Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:050618B2STR495.17.0
bei uns veröffentlicht am05.06.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 495/17
vom
5. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:050618B2STR495.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. auf dessen Antrag – am 5. Juni 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 10. Juli 2017 im Fall II. 2 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexueller Nötigung in zwei Fällen sowie wegen sexueller Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Der Schuldspruch im Fall II. 2 der Urteilsgründe hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Nach den Feststellungen begab sich der Angeklagte zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt zwischen Oktober 1998 und dem 24. Oktober 2002 abends oder nachts in das Zimmer seiner noch nicht 14 Jahre alten Stieftochter S. , zog die Bettdecke, unter der S. lag, zur Seite und forderte das Kind auf, sich auf den Bauch zu drehen. Nachdem S. dies getan hat- te, „legte er sich auf ihren Rücken, um sich sexuell zuerregen“. Anschließend setzte er sich an das Ende des Bettes und forderte das Kind auf, seine Unterhose herunterzuziehen und die Beine zu spreizen, was S. – „erneut aus Angst vor dem Angeklagten“ auch tat. Anschließend betrachtete er den Intimbereich des Kindes und masturbierte dabei.
4
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte eine – zu dem sexuellen Missbrauch eines Kindes hinzutretende – sexuelle Nötigung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. begangen hat, indem er sich auf den Rücken des Kindes legte, um sich hierdurch sexuell zu erregen, „und sie in dieser Posi- tion durch sein eigenes Körpergewicht festhielt“.
5
b) Die Feststellungen belegen nicht die für den Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. erforderliche finale Verknüpfung zwischen der Gewaltanwendung und der Vornahme der sexuellen Handlung.
6
aa) Der Tatbestand des § 177 Abs. 1 StGB a.F. in der Variante der Gewaltanwendung erfordert, dass der Täter physische Kraft entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 5. September 2017 – 2 StR 256/17, NStZ-RR 2017, 371; Urteil vom 4. März 2015 – 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211; Beschluss vom 31. Juli 2013 – 2 StR 318/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17).
7
bb) Die sonach erforderliche finale Verknüpfung zwischen Gewaltanwendung und sexueller Handlung ist weder ausdrücklich festgestellt noch kann sie dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe zweifelsfrei entnommen werden. Die Feststellungen belegen lediglich, dass der Angeklagte bei Vornahme der sexuellen Handlung physische Kraft entfaltet hat, indem er die Nebenklägerin mit seinem Körpergewicht fixierte. Darüber hinausgehende Handlungen des Angeklagten, die auf die Duldung des Sexualkontakts zielten, sind nicht festgestellt. Aus der Vornahme der sexuellen Handlung kann auch nicht zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – 2 StR 405/15, StV 2017, 42). Dass der Angeklagte mit der sexuellen Handlung die für die Annahme von Gewalt erforderliche Zwangswirkung beim Opfer erzielen wollte, ist nicht dargetan und versteht sich angesichts des Umstands, dass die Geschädigte der Aufforderung des Angeklagten , sich auf den Bauch zu drehen, ohne Weiteres – wenngleich aus Furcht vor dem Angeklagten – entsprach, nicht von selbst.
8
2. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht gegebenenfalls die Möglichkeit einer Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F., § 177 Abs. 5 Nr. 2 StGB n.F. in den Blick zu nehmen haben; hierfür könnte Anlass bestehen, wenn und soweit der Angeklagte durch schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hingewiesen oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 – 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467; Senat, Beschluss vom 7. Januar 2015 – 2 StR 463/14, NStZ 2015, 211, 212).
9
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 2 der Urteilsgründe entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage.
Schäfer Appl Krehl Eschelbach Bartel

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17 zitiert 4 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17 zitiert oder wird zitiert von 6 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. März 2012 - 4 StR 561/11

bei uns veröffentlicht am 20.03.2012

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 561/11 vom 20. März 2012 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. März 2012 gemäß § 349

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2017 - 2 StR 256/17

bei uns veröffentlicht am 05.09.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 256/17 vom 5. September 2017 in der Strafsache gegen wegen sexueller Nötigung u.a. ECLI:DE:BGH:2017:050917B2STR256.17.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und de

Bundesgerichtshof Urteil, 30. März 2016 - 2 StR 405/15

bei uns veröffentlicht am 30.03.2016

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 405/15 vom 30. März 2016 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a. ECLI:DE:BGH:2016:300316U2STR405.15.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der

Bundesgerichtshof Urteil, 04. März 2015 - 2 StR 400/14

bei uns veröffentlicht am 04.03.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 S t R 4 0 0 / 1 4 vom 4. März 2015 in der Strafsache gegen wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht u.a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. März 201

Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Jan. 2015 - 2 StR 463/14

bei uns veröffentlicht am 07.01.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 S t R 4 6 3 / 1 4 vom 7. Januar 2015 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u. a. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Januar 2015 g
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juni 2018 - 2 StR 495/17.

Bundesgerichtshof Urteil, 09. Okt. 2019 - 1 StR 39/19

bei uns veröffentlicht am 09.10.2019

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 39/19 vom 9. Oktober 2019 in der Strafsache gegen wegen sexueller Nötigung ECLI:DE:BGH:2019:091019U1STR39.19.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 17

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 256/17
vom
5. September 2017
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:050917B2STR256.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 2. Februar 2017 mit den Feststellungen im Fall II. 1 der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als offensichtlich unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung, Verbreitung pornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.
2
1. Der Schuldspruch im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Verurteilung wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung wird von den Feststellungen nicht getragen.
3
Nach den Feststellungen des Landgerichts verschaffte sich der Angeklagte in der Nacht des 26. Juni 2016 Zugang in eine Wohnung, in der sich – wie er wusste – allein der 14-jährige S. aufhielt und schlief. Er begab sich unbemerkt in das Schlafzimmer und zu dem auf dem Bett liegenden Jungen. Er entblößte dessen Geschlechtsteil und manipulierte daran, worauf dieser erwachte. In der Folge versuchte S. , sich gegen diese Manipulation zu wehren, indem er sich auf den Bauch drehte, um die Handlung des Angeklagten abzuwehren. Der Angeklagte blieb unbeeindruckt und manipulierte weiter an dem Penis des Jungen, der dabei Schmerzen empfand und Kratz-Quetsch-Schürfverletzungen am Geschlechtsteil erlitt. Anschließend verließ der Angeklagte die Wohnung.
4
Das Landgericht hat darin eine sexuelle Nötigung (nach § 177 Abs. 1 StGB a.F.) in Tateinheit mit einer vorsätzlichen Körperverletzung gesehen, da der Angeklagte an dem bereits über 14-jährigen Jungen sexuelle Handlungen gegen dessen Willen und Abwehr durchgeführt und ihm dabei deutlich sichtbare und mit Schmerzen verbundene Verletzungen zugefügt habe. Es ist insoweit offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Manipulation an dem Penis des Angeklagten mit Gewalt erzwungen hat.
5
Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte Gewalt angewendet hat. Für diese Annahme wäre es erforderlich, dass der Angeklagte physische Kraft entfaltet hat, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (Senat, Urteil vom 4. März 2015 – 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211; Beschluss vom 31. Juli 2013 – 2 StR 383/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17). Dies lässt sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen, die lediglich belegen, dass der Angeklagte im Rahmen der Manipulation am Geschlechtsteil des Opfers physische Kraft entfaltet hat. Darüber hinausgehende Handlungen des Angeklagten (zur mögli- chen Überwindung des Widerstandes durch den Jungen) sind nicht festgestellt. Auch kann nicht aus der Vornahme der sexuellen Handlung, bei der es zu Verletzungen am Geschlechtsteil gekommen ist, zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – 2 StR 405/15, StV 2017, 42); insoweit ist auch das Landgericht davon ausgegangen, dass die festgestellten Verletzungen allein durch die Manipulation am Penis, etwa durch einen Nagel, entstanden sind (UA S. 25). Dass der Angeklagte mit der sexuellen Handlung aber, die er vor dem Aufwachen des Opfers begonnen und – nachdem dieser sich auf den Bauch gedreht hatte – fortgesetzt hat, auch die für die Annahme von Gewalt erforderliche Zwangswirkung beim Opfer erzielen wollte, ist nicht dargetan (vgl. Senat, Urteil vom 4. März 2015 – 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211 zum Griff des Täters an einen Penis). Dies versteht sich auch nicht deshalb von selbst, weil der Junge sich nach den Feststellungen auf den Bauch gedreht hatte, um die Handlungen des Angeklagten abzuwehren. Denn dies lässt nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Angeklagte habe nunmehr mit seiner Manipulation am Penis des Geschädigten , die als sexuelle Handlung grundsätzlich von einer Gewaltanwendung als Nötigungshandlung zu unterscheiden ist (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – 2 StR 405/15, StV 2017, 42), ausnahmsweise zugleich den Widerstand des Opfers überwunden und überwinden wollen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick darauf, dass den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist, wie es bei der Liegesituation des Jungen überhaupt zur Fortsetzung der Manipulation an seinem Geschlechtsteil gekommen sein soll.
6
Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter auch die Möglichkeit einer tateinheitlichen Verurteilung nach § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F., § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. in den Blick zu nehmen sowie gegebenenfalls im Rahmen der Prüfung des § 177 StGB zu erwägen haben, ob der Angeklagte eine schutzlose Lage des Opfers zur Tatbe- gehung ausgenutzt hat (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F., § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB n.F.).
7
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 1 der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
Krehl Richter am BGH Dr. Eschelbach ist Zeng an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Richterin am BGH Dr. Bartel ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Schmidt

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 4 0 0 / 1 4
vom
4. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. März 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 2. Juni 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall II. 2. der Urteilsgründe freigesprochen worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs jugendpornographischer Schriften in drei Fällen und wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Von dem Vorwurf der Vergewaltigung bzw. der sexuellen Nötigung (Fall II. 2. der Urteilsgründe [Fall 1 der Anklage]) hat ihn das Landgericht aus rechtlichen Gründen und von einem weiteren Anklagevorwurf aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Gegen den aus rechtlichen Gründen vorgenommenen Freispruch richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers, die jeweils die Verletzung materiellen Rechts rügen; der Nebenkläger rügt zudem die Verletzung formellen Rechts. Die Rechtsmittel haben mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
1. Nach den zu Fall II. 2. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen hielt sich der zum Tatzeitpunkt 15-jährige Nebenkläger in der Wohnung des Angeklagten auf. Er begab sich in das Badezimmer, zog dort seine Hose und Unterhose herunter und urinierte in die Toilettenschüssel. Der Angeklagte stand plötzlich unmittelbar hinter dem Nebenkläger, umfasste mit seiner linken Hand den entblößten Penis und "drückte einmal kurz zu, um sich hierdurch sexuelle Erregung zu verschaffen". Durch das Zudrücken empfand der Nebenkläger "für einen kurzen Augenblick leichte Schmerzen". Sodann "zog der Angeklagte derart am Glied des Nebenklägers, dass sich dieser - wie vom Angeklagten beabsichtigt - mit seinem Körper nach links umdrehen musste". Der Angeklagte ließ nunmehr den Penis los, hockte sich vor den Nebenkläger und führte kurzzeitig den Oralverkehr aus. Der Nebenkläger drehte sich weg und beendete damit den Oralverkehr.
3
2. Das Landgericht hat den Angeklagten im Fall II. 2. der Urteilsgründe aus rechtlichen Gründen freigesprochen. Da die Feststellungen keine schutzlose Lage belegten, sei der Tatbestand gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht erfüllt. Eine Verurteilung gemäß § 182 Abs. 1 Nr. 1 StGB scheide aus, weil eine Zwangslage des Nebenklägers nicht festgestellt werden könne. Auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) komme nicht in Betracht, weil der Angeklagte "die Schwelle zu einer üblichen [gemeint: üblen] unangemessenen Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden muss, nicht überschritten" habe. Bei dem von dem Nebenkläger geschilderten "leichten Schmerz" habe es sich um eine - nicht tatbestandsmäßige - geringfügige und folgenlose Beeinträchtigung des Wohlbefindens gehandelt. Zudem seien keine Verletzungsfolgen festzustellen gewesen.

II.

4
Die auf den Freispruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
5
1. Die Staatsanwaltschaft hat zwar eingangs ihrer Revisionsbegründungsschrift keine Beschränkung erklärt und am Ende ihrer Ausführungen die (uneingeschränkte) Aufhebung des Urteils im Schuld- und Strafausspruch und Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer zur erneuten Verhandlung und Entscheidung beantragt. Mit diesem umfassenden Revisionsantrag steht jedoch der übrige Inhalt der Revisionsbegründungsschrift nicht in Einklang. Daraus ergibt sich, dass die Revisionsführerin das Urteil ausschließlich im Fall II. 2. der Urteilsgründe für fehlerhaft hält. Somit widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung. Unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV (vgl. auch Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 90/14, NStZ-RR 2014, 285 mwN) versteht der Senat daher das gesamte Revisionsvorbringen dahin, dass die Staatsanwaltschaft das Urteil nicht angreifen will, soweit der Angeklagte verurteilt und aus tatsächlichen Gründen freigesprochen worden ist.
6
2. Der Freispruch des Landgerichts lässt besorgen, dass der Tatrichter einen falschen rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt hat.
7
a) Nach den Feststellungen verursachte der Griff des Angeklagten an den entblößten Penis des Geschädigten einen "leichten Schmerz". In diesem Fall war aber das körperliche Wohlbefinden des Geschädigten nicht nur ganz unerheblich beeinträchtigt. Dies würde für eine Verurteilung wegen Körperverletzung ausreichen auch wenn Verletzungsfolgen nicht festgestellt werden konnten (vgl. auch Senat, Urteil vom 22. November 1991 - 2 StR 225/91, insoweit in StV 1992, 106 nicht abgedruckt; BGH, Beschluss vom 22. Oktober 2013 - 3 StR 323/13, NStZ-RR 2014, 11; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 223 Rn. 4, 6 mwN). Die recht unklaren Feststellungen des Landgerichts lassen aber weder erkennen, ob der Begriff "Schmerz" hier zutreffend verwendet ist und ob er vom Geschädigten selbst verwendet oder diesem - etwa als Vorhalt - vorgegeben wurde, noch verhalten sie sich zu dem erforderlichen Vorsatz des Angeklagten.
8
b) Auch ob die Tat als sexuelle Nötigung (vgl. Senat, Urteil vom 22. November 1991 - 2 StR 225/91, insoweit in StV 1992, 106 nicht abgedruckt; Fischer, aaO, § 177 Rn. 104) zu bewerten ist, wird der neue Tatrichter zu entscheiden haben. Selbst wenn der Nebenkläger aufgrund des vom Angeklagten sexuell motivierten Ziehens an seinem Penis mit einer Linksdrehung seines Körpers nachgeben musste, wäre damit der Tatbestand gemäß § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB nicht ohne Weiteres erfüllt. Denn für die Annahme einer sexuellen Nötigung "mit Gewalt" ist erforderlich, dass der Täter physische Kraft entfaltet, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (vgl. auch Senat, Beschluss vom 31. Juli 2013 - 2 StR 318/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17). Dass der Angeklagte eine solche Zwangswirkung erzielen wollte, ist bisher nicht belegt.
9
c) Das Urteil ist im Fall II. 2. der Urteilsgründe mit den Feststellungen aufzuheben (vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 353 Rn. 15a mwN).

III.

10
Die - nach Auslegung - ebenfalls allein auf den Freispruch im Fall II. 2. der Urteilsgründe zulässig beschränkte Revision des Nebenklägers hat mit der Sachrüge aus den unter II. 2. ausgeführten Gründen Erfolg; auf die (unzulässige ) Verfahrensrüge kommt es nicht an. Fischer RiBGH Dr. Appl ist an Krehl der Unterschrift gehindert. Fischer Eschelbach Zeng

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 405/15
vom
30. März 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:300316U2STR405.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. März 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 15. Juni 2015
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte im Oktober 2012 die Zeugin S. S. kennen und bezog mit dieser und ihrer am 26. Januar 2011 geborenen Tochter So. im Dezember 2012 eine gemeinsame Wohnung. Dort war am 2. Mai 2013 die Schwester seiner Lebensgefährtin , M. S. , zu Besuch. In der Zeit zwischen 18.30 Uhr und 18.45 Uhr brachte der Angeklagte das Kind zu Bett. Gegen 19.00 Uhr verließen S. und M. S. die Wohnung, um Einkäufe vorzunehmen. In der Zeit ihrer etwa einstündigen Abwesenheit drang der Angeklagte mit einem Körperteil oder einem Gegenstand in die Scheide des Kindes ein, das dadurch Schmerzen erlitt und blutete. Dies wurde zunächst von S. und M. S. nach ihrer Rückkehr nicht bemerkt. Gegen 21.00 Uhr begab sich der Angeklagte zur Arbeit. Etwa eine Stunde später stellte S. S. fest, dass das Kind eingenässt hatte und Blutungen im Genitalbereich aufwies. Nach dem Ergebnis einer anschließenden ärztlichen Untersuchung hatte es einen Dammriss erlitten.
3
Der Angeklagte hat die Tatbegehung bestritten. Das sachverständig beratene Landgericht hat aus der Art der Verletzung darauf geschlossen, dass ausschließlich eine Penetration die Ursache dafür gewesen sein könne. Als Täter komme nach den festgestellten Umständen nur der Angeklagte in Betracht.
4
Das Landgericht hat die Tat als Vergewaltigung durch Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, in Tateinheit mit einem schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes bewertet.

II.

5
Die Revision hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
6
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtlich nicht zu beanstanden.
7
a) Eine Verurteilung ist in einem Ausschlussverfahren möglich, wenn kein Beweisanzeichen vorliegt, das unmittelbar auf die Tatbegehung und den Täter schließen lässt. Dieses methodische Vorgehen bildet allerdings nur dann eine tragfähige Grundlage für die Verurteilung eines Angeklagten, wenn alle relevanten Alternativen mit einer den Mindestanforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung genügenden Weise abgelehnt werden, wobei ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit genügt, das vernünftige und nicht bloß auf denktheoretische Möglichkeiten gestützte Zweifel nicht mehr zulässt (vgl. Senat, Urteil vom 2. Dezember 2012 – 2 StR 395/11, StraFo 2012, 466 f.).
8
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe gerecht.
9
aa) Das Landgericht hat aufgrund des medizinischen Befundes darauf geschlossen, dass nur eine Penetration als Ursache für den Dammriss in Betracht kommt. Für einen Sturz des Kindes auf einen Gegenstand mit gespreizten Beinen als Alternative hat es keinen konkreten Hinweis gesehen. Gegen seine Beweiswürdigung ist insoweit rechtlich nichts zu erinnern.
10
bb) Auch die Annahme, dass nach den zeitlichen Abläufen nur der Angeklagte als Verursacher der Verletzung des Kindes im Genitalbereich in Betracht kommt, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Frauen hat das Landgericht als mögliche Verursacherinnen in rechtlich unbedenklicher Weise ausgeschlossen. Danach blieb in dem für die Tatbegehung verbleibenden zeitlichen Rahmen nur der Angeklagte als Täter übrig.
11
Hiernach ist die Tatsache, dass S. und M. S. die Verletzung des Kindes erst geraume Zeit nach ihrer Rückkehr in die Wohnung bemerkt haben, für die Beweiswürdigung unerheblich. Das Landgericht hat die Tatsache, dass das Kind auf die äußerst schmerzhafte Verletzung mit Schreien reagiert haben muss, das jedoch von den Frauen nicht wahrgenommen wurde, nachvollziehbar damit erklärt, dass das Kind nach der in Abwesenheit der Frauen begangenen Tat und seinem Schreien vor Schmerzen so erschöpft war, dass es später auch dem herbeigerufenen Notarzt völlig apathisch erschien.
12
cc) Aus der Art der Verletzung und den Umständen zur Tatzeit – nach Zubettbringen des Kindes – konnte das Landgericht schließlich auf das Vorliegen einer sexuellen Handlung als Ursache schließen.
13
Die Strafkammer konnte zwar nicht feststellen, ob der Angeklagte einen Körperteil oder einen Gegenstand in die Scheide der Nebenklägerin eingeführt hat. Beides stellt aber eine im Hinblick auf Art und Ausmaß der Verletzung im Genitalbereich und der Vaginalpenetration als Verletzungsursache eine dem Beischlaf ähnliche Handlung dar, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden ist (§ 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB).
14
Dass die Strafkammer keine Feststellungen zur Motivlage des Angeklagten zu treffen vermochte, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, da der sexuelle Charakter der Handlung bereits nach dem äußeren Erscheinungsbild auf der Hand liegt. Eine sexuelle Motivation des Täters ist dann zur Feststellung des Vorliegens einer sexuellen Handlung nicht erforderlich (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 184h Rn. 4; BeckOK-StGB/Ziegler, StGB, 29. Ed., § 184h Rn. 3).
15
2. Der Schuldspruch ist entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts abzuändern, da die Feststellungen die Annahme einer tateinheitlich verwirklichten sexuellen Nötigung nicht tragen.
16
a) Für eine Anwendung des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB reicht es nicht aus, dass der Angeklagte die Abwesenheit schutzbereiter Dritter, also der Mutter des Kindes und deren Schwester, zur Verwirklichung der Tat ausnutzte. Aus dem bloßen Alleinsein von Täter und kindlichem Opfer, das aufgrund seiner konstitutionellen Lage keinen Widerstand leisten kann, kann sich daher nicht schon eine schutzlose Lage im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB ergeben (vgl. Fischer, StGB § 177 Rn. 29; MünchKomm/Renzikowski, StGB, 2. Aufl., § 177 Rn. 50). Vielmehr ist zur Erfüllung dieses Tatbestands erforderlich, dass die sexuellen Handlungen gegen den Willen des Opfers geschehen und das Opfer keinen Widerstand leistet, weil es dies aufgrund seiner schutzlosen Lage für aussichtslos hält (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 2006 - 2 StR 345/05; BGHSt 50, 359, 366; Beschluss vom 24. Februar 2015 - 5 StR 12/15, BGHR StGB § 176a Abs. 3 Konkurrenzen 1; Fischer, StGB § 177 Rn. 40). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat das Landgericht nicht festgestellt. Es ist auch nicht zu erwarten, dass entsprechende Feststellungen vom neuen Tatrichter getroffen werden können.
17
b) Ferner ist nicht anzunehmen, dass das Landgericht in der neuen Hauptverhandlung noch weitere Feststellungen treffen könnte, die zu einer Anwendung von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB führen würden.
18
Die Penetration als sexuelle Handlung ist von einer Gewaltanwendung als Nötigungshandlung zu unterscheiden, denn der Verbrechenstatbestand setzt insoweit sowohl eine Nötigung mit Gewalt als auch die Vornahme oder Duldung einer sexuellen Handlung als Nötigungserfolg voraus (vgl. BGH, Urteil vom 7. November 1961 – 1 StR 407/61, BGHSt 17, 1, 3 f.; Urteil vom 2. Juni 1982 – 2 StR 669/81, BGHSt 31, 76, 77; Beschluss vom 5. Oktober 2004 - 3 StR 256/04, NStZ 2005, 268; Fischer, StGB § 177 Rn. 14; Matt/Renzikowski/Eschelbach, StGB, 2013, § 177 Rn. 17; SSW/Wolters, StGB, 2. Aufl., § 177 Rn. 14).
19
Allein aus der Tatsache, dass eine Penetration erfolgt ist, die das Kind verletzt hat, kann auch nicht zugleich auf die Anwendung von Gewalt, etwa durch ein Festhalten des Opfers, geschlossen werden. Da der Angeklagte die Tatbegehung bestreitet, das geschädigte Kind nicht aussagetüchtig ist und sonstige Beweismittel fehlen, lässt sich im Ergebnis nicht nachweisen, dass der Angeklagte über die Vornahme der sexuellen Handlung hinaus nötigende Gewalt im Sinne von § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB eingesetzt hat.
20
c) Deshalb muss der Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Vergewaltigung entfallen. Die Anwendung von § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB ist rechtsfehlerfrei. Das Verfahren ist mit der Anklageerhebung auf den Vorwurf der Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes beschränkt worden.
21
Der Senat ändert den Schuldspruch dementsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil der Angeklagte sich bei einem rechtlichen Hinweis auf diese Möglichkeit nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
22
3. Die Änderung des Schuldspruchs zwingt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Fischer Appl Krehl Eschelbach Bartel

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 561/11
vom
20. März 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 20. März 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 8. Juli 2011 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen (II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist,
b) soweit der Angeklagte wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung (II. 1, II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe) verurteilt worden ist. Hiervon ausgenommen bleiben die Feststellungen zum äußeren Sachverhalt ,
c) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexueller Nötigung (Vergewaltigung )“ in zwei Fällen, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Die Verurteilung des Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen nach § 177 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1 StGB in den Fällen II. 4 und II. 5 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
1. Nach den Feststellungen lebten der aus dem Iran stammende Angeklagte und seine deutsche Ehefrau, die Zeugin A. N. , anfänglich in einer harmonischen Beziehung. Dem Angeklagten gefiel, dass sich A. N. erfolgreich darum bemühte, die persische Sprache zu erlernen und von ihrem alten Bekanntenkreis lossagte. Nach der Geburt des zweiten Kindes änderte der Angeklagte sein Verhalten. Er zeigte sich leicht reizbar und nahm alltägliche Belanglosigkeiten zum Anlass, A. N. zu beschimpfen und zu beleidigen. Ab dem Jahr 2000 kam es auch zu tätlichen Übergriffen. Diese ereigneten sich insbesondere dann, wenn sich A. N. dem Willen des Angeklagten widersetzte oder eine abweichende Meinung äußerte.
A. N. lebte seit dieser Zeit in ständiger Angst und in der Erwartung neuerlicher Übergriffe.
4
a) An einem Abend im Sommer 2009 äußerte der Angeklagte gegenüber A. N. in der gemeinsamen Ehewohnung den Wunsch, mit ihr den Analverkehr auszuüben. Obwohl sie sein Ansinnen entschieden ablehnte, holte der Angeklagte eine Fettcreme aus dem Badezimmer und begab sich zu A. N. , die sich bereits auf einer Schlafcouch im Wohnzimmer zum Schlafen niedergelegt hatte. Als der Angeklagte erneut kundtat, jetzt den Analverkehr durchführen zu wollen, lehnte A. N. dies wiederum ab und fügte hinzu, dass eine Ausübung des Analverkehrs gegen ihren Willen eine Vergewaltigung sei. Der Angeklagte gab A. N. daraufhin zu verstehen , dass sie sich nicht so anstellen solle und zog ihr die Schlafanzughose herunter. A. N. sah in dieser Situation keine Möglichkeit mehr, sich dem Willen des Angeklagten zu widersetzen. Für den Fall einer Gegenwehr rechnete sie mit Schlägen. Außerdem befürchtete sie, dass dann die beiden gemeinsamen Kinder erwachen und ebenfalls Opfer von Tätlichkeiten des Angeklagten werden könnten. Der Angeklagte vollzog nun mit der weinenden und sich vor Schmerzen windenden A. N. den Analverkehr bis zum Samenerguss. Dabei drückte er sie so an eine Wand, dass sie sich aus ihrer Position nicht befreien konnte. Bei alldem ging der Angeklagte davon aus, dass A. N. den Analverkehr nur deshalb ohne Gegenwehr erduldete, weil sie unter dem Eindruck der regelmäßig stattfindenden Übergriffe keine Chance sah, sich seinem Willen zu widersetzen und Angst um ihre eigene körperliche Unversehrtheit und die ihrer Kinder hatte. Im Fall einer Gegenwehr wäre der Angeklagte auch gewillt gewesen, sein Vorhaben mit Gewalt durchzusetzen. A. N. hatte bis zum nächsten Tag Schmerzen beim Sitzen und erlitt eine Blutung im Analbereich (Fall II. 4 der Urteilsgründe).
5
Wenige Monate nach diesem Vorfall kehrte der Angeklagte mit A. N. von einem gemeinsamen Restaurantbesuch in die Ehewohnung zurück. Während des gesamten Tages herrschte eine harmonische und ausgelassene Stimmung. Nachdem sich A. N. bereits schlafen gelegt hatte, trat der Angeklagte zu ihr an die Schlafcouch und kündigte an, ein weiteres Mal den Analverkehr mit ihr ausüben zu wollen. A. N. begann zu weinen und lehnte die Durchführung des Analverkehrs unter Hinweis auf die damit für sie verbundenen Schmerzen ab. Der Angeklagte erwiderte, dass Sex wehtun müsse, zog A. N. die Schlafanzughose aus und vollzog mit ihr den Analverkehr. A. N. verzichtete auf eine Gegenwehr, weil sie auch diesmal - trotz des harmonischen Tages - mit Gewalttätigkeiten des Angeklagten rechnete. Dem Angeklagten war bewusst, dass er nur deshalb keinen Widerstand zu erwarten hatte, weil ihn A. N. als einen Menschen kennengelernt hatte, der seine Wünsche notfalls unter Zuhilfenahme von Gewalt durchsetzt. Da sich A. N. vor Schmerzen hin und her wandte, glitt der Angeklagte mit seinem Penis aus ihrem After heraus. Obgleich er hierüber sehr erzürnt war, ließ er entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten von ihr ab und sprach in der Folgezeit kein Wort mehr (Fall II. 5 der Urteilsgründe).
6
b) Das Landgericht hat angenommen, dass sich A. N. in beiden Fällen in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befand, weil sie auf Grund äußerer und in ihrer Person liegender Faktoren keine effektive Möglichkeit hatte, sich der Einwirkung des Angeklagten zu entziehen oder erfolgversprechend Widerstand zu leisten. In der ehelichen Wohnung hielten sich neben A. N. und dem Angeklagten jeweils nur die gemeinsamen neun und zehn Jahre alten Kinder auf. Der Angeklagte war ihr und den Kindern körperlich überlegen. Auf Grund ihrer Gewalterfahrungen lebte A. N. in ständiger Furcht vor neuen Übergriffen und verfügte nur über ein geringes Selbstbewusstsein. Es fiel ihr deshalb schwer, dem Willen des Angeklagten etwas entgegen zu setzen. Diese Lage wurde von dem Angeklagten bewusst ausgenutzt. Eine Gewaltanwendung (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB) oder eine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) hat das Landgericht nicht feststellen können. Soweit A. N. von dem Angeklagten bei der Ausführung des Analverkehrs gegen eine Wand gedrückt wurde, ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dadurch nicht der sexuelle Kontakt erzwungen werden sollte (UA S. 42).
7
2. Die Feststellungen belegen in beiden Fällen nicht, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben sind.
8
a) Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt voraus, dass sich das Opfer in einer Lage befindet, in der es über keine effektiven Schutz- oder Verteidigungsmöglichkeiten mehr verfügt und deshalb nötigender Gewalt des Täters ausgeliefert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2007 – 4 StR 345/06, NJW 2007, 2341, 2343; Urteil vom 3. November 1998 – 1 StR 521/98, BGHSt 44, 228, 231 f.; MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 43; LK/Hörnle, 12. Aufl., § 177 Rn. 98; SSW-StGB/Wolters § 177 Rn. 18 mwN). Hiervon ist auszugehen, wenn das Opfer bei objektiver ex-anteBetrachtung keine Aussicht hat, sich den als mögliche Nötigungsmittel in Betracht zu ziehenden Gewalthandlungen des Täters zu widersetzen, sich seinem Zugriff durch Flucht zu entziehen oder fremde Hilfe zu erlangen. Dazu ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände vorzunehmen, bei der neben den äußeren Gegebenheiten (Beschaffenheit des Tatortes, Vorhandensein von Fluchtmöglichkeiten, Erreichbarkeit fremder Hilfe etc.) auch das individuelle Vermögen des Tatopfers zu wirksamem Widerstand oder erfolgreicher Flucht und die Fähigkeit des Täters zur Anwendung von nötigender Gewalt in den Blick zu nehmen sind (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11 Rn. 5 und 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44).
9
b) Den sich hieraus ergebenden Anforderungen hat das Landgericht nicht hinreichend Rechnung getragen. Bei der von ihm vorgenommenen Gesamtbewertung sind wichtige Gesichtspunkte außer Ansatz geblieben.
10
So hat sich das Landgericht in beiden Fällen nicht mit eventuell gegebenen Fluchtmöglichkeiten von A. N. auseinandergesetzt. Die Tatsache , dass sich A. N. jeweils allein mit dem Angeklagten im Wohnzimmer der Familienwohnung befand und von den schlafenden Kindern keine Hilfe erwarten konnte, belegt für sich genommen noch nicht, dass es ihr nicht möglich war, sich dem Angeklagten durch Flucht zu entziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267 Rn. 2; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 44; MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44; Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 9). Konkrete Feststellungen zu den räumlichen Gegebenheiten in der Wohnung und zum Schließzustand der Türen hat das Landgericht nicht getroffen. Die mitgeteilten Begleitumstände legen es in beiden Fällen nicht nahe, dass der Angeklagte vorab darauf bedacht gewesen sein könnte, eventuelle Fluchtwege durch entsprechende Vorkehrungen zu versperren. Im Fall II. 4 der Urteilsgründe ließ er A. N. zunächst allein im Wohnzimmer zurück , nachdem er bereits angekündigt hatte, den Analverkehr durchführen zu wollen und auch ihren entgegenstehenden Willen kannte (UA S. 10). Im Fall II. 5 der Urteilsgründe herrschte zwischen den Eheleuten bis zur Tatsituation eine ausgelassene und harmonische Stimmung, die A. N. an den Beginn ihrer Beziehung erinnerte (UA S. 11).
11
Zudem hätte sich das Landgericht auch eingehend mit der Frage befassen müssen, ob es A. N. in zumutbarer Weise möglich war, durch Schreie oder andere Geräusche fremde Hilfe zu erlangen. Die Feststellung, dass sie bei einer Gegenwehr mit Schlägen des Angeklagten rechnete und alles unterließ, was ihre Kinder wecken konnte, damit nicht auch sie Opfer befürchteter Übergriffe des Angeklagten werden (UA S. 10), belegt nur, dass sich A. N. schutzlos fühlte, weil sie keinen Weg sah, Dritte ohne Risiko für sich selbst und ihre Kinder auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Ob und inwieweit ihre Befürchtungen tatsächlich berechtigt waren und siedeshalb – woraufes hier maßgeblich ankommt – auch bei objektiver Betrachtung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. November 2011 – 3 StR 359/11, Rn. 7; Urteil vom 25. Januar 2006 – 2 StR 345/05, BGHSt 50, 359, 362 f.; a.A. MüKoStGB/ Renzikowski, 2. Aufl., § 177 Rn. 44 mwN) keine Möglichkeit hatte, fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, hat das Landgericht nicht geprüft, obgleich hierzu Anlass bestand. Die Eheleute wohnten in einem Mehrfamilienhaus. Der Nachbarin Ar. war auf Grund von Gesprächen schon seit 2007/2008 bekannt, dass A. N. unter gewalttätigen Übergriffen des Angeklagten litt (UA S. 13). Auch die Nachbarin P. wusste um die bestehenden Eheschwierigkeiten (UA S. 13). Wie sich aus den zu Fall II. 11 getroffenen Feststellungen ergibt, haben beide bei anderer Gelegenheit sofort an der Wohnungstür geklingelt, als sie aus der Wohnung Schreie des von dem Angeklagten misshandelten Sohnes R. hörten. Anschließend verständigten sie die Polizei. Als der Angeklagte durch A. N. hiervon erfuhr, ließ er sofort von R. ab und bemühte sich stattdessen um eine Verheimlichung des Vorgefallenen (UA S. 16). Danach versteht es sich nicht von selbst, dass Hilferufe ohne Resonanz geblieben wären und der Angeklagte hierauf tatsächlich mit Schlägen reagiert hätte. Sein Verhalten im Fall II. 11 der Urteilsgründe lässt auch die Möglichkeit offen, dass er aus Angst vor einer durch die Rufe erzeugten Aufmerksamkeit der Nachbarn und einer möglichen Verständigung der Polizei von seinem Vorhaben Abstand genommen und ohne tätlich zu werden versucht hätte, den Vorfall nicht bekannt werden zu lassen. Schließlich findet sich auch für die Annahme, der Angeklagte könnte die durch Geräusche geweckten Kinder schlagen, im Urteil keine ausreichende Tatsachengrundlage. Nach den Feststellungen wurde von dem Angeklagten nur der gemeinsame Sohn R. vielfach misshandelt, wobei er dies für eine Form der Erziehung hielt und damit jeweils auf vorheriges Fehlverhalten reagierte. Übergriffe zum Nachteil der Tochter B. werden im Urteil an keiner Stelle geschildert. Stattdessen ist davon die Rede, dass B. N. von dem Angeklagten verwöhnt und bevorzugt wurde (UA S. 13).
12
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
13
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
14
Eine sexuelle Nötigung durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) begeht auch, wer eine sexuelle Handlung erzwingt, indem er durch ein schlüssiges Verhalten auf frühere Gewaltanwendungen hinweist oder frühere Drohungen konkludent bekräftigt (Nachweise bei Perron/Eisele, in: Schönke/Schröder 28. Aufl., § 177 Rn. 7). Dabei kann auch Gewalt, die der Täter zuvor aus anderen Gründen angewendet hat, als gegenwärtige Drohung mit nötigendem körperlichem Zwang fortwirken. Der objektive Tatbestand des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist deshalb auch dann verwirklicht, wenn eine Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände ergibt, dass der Täter gegenüber dem Opfer durch häufige Schläge ein Klima der Angst und Einschüchterung geschaffen hat (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 6. Juli 1999 – 1 StR 216/99, NStZ 1999, 505; Urteil vom 31. August 1993 – 1 StR 418/93, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8; vgl. Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5) und das Opfer die ihm abverlangten sexuellen Handlungen nur deshalb duldet, weil es auf Grund seiner Gewalterfahrungen mit dem Täter befürchtet, von ihm erneut körperlich misshandelt zu werden, falls es sich seinem Willen nicht beugt (BGH, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 5. April 1989 – 2 StR 557/88, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 5; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331). In subjektiver Hinsicht setzt § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB in diesen Fällen voraus, dass der Täter die von seinem Vorverhalten ausgehende latente Androhung weiterer Misshandlungen in ihrer aktuellen Bedeutung für das Opfer erkennt und als Mittel zur Erzwingung der sexuellen Handlungen einsetzt (BGH, Beschluss vom 1. Juli 2004 – 4 StR 229/04, NStZ 2005, 267, 268; Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 StR 153/02, NStZ-RR 2003, 42, 43; Beschluss vom 26. Februar 1986 – 2 StR 76/86, NStZ 1986, 409; Beschluss vom 15. März 1984 – 1 StR 72/84, StV 1984, 330, 331).

II.


15
Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen tateinheitlich in acht Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß den § 223 Abs. 1, § 225 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1, § 52 StGB begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
16
1. Nach den Feststellungen schlug der Angeklagte seinen am 18. Dezember 1998 geborenen Sohn R. schon im Kleinkindalter mit der flachen Hand. Nach der Einschulung im Jahr 2005 begann er damit, seinen Sohn auch mit einem Pantoffel oder einem Gürtel zu schlagen. Der Angeklagte verstand diese Misshandlungen als körperliche Züchtigung und glaubte auf diese Weise, seine Erziehungsziele (Gehorsam, Disziplin und schulischer Erfolg) durchsetzen zu können. Durchschnittlich kam es einmal in der Woche zu einem Übergriff. Außerdem belegte der Angeklagte seinen Sohn R. vielfach mit herabsetzenden Äußerungen, die sich insbesondere auf seine Leibesfülle und seine schulischen Leistungen bezogen. R. N. litt unter den Misshandlungen und dem erniedrigenden Verhalten des Angeklagten so sehr, dass er Mitte des Jahres 2009 von seiner Mutter die Trennung von dem Angeklagten forderte und seine Selbsttötung androhte. Im Einzelnen hat das Landgericht der Verurteilung folgende Übergriffe zugrunde gelegt:
17
(1) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 warf der Angeklagte seinen Sohn R. auf den Boden des Kinderzimmers, weil er sich über eine Belanglosigkeit im Zusammenhang mit dem Schulbesuch geärgert hatte. Anschließend schleifte er ihn an den Beinen durch den Raum, wobei das Gesicht von R. N. über denTeppich gezogen wurde. Dieser erlitt dadurch eine Schürfwunde am Auge (Fall II. 7 der Urteilsgründe).
18
(2) An einem nicht mehr näher bestimmbaren Tag im Sommer 2005 stieß der Angeklagte seinen Sohn R. zu Boden und zog ihn anschließend an einem Ohr nach oben, weil er in der Schule sein Pausenbrot mit einem farbigen Mitschüler getauscht hatte (Fall II. 8 der Urteilsgründe).
19
(3) Im Februar 2008 schlug der Angeklagte seinem Sohn R. mehrfach mit den bloßen Händen auf den Oberkörper, nachdem eine Mathematik- arbeit mit „ungenügend“ bewertet worden war. Als sich A. N. zwi- schen den Angeklagten und den gemeinsamen Sohn stellte, verdrehte ihr der Angeklagte zur Strafe die linke Hand. A. N. erlitt dadurch eine Bänderdehnung, die ärztlich behandelt werden musste (Fall II. 1 der Urteilsgründe ).
20
(4) Am Morgen des 28. November 2009 würgte der Angeklagte seine Ehefrau A. N. aus Wut über den am Vortag nicht zu Ende geführten Analverkehr bis zur Luftnot. Als R. N. den Versuch unternahm, den Angeklagten von seiner Mutter wegzuziehen, verdrehte ihm der Angeklagte den Arm und stieß ihn in schmerzhafter Art und Weise weg (Fall II. 6 der Urteilsgründe

).


21
(5) Im Dezember 2009 drückte der Angeklagte seinem SohnR. beim Schneiden der Haare die Spitze der Friseurschere in die Kopfhaut, weil sich R. zuvor über einen unabsichtlichen Schnitt in das Ohr beklagt hatte. R. N. erlitt starke Schmerzen und begann zu weinen (Fall II. 9 der Urteilsgründe ).
22
(6) Am 19. Januar 2010 stellte sich der Angeklagte mit einem Fuß auf den Brustkorb des am Boden liegenden R. und trat ihm zweimal in das Gesicht. Der Angeklagte reagierte damit auf die Weigerung seines Sohnes, weiter Sport zu treiben. Bei den Tritten trug der Angeklagte Badeschuhe (Fall II. 10 der Urteilsgründe).
23
(7) Am 25. Januar 2010 versetzte der Angeklagte seinem Sohn R. mindestens fünf Schläge mit einem Hosengürtel auf die Beine und den Oberkörper , weil er bei dem Fertigen der Hausaufgaben Strichmännchen mit Geschlechtsmerkmalen gezeichnet hatte. Als R. laut zu schreien begann, klingelten die Nachbarinnen Ar. und P. gemeinsam an der Wohnungstür der Familie N. und verständigten die Polizei. Als der Angeklagte hiervon durch A. N. erfuhr, ließ er von seinem Sohn R. ab und drohte ihm an, dass er in ein Heim komme, wenn er von den Schlägen berichte (Fall II. 11 der Urteilsgründe).
24
(8) Am 30. Januar 2010 schlug der Angeklagte mehrfach mit der flachen Hand auf seinen Sohn ein, weil er aus seiner Sicht unnötige Telefonkosten verursacht hatte. Als A. N. intervenierte und den Angeklagten fragte, ob der vorangegangene Vorfall mit der Polizei nicht genug gewesen sei, ließ er von R. ab (Fall II. 12 der Urteilsgründe).
25
Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte durch die in den Fällen II. 1 und II. 6 bis II. 12 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzungshandlungen zum Nachteil seines Sohnes R. das Tatbestandsmerkmal des Quälens im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 StGB verwirklicht hat. Dabei ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer „deliktischen Einheit der Geschehnisse im Sinne einer tatbestandlichen Handlungseinheit“ (UA S. 45) ausgegangen. Zur Begründung hat es auf die Identität des Geschädigten , die Kontinuität der Tatsituationen und die ohne Zäsur vorhandene gefühllose , das Leiden von R. missachtende Erziehungsmotivation des Angeklagten abgestellt. Danach lag bei dem Angeklagten ein den gesamten Tatzeitraum überspannender Vorsatz vor, seinen Sohn R. bei gegebenem Anlass körperlich zu züchtigen, um das eigene Wertesystem durchzusetzen. Die in den Fällen II. 1 und 6 der Urteilsgründe begangenen Körperverletzungen zum Nachteil von A. N. stünden hierzu in Tateinheit.
26
2. Hiergegen bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
27
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Urteil vom 6. Dezember 1995 – 2 StR 465/95, NStZ-RR 1996, 197; Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115), die über die typischen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen (BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2006 – 2 StR 470/06). Mehrere Körperverletzungshandlungen , die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB erfüllen, können als ein Quälen im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wiederholung den gegenüber § 223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit und damit einer den Tatbestand des § 225 Abs. 1 StGB verwirklichenden Tat zusammengefasst (BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; vgl. Urteil vom 30. März 1995 – 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 400; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338). Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erforderlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räumliche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Einzelakte prägende Gesinnung mögliche Indikatoren (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 ff.). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Opfer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306; MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Hirsch NStZ 1996, 37; Wolfslast/Schmeissner JR 1996, 338, 339).
28
b) Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen acht Fällen der Misshandlung von Schutzbefohlenen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Keine der geschilderten Gewalthandlungen hat zu länger andauernden oder sich wiederholenden Schmerzen geführt, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung hinausgegangen sind. Soweit das Landgericht – wie seine Ausführungen in der rechtlichen Würdigung nahelegen – davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB bewirkt worden ist, vermag dies nur eine Verurteilung wegen einer Misshandlung von Schutzbefohlenen, nicht aber einen Schuldspruch wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in acht – lediglich zu Gunsten des Angeklagten zu einer Tateinheit zusammengeführten (UA S. 45) – Fällen zu rechtfertigen.
29
Dessen ungeachtet begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellten acht Einzeltaten zu einer tatbestandlichen Handlungseinheit durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die unter II. 7 der Urteilsgründe dargestellte erste konkretisierte Körperverletzungshandlung wurde zwischen Sommer 2005 und Sommer 2007 begangen. Tatzeit der unter II. 8 der Urteilsgründe festgestellten Körperverletzung ist der Sommer 2005. Der unter II. 1 der Urteilsgründe geschilderte körperliche Übergriff fand im Februar 2008 statt. Ab dem 28. November 2009 schlossen sich dann bis zum 30. Januar 2010 die unter II. 6 und II. 9 bis II. 12 festgestellten Körperverletzungen an. Der Begriff des Quälens in § 225 Abs. 1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilakten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Tagen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das Gesamtgeschehen auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlossen bleibt (vgl. MüKoStGB/Hardtung § 225 Rn. 14; Warda in Festschrift Hirsch, 1999, S. 391, 395 f., 406 f.). Mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperverletzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können. Die allgemein gehaltene Feststellung des Landgerichts (UA S. 14), wonach der Angeklagte ab dem Jahr 2005 durchschnittlich einmal in der Woche seinen Sohn geschlagen hat, ist nicht hinreichend bestimmt, um die Annahme einer sich über mehr als vier Jahre hinziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen.
30
Schließlich sind auch die Erwägungen des Landgerichts zum inneren Tatbestand nicht tragfähig. Nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten bei den einzelnen Taten stets darum, seinen Sohn R. für ein – aus seiner Sicht gegebenes – vorangegangenes Fehlverhalten körperlich zu züchtigen, um die von ihm angestrebten Erziehungsziele durchzusetzen (UA S. 7 und 13 f.). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatentschluss des Angeklagten zu Grunde lag (vgl. Hirsch NStZ 1996, 37). Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehender erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
31
c) Die Aufhebung erfasst auch die an sich rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) in zwei Fällen zum Nachteil von A. N. . Das Landgericht hat jeweils Tateinheit angenommen und damit einen eine Teilaufhebung hindernden Zusammenhang hergestellt.
32
Die Feststellungen zum äußeren Tageschehen bleiben aufrechterhalten, weil sie auf einer sorgfältigen und rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen und von der Gesetzesverletzung nicht berührt werden (§ 353 Abs. 2 StPO). Soweit der Angeklagte eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO geltend macht, weil die Akten eines früheren, die Zeugin A. N. betreffenden Scheidungsverfahrens nicht beigezogen worden sind, entspricht sein Vorbringen nicht den Erfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Eine zulässige Aufklärungsrüge setzt voraus, dass ein bestimmtes Beweismittel und ein bestimmtes zu erwartendes Beweisergebnis benannt werden (BGH, Beschluss vom 23. November 2004 – KRB 23/04, NJW 2005, 1381, 1382; KK-StPO/Fischer, 6. Aufl., § 244 Rn. 216). Die bloße Bezeichnung einer Akte und die Angabe, dass sich aus dieser Akte die Unwahrheit einzelner Angaben der Zeugin A. N. und das Vorliegen einer „tiefgreifenden psychischen Störung“ bei dieser Zeugin ergeben hätte, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH, Urteil vom 29. August 1990 – 3 StR 184/90, NStZ 1990, 602).
33
Durch die Aufhebungen wird auch dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage entzogen.
Ernemann Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 4 6 3 / 1 4
vom
7. Januar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. Januar 2015 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 13. August 2014 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer - Jugendkammer als Jugendschutzkammer - zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 66 Fällen, davon in 40 Fällen in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
I. Das Landgericht hat zu Lasten des Angeklagten in allen 66 Fällen der Vergewaltigung berücksichtigt, dass er zwei Tatbestandsvarianten des § 177 StGB verwirklicht hat. Dies ist rechtsfehlerhaft, weil es von den getroffenen Feststellungen nicht getragen wird.
3
1. Die Strafkammer ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei Durchführung des ersten Geschlechtsverkehrs mit seiner Tochter Gewalt aufgewendet hat, um ihren Widerstand gegen den sexuellen Übergriff zu brechen. Dass er sie in diesem Fall aber auch unter Ausnutzung einer Lage, in der sie seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war, zur Duldung des Geschlechtsverkehrs genötigt hat (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), ist nicht dargetan. Das insoweit vom Landgericht der Verurteilung zugrunde gelegte Tatgeschehen ist ersichtlich allein von der Gewaltanwendung des Angeklagten gegenüber seiner Tochter geprägt.
4
2. Soweit das Landgericht in den folgenden Fällen - vor allem auch mit Blick auf die Drohung des Angeklagten unmittelbar nach dem ersten Vorfall, nichts weiter zu erzählen, ansonsten werde er sie, ihren Bruder und die Mutter umbringen, aber auch im Hinblick auf das kindliche bzw. jugendliche Alter des Opfers und die Tatsache, dass ihr keinerlei Hilfsmöglichkeiten zur Verfügung standen - die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB angenommen hat, ist hiergegen grundsätzlich nichts zu erinnern. Dies gilt freilich nicht für die Taten , in denen der Angeklagte zur Erreichung seines Ziels wiederum Gewalt anwenden musste; denn dies tat er nur dann, wenn sich seine Tochter widersetze (vgl. UA S. 31), die Durchführung des angestrebten Geschlechtsverkehrs also "unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage" nicht erfolgversprechend erschien.
5
Die weitere Annahme der Strafkammer, die Gewalteinwirkung des Angeklagten bei der ersten Tat habe in allen weiteren Fällen fortgewirkt, erweist sich schon im Hinblick auf den langen Tatzeitraum von 1998 bis 2002 und fehlende Feststellungen zur konkreten Anwendung von Gewalt in weiteren Fällen, die die ursprüngliche Wirkung der ersten Gewalthandlungen verstärkt und erneuert haben sollen, als rechtsfehlerhaft. Sie stößt aber auch insoweit auf Bedenken, als sie letztlich lediglich ein allgemeines "Klima der Bedrohung und Einschüchterung" (vgl. UA S. 31) beschreibt, das für die Annahme fortwirkender Gewalt als solcher gerade nicht ausreicht und lediglich Grundlage für die Annahme von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB sein kann.
6
II. Die aufgezeigten Rechtsfehler berühren nicht den Schuldspruch, da nach den getroffenen Feststellungen in allen Fällen jedenfalls ein Merkmal des § 177 Abs. 1 StGB gegeben ist. Betroffen ist deshalb allein der Strafausspruch, bei dem die Verwirklichung zweier Alternativen zugrunde gelegt ist, obwohl entsprechend den oben gemachten Ausführungen bisher lediglich eine Alternative in jedem Fall verwirklicht ist.
7
Der Senat hebt aus diesem Grund den Strafausspruch auf, weil er mit Blick auf die Höhe der Einzelstrafen und des Gesamtstrafenausspruchs nicht ausschließen kann, dass diese ohne die rechtsfehlerhaften Erwägungen niedriger ausgefallen wären.
8
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich bei den aufgezeigten Rechtsfehlern lediglich um eine unzutreffende Wertung der Strafkammer handelt, die irrigerweise davon ausgegangen ist, auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen seien zwei Varianten des § 177 Abs. 1 StGB ver- wirklicht. Das Landgericht ist nicht gehindert, weitere Feststellungen zu treffen, die zur Verwirklichung einer zweiten Variante des § 177 Abs. 1 StGB führen, sofern diese nicht im Widerspruch zu den bisher getroffenen stehen. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng