Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Sept. 2017 - 2 StR 256/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. September 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter Nötigung, Verbreitung pornographischer Schriften in vier Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.
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- 1. Der Schuldspruch im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Verurteilung wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung wird von den Feststellungen nicht getragen.
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- Nach den Feststellungen des Landgerichts verschaffte sich der Angeklagte in der Nacht des 26. Juni 2016 Zugang in eine Wohnung, in der sich – wie er wusste – allein der 14-jährige S. aufhielt und schlief. Er begab sich unbemerkt in das Schlafzimmer und zu dem auf dem Bett liegenden Jungen. Er entblößte dessen Geschlechtsteil und manipulierte daran, worauf dieser erwachte. In der Folge versuchte S. , sich gegen diese Manipulation zu wehren, indem er sich auf den Bauch drehte, um die Handlung des Angeklagten abzuwehren. Der Angeklagte blieb unbeeindruckt und manipulierte weiter an dem Penis des Jungen, der dabei Schmerzen empfand und Kratz-Quetsch-Schürfverletzungen am Geschlechtsteil erlitt. Anschließend verließ der Angeklagte die Wohnung.
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- Das Landgericht hat darin eine sexuelle Nötigung (nach § 177 Abs. 1 StGB a.F.) in Tateinheit mit einer vorsätzlichen Körperverletzung gesehen, da der Angeklagte an dem bereits über 14-jährigen Jungen sexuelle Handlungen gegen dessen Willen und Abwehr durchgeführt und ihm dabei deutlich sichtbare und mit Schmerzen verbundene Verletzungen zugefügt habe. Es ist insoweit offenbar davon ausgegangen, dass der Angeklagte die Manipulation an dem Penis des Angeklagten mit Gewalt erzwungen hat.
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- Dies begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte Gewalt angewendet hat. Für diese Annahme wäre es erforderlich, dass der Angeklagte physische Kraft entfaltet hat, um den als ernst erkannten oder erwarteten Widerstand des Opfers gegen die Vornahme sexueller Handlungen zu überwinden (Senat, Urteil vom 4. März 2015 – 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211; Beschluss vom 31. Juli 2013 – 2 StR 383/13, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Gewalt 17). Dies lässt sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen, die lediglich belegen, dass der Angeklagte im Rahmen der Manipulation am Geschlechtsteil des Opfers physische Kraft entfaltet hat. Darüber hinausgehende Handlungen des Angeklagten (zur mögli- chen Überwindung des Widerstandes durch den Jungen) sind nicht festgestellt. Auch kann nicht aus der Vornahme der sexuellen Handlung, bei der es zu Verletzungen am Geschlechtsteil gekommen ist, zugleich auf die Anwendung von (weitergehender) Gewalt geschlossen werden (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – 2 StR 405/15, StV 2017, 42); insoweit ist auch das Landgericht davon ausgegangen, dass die festgestellten Verletzungen allein durch die Manipulation am Penis, etwa durch einen Nagel, entstanden sind (UA S. 25). Dass der Angeklagte mit der sexuellen Handlung aber, die er vor dem Aufwachen des Opfers begonnen und – nachdem dieser sich auf den Bauch gedreht hatte – fortgesetzt hat, auch die für die Annahme von Gewalt erforderliche Zwangswirkung beim Opfer erzielen wollte, ist nicht dargetan (vgl. Senat, Urteil vom 4. März 2015 – 2 StR 400/14, NStZ-RR 2015, 211 zum Griff des Täters an einen Penis). Dies versteht sich auch nicht deshalb von selbst, weil der Junge sich nach den Feststellungen auf den Bauch gedreht hatte, um die Handlungen des Angeklagten abzuwehren. Denn dies lässt nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Angeklagte habe nunmehr mit seiner Manipulation am Penis des Geschädigten , die als sexuelle Handlung grundsätzlich von einer Gewaltanwendung als Nötigungshandlung zu unterscheiden ist (vgl. Senat, Urteil vom 30. März 2016 – 2 StR 405/15, StV 2017, 42), ausnahmsweise zugleich den Widerstand des Opfers überwunden und überwinden wollen. Dies gilt insbesondere auch mit Blick darauf, dass den Urteilsgründen nicht zu entnehmen ist, wie es bei der Liegesituation des Jungen überhaupt zur Fortsetzung der Manipulation an seinem Geschlechtsteil gekommen sein soll.
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- Die Sache bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird der neue Tatrichter auch die Möglichkeit einer tateinheitlichen Verurteilung nach § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F., § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB n.F. in den Blick zu nehmen sowie gegebenenfalls im Rahmen der Prüfung des § 177 StGB zu erwägen haben, ob der Angeklagte eine schutzlose Lage des Opfers zur Tatbe- gehung ausgenutzt hat (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F., § 177 Abs. 5 Nr. 3 StGB n.F.).
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- 2. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 1 der Urteilsgründe entzieht dem Gesamtstrafenausspruch die Grundlage.
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.