Bundesgerichtshof Urteil, 04. März 2015 - 2 StR 400/14
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs jugendpornographischer Schriften in drei Fällen und wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Von dem Vorwurf der Vergewaltigung bzw. der sexuellen Nötigung (Fall II. 2. der Urteilsgründe [Fall 1 der Anklage]) hat ihn das Landgericht aus rechtlichen Gründen und von einem weiteren Anklagevorwurf aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den aus rechtlichen Gründen vorgenommenen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers, die jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügen; der Nebenkläger rügt zudem die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg.
I.
- 2
- 1. Nach den zu Fall II. 2. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen hielt sich der zum Tatzeitpunkt 15-jährige Nebenkläger in der Wohnung des Angeklagten auf. Er begab sich in das Badezimmer, zog dort seine Hose und Unterhose herunter und urinierte in die Toilettenschüssel. Der Angeklagte stand plötzlich unmittelbar hinter dem Nebenkläger, umfasste mit seiner linken Hand den entblößten Penis und "drückte einmal kurz zu, um sich hierdurch sexuelle Erregung zu verschaffen". Durch das Zudrücken empfand der Nebenkläger "für einen kurzen Augenblick leichte Schmerzen". Sodann "zog der Angeklagte derart am Glied des Nebenklägers, dass sich dieser - wie vom Angeklagten beabsichtigt - mit seinem Körper nach links umdrehen musste". Der Angeklagte ließ nunmehr den Penis los, hockte sich vor den Nebenkläger und führte kurzzeitig den Oralverkehr aus. Der Nebenkläger drehte sich weg und beendete damit den Oralverkehr.
- 3
- 2. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Da die Feststellungen keine schutzlose Lage belegten, sei der Tatbestand gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erfüllt. Eine Verurteilung gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB scheide aus, weil eine Zwangslage des Nebenklägers nicht festgestellt werden könne. Auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) komme nicht in Betracht, weil der Angeklagte "die Schwelle zu einer üblichen [gemeint: üblen] unangemessenen Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden muss, nicht überschritten" habe. Bei dem von dem Nebenkläger geschilderten "leichten Schmerz" habe es sich um eine - nicht tatbestandsmäßige - geringfügige und folgenlose Beeinträchtigung des Wohlbefindens gehandelt. Zudem seien keine Verletzungsfolgen festzustellen gewesen.
II.
- 4
- Die auf den Freispruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
- 5
- 1. Die Staatsanwaltschaft hat zwar eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils im Schuld- und Strafausspruch und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil ausschließlich im Fall II. 2. der Urteilsgründe für fehlerhaft hält. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. auch Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN) versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht angreifen will, soweit der Angeklagte verurteilt und aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden ist.
- 6
- 2. Der Freispruch des Landgerichts lässt besorgen, dass der Tatrichter einen falschen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat.
- 7
- a) Nach den Feststellungen verursachte der Griff des Angeklagten an den entblößten Penis des Geschädigten einen "leichten Schmerz". In diesem Fall war aber das körperliche Wohlbefinden des Geschädigten nicht nur ganz unerheblich beeinträchtigt. Dies würde für eine Verurteilung wegen Körperverletzung ausreichen auch wenn Verletzungsfolgen nicht festgestellt werden konnten (vgl. auch Senat, Urteil vom 22. November 1991 - 2 StR 225/91, insoweit in StV 1992, 106 nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2013 - 3 StR 323/13, NStZ-RR 2014, 11; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 223 Rn. 4, 6 mwN). Die recht unklaren Feststellungen des Landgerichts lassen aber weder erkennen, ob der Begriff "Schmerz" hier zutreffend verwendet ist und ob er vom Geschädigten selbst verwendet oder diesem - etwa als Vorhalt - vorgegeben wurde, noch verhalten sie sich zu dem erforderlichen Vorsatz des Angeklagten.
- 8
- b) Auch ob die Tat als sexuelle Nötigung (vgl. Senat, Urteil vom 22. November 1991 - 2 StR 225/91, insoweit in StV 1992, 106 nicht abgedruckt; Fischer, aaO, § 177 Rn. 104) zu bewerten ist, wird der neue Tatrichter zu entscheiden haben. Selbst wenn der Nebenkläger aufgrund des vom Angeklagten sexuell motivierten Ziehens an seinem Penis mit einer Linksdrehung seines Körpers nachgeben musste, wäre damit der Tatbestand gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht ohne Weiteres erfüllt. Denn für die Annahme einer sexuellen Nötigung "mit Gewalt" ist erforderlich, dass der Täter physische Kraft entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (vgl. auch Senat, Beschluss vom 31. Juli 2013 - 2 StR 318/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17). Dass der Angeklagte eine solche Zwangswirkung erzielen wollte, ist bisher nicht belegt.
- 9
- c) Das Urteil ist im Fall II. 2. der Urteilsgründe mit den Feststellungen aufzuheben (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).
III.
- 10
- Die - nach Auslegung - ebenfalls allein auf den Freispruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe zulässig beschränkte Revision des Nebenklägers hat mit der Sachrüge aus den unter II. 2. ausgeführten Gründen Erfolg; auf die (unzulässige ) Verfahrensrüge kommt es nicht an. Fischer RiBGH Dr. Appl ist an Krehl der Unterschrift gehindert. Fischer Eschelbach Zeng
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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage
- 1.
sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder - 2.
diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
(2) Ebenso wird eine Person über achtzehn Jahren bestraft, die eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass sie gegen Entgelt sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt.
(3) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch mißbraucht, daß sie
- 1.
sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder - 2.
diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
(4) Der Versuch ist strafbar.
(5) In den Fällen des Absatzes 3 wird die Tat nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
(6) In den Fällen der Absätze 1 bis 3 kann das Gericht von Strafe nach diesen Vorschriften absehen, wenn bei Berücksichtigung des Verhaltens der Person, gegen die sich die Tat richtet, das Unrecht der Tat gering ist.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.