht ausschließen können, dass eine fehlerfreie Würdigung der festgestellten Umstände die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB ergeben würde. Deshalb hat er die Sache an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen (§ 74 Abs. 2 Nr. 8 GVG).
5
c) Das Landgericht hat den Angeklagten erneut freigesprochen. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin. Diese hat wiederum Erfolg.
6
2. Zu den Feststellungen und Wertungen der Schwurgerichtskammer:
7
a) Das Landgericht hält die vom Erstgericht festgestellte Todesursache nach Anhörung von neun Sachverständigen für wahrscheinlich (UA S. 83). Deren Annahme im Sinne einer sicheren richterlichen Überzeugung stehe allerdings maßgeblich der Umstand entgegen, dass der ausweislich aktiven Bemühens, Erbrochenes nicht nach außen dringen zu lassen („Filtern“ ), nicht bewusstseinsgetrübte C. bei Wassereintritt in die Luftröhre hätte husten müssen, was indessen keiner der Beteiligten gehört habe.
8
b) Zudem habe die Prüfung nicht ausschließbare alternative Todesursachen ergeben. Einen durch Manipulationen im Halsbereich ausgelösten vorübergehenden Herzstillstand (Karotis-Sinus-Reflex) hat das Landgericht unter der Prämisse für denkbar gehalten, dass der Kiefer des Verstorbenen zur Ermöglichung des Spateleinsatzes unter Krafteinsatz verbunden mit starkem Druck am Hals geöffnet worden sei (UA S. 86). Eine weitere mögliche Ursache für die Reduzierung der Herzfrequenz (Bradykardie) hat es in einem zu hohen Atemdruck (Valsalva-Reflex) gefunden (UA S. 84, 89, 91). Dafür könnten vor allem eine permanente Reizung eines Hirnnervs, des Nervus Vagus, durch nachteilige Veränderung der betroffenen Schleimhautareale beim Legen der Magensonde, die mit dem „Filtern“ verbundene Pressatmung und die dadurch bedingte Druckerhöhung im Thoraxbereich verantwortlich sein; dies könne zu einer Verschlechterung der Gesamtsituation geführt haben , wobei aber auch ein zusätzliches Auslösen eines heftigeren ValsalvaReflexes durch den Spateleinsatz eine Rolle gespielt haben könne (UA S. 89). Schließlich habe ein mittelgradig bedeutsamer chronischer Herzmuskelschaden mit zu einer Verstärkung der letztlich todesursächlichen Bradykardie beitragen können (UA S. 86, 87).
9
Zwar sei auszuschließen, dass eine der erwogenen Ursachen für sich allein eine reanimationspflichtige Bradykardie ausgelöst habe (UA S. 86). Im Sinne eines multifaktoriellen Geschehens könnten sie jedoch als Todesursache in Betracht kommen (UA S. 95 und mehrfach).
10
c) Das Landgericht hat das Handeln des Angeklagten im Rahmen der Fortsetzung der Exkorporation als todesursächlich bewertet (UA S. 99), jedoch seiner rechtlichen Würdigung zugunsten des Angeklagten das multifak- torielle Geschehen zugrunde gelegt, das „nach Auffassung aller Gutachter“ nicht vorhersehbar gewesen sei (UA S. 101). Es hat weder einen ärztlichen Sorgfaltspflichtverstoß festgestellt noch angenommen, dass der Angeklagte den Verstorbenen rechtswidrig verletzt oder gar fahrlässig seinen Tod verursacht haben könnte.
11
3. Der Freispruch des Angeklagten hat keinen Bestand. Die Beweiswürdigung und die Subsumtion des Landgerichts offenbaren durchgreifende Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 – 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402 mwN). Dabei ist wegen offensichtlicher Verletzung der Bindungswirkung und rechtlich unzulänglicher Ausschöpfung des festgestellten Sachverhalts nicht nur – was die Nebenklägerin nicht rügen könnte (§ 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO) – eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung unterblieben, sondern es liegen auch Rechtsfehler bezogen auf die Prüfung einer fahrlässigen Verursachung der Todesfolge vor.
12
a) Das Landgericht hat mehrfach gegen die in § 358 Abs. 1 StPO normierte Bindungswirkung der dem Senatsurteil vom 29. April 2010 zugrunde liegenden rechtlichen Beurteilung auch in Bezug auf dort benannte Beweiswürdigungsfehler verstoßen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2000 – 1StR 610/99, BGHR StPO § 358 Abs. 1 Bindungswirkung 2). Der Senat muss nicht entscheiden, ob schon diese Rechtsfehler, auch in Verbindung mit haltlosen Unterstellungen zugunsten des Angeklagten, geeignet sind, die neu getroffenen Feststellungen insgesamt in Frage zu stellen. Angesichts der nachfolgenden durchgreifenden Einzelbeanstandungen kommt es hierauf nicht an.
13
b) Die Bewertung der Fortsetzung der Exkorporation nach dem Notarzteinsatz begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit rechtswidrige Körperverletzungshandlungen , Sorgfaltspflichtverletzungen sowie die Vorhersehbarkeit des Todes verneint worden sind. Entgegen der Auffassung der Schwurgerichtskammer ergeben die durch sie getroffenen Feststellungen ohne Weiteres die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB.
14
aa) Die bei der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten vorgenommenen Maßnahmen waren auch nach zum Tatzeitpunkt noch vertretbarer Rechtsansicht (vgl. dazu BGHSt aaO, S. 130 f.) nicht durch § 81a StPO gerechtfertigt und stellen demgemäß rechtswidrige Körperverletzungshandlungen dar.
15
(1) Es kann dahingestellt bleiben, ob im Rahmen des § 81a StPO nicht ein engerer Beurteilungsmaßstab anzulegen ist, als ihn das Landgericht verwendet hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. 2001, 46. Aufl. 2003, 47. Aufl. 2004, 54. Aufl. 2011, jeweils § 81a Rn. 17 mwN). Jedenfalls hat die Schwurgerichtskammer den aktuellen Gesundheitszustand des Verstorbenen (vgl. Meyer-Goßner aaO) nicht hinreichend in seine – im Übrigen durch keinen der zahlreichen Sachverständigen gestützte – Wertung einbezogen, dass ein erfahrener Facharzt bei Fortsetzung der Exkorporation nicht mit Nachteilen für dessen Gesundheit habe rechnen müssen. Rechtsfehlerhaft hat sie ferner hinsichtlich der Voraussetzungen des § 81a Abs. 1 Satz 2 StPO – ebenso wie für die Frage der Pflichtwidrigkeit im Sinne der §§ 222, 227 StGB – darauf abgestellt, dass sich die Aspirationsgefahr aus der Sicht ex post nicht zu ihrer Überzeugung verwirklicht habe (UA S. 101). Darauf kommt es nicht an. Maßgebend ist nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift , ob bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage aus der Sicht ex ante bei Fortsetzung der Exkorporation mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit gesundheitliche Nachteile zu erwarten waren (vgl. LR/Krause, StPO, 26. Aufl. 2008, § 81a Rn. 31 mwN; Meyer-Goßner aaO; siehe auch BGH, Urteil vom 8. Juli 1955 – 5 StR 233/55, BGHSt 8, 144, 147 f.; zum Maßstab für die Pflichtwidrigkeit: BGH, Urteile vom 19. April 2000 – 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2758, und vom 14. März 2003 – 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, 658).
Das ist nach dem durch das Landgericht festgestellten Geschehen unzweifelhaft zu bejahen.
16
Der Gesundheitszustand des Verstorbenen während der ersten Exkorporationsphase war erkennbar beeinträchtigt (unter anderem Apathie, schweres Atmen, Pupillenengstellung, Sauerstoffsättigungswert von nur 89 %; UA S. 21 ff.), veranlasste den Angeklagten zur Herbeiholung des Notarztes und machte schließlich die Infusion eines Notfallmedikaments (Ringerlösung ) sowie die Gabe von Sauerstoff notwendig. Auch in Anbetracht der danach erreichten Zustandsverbesserung verbot sich bei dieser Sachlage unter den strengen medizinischen Voraussetzungen des § 81a StPO die Fortsetzung der Exkorporation schon wegen des Risikos erneuten Auftretens der – hinsichtlich ihrer Ursache ungeklärt gebliebenen – Komplikationen. Zudem war der durch konkrete Umstände begründete Verdacht einer Bewusstseinseintrübung gegeben. Er stand den weiteren durch den Angeklagten getroffenen Maßnahmen wegen damit verbundener Aspirationsgefahr zwingend entgegen (vgl. zur Kontraindikation der Aspirationsgefahr auch die Allgemeinverfügung des Leitenden Oberstaatsanwalts beim Landgericht Bremen, UA S. 10). Das Landgericht hat es insoweit unterlassen, aus seiner entsprechenden zutreffenden eigenen Bewertung (UA S. 101) die gebotenen zwingenden Folgerungen auf die klare Rechtswidrigkeit der Eingriffsfortsetzung zu ziehen.
17
Angesichts der dargetanen und dem Angeklagten bekannten gesundheitlichen Parameter des C. im Zeitpunkt des Noteinsatzes durfte die Schwurgerichtskammer zugunsten des – in der Hauptverhandlung schweigenden – Angeklagten weder eine Simulation der Beeinträchtigungen oder ihrer Schwere durch den Verstorbenen unterstellen (UA S. 21, 24, 26, 101 und mehrfach), noch eine etwa in diese Richtung zielende Annahme des Angeklagten , zu dessen Vorerfahrungen mit Zwangsexkorporationen das Schwurgericht – angesichts zu erwartender Dokumentationen schwer verständlich – nichts festzustellen vermochte (UA S. 14). Entsprechendes gilt mangels objektiver Anhaltspunkte für eine von keinem Zeugenbeobachtete kurze (und ohnehin nicht zureichende) Untersuchung der Herz- und Lungenfunktion mittels Stethoskops (UA S. 25). Dass der Angeklagte selbst bei Fortsetzung der Exkorporation erneute Verwerfungen für möglich hielt, ergibt sich deutlich aus seiner Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben, mit der er sich nach den Feststellungen „ärztlichen Rückhalts“ versichern wollte (UA S. 25).
18
(2) Soweit das Landgericht eine im Einsatz von Pinzette und Spatel liegende rechtswidrige Körperverletzung und zugleich Sorgfaltspflichtverletzung unter Hinweis auf eine übliche – wenn auch in der für den Angeklagten geltenden Dienstanweisung nicht geregelte – Praxis verneint, hat es gegen die nach § 358 Abs. 1 StPO verbindliche Rechtsauffassung des Senats verstoßen. Das nach nochmaliger Befüllung des Magens mit Wasser gewaltsame Öffnen des Mundes unter größerem Kraftaufwand und das mechanische Auslösen des Brechreizes mittels Pinzette und Spatels sind offensichtlich unverhältnismäßig, verletzen die Menschenwürde und sind demgemäß auch rückblickend schlechterdings nicht nach § 81a StPO zu rechtfertigen (BGHSt 55, 121, 133). Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Untersuchungszimmer nicht mit einem Spatel ausgestattet war, ein solcher vielmehr erst aus dem Rettungswagen geholt werden musste (UA S. 28), was der vom Landgericht angenommenen Üblichkeit einer solchen Exkorporationsmethode widerstreiten würde.
19
bb) Auch am Körperverletzungsvorsatz ist nicht zu zweifeln. Namentlich sind den Feststellungen nicht die Voraussetzungen für einen etwaigen vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtum (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 2000 – 4 StR 558/99, BGHSt 45, 378, 384) infolge Verkennung der für den Verstorbenen bestehenden Gefahrenlage zu entnehmen. Die Bitte an den Notarzt, noch zu bleiben (vgl. oben), läuft der Annahme einer in dieser Hinsicht bestehenden Fehlvorstellung des Angeklagten zuwider.
20
cc) Rechtsfehlerfrei geht das Landgericht davon aus, dass der Angeklagte mit den in Fortsetzung der Exkorporation getroffenen Maßnahmen den Eintritt des Todeserfolgs verursacht hat. Auch bei angenommener Todesursache eines mulitfaktoriellen Geschehens ist der erforderliche Zurechnungszusammenhang keinen Zweifeln ausgesetzt. Denn auch dann hat sich die der Verwirklichung des Grunddelikts eigentümliche tatbestandsspezifische Gefahr im tödlichen Ausgang verwirklicht (vgl. hierzu etwa BGH, Urteile vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1, vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21, und vom 10. Januar 2008 – 5 StR 435/07, BGHR StGB § 227 Todesfolge 6). Die etwa mitwirkende unerkannte Herzvorschädigung des Verstorbenen führt dabei nicht zur Annahme eines außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit liegenden, als Verkettung außergewöhnlicher , unglücklicher Umstände anzusehenden und deshalb dem Angeklagten nicht anzulastenden Geschehens (vgl. BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 – 2 StR 226/82, BGHSt 31, 96, 100).
21
dd) Die Würdigung der Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs ist durchgreifend rechtsfehlerhaft. Das Landgericht hat auch hier einen nicht zutreffenden rechtlichen Maßstab angelegt.
22
Im Rahmen des § 227 StGB ist, weil schon in der Begehung des Grunddelikts eine Verletzung der Sorgfaltspflicht liegt, alleiniges Merkmal der Fahrlässigkeit die Vorhersehbarkeit des Todeserfolgs (BGH, Urteile vom 28. März 2001 – 3 StR 532/00, BGHR StGB § 227 Todesfolge 1, und vom 16. März 2006 – 4 StR 536/05, BGHSt 51, 18, 21). Hierfür ist entscheidend, ob vom Täter in seiner konkreten Lage und nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten der Todeseintritt vorausgesehen werden konnte oder ob aus dieser Sicht die tödliche Gefahr für das Opfer so weit außerhalb der Lebenswahrscheinlichkeit lag, dass die qualifizierende Folge dem Täter deshalb nicht zuzurechnen ist (BGHSt aaO mwN).
23
An diesen Grundsätzen gemessen steht die Vorhersehbarkeit des Todeseintritts auch auf der Basis des durch das Landgericht als todesursächlich unterstellten multifaktoriellen Geschehens nicht in Frage. Zwar konnte der Herzschaden im Zeitpunkt der Fortsetzung der Exkorporation durch den Angeklagten ohne eingehende körperliche Untersuchung nicht diagnostiziert werden. Ebenso nimmt die Schwurgerichtskammer nachvollziehbar an, dass die Einzelheiten des tödlichen Ablaufs nicht absehbar gewesen sind. Das ist jedoch auch nicht erforderlich; denn die – nicht durch den Sachverständigen, sondern in wertender Betrachtung durch den Richter zu beurteilende – Vorhersehbarkeit muss sich nicht auf alle Einzelheiten des zum Tode führenden Geschehensablaufs, mithin auch nicht auf die konkrete Todesursache erstrecken (vgl. BGH, Urteile vom 26. Februar 1997 – 3 StR 569/96, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 12, vom 15. November 2007 – 4 StR 453/07, NStZ 2008, 686, 687, und vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009,

309).


24
Vorliegend widersprach es gerade ärztlicher Pflicht, die Exkorporation fortzuführen, nachdem sich der Gesundheitszustand während deren erster Phase so sehr verschlechtert hatte, dass der Angeklagte das Legen einer Verweilkanüle und das Herbeiholen des Notarztes für erforderlich gehalten hatte und nachdem notärztliche Maßnahmen auch tatsächlich durchgeführt worden waren. Zudem setzte der Angeklagte – was von der Schwurgerichtskammer nicht erkennbar bedacht worden ist – auf der Basis der Feststellungen zum alternativ denkbaren Kausalverlauf namentlich mit dem noch mindestens zweimaligen Legen der Magensonde sowie dem mit körperlicher Gewalt verbundenen Einsatz von Spatel und Pinzette pflichtwidrig eigenständige Ursachen für den Eintritt der Todesfolge (Auslösen von KarotisSinus - bzw. Valsalva-Reflex), wobei nach dem Verlauf der „ersten Phase“ und dem vom Landgericht angenommenen „vitalen“ Zustandsbild des Angeklagten dann auch weiteres „Filtern“ durch den Verstorbenen und alleindar- aus möglicherweise resultierende schädliche Folgen wahrscheinlich waren. Wenn der Arzt unter solchen Vorzeichen lediglich nach Prüfung der „Vitalpa- rameter“ mit seinem Tun fortfährt, so liegt der Todeseintritt aufgrund mitwir- kender Vorschädigung der betroffenen Person nicht so sehr außerhalb der Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussehbarkeit für den „erfahrenen Facharzt“ und den Angeklagten persönlich in Zweifel zu ziehen wäre (vgl. auch BGH, Urteile vom 24. Januar 1995 – 1 StR 707/94, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 9 [„medizinische Rarität“], vom 26. Februar 1997 – 3 StR 569/96, BGHR StGB § 226 aF Todesfolge 12 [Herzinfarkt infolge Herzvorschädigung] und vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309). Mit Komplikationen auch aufgrund nicht auf den ersten Blick erkennbarer Vorschädigungen muss der Fachkundige – zumal in Ermangelung einer gründlichen Untersuchung – bei einem so gearteten Zwangseingriff vielmehr stets rechnen. Das Wissen um solche Risiken gehört naturgemäß auch zum beruflichen Erfahrungsbereich des nach den Feststellungen der nunmehr entscheidenden Schwurgerichtskammer überdies vielfach mit – wenngleich nicht zwangsweise durchgeführten – Exkorporationen befassten und über deren Risiken wohl informierten (vgl. UA S. 11, 14) Angeklagten.
25
4. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung, Letztere unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats (§ 358 Abs. 1 StPO). Die Feststellungen können, auch soweit sie rechtsfehlerfrei getroffen wurden, insgesamt keinen Bestand haben, weil es dem freigesprochenen Angeklagten bislang verwehrt war, die ihn bei rechtsfehlerfreier Bewertung belastenden Feststellungen revisionsrechtlich anzugreifen. Die Regelung in § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO ermöglicht dem Senat im Falle des Landgerichts Bremen keine Zurückverweisung an ein anderes Gericht. Der Senat weist ausdrücklich auf den Fortbestand der Bindung an die gesamte rechtliche Beurteilung in seinem ersten Urteil hin (§ 358 Abs. 1 StPO) und auch auf die Ausführungen in dieser Entscheidung zur Rechtsfolge (BGHSt 55, 121, 138).
Basdorf Schaal Schneider Dölp König

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 69/00
vom
8. März 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 8. März 2000 einstimmig

beschlossen:
Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 16. August 1999 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Gegen die Annahme des für § 227 StGB erforderlichen unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der vorsätzlichen körperlichen Mißhandlung und der Todesfolge (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 227 Rdn. 2) bestehen keine rechtlichen Bedenken. Die wuchtigen Faustschläge bzw. Fußtritte der Angeklagten gegen die linke Oberkörperseite ihres Ehemannes bargen für das Opfer das Risiko eines tödlichen Ausgangs in sich. In dem Tod hat sich die der vorsätzlichen Körperverletzung anhaftende eigentümliche Gefahr dann auch tatsächlich niedergeschlagen (vgl. BGHSt 31, 96, 98 ff.; BGH NStZ 1992, 333, 334). Dieser Zurechnungszusammenhang ist nicht durch die Weigerung des Opfers unterbrochen worden, lebensrettende ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, insbesondere sich von dem herbeigerufenen Notarzt behandeln zu lassen. Zum einen ist der Tod des Verletzten auf Grund eines Geschehensablaufs eingetreten, der nicht außerhalb der Lebenserfahrung lag (BGHR StGB § 226 Todesfolge 8), weil das Tatopfer auch in der Vergangenheit nach Körperverletzungen eine ärztliche Behandlung stets abgelehnt hatte. Zum anderen hat das Opfer ärztliche Rettungsmaßnahmen nicht bewußt in voller Selbstverantwortung vereitelt, weil es sich über die Lebensgefährlichkeit der Verletzungen nicht im Klaren war (vgl. Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. Vorbem. §§ 13 ff. Rdn. 102 a.E.). Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 190/08
vom
8. Juli 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Juli 2008 gemäß § 349 Abs. 4
StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 6. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zur Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
I. Nach den Feststellungen kam es am frühen Morgen des 23. April 2006 zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau nach einem verbalen Streit zu einer tätlichen Auseinandersetzung. In deren Verlauf setzte sich der 128 kg schwere Angeklagte mit Schwung auf den Brustkorb seiner mit dem Rücken am Boden liegenden Frau. Dadurch brachen die Rippen der Geschädigten insgesamt 18 Mal. Der Angeklagte blieb mindestens zwei Minuten so auf seiner Frau sitzen, dass ihr Brustkorb stark komprimiert wurde und sie kaum Luft bekam.
Zum Tatzeitpunkt war der Angeklagte wegen eines Affektdurchbruchs in der spezifischen Konfliktsituation in Verbindung mit seiner Alkoholisierung (BAK höchstens 1,15 ‰) nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt.
3
Vom 25. bis 28. April 2006 wurde das Tatopfer im Krankenhaus behandelt. Bei zwei Röntgenuntersuchungen diagnostizierten die Ärzte lediglich Frakturen von drei Rippen. Am 2. Mai 2006 konsultierte die Geschädigte wegen ihrer Verletzungen einen Hausarzt, der ihr Schmerztabletten verschrieb und häusliche Ruhe verordnete. Sie suchte ihn am 9. Mai 2006 nochmals wegen Beinbeschwerden auf. In der Folgezeit verschlechterte sich ihr Gesundheitszustand immer mehr. Sie verstarb in der Nacht auf den 24. Mai 2006. Todesursächlich war ein toxisch-resorptives Herz-/Kreislaufversagen infolge Sepsis bei insgesamt 18 Rippenserienfrakturen, oft mit Durchspießungen nach außen und innen, mit Vereiterung der rechten Brusthöhle als Folge der Rippenverletzungen.
4
Die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Zurechnungszusammenhang zwischen der Körperverletzung und dem Tod weder durch einen schweren Behandlungsfehler der Krankenhausärzte noch ein selbst schädigendes Verhalten des Tatopfers unterbrochen wurde. Zum subjektiven Tatbestand hat sie ausgeführt, der Körperverletzungsvorsatz folge aus dem objektiven Geschehen ; insbesondere sei der Angeklagte aufgrund seines beträchtlichen Gewichts davon ausgegangen und habe billigend in Kauf genommen, dass er seine nur halb so schwere Ehefrau durch längeres Sitzen auf deren Thorax erheblich verletzen werde.
5
II. Gegen den Schuldspruch bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
6
1. Die Strafkammer hat nicht ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte bei der vorsätzlich begangenen Körperverletzung den Tod seiner Ehefrau - wie es § 18 StGB i. V. m. § 227 StGB verlangt - wenigstens fahrlässig verursacht hat, also die Todesfolge voraussehen konnte (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 227 Rdn. 7). Dies liegt wegen der Besonderheiten des Tatgeschehens nicht von vornherein so auf der Hand, dass Ausführungen dazu entbehrlich gewesen wären.
7
2. Der Fahrlässigkeitsvorwurf ergibt sich insbesondere nicht zweifelsfrei aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe. Zwar hat das Landgericht eine gefährliche Körperverletzung mit der Qualifikation einer das Leben gefährdenden Behandlung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB angenommen, was häufig die Voraussehbarkeit einer dadurch verursachten Todesfolge einschließt. Jedoch enthält die Begründung, mit der es diese Alternative bejaht hat, durchgreifende Rechtsfehler.
8
a) Die Begründung bezieht sich schon nicht auf die Tathandlung, durch die die Verletzungen, die in der Folgezeit letztlich zum Tode der Geschädigten führten, verursacht wurden. Nach den Feststellungen brachen die Rippen nämlich bereits durch das schwungvolle Setzen auf den Brustkorb der Frau. Den bedingten Körperverletzungsvorsatz in der Qualifikation einer das Leben gefährdenden Behandlung hat das Landgericht jedoch aus dem Umstand hergeleitet , dass der Angeklagte mindestens zwei Minuten lang auf dem Thorax des Tatopfers sitzen blieb.
9
b) Abgesehen davon genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht den Anforderungen, die an subjektiven Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung in der Alternative einer das Leben gefährdenden Behandlung zu stellen sind. Dieser setzt voraus, dass der Täter mit Verletzungsvorsatz handelt und dabei die Umstände erkennt, aus denen sich in der konkreten Situation die Lebensgefährlichkeit ergibt, also die Handlung nach seiner Vorstellung auf Lebensgefährdung "angelegt" ist (vgl. BGHR StGB Lebensgefährdung 5 und 6; Fischer aaO § 224 Rdn. 13). Ob der Angeklagte beim schwungvollen Setzen auf den Brustkorb diese Kenntnis besaß, hat das Landgericht nicht erkennbar geprüft.
10
Der subjektive Tatbestand ergibt sich bei dem hier gegebenen außergewöhnlichen Sachverhalt nicht von selbst aus der Schilderung des äußeren Tatgeschehens. Das Landgericht hätte deshalb eine Gesamtwürdigung vornehmen und die Umstände, die gegen die Vorstellung des Angeklagten sprechen könnten , seine Handlung sei auf mehr als Körperverletzung, nämlich auf Lebensgefährdung , angelegt gewesen, in seine Überlegungen einbeziehen müssen. Insbesondere hätte es würdigen müssen, dass handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten nicht unüblich waren, die festgestellte Verletzungshandlung spontan im Rahmen einer schnell eskalierenden Auseinandersetzung erfolgte, an der sich die Geschädigte selbst mit Beschimpfungen und Tätlichkeiten aktiv beteiligte, und die Rippenfrakturen nach einer sehr kurzen Gewalteinwirkung entstanden. Es hätte auch bedenken müssen, dass der alkoholisierte und affektiv aufgeladene Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit nicht ausschließbar erheblich eingeschränkt war.
11
III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
12
Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Körperverletzung und der Todesfolge (vgl. Fischer, StGB 55. Aufl. § 226 Rdn. 2 ff.) bedarf sorgfältiger Prüfung.
13
Soweit ein Behandlungsfehler der Krankenhausärzte in Betracht kommt, ist zunächst mit Blick auf dessen Schweregrad festzustellen, wie viele Rippenbrüche ein radiologisch ausgebildeter Arzt auf den gefertigten Röntgenbildern bei sorgfältiger Auswertung tatsächlich erkennen konnte oder ob etwa ein unklarer medizinischer Befund Anlass für weitergehende Untersuchungen gab. Von Bedeutung für den Schweregrad eines eventuellen Behandlungsfehlers und eine mögliche Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs dürfte auch sein, welche Behandlung aufgrund des Ergebnisses einer sorgfältigen Diagnose nach den Regeln der ärztlichen Kunst geboten war.
14
Es ist weiterhin zu bedenken, ob ein den Zurechnungszusammenhang unterbrechendes selbst schädigendes Verhalten des Tatopfers möglicherweise darin zu sehen ist, dass es nach dem 2. Mai 2006 wegen der Rippenfrakturen keine ärztliche Hilfe mehr in Anspruch nahm, obwohl sich der Gesundheitszustand ständig verschlechterte. Dabei wird von Bedeutung sein, welche Schmerzen und körperliche Symptome auftraten und inwieweit diese die Verletzte zur Inanspruchnahme weiterer ärztlicher Hilfe drängten. Die Argumentation im aufgehobenen Urteil, der Angeklagte habe voraussehen können, dass sich seine Ehefrau aus Scham nicht weiterbehandeln lassen würde, um den wahren Grund der Verletzungen zu vertuschen, überzeugt schon deshalb nicht, weil den behandelnden Ärzten die mit einem Treppensturz erklärten Verletzungen bereits bekannt waren.
15
Auch wird in den Blick zu nehmen sein, ob das Zusammenwirken eines ärztlichen Behandlungsfehlers und eines selbst schädigenden Verhaltens zu einer Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geführt hat.
RiBGHPfisterbefindetsichim Urlaubundistdahergehindert zuunterschreiben. Becker Miebach Becker von Lienen Sost-Scheible

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 408/08
vom
21. Oktober 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
___________________________________
Die gefährliche Körperverletzung in der Qualifikationsform der lebensgefährdenden
Behandlung steht in Tateinheit mit der durch die Tathandlung verursachten
schweren Körperverletzung.
BGH, Beschl. vom 21. Oktober 2008 - 3 StR 408/08 - LG Düsseldorf
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. Oktober 2008 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 19. Mai 2008 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
2
Zutreffend hat das Landgericht bei der Tat 3 Tateinheit zwischen der schweren Körperverletzung und der gefährlichen Körperverletzung angenommen.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts geriet der angetrunkene Angeklagte mit seiner Ehefrau in einen Streit. Er bespritzte ihr Kopftuch und ihre Kleidung im Bereich des Halses und des Oberkörpers mit flüssigem Grillanzünder und setzte sie mit einem Feuerzeug in Brand. Dabei nahm er schmerzhafte und lebensgefährliche Brandverletzungen sowie lebenslang sichtbare Spuren an Gesicht und Oberkörper des Opfers zumindest billigend in Kauf. Die Ehefrau erlitt an Gesicht, Hals und Händen sowie im oberen Brustbereich Verbrennungen zweiten und dritten Grades. Sie musste einen Monat lang auf der Intensivstation für Schwerbrandverletzte behandelt werden. Trotz mehrerer Operationen hat sie in allen Transplantatbereichen bleibende, schmerzhafte Narben. Diese sind einen halben bis einen Zentimeter dick und wulstig sowie von deutlich roter Farbgebung, so dass das Opfer selbst auf eine Entfernung von mehreren Metern mit bloßem Auge als Brandverletzte erscheint. Eine Korrektur des Erscheinungsbildes ist nach dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissenschaft nicht möglich.
4
Damit hat der Angeklagte eine schwere Körperverletzung in der Form der dauerhaften erheblichen Entstellung des Opfers (§ 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB) sowie eine gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) begangen. In dieser Begehungsform steht die gefährliche Körperverletzung zur schweren Körperverletzung in Tateinheit. Die Annahme von Gesetzeskonkurrenz (so Hirsch in LK 11. Aufl. § 226 Rdn. 39; Fischer in Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 226 Rdn. 20) würde das gesonderte Unrecht, das - über die schwere Folge der Körperverletzung hinausgehend - in der lebensgefährlichen Handlung liegt, nicht zum Ausdruck bringen (Lilie in LK 11. Aufl. § 224 Rdn. 41; Stree in Schönke/Schröder, StGB 27. Aufl. § 224 Rdn. 16; Horn/Wolters in SK-StGB § 226 Rdn. 27; so jetzt auch Fischer, StGB 55. Aufl. § 226 Rdn. 20 für die Variante des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB; noch offen gelassen von BGH, Beschl. vom 25. Juli 2007 - 2 StR 252/07); denn diese Folge wird, insbesondere auch in der Qualifikationsform der erheblichen dauerhaften Entstellung, weder regelmäßig noch gar notwendig durch eine das Leben (abstrakt) gefährdende Handlung bewirkt.
Becker Miebach Pfister Hubert Schäfer
5 StR 4/11

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 17. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
17. März 2011, an der teilgenommen haben:
Richter Dr. Raum als Vorsitzender,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
alsbeisitzendeRichter,
Bundesanwalt
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
der Angeklagte persönlich,
Rechtsanwalt B.
alsVerteidiger,
Rechtsanwalt S.
alsNebenklägervertreter,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Juli 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der hiergegen gerichtete, mit Verfahrensrügen und der Sachrüge geführte Revision des Angeklagten bleibt zum Schuldspruch aufgrund der zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts der Erfolg versagt. Das Rechtsmittel führt allerdings mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schlug der Angeklagte den Nebenkläger mit zwei Bierflaschen aus Glas (0,33 I) auf den Hinterkopf, wobei eine Flasche zerbrach. Der Nebenkläger konnte den Angeklagten zunächst abdrängen. Der Angeklagte ging jedoch sofort wieder auf den Neben- kläger los. Mit dem scharfkantigen Hals der zerbrochenen Bierflasche schlug und stach er mehrfach in Richtung des Halses und des Kopfs des Nebenklägers. Er verursachte glattrandige Verletzungen im Bereich des linken Ohrs mit einer fast vollständigen Abtrennung des linken Ohrläppchens und mehrere , teils schlitzartige und in einem Fall bis ins Unterhautfettgewebe reichende glattrandige Verletzungen an der linken Halsseite, die nur wenige Zentimeter von der Halsschlagader bzw. der Halsvene entfernt waren; der Angriff war deswegen lebensbedrohend (UA S. 7, 14). Nur durch das Eingreifen weiterer Gäste und des Sicherheitsdienstes konnte er von weiteren Verletzungshandlungen abgehalten werden.
3
2. Die sachverständig beratene Schwurgerichtskammer ist davon ausgegangen , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund des Zusammenwirkens einer alkoholischen Beeinflussung (maximale Blutalkoholkonzentration : 1,26 ‰), von Übermüdung und einer ängstlich gereizten Grundstimmung infolge von Nachstellungen und Provokationen von Seiten des Nebenklägers im Vorfeld sowie unmittelbar vor der Tat nicht ausschließbar erheblich im Sinne von § 21 StGB vermindert gewesen sei. Sie hat die Strafe dem in § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB normierten minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung entnommen. Die Annahme eines minder schweren Falls sei dabei nur unter Berücksichtigung und Verbrauch des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB gerechtfertigt.
4
3. Der Strafausspruch hat aufgrund der Nichtabhandlung der Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB keinen Bestand.
5
a) Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den tatsächlichen Gegebenheiten ungeachtet des festgestellten, für sich nicht massiven Vorgehens des Nebenklägers gegen den Angeklagten und seine Freundin unmittelbar vor Tatbegehung (UA S. 6) angesichts des vorangegangenen nachhaltigen Nachstellungsverhaltens des Nebenklägers (UA S. 4 f.) Anlass (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 213 Rn. 5 a.E. mN zur st. Rspr.). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig gebietet (vgl. zu § 226 Abs. 2 StGB aF: BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1991 – 5 StR 6/91, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 2; vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; siehe auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2; ferner jeweils mwN: Fischer, aaO, § 224 Rn. 15; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl., § 224 Rn. 15). Sofern der Erregungszustand über den in § 213 StGB umschriebenen hinausgeht und zu einer von dieser Vorschrift nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ohne Verstoß gegen § 50 StGB eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 24. August 1976 – 1 StR 482/76; Beschlüsse vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; vom 6. November 1985 – 2 StR 590/85, NStZ 1986, 115; vom 30. Juli 2008 – 2 StR 270/08, NStZ 2009, 91, 92; vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10).
6
b) Danach kann sich die Nichterörterung des § 213 Alt. 1 StGB hier auf die Strafrahmenwahl ausgewirkt haben. Allerdings gehen die beiden Milderungsgründe nach §§ 213 und 21 StGB mit der durch die Provokation verursachten affektiven Erregung des Angeklagten auf dieselbe Wurzel zurück. Dies kann einer nochmaligen Strafrahmenmilderung entgegenstehen, obliegt aber der Prüfung des Tatgerichts (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 3 StR 454/10; Schneider in MK, § 213 Rn. 28 mwN; noch weiter einschränkend Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 14).
7
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht eine nochmalige Strafrahmenverschiebung vorgenommen oder aus dem Strafrahmen des § 224 Abs. 1 Halbsatz 2 StGB eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn es die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB geprüft und bejaht sowie konsequent diesen Umstand und die erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit des nur unwesentlich vorbelasteten Angeklagten bei der allgemeinen Strafzumessung zu seinen Gunsten bewertet hätte.
8
c) Das neue Tatgericht wird bei der erneuten Straffindung insbesondere im Blick auf die Voraussetzungen des § 213 Alt. 1 StGB das gesamte relevante Vorverhalten des Nebenklägers und dessen Einfluss auf die Tatbegehung des Angeklagten umfassend aufzuklären und zudem erneut Feststellungen dazu zu treffen haben, ob die Voraussetzungen des § 21 StGB vorliegen.
Raum Schaal Schneider König Bellay

(1) Die Strafkammern sind als erkennende Gerichte des ersten Rechtszuges zuständig für alle Verbrechen, die nicht zur Zuständigkeit des Amtsgerichts oder des Oberlandesgerichts gehören. Sie sind auch zuständig für alle Straftaten, bei denen eine höhere Strafe als vier Jahre Freiheitsstrafe oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung zu erwarten ist oder bei denen die Staatsanwaltschaft in den Fällen des § 24 Abs. 1 Nr. 3 Anklage beim Landgericht erhebt.

(2) Für die Verbrechen

1.
des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit Todesfolge (§ 176d des Strafgesetzbuches),
2.
des sexuellen Übergriffs, der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung mit Todesfolge (§ 178 des Strafgesetzbuches),
3.
des Mordes (§ 211 des Strafgesetzbuches),
4.
des Totschlags (§ 212 des Strafgesetzbuches),
5.
(weggefallen)
6.
der Aussetzung mit Todesfolge (§ 221 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
7.
der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 des Strafgesetzbuches),
8.
der Entziehung Minderjähriger mit Todesfolge (§ 235 Abs. 5 des Strafgesetzbuches),
8a.
der Nachstellung mit Todesfolge (§ 238 Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
9.
der Freiheitsberaubung mit Todesfolge (§ 239 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
10.
des erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge (§ 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
11.
der Geiselnahme mit Todesfolge (§ 239b Abs. 2 in Verbindung mit § 239a Absatz 3 des Strafgesetzbuches),
12.
des Raubes mit Todesfolge (§ 251 des Strafgesetzbuches),
13.
des räuberischen Diebstahls mit Todesfolge (§ 252 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
14.
der räuberischen Erpressung mit Todesfolge (§ 255 in Verbindung mit § 251 des Strafgesetzbuches),
15.
der Brandstiftung mit Todesfolge (§ 306c des Strafgesetzbuches),
16.
des Herbeiführens einer Explosion durch Kernenergie (§ 307 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches),
17.
des Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion mit Todesfolge (§ 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
18.
des Mißbrauchs ionisierender Strahlen gegenüber einer unübersehbaren Zahl von Menschen (§ 309 Abs. 2 und 4 des Strafgesetzbuches),
19.
der fehlerhaften Herstellung einer kerntechnischen Anlage mit Todesfolge (§ 312 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
20.
des Herbeiführens einer Überschwemmung mit Todesfolge (§ 313 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
21.
der gemeingefährlichen Vergiftung mit Todesfolge (§ 314 in Verbindung mit § 308 Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
22.
des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer mit Todesfolge (§ 316a Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
23.
des Angriffs auf den Luft- und Seeverkehr mit Todesfolge (§ 316c Abs. 3 des Strafgesetzbuches),
24.
der Beschädigung wichtiger Anlagen mit Todesfolge (§ 318 Abs. 4 des Strafgesetzbuches),
25.
einer vorsätzlichen Umweltstraftat mit Todesfolge (§ 330 Abs. 2 Nr. 2 des Strafgesetzbuches),
26.
der schweren Gefährdung durch Freisetzen von Giften mit Todesfolge (§ 330a Absatz 2 des Strafgesetzbuches),
27.
der Körperverletzung im Amt mit Todesfolge (§ 340 Absatz 3 in Verbindung mit § 227 des Strafgesetzbuches),
28.
des Abgebens, Verabreichens oder Überlassens von Betäubungsmitteln zum unmittelbaren Verbrauch mit Todesfolge (§ 30 Absatz 1 Nummer 3 des Betäubungsmittelgesetzes),
29.
des Einschleusens mit Todesfolge (§ 97 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes)
ist eine Strafkammer als Schwurgericht zuständig. § 120 bleibt unberührt.

(3) Die Strafkammern sind außerdem zuständig für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel der Berufung gegen die Urteile des Strafrichters und des Schöffengerichts.

Ein Umstand, der allein oder mit anderen Umständen die Annahme eines minder schweren Falles begründet und der zugleich ein besonderer gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 ist, darf nur einmal berücksichtigt werden.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.