Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 99/05
vom
9. August 2005
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. August
2005, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 13. Dezember 2004 werden verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last. Der Nebenkläger hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung aus rechtlichen Gründen freigesprochen, weil die Tathandlung durch Notwehr gerechtfertigt sei. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers richten sich mit der Sachbeschwerde gegen den Freispruch und beanstanden die Bewertung der Verteidigungshandlung als erforderlich. Die im Ergebnis auch vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen haben keinen Erfolg. Die Verfahrensrüge des Nebenklägers hinsichtlich der
fehlenden Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses ist unzulässig nach § 400 Abs. 1 StPO (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 305). 1. Das Landgericht hat festgestellt:
a) Am 20. Februar 2004 gegen Mitternacht suchten der Angeklagte und sein Freund T. eine Mc Donald's-Filiale in A. auf, um dort etwas zu essen. Aus Furcht vor tätlichen Angriffen bewaffneten sie sich zuvor. Der Angeklagte hatte zwei Bajonette mit einer Klingenlänge von je 24 cm in die Seitentaschen seiner Military-Hose gesteckt, während der Freund vier Wurfmesser am Gürtel an seiner Rückenseite trug. Als beide in dem Lokal ihre Mahlzeiten verzehrten, trafen zwei junge Männer ein, die Zeugen U. und K. . Sie nahmen ihr Essen an einem nicht weit entfernt stehenden Tisch ein. Zwischen den vier Personen, den alleinigen Gästen, gab es immer wieder Blickkontakt. Als der Angeklagte mit der flachen Hand eine Verpackung zusammenschlug, bezogU. dies auf sich, ging zum Tisch der beiden anderen und fragte wutentbrannt , ob sie Stress suchten. Diese antworteten, dass sie in Ruhe essen wollten. U. entgegnete, man werde die Sache nachher draußen klären. U. und K. verließen das Lokal. Die beiden anderen aßen in Ruhe zu Ende und hofften, dass U. und K. sich entfernt hätten. Diese warteten jedoch draußen. Als der Angeklagte und sein Freund sie beim Verlassen des Lokals erblickten, zückten sie ihre Messer und hielten sie in Abwehrhaltung vor sich, um sich einer drohenden Schlägerei zu entziehen. U. , der nach wie vor auf eine gewaltsame Auseinandersetzung aus war, forderte seine Kontrahenten wiederholt auf, die Messer wegzulegen. Diese erwiderten, dass sie sich wohl "die Falschen" ausgesucht hätten, sie sollten ihres Weges gehen, dann sei die Sache vergessen. Erst als aus den Reihen der Bediensteten des Lokals das Wort "Polizei" fiel, zogenU. undK. sich in Richtung Parkplatz zurück.
Der Angeklagte und sein Freund steckten die Messer wieder ein und begaben sich auf den Weg zur Wohnung des Angeklagten. Für sie war der Vorfall erledigt.
b) U. dagegen, der wegen Körperverletzungsdelikten mehrfach verurteilt worden war und der zur Tatzeit wegen eines solchen Deliktes unter Bewährung stand, wollte das Vorgefallene nicht auf sich sitzen lassen, sondern eine tätliche Auseinandersetzung herbeiführen. Er verfolgte mit dem nur widerwillig ihn begleitenden K. die beiden Kontrahenten schnellen Schrittes - teils in leichtem Lauf -, um sie einzuholen. An einer ca. 150 m von Mc Donald's entfernt liegenden Total-Tankstelle erblickte er drei Bekannte, die Zeugen F. , Ko. und R. . Diesen erklärte er, dass eben zwei vorbeigegangen seien, die Messer hätten und mit denen er "Stress habe". Seinen Bekannten war klar, dassU. eine Schlägerei beabsichtigte und sie waren bereit, ohne weitere Nachfrage ihm beizustehen. F. fand die Aussicht auf eine Schlägerei attraktiver als sofort zum Tanz zu gehen. Sie kamen überein, dass Ko. und R. zunächst das Fahrzeug betanken und dann den beiden Personen mit dem Fahrzeug den Weg abschneiden sollten.Ko. und R. waren auch bereit , unterstützend zur Hilfe zu kommen. F. nahm sofort mit U. die Verfolgung auf. K. zog sich zurück, weil seine Hilfe nicht mehr erforderlich war. F. wollte für den bevorstehenden Kampf Waffengleichheit herstellen. Als er im Hofbereich einer Firma Baumaterialien erblickte, ergriff er eine ca. 1,60 m lange Holzlatte und U. eine deutlich kürzere Eisenstange. Mit diesen Schlagwerkzeugen bewaffnet rannten sie ihren Kontrahenten hinterher. U. rief ihnen zu, sie sollten stehen bleiben und ihre Messer wegwerfen. Diese drehten sich um, zogen ihre Messer heraus und hielten sie in Abwehrhal-
tung vor sich, um deren Einsatz anzudrohen. Da U. nun eine weitere Person bei sich hatte und beide mit Schlagwerkzeugen bewaffnet auf sie zueilten, befürchteten sie für den Fall des Weglegens ihrer Waffen Schläge. U. hieb auch sofort mit einer Eisenstange mehrfach auf T. ein, wobei beide sich im Bereich des Gehweges befanden. Der Angeklagte bewegte sich vom Gehweg Weg auf die Straße und wurde von F. verfolgt. Zwischen ihnen und den beiden anderen Kämpfern befand sich ein abgestellter Lkw, so dass sie diese nicht mehr sehen konnten. Der Angeklagte stellte sich seinem Verfolger. F. beabsichtigte, mit der Holzlatte dem Angeklagten die Bajonette aus den Händen zu schlagen. Er ging auf ihn los, schlug mit der Latte zu und traf ihn am linken Oberschenkel. Dann glitt F. auf der nassen und rutschigen Fahrbahn aus und fiel zu Boden, wobei ihm auch die Holzlatte entglitt. Als er sich wieder aufrichtete, um sich erneut zu bewaffnen und weiter auf den Angeklagten einzudringen, stieß dieser zur Abwehr mit Wucht das Bajonett in den linken oberen Brustbereich seines Angreifers. Der Angeklagte rechnete damit, dass er ihn tödlich verletzen konnte und nahm dies zur Unterbindung weiterer Angriffe in Kauf. Der mit heftiger Wucht geführte Stoß durchdrang das Revers und den darunter befindlichen Stoff einer dicken Winterjacke aus Lammfellimitat und führte zu einer rund 10 cm tiefen Stichverletzung unterhalb des Schlüsselbeins parallel zur Thoraxwand. Dadurch wurden eine aus der Aorta kommende Arterie und die Lunge verletzt. Nach Beibringung dieser konkret lebensgefährlichen Verletzung ließ der Angeklagte von seinem Angreifer ab. F. bewegte sich rückwärts in Richtung Gehweg. Ko. und R. waren mittlerweile mit dem Fahrzeug eingetroffen , nahmen U. und F. auf und brachten den nun schon deutlich blutenden F. ins Krankenhaus. In einer zweistündigen Notoperation konnte
er außer Lebensgefahr gebracht werden. Als Verletzungsfolgen klagt er lediglich über gelegentliche Schmerzen an der Narbe und geringere Ausdauer bei körperlicher Betätigung. 2. Zu Recht geht der Tatrichter davon aus, dass die vom Angeklagten gewählte Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich war.
a) Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger sind der Auffassung, diese Bewertung des Landgerichts stütze sich auf widersprüchliche und lückenhafte Feststellungen zur Beschaffenheit, insbesondere Gefährlichkeit der vom Angreifer F. verwendeten Holzlatte und zur andauernden Notwehrlage. Die Urteilsgründe ließen nicht erkennen, wie F. sich nach dem Sturz hätte erneut bewaffnen können, wenn nicht festgestellt ist, wo die Latte gelegen habe. Die Urteilsfeststellungen weisen weder Widersprüche noch Lücken auf. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit der gegnerischen Bewaffnung kommt es nicht auf den bisherigen Einsatz der Holzlatte in Richtung Hand des Angegriffenen zur Entwaffnung an - wie die Revisionsführer meinen - sondern auf einen möglichen Einsatz - z.B. nach Entwaffnung -. Die Einstufung der Holzlatte durch den Tatrichter als gefährliches Werkzeug, welches bei einem Schlag auf den ungeschützten Kopf eines Kontrahenten schwere bis hin zu tödliche Verletzungen herbeiführen kann (UA S. 17, 18), erfolgte zu Recht und ohne Widersprüche. Eine sachlich-rechtliche Pflicht, eine zwar theoretisch mögliche, jedoch fern liegende Fallgestaltung zu erörtern, dass der Angreifer F. sich etwa mit einer morschen Latte bewaffnet haben könnte, besteht nicht (BGH, Urteil vom 5. November 2003 - 1 StR 287/03). Es liegt vielmehr
nahe, dass die vom Angreifer verwendete Holzlatte geeignet ist, die dargestellten Verletzungen herbeizuführen. Eine Aufklärungsrüge hinsichtlich der Beschaffenheit der Holzlatte ist nicht erhoben. Das Landgericht geht ohne Rechtsfehler von einer andauernden Notwehrlage aus. Dabei verkennt es nicht, dass F. zum Zeitpunkt der Zufügung des Stiches die Holzlatte verloren hatte (UA S. 17). Einer Erörterung oder Feststellung, wo die Latte konkret gelegen hat, bedurfte es nicht. Der Angriff dauert so lange an, wie eine Wiederholung unmittelbar zu befürchten ist. Entscheidend sind die Absichten des Angreifers (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Angriff 5). Das Landgericht hat festgestellt, dass F. nach seinen eigenen Äußerungen den Angriff fortgesetzt hätte und der Angeklagte schon aus dem gesamten Geschehensablauf davon ausgehen musste, dass F. sich sofort wieder mit der Holzlatte bewaffnen und den Angriff fortsetzen werde. Das genügt.
b) Die Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger meinen, der Tatrichter hätte sich bei der Erörterung milderer Verteidigungsmittel damit auseinandersetzen müssen, ob es nicht ausreichend gewesen wäre, wenn der Angeklagte dem Angreifer die Spitze seines Bajonettes auf den Körper aufgesetzt hätte. Der Generalbundesanwalt vermisst Erörterungen zum Einsatz der Stichwaffe als Schlagwerkzeug. Mit dem Griff des Bajonettes hätte der Angeklagte nach Auffassung des Generalbundesanwalts wuchtige Schläge zur Abwehr ausführen können. Auch insoweit weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf. Ob die Verteidigungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB erforderlich ist, hängt im Wesentlichen von Art und Maß des Angriffs ab. Dabei darf
sich der Angegriffene grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt. Das schließt auch den Einsatz lebensgefährlicher Mittel ein. Zwar kann dieser nur in Ausnahmefällen in Betracht kommen und darf auch nur das letzte Mittel der Verteidigung sein; doch ist der Angegriffene nicht genötigt, auf die Anwendung weniger gefährlicher Verteidigungsmittel zurückzugreifen, wenn deren Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Auf einen Kampf mit ungewissem Ausgang braucht er sich nicht einzulassen (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2002, 140 m.w.N.). Nach diesen Maßstäben durfte der Angeklagte sich mit einem wuchtigen Messerstich verteidigen. Das Aufsetzen einer oder beider Bajonettspitzen auf den Körper des sich wieder aufrichtenden - wenn auch zu diesem Zeitpunkt unbewaffneten - Angreifers hätte nach den getroffenen Feststellungen den Angriff nicht zweifelsfrei endgültig beendet. Die Kampflage wird hier bestimmt durch das Vortatgeschehen, die andauernde Intensität, mit der die tätliche Auseinandersetzung gesucht wurde, das Nebentatgeschehen - der Kampf zwischenU. undT. - und das mögliche jederzeitige Eintreffen von Verstärkung für F. . Dieser war ohne eigene Veranlassung dem streitsüchtigen U. , der bereits bei Mc Donald's aus nichtigem, missdeutetem Anlass die Schlägerei gesucht hatte, zu Hilfe geeilt und beide waren mit Schlagwerkzeugen bewaffnet in den Kampf gegangen. Der Einsatz des Messers war dem Angreifer durch Vorhalten angedroht worden, was ihn aber nicht vom Angriff abhielt. Das endgültige Ausscheiden des K. , des früheren Kampfgefährten des U. , war dem Angeklagten zur Zeit der Verteidigungshandlung nicht bekannt. Auch kannte er die Kampflage zwischen U. und T. nicht. Er wusste also nicht, ob er von U. weitere Bedrohung bzw. Verstärkung für F. befürchten musste. Bei dieser Bedrohungslage konnte er nicht erwar-
ten, dass ein Aufsetzen von Bajonettspitzen auf den Körper die Gefahr endgültig beseitigt hätte. Ein solches Aufsetzen wäre im Übrigen, wie der Tatrichter es für einen gezielten Stich in andere Körperteile ausgeführt hat, auch aus tatsächlichen Gründen nicht möglich gewesen. F. war dabei, sich wieder aufzurichten, er und der Angeklagte befanden sich in einem bewegten Geschehensablauf und die Lichtverhältnisse bei Dunkelheit - Beleuchtung nur durch Straßenlaternen - ermöglichten lediglich eine eingeschränkte Sicht. Auf den Einsatz der Stichwaffe als Schlagwerkzeug muss der Angeklagte sich nicht verweisen lassen. Bei mehreren Einsatzmöglichkeiten des vorhandenen Abwehrmittels hat der Verteidigende nur dann das für den Angreifer am wenigsten gefährliche zu wählen, wenn ihm Zeit zum Überlegen zur Verfügung steht und durch die weniger gefährliche Abwehr dieselbe, oben beschriebene Wirkung erzielt wird (BGHR StGB § 32 Abs. 2 Erforderlichkeit 5). Beides trifft hier nicht zu. Das eigentliche Tatgeschehen spielte sich innerhalb weniger Sekunden ab (UA S. 12). Als F. ausrutschte, blieb dem Angeklagten keine Zeit, sich Gedanken über verschiedene Einsatzmöglichkeiten seiner Bajonette zu machen und diese - wie auch immer - als Schlagwerkzeuge zu ergreifen. Er musste angesichts der Bedrohungslage sofort reagieren. Aus seiner und auch objektiver Sicht konnte er die Gefahrenlage durch wuchtige Schläge mit dem Griff eines Bajonettes auch nicht ohne Zweifel endgültig beenden. Die Gesamtlänge des Bajonettes mit einer Klingenlänge von 24 cm ist zwar nicht bekannt, aber bei einer Verwendung als Schlagwerkzeug auf den Körper des Angreifers wäre der Angeklagte in eine solche Nähe seines Kontrahenten gelangt, dass dieser ihn mit Faustschlägen hätte attackieren können.
Mit möglichen anderen Einschränkungen des Notwehrrechts hat das Landgericht sich auseinandergesetzt (UA S. 18) und diese rechtsfehlerfrei verneint. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Elf

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Bundesgerichtshof Urteil, 09. Aug. 2005 - 1 StR 99/05 zitiert 4 §§.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

Strafprozeßordnung - StPO | § 400 Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers


(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt. (2) De

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(1) Der Nebenkläger kann das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten, daß eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt wird oder daß der Angeklagte wegen einer Gesetzesverletzung verurteilt wird, die nicht zum Anschluß des Nebenklägers berechtigt.

(2) Dem Nebenkläger steht die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß zu, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nach den §§ 206a und 206b eingestellt wird, soweit er die Tat betrifft, auf Grund deren der Nebenkläger zum Anschluß befugt ist. Im übrigen ist der Beschluß, durch den das Verfahren eingestellt wird, für den Nebenkläger unanfechtbar.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 287/03
vom
5. November 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November
2003, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ellwangen vom 27. Februar 2003 wird mit der Maßgabe verworfen , daß der Angeklagte im Fall II 3 der Urteilsgründe (E. ) des versuchten Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung schuldig ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Der Angeklagte wurde wegen Betrugs in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine Revision ist auf die Sachrüge und hinsichtlich des Strafausspruchs auch auf eine Verfahrensrüge gestützt. Sie führt in einem Fall zur Änderung des Schuldspruchs, bleibt aber im übrigen erfolglos.

I.

Die Strafkammer hat festgestellt: Der Angeklagte war Auszubildender der G. Volksbank. Um sich zu bereichern, ging er unter Mißbrauch seiner beruflichen Möglichkeiten wie folgt vor: Er suchte sich die Daten wohlhabender Bankkunden heraus, deren baldiges Ableben er wegen ihres hohen Alters erwartete. Er fälschte sogenannte auf den Todesfall bezogene Verträge zu Gunsten Dritter, in denen die Kunden, die in Wahrheit von alledem nichts wußten, für den Fall ihres Todes Tatgenossen des Angeklagten scheinbar ihr Bankguthaben übertrugen.
Zugleich fälschte er das Handzeichen von Bankbediensteten auf dem jeweiligen Formular und erweckte dadurch den Anschein, diese hätten eine Legitimationsprüfung vorgenommen. Dadurch veranlaßte er, daß die letztlich zuständigen Bankangehörigen diese von ihm in den Geschäftsgang gegebenen Verträge für echt hielten und gegenzeichneten. In einem Fall hatte der Angeklagte letztlich (teilweise) Erfolg, in einem Fall nicht. Sein Bestreben, bei einer anderen Bank in ähnlicher Weise einen von ihm zu seinen Gunsten gefälschten Vertrag zu plazieren, kam noch vor Ableben des Kunden ans Licht. 1. Auf Grund eines 1998 gefälschten Vertrages hielt die G. Volksbank den bereits rechtskräftig abgeurteilten N. für berechtigt , nach dem Tod des 1908 geborenen S. über dessen Guthaben zu verfügen. Als S. im Januar 2001 verstarb, hatte er ein Guthaben über 470.000 DM. N. konnte 170.000 DM abheben, 50.000 DM konnte er behalten, den Rest bekam der Angeklagte. Weitere Abhebungsversuche scheiterten, weil wegen zwischenzeitlicher Proteste der Erben S. s Zweifel an N. s Legitimation aufgetaucht waren. Die Bank wurde durch die Zahlungen an N. nicht von ihrer Verpflichtung gegenüber den Erben befreit. Die Versicherung der Bank hat den Schaden ersetzt. 2. In gleicher Weise fälschte der Angeklagte ebenfalls 1998 einen Vertrag , wonach scheinbar die 1913 geborene H. , die damals über ein Guthaben von 320.000 DM verfügte, dieses mit ihrem Tod auf den inzwischen rechtskräftig abgeurteilten T. übertrug. Nachdem Frau H. im November 2000 verstorben war, erfuhr der Rechtsanwalt, dem Frau H. eine Vorsorgevollmacht erteilt hatte, von diesem Vertrag und widerrief ihn sofort. Daher kam es weder zu einer Umschreibung des Kontos noch zu einer Auszahlung.
3. Ebenfalls 1998 erhielt der Angeklagte von Ho. , der damals von der Sparkasse He. zum Bankkaufmann ausgebildet wurde, sowohl entsprechende Formulare der Sparkasse als auch die Daten des 1908 geborenen E. ; dieser verfügte damals über ein Guthaben von mehr als 650.000 DM. Der Angeklagte fälschte einen Vertrag, in dem er sich selbst als nach dem Tode E. s Berechtigten eintrug. Ho. - ob er gut- oder bösgläubig war, läßt die Strafkammer offen - "übernahm .... die Legitimationsprüfung" und gab den Vertrag dann in den Geschäftsgang. Der Zweigstellenleiter der Sparkasse fragte jedoch bei E. nach, ob mit dem Vertrag alles in Ordnung sei. Dadurch wurde die Fälschung aufgedeckt.

II.

Die Strafkammer nimmt in allen Fällen vollendeten Betrug an. Auch soweit es nicht zu Abhebungen kam, liege eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vor. Die Revision meint dagegen, vollendeter Betrug liege nur insoweit vor, als Geld abgehoben worden sei. Dementsprechend liege im Fall S. Vollendung nur hinsichtlich der 170.000 DM vor. Insoweit sei die Strafkammer von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen. In den Fällen H. und E. liege nur Versuch vor. Der Senat kann dem für die Fälle S. und H. nicht folgen. Im Fall E. liegt dagegen nur versuchter Betrug vor. 1. Betrug ist - soweit hier erörterungsbedürftig - vollendet, wenn die täuschungsbedingte Gefahr des endgültigen Verlusts eines Vermögensbestandteils zum Zeitpunkt der Verfügung so groß ist, daß sie schon jetzt eine Minderung des Gesamtvermögens zur Folge hat (vgl. BGHSt 34, 394, 395; zusammenfassend Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 263 Rdn. 94 f. m. zahlr. Nachw.).
Jedenfalls mit dem Tod der Kunden lag ein für die Annahme eines Betrugs ausreichender, vielfach als schadensgleiche Vermögensgefährdung bezeichneter Gefährdungsschaden (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 94) vor. Ab diesem Zeitpunkt hielt sich die Bank auf der Grundlage der von ihr für echt gehaltenen Verträge für verpflichtet, den scheinbar Berechtigten die Guthaben auszuzahlen. Ein Grund, die Erfüllung dieser Ansprüche auch nur kurzfristig noch herauszögern zu können, bestand aus der Sicht der Bank nicht. Deshalb kommt es auf bankinterne, technische Fragen, etwa ob schon eine Umschreibung der Konten erfolgt war, in diesem Zusammenhang nicht an. Der Bundesgerichtshof hat bereits entschieden, daß ein vollendeter Betrug auch dann vorliegt, wenn es dem Täter gelingt, seine Bank durch Täuschung zu einer Überweisung auf ein tätereigenes Konto zu veranlassen, dieses bei Eingang der Gutschrift wegen Aufdeckung der Manipulationen aber bereits gesperrt ist (NStZ 1996, 203). Hier, wo ein endgültiger Verlust noch näher lag und nur durch das eher zufällige Eingreifen Außenstehender (der Erben und des Rechtsanwalts) gerade noch verhindert wurde, kann nichts anderes gelten. Im übrigen nimmt der Senat auf die eingehenden Ausführungen des Generalbundesanwalts vom 22. Juli 2003 Bezug. 2. Im Fall E. liegt dagegen kein vollendeter Betrug vor. Nach Auffassung des Senats ist bei einem fingierten, auf den Todesfall bezogenen Vertrag zu Gunsten Dritter, so wie er hier vorliegt, eine schadensgleiche Vermögensgefährdung (zum Nachteil der Bank) noch nicht eingetreten, solange derjenige, mit dessen Tod die Begünstigung eintreten soll, noch lebt. Die Möglichkeit eines Menschen, über sein Vermögen zu seinen Lebzeiten frei zu verfügen , kann in diesem Zusammenhang nicht als rechtlich bedeutungslos angesehen werden. Dabei kommt es weder darauf an, ob etwa im Hinblick auf das
hohe Alter des Vermögensinhabers noch mit nennenswerten Vermögensverfügungen zu rechnen ist, noch darauf, ob dem Vermögensinhaber Manipulationen , die sich nach seinem Tod auswirken sollen, unbekannt sind. Versuchter Betrug liegt demgegenüber vor, ohne daß dies näherer Darlegung bedürfte; es kommt insbesondere nicht darauf an, ob Ho. (bei Bösgläubigkeit) Tatbeteiligter oder (bei Gutgläubigkeit) Werkzeug des Angeklagten war. Daher ändert der Senat den Schuldspruch selbst; § 265 StPO steht nicht im Wege, der Angeklagte hätte sich nicht wirksamer als geschehen verteidigen können. 3. Im übrigen ist der Schuldspruch ohne den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler.

III.

Die Schuldspruchänderung im Fall E. gefährdet die in diesem Fall verhängte Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten nicht. Auch im übrigen hat der Strafausspruch Bestand. 1. Vergeblich macht die Revision eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zwischen dem Eingang der Akten bei der Staatsanwaltschaft und dem Urteil des Landgerichts geltend. Sie legt z.B. dar, die Staatsanwaltschaft habe erst nach drei Monaten Anklage erhoben, obwohl nach ihrer allerdings auch nicht konkret begründeten Annahme "ein Zeitraum von allenfalls eineinhalb Monaten bei hinreichender Verfahrensbeschleunigung ausreichend gewesen wäre". Mit dieser und damit vergleichbaren weiteren Berechnungen belegt sie eine nach ihrer Auffassung eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von elf Monaten.
Bei einem Eingang der Akten im Oktober 2001 bei der Staatsanwaltschaft und einem Urteil des Landgerichts Anfang 2003 kann vorliegend von einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung bei der gebotenen Gesamtbetrachtung offensichtlich nicht einmal ansatzweise die Rede sein. Dies hat auch der Generalbundesanwalt im einzelnen zutreffend ausgeführt. 2. Die Urteilsgründe ergeben zwar die Höhe des Guthabens von Frau H. zum Zeitpunkt der Fälschung, nicht aber die Höhe zum Zeitpunkt ihres Todes. Die Revision meint, demnach bleibe offen, ob das Guthaben zum Todeszeitpunkt nicht wesentlich geringer gewesen sei; daher sei in diesem Fall zumindest der Strafausspruch aufzuheben. Der Senat kann dem schon deshalb nicht folgen, weil ein Rückschluß auf die Höhe des Guthabens zum Todeszeitpunkt möglich ist. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß sich die Vermögensverhältnisse der 1913 geborenen Frau H. , die nach den Urteilsfeststellungen "keine Erben" hatte, zwischen 1998 und ihrem Tode Ende 2000 nachhaltig verändert haben, nahe liegt dies aber nicht. Eine sachlich-rechtliche Pflicht, eine zwar theoretisch mögliche, jedoch fernliegende Fallgestaltung zu erörtern, besteht nicht. Eine auf eine Veränderung der Vermögensverhältnisse bezogene Aufklärungsrüge ist nicht erhoben. 3. Der Generalbundesanwalt meint, im Fall E. sei im Hinblick auf die auch von ihm beantragte Schuldspruchänderung in versuchten Betrug eine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 23 § 49 StGB nicht auszuschließen. Dies trifft nicht zu. Neben (versuchtem) Betrug liegt (vollendete) Urkundenfälschung vor. Die Strafkammer hat rechtsfehlerfrei die Strafe ausdrücklich dem Strafrahmen des § 267 StGB entnommen. Der Umstand, daß neben der vollendeten Urkundenfälschung nicht vollendeter, sondern nur versuchter Betrug vorliegt,
kann daher nicht dazu führen, daß die Strafe hier nicht dem Strafrahmen des § 267 StGB zu entnehmen wäre. Im übrigen hat die Strafkammer ausdrücklich erwogen, daß es im Fall E. "nicht zu einer Auszahlung von Geldern gekommen ist". Diese Erwägung hat sie in gleicher Weise auch im Fall H. angestellt. Im Fall S. geht sie bei der Strafzumessung von einem Schaden von (nur) 170.000 DM aus. Dies belegt, daß sie den jeweiligen Gefährdungsschaden bei der Strafzumessung außer acht gelassen hat, auch soweit er eingetreten war. Unter diesen Umständen kann der Senat ausschließen, daß die Einzelstrafe im Fall E. zum Nachteil des Angeklagten davon beeinflußt ist, daß die Strafkammer geglaubt hat, Betrug sei im Hinblick auf einen Gefährdungsschaden schon vollendet. 4. Auch im übrigen ist der Strafausspruch ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten. Daß im Fall S. im Hinblick auf den Verlust der Bank von 170.000 DM ein besonders schwerer Fall (§ 263 Abs. 3 Nr. 2 StGB und § 267 Abs. 3 Nr. 2 StGB) nicht geprüft ist, beschwert den Angeklagten nicht. Nack Wahl Boetticher Kolz Hebenstreit

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.