Bundesgerichtshof Urteil, 28. Apr. 2015 - 1 StR 594/14

bei uns veröffentlicht am28.04.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 5 9 4 / 1 4
vom
28. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Radtke
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2014 mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgelehnt worden ist. 2. Der Strafausspruch des vorgenannten Urteils wird klarstellend dahingehend gefasst, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt ist. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie wegen eines weiteren Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht – dem Wortlaut des Tenors nach – zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgelehnt. Auch die Anordnung einer weiteren Führungsaufsicht hat der Tatrichter nicht für veranlasst gehalten.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten, auf das Unterbleiben der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschränkten und auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Bei dem Angeklagten besteht eine Störung der Sexualpräferenz im Sinne einer Pädophilie (ICD-10 F65.4), die nach der Wertung der sachverstän- dig beratenen Strafkammer aber nicht als „fixierte pädosexuelle Deviation“ zu begreifen sei (UA S. 33). Er ist seit 1994 mehrfach wegen Sexualstraftaten zu Lasten von Kindern, vor allem Jungen, verurteilt worden. Im Einzelnen ist dazu Folgendes festgestellt:
5
a) Im Dezember 1994 wurde der Angeklagte wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten, bei Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung, verurteilt. Dem lag zugrunde, dass der Angeklagte vor zwei sechs und sieben Jahre alten Mädchen, die er zu beaufsichtigen übernommen hatte, sich am Unterkörper vollständig entkleidete, Onanierbewegun- gen ausführte und die Mädchen dazu veranlasste, seinen Penis anzufassen. Straferlass war im März 1998 eingetreten.
6
b) Die zweite Verurteilung erfolgte im Dezember 2000 wegen „sexuellen Missbrauchs von Kindern, drei rechtlich zusammentreffenden Fällen des Missbrauchs von Kindern in drei tatmehrheitlichen Fällen und schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern“. Gegen den Angeklagten wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt. Dieser Gesamtstrafe lag u.a. eine Einzelstrafe von einem Jahr und drei Monaten sowie eine weitere von einem Jahr Freiheitsstrafe zugrunde. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe war zur Bewährung ausgesetzt worden. Nach mehrfacher Verlängerung der Bewährungszeit trat Straferlass im Mai 2006 ein.
7
Der Verurteilung lagen sexuelle Übergriffe auf mehrere Jungen im Alter von zwölf und dreizehn Jahren zugrunde, vor allem auf den im Tatzeitraum zwölfjährigen A. . In einem der verfahrensgegenständlichen Fälle versuchte der Angeklagte dem Jungen einen Zungenkuss zu geben. Dies blieb jedoch erfolglos. Anschließend zog der Angeklagte dem Jungen Hose und Unterhose herunter, umfasste dessen Geschlechtsteil und masturbierte daran. An einem anderen Tag entblößte der Angeklagte wiederum den Unterkörper des Jungen, führte Onanierbewegungen an dessen Penis aus und sodann den Oralverkehr an dem Jungen durch, indem er dessen Geschlechtsteil solange in den Mund nahm, bis der Junge zum Samenerguss kam. Bei anderer Gelegenheit zog der Angeklagte zwei Jungen deren Hosen und Unterhosen aus, um im Anschluss daran vor den Augen des ebenfalls anwesenden A. an deren Geschlechtsteilen zu manipulieren. Das Unterfangen, einem der Jungen einen Zungenkuss zu geben, scheiterte an dessen Gegenwehr. Alle Taten ereigneten sich in der Wohnung des Angeklagten. Die später geschädigten Jun- gen kamen dorthin, weil sie bei dem Angeklagten Computerspiele ausführen durften und er ihnen Geld und Süßigkeiten schenkte.
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c) Das Amtsgericht Nürnberg verurteilte den Angeklagten im April 2006 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen und sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen sowie sexuellen Missbrauchs von zwei Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Eine der zugrunde liegenden Einzelfreiheitsstrafen betrug ein Jahr und sechs Monate, eine weitere ein Jahr. Bei den durch die Straftaten Geschädigten handelte es sich jeweils um Jungen im Alter zwischen neun und dreizehn Jahren.
9
In einem der dort verfahrensgegenständlichen Fälle hatte der Angeklagte den damals neunjährigen Geschädigten, mit dem er „seit ca. zwei Jahren … befreundet“ war (UA S. 10), in den Swimmingpool des Hauses eines Bekannten mitgenommen. Während eines gemeinsamen Nacktbadens hatte der Angeklagte mehrfach an den Penis des Jungen gefasst. Später hatte er sich mit geöffneter Hose auf die Beine des bekleidet auf einem Sofa liegenden Geschädigten gesetzt, dessen Hose und Unterhose nach unten gezogen, das Geschlechtsteil des Jungen angefasst und dieses geküsst. Die übrigen Taten hatten sich in der Wohnung des Angeklagten ereignet. Dem Angeklagten war es gelungen, die Geschädigten dazu zu veranlassen, den Handverkehr an ihm zu vollziehen oder von dem Angeklagten an ihnen vornehmen zu lassen. In einem Fall war es zu wechselseitigem Handverkehr zwischen dem Angeklagten und zwei zehnbzw. dreizehnjährigen Jungen gekommen.
10
Nach Vollverbüßung der genannten Gesamtfreiheitsstrafe trat Führungsaufsicht ein. Mit Beschluss vom 4. Dezember 2007 setzte die zuständige Straf- vollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre fest. Zudem erteilte sie u.a. folgende Weisungen: „4. Dem Verurteilten wird verboten, Kontakt zu Kindern oder Ju- gendlichen aufzunehmen, insbesondere nicht mit ihnen zu verkehren , sie zu beschäftigen, sie auszubilden oder sie zu beherbergen. 5. Dem Verurteilten wird verboten, sich mit Kindern oder Jugendlichen alleine – ohne Beisein von Vertrauenspersonen der Kinder und Jugendlichen – in abgeschlossenen Räumlichkeiten oder an wenig frequentierten Örtlichkeiten aufzuhalten.“
11
d) Im September 2011 verurteilte das Landgericht München I den Angeklagten wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Die Vollstreckung der Strafe wurde für die Dauer von vier Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Dauer der Führungsaufsicht verlängerte sich dadurch bis zum 20. September 2015.
12
Der Verurteilung lag eine durch den Angeklagten betriebene Kontaktaufnahme mit einem 13jährigen Jungen zugrunde. Dieser hatte angesichts eines geöffneten Fensters der im Hochparterre gelegenen Wohnung des Angeklagten bemerkt, dass er mit seiner Spielkonsole spielte. Der Angeklagte übergab dem Jungen den zugehörigen Joystick und ließ ihn vom Fensterbrett aus spielen. Das Angebot, in die Wohnung zu kommen, lehnte der Junge ab.
13
2. Zu den hier verfahrensgegenständlichen Taten hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte am Vormittag des 16. August 2013 den damals knapp zehn Jahre alten L. an einem in der Nähe der Wohnung des Angeklagten gelegenen Teich traf. Beide waren sich dort bereits zuvor be- gegnet und ins Gespräch gekommen. Im Keller der Wohnung des Angeklagten fielen L. zahlreiche dort gelagerte Spiele sowie ein noch verpackter „Renn- fahrersitz“ für eine Spielkonsole auf. L. und der Angeklagte verabredeten, den Sitz in dessen Wohnung aufzubauen. Während des Aufbaus zog der Angeklagte wegen der hohen Temperaturen sein Hemd aus. Der an den Jungen gerichteten Aufforderung, sein T-Shirt ebenfalls auszuziehen, kam dieser nicht nach. Vor Abschluss der Aufbauarbeiten erhielt L. um die Mittagszeit einen Anruf von seiner Familie, zum Essen nach Hause zu kommen. Bei der Verabschiedung ergriff der Angeklagte den Jungen unter den Achseln und hob ihn auf seine Augenhöhe hoch. Anschließend gab er L. „einen einige Sekunden dauernden Kuss auf den Mund, bei dem sich jeweils nur ihre Lippen berührten“ (UA S. 14). Zuvor, noch während der Arbeiten an dem Sitz, hatte der Angeklagte , bereits mit freiem Oberkörper, bei gleichzeitiger Umarmung L. auf den Mund geküsst. Die Dauer dieses Kusses war etwas kürzer als bei der Verabschiedung gewesen. L. empfand die Küsse als merkwürdig. Merkliche psychische Beeinträchtigungen bei ihm hat das Landgericht nicht feststellen können.
14
Beide vereinbarten, dass L. nach dem Mittagessen wieder zurückkehren sollte, um den Aufbau des Sitzes abzuschließen. Dazu zeigte der Angeklagte dem Jungen die Wohnungsklingel und riet ihm, zu Hause nicht von ihm, dem Angeklagten, zu erzählen. Eine halbe Stunde später kehrte L. in dessen Wohnung zurück und hielt sich dort für rund eine bis eineinhalb Stunden auf. Zu weiteren sexuell motivierten Berührungen kam es nicht.
15
Entweder während dieses Besuchs oder früherer Besuche von L. hatte der Angeklagte vorgeschlagen, sie könnten gemeinsam zum Poinger See zum Baden gehen. Er plane, ein Schiff mit Fernsteuerung zu kaufen, mit dem dann auch L. spielen könne. Eine Umsetzung des Plans erfolgte nicht mehr.
16
3. Das Landgericht hat das Verhalten des in seiner Schuldfähigkeit nicht eingeschränkten Angeklagten als sexuellen Missbrauch in Tateinheit mit einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht sowie einem weiteren Fall eines solchen Verstoßes gewürdigt.
17
Die nicht nur flüchtigen, mit einer Umarmung bzw. dem Hochheben verbundenen Küsse seien angesichts des Fehlens einer engen und vertrauten emotionalen Beziehung zu dem Kind oberhalb der Erheblichkeitsschwelle liegende sexuelle Handlungen im Sinne von § 184g Nr. 1 StGB. Durch die jeweils auf einem gesonderten Tatentschluss beruhende unbegleitete Mitnahme von L. in die Wohnung des Angeklagten habe dieser in zwei Fällen gegen die Weisung gemäß Ziffer 5 des Beschlusses der Strafvollstreckungskammer vom 4. Dezember 2007 verstoßen. Die vor dem ersten Verlassen zur Mittagszeit erfolgten sexuellen Handlungen in Gestalt der Küsse auf den Mund stellten sich als einheitlicher Lebenssachverhalt dar, mit dem der Weisungsverstoß in zeitlicher Hinsicht teilidentisch sei. Die erneute Aufnahme des Jungen in die Wohnung nach dem Mittagessen hat das Landgericht als auf einem neuen Tatentschluss beruhend und deshalb als materiell-rechtlich eigenständige Tat gewertet. Ungeachtet der bereits verabredeten Rückkehr habe die zwischenzeitliche Abwesenheit von L. eine Zäsur bedeutet, die dem Angeklagten Anlass gegeben habe, die von ihm geschaffene Situation erneut zu bedenken.
18
Für die Tat gemäß § 176 Abs. 1 in Tateinheit mit § 145a Satz 1 StGB hat es eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt, für den weiteren Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht eine solche von einem Jahr. Daraus hat das Landgericht der Sache nach (unten III. Rn. 46) eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten gebildet.

19
4. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hat es trotz des Vorliegens der formellen Voraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 1a i.V.m. Nr. 1c StGB aus materiellen Gründen abgelehnt. Der Angeklagte weise „unter Gesamtwürdigung seiner Person und seiner Taten gegenwärtig keinen Hang zu erheblichen Straftaten auf, d.h. solchen, durch welche die Op- fer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden“ (UA S. 39). Gestützt auf eingeholte Sachverständigengutachten geht das Landgericht davon aus, es bestehe eine mittlere Wahrscheinlichkeit (etwa 50 %) für die zukünftige Begehung von Verstößen gegen das Kontaktaufnahmeverbot sowie von Straftaten wie der verfahrensgegenständlichen (UA S. 40, 44). Diese stellten aber ebenso wie der durch das Landgericht München I 2011 abgeurteilte Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht keine erheblichen Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB dar (UA S. 44). Die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftaten mit dem Intensitätsgrad der den Verurteilungen „1999, 2000 und 2005“ zugrundeliegenden Taten liege lediglich bei etwa 25 %.

II.

20
Die auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
21
1. Die Beschränkung des Rechtsmittels auf die Sicherungsverwahrung ist wirksam.
22
a) Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch weisen keine so enge Verbindung auf, dass – ausnahmsweise (näher Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 318 Rn. 7a mwN) – eine getrennte Überprüfung des angefoch- tenen Teils nicht möglich wäre. Die getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß § 145a StGB belegen die durch die Weisungsverstöße begründete konkrete Gefährdung des Maßregelzwecks. Einer ausdrücklichen Erwähnung dieser Gefährdung bedurfte es nicht, lag doch in einem der beiden Weisungsverstöße zugleich die Begehung einer neuen Sexualstraftat zu Lasten eines Kindes.
23
b) Innerhalb des Ausspruchs über die Rechtsfolgen besteht zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich keine der Beschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (BGH, Urteile vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; vom 24. November 2011 – 4 StR331/11, NStZ-RR 2012, 156 f.). Ein Ausnahmefall, bei dem auf Grund des Inhalts der Urteilsgründe im konkreten Fall ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Nichtanordnung der Maßregel nicht auszuschließen ist (siehe dazu BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281), liegt nicht vor. Aus dem Urteil ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Tatgericht die Höhe der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe in Abhängigkeit zu der unterbliebenen Maßregelanordnung gebracht hat.
24
Ebenso wenig hat das Landgericht zwischen den Gründen der Ablehnung der Anordnung der Sicherungsverwahrung einerseits und den Erwägungen für das Absehen von der Anordnung einer weiteren Führungsaufsicht (UA S. 45) eine Verknüpfung hergestellt.
25
c) Da die Teilrücknahme des Rechtsmittels, das ursprünglich auch den (Teil-)Freispruch des Angeklagten erfasste, vor Beginn der Revisionshauptverhandlung erklärt worden ist, hing die Wirksamkeit der (weiteren) Beschränkung nicht von der Zustimmung des Angeklagten ab (§ 303 Satz 1 StPO).
26
2. Das Unterbleiben der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat bereits die Bedeutung des „Hanges“ im Sinne von § 66Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht zutreffend erkannt. Zudem mangelt es an der umfassenden Würdigung aller relevanten Umstände für die Beurteilung, ob von dem Angeklagten zukünftig erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden (Gefährlichkeitsprognose).
27
a) Die formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB hat das Landgericht im Hinblick auf die früheren Verurteilungen des Angeklagten und die Vollstreckung der dort verhängten Strafen rechtsfehlerfrei festgestellt.
28
b) Die Begründung, mit der es einen Hang des Angeklagten abgelehnt hat, trägt allerdings nicht.
29
aa) Wie das Landgericht zunächst im rechtlichen Ausgangspunkt nicht verkannt hat, verlangt das Merkmal „Hang“ nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer festen eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag (etwa BGH, Urteile vom 25. Februar 1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f.; Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f. mwN). Der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschlüsse vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 6. Mai 2014 – 3 StR 382/13, NStZ-RR 2014, 271 f.; siehe auch BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 – 3 StR 399/09; zu den für den Hang bedeutsamen Kriterien näher Rissing-van Saan/Peglau in Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., Band 3, § 66 Rn. 126 ff.).
30
Von dem Hang bzw. der Hangtätereigenschaft ist die durch § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ebenfalls geforderte Prognose über die zukünftige Gefährlichkeit des Täters zu trennen; die Merkmale sind nicht identisch (BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203 f.; Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 2, § 66 Rn. 99 mwN; siehe auch BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 5. August 2009 – 2 BvR 2098/08 u.a. Rn. 20). Vielmehr bildet der Hang ein wesentliches Krite- rium für die Gefährlichkeitsprognose (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 275/12, NStZ-RR 2014, 13; vgl. auch BVerfGK 9, 108, 114; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 5. August 2009 – 2 BvR2098/08 u.a., Rn. 20). Diese schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGH jeweils aaO). Nach der Rechtsprechung des Bundesge- richtshofs beeinflusst dabei der Grad der „Eingeschliffenheit“ der Verhaltens- weisen des Täters die Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung von Straftaten. Wird die Hangtätereigenschaft festgestellt, ist regelmäßig auch eine ausreichende Wahrscheinlichkeit gegeben; zwingend ist dies jedoch nicht (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 1989 – 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; siehe auch BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464 Rn. 5).

31
bb) Diese Grundsätze hat das Landgericht verkannt und damit bereits einen rechtsfehlerhaften Maßstab für die Beurteilung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB herangezogen. Es hat die Unterschiede zwischen der Hangtätereigenschaft und der ihr zugrundeliegenden Umstände einerseits sowie die Gefährlichkeitsprognose und der für sie maßgeblichen Gesichtspunkte andererseits nicht bedacht. Bei den zur Ablehnung des Hanges des Angeklagten vom Tatgericht herangezogenen Kriterien (Gliederungsziffern F.III.2.-4. der Urteilsgründe, UA S. 40-45 oben) handelt es sich sämtlich um solche, denen für die Prognose über die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Straftatbegehung des Angeklagten und den Schweregrad („erhebliche Straftaten“) der drohenden Straftaten Bedeutung zukommt. Für die anhand einer vergangenheitsbezogenen Betrachtung vorzunehmende Beurteilung der Hangtätereigenschaft sind sie nicht unmittelbar relevant.
32
Wegen des fehlerhaften Maßstabs mangelt es an tragfähigen Erwägungen , mit denen das Verneinen der Hangtäterschaft des Angeklagten hätte begründet werden können. Damit fehlt zugleich ein wesentliches Kriterium für die Gefährlichkeitsprognose (siehe oben Rn. 30).
33
c) Das Urteil beruht insoweit auch auf dem Rechtsfehler. Der Senat vermag nicht sicher auszuschließen, dass das Tatgericht die nicht im Ermessen stehende Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet hätte, wenn es die Hangtätereigenschaft anhand eines zutreffenden Maßstabs gewürdigt und das Ergebnis dieser Würdigung in die Gefährlichkeitsprognose einbezogen hätte.
34
aa) Da das Landgericht die angesichts des strafrechtlich relevanten Vorlebens (mindestens mögliche) Hangtätereigenschaft des Angeklagten gar nicht in die Prognose über das zukünftig zu erwartende Legalverhalten einbezogen hat, tragen die sonst in die Prognose eingestellten Erwägungen über die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten des Angeklagten die Verneinung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen nicht. Wie bereits aufgezeigt , ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit der Annahme der Hangtätereigenschaft – wegen der Bedeutung für die Prognose zukünftiger Gefährlichkeit – regelmäßig auch die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Straftaten durch den Angeklagten gegeben (vgl. BGH, Urteile vom 13. September 1989 – 3 StR 150/89, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 4; vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; vom 8. Juli 2005 – 2StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465). Anderes kann gelten, wenn nach der letzten hangbedingten Tat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger (erheblicher) Straftaten entfallen lassen (BGH, Urteile vom 20. Februar 2002 – 2 StR 486/01, BGHR StGB § 72 Sicherungszweck 6; vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465). Solche Umstände sind dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu entnehmen.
35
bb) Es sind auch keine sonstigen Gründe ersichtlich, die eine Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB als sicher ausgeschlossen erscheinen lassen. Auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen Feststellungen kann die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit selbst ungeachtet des zur Verkürzung der Prognosegrundlage führenden Wertungsfehlers nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
36
(1) Soweit das Landgericht die fehlende Gefährlichkeit des Angeklagten (auch) mit zu erwartenden Erfolgen bei der Therapie des Angeklagten für den Fall der Umstellung auf eine Verhaltenstherapie begründet (siehe UA S. 39, 40, 43 f.), legt es wiederum einen nicht zutreffenden Maßstab zugrunde.
37
Gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB kommt es für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung an (näher Senat, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 1 StR 210/13, NStZ-RR 2014, 273; BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209). Angesichts dessen können wäh- rend des Strafvollzugs denkbare Änderungen im Verhalten des Verurteilten oder sonstiger für seine zukünftige Gefährlichkeit bedeutsamer Umstände nur herangezogen werden, wenn dafür konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe dargelegt sind (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 275/12 Rn. 35; siehe auch Senat, Urteil vom 22. Oktober 2013 – 1 StR 210/13, NStZRR 2014, 273 sowie BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14 Rn. 18, NStZ 2015, 208, 209 f.). Im Übrigen sind solche möglichen Veränderungen erst im Rahmen der obligatorischen Entscheidung gemäß § 67c Abs. 1 StGB vor dem Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe zu berücksichtigen.
38
Diesen Maßstäben wird das Tatgericht nicht gerecht, wenn es unter Berufung auf die zu Rate gezogenen Sachverständigen die den Anforderungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB nicht genügende zukünftige Gefährlichkeit auch mit Erwägungen zu einer empfehlenswerten Verhaltenstherapie anstelle der bislang über lange Zeiträume in Anspruch genommenen psychoanalytisch ausgerichteten Therapie begründet (UA S. 39, 40, 43 f.). Angesichts der sonstigen Feststellungen über bisherige Therapien des Angeklagten lässt das Urteil nicht erkennen, aus welchen Gründen nunmehr bereits im Zeitpunkt des tatrichterlichen Urteils konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftig nachhaltige Verhaltensänderung bestehen. Ausweislich der Feststellungen zur Person hat der Angeklagte bereits nach der Verurteilung im Dezember 2000 über einen Zeitraum von zwei Jahren an etwa 34 Therapiesitzungen bei einem Diplompsychologen teilgenommen. Weiterhin befand er sich nach der Verurteilung aus dem April 2006 für zwei Jahre in der sozialtherapeutischen Anstalt einer Justizvollzugsanstalt und nahm regelmäßig an den dortigen Therapiesitzungen teil (UA S. 7 f.). Ab 2009 erfolgte dann die bereits angesprochene psychoanalytisch ausgerichtete Therapie. Nachhaltige Verhaltensänderungen über eine von dem Tatgericht angenommene rückläufige Intensität der pädosexuellen Delinquenz hinaus sind nicht dargelegt. Da zudem die in den ab 2000 und 2006 durchgeführten, jeweils mehrjährigen Therapien in ihrer Ausrichtung nicht festgestellt sind, hätte es näherer Ausführungen dazu bedurft, warum die nunmehr seitens der im Erkenntnisverfahren gehörten Sachverständigen empfohlene behavioristische Therapie aktuelle konkrete Anhaltspunkte für eine zukünftige Verhaltensänderung soll begründen können.
39
(2) Die mit näher bezifferten Wahrscheinlichkeiten von dem Angeklagten zukünftig drohenden Straftaten können grundsätzlich auch im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB erhebliche Straftaten sein, durch die Opfer körperlich oder seelisch schwer geschädigt werden. Wie vom Tatgericht im Ansatz nicht verkannt , können sich nach der Rechtsprechung des Senats auch Straftaten gemäß § 176 Abs. 1 StGB als erhebliche Straftaten erweisen; maßgeblich sind die Umstände des konkreten Einzelfalls (Senat, Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 465/12, NStZ-RR 2013, 204, 206 mwN). Auf das Erfordernis einer „schweren Sexualstraftat“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundes- verfassungsgerichts aus seinem Urteil vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326, 404 ff.) kommt es nicht an, weil die hier verfahrensgegenständlichen Taten nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, S. 2425) am 1. Juni 2013 begangen worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 7. Januar 2015 – 2 StR 292/14 Rn. 16, NStZ 2015, 208, 209; siehe auch Beschluss vom 15. Januar 2015 – 5 StR 473/14 Rn. 2, NStZ 2015, 210).
40
Die maßgebliche umfassende Würdigung der konkreten Umstände des Einzelfalls hinsichtlich der Erheblichkeit der zukünftig drohenden Taten lässt das Urteil allerdings vermissen. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend aufzeigt, hat das Landgericht nicht ausreichend in den Blick genommen, dass bei den früheren, unzweifelhaft erheblichen Straftaten des Angeklagten, dieser vor allem durch das Eröffnen von Spielmöglichkeiten (Computerspiele) die später Geschädigten zu einem Aufsuchen seiner Wohnung zu bringen vermochte. In den Räumlichkeiten ist es dann gegenüber Jungen , die ihn öfter besuchten, zu sexuellen Übergriffen gekommen.
41
Sowohl bei der der Verurteilung durch das Landgericht München I aus dem Jahr 2011 zugrundeliegenden als auch bei den hier vorliegenden Taten sind Verhaltensweisen festgestellt, die auf ein Locken der Geschädigten in die Wohnung des Angeklagten und bezüglich L. zudem auf den Aufbau eines längerfristigen Kontakts abzielten. Die Bewertung des Landgerichts, es sei „reine Spekulation ohne entsprechende Tatsachengrundlage“ (UA S. 44) anzunehmen, der Angeklagte habe damit lediglich die Gelegenheit für weitere sexuelle Übergriffe schaffen wollen, lässt befürchten, dass es angesichts der früheren Verhaltensweisen des Angeklagten selbst überhöhte Anforderungen an die Überzeugungsbildung hinsichtlich der in eine Gesamtwürdigung einzubeziehenden prognoserelevanten Umstände gestellt hat.
42
(3) Darüber hinaus hat das Landgericht in der Gefährlichkeitsprognose nicht erkennbar berücksichtigt, dass nach den Ergebnissen des Sachverständigengutachtens , die das Tatgericht „aufgrund eigener Überzeugungsbildung zu- grunde legte“ (UA S. 43), eine Wahrscheinlichkeit von „ungefähr 25 % oder mäßig darüber“ für die zukünftige Begehung von Straftaten mit einem seinen „Verurteilungen1999, 2000 oder 2005“ entsprechenden Schweregrad besteht (UA S. 40). Ausweislich der Feststellungen zur Person war der Angeklagte in den Jahren 2000 und 2006 jeweils auch wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt worden (UA S. 9-12). Diesen Verurteilungen lagen u.a. Fälle des Oral- und des Handverkehrs zugrunde.
43
Für die Annahme der zukünftigen Gefährlichkeit kommt es lediglich darauf an, ob von dem Täter mit bestimmter Wahrscheinlichkeit weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (BGH, Urteil vom 10. Januar 2007 – 1 StR 530/06, NStZ 2007, 464, 465; Beschluss vom 31. Juli 2012 – 3 StR 148/12 Rn. 5). Angesichts der – wenn auch allein für die Gefährlichkeitsprognose nicht ausreichenden (BGH aaO) – statistischen Wahrscheinlichkeit für die zukünftige Begehung von sich als schwerer sexueller Missbrauch von Kindern erweisender Straftaten kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, von dem Angeklagten seien keine erheblichen Straftaten ernsthaft zu erwarten. Soweit während der Dauer der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts (oben Rn. 39) zwischenzeitlich auch an die Wahrscheinlichkeit der zukünftigen Begehung erheblicher Straftaten strengere Anforderungen zu stellen waren (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2012 – 3 StR 148/12 Rn. 7), kommt es darauf nicht mehr an. Im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung als Grundlage der Gefährlichkeitsprognose wird eine statistisch mit 25 % bewertete Wahrscheinlichkeit regelmäßig auf eine „bestimmte Wahrscheinlichkeit“ ernsthaft zu erwartender erheblicher Taten hindeuten.
44
cc) Angesichts des vorstehend Ausgeführten steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht von vornherein entgegen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob bei Vorliegen der Voraussetzungen von § 66 Abs. 1 StGB unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von der obligatorischen Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen werden kann (vgl. bereits Senat, Beschluss vom 9. Januar 2013 – 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256 sowie Urteil vom 22. Oktober 2013 – 1StR 210/13, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Verhältnismäßigkeit 1 jeweilsmwN). Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kommt allerdings bei der Auslegung und Anwendung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB angesichts der mit der Sicherungsverwahrung verbundenen Intensität des Eingriffs in das Freiheitsrecht des Angeklagten erhebliche Bedeutung zu.
45
3. Bereits der aufgezeigte Wertungsfehler (oben Rn. 28 f.) führt zur Aufhebung hinsichtlich der unterbliebenen Anordnung der Sicherungsverwahrung. Der Senat hebt die zugrundeliegenden Feststellungen ebenfalls auf (§ 353 Abs. 2 StPO), um dem neuen Tatrichter umfassende und widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen für die Bewertung der materiellen Anordnungsvoraussetzungen aus § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB bedeutsamen Umständen zu ermöglichen.

III.

46
Soweit der Strafausspruch auf die Verurteilung zu einer „Freiheitsstrafe“ von zwei Jahren und drei Monaten lautet, handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Ausweislich der Urteilsgründe (UA S. 38) hat das Tatgericht eine Gesamtfreiheitsstrafe in der genannten Höhe verhängt. Wie sich aus der Sitzungsniederschrift der Hauptverhandlung vom 16. Juni 2014 ergibt, ist auch eine solche Gesamtfreiheitsstrafe verkündet worden. Der Senat hat daher den Tenor des schriftlichen Urteils entsprechend klarstellend gefasst. Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Rothfuß Jäger Radtke Fischer

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Wer der Prostitution

1.
in der Nähe einer Schule oder anderen Örtlichkeit, die zum Besuch durch Personen unter achtzehn Jahren bestimmt ist, oder
2.
in einem Haus, in dem Personen unter achtzehn Jahren wohnen,
in einer Weise nachgeht, die diese Personen sittlich gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle (§ 68a) verfolgt.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

Wer während der Führungsaufsicht gegen eine bestimmte Weisung der in § 68b Abs. 1 bezeichneten Art verstößt und dadurch den Zweck der Maßregel gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Tat wird nur auf Antrag der Aufsichtsstelle (§ 68a) verfolgt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 284/06
vom
10. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 7. März 2006 im Ausspruch über die Maßregeln mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug von zwei Jahren der erkannten Freiheitsstrafe angeordnet. Von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer abgesehen. Dies beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten und auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision. Diese hat Erfolg. Allerdings erstreckt sich die Aufhebung auch auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Insoweit ist die Revisionsbeschränkung unwirksam.
2
Der Angeklagte wurde bereits - neben anderen geringeren Vorstrafen - vom Amtsgericht Mühldorf am Inn am 28. Februar 2002 wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Strafkammer hat gleichwohl die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB abgelehnt und zwar schon deshalb, da sie dessen formelle Voraussetzungen nicht als gegeben ansah. Die Strafkammer meint, in den Fällen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB dürfe nicht - hinsichtlich der weiteren Straftat - auf eine Vorverurteilung abgestellt werden, vielmehr müssten - mindestens - zwei Straftaten der entsprechenden Qualifikation zum Anordnungszeitpunkt zur Aburteilung anstehen. Dies entnimmt die Strafkammer dem Wortlaut der Norm. Außerdem würde sonst § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB „völlig sinnentleert, da sämtliche Fälle, die unter § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu subsumieren wären, gleichzeitig dem Satz 2 unterfielen“ , es somit für den § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB keinen gesonderten Anwendungsbereich mehr gäbe.
3
Dies entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine Strafe ist danach „verwirkt“ (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB), wenn wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im Zusammenhang mit dem Verfahren , in dem die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird (BGH NStZ 2006, 156, 158 Rdn. 5; NJW 1999, 3723, 3724; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 66 Rdn. 13 m.w.N.). Auch bei dieser am Wortlaut orientierten Auslegung sind die Anwendungsbereiche des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht völlig deckungsgleich. Satz 2 setzt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren voraus. Bei der Sichtweise des Landgerichts könnte das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB auch von Zufälligkeiten abhängen, nämlich ob - etwa je nach Arbeitsweise bei verschiedenen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaf- ten oder nach deren Abgabepraxis - eine frühere Tat bereits abgeurteilt ist oder erst gemeinsam mit der weiteren Tat angeklagt wird. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hat daher keinen Bestand.
4
Der Rechtsmangel zur Frage der Sicherungsverwahrung nötigt nicht dazu , auch den Strafausspruch aufzuheben. Insoweit ist der Umfang des Rechtsmittels wirksam beschränkt. Denn zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281; NJW 1996, 3018, 3019 [insoweit in BGHSt 42, 191, nicht abgedruckt]; NStE Nr. 17 zu § 344 StPO). Der Senat kann auch im vorliegenden Fall ausschließen, dass die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung der Maßregel beeinflusst war.
5
Anders ist dies hier hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu bewerten. Zwar kann bei einer Revision , die sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung richtet, im Grundsatz nicht nur der Strafausspruch, sondern auch eine angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wirksam von der Anfechtung ausgenommen werden (vgl. BGH - Senat - NStZ 2000, 587, 588). Im vorliegenden Fall ist jedoch ein möglicher innerer Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmen nicht von vorneherein völlig auszuschließen, zumal die Strafkammer - anders als in der zitierten Entscheidung - schon die formellen Voraussetzungen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt und damit keine Gelegenheit gefunden hat, sich mit den materiellen Voraussetzungen einer Unterbringung - in der Sicherungsverwahrung sachverständig beraten - auseinanderzusetzen. Insoweit erweist sich die Beschränkung der Revision daher als unwirksam. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird ebenfalls aufgehoben, um dem Landgericht so Gelegenheit zu geben, die Voraussetzungen beider Maßregeln gemeinsam aufgrund widerspruchsfreier aktueller Feststellungen hierzu zu prüfen (zu den Voraussetzungen des Absehens von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung - sofern die Voraussetzungen dazu im Übrigen gegeben sind - im Hinblick eine angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vgl. BGH aaO). Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf

Wenn die Entscheidung über das Rechtsmittel auf Grund mündlicher Verhandlung stattzufinden hat, so kann die Zurücknahme nach Beginn der Hauptverhandlung nur mit Zustimmung des Gegners erfolgen. Die Zurücknahme eines Rechtsmittels des Angeklagten bedarf jedoch nicht der Zustimmung des Nebenklägers.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR382/13
vom
6. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
6. Mai 2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Rostock vom 15. März 2013, soweit es ihn betrifft, im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
Nach den Feststellungen griff der Angeklagte, der als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt W. einsaß, zusammen mit dem Mitangeklagten S. einen Mitgefangenen an. Er stieß ihm ein Messer in den Rücken und verletzte ihn bei dem Versuch, nochmals zuzustechen, am Arm. Anschließend trat er zusammen mit dem Mitangeklagten mehrfach auf den am Boden liegenden Geschädigten ein.
3
Der Maßregelausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB festgestellt und die im vorliegenden Fall fortgeltenden erhöhten Anforderungen an die Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., BVerfGE 128, 326) gesehen (vgl. BGH, Urteil vom 11. März 2014 - 5 StR 563/13, NJW 2014, 1316; Beschluss vom 17. April 2014 - 3 StR 355/13, juris). Hingegen hat das Landgericht einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB nicht tragfähig begründet. Dieses Merkmal verlangt nach der ständigen Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Sein Vorliegen hat der Tatrichter - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände in eigener Verantwortung festzustellen und in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09, juris; Beschluss vom 27. September 1994 - 4 StR 528/94, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 8). Diese Würdigung bedarf in den Fällen von § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB, bei denen Vortaten und Vorverbüßungen fehlen, besonderer Sorgfalt (BGH, Beschlüsse vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11, juris Rn. 5).
4
Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Es teilt im Anschluss an den gehörten Sachverständigen mit, der Angeklagte entspreche auf der Grundlage der Kriteriensammlung von Habermeyer/Saß (Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) bei einer Gesamtschau "keiner ganz typisch psychiatrisch zu identifizierenden Fallkonstellation eines Hangtäters", er erfülle einen Großteil ("zehn von elf", keine Psychopathie; UA S. 76), aber nicht alle Merkmale, die aus psychiatrischer Sicht für einen Hangtäter typisch seien (UA S. 72). Zwar befasst sich das Landgericht im Folgenden mit einzelnen der in dem besagten Katalog genannten Kriterien und gleicht sie mit der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Straftaten ab; indes bleibt offen, worin genau sich die Persönlichkeit des Angeklagten aufgrund der fehlenden Psychopathie von derjenigen eines "typischen Hangtäters" unterscheidet und warum trotz dieser Unterschiede ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB zu bejahen ist.
5
Dieser Mangel wird auch nicht dadurch ausgeräumt, dass sich das Landgericht zur Begründung des Hanges auf die vom Sachverständigen referierten Ergebnisse der Anwendung mehrerer statistischer Prognoseinstrumente auf den Angeklagten stützt, ohne dabei allerdings in den Blick zu nehmen, dass diese Prognoseinstrumente maßgeblich nicht der Beurteilung des Hangs des Täters zur Begehung von Straftaten, sondern der Einschätzung seiner künftigen Gefährlichkeit für die Allgemeinheit dienen sollen (zur Differenzierung zwischen diesen beiden Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 - 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196). Insoweit braucht sich der Senat auch hier nicht näher mit der Frage zu befassen, ob es grundsätzlich zulässig ist, aus einer Gefährlichkeitsprognose auf den Hang des Täters zur Begehung von Straftaten rückzuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 StR 341/07, StV 2008, 301, 302; vgl. demgegenüber etwa BGH, Urteil vom 11. Mai 2005 - 1 StR 37/05, BGHSt 50, 121, 132: naheliegend, dass die Feststellung der Gefährlichkeitsprognose im Regelfall auf das Vorliegen eines Hangs hindeutet; BGH, Urteil vom 20. Februar 2002 - 2 StR 486/01, juris Rn. 8: Bejahung der Gefährlichkeitsprognose unvereinbar mit dem Schluss, bei dem Täter liege kein "Hang" zur Begehung von Straftaten vor). Denn selbst wenn dieser Schluss regelmäßig gerechtfertigt sein sollte, so bedarf das Ergebnis statistischer Bewertung der Gefährlichkeit des Täters gerade dann, wenn es auch zum Beleg seines Hanges zur Begehung von Straftaten herangezogen werden soll, stets des konkreten Abgleichs mit dem individuell zu beurteilenden Angeklagten und seinen früheren Taten. Dies bleibt aus den schon aufgezeigten Gründen in dem angefochtenen Urteil lückenhaft, denn gerade wenn es sich bei dem Angeklagten um einen untypischen Fall handelt, bedarf die Aussagekraft rein statistischer Prognoseinstrumente schon für sich besonders gründlicher Prüfung, insbesondere aber der kritischen Gegenüberstellung mit der konkreten Analyse der Persönlichkeit des Angeklagten und seinen früheren Taten. Daran mangelt es; denn auch nach der Darstellung der einzelnen Prognoseinstrumente bleibt für das Landgericht das Fazit, dass der Angeklagte kein ganz typischer Hangtäter sei (UA S. 76). Eine Erläuterung der Unterschiede zum "typischen Hangtäter" und deren Unerheblichkeit für das Vor- liegen eines Hangs im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB unterbleibt auch hier.
6
Über den Maßregelausspruch ist deshalb nochmals zu verhandeln und zu entscheiden.
Becker Hubert Schäfer
Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 399/09
vom
17. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Vergewaltigung u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Dezember
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Hubert,
Mayer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 3. Juni 2009 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen , versuchter schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie die Sicherungsverwahrung angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte der Senat mangels ausreichender Feststellungen zu den formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung im Maßregelausspruch aufgehoben und die Sache insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit sachlichrechtlichen Beanstandungen. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
2
Das Landgericht hat sich nicht davon zu überzeugen vermocht, dass bei dem Angeklagten ein Hang zu erheblichen Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben ist. Zur Begründung hat es - in Übereinstimmung mit dem gehörten Sachverständigen - zunächst dargelegt, dass bei dem Angeklagten eine Persönlichkeitsstörung vorliege, die allerdings nicht das Ausmaß einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB erreiche. Sodann hat die Strafkammer ausgeführt, dass es in der Lebens- und Delinquenzentwicklung des Angeklagten zwar durchaus einige Umstände gebe, welche in Übereinstimmung mit einem Kriterienkatalog aus der forensischenpsychiatrischen Literatur (vgl. Habermeyer/Saß Nervenarzt 2004, 1061, 1066 f.) für das Vorliegen eines Hanges sprechen könnten; es seien dies die Spezialisierung des Angeklagten auf einen bestimmten Delinquenztyp sowie die aktive Gestaltung der Taten. Auch hätten die bisherigen strafrechtlichen Konsequenzen sowie therapeutische Maßnahmen (stationäre Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlungen sowie eine zweijährige ambulante Psychotherapie) den Rückfall nicht verhindern können. Andererseits spreche aber auch eine Reihe von Umständen gegen einen solchen Hang: Die Taten seien jeweils unter dem enthemmenden Einfluss von Drogenkonsum geschehen, sie ließen keine Sicherungstendenzen erkennen, zwischen ihnen und den Vortaten liege ein erheblicher Zeitraum von mehr als sechs Jahren; die Tat zum Nachteil der Tochter sei zudem beeinflusst vom Konflikt des Angeklagten mit seiner geschiedenen Ehefrau ; der Angeklagte habe darüber hinaus sowohl im Tatnachgeschehen als auch im Rahmen der Exploration die Verantwortung auf sich genommen und Opfer-Empathie gezeigt.
3
Die Entscheidung des Landgerichts hält rechtlicher Überprüfung stand.
4
Die Unterbringung eines Angeklagten in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB setzt - neben formellen Umständen - voraus, dass die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten einen Hang zu erheblichen Straftaten ergibt, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung.
5
Dem ist hier Genüge getan. Das Landgericht hat sich dem Gutachter angeschlossen und dessen Erwägungen mitgeteilt, so dass eine revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl. § 267 Rdn. 13 m. w. N.). Lücken oder Widersprüche in der Abwägung sind dabei nicht zutage getreten. Soweit das Landgericht die Ausführungen des Gutachters auch dahingehend wiedergibt, der Angeklagte sei "aus forensisch-psychiatrischer Sicht" nicht als Hangtäter zu qualifizieren, ist nicht zu besorgen, es habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen.
6
Die Revision zeigt mit ihren Beanstandungen einen Rechtsfehler nicht auf. Mit dem urteilsfremden Vortrag, im ersten Verfahrensdurchgang sei ein anderer Sachverständiger zu anderen Erkenntnissen gelangt, mit denen sich das Landgericht hätte auseinandersetzen müssen, kann sie im Rahmen der Sachrüge nicht gehört werden.
Becker Pfister Sost-Scheible Hubert Mayer

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 69/10
vom
30. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 30. März
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. Oktober 2009 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Zugleich hat es die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen die Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Nach den Feststellungen missbrauchte der damals 57 oder 58 Jahre alte Angeklagte zwei Mädchen im Alter von zehn oder elf bzw. von zwölf Jahren, die er im unmittelbaren Wohnumfeld kennengelernt und um die er sich im Einverständnis mit den Eltern als hilfsbereiter Nachbar gekümmert hatte. Er holte die Kinder von der Schule ab, machte Ausflüge mit ihnen und ließ sie in seiner Wohnung das Internet nutzen. In den Sommerferien 2008 waren die Kinder ständig von morgens bis abends bei ihm. Die Taten beging der Angeklagte "in dem Zeitraum von Anfang Juni bis Ende August 2008". Eine nähere Eingrenzung war der Kammer - von zwei Taten abgesehen, die am 15. und 16. August 2008 stattfanden - nicht möglich.
3
Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Strafzumessung - insbesondere die Annahme eines besonders schweren Falles des sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176 Abs. 3 StGB) im Fall II. 2. der Urteilsgründe sowie die Verhängung von drei Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr, denen jeweils ein Zungenkuss des Angeklagten mit der zehn- oder elfjährigen M. zugrunde liegt - ist angesichts der Gesamtumstände zwar eher streng, verlässt aber den Bereich des Schuldangemessenen noch nicht.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben, da das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine auf ihm beruhende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet hat.
5
1. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Urt. vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09 - Rdn. 4).
6
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es führt - unter pauschaler Bezugnahme auf "gutachterliche Feststellungen" des Sachverständigen - lediglich aus, dass "bei dem Angeklagten die aus psychologischpsychiatrischer Sicht für einen Hangtäter sprechenden Risikofaktoren für die Begehung weiterer sexueller Missbrauchstaten von Kindern nach Anzahl und Gewicht (überwiegen). Dieses ließe erwarten, dass der Angeklagte auch weitere im mittleren bis schweren Bereich anzusiedelnde sexuelle Missbrauchstaten begehen wird." Damit ist nicht nur zu besorgen, das Landgericht habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen, es fehlt auch an der notwendigen Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn - wie hier - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1). In die Würdigung wäre hier u. a. einzustellen gewesen , dass der nicht vorbestrafte Angeklagte bislang ein unauffälliges Leben führte und aus mehreren, zum Teil langjährigen Beziehungen mit Frauen insge- samt vier erwachsene Kinder hatte. Zudem handelte es sich um einen äußerst kurzen Tatzeitraum.
7
Sollte das Landgericht angenommen haben, eine positive Gefährlichkeitsprognose könne die Feststellung eines Hangs ersetzen, wäre auch dies rechtsfehlerhaft. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch in § 67 d Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGHSt 50, 188, 196; vgl. auch BGH StV 2008, 301, 320).
8
2. Auch die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten ist rechtlich zu beanstanden. Hier referiert das Landgericht, der Sachverständige habe "zum einen eine statistische Bewertung des von dem Angeklagten ausgehenden Risikos nach dem Verfahren 'Static 99' durchgeführt. … Auf einer bis 10 reichenden Skala habe der Angeklagte einen Skalenwert von 7 erreicht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Angeklagte damit in den Bereich 'hohes Risiko' einzustufen, der bei dem Skalenwert 6 beginne."
9
Zutreffend an diesen Ausführungen ist allein, dass es sich bei dem "Static 99" um eines von mehreren Prognoseinstrumenten zur Vorhersage von Rückfällen bei Sexualdelinquenz handelt (vgl. hierzu Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in: Kröber u. a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie Bd. 3 S. 1, 32 ff., 41 ff.; Dahle FPPK 2007, 15, 17), dessen Qualität inzwischen auch durch Studien in Europa getestet worden ist (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 248; Rettenberger/Eher MschrKrim 2006, 352, 358; Noll u. a MschrKrim 2006, 24, 29; Endrass u. a. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 2009, 284; Dahle u. a. FPPK 2009, 210, 216, 219). Es ist aber bereits nicht ersichtlich, wie der Sachverständige bei dem unbestraften, nahezu 60jährigen Angeklagten, der mehrere langjährige Beziehungen zu Frauen hatte, seine durchweg weiblichen Opfer und deren Familien im nachbarschaftlichen Umfeld seit längerem kannte und bei seinen Taten ohne Gewalt vorging, zur Vergabe von sieben Risikopunkten kommen konnte. Die Feststellungen des Landgerichts belegen jedenfalls nur einen Risikopunkt (ItemNummer 8: Opfer und Täter sind nicht verwandt). Hinzu kommt, dass sich das Landgericht darauf beschränkt, ein "hohes Risiko" festzustellen, ohne darzulegen , welche Straftaten in welchem Zeitraum mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind. Nur so könnte nachprüfbar belegt werden, ob der Angeklagte gefährlich ist.
10
Zuletzt lässt das Landgericht außer Acht, dass mit der Feststellung, der Angeklagte weise bei Anwendung irgendeines statistischen Prognoseinstruments eine bestimmte Anzahl von Risikopunkten auf, nichts Entscheidendes gewonnen ist. Solche Instrumente können für die Prognose zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, sind indes nicht in der Lage, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (Dahle FPPK 2007, 15, 24). Zur individuellen Prognose bedarf es über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus zusätzlich einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen. Denn jedes Instrument kann nur ein Hilfsmittel sein, eines von mehreren Werkzeugen, mit denen sich der Gutachter die Prognosebeurteilung erarbeitet (vgl. auch Boetticher u. a. NStZ 2009, 478, 481).
11
Die weiteren, im Urteil wiedergegebenen Erwägungen des Sachverständigen vermögen diese Mängel nicht auszugleichen.
12
3. Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neuerliche Verhandlung doch noch zur Feststellung von Umständen führt, die die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Dabei wird sich die Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen empfehlen.
Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer
35
Das Landgericht ist zwar von diesen Obersätzen ausgegangen, hat dann aber einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, indem es nur auf die nicht ausschließbare Möglichkeit einer Haltungsänderung abstellt. Konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe für die erforderliche Erwartung einer solchen Haltungsänderung - die das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe auch selbst nicht hegt - sind nicht belegt. Allein die Dauer des Strafvollzugs von zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch acht Jahren und sechs Monaten und das vom Angeklagten dann erreichte Lebensalter von 57 Jahren genügen hierzu nicht (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08, NStZ 2010, 387, 389). Vielmehr hätte für die Erwartung einer zukünftig günstigen Prognose auch erörtert werden müssen, wie sich die Persönlichkeitsstörung zu den Erfolgsaussichten einer denkbaren Therapie verhält.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

5
Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen. Die Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2). Die hier von der Strafkammer maßgeblich für die Ablehnung von Sicherungsverwahrung herangezogenen Gesichtspunkte gehen jedoch teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus und sind teilweise mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt hat.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 486/01
vom
20. Februar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Februar
2002, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29. Mai 2001 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern und sexuellen Mißbrauchs von Kindern in jeweils elf Fällen in Tateinheit mit dem Sichverschaffen des Besitzes von kinderpornographischen Schriften, sowie wegen Sichverschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich allein dagegen, daß das Landgericht die Anordnung von Sicherungsverwahrung abgelehnt hat. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte während eines vierwöchigen Besuchs seiner damals fünfjährigen Nichte J. in 18 Fällen Film- und Fotoaufnahmen von dem nackten Mädchen. Unter anderem filmte der Angeklagte, wie er das Kind am Körper berührte und mit ihm
nachstellte, es werde geschlachtet. Er hängte seine Nichte nackt und an den Füûen gefesselt, mit dem Kopf nach unten, an einer in der Wohnung angebrachten elektrischen Seilwinde auf, was ihn stark sexuell erregte. Auch in diesem Zustand fotografierte und filmte er das Kind mit Hilfe der auf einem Stativ stehenden Videokamera. Dabei faûte er es an und stellte teilweise wiederum Schlachtszenen nach, indem er auch mit einem Küchenmesser an dem Körper des Kindes hantierte, ohne es aber zu verletzen. Obwohl es mit zunehmender Dauer und Häufigkeit dieser Behandlung immer heftiger protestierte, lieû der Angeklagte das Mädchen mehrfach einige Minuten lang laut schreiend und weinend an der Seilwinde hängen. Er kämpfte immer wieder mit der Idee, das Mädchen umzubringen, damit sie ihn nicht verraten könnte, konnte diesen Drang aus Zuneigung zu dem Kind aber überwinden. Wenige Wochen vor den geschilderten Vorfällen überredete der Angeklagte seine damals 13jährige Nichte N. zu fünf Besuchen in seiner Wohnung, nach denen sie jeweils Geldbeträge zwischen 20 und 100 DM erhielt. Auch während dieser Besuche fertigte der Angeklagte Videoaufnahmen, wobei er das nie völlig entkleidete Mädchen zum Teil fesselte und u.a. in dessen Genital - und Analbereich manipulierte. 2. Der Angeklagte weist eine schwere sexuelle Perversion in Form des Sadismus mit geringfügigen masochistischen Zügen und kannibalistischen sowie pädophilen Neigungen auf. Infolge dieser als schwere andere seelische Abartigkeit zu qualifizierenden Störung war er bei allen Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ohne daû seine Schuldfähigkeit gänzlich aufgehoben war. Der Angeklagte, der eine von Gewalt und sexuellem Miûbrauch geprägte Kindheit erlebte, hatte seit seinem zwanzigsten Lebensjahr abnorme sexuelle Phantasien entwickelt, die z.B. das Aufhängen und
Schlachten von Frauen zum Gegenstand hatten. Er befriedigte seine Bedürfnisse viele Jahre lang mit Hilfe einschlägiger pornographischer Videos. Auch sammelte er Zeitungsartikel über Kannibalen und Massenmörder von Kindern; aus Werbeblättern mit Abbildungen aufgehängter Schweinehälften und Fotos kleiner blonder Mädchen fertigte er Collagen. Kurz vor den oben geschilderten Geschehnissen hatte der nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte bereits unter einem Vorwand zwei kleine Mädchen zu sich nach Hause mitgenommen, diese dann aber unbehelligt gehen lassen. Die angeordnete Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat die Kammer damit begründet, daû sämtliche Taten in der sexuellen Abnormität des Angeklagten wurzeln und er auch zukünftig für die Allgemeinheit sehr gefährlich ist. Das Landgericht meint aber, bei dem Angeklagten liege kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, da für ihn nicht eine so schwere Störung prognostiziert werden müsse, daû die Allgemeinheit vor ihm nur im Wege der Sicherungsverwahrung geschützt werden könne. Es sei nicht auszuschlieûen, daû der Angeklagte in der Lage sein werde, im Rahmen der Unterbringung seine positiven Charaktereigenschaften dauerhaft zu mobilisieren und in Zukunft bei genügend gefestigten Lebensstrukturen seinen Sexualtrieb ausreichend zu beherrschen. II. Die Begründung, mit der das Landgericht die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung verneint, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Diese führen gleichwohl nicht zur Aufhebung des Urteils, weil die Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten im Ergebnis zu Recht unterblieben ist. 1. Unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen ist die Wertung des Landgerichts zu § 63 StGB einerseits und § 66 StGB andererseits in sich
widersprüchlich. Die Kammer geht bei dem Angeklagten aufgrund der sexuellen Perversion von einem seine Schuldfähigkeit dauernd beeinträchtigenden Zustand aus und stellt fest, daû alle abgeurteilten Taten in seiner sexuellen Abnormität wurzeln, er daher auch in Zukunft für die Allgemeinheit sehr gefährlich ist. Mit dieser Beurteilung unvereinbar ist der dann gezogene Schluû, der Angeklagte weise keinen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten auf. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läût. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist nur das Bestehen des verbrecherischen Hanges, nicht dessen Ursache, denn anders als bei dem die Gefährlichkeit begründenden Zustand im Sinne der §§ 63, 64 StGB beschreibt das Gesetz seine möglichen Ursachen nicht (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH NStZ 1999, 502; BGHSt 24, 160, 161). Die hier abgeurteilten Anlaûtaten stellen sich ohne weiteres als symptomatisch für die verbrecherische Neigung des Angeklagten dar, da sich in ihnen ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB bereits hinreichend manifestiert hat. Auch die weitere Argumentation in dem angefochtenen Urteil begegnet rechtlichen Bedenken. Denn die Strafkammer stellt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf eine - allenfalls mögliche, mehr erhoffte als erwartete - weitere positive Entwicklung des Angeklagten ab. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters sind aber die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Urteilsfindung entscheidend (st.Rspr., BGHSt 24, 160, 164; BGH
NStZ-RR 1998, 206). Zwar können im Rahmen der Ermessensentscheidung (§ 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB) auch solche Gesichtspunkte beachtlich sein, die sich auf den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entlassung beziehen; die Gefährlichkeit eines Täters kann u.U. dann verneint werden, wenn schon bei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden kann, daû sie bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr bestehen wird. Die bloûe Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Lebensumstände können die Gefährlichkeit eines Täters jedoch nicht ausräumen (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 206; Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00). Der Hangtäter ist für die Allgemeinheit gefährlich, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daû er auch in Zukunft Straftaten begehen wird und diese eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Diese Wahrscheinlichkeit ist regelmäûig schon gegeben, wenn die Eigenschaft als Hangtäter festgestellt ist. Nur wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen, kann die Gefährlichkeit verneint werden; dabei müssen diese Umstände feststehen (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 3 und 5 m.w.N.). Daû von dem Angeklagten zur Zeit der Urteilsfindung die Gefahr weiterer , den Anlaûtaten vergleichbarer Straftaten ausging, ergibt sich aus den Urteilsgründen zu Entstehung, Verlauf, Ausbruch und Weiterentwicklung der sexuellen Perversion des Angeklagten. Umstände, die die hieraus folgende Gefährlichkeitsprognose entkräften könnten, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Unerheblich ist bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 66 StGB, daû möglicherweise der Gefährlichkeit des Angeklagten auch durch eine Unterbringung nach § 63 StGB begegnet werden kann.
2. Unbeschadet der fehlerhaften Rechtsanwendung durch das Landgericht ist die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung im Ergebnis aber nicht zu beanstanden. Denn bei der hier gegebenen Konstellation ist im Hinblick auf § 72 StGB für die Verhängung von Sicherungsverwahrung kein Raum. Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 63 StGB als auch des § 66 StGB vor, ist die kumulative Anordnung beider Maûregeln grundsätzlich möglich , da die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gegenüber der Sicherungsverwahrung kein geringeres, sondern ein anderes Übel darstellt (st.Rspr., vgl. BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1998, 35). Unter Beachtung des Grundsatzes, daû der Sicherungsverwahrung als "letztes Mittel der Kriminalpolitik" in starkem Maûe ultima-ratio-Charakter zukommt (vgl. BGHSt 30, 220, 222; Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SexualdelBekG vom 14. November 1997, BTDrucks. 13/8586, S. 8), wird eine Anordnung beider Maûregeln freilich nur ausnahmsweise erfolgen, sofern die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Erreichung des Maûregelzwecks - Abwehr der Gefährlichkeit des Täters - im Einzelfall nicht ausreicht und Gründe vorliegen , die ein Nebeneinander der beiden Maûregeln zweckmäûig erscheinen lassen. Ausschlaggebend für die Auswahl oder Häufung der Maûregeln sind dabei die besonderen Umstände des Einzelfalles (BGHSt 5, 315). Wenn - wie im vorliegenden Fall - der im Rahmen von § 66 StGB vorausgesetzte Hang ausschlieûlich auf einen psychischen Defekt zurückgeht, welcher gleichzeitig die erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründet, ist die Unterbringung nach § 63 StGB vorrangig und deren alleinige Anordnung im Regelfall auch ausreichend (vgl. BGHR StGB § 63 Konkurrenzen 3; BGH NStZ 1998, 35; BGHSt 42, 306, 308). Da § 63 StGB das Bestehen von Heilungsaussichten nicht voraussetzt, sondern auch dem Schutz der Allgemeinheit vor
kranken und gefährlichen Tätern dient, gilt dies prinzipiell auch bei mangelnder oder zweifelhafter Therapierbarkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1995, 588; 1998, 35). Daû die Unterbringung von schwer oder gar nicht therapiefähigen Sexualstraftätern im psychiatrischen Krankenhaus tatsächliche Schwierigkeiten in der Vollzugspraxis mit sich bringt (vgl. Gutachten der unabhängigen Expertenkommission vom 31. Januar 1996, MSchrkrim 1996, 147, 156 f.; Hanack in LK 11. Aufl. § 72 Rdn. 25), vermag an der rechtlichen Ausgangssituation nichts zu ändern. Abweichend von dem dargelegten Grundsatz kann sich ein Bedürfnis für die zusätzliche Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der Unterbringung (§ 72 Abs. 2 StGB) ausnahmsweise dann ergeben, wenn im konkreten Fall zu besorgen ist, daû der von § 63 StGB vorausgesetzte Zustand des Täters - etwa nach erfolgreicher Therapie oder aus anderen Gründen - später entfällt, die Gefährlichkeit aufgrund eines weiterhin gegebenen Hanges aber gleichwohl fortbesteht. Denn bei Wegfall der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 StGB wäre diese Maûregel in analoger Anwendung des § 67c Abs. 2 S. 5 StGB für erledigt zu erklären, selbst wenn von dem Untergebrachten weiterhin Straftaten zu befürchten sind (vgl. BGHSt 42, 306, 310; OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt StV 1985,
117). Anhaltspunkte für eine derartige Konstellation sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Bei der hier gegebenen Sachlage ist auch nicht ersichtlich , daû weitere, in diese Richtung gehende Feststellungen zu treffen wären. Jähnke Detter Bode Otten Fischer

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

5
Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen. Die Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2). Die hier von der Strafkammer maßgeblich für die Ablehnung von Sicherungsverwahrung herangezogenen Gesichtspunkte gehen jedoch teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus und sind teilweise mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt hat.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 486/01
vom
20. Februar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. Februar
2002, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. h.c. Detter,
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29. Mai 2001 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen hat die Staatskasse zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern und sexuellen Mißbrauchs von Kindern in jeweils elf Fällen in Tateinheit mit dem Sichverschaffen des Besitzes von kinderpornographischen Schriften, sowie wegen Sichverschaffens des Besitzes von kinderpornographischen Schriften in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus und die Einziehung verschiedener Gegenstände angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft richtet sich allein dagegen, daß das Landgericht die Anordnung von Sicherungsverwahrung abgelehnt hat. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fertigte der Angeklagte während eines vierwöchigen Besuchs seiner damals fünfjährigen Nichte J. in 18 Fällen Film- und Fotoaufnahmen von dem nackten Mädchen. Unter anderem filmte der Angeklagte, wie er das Kind am Körper berührte und mit ihm
nachstellte, es werde geschlachtet. Er hängte seine Nichte nackt und an den Füûen gefesselt, mit dem Kopf nach unten, an einer in der Wohnung angebrachten elektrischen Seilwinde auf, was ihn stark sexuell erregte. Auch in diesem Zustand fotografierte und filmte er das Kind mit Hilfe der auf einem Stativ stehenden Videokamera. Dabei faûte er es an und stellte teilweise wiederum Schlachtszenen nach, indem er auch mit einem Küchenmesser an dem Körper des Kindes hantierte, ohne es aber zu verletzen. Obwohl es mit zunehmender Dauer und Häufigkeit dieser Behandlung immer heftiger protestierte, lieû der Angeklagte das Mädchen mehrfach einige Minuten lang laut schreiend und weinend an der Seilwinde hängen. Er kämpfte immer wieder mit der Idee, das Mädchen umzubringen, damit sie ihn nicht verraten könnte, konnte diesen Drang aus Zuneigung zu dem Kind aber überwinden. Wenige Wochen vor den geschilderten Vorfällen überredete der Angeklagte seine damals 13jährige Nichte N. zu fünf Besuchen in seiner Wohnung, nach denen sie jeweils Geldbeträge zwischen 20 und 100 DM erhielt. Auch während dieser Besuche fertigte der Angeklagte Videoaufnahmen, wobei er das nie völlig entkleidete Mädchen zum Teil fesselte und u.a. in dessen Genital - und Analbereich manipulierte. 2. Der Angeklagte weist eine schwere sexuelle Perversion in Form des Sadismus mit geringfügigen masochistischen Zügen und kannibalistischen sowie pädophilen Neigungen auf. Infolge dieser als schwere andere seelische Abartigkeit zu qualifizierenden Störung war er bei allen Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt, ohne daû seine Schuldfähigkeit gänzlich aufgehoben war. Der Angeklagte, der eine von Gewalt und sexuellem Miûbrauch geprägte Kindheit erlebte, hatte seit seinem zwanzigsten Lebensjahr abnorme sexuelle Phantasien entwickelt, die z.B. das Aufhängen und
Schlachten von Frauen zum Gegenstand hatten. Er befriedigte seine Bedürfnisse viele Jahre lang mit Hilfe einschlägiger pornographischer Videos. Auch sammelte er Zeitungsartikel über Kannibalen und Massenmörder von Kindern; aus Werbeblättern mit Abbildungen aufgehängter Schweinehälften und Fotos kleiner blonder Mädchen fertigte er Collagen. Kurz vor den oben geschilderten Geschehnissen hatte der nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte bereits unter einem Vorwand zwei kleine Mädchen zu sich nach Hause mitgenommen, diese dann aber unbehelligt gehen lassen. Die angeordnete Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat die Kammer damit begründet, daû sämtliche Taten in der sexuellen Abnormität des Angeklagten wurzeln und er auch zukünftig für die Allgemeinheit sehr gefährlich ist. Das Landgericht meint aber, bei dem Angeklagten liege kein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB vor, da für ihn nicht eine so schwere Störung prognostiziert werden müsse, daû die Allgemeinheit vor ihm nur im Wege der Sicherungsverwahrung geschützt werden könne. Es sei nicht auszuschlieûen, daû der Angeklagte in der Lage sein werde, im Rahmen der Unterbringung seine positiven Charaktereigenschaften dauerhaft zu mobilisieren und in Zukunft bei genügend gefestigten Lebensstrukturen seinen Sexualtrieb ausreichend zu beherrschen. II. Die Begründung, mit der das Landgericht die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung verneint, ist nicht frei von Rechtsfehlern. Diese führen gleichwohl nicht zur Aufhebung des Urteils, weil die Anordnung von Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten im Ergebnis zu Recht unterblieben ist. 1. Unter Zugrundelegung der getroffenen Feststellungen ist die Wertung des Landgerichts zu § 63 StGB einerseits und § 66 StGB andererseits in sich
widersprüchlich. Die Kammer geht bei dem Angeklagten aufgrund der sexuellen Perversion von einem seine Schuldfähigkeit dauernd beeinträchtigenden Zustand aus und stellt fest, daû alle abgeurteilten Taten in seiner sexuellen Abnormität wurzeln, er daher auch in Zukunft für die Allgemeinheit sehr gefährlich ist. Mit dieser Beurteilung unvereinbar ist der dann gezogene Schluû, der Angeklagte weise keinen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten auf. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen läût. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Entscheidend ist nur das Bestehen des verbrecherischen Hanges, nicht dessen Ursache, denn anders als bei dem die Gefährlichkeit begründenden Zustand im Sinne der §§ 63, 64 StGB beschreibt das Gesetz seine möglichen Ursachen nicht (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; BGH NStZ 1999, 502; BGHSt 24, 160, 161). Die hier abgeurteilten Anlaûtaten stellen sich ohne weiteres als symptomatisch für die verbrecherische Neigung des Angeklagten dar, da sich in ihnen ein Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 3 S. 1 StGB bereits hinreichend manifestiert hat. Auch die weitere Argumentation in dem angefochtenen Urteil begegnet rechtlichen Bedenken. Denn die Strafkammer stellt im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nach § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB auf eine - allenfalls mögliche, mehr erhoffte als erwartete - weitere positive Entwicklung des Angeklagten ab. Für die Beurteilung der Gefährlichkeit des Täters sind aber die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Urteilsfindung entscheidend (st.Rspr., BGHSt 24, 160, 164; BGH
NStZ-RR 1998, 206). Zwar können im Rahmen der Ermessensentscheidung (§ 66 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 StGB) auch solche Gesichtspunkte beachtlich sein, die sich auf den voraussichtlichen Zeitpunkt der Entlassung beziehen; die Gefährlichkeit eines Täters kann u.U. dann verneint werden, wenn schon bei Urteilsfindung mit Sicherheit angenommen werden kann, daû sie bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr bestehen wird. Die bloûe Möglichkeit künftiger Besserung oder die Hoffnung auf sich ändernde Lebensumstände können die Gefährlichkeit eines Täters jedoch nicht ausräumen (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 206; Urteil vom 7. November 2000 - 1 StR 377/00). Der Hangtäter ist für die Allgemeinheit gefährlich, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, daû er auch in Zukunft Straftaten begehen wird und diese eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens darstellen. Diese Wahrscheinlichkeit ist regelmäûig schon gegeben, wenn die Eigenschaft als Hangtäter festgestellt ist. Nur wenn zwischen der letzten Hangtat und dem Zeitpunkt der Urteilsverkündung neue Umstände eingetreten sind, die die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten entfallen lassen, kann die Gefährlichkeit verneint werden; dabei müssen diese Umstände feststehen (BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 1, 3 und 5 m.w.N.). Daû von dem Angeklagten zur Zeit der Urteilsfindung die Gefahr weiterer , den Anlaûtaten vergleichbarer Straftaten ausging, ergibt sich aus den Urteilsgründen zu Entstehung, Verlauf, Ausbruch und Weiterentwicklung der sexuellen Perversion des Angeklagten. Umstände, die die hieraus folgende Gefährlichkeitsprognose entkräften könnten, sind weder festgestellt noch sonst ersichtlich. Unerheblich ist bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 66 StGB, daû möglicherweise der Gefährlichkeit des Angeklagten auch durch eine Unterbringung nach § 63 StGB begegnet werden kann.
2. Unbeschadet der fehlerhaften Rechtsanwendung durch das Landgericht ist die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung im Ergebnis aber nicht zu beanstanden. Denn bei der hier gegebenen Konstellation ist im Hinblick auf § 72 StGB für die Verhängung von Sicherungsverwahrung kein Raum. Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 63 StGB als auch des § 66 StGB vor, ist die kumulative Anordnung beider Maûregeln grundsätzlich möglich , da die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gegenüber der Sicherungsverwahrung kein geringeres, sondern ein anderes Übel darstellt (st.Rspr., vgl. BGHSt 5, 312, 314; BGH NStZ 1998, 35). Unter Beachtung des Grundsatzes, daû der Sicherungsverwahrung als "letztes Mittel der Kriminalpolitik" in starkem Maûe ultima-ratio-Charakter zukommt (vgl. BGHSt 30, 220, 222; Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SexualdelBekG vom 14. November 1997, BTDrucks. 13/8586, S. 8), wird eine Anordnung beider Maûregeln freilich nur ausnahmsweise erfolgen, sofern die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zur Erreichung des Maûregelzwecks - Abwehr der Gefährlichkeit des Täters - im Einzelfall nicht ausreicht und Gründe vorliegen , die ein Nebeneinander der beiden Maûregeln zweckmäûig erscheinen lassen. Ausschlaggebend für die Auswahl oder Häufung der Maûregeln sind dabei die besonderen Umstände des Einzelfalles (BGHSt 5, 315). Wenn - wie im vorliegenden Fall - der im Rahmen von § 66 StGB vorausgesetzte Hang ausschlieûlich auf einen psychischen Defekt zurückgeht, welcher gleichzeitig die erheblich verminderte Schuldfähigkeit begründet, ist die Unterbringung nach § 63 StGB vorrangig und deren alleinige Anordnung im Regelfall auch ausreichend (vgl. BGHR StGB § 63 Konkurrenzen 3; BGH NStZ 1998, 35; BGHSt 42, 306, 308). Da § 63 StGB das Bestehen von Heilungsaussichten nicht voraussetzt, sondern auch dem Schutz der Allgemeinheit vor
kranken und gefährlichen Tätern dient, gilt dies prinzipiell auch bei mangelnder oder zweifelhafter Therapierbarkeit des Angeklagten (vgl. BGH NStZ 1995, 588; 1998, 35). Daû die Unterbringung von schwer oder gar nicht therapiefähigen Sexualstraftätern im psychiatrischen Krankenhaus tatsächliche Schwierigkeiten in der Vollzugspraxis mit sich bringt (vgl. Gutachten der unabhängigen Expertenkommission vom 31. Januar 1996, MSchrkrim 1996, 147, 156 f.; Hanack in LK 11. Aufl. § 72 Rdn. 25), vermag an der rechtlichen Ausgangssituation nichts zu ändern. Abweichend von dem dargelegten Grundsatz kann sich ein Bedürfnis für die zusätzliche Anordnung der Sicherungsverwahrung neben der Unterbringung (§ 72 Abs. 2 StGB) ausnahmsweise dann ergeben, wenn im konkreten Fall zu besorgen ist, daû der von § 63 StGB vorausgesetzte Zustand des Täters - etwa nach erfolgreicher Therapie oder aus anderen Gründen - später entfällt, die Gefährlichkeit aufgrund eines weiterhin gegebenen Hanges aber gleichwohl fortbesteht. Denn bei Wegfall der gesetzlichen Voraussetzungen des § 63 StGB wäre diese Maûregel in analoger Anwendung des § 67c Abs. 2 S. 5 StGB für erledigt zu erklären, selbst wenn von dem Untergebrachten weiterhin Straftaten zu befürchten sind (vgl. BGHSt 42, 306, 310; OLG Hamm NStZ 1982, 300; OLG Karlsruhe MDR 1983, 151; OLG Frankfurt StV 1985,
117). Anhaltspunkte für eine derartige Konstellation sind den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Bei der hier gegebenen Sachlage ist auch nicht ersichtlich , daû weitere, in diese Richtung gehende Feststellungen zu treffen wären. Jähnke Detter Bode Otten Fischer

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

5
Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen. Die Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2). Die hier von der Strafkammer maßgeblich für die Ablehnung von Sicherungsverwahrung herangezogenen Gesichtspunkte gehen jedoch teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus und sind teilweise mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt hat.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 210/13
vom
22. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 28. Januar 2013 wird als unbegründet verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte bewohnte ein Zimmer in einem Wohnpflegeheim des Bezirksklinikums M. in D. . Auf derselben Station lebte auch der an Schizophrenie leidende Geschädigte K. . Zwischen dem Angeklagten und K. fanden bereits einvernehmliche Sexualkontakte statt, bei denen K. am Angeklagten auch den Oralverkehr durchführte. K. war trotz Defiziten im sprachlichen Bereich und im Gedankenablauf in der Lage, kund zu tun, wenn er keinen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklag- ten wünschte. Über den von ihm erkannten entgegenstehenden Willen K. setzte sich der Angeklagte in den beiden folgenden Fällen hinweg:
4
a) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt nach Mitte Februar 2012 und vor Juni 2012 forderte der Angeklagte den Geschädigten K. in seinem Zimmer auf, ihn oral zu befriedigen. K. lehnte dies jedoch ab. Daraufhin drohte ihm der Angeklagte mit den Worten „Geh ran an die Flasche und steck ihn dir tief hinein und spiel mit der Zunge und schluck meinen Samen, sonst schlag ich dir den Kopf ein“. Der Angeklagte schlug K. mit der Hand. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, führte K. aufgrund der Schläge die geforderten Handlungen aus (Tat B. I.).
5
b) Am 9. Juni 2012 begab sich der Angeklagte zu dem in seinem Zimmer im Bett liegendenK. und forderte ihn mit den Worten „Blas mir einen“ zum Oralverkehr auf. Als K. dies ablehnte, schlug der Angeklagte ihn mehrfach mit der Faust wahllos auf den Körper, so dass K. seinen Widerstand aufgab und am Angeklagten den Oralverkehr durchführte (Tat B. II.).
6
Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war in beiden Fällen nicht beeinträchtigt.
7
2. Das Landgericht hat beide Taten als Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB gewertet. Es hat zudem - sachverständig beraten - die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet. Bei dem mehrfach - auch einschlägig - vorbestraften Angeklagten, der an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leide, bestehe ein Hang zur Begehung erheblicher rechtswidriger Straftaten. Allen Taten des Angeklagten sei gemeinsam, dass er mit den jeweils Geschädigten bekannt gewesen sei, diese auch einvernehmliche Sexualkontakte geduldet hätten, der Angeklagte im Falle einer Weigerung der Geschädigten dies aber nicht akzeptieren könne und seine Vorstellungen mit Gewalt durchsetze. In Zukunft bestehe eine hohe Gefahr der Begehung deliktanaloger Taten, die als schwere Sexualstraftaten nach Maßgabe der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts einzustufen seien. Der Angeklagte sei mehrfach wegen nahezu identischer Tatbegehung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und gegen ihn sei zudem bereits die Maßregel der Sicherungsverwahrung verhängt worden. Weder der Vollzug der Freiheitsstrafen noch der Sicherungsverwahrung hätten ihn - trotz der geschützten Umgebung - von neuen Straftaten abgehalten. Der Angeklagte sei für die Allgemeinheit gefährlich. Es bestehe eine Rückfallgefahr für deliktanaloge Taten. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei auch verhältnismäßig, mildere Mittel zum Schutz der Allgemeinheit seien nicht vorhanden, insbesondere könne - wie sich nach Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung gezeigt habe - mit Maßnahmen der Führungsaufsicht keine Verhaltensänderung bei dem Angeklagten bewirkt werden.

II.


8
1. Die Nachprüfung des Urteils hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
9
2. Auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - nicht zu beanstanden.
10
a) Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 1 StGB bejaht. Sachverständig beraten hat es zudem mit tragfähiger Begründung festgestellt, dass der Angeklagte nach Maßgabe der auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung für „Altfälle“ vorzunehmenden strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931; zur Weitergeltung vgl. BGH, Urteile vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13 und vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13) infolge eines Hangs zu schweren Sexualstraftaten, zu denen regelmäßig auch die Vergewaltigung zählt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 2; Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692), für die Allgemeinheit gefährlich ist.
11
b) Das Landgericht musste sich im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nicht weitergehend mit dem hohen Lebensalter des Angeklagten auseinandersetzen , der nach der zu erwartenden Vollverbüßung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe bereits 82 Jahre alt sein wird. Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung abzustellen (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Der Tatrichter darf - zumal bei der Frage der obligatorischen Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB - dem Alter des Angeklagten wie auch den Wirkungen des jahrelangen Strafvollzugs daher nur dann Bedeutung beimessen, wenn schon bei der Urteilsfindung abzusehen ist, dass aufgrund dessen eine Gefährlichkeit bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr bestehen wird (vgl. auch BGH, Urteile vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337; und vom 4. Februar 2004 - 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7 jeweils mwN). Die bloße Möglichkeit abnehmender Körperkräfte beim Angeklagten mit der Folge, dass er nach Strafverbüßung zu einer gewaltsamen Durchsetzung seiner sexuellen Wünsche nicht mehr in der Lage sein wird, vermag seine Gefährlich- keit nicht auszuräumen. Zwar denkbare, aber nur erhoffte Veränderungen der Umstände bleiben der obligatorischen Prüfung vor Ende des Strafvollzugs gemäß § 67c Abs. 1 StGB vorbehalten (vgl. BGH, jeweils aaO mwN).
12
c) Auch Verhältnismäßigkeitserwägungen stehen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht entgegen.
13
Es kann dahinstehen, ob in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB vorliegen, unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von der obligatorischen Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 1997 - 4 StR 339/97, NStZ-RR 1998, 135; offen gelassen in BGH, Beschluss vom 9. Januar 2013 - 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256; zweifelnd Rissing-van Saan/Peglau in LK, 12. Aufl., § 66 Rn. 225). Jedenfalls war die Anordnung der Sicherungsverwahrung hier verhältnismäßig.
14
Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass gegen den Angeklagten bereits mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23. Oktober 2001 die Maßregel der Sicherungsanordnung verhängt wurde und nun aufgrund der erneuten Straffälligkeit der Widerruf der am 21. Juni 2010 bewilligten Aussetzung zur Bewährung gemäß § 67g Abs. 1 StGB droht. Die erneute Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung bleibt nämlich auch dann möglich, wenn diese bereits durch ein früheres Urteil angeordnet war, aber noch nicht vollständig erledigt ist (BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 2013 - 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256; vom 17. September 1998 - 5 StR 404/98, StV 2000, 258; vom 31. Juli 1997 - 4 StR 339/97, NStZ-RR 1998, 135; Urteil vom 31. August 1995 - 4 StR 292/95, StV 1996, 541).
15
Das Landgericht hat sich damit auseinandergesetzt, ob mildere, gleich wirksame Maßnahmen gegeben sind, um der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit zu begegnen. Es hat dies mit tragfähiger Begründung verneint. Das Landgericht brauchte dabei entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht weitergehend der Frage nachgehen, inwieweit durch Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht ein ausreichendes Maß an Kontrolle der sozialen Kontakte des Angeklagten zu erreichen ist, insbesondere ob für ihn eine Aufnahmeeinrichtung gefunden werden kann, in der er keine Gelegenheit haben wird, gegenüber ihm unterlegenen Männern gewaltsam sexuelle Handlungen zu erzwingen. Dies lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hinreichend sicher beurteilen. Auch die Beantwortung dieser Frage hängt vielmehr von den konkreten Verhältnissen bei Ende des Vollzugs ab, die im Rahmen der obligatorischen Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB Berücksichtigung finden müssen (zur Berücksichtigung von Maßnahmen der Führungsaufsicht bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. März 2013 - 2 BvR 553/12).
Raum Wahl Graf
Jäger Mosbacher
18
Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht in diesem Zusammenhang ergänzend auf das Gutachten des Sachverständigen hingewiesen hat, wonach sich das zunehmende Alter des Angeklagten prognostisch günstig auswirke. Der Senat besorgt entgegen der Revision nicht, dass die Strafkammer dabei aus dem Blick verloren haben könnte, dass es nach dem Wortlaut des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung ankommt und denkbare künftige Entwicklungen nur nach einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Umstände in der Person des Angeklagten, seines Verhaltens und seiner - voraussichtlichen - Lebensumstände berücksichtigt werden dürfen (BGH, Urteil vom 23. April 2013 - 5 StR 610/12, NStZ 2013, 522). Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere auch den Ausführungen der Strafkammer zur Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung (§ 62 StGB) ergibt sich in ausreichendem Maße, dass das Landgericht eine solche individu- ell auf die Lebensumstände des Angeklagten bezogene Prüfung vorgenommen hat. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng
35
Das Landgericht ist zwar von diesen Obersätzen ausgegangen, hat dann aber einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt, indem es nur auf die nicht ausschließbare Möglichkeit einer Haltungsänderung abstellt. Konkrete Anhaltspunkte oder tragfähige Gründe für die erforderliche Erwartung einer solchen Haltungsänderung - die das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe auch selbst nicht hegt - sind nicht belegt. Allein die Dauer des Strafvollzugs von zum Zeitpunkt des Urteilserlasses noch acht Jahren und sechs Monaten und das vom Angeklagten dann erreichte Lebensalter von 57 Jahren genügen hierzu nicht (vgl. BGH, Urteile vom 3. Februar 2011 - 3 StR 466/10, NStZ-RR 2011, 172; vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08, NStZ 2010, 387, 389). Vielmehr hätte für die Erwartung einer zukünftig günstigen Prognose auch erörtert werden müssen, wie sich die Persönlichkeitsstörung zu den Erfolgsaussichten einer denkbaren Therapie verhält.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 210/13
vom
22. Oktober 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Oktober
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Mosbacher,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung -
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 28. Januar 2013 wird als unbegründet verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte bewohnte ein Zimmer in einem Wohnpflegeheim des Bezirksklinikums M. in D. . Auf derselben Station lebte auch der an Schizophrenie leidende Geschädigte K. . Zwischen dem Angeklagten und K. fanden bereits einvernehmliche Sexualkontakte statt, bei denen K. am Angeklagten auch den Oralverkehr durchführte. K. war trotz Defiziten im sprachlichen Bereich und im Gedankenablauf in der Lage, kund zu tun, wenn er keinen Geschlechtsverkehr mit dem Angeklag- ten wünschte. Über den von ihm erkannten entgegenstehenden Willen K. setzte sich der Angeklagte in den beiden folgenden Fällen hinweg:
4
a) Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt nach Mitte Februar 2012 und vor Juni 2012 forderte der Angeklagte den Geschädigten K. in seinem Zimmer auf, ihn oral zu befriedigen. K. lehnte dies jedoch ab. Daraufhin drohte ihm der Angeklagte mit den Worten „Geh ran an die Flasche und steck ihn dir tief hinein und spiel mit der Zunge und schluck meinen Samen, sonst schlag ich dir den Kopf ein“. Der Angeklagte schlug K. mit der Hand. Wie vom Angeklagten beabsichtigt, führte K. aufgrund der Schläge die geforderten Handlungen aus (Tat B. I.).
5
b) Am 9. Juni 2012 begab sich der Angeklagte zu dem in seinem Zimmer im Bett liegendenK. und forderte ihn mit den Worten „Blas mir einen“ zum Oralverkehr auf. Als K. dies ablehnte, schlug der Angeklagte ihn mehrfach mit der Faust wahllos auf den Körper, so dass K. seinen Widerstand aufgab und am Angeklagten den Oralverkehr durchführte (Tat B. II.).
6
Die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war in beiden Fällen nicht beeinträchtigt.
7
2. Das Landgericht hat beide Taten als Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB gewertet. Es hat zudem - sachverständig beraten - die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB angeordnet. Bei dem mehrfach - auch einschlägig - vorbestraften Angeklagten, der an einer dissozialen Persönlichkeitsstörung leide, bestehe ein Hang zur Begehung erheblicher rechtswidriger Straftaten. Allen Taten des Angeklagten sei gemeinsam, dass er mit den jeweils Geschädigten bekannt gewesen sei, diese auch einvernehmliche Sexualkontakte geduldet hätten, der Angeklagte im Falle einer Weigerung der Geschädigten dies aber nicht akzeptieren könne und seine Vorstellungen mit Gewalt durchsetze. In Zukunft bestehe eine hohe Gefahr der Begehung deliktanaloger Taten, die als schwere Sexualstraftaten nach Maßgabe der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts einzustufen seien. Der Angeklagte sei mehrfach wegen nahezu identischer Tatbegehung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt und gegen ihn sei zudem bereits die Maßregel der Sicherungsverwahrung verhängt worden. Weder der Vollzug der Freiheitsstrafen noch der Sicherungsverwahrung hätten ihn - trotz der geschützten Umgebung - von neuen Straftaten abgehalten. Der Angeklagte sei für die Allgemeinheit gefährlich. Es bestehe eine Rückfallgefahr für deliktanaloge Taten. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei auch verhältnismäßig, mildere Mittel zum Schutz der Allgemeinheit seien nicht vorhanden, insbesondere könne - wie sich nach Aussetzung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung gezeigt habe - mit Maßnahmen der Führungsaufsicht keine Verhaltensänderung bei dem Angeklagten bewirkt werden.

II.


8
1. Die Nachprüfung des Urteils hat hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
9
2. Auch die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts - nicht zu beanstanden.
10
a) Zutreffend hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen der Maßregel gemäß § 66 Abs. 1 StGB bejaht. Sachverständig beraten hat es zudem mit tragfähiger Begründung festgestellt, dass der Angeklagte nach Maßgabe der auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundeseinheitlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung für „Altfälle“ vorzunehmenden strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931; zur Weitergeltung vgl. BGH, Urteile vom 11. Juli 2013 - 3 StR 148/13 und vom 12. Juni 2013 - 5 StR 129/13) infolge eines Hangs zu schweren Sexualstraftaten, zu denen regelmäßig auch die Vergewaltigung zählt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 2; Urteil vom 4. August 2011 - 3 StR 175/11, NStZ 2011, 692), für die Allgemeinheit gefährlich ist.
11
b) Das Landgericht musste sich im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nicht weitergehend mit dem hohen Lebensalter des Angeklagten auseinandersetzen , der nach der zu erwartenden Vollverbüßung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe bereits 82 Jahre alt sein wird. Bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung ist für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung abzustellen (vgl. § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB). Der Tatrichter darf - zumal bei der Frage der obligatorischen Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 1 StGB - dem Alter des Angeklagten wie auch den Wirkungen des jahrelangen Strafvollzugs daher nur dann Bedeutung beimessen, wenn schon bei der Urteilsfindung abzusehen ist, dass aufgrund dessen eine Gefährlichkeit bei Ende des Vollzugs der Strafe nicht mehr bestehen wird (vgl. auch BGH, Urteile vom 19. Juli 2005 - 4 StR 184/05, NStZ-RR 2005, 337; und vom 4. Februar 2004 - 1 StR 474/03, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 7 jeweils mwN). Die bloße Möglichkeit abnehmender Körperkräfte beim Angeklagten mit der Folge, dass er nach Strafverbüßung zu einer gewaltsamen Durchsetzung seiner sexuellen Wünsche nicht mehr in der Lage sein wird, vermag seine Gefährlich- keit nicht auszuräumen. Zwar denkbare, aber nur erhoffte Veränderungen der Umstände bleiben der obligatorischen Prüfung vor Ende des Strafvollzugs gemäß § 67c Abs. 1 StGB vorbehalten (vgl. BGH, jeweils aaO mwN).
12
c) Auch Verhältnismäßigkeitserwägungen stehen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht entgegen.
13
Es kann dahinstehen, ob in Fällen, in denen die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB vorliegen, unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz von der obligatorischen Anordnung der Sicherungsverwahrung abgesehen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 1997 - 4 StR 339/97, NStZ-RR 1998, 135; offen gelassen in BGH, Beschluss vom 9. Januar 2013 - 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256; zweifelnd Rissing-van Saan/Peglau in LK, 12. Aufl., § 66 Rn. 225). Jedenfalls war die Anordnung der Sicherungsverwahrung hier verhältnismäßig.
14
Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass gegen den Angeklagten bereits mit Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 23. Oktober 2001 die Maßregel der Sicherungsanordnung verhängt wurde und nun aufgrund der erneuten Straffälligkeit der Widerruf der am 21. Juni 2010 bewilligten Aussetzung zur Bewährung gemäß § 67g Abs. 1 StGB droht. Die erneute Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung bleibt nämlich auch dann möglich, wenn diese bereits durch ein früheres Urteil angeordnet war, aber noch nicht vollständig erledigt ist (BGH, Beschlüsse vom 9. Januar 2013 - 1 StR 558/12, NStZ-RR 2013, 256; vom 17. September 1998 - 5 StR 404/98, StV 2000, 258; vom 31. Juli 1997 - 4 StR 339/97, NStZ-RR 1998, 135; Urteil vom 31. August 1995 - 4 StR 292/95, StV 1996, 541).
15
Das Landgericht hat sich damit auseinandergesetzt, ob mildere, gleich wirksame Maßnahmen gegeben sind, um der vom Angeklagten ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit zu begegnen. Es hat dies mit tragfähiger Begründung verneint. Das Landgericht brauchte dabei entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts nicht weitergehend der Frage nachgehen, inwieweit durch Maßnahmen im Rahmen der Führungsaufsicht ein ausreichendes Maß an Kontrolle der sozialen Kontakte des Angeklagten zu erreichen ist, insbesondere ob für ihn eine Aufnahmeeinrichtung gefunden werden kann, in der er keine Gelegenheit haben wird, gegenüber ihm unterlegenen Männern gewaltsam sexuelle Handlungen zu erzwingen. Dies lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht hinreichend sicher beurteilen. Auch die Beantwortung dieser Frage hängt vielmehr von den konkreten Verhältnissen bei Ende des Vollzugs ab, die im Rahmen der obligatorischen Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB Berücksichtigung finden müssen (zur Berücksichtigung von Maßnahmen der Führungsaufsicht bei der Entscheidung über die Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. März 2013 - 2 BvR 553/12).
Raum Wahl Graf
Jäger Mosbacher
18
Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht in diesem Zusammenhang ergänzend auf das Gutachten des Sachverständigen hingewiesen hat, wonach sich das zunehmende Alter des Angeklagten prognostisch günstig auswirke. Der Senat besorgt entgegen der Revision nicht, dass die Strafkammer dabei aus dem Blick verloren haben könnte, dass es nach dem Wortlaut des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung ankommt und denkbare künftige Entwicklungen nur nach einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Umstände in der Person des Angeklagten, seines Verhaltens und seiner - voraussichtlichen - Lebensumstände berücksichtigt werden dürfen (BGH, Urteil vom 23. April 2013 - 5 StR 610/12, NStZ 2013, 522). Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere auch den Ausführungen der Strafkammer zur Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung (§ 62 StGB) ergibt sich in ausreichendem Maße, dass das Landgericht eine solche individu- ell auf die Lebensumstände des Angeklagten bezogene Prüfung vorgenommen hat. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng

(1) Wird eine Freiheitsstrafe vor einer wegen derselben Tat oder Taten angeordneten Unterbringung vollzogen und ergibt die vor dem Ende des Vollzugs der Strafe erforderliche Prüfung, dass

1.
der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert oder
2.
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unverhältnismäßig wäre, weil dem Täter bei einer Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 2 in Verbindung mit § 66c Absatz 1 Nummer 1 nicht angeboten worden ist,
setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Der Prüfung nach Satz 1 Nummer 1 bedarf es nicht, wenn die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung im ersten Rechtszug weniger als ein Jahr vor dem Ende des Vollzugs der Strafe angeordnet worden ist.

(2) Hat der Vollzug der Unterbringung drei Jahre nach Rechtskraft ihrer Anordnung noch nicht begonnen und liegt ein Fall des Absatzes 1 oder des § 67b nicht vor, so darf die Unterbringung nur noch vollzogen werden, wenn das Gericht es anordnet. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Das Gericht ordnet den Vollzug an, wenn der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist der Zweck der Maßregel nicht erreicht, rechtfertigen aber besondere Umstände die Erwartung, daß er auch durch die Aussetzung erreicht werden kann, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Ist der Zweck der Maßregel erreicht, so erklärt das Gericht sie für erledigt.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 465/12
vom
19. Februar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. Februar 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Dr. Graf,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Radtke,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 7. Mai 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung abgesehen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach der Rückfallqualifikation des § 176a Abs. 1 StGB (Anlasstat mit der Einsatzstrafe von vier Jahren) in Tatmehrheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (§ 145a StGB) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Von der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB hat es abgesehen. Zwar liege ein Hang des Angeklagten zu Sexualstraftaten vor, insbesondere zu Taten gemäß § 176 Abs. 1 StGB. Er werde derzeit und auch noch nach der Haftentlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit Delikte wie die Anlasstat begehen. Bei Zugrundelegung der Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 4. Mai 2011 seien solche Taten jedoch nicht ausreichend schwer im Sinne der dort vorgeschriebenen Weitergeltungsanordnung.
2
Die, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, wirksam auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist, hat Erfolg. Bei seiner Gefahrprognose, es seien keine „schweren Sexualstraftaten“ i.S.d. Weitergeltungsanordnung zu erwarten, hat das Landgericht im Rahmen der nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB gebotenen Gesamtwürdigung nicht alle Umstände hinreichend bedacht.

I.


3
Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der zum Urteilszeitpunkt 64 Jahre alte Angeklagte seit über 40 Jahren sexuelles Interesse an Kindern; er wurde im Alter von 18 Jahren erstmals wegen exhibitionistischer Handlungen vor Kindern verurteilt. In einem mehrere Jahrzehnte umfassenden Zeitraum beging er in regelmäßigen Abständen ähnliche, teilweise nahezu identische Delikte wie die Anlasstat. Von diesem eingefahrenen Verhalten ließ sich der Angeklagte auch durch mehrjährige Therapien und lange Inhaftierungen nicht abhalten. Zu den Vorverurteilungen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:
4
1. Am 11. Mai 1976 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht München wegen mehrfachen im Juni 1975 verübten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten verurteilt.

5
2. Am 4. Februar 1986 wurde er vom Amtsgericht München wegen zweier Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. In der Folge wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen und die Strafe voll verbüßt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte im September 1985 ein acht Jahre altes Mädchen mit in ein Schlauchboot (ähnlich wie bei der Anlasstat) nahm, auf den See hinaus ruderte und dort aufforderte, sein entblößtes Glied mit einer mitgebrachten Sonnencreme einzureiben. Am selben Abend streichelte er das Kind in der Wohnung der Eltern unter dessen Schlüpfer an der Scheide; anschließend steckte er sein entblößtes Glied zwischen die Oberschenkel des Kindes und bewegte es auf und ab; während der ganzen Zeit waren die Eltern des Kindes anwesend, bemerkten aber nichts, da der Angeklagte sich und das Kind mit einer Decke zugedeckt hatte.
6
3. Am 21. März 1988 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Aichach wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen zu einem Jahr Freiheitsstrafe mit Bewährung verurteilt. Auch diese Bewährung wurde widerrufen; die Strafe hat er vollständig verbüßt. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass der Angeklagte an zwei verschiedenen Tagen im Juli 1987 ein zehnjähriges Mädchen dazu einlud, mit seinem Schlauchboot auf einen Badesee hinauszufahren und es dort veranlasste, über seiner Badehose an sein Geschlechtsteil zu fassen und daran zu reiben. Eine vergleichbare Tat verübte er im selben Monat gegenüber einem neunjährigen Mädchen.
7
4. Am 30. Januar 1992 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Augsburg wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Er hatte die zehnjährige Freundin der Tochter seiner damaligen Lebensgefährtin im Juli 1991 bei Besuchen dazu veranlasst, an seinen Penis zu fassen. Mehrfach griff er dem Mädchen auch grob an die Brust, führte in zwei Fällen den Finger in deren Scheide ein und veranlasste das Mädchen auch einmal, ihr Geschlechtsteil zu entblößen, damit er es ansehen konnte.
8
5. Im Februar 1995, fünf Monate nach seiner Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt , beging er die nächste Tat. Bei einer Fahrradtour traf er zwei Nachbarkinder. Während er mit ihnen auf einer Bank saß, drückte er zunächst die Hand des 14-jährigen Mädchens über der Hose an sein Glied, anschließend nahm er die Hand des 13-jährigen Jungen und drückte sie ebenfalls auf sein Glied. Deswegen wurde er vom Landgericht Traunstein am 29. November 1995 wegen sexueller Nötigung in zwei Fällen, davon in einem Fall tateinheitlich mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, welche er bis Mai 1998 vollständig verbüßte.
9
6. Am 3. Mai 2004 wurde der Angeklagte vom Amtsgericht Rosenheim wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tatmehrheit mit Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, welche er in der Folge bis Januar 2006 vollständig verbüßte. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er bei einer Weihnachtsfeier im Dezember 2003 in den Räumen einer Firma ein damals siebenjähriges Mädchen kennenlernte, das er in einem unbeobachteten Augenblick vom Stuhl hoch hob und diesem bewusst unter dem Kleid, aber über der Strumpfhose, nicht nur unerhebliche Zeit an die Scheide griff. Anschließend küsste er das Mädchen auf den Mund und auf die Backe und gab ihm danach gegen dessen Willen noch einen Zungenkuss.
10
7. Am 14. Juli 2008 wurde er vom Amtsgericht München wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht (u.a. keinen Kontakt zu Kindern oder Minderjährigen aufzunehmen) zu der Freiheitstrafe von sechs Monaten verurteilt, weil er im April 2008 auf dem Hof spielende Kinder ansprach und ein neunjähriges Mädchen in seine Wohnung lockte.
11
8. Schließlich wurde er am 14. Oktober 2009 vom Amtsgericht München wegen eines weiteren Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu der Freiheitstrafe von zehn Monaten verurteilt, weil er im Frühjahr 2009 fünf spielende Kinder angesprochen und zwei Jungen im Alter von sieben und neun Jahren zu einem Treffen veranlasst hatte.
12
Die beiden letztgenannten Freiheitsstrafen verbüßte der Angeklagte vollständig.

II.


13
1. Dem - rechtskräftigen - Schuldspruch liegen folgende Feststellungen zugrunde:
14
Am 25. Mai 2011, knapp ein Jahr nach seiner Entlassung aus der Strafhaft , hielt sich der Angeklagte zusammen mit seiner Ehefrau - wiederum mit seinem Schlauchboot - an einem Badesee bei München auf. Er fragte mehrere dort befindliche Kinder, ob sie mit ihm im Schlauchboot fahren wollten. Dies lehnten die Kinder ab.
15
Etwa eine halbe Stunde später kam er mit seiner Ehefrau zurück und fragte die Kinder erneut, ob sie im Schlauchboot mitfahren wollten. Daraufhin stieg das vier Jahre und zwei Monate alte Mädchen G. - die Geschädigte - in das Boot. Der Angeklagte sagte, die Fahrt würde nur ein paar Minuten dauern. Die Mutter der Geschädigten gab ihre Erlaubnis, weil sie davon ausging, die Fahrt würde zusammen mit der Ehefrau des Angeklagten im Uferbereich stattfinden.
16
Der Angeklagte fuhr allerdings allein mit dem Kind, welches nicht schwimmen konnte, auf den See hinaus; seine Ehefrau blieb am Ufer zurück. Als er gewahr wurde, dass er sich mit der Geschädigten alleine auf dem See in dem Schlauchboot befand und deshalb keine Einwirkungen Dritter möglich waren , beschloss er, sich durch die Geschädigte sexuell stimulieren zu lassen. Nachdem er die Mitte des Sees erreicht hatte, stellte er das Rudern ein und ließ das Boot treiben. Er holte seinen Penis aus der Badehose. Auf seine Aufforderung umfasste das Kind das erigierte Glied und nahm daran für kurze Zeit Aufund Abwärtsbewegungen vor. Danach ruderte der Angeklagte weiter.
17
Die Mutter der Geschädigten war misstrauisch geworden, weil das Schlauchboot längere Zeit weit draußen auf dem See war und ihr das Verhalten der Geschädigten im Boot komisch vorkam. Deshalb schwamm sie zu dem Boot. Als der Angeklagte die heranschwimmende Mutter bemerkte, ruderte er auf sie zu, ließ sie einsteigen und brachte sie zusammen mit dem Kind an das Ufer zurück. Zeugen verständigten die Polizei. Durch die Reaktion der Mutter bemerkte die Geschädigte, dass etwas nicht stimmte, und fing an, stark zu weinen. Negative Folgen der Tat für die Geschädigte sind - so das Landgericht - derzeit nicht festzustellen.
18
2. Das Landgericht hat den weitgehend geständigen Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern nach der Rückfallvorschrift des § 176a Abs. 1 StGB und wegen des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gemäß § 145a StGB verurteilt. Für den sexuellen Missbrauch hat es die Einsatzstrafe von vier Jahren und für den Weisungsverstoß eine Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt; daraus hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten gebildet. Auch der Strafausspruch ist nicht angegriffen.
19
3. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, hat das Landgericht den Angeklagten für voll schuldfähig gehalten. Zwar bestünde bei ihm eine Störung der Sexualpräferenz in Form einer Pädophilie; diese sei jedoch nicht so schwer, dass sie einer schweren anderen seelischen Abartigkeit zugerechnet werden könne.
20
4. Die Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB - dessen formelle Voraussetzungen vorliegen - hat das Landgericht nicht angeordnet, weil die materiellen Voraussetzungen dieser Vorschrift in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2010 nach Maßgabe der vom Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 gebotenen strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erfüllt seien.
21
a) Allerdings habe der Angeklagte einen - sogar eindeutigen - Hang, Straftaten, insbesondere solche gemäß § 176 Abs. 1 StGB, zu begehen. Das werde durch als ungünstig zu wertende Kriterien belegt: Er sei jahrzehntelang und häufig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Bei seinen in regelmäßigen Abständen begangenen Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern sei er weitgehend identisch vorgegangen. Die Opferwahl sei zufällig und es habe sich um ihm fremde Kinder gehandelt. Er sei mehrfacher Bewährungsversager. Auflagen und Weisungen im Rahmen der Bewährung und der Führungsaufsicht ha- be er nicht eingehalten. Die Sexualstraftaten habe er während psychotherapeutischer Behandlung begangen. Auch habe er eine ungünstige Persönlichkeitsstruktur. Nur wenige günstige Faktoren könnten an dieser Bewertung nichts ändern.
22
b) Mit dem Sachverständigen gelangt das Landgericht auch zu einer ungünstigen Gefahrprognose. Infolge seines Hanges seien vom Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig Delikte wie die Anlasstat zu erwarten. Sein Lebensalter und die Verbüßung der - hohen - Haftstrafe könnten diese negative Prognose nicht entscheidend beeinflussen. Eine Änderung seiner pädosexuellen Ausrichtung sei nicht zu erwarten. Die Erfolgschancen für eine weitere Therapie seien gering; der Angeklagte habe sich auch durch mehrjährige Therapien und lange Inhaftierungen nicht von seinen Taten abhalten lassen.
23
Im Anschluss an den Sachverständigen nimmt das Landgericht zwar auch die Gefahr der Begehung schwererer Taten an, schätzt diese aber als deutlich geringer ein. So sei nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass der Angeklagte solche Sexualstraftaten begehen werde, die mit einem Eindringen in den Körper oder mit der Anwendung von Gewalt verbunden seien.
24
c) Die aufgrund der Gefahrprognose derzeit und auch noch nach der Haftentlassung mit hoher Wahrscheinlichkeit - der Anlasstat vergleichbar - zu erwartenden Sexualstraftaten seien aber noch keine ausreichend schweren Sexualdelikte im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsgerichts. Die Wahrscheinlichkeit der Begehung schwerer Sexualstraftaten sei für die Anordnung der Maßregel der Sicherungsverwahrung nicht ausreichend hoch.

25
Unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2012 (2 StR 346/11, StV 2012, 273) trifft das Landgericht die Wertung, der sexuelle Missbrauch von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB sei - unter Berücksichtigung der Strafdrohung - kein ausreichend schweres Sexualdelikt, wenn die Missbrauchshandlungen, wie hier, „in ihrer konkreten Gestalt ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten“ hätten.
26
Die erhöhte Strafdrohung für Wiederholungstäter in § 176a Abs. 1 StGB könne in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen, da die Erheblichkeit von Straftaten im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB vom Gesetzgeber über die Folgen der Tat für das Opfer definiert und nicht an ein sozialethisches Unwerturteil wie bei der Strafzumessung geknüpft werde.

III.


27
Die Revision hat Erfolg. Der Gefahrprognose des Landgerichts, es seien keine „schweren Sexualstraftaten“ i.S.d. Weitergeltungsanordnung zu erwarten, liegen im Rahmen der nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB gebotenen Gesamtwürdigung Wertungsfehler und Darlegungsmängel zugrunde.
28
1. Das Landgericht hat zwar mit sorgfältiger Begründung einen Hang des Angeklagten zu Sexualstraftaten gegenüber Kindern bejaht; dagegen ist revisionsrechtlich nichts zu erinnern.
29
2. Die Gefahrprognose begegnet allerdings durchgreifenden rechtlichen Bedenken, soweit es Art und Schwere der zu erwartenden Sexualstraftaten betrifft.

30
Das Landgericht hat bei den mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Straftaten allein Taten wie die Anlasstat prognostiziert. Damit hat es ersichtlich auf den sexuellen Missbrauch von Kindern i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB im Wesentlichen durch Manipulationen am Penis des Angeklagten abgestellt. Der Ausschluss der erforderlichen Wahrscheinlichkeit für schwerere Sexualstraftaten erweist sich jedoch als rechtsfehlerhaft.
31
Angesichts der auch insoweit einschlägigen Vordelinquenz des Angeklagten erschließt sich nicht, wieso zukünftig Verbrechen nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein sollten. Das Landgericht teilt hierzu die Auffassung des Sachverständigen mit, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Begehung solcher Delikte nicht bestehe , die konkrete Ausführung der Taten aber von der Situation abhänge. Jedenfalls habe die Aggressivität des Angeklagten im Laufe der Zeit abgenommen. Dieser Einschätzung schließt sich das Landgericht an. Es fügt hinzu, dass die psychologische Testung kein erhöhtes Aggressionspotential des Angeklagten ergeben habe und sein Verhalten nach der Anlasstat nicht dafür spreche, dass der Angeklagte zu unüberlegten Aggressionsdurchbrüchen neige. Angesichts des Zeitablaufs könne den Vorverurteilungen nur noch sehr eingeschränkte Bedeutung zukommen.
32
Diese Ausführungen vermögen zwar eine Verminderung der Wahrscheinlichkeit für Aggressionsdelikte zu belegen, nicht jedoch für solche Delikte , die ein aggressives oder gewaltsames Vorgehen nicht erfordern. Hierzu zählen vor allem Verbrechen nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, z.B. durch Einführen der Finger, bei denen es sich um schwere Sexualstraftaten im Sinne der Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts handelt (BGH,Urteil vom 28. März 2012 - 2 StR 592/11, NStZ-RR 2012, 272 (Ls.); Beschlüsse vom 26. Oktober 2011 - 2 StR 328/11; vom 11. August 2011 - 3 StR 221/11; vom 2. August 2011 - 3 StR 208/11; auf Umstände des Einzelfalls abstellend, BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2011 - 5 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 9). An dieser Einordnung ändert sich nichts, wenn dabei aggressives bzw. gewaltsames Verhalten nicht zu erwarten steht (BGH, Urteil vom 24. März 2010 - 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; zum Aspekt der Gewalt, vgl. aber auch Urteil vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11), da es häufig für Eingriffe in die sexuelle Selbstbestimmung von kindlichen Opfern aufgrund deren unzureichender Verstandes- und Widerstandskräfte des Einsatzes von Gewalt nicht bedarf (BGH, Beschluss vom 10. Januar

2013

- 1 StR 93/11; Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12). Dementsprechend spielte Gewalt oder Aggression bei der Vordelinquenz des Angeklagten keine bedeutende Rolle, ohne dass dies der Annahme eines Hangs entgegengestanden hätte. Insoweit hätte näherer Erörterung bedurft, wieso dem Fehlen aggressiver bzw. gewaltsamer Neigungen nunmehr für die Wiederholungsgefahr im Hinblick auf mit der Vordelinquenz vergleichbarer Taten Relevanz zukommen sollte.
33
Nähere Darlegungen zur Begründung der abweichend vom Sachverständigen nicht nur als geringer, sondern als deutlich geringer eingeschätzten Wahrscheinlichkeit der Begehung von Taten, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, fehlen. Allein der Hinweis auf den zeitlichen Abstand zu den einschlägigen Vorverurteilungen genügt im Hinblick auf die Berücksichtigungsfähigkeit gemäß § 66 Abs. 4 Satz 3 zweiter Halbsatz StGB den Anforderungen an die Gefahrprognose nicht. Dies gilt zumal vor dem Hintergrund der vom Sachverständigen hervorgehobenen Abhängigkeit der Tatausführung von der Tatsituation. In diesem Zusammenhang hätte der Erörterung bedurft, ob der Angeklagte in einer anderen als der konkreten Anlasstatsituation - besuch- ter Badesee, heranschwimmende Mutter - nach wie vor zu noch intensiveren Einwirkungen neigt.
34
Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass eine umfassendere und wertungsfehlerfreie Prognose dazu geführt hätte, der Angeklagte werde mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auch schwerere als die im Absatz 1 des § 176 StGB bezeichneten Sexualstraftaten zum Nachteil von Kindern begehen. Schon deshalb muss die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung aufgehoben werden.
35
3. Darüber hinaus bemerkt der Senat, dass er der Wertung des Landgerichts nicht beitreten könnte, die - nach dessen Prognose - zu erwartenden Sexualstraftaten i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB seien auch bei Beachtung des verfas- sungsrechtlichen Maßstabs keine „schweren Sexualstraftaten“.
36
a) Zwar geht das Landgericht dabei im Ansatz von einem zutreffenden verfassungsrechtlichen Maßstab aus. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfGE 128, 326) ist § 66 StGB verfassungswidrig. Die Vorschrift gilt vorläufig bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber , längstens bis zum 31. Mai 2013 weiter. Das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I 2012, 2425) tritt erst zum 1. Juni 2013 in Kraft. Während der Dauer der Weitergeltung des daher noch verfassungswidrigen § 66 StGB muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der Sicherungsverwahrung in ihrer noch bestehenden Ausgestaltung um einen verfassungswidrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Der hohe Wert dieses Grundrechts beschränkt das übergangsweise zulässige Eingriffsspektrum. Danach dürfen Eingriffe nur soweit reichen, wie sie unerlässlich sind, um die Ordnung des betroffenen Lebensbereichs aufrechtzuerhalten. Die Sicherungsver- wahrung darf nur nach Maßgabe einer besonderen Verhältnismäßigkeitsprüfung angewandt werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab als bisher (vgl. BGH, Urteile vom 7. Juli 2011 - 5 StR 192/11; vom 7. Juli 2011 - 2 StR 184/11; vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11).
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b) Nach Auffassung des Senats können auch Fälle des sexuellen Miss- brauchs von Kindern nach § 176 Abs. 1 StGB im Grundsatz „schwere Sexualstraftaten“ im Sinne der Weitergeltungsanordnung des Bundesverfassungsge- richts sein. Freilich kommt es dabei auf den konkreten Einzelfall an (vgl. dazu BGH, Urteil vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11, StV 2012, 273: Rückfalltaten, die in ihrer konkreten Gestalt ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten haben).
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aa) Bei der Beantwortung der Frage, ob ein sexueller Missbrauch von Kindern i.S.d. § 176 Abs. 1 StGB als schwere Sexualstraftat bewertet werden kann, sind auch europarechtliche Vorgaben mit in den Blick zu nehmen (zur unionsrechtlichen Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung: BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06). Für die Bewertung der Schwere des sexuellen Missbrauchs von Kindern kommt deshalb auch der Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates (ABl. EU vom 17. Dezem- ber 2011 Nr. L 335 S. 1 i.V.m. ABl. EU vom 21. Januar 2012 Nr. L 18 S. 7) vom 13. Dezember 2011 Bedeutung zu. In deren Erwägungsgründen wird der sexu- elle Missbrauch von Kindern als „schwerer“ Verstoß gegen die Grundrechte beurteilt.
39
Erst recht gilt das für Wiederholungstäter. Die Richtlinie betont mehrfach das Ziel, Wiederholungstaten zu verhindern. Nach deren Artikel 9 müssen die Mitgliedsstaaten sicherstellen, dass als „erschwerender Umstand“ gilt, wenn der Straftäter zuvor wegen ähnlicher Straftaten verurteilt wurde. In den Artikeln 22 ff. wird den Mitgliedstaaten aufgegeben, das Risiko einer Wiederholung von Sexualstraftaten - auch durch präventive Maßnahmen - zu verhindern. Schon deshalb vermag das Argument des Landgerichts nicht zu überzeugen, die erhöhte Strafandrohung des § 176a Abs. 1 StGB für Wiederholungstäter dürfe bei der Bewertung der Schwere der Sexualstraftat keine Rolle spielen.
40
bb) Gegen dieses Argument spricht auch die Wertung des deutschen Gesetzgebers. Während der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 28. Januar 2003 (BT-Drucks. 15/350) noch vorsah, den Verbrechenstatbestand des „Rückfalls“ nach § 176a Abs. 1 Nr. 4 StGB nur noch zum Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall eines Vergehens nach § 176 Abs. 3 StGB herabzustufen, hat der Gesetzgeber - der Empfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 1. Juli 2003 (BT-Drucks. 15/1311) folgend - die Einstufung des Rückfalls als Verbrechen in § 176a mit der Begründung beibehalten, die Zurückstufung werde der „Schwere und dem Unrechtsgehalt einer Rückfalltat nicht gerecht“. Mit der Be- gründung zur Beibehaltung der Rückfalltat als Verbrechen hat er daher auch eine - gesetzgeberische - Wertung zur Tatschwere getroffen.

41
c) Darüber hinaus hätte der Senat auch Bedenken gegen die Einstufung der Anlasstat als nicht besonders gravierend, weil sie „ein eher geringfügiges Maß nicht überschritten“ habe, so dass die darauf aufbauende Gefahrprognose für gleichartige Taten auch deshalb nicht tragfähig erscheint.
42
Zwar erreichte die eigentliche sexuelle Handlung (Handverkehr) nicht die Intensität der Tathandlungen des § 176a Abs. 2 StGB. Allein darauf abzustellen , würde indes die Tatschwere der Anlasstat nicht zutreffend erfassen. Dass ihr erhebliches Gewicht zukommt, hat das Landgericht ersichtlich selbst angenommen , wie die dafür verhängte Freiheitsstrafe von immerhin vier Jahren zeigt.
43
Diese Strafe trägt dem Tatbild der Anlasstat durchaus Rechnung. Der Angeklagte hat - wie die Vorverurteilungen mit vergleichbarem modus operandi zeigen - eine Situation bewusst und hier zudem hartnäckig herbeigeführt, um besonders junge Mädchen - hier ein vier Jahre altes Kind - missbrauchen zu können. Er hat damit gezielt und zudem durch Täuschung schutzbereiter Dritter eine Lage geschaffen, bei welcher der schutzbereite Dritte nicht mehr eingreifen konnte. Das ist eine Lage, in der das Mädchen seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war; mögen auch die weiteren Voraussetzungen der Nötigungssituation des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch nicht erfüllt sein. Schon insoweit und auch mit Blick auf die Vorbelastungen des Angeklagten unterscheidet sich der Fall von dem Sachverhalt, die dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 8. Februar 2012 - 2 StR 346/11 (StV 2012, 273) zugrunde lag. Auch die Abschwächung der Schwere des sexuellen Missbrauchs von Kindern mit dem Argument der fehlenden Gewaltanwendung kann dem Täter bei der Prüfung des § 66 StGB nicht zu Gute kommen (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2013 - 1 StR 93/11; Urteil vom 19. Februar 2013 - 1 StR 275/12; Urteil vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07).
44
Da die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung schon deshalb der Aufhebung unterliegt, weil die Gefahrprognose unzureichend ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob zu erwartende Sexualstraftaten vergleichbar dem Tatbild der Anlasstat schon „schwere Sexualstraftaten“ sind, mit der Folge, dass - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nach § 66 Abs. 1 StGB die Sicherungsverwahrung zwingend anzuordnen wäre. VRiBGH Nack ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert. Rothfuß Rothfuß Graf Cirener Radtke
18
Es begegnet auch keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht in diesem Zusammenhang ergänzend auf das Gutachten des Sachverständigen hingewiesen hat, wonach sich das zunehmende Alter des Angeklagten prognostisch günstig auswirke. Der Senat besorgt entgegen der Revision nicht, dass die Strafkammer dabei aus dem Blick verloren haben könnte, dass es nach dem Wortlaut des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB für die Gefährlichkeitsprognose auf den Zeitpunkt der Verurteilung ankommt und denkbare künftige Entwicklungen nur nach einer einzelfallbezogenen Würdigung aller Umstände in der Person des Angeklagten, seines Verhaltens und seiner - voraussichtlichen - Lebensumstände berücksichtigt werden dürfen (BGH, Urteil vom 23. April 2013 - 5 StR 610/12, NStZ 2013, 522). Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, insbesondere auch den Ausführungen der Strafkammer zur Verhältnismäßigkeit der Sicherungsverwahrung (§ 62 StGB) ergibt sich in ausreichendem Maße, dass das Landgericht eine solche individu- ell auf die Lebensumstände des Angeklagten bezogene Prüfung vorgenommen hat. Fischer Schmitt Krehl Eschelbach Zeng
2
1. Das Rechtsmittel des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuld- und den Strafausspruch richtet; auch der Maßregelausspruch hat Bestand. Es beschwert den Angeklagten nicht, dass das Landgericht der Anordnung von Sicherungsverwahrung eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 128, 326) für die Zeit der Weitergeltung des § 66 StGB bis zum Inkrafttreten einer verfassungskonformen gesetzlichen Neuregelung aufgestellten Anforderungen zu Grunde gelegt hat, obgleich die Anlasstat am 18./19. November 2013 begangen wurde, mithin nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I, 2425; vgl. zur Anwendbarkeit des § 66 StGB nach Maßgabe einer strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung auch nach Inkrafttreten der Neuregelung für bis zum 31. Mai 2013 begangene Straftaten BGH, Urteil vom 11. März 2014 – 5 StR 563/13, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit bei bis zum 31. Mai 2013 begangenen Anlasstaten 1; Beschluss vom 17. April 2014 – 3 StR 355/13, NStZ-RR 2014, 207).
5
Gleichwohl hat sie von der Anordnung von Sicherungsverwahrung abgesehen. Die Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt zwar im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters und ist deshalb der Kontrolle durch das Revisionsgericht nur sehr begrenzt zugänglich (vgl. nur BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensentscheidung 2). Die hier von der Strafkammer maßgeblich für die Ablehnung von Sicherungsverwahrung herangezogenen Gesichtspunkte gehen jedoch teilweise schon von einem rechtlich zu engen Ansatz aus und sind teilweise mit Erwägungen nicht ohne weiteres vereinbar, die die Strafkammer im Rahmen der Strafzumessung angestellt hat.
5
b) Es bestehen bereits erhebliche Bedenken, ob diese Ausführungen nach der Rechtslage vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 (BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2365/09 u.a., NJW 2011, 1931) genügt hätten, um die erforderliche Gefahrenprognose zu belegen; denn erforderlich war insoweit die Erwartung, d.h. die bestimmte Wahrscheinlichkeit , dass von dem Täter weitere erhebliche Taten ernsthaft zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (st. Rspr.; vgl. schon BGH, Urteil vom 21. November 1972 - 1 StR 390/72, BGHSt 25, 59, 61).

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 558/12
vom
9. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 30. April 2012 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer früheren Verurteilung zur lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Es hat darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld festgestellt und gegen den Angeklagten die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet.

II.


2
Die Revision des Angeklagten führt zu dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO.
3
Mit der auf § 265 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge beanstandet der Angeklagte zu Recht, dass das Gericht bezüglich der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung seine Hinweispflicht verletzt habe.
4
Auf die Möglichkeit einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war der Angeklagte weder durch die Anklageschrift noch durch den Eröffnungsbeschluss hingewiesen worden. Auch in der Hauptverhandlung wurde kein entsprechender rechtlicher Hinweis erteilt. Zwar hatte sich der psychiatrische Sachverständige gemäß dem (nachträglich erweiterten) Gutachtenauftrag auch mit der Möglichkeit einer Unterbringung in der Sicherungsverwahrung beschäftigt und in der Hauptverhandlung mündlich sein Gutachten erstattet. Dies ersetzt jedoch den notwendigen Formalhinweis des Gerichts nicht (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2010 - 5 StR 552/09, NStZ-RR 2010, 215 mwN, vom 5. November 2002 - 4 StR 316/02, StV 2003, 151 mwN, und vom 4. Juni 2002 - 3 StR 144/02, NStZ-RR 2002, 271 mwN). Ebenso wenig ist der Hinweispflicht durch die Verlesung eines früheren Urteils des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. März 2008, durch das bereits eine Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten angeordnet war, Genüge getan: Die wiederholte Verhängung der Maßregel der Sicherungsverwahrung ist zwar möglich (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 1998 - 5 StR 404/98, StV 2000, 258), aber keinesfalls zwingend. Dem Angeklagten muss aber der Hinweis so erteilt werden, dass er eindeutig erkennen kann, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen ge- denkt (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 2002 - 4 StR 316/02, StV 2003,

151).


5
Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil auf dem Verfahrensfehler beruht.
6
Sofern hier Sicherungsverwahrung in Betracht kommt, wäre diese auf § 66 Abs. 1 StGB gestützt und stünde insofern nicht im Ermessen des Gerichts. Schon deshalb braucht der Senat der Frage nicht nachzugehen, inwieweit im Zusammenhang mit der zugleich verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe, unabhängig davon, ob - wie hier - auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt wurde, einzelfallbezogene Besonderheiten gegen eine gemäß § 66 Abs. 2 StGB im Ermessen des Gerichts stehende Anordnung von Sicherungsverwahrung sprechen könnten (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 25. Juli 2012 - 2 StR 111/12). Auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2333/08 u.a. - bleibt hier die durch Art. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I, S. 3344) getroffene grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch in den Fällen lebenslanger Freiheitsstrafe zu ermöglichen (vgl. BTDrucks.14 /9041, S. 1 B. unter Verweis auf BGH, Urteile vom 23. August 1990 - 4 StR 306/90, BGHSt 37, 160, und vom 21. März 2000 - 5 StR 41/00, NStZ 2000, 417, 418), unberührt.
7
Der Senat hat erwogen, inwieweit bei der Anordnung zu berücksichtigen ist, dass gegen den Angeklagten in anderer Sache noch nicht erledigte Sicherungsverwahrung angeordnet ist. Grundsätzlich ist die Maßregel nach § 66 Abs. 1 StGB (erneut) anzuordnen, wenn sie schon durch ein früheres Urteil an- geordnet war, aber noch nicht vollständig erledigt ist (Rissing-van Saan/Peglau, Leipziger Kommentar zum StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 225 mwN). Ob gleichwohl Fallgestaltungen vorstellbar sind, bei denen die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB vorliegen, aber unter Berufung auf § 62 StGB (Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ) von der obligatorischen Anordnung abgesehen werden kann (zweifelnd Rissing-van Saan/Peglau aaO), kann dahinstehen. Dies ist nämlich jedenfalls dann zu verneinen, wenn die Anlasstat in ihrem kriminellen Gewicht (hier: Mord) noch sehr viel schwerer wiegt als die Anlasstat, die der früheren Anordnung von Sicherungsverwahrung zugrunde lag (hier: schwerer Raub u.a.).

III.


8
Im Übrigen hat die sachlich-rechtliche Prüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. VRiBGH Nack ist urlaubsabwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Wahl Wahl Graf Jäger Sander

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.