Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2018 - 1 StR 611/17

bei uns veröffentlicht am13.09.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 611/17
vom
13. September 2018
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:130918U1STR611.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. September 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär und die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff, Dr. Pernice,
Staatsanwältin als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers M. ,
die Nebenklägerin S. persönlich – in der Verhandlung –,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerin S. ,
die Nebenklägerin T. persönlich – in der Verhandlung –,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter der Nebenklägerin T. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 5. Juli 2017 werden verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. 3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


A.


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Totschlags und vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer lebenslangen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt und die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehalten.
2
Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die unterlassene Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkt. Das von dem Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
3
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der drogen- und alkoholabhängige Angeklagte ist vielfach – unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten begangen in den Jahren 1995, 1999, 2001, 2007 und 2013 – vorbestraft. Zuletzt wurde der Angeklagte durch Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 15. Januar 2015 wegen Diebstahls in Tateinheit mit Körperverletzung und Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
5
2. a) Am 14. August 2016 verbrachte der Angeklagte den Tag gemeinsam mit dem später Getöteten F. , mit dem er eng befreundet war,dessen zum Tatzeitpunkt 13-jähriger Tochter S. sowie dem Geschädigten G. (jetzt M. ) an der Isar. Dort tranken der Angeklagte, der Geschädigte F. und der Geschädigte G. Alkohol, wobei der Angeklagte insbesondere Wodka und Bier zu sich nahm. Zudem konsumierte der Angeklagte über den Tag verteilt, zuletzt gegen 20.00 Uhr, insgesamt ca. ¼ g Speed-Paste. Der Tag und auch der Abend verliefen friedlich und ohne jegliche Auseinandersetzung oder Streitigkeit. Die vier genannten Personen begaben sich gemeinsam zu der Wohnung des Geschädigten F. , wo sie gegen 1.00 Uhr ankamen , um dort zu schlafen. Der Geschädigte G. schlief auf einer Couchim Wohnzimmer. Der Angeklagte, der Geschädigte F. und dessen Tochter schliefen – zuletzt – in dem an das Wohnzimmer unmittelbar angrenzenden Schlafzimmer in einem Bett.
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b) Zu einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt zwischen 7.30 Uhr und 8.00 Uhr am 15. August 2016 stand der Angeklagte auf, ging direkt in das angrenzende Wohnzimmer und entschloss sich, den auf der Couch schlafenden Geschädigten G. anzugreifen, wobei der Angeklagte bereits zu diesem Zeitpunkt zumindest billigend in Kauf nahm, dass der Geschädigte dabei zu Tode kommen könnte.
7
Der Angeklagte weckte den Geschädigten G. , indem er ihn mit dessen Kosenamen ansprach, riss ihn nach oben und schlug nach dessen Erwachen sofort unvermittelt zunächst mit seinen Fäusten auf diesen ein. Sodann und in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem Aufwecken des Geschädigten nahm er einen – in unmittelbarer Nähe der Couch im Wohnzimmer liegenden – Hammer mit Holzstiel und Stahlkopf und griff den Geschädigten G. mit diesem an, indem er auf dessen Kopf- bzw. Oberkörperbereich einschlug. Dann trieb der Angeklagte den Geschädigten, der aufgrund des überraschenden Angriffs keine geeigneten Abwehrmaßnahmen entfalten konnte , bewusst vor sich her, indem er teilweise weiter auf diesen einschlug, bis der Geschädigte in dem sehr engen und kleinen Badezimmer angelangt und diesem damit jegliche Fluchtmöglichkeit genommen war.
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Der Angeklagte schlug sodann weiter mit dem Hammer auf den Geschädigten G. ein, wobei er versuchte, dessen Kopfbereich zu treffen, was der Geschädigte entweder bereits im Wohnzimmer oder im Badezimmer durch Abwehr mit den Händen zu verhindern versuchte, bis der Hammer schließlich in zwei Teile zerbrach. Daraufhin sagte der Angeklagte „ich hole Messer“ und hol- te sodann innerhalb kürzester Zeit aus dem Küchenbereich, der sich unmittelbar neben dem Badezimmer befand, ein Brotmesser mit einer Gesamtlänge von 33 cm und einer Klingenlänge von ca. 21 cm. Der Angeklagte setzte anschließend seinen Angriff auf den Geschädigten G. im Bad fort undführte mit dem Messer gezielte Schnitte aus, wobei er dem direkt vor ihm stehenden Geschädigten zunächst in beide Unterarme/Ellenbogen schnitt, so dass dieser seine Arme aufgrund der ihm zugefügten Verletzungen kaum mehr bewegen konnte. Sodann fügte der Angeklagte dem Geschädigten gezielte Schnittverletzungen im Gesicht und Bauchbereich zu. Zuletzt stach er mit Wucht mit dem Messer von oben nach unten in den Brustbereich des Geschädigten G. , wobei er damit rechnete, dass dieser infolge des Stichs versterben könnte. Anschließend zog der Angeklagte das Messer aus dem Körper des zu diesem Zeitpunkt noch stehenden Geschädigten G. ; dieser sackte im unmittelbaren Anschluss stark blutend zu Boden. Der Angeklagte nahm an, dass der Geschädigte alsbald versterben werde. Bei dem Geschädigten musste eine Notoperation durchgeführt werden, ohne die der Geschädigte an den Folgen der abdominellen Stichverletzung durch den letzten Stich in den Oberbauchbereich verstorben wäre. Der Angriff des Angeklagten im Wohnzimmer kam für den Geschädigten G. völlig unerwartet, so dass dieser sich gegen die Angriffe des Angeklagten in keiner Weise erfolgversprechend zur Wehr setzen konnte, was dem Angeklagten bewusst war und dieser vorhergesehen hatte.
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c) Nachdem der Angeklagte dem Geschädigten G. den Rücken zugewandt hatte, traf er im Flur auf den Geschädigten F. , der mittlerweile erwacht war und zu ihm sagte: „A. , hör auf.S. ist da.“ Daraufhin griff der Angeklagte seinen Freund an und stach diesem zweimal mit dem zuvor genannten Messer in den Brust- und Bauchbereich, wobei er mit einem der Stiche das Herz und die Lunge des Geschädigten F. durchstach. Anschließend verlagerte sich das Geschehen in das Schlafzimmer und der Geschädigte F. fiel infolge einer Fluchtbewegung oder eines Schlages oder Stoßes des Angeklagten über und auf einen im Schlafzimmer aufgestellten Wäscheständer. Die Zeugin S. , die sich zu diesem Zeitpunkt im Bett befand, wollte ihrem Vater zu Hilfe kommen, wurde von dem Angeklagten jedoch zurück auf das Bett geschubst. Der Angeklagte nahm sodann einen im Schlafzimmer stehenden Röhrenfernseher und schlug damit mehrfach, mindestens jedoch zweimal mit Wucht auf den Kopfbereich des sich auf dem Boden befindlichen Geschädigten F. ein. Der Geschädigte F. verstarb noch am Tatort infolge der Stichverletzungen durch Verbluten in die linke Brusthöhle.
10
d) Die Geschädigte S. rief um 8.05 Uhr mit ihrem Handy die Einsatzzentrale der Polizei an. Im Folgenden kam es zu einer Körperverletzung und Nötigung zum Nachteil der S. durch den Angeklagten, der der Geschädigten das Mobiltelefon entriss, sie mit einer Hand an den Haaren packte und schließlich zwang, mit ihm die Wohnung zu verlassen.
11
II. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu lebenslanger Freiheitsstrafe, wegen Totschlags zu einer Einzelfreiheitsstrafe von 13 Jahren und wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung zu einer solchen von einem Jahr verurteilt. Hieraus hat es eine lebenslange Gesamtfreiheitsstrafe gebildet.
12
Von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hat die Strafkammer abgesehen, da keine hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolgs bestehe.
13
Die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung (§ 66 StGB) hat das Landgericht abgelehnt, weil es sich vom Vorliegen der Voraussetzungen dieser Maßregel nicht überzeugen konnte. Das Vorliegen eines Hangs zu erheblichen Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB sei zwar wahrscheinlich, zur Überzeugung des Landgerichts jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar. Allerdings seien die Voraussetzungen des subsidiären § 66a Abs. 1 StGB erfüllt, so dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung vorzubehalten gewesen sei.
B. Revision des Angeklagten
14
Die Revision des Angeklagten hat keinen Erfolg.
15
I. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes hält rechtlicher Nachprüfung stand.
16
1. Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Beweiswürdigung weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Das Landgericht hat sich insbesondere rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass der Angeklagte bereits zu Beginn des Angriffs auf den – arg- und wehrlosen – Geschädigten G. mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat. Dies schließt die Strafkammer daraus , dass der Angeklagte den Geschädigten in einem einheitlichen Geschehen nach dem Aufwecken kurz mit den Fäusten und sodann mit einem Hammer geschlagen, gezielt in das Badezimmer getrieben und dort weiter mit dem Hammer und nach dessen Zerbrechen mit dem Messer angegriffen hat (UA S. 114, 117 f.). Eine Zäsur habe es in dem Geschehen nicht gegeben, was daran deutlich werde, dass der Geschädigte keinerlei Abwehrhandlungen oder sonstige Reaktionen entfalten konnte. Für einen Wechsel von einem Körperverletzungsvorsatz hin zu einem Tötungsvorsatz seien keine Anhaltspunkte ersichtlich. Besondere Bedeutung hat die Strafkammer dabei auch dem Umstand beigemessen, dass der Angeklagte bereits zu Beginn des Angriffs den Hammer als Werkzeug eingesetzt hat.
17
2. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, juris Rn. 20 [insoweit nicht abgedruckt in NStZ-RR 2017, 183, 184] und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9).
18
3. Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabs erweist sich die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte bereits zu Beginn des Angriffs mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt hat, angesichts des besonders gefährlichen Einsatzes des Hammers bereits im Rahmen des Angriffs auf den Geschädigten G. im Wohnzimmer und des Umstandes, dass der Attacke nach den Feststellungen kein Streit und keinerlei Provokationen seitens des Geschädigten vorausgegangen war, als rechtsfehlerfrei (vgl. zur objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlicher Indikator für das Wissens- als auch das Willenselement des bedingten Vorsatzes BGH, Urteile vom 14. Januar 2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79, 80 und vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242, 243; Beschluss vom 26. April 2016 – 2 StR 484/14, NStZ 2017, 22, 23). Eine relevante Zäsur in dem Tatgeschehen, die für einen Vorsatzwechsel sprechen könnte (vgl. BGH, Beschluss vom 29. März 2012 – 2 StR 575/11, juris Rn. 4), hat das Landgericht – gestützt auf die Angaben des Geschädigten G. (UA S. 45) und der Zeugin S. (UA S. 48 f.) – mit tragfähiger Begründung ausgeschlossen. Beide haben unter an- derem bekundet, dass alles „äußerst“ bzw. „so schnell gegangen sei“. Gegen eine Zäsur spricht auch, dass der Angeklagte den Geschädigten nach den Feststellungen von Beginn an gezielt in die ausweglose Situation im Badezimmer getrieben und dort – nach Zerbrechen des bisherigen Tatmittels – mit den Worten „ich hole Messer“ sofort zu einem anderen Tatmittel gegriffen und den Angriff fortgesetzt hat. Schließlich spricht für eine unmittelbare Abfolge aller Tathandlungen auch der Umstand, dass bei dem Angeklagten keinerlei durch Dritte verursachte Verletzungen festgestellt wurden (UA S. 52).
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Entgegen dem Revisionsvorbringen ist der Beginn des Hammereinsatzes auch nicht ungeklärt. Vielmehr hat die Strafkammer – gestützt unter anderem auf die Angaben der Zeugin S. , die Einlassung des Angeklagten und das Blut-Spritzspurenmuster im Wohnzimmer (UA S. 48 f., 66, 56) – festgestellt, dass der Angeklagte den Geschädigten G. bereits im Wohnzimmer mit dem Hammer attackierte, bevor er ihn in Richtung Badezimmer trieb.
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Dass in den Urteilsgründen nicht belegt ist, dass der Angeklagte den Hammer bereits im Wohnzimmer gegen Oberkörper und Kopf des Geschädigten G. eingesetzt hat, steht der Annahme eines Tötungsvorsatzes angesichts der Gefährlichkeit von Schlägen mit einem Hammer, zumal in der hier vorliegenden dynamischen Situation, in der das Opfer Ausweichbewegungen macht und flieht, und des raschen Tatgeschehens mit einem ungehemmten Tatablauf nicht entgegen.
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4. Die Strafkammer hat zudem rechtsfehlerfrei einen Vorsatz gerichtet auf eine heimtückische Tötung angenommen. Heimtücke im Sinne des § 211 StGB setzt Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers voraus. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Vorliegen der begrifflichen Voraussetzungen der Heimtücke ist der Beginn der ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffshandlung (BGH, Urteile vom 5. Juni 2013 – 1 StR 457/12, juris Rn. 26; vom 26. Februar 1993 – 3 StR 207/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 17 und vom 15. April 1987 – 2 StR 32/87, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 4 jeweils mwN). Dies hat das Landgericht ohne Rechtsfehler bejaht, da sich der Geschädigte G. , der von dem Angeklagten aus dem Schlaf gerissen worden war, nach den Feststellungen im Zeitpunkt des Beginns des Angriffs mit den Faustschlägen und den Schlägen mit dem Hammer keines Angriffs auf sein Leben versah und infolgedessen wehrlos war. Selbst wenn der Angriff – im Wohnzimmer – mit den Faustschlägen kurzzeitig zunächst nur mit Körperverletzungsvorsatz erfolgt wäre, scheiterte die Annahme von Heimtücke daran nicht, da er unmittelbar darauf unter Ausnutzung des Überraschungseffekts mit Tötungsvorsatz fortgesetzt wurde (BGH, Urteile vom 28. Juni 2007 – 3 StR 185/07, juris Rn. 5 und vom 27. Juni 2006 – 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502, 503 Rn. 3; Beschluss vom 19. Juni 2008 – 1 StR 217/08, NStZ 2009, 29, 30).
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II. Im Übrigen ist das Rechtsmittel des Angeklagten – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
C. Revision der Staatsanwaltschaft
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Die auf den Ausspruch des bloßen Vorbehalts der Anordnung der Sicherungsverwahrung beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der allein erhobenen Sachrüge keinen Erfolg.
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I. Die Rechtsmittelbeschränkung ist wirksam.
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Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch weisen keine so enge Verbindung auf, dass – ausnahmsweise (näher Paul in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl., § 318 Rn. 7a mwN) – eine getrennte Überprüfung des angefochtenen Teils nicht möglich wäre. Auch innerhalb des Ausspruchs über die Rechtsfolgen besteht zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich keine der Beschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (BGH, Urteile vom 28. April 2015 – 1 StR 594/14, juris Rn. 22 f.; vom 24. November 2011 – 4 StR 331/11, NStZ-RR 2012, 156, 157; vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239 und vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213). Ein Ausnahmefall, bei dem auf Grund des Inhalts der Urteilsgründe im konkreten Fall ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung bzw. Nichtanordnung der Maßregel nicht auszuschließen ist (siehe dazu BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281), liegt nicht vor. Aus dem Urteil ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass das Tatgericht die Höhe der Einzelstrafen – hier unter anderem einer lebenslangen Freiheitsstrafe – in Abhängigkeit zu der Maßregelanordnung gebracht hat.
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II. Das Landgericht hat ohne Rechtsfehler die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB als nicht erfüllt angesehen.
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Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist das Landgericht nicht von einem unzutreffenden Prüfungsmaßstab bezogen auf einen Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 4 StGB ausgegangen.
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1. Als Hang im Sinne des § 66 StGB ist ein eingeschliffener innerer Zustand des Täters anzusehen, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Er kann sowohl bei einem Täter vorliegen, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist, wie bei einem Täter, der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f. mwN und vom 25. Februar 1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1). Der Hang muss sich auf erhebliche rechtswidrige Taten richten (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2017 – 1 StR 621/16, juris Rn. 10; Fischer, StGB, 65. Aufl., § 66 Rn. 57 mwN) und zur Zeit des tatgerichtlichen Urteils gegeben sein (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 193 mwN). Die Beurteilung des Vorliegens eines Hangs ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Angeklagten, der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände vorzunehmen (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 117 mwN).
29
2. Diesen Maßstäben genügt das angegriffene Urteil. Die Strafkammer hat sich – gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen – ausführlich mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten, dessen Vorleben und sozialen Verhältnissen (UA S. 154 ff.) und den zuvor begangenen Straftaten sowie Symptom- und Anlasstaten (UA S. 160 ff.) auseinander gesetzt. Sie hat hervorgehoben , dass erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 StGB nur durch die verfahrensgegenständlichen Straftaten vorliegen (UA S. 161, 166, 169). Ferner hat das Landgericht gesehen, dass lediglich eine der in der Vergangenheit begangenen Taten grundsätzlich als Symptomtat angesehen werden kann (UA S. 161). Es hat auch nicht übersehen, dass das von Alkohol- und Drogenkonsum sowie Delinquenz geprägte Verhalten des Angeklagten, welches sich nicht durch gegen ihn verhängte Strafen und Bewährungsauflagen oder Therapieversuche habe korrigieren lassen, einer Persönlichkeitsstörung nahe komme (UA S. 154) und ein Indiz für einen Hang darstellen kann.
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Die abschließende Wertung der Strafkammer, dass trotz der zuvor genannten Umstände ein eingeschliffenes Verhaltensmuster zur Begehung erheblicher rechtswidriger Taten nicht sicher feststellbar sei (UA S. 152, 159), ist rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat insoweit darauf abgestellt, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Taten um einen massiven Sprung hinsichtlich der Gewaltanwendung im Vergleich zu den früher begangenen Straftaten, die größtenteils der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind, und daher in diesem Ausmaß bisher um einen einmaligen Vorgang handele, der mit den zuvor begangenen Straftaten nicht in einem Entwicklungszusammenhang stehe. Diese Wertung begegnet deshalb keinen durchgreifenden Bedenken, weil die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung sich vorliegend auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB stützt und die beiden Katalogtaten in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang, aber tatmehrheitlich begangen wurden.
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In formeller Hinsicht setzt § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB voraus, dass der Täter zwei rechtlich selbständige Katalogtaten im Sinne von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB begangen hat, was vorliegend durch den versuchten Mord und den tatmehrheitlich dazu begangenen Totschlag gegeben ist. Angesichts des Umstandes , dass die beiden Katalogtaten in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang, begangen wurden, bedarf die Hangprüfung allerdings einer besonders eingehenden , kritischen Würdigung (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in Leipziger Kommentar , StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 110). Denn es erscheint nur in Ausnahmefällen denkbar, auf der Basis von nur einer Verurteilung wegen zweier, im unmittelbaren Zusammenhang tatmehrheitlich begangener Taten, einen Hang – gerichtet auf die Begehung erheblicher rechtswidriger Taten – mit hinreichender Sicherheit feststellen zu können, da die Prognosebasis in einem solchen Fall noch wesentlich schmaler ist als in den Fällen des engen zeitlichen Zusammenhangs bei den drei Taten des § 66 Abs. 2 StGB oder den übrigen von § 66 Abs. 3 Satz 1 oder 2 StGB erfassten Fällen (vgl. Hammerschlag/Schwarz, NStZ 1998, 321, 322; Heger/Pohlreich in Lackner/Kühl, StGB, 29. Aufl., § 66 Rn. 10d; Jehle/Harrendorf in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StGB, 3. Aufl., § 66 Rn. 44; aA Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern in Münchener Kommentar, StGB, 3. Aufl., § 66 Rn. 184, die solche Fälle sogar gänzlich von dem Anwendungsbereich ausschließen wollen). Das Landgericht hat mit dem Abstellen auf den in seiner Massivität einmaligen Vorgang (UA S. 163) diesen Aspekt aufge- griffen und damit seiner Prüfung den zutreffenden rechtlichen Maßstab zugrunde gelegt. Dies belegt auch die abschließende Gesamtwürdigung der Strafkammer im Rahmen der Ermessensausübung, in die sie unter anderem einstellt , dass die beiden hier abgeurteilten massiven Straftaten unmittelbar nacheinander in einem sehr engen zeitlichen und situativen Zusammenhang begangen wurden (UA S. 169 f.).
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3. Das Landgericht hat – wie die obigen Ausführungen zeigen – auch nicht verkannt, dass der Hang als eingeschliffenes Verhaltensmuster einen aufgrund einer umfassenden Vergangenheitsbetrachtung festzustellenden gegenwärtigen Zustand beschreibt, während die Gefährlichkeitsprognose die Wahrscheinlichkeit dafür einschätzt, ob sich der Angeklagte in Zukunft trotz seines Hangs erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. BGH, Urteile vom 28. April 2015 – 1 StR 594/14, juris Rn. 29 f. und vom 15. Februar 2011 – 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204, 205; Beschluss vom 30. März 2010 – 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204). Dass das Landgericht die Anlasstaten in die vergangenheitsbezogene Prüfung des Hangs einbezogen hat, begegnet nicht nur keinen Bedenken, sondern ist durch § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB geboten. Nach diesen Grundsätzen war – anders als der Generalbundesanwalt meint – auch bei einer auf § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB gestützten Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung zudem das strafrechtliche Vorleben des Angeklagten vor den beiden Anlasstaten in den Blick zu nehmen. Insoweit kann allenfalls zweifelhaft sein, ob im Rahmen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde, oder sonstige Besonderheiten im strafrechtlichen Vorleben des Täters maßgeblich zur Verneinung eines Hangs herangezogen werden können (vgl. BGH, Urteil vom 15. Februar 2011 – 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204, 205; Beschluss vom 9. Juni 2010 – 1 StR 187/10, juris Rn. 12 [insoweit nicht zitiert in NStZ 2010, 650] mwN). Das Landgericht hat die Vorverurteilungen thematisiert, diesen Umständen aber kein maßgebliches Gewicht zur Verneinung des Hangs beigemessen. Dass das Landgericht mit der Bewertung der Anlasstaten als Gewaltsprung Bezug auf das strafrechtliche Vorleben genommen hat (UA S. 163), begegnet vor diesem Hintergrund keinen Bedenken, da maßgebliches Kriterium für die Beurteilung des Vorliegens eines Hangs für das Landgericht auch insoweit vielmehr die Anlasstaten sind.
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Soweit der Generalbundesanwalt in der Revisionsrechtfertigung einen Widerspruch bezogen auf die Ausführungen des Sachverständigen und der Strafkammer zu dem Vorliegen eines Hangs sieht, folgt daraus kein Rechtsfehler , da der Strafkammer und nicht dem Sachverständigen die Würdigung obliegt , ob der Rechtsbegriff des Hangs erfüllt ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. April 2017 – 1 StR 621/16, juris Rn. 10; Rissing-van Saan/Peglau in Leipziger Kommentar , StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 117 mwN). Vorliegend hat die Strafkammer ihrer Beurteilung die tatsächlichen Ausführungen und Wertungen des Sachverständigen zugrunde gelegt, lediglich eine andere rechtliche Schlussfolgerung daraus gezogen als der Sachverständige, was aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden ist.
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4. Andererseits begegnet die Annahme des Landgerichts, angesichts der zahlreichen Vorahndungen des Angeklagten und dessen Persönlichkeitsstruktur sowie der verfahrensgegenständlichen Taten, bestehe eine (hohe) Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Hangs im Sinne eines eingeschliffenen Verhaltensmusters und einer hierdurch bedingten Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne von § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB (vgl. zu den Voraussetzungen des § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB allgemein BGH, Beschluss vom 19. Juli 2017 – 4 StR 245/17 Rn. 4, BGHR StGB § 66a Abs. 1 Nr. 3 nF Voraussetzungen 1), keinen Bedenken, so dass insoweit auch kein Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten vorliegt (§ 301 StPO).
Raum Fischer Bär
Hohoff Pernice

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(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn 1. jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,2. die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit diese

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Bundesgerichtshof Urteil, 13. Sept. 2018 - 1 StR 611/17 zitiert oder wird zitiert von 21 Urteil(en).

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 StR 45/13 vom 16. Mai 2013 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen gefährlicher Körperverletzung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2013, an der teilgenommen haben:

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 457/12 vom 5. Juni 2013 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Juni 2013, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesgericht

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Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 420/14
vom
12. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Februar
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richter am Bundesgerichtshof
Cierniak,
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –,
Richterin am Landgericht – bei der Verkündung –
als Vertreterinnen des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Pflichtverteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 24. März 2014 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung freigesprochen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs und fahrlässigen unerlaubten Besitzes eines nach dem Waffengesetz verbotenen Gegenstandes zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf, einen (besonders) schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie einen Diebstahl begangen zu haben, hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer vom Generalbundesanwalt vertretenen, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den hinsichtlich der Raubtat ergangenen Teilfreispruch.
2
Ausweislich der Ausführungen in der Revisionsrechtfertigung, mit denen die Beschwerdeführerin ausschließlich den Freispruch vom Vorwurf des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung als sachlich-rechtlich fehlerhaft beanstandet, ist das Rechtsmittel ungeachtet des in der Revisionsbegründung abschließend formulierten umfassenden Aufhebungsantrags auf diesen Teilfreispruch beschränkt (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1989 – 3 StR453/88, BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; vom 18. Dezember 2014 – 4 StR 468/14 Rn. 7 mwN; Gericke in KK-StPO, 7. Aufl., § 344 Rn. 7).
3
Die wirksam beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.


4
Zu dem in der zugelassenen Anklage gegen den Angeklagten erhobenen Vorwurf, gemeinsam mit einem bislang unbekannten Täter einen schweren Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, hat die Strafkammer folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
In den frühen Morgenstunden des 10. Juli 2013 gegen 2.00/2.30 Uhr klingelte es an der Wohnungstür des Geschädigten. Unbedarft öffnete er die Wohnungstür und erblickte zwei schwarz gekleidete und mit Sturmhauben maskierte männliche Personen, welche ihn unvermittelt zurück in seine Wohnung drängten und zu Boden zwangen. Einer der beiden Männer hielt einen schwarzen, etwa 50 bis 80 cm langen Schlagstock in der Hand und fuchtelte mit diesem herum, wobei er den Geschädigten auch am linken Unterarm traf. Während einer der beiden maskierten Männer den Geschädigten mit dem Fuß auf dem Brustkorb am Boden hielt, trug der andere verschiedene elektronische Geräte in der Wohnung zusammen. Er holte einen Rucksack aus dem Schlafzimmer und verstaute darin einen Laptop Sony Vaio, eine Playstation 3 sowie eine Toshiba Festplatte. Ferner stellte er ein Mischpult Traktor Kontrol S2, welches sich in einem Karton befand, zur Mitnahme bereit. Anschließend forderten die Täter den Geschädigten auf, sowohl seine Geldbörse als auch sein Mobiltelefon , ein Apple iPhone 4-8 GB, herauszugeben. Aus Angst und unter dem Eindruck des Überfalls stehend übergab der Geschädigte die geforderten Gegenstände. In der Geldbörse befanden sich u.a. der Personalausweis, der Führerschein und die Krankenkassenkarte des Geschädigten. Unter Mitnahme der genannten Gegenstände verließen die Täter sodann die Wohnung.
6
Das Mobiltelefon des Geschädigten verkaufte der Angeklagte am 22. Juli 2013 für 130 € an den Bruder seiner ehemaligen Freundin, nachdem er es in der Zeit vom 12. Juli 2013 bis zum Verkauf selbst genutzt hatte. Das entwendete Laptop nutzte der Angeklagte vom 12. Juli bis 15. Juli 2013 und veräußerte es anschließend für 100 € an seine ehemalige Freundin. Bei der Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten konnten am 22. Juli 2013 das Mischpult des Geschädigten sowie dessen Führerschein und Krankenkassenkarte aufgefunden werden.
7
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem Raubüberfall zum Nachteil des Geschädigten freigesprochen, weil nicht habe festgestellt werden können, wie der Angeklagte an die Gegenstände aus der Tatbeute gelangt sei. Die tatsächlichen Voraussetzungen für eine wahldeutige Verurteilung wegen Diebstahls oder Hehlerei hat es verneint.

II.


8
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Die dem Teilfreispruch zugrunde liegende Beweiswürdigung hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand.
9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
10
2. Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in jeder Hinsicht gerecht.
11
a) Die Strafkammer hat die Einlassung des Angeklagten, er sei, nachdem er am Tattag bis gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr bei seiner Schwester gewesen sei, von dort an die Schwimmhalle in Bitterfeld gefahren worden, wo er seinen Bekannten K. O. getroffen habe, der ihm „schöne Dinge“ angeboten und gefragt habe, ob er daran Interesse habe, als unglaubhaft bewertet. Dabei hat sie sich u.a. auf die Zeugenaussage der Schwester des Angeklagten gestützt, die bekundet hat, den Angeklagten gegen 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr gemeinsam mit einer Freundin von ihr zur Haustür begleitet, ihn anschließend aber nicht zur Schwimmhalle gefahren zu haben. Wenn das Landgericht dieses Beweisergebnis dahingehend bewertet, dass dem Angeklagten für die Tatzeit ein Alibi fehlt (UA S. 22), liegt dem ersichtlich die Annahme zugrunde, dass es dem Angeklagten nach den zeitlichen und räumlichen Gegebenheiten möglich war, nach dem Verlassen der Wohnung der Schwester um 1.00 Uhr bzw. 1.30 Uhr die wenig später um 2.00/2.30 Uhr verübte Raubtat zu begehen. Die objektiv belegte Gelegenheit zur Tatausführung, die daraus resultiert, dass der Angeklagte maximal 1 ½ Stunden vor der Tat in der eine Tatausführung ermöglichenden Nähe zum Tatort unterwegs war, stellt aber ein den Angeklagten belastendes Indiz dar, das in seinem Beweiswert durch den bloßen Hinweis auf das fehlende Alibi zur Tatzeit nicht erschöpfend erfasst wird und daher in die tatrichterlichen Überlegungen hätte einbezogen werden müssen.
12
b) Im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wäre zudem zu erörtern gewesen, dass der Angeklagte nicht nur über ohne weiteres selbst zu nutzende oder wirtschaftlich verwertbare Gegenstände aus der Beute verfügte , sondern mit dem Führerschein und der Krankenkassenkarte des Geschädigten auch solche Beutestücke in Besitz hatte, denen kein unmittelbarer Vermögenswert zukommt und für deren Überlassung durch einen Raubtäter kein nachvollziehbarer Anlass erkennbar ist.
13
c) Mit seiner der Ablehnung einer wahldeutigen Verurteilung zugrunde liegenden Annahme, der Erwerb der Gegenstände aus der Beute könne auch auf einem dritten Weg erfolgt sein, der in seiner konkreten Gestalt nicht näher bekannt sei, hat die Strafkammer schließlich eine Sachverhaltsvariante für möglich erachtet, für welche sich aus dem Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben. Soweit die Strafkammer in der Unglaubhaftigkeit der Schilderung des Angeklagten über den (hehlerischen) Erwerb der Gegenstände von seinem Bekannten K. O. einen Anhalt für ihre Annahme gesehen hat, hat sie verkannt, dass der widerlegten Einlassung des Angeklagten keine Beweisbedeutung zukommt, die gegen eine anderweitige hehlerische Erlangung der Beutestücke durch den Angeklagten spricht. Das Landgericht hat es insoweit versäumt, eine umfassende Würdigung aller Beweisumstände vorzunehmen und auf dieser Grundlage zu prüfen und zu entscheiden, ob die Beweisergebnisse die Überzeugung zu tragen vermögen, dass der Angeklagte die Gegenstände aus der Tatbeute entweder durch die Raubtat oder im Wege der Hehlerei erlangt hat.
Sost-Scheible Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR521/14
vom
24. März 2015
in der Strafsache
gegen
wegen des Verdachts der schweren Vergewaltigung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
24. März 2015, an der teilgenommen haben:
Richter Prof. Dr. Sander
als Vorsitzender,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Dr. Berger,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K.
als Verteidiger,
Rechtsanwalt Ba.
als Vertreter der Nebenklägerin Bö. ,
Rechtsanwältin T.
als Vertreterin der Nebenklägerin H. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 24. März 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen und Betrugs zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und ihn hinsichtlich weiterer vier Tatvorwürfe aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Revision des Angeklagten hat der Senat im Beschlusswege gemäß § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision gegen die Freisprüche des Angeklagten wegen drei der weiteren ihm vorgeworfenen Straftaten. Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Dem Angeklagten lag zur Last, in zwei Fällen jeweils eine schwere Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung begangen zu haben, indem er im Mai 2010 die Geschädigte Bö. und im Juni 2010 die Geschädigte H. durch heimliche Beibringung eines bewusstseinstrüben- den Mittels (sog. K.O.-Tropfen) in einen willenlosen Zustand versetzt und diesen jeweils zur Durchführung des Geschlechtsverkehrs ausgenutzt habe. Darüber hinaus war ihm vorgeworfen worden, eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Anstiftung zum Betrug verübt zu haben; er habe U. und L. unter Androhung körperlicher Repressalien dazu gebracht, dass L. unter Vortäuschung von Zahlungswilligkeit und -fähigkeit einen Mobilfunkvertrag abgeschlossen und anschließend dem Angeklagten das erlangte Mobiltelefon nebst SIM-Karte weisungsgemäß ausgehändigt habe.
3
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
4
a) Die Nebenklägerin Bö. lernte den Angeklagten über einen Chat kennen und verabredete sich mit ihm für den Abend des 12. Mai 2010. Begleitet von ihrer Freundin P. und einem Bekannten des Angeklagten besuchten sie eine Diskothek, in der sie Alkohol tranken und sich küssten. Als ihr aufgrund des Alkoholkonsums schlecht wurde, wurde sie von mehreren Personen vor die Diskothek gebracht. Anschließend fuhr sie mit dem Angeklagten in einem Taxi zu dessen Wohnung. Dabei war sie alkoholbedingt enthemmt; sie wusste jedoch noch, was sie tat, und konnte sich ihrem Willen entsprechend ohne erhebliche Beeinträchtigung steuern und äußern (UA S. 51). Nachdem sie, in der Wohnung angelangt, weiterhin unter Übelkeit gelitten hatte, zog sie sich aus, legte sich ins Bett und schlief ein. Am nächsten Morgen verließ die Nebenklägerin Bö. die Wohnung des noch schlafenden Angeklagten, ohne ihn zu wecken , weil ihr Verhalten ihr peinlich war. Sie ließ sich von ihrem ehemaligen Freund nach Hause bringen, mit dem sie noch am selben Abend an einer Feier teilnahm.
5
b) In der Nacht zum 3. Juni 2010 besuchte die Nebenklägerin H. , die „gerne Schnaps trank, diesen gut vertrug und am Vortag oderam Morgen des 3. Juni 2010 Crystal konsumiert hatte“ (UA S. 53), mit Freunden eine Diskothek. Dort traf sie den ihr bereits bekannten Angeklagten, mit dem sie früher „gelegentlich Zärtlichkeiten in nicht näher ermittelbarer Art“ (UA S. 52) ausge- tauscht hatte. Gemeinsam mit dem Angeklagten konsumierte sie innerhalb von zehn bis zwanzig Minuten jeweils zehn Gläser mit 4 cl „Wodka-Energy“. Etwa eine Stunde später fuhr sie mit dem Angeklagten und einem ihm Bekannten zu dessen Wohnung. Dort spielten sie bei weiterem Alkoholkonsum zu Dritt ein Spiel, in dessen Verlauf sie sich einzelne Kleidungsstücke auszogen und H. , die alkoholbedingt – lediglich – enthemmt ihre Mitspieler küsste. Außerdem kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zum Geschlechtsverkehr. Nachdem sie zuvor ihren Freunden gegenüber telefonisch ihre baldige Rückkehr in die Diskothek angekündigt hatte, nutzte nicht ausschließbar der Bekannte des Angeklagten einen Toilettenbesuch H. s dazu, aus ihrem Mobiltelefon die SIM-Karte zu entfernen, zu zerbrechen und zu verstecken, weil er sich bei ihrem längeren Aufenthalt in seiner Wohnung einen intensiveren Austausch von Zärtlichkeiten mit ihr erhoffte. Gegen 6:00 Uhr schlief H. auf einem Sofa ein. Als sie kurz darauf wieder erwachte, war ihr aufgrund des vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums schwindelig und ihr fiel ein, dass sie einen Termin beim Arbeitsamt hatte. Sie verließ die Wohnung und fuhr zunächst zu ihren Freunden, denen gegenüber sie über Schmerzen an den Oberschenkeln klagte und andeutete, sexuell bedrängt worden zu sein. Sie konsumierte Liquid Ecstasy und ließ sich von ihrer Hausärztin krankschreiben.
6
c) Am 22. Mai 2010 schloss L. auf Veranlassung seines Freundes U. einen Mobilfunkvertrag, der die Aushändigung eines Mobiltelefons umfasste. Hierbei täuschte er seine tatsächlich nicht bestehende Zahlungswilligkeit und -fähigkeit vor. Die bis zum 13. Juli 2010 angefallenen Tele- fonkosten in Höhe von 355 Euro entrichtete er nicht. Um sich weiteren Forderungen des Mobilfunkanbieters und Vorwürfen seiner Mutter zu entziehen, dachte er sich aus, dass der sich mittlerweile in Untersuchungshaft befindliche Angeklagte ihn und U. unter Ankündigung, diesen andernfalls töten zu wollen , gezwungen habe, den Vertrag abzuschließen.
7
3. Die angefochtenen Freisprüche halten sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
8
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).
9
b) Daran gemessen ist die Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision hat das Landgericht die erforderliche Gesamtwürdigung der be- und entlastenden Umstände in jedem der angegriffenen Fälle vorgenommen und sich mit den Angaben der betroffenen Nebenklägerinnen ausführlich auseinandergesetzt. Die Schlussfolgerungen und Wertungen des Landgerichts sind tatsachenfundiert, lassen keine Rechtsfehler erkennen und halten sich im tatgerichtlichen Beurteilungsspielraum. Die Revision hat weder Widersprüche noch wesentliche Erörterungsmängel aufgezeigt. Die Beanstandungen der Revision zielen auf eine andere Bewertung von Tatsachen ab, die das Landgericht aber allesamt bedacht hat.
10
aa) Hinsichtlich der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat zum Nachteil der Nebenklägerin Bö. hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass deren Erinnerungsvermögen – entgegen ihren Angaben – bei alkoholbedingter Enthemmung nicht vorübergehend aufgehoben, sondern insgesamt erhalten geblieben war. Nachvollziehbar hat es das Landgericht insbesondere aufgrund der Aussage der Zeugin Br. für möglich gehalten, dass Bö. sich ein Erlebnis, das ihr die Zeugin Br. im Zusammenhang mit einer Verabreichung von „K.O.-Tropfen“ geschildert hatte, zu eigen gemacht habe, um eine freiwillige Übernachtung bei dem Angeklagten gegenüber ihrer Mutter und ihrem ehemaligen Freund zu rechtfertigen (UA S. 83 f.). Die Zeugin Br. war von der Mutter der Nebenklägerin um ein Gespräch mit ihrer Tochter gebeten worden, weil die Mutter vermutet hatte, dass es eine Verbindung mit dem ihr von Br. berichteten Geschehen gäbe (UA S. 73). Das Landgericht hat weiter bedacht, dass die Nebenklägerin ihre Angaben zur Aufnahme der alkoholischen Getränke, zu ihrer Erinnerungslücke und ihrem Zustand beim Erwachen gegenüber verschiedenen Personen im Zeitablauf verändert hatte. Es vermochte nicht festzustellen, dass sie zu ihren wechselnden Schilderungen (vgl. UA S. 69, 71) etwa durch gravierende Angstzustände oder eine erhebliche Beeinträchtigung des seelischen Befindens und der körperlichen Gesundheit veranlasst worden sein könnte, da sie am Abend nach dem Geschehen mit Freunden feierte und Geschlechtsverkehr hatte (UA S. 75). Vielmehr hat das Landgericht nicht ausschließen können, dass die Nebenklägerin und ihre Freundin P. frühzeitig Handlungen, soweit sie elterlichen Erwartungen nicht entsprachen, nicht oder nicht vollständig preisgegeben oder aber der Beigabe von „K.O.-Tropfen“ zugeschrieben hätten. Insoweit hatte das Landgericht neben der Aussage der Zeugin Br. auch die Angaben der Zeugin P. in deren polizeilicher Vernehmung zu berücksichtigen, in der sie einräumte, dass Bö. deren Mutter das Geschehen anders geschildert und sie „wohl angeschwindelt habe, weil sie Ärger befürchtet habe, wenn sie die Wahrheit sage“ (UA S. 79 f.). Gegen diese Beweiswürdigung ist nichts zu erinnern.
11
bb) In dem die Nebenklägerin H. betreffenden Fall ist das Landgericht von einem nicht ausschließbar einvernehmlichen Geschlechtsverkehr zwischen dem Angeklagten und H. ausgegangen. Es hat dabei sämtliche – fürsich genommen gewichtigen belastenden – Indizien, wie Schmerzen und eine schwache Unterblutung an der Oberschenkelinnenseite, Nachweis von Sperma des Angeklagten in der Scheide der Nebenklägerin und von Gammahydroxybuttersäure (GHB) im Urin der Nebenklägerin (UA S. 94, 96) erkannt und bewertet, sich aber nach umfassender Gesamtwürdigung im Ergebnis nicht von dem in der Anklage vorgeworfenen Tatgeschehen zu überzeugen vermocht. Das Landgericht hat der Nebenklägerin H. nicht geglaubt, dass sie sich nicht habe erinnern können, ob es jemals zwischen ihr unddem Angeklagten Zärtlichkeiten in ansonsten unbeeinträchtigten Situationen gegeben habe (UA S. 84, 87, 98). Es hat ferner bedacht, dass aus sachverständiger Sicht eine Substanz mit dem Wirkstoff GHB auch noch nach dem vorgeworfenen Tatgeschehen eingenommen worden sein könnte. Das Landgericht ist insofern zu dem – nach den Gesamtumständen möglichen – Schluss gekommen, dass H. , in deren Urin auch Amphetamine nachgewiesen worden sind, am nächsten Morgen in der Wohnung ihrer Drogen konsumierenden Freunde Liquid Ecstasy eingenommen hat. Auch haben sich für die sachverständig beratene Strafkammer die von der Nebenklägerin beschriebene Erinnerungslücke und der Umstand, dass sie beim nächtlichen Telefonat mit ihrer Freundin „durcheinander“ gewirkt habe, allein durch den massiven Alkoholkonsum und nicht durch die Einnahme eines Narkosemittels erklären lassen (UA S. 88, 97). Die gewissen Parallelen zu den weiteren Anklagevorwürfen der übrigen Nebenklägerinnen mit dem Angeklagten hat das Landgericht gesehen (UA S. 98), es vermochte sich jedoch letztlich insbesondere wegen der Alkoholgewöhnung und der wechselnden Angaben der Nebenklägerin H. zu ihrem Erinnerungsvermögen nicht von einer erheblichen Willensbeeinträchtigung bei Durchführung des Geschlechtsverkehrs zu überzeugen. Diese Würdigung hat der Senat angesichts des eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstabs hinzunehmen.
12
c) Auf die wenig verlässlichen, von erheblichem Belastungseifer getragenen und zum Teil widersprüchlichen Angaben der Zeugen U. und L. hat die Strafkammer auch eingedenk der erst im August 2010 erfolgten Anzeigenerstattung zu Recht keine Verurteilung gestützt.
Sander Schneider König
Berger Bellay
20
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27, zit. nach juris, mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen aus- zugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, Rn. 26, zit. nach juris mwN).
9
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 Rn. 5 [in NStZ-RR 2014, 349 nur redaktioneller Leitsatz] und vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Der Beur- teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfeh- ler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der diesen zugrunde liegenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 594/15 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388). Es ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01 und vom 25. Februar 2015 – 4 St4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 84/15
vom
14. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:140116U4STR84.15.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 14. Januar 2016, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof Roggenbuck, Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Dr. Mutzbauer, Dr. Quentin als beisitzende Richter,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof – in der Verhandlung –, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof – bei der Verkündung – als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
Rechtsanwalt als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 8. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde sowie
b) in den Aussprüchen über die Gesamtstrafe und die Maßregel.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, sowie wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat es eine Maßregel nach § 69a StGB angeordnet und Adhäsionsentscheidungen getroffen. Gegen das Urteil richtet sich die auf eine ver- fahrensrechtliche Beanstandung und die Sachrüge gestützte, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Verurteilung des Angeklagten insbesondere wegen vorsätzlicher Körperverletzungs- und Tötungsdelikte erstrebt. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.


2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen :
3
Am Nachmittag des 4. September 2013 fuhr der Angeklagte mit einem Pkw auf einer öffentlichen Straße in B. , obwohl er – wie er wusste – nicht im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis war. Als er E. und S. M. sowie Sa. R. am Straßenrand sah, hielt er das Fahrzeug an, stieg aus und fragte E. M. nach dem Aufenthaltsort von En. Si. , der – nach Ansicht des Angeklagten – einem in Serbien inhaftierten Bruder des Angeklagten in Zusammenhang mit gemeinsam begangenen Straftaten und der Verurteilung nur des Bruders des Angeklagten Geld schuldete. E. M. verwies den Angeklagten auf den neben ihm stehenden Sa. R. , einen Bruder von En. Si. . S. M. riet dem Angeklagten indes, Sa. R. nicht zu fragen, sondern nach Hause zu gehen. Der Angeklagte, der die Reaktionen von E. und S. M. als „unangemessen und herabsetzend“ empfand, stieg daraufhin „wutentbrannt“ in den Pkw, fuhr davon und unterrichtete seinen Vater telefonisch davon, dass er sich von E. und S. M. „unangemessen behandelt“ fühle. Der Vater des Angeklagten rief daraufhin den mit ihm befreundeten N. Br. anund fragte ihn, was es mit dem Streit auf sich habe. N. Br. , ein Cousin von E. und S. M. , erklärte sich bereit, die Angelegenheit zu klären.
4
Nach weiteren Telefonaten trafen schließlich auf dem Parkplatz eines Supermarktes in B. einerseits der Vater des Angeklagten mit seinen Söhnen D. und K. I. sowie Ke. A. als deren Fahrer und der Angeklagte mit seinem Beifahrer Ne. O. sowie andererseits E. M. , N. Br. und Sa. R. sowie S. M. , En. Si. und An. R. mit ihrer zweijährigen Tochter ein. Ke. A. stellte sein Fahrzeug auf der rechten Seite einer nach Einfahren auf den Parkplatz in 58 Meter Entfernung direkt vor ihm liegenden Parkbucht für drei Fahrzeuge ab. Nachdem die Insassen ausgestiegen waren, kam der nicht alkoholisierte, aber unter Einfluss von Cannabis stehende, in seinem Steuerungsvermögen indes nicht erheblich beeinträchtigte Angeklagte hinzu und besprach mit seinem Vater und seinen Brüdern, wie weiter zu verfahren sei. Hierbei wies der Vater des Angeklagten – um einer Eskalation vorzubeugen – diesen an, den Parkplatz mit seinem Fahrzeug zu verlassen. Dem leistete der Angeklagte Folge, bemerkte dabei jedoch das Eintreffen des mit E. M. , N. Br. und Sa. R. besetzten Pkws, den E. M. in der Nähe des Pkws von Ke. A. abstellte. E. M. , N. Br. und Sa. R. stiegen sodann aus dem Pkw aus und gingen zu dem freien mittleren Parkplatz der Parkbucht, in der der Vater des Angeklagten und dessen Brüder standen. Ferner sah der Angeklagte, dass En. Si. und S. M. zu Fuß von der Einfahrt des Parkplatzes in Richtung der Parkbucht gingen, in der Ke. A. sein Fahrzeug geparkt hatte. Daraufhin bog der Angeklagte – möglicherweise aus Angst um seinen Vater und seine Brüder „in Anbetracht der Überzahl der gegnerischen Seite“, möglicher- weise weil er den von ihm gesuchten En. Si. sah – mit dem von ihm ge- steuerten Pkw mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h und „quietschenden Reifen“ wieder auf den Parkplatz des Supermarktes ein und fuhr auf die Park- bucht zu, in der die Personengruppe stand. Dabei hätte er – so die Strafkammer – erkennen können, dass er infolge vorangegangenen Cannabiskonsums nicht mehr in der Lage war, ein Fahrzeug sicher im Verkehr zu führen, was er aber vor Aufregung sorgfaltswidrig nicht bedachte. Nach etwa 30 Metern erfasste der Pkw des Angeklagten mit einer Geschwindigkeit von 20 bis 60 km/h den auf dem Weg zu der Parkbucht befindlichen S. M. , der dabei mit seinem rechten Unterarm gegen die Frontscheibe des Pkws stieß, die zersplitterte. S. M. zog sich hierbei neben einem Bluterguss am Knie und Schürfwunden am Arm einen Kreuzbandriss zu. An. R. , die mit ihrer Tochter hinter den nebeneinander laufenden S. M. und En. Si. ging, wurde von einem Passanten „gerade noch rechtzeitig ... ehe auch sie von dem Fahrzeug des Angeklagten erfasst werden konnte“ zur Seite gestoßen. Sodann wollte der Angeklagte „nicht ausschließbar“ in einer Linkskurve an der Parkbucht und den dort befindlichen Personen vorbeifahren, schlug das Lenk- rad aber „aufgrund des durch den Aufprall verursachten Schrecks und seiner infolge des vorangegangenen Cannabiskonsums verlängerten Reaktionszeit“ zu spät ein und fuhr mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h in die Parkbucht. Dabei schrammte er mit seiner linken Fahrzeugseite an der rechten Seite des auf dem linken Parkplatz abgestellten Pkws einer Zeugin entlang und erfasste den auf dem freien mittleren Parkplatz stehenden E. M. , der hierdurch hinter die Parkbucht geschleudert wurde und schwer verletzt liegen blieb; er erlitt unter anderem Brüche am Sprunggelenk und am Oberschenkel sowie am Waden- und Schlüsselbein. N. Br. und Sa. R. konnten sich durch einen Sprung auf die Seite bzw. auf und über den Pkw des Angeklagten in Sicherheit bringen, wurden aber, weil sie hierbei zu Fall kamen, ebenfalls verletzt. Nach der Kollision stieg der Angeklagte aus dem von ihm gesteuerten Pkw aus, „schüttelte“ An. R. , die ihn festhalten wollte, ab und rannte davon.
5
2. Vom vorsätzlichen Herbeiführen „der Kollision“ durch den Angeklagten vermochte sich das Landgericht nicht zu überzeugen. In ihren Rechtsausführungen begründet die Strafkammer dies damit, dass ein (bedingter) Vorsatz aufgrund der Spontaneität des Tatentschlusses und der affektiven Erregung des Angeklagten nicht nachweisbar sei.

II.


6
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist jedenfalls im Hinblick auf die Besonderheiten des vorliegenden Falls (vgl. auch OLG Oldenburg, Beschluss vom 11. September 2008 – Ss 309/08 I 157, Blutalkohol 45, 392 f.) wirksam auf die landgerichtlichen Feststellungen und Wertungen zu den beiden Kollisionen auf dem Parkplatz des Supermarkts beschränkt.
7
Zwar hat die Staatsanwaltschaft unbeschränkt Revision eingelegt und auch einen unbeschränkten Aufhebungsantrag gestellt. In der Begründung des Rechtsmittels stellt die Revisionsführerin aber klar, dass sich dieses allein da- gegen richte, dass der Angeklagte nur „wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung und fahrlässiger Körperverletzung“ und nicht wegen „tateinheitlich begangenen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs und Sachbeschädigung“ verurteilt worden sei.

III.


8
Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hat bereits mit der Sachrüge Erfolg. Denn die Beweiswürdigung zum fehlenden Vorsatz des Angeklagten bei der Herbeiführung der Kollisionen und der durch sie eingetretenen Verletzung und Gefährdung mehrerer Personen, mithin zu den Vorwürfen versuchter und vollendeter vorsätzlicher Körperverletzungs - und versuchter vorsätzlicher Tötungsdelikte sowie des vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, leidet an durchgreifenden Rechtsfehlern. Eines Eingehens auf die von der Staatsanwaltschaft ebenfalls erhobene Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
9
1. Die Beweiswürdigung ist in wesentlichen Teilen lückenhaft.
10
a) Eine einen Rechtsfehler im Sinn des § 337 Abs. 1 StPO darstellende Lücke liegt insbesondere vor, wenn die Beweiswürdigung wesentliche Feststellungen nicht erörtert (vgl. etwa BGH, Urteil vom 5. November 2015 – 4 StR 183/15) oder nur eine von mehreren gleich naheliegenden Möglichkeiten prüft (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 2005 – 1 StR 478/04, NStZ-RR 2005, 147 f.).
11
b) Das ist hier der Fall.
12
aa) Bedingter Vorsatz und bewusste Fahrlässigkeit unterscheiden sich darin, dass der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut, während der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (BGH, Beschluss vom 5. März 2008 – 2 StR 50/08, NStZ 2008, 451 mwN). Die Prüfung, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, erfordert insbesondere bei Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements regelmäßig erforderlich ist, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit des Täters auseinandersetzt und seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie seine Motivation und die zum Tatgeschehen bedeutsamen Umstände – insbesondere die konkrete Angriffsweise – mit in Betracht zieht (BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93 f.; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; vom 22. März 2012 – 4 StR 558/11, BGHSt 57, 183, 186 f.; vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216 jeweils mwN). Diese Gesamtschau ist insbesondere dann notwendig, wenn der Tatrichter allein oder im Wesentlichen aus äußeren Umständen auf die innere Einstellung eines Angeklagten zur Tat schließen muss (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. Dezember 2005 – 1 StR 410/05, NJW 2006, 386 f.). Sie ist lückenhaft, wenn der Tatrichter sich mit wesentlichen, den Angeklagten belastenden Umständen nicht auseinandersetzt, die für die subjektive Tatseite bedeutsam sind (BGH, Urteil vom 8. September 2011 – 1 StR 38/11, NZWiSt 2012, 71 f.).
13
bb) Eine solche Gesamtschau hat die Strafkammer nicht in der gebotenen Vollständigkeit vorgenommen.
14
Zwar verweist die Strafkammer in ihren Rechtsausführungen darauf, dass ein (bedingter) Vorsatz aufgrund der Spontaneität des Tatentschlusses und der affektiven Erregung des Angeklagten nicht nachweisbar sei. Im Zusammenhang mit den Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen verweist sie hierzu aber allein auf die „durchaus denkbare“ Verlängerung der Reaktionszeit infolge des Cannabiskonsums, das Fehlen eines nachvollziehbaren Motivs sowie darauf, dass der Vater des Angeklagten und seine beiden Brüder ebenfalls in der Parkbucht standen und er bei vorsätzlichem Handeln nicht nur seine Gesundheit und sein Fahrzeug, sondern auch Leben und Gesundheit seines Vaters gefährdet hätte. Bei der Darstellung der Ausführungen des Sachverständigen für Unfallrekonstruktion legt die Strafkammer dagegen dar, dass sich aufgrund dieser ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachweisen lasse.
15
Letzteres trifft zwar für sich genommen zu, jedoch stünden die Ausführungen des Sachverständigen auch der Bejahung eines vorsätzlichen Handelns des Angeklagten nicht entgegen. Im Übrigen ist trotz dieser Sammlung vorsatzkritischer Umstände jedenfalls nicht ohne weitere – indes fehlende – Erläuterungen nachvollziehbar, dass und inwieweit diese Umstände bereits im ersten Tatkomplex (Anfahren von S. M. ) Bedeutung erlangt haben könnten. Die Strafkammer setzt die von ihr aufgeführten Umstände zudem nicht in Beziehung zueinander und erläutert auch nicht, ob sie schon zu Zweifeln am Vorsatz hinsichtlich der Handlungen (als solcher) oder dazu geführt haben, dass ungewiss bleibt, ob der Angeklagte bei vom Vorsatz getragenen Handlungen den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fernliegend erkannt oder er ihn nur nicht gebilligt hat. Hierzu bestand hinsichtlich des ersten Tatkomplexes jedoch schon deshalb Anlass, weil der Angeklagte von der Einfahrt des Parkplatzes „direkt“ in Richtung der Parkbucht steuerte, er mithin auf gerader Strecke über etwa 30 Meter auf die vor ihm gehenden Fußgänger zufuhr. Dass er dies in Bezug auf seine Handlung (als solche) und das „Tatobjekt“ lediglich fahrlässig tat, liegt fern, zumal nach den Ausführungen des Sachverständigen Cannabiskonsum lediglich den peripheren Bereich des Sichtfelds vergrößert, dieses nicht aber einschränkt, und er S. M. und En. Si. schon zuvor identifiziert hatte. Auch die vom Landgericht angeführte überhöhte Geschwindigkeit infolge Cannabisintoxikation sowie der zu geringe Seitenabstand zu den Fußgängern widerstreiten unter den hier gegebenen Umständen nicht ohne weiteres der Annahme einer vorsätzlichen Tathandlung. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer bei der Prüfung des Vorsatzes in Bezug auf den Handlungserfolg zumindest auch mit der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung auseinandersetzen müssen (vgl. zum Zufahren auf Fußgänger: Senat, Urteile vom 29. Januar 2015 – 4 StR 433/14, NStZ 2015, 392, 394; vom 25. Oktober 2012 – 4 StR 346/12), der als wesentlichem Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes gewichtige Bedeutung zukommt (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 16. Mai 2013 – 3 StR 45/13, NStZ-RR 2013, 242 f.).
16
Hinsichtlich des zweiten Tatkomplexes (Einfahren in die Parkbucht) liegt eine Lücke schon darin, dass die Strafkammer in die Prüfung eines vorsätzlichen Handelns des Angeklagten nicht einbezogen hat, dass dieser nicht nur eine, sondern in engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang zwei Kollisionen herbeigeführt hat, mithin eine Häufung an Verhaltensweisen vorliegt, die vor allem bei auf Gefährdungen oder Schädigungen von Personen der „gegnerischen Seite“ abzielendenund diese zumindest in Kauf nehmenden Handlungen plausibel ist. Zudem hat das Landgericht unberücksichtigt gelassen, dass der Angeklagte den von ihm gesteuerten Pkw zwischen der Einfahrt auf den Parkplatz („mit etwa 30 km/h“) und der zweiten Kollision („zwischen 40 und 50 km/h“) beschleunigt und dabei eine Geschwindigkeit erreicht hat, die in Bezug auf die Handlung (als solcher) ein lediglich fahrlässiges Verhalten – zumal auf dem Parkplatz eines Supermarktes – nicht nahelegt. Hierin liegt auch des- halb eine Lücke, weil die Strafkammer das von ihr dem Angeklagten unterstellte beabsichtigte Durchfahren einer Linkskurve vor der Parkbucht nur deshalb als misslungen ansieht, weil seine Reaktionszeit aufgrund des durch den vorangegangenen Aufprall verursachten Schrecks und des Cannabiskonsums verlängert gewesen sei. Sie erörtert dabei aber nicht, dass der Angeklagte die Grenzgeschwindigkeit , mit der die Kurve hätte durchfahren werden können, infolge der Beschleunigung zumindest nahezu erreicht hatte, und er nach einer von der Strafkammer als glaubhaft bewerteten Zeugenaussage ungebremst in die Personengruppe gefahren ist. Dies wurde vom Sachverständigen insofern bestätigt , als er keine Hinweise auf eine Bremsung festgestellt und jedenfalls eine starke Bremsung vor der Kollision mit dem parkenden Pkw ausgeschlossen hat. Soweit das Landgericht den – ersichtlich auf den Handlungserfolg bezogenen – Vorsatz mit der Erwägung in Frage gestellt hat, dass durch ein Einfahren in die Parkbucht auch das Leben und die Gesundheit seines Vaters und seiner Brüder gefährdet worden wäre, hätte sich die Strafkammer schließlich auch damit aus- einandersetzen müssen, dass das „Entlangschrammen“ an dem auf der linken Seite der Parkbucht abgestellten Fahrzeug dazu gedient haben kann, die tatsächlich von der Strafkammer nicht festgestellte Gefährdung seiner Familienangehörigen auszuschließen oder wenigstens zu verringern (vgl. dazu auch nachfolgend 2.).
17
2. Die Beweiswürdigung ist zudem widersprüchlich.
18
Denn die Strafkammer legt einerseits dar, dass nach der glaubhaften Aussage des Zeugen E. M. der Vater des Angeklagten imZeitpunkt der zweiten Kollision auf dem freien Parkplatz zwischen den in der Parkbucht abgestellten Pkws stand, während sich die Brüder des Angeklagten „auf der anderen Seite“ des rechts abgestellten Fahrzeugs des Zeugen A. aufhiel- ten. Sie stellt jedoch andererseits ausdrücklich fest, dass sich alle sechs Personen – einschließlich der Brüder des Angeklagten – in der freien mittleren Parklücke der Parkbucht befanden. Dieser Widerspruch ist erheblich, da das Landgericht eine – von der Strafkammer nicht festgestellte – Gefährdung des Vaters und der Brüder als dem Vorsatz widerstreitendes Indiz bewertet hat. Eine Gefährdung der Brüder des Angeklagten durch das Einfahren des Angeklagten in die Parkbucht hätte aber nicht bestanden, wenn man der Aussage des Zeugen E. M. folgt. Auch die Gefährdung des Vaters des Angeklagten, der nach den Angaben des Zeugen E. M. neben dem Kofferraum desin der Parkbucht rechts abgestellten Fahrzeugs stand, wäre durch ein gezieltes Einfahren („Schrammen“) des auf der linken Seite der Parklücke stehenden Pkws zumindest verringert worden.
19
3. Hinzu kommt, dass die Erwägung, das Fehlen eines nachvollziehbaren Tatmotivs spreche gegen ein vorsätzliches Herbeiführen der Kollisionen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.
20
Diese nicht näher begründete Annahme lässt schon außer Betracht, dass der Angeklagte das Verhalten zweier Tatopfer, nämlich von E. und S. M. , kurz zuvor als „unangemessen und herabsetzend“ empfunden hatte , er „wutentbrannt“ davongefahren war und ihn sein Vater, nachdem der Angeklagte ihn von der „unangemessenen“ Behandlung durch E. und S. M. unterrichtet hatte, „um einer Eskalation vorzubeugen“ von dem Parkplatz weggeschickt hatte. Auch hat der Angeklagte selbst eingeräumt, dass er zurückgekehrt sei, da er sich verpflichtet gefühlt habe, seinem Vater und seinen Brüdern angesichts der hinzugekommenen Personen Hilfe leisten zu können , und er seinen Vater nicht im Stich lassen wollte.
21
Neben dieser Lücke hat die Strafkammer aber auch unbeachtet gelassen , dass mit bedingten Tötungsvorsatz handelnde Täter kein Tötungsmotiv haben, sondern einem anderen Handlungsantrieb nachgehen (BGH, Urteile vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 347/13; vom 26. März 2015 – 4 StR 442/14, NStZ-RR 2015, 172 f.) und selbst ein unerwünschter Erfolg dessen billigender Inkaufnahme nicht entgegensteht (BGH, Urteil vom 14. Januar 2015 – 5 StR 494/14, NStZ 2015, 460; vgl. ferner BGH, Urteile vom 18. Oktober 2007 – 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93; vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 701 f. mwN; zu hochgradig interessenwidrigen Tatfolgen allerdings: BGH, Urteile vom 27. August 2009 – 3 StR 246/09, NStZ-RR 2009, 372 f.; vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318).
22
4. Die Rechtsfehler führen zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt wurde. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafen- und des Maßregelausspruchs nach sich. Einer Aufhebung der Adhäsionsentscheidung durch den Senat bedarf es dagegen nicht (BGH, Urteil vom 28. November 2007 – 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98).
23
Die – teilweise – Aufhebung des Urteils führt zur Aufhebung der zugehörigen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO). Der Senat sieht insbesondere im Hinblick auf die oben dargelegten Widersprüche und Lücken in der Beweis- würdigung davon ab, die zum äußeren Ablauf des Geschehens auf dem Parkplatz getroffenen Feststellungen bestehen zu lassen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 45/13
vom
16. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Mai 2013,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten G. ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten D. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 7. November 2012 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die den Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, die der Generalbundesanwalt vertritt, rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beanstandet im Einzelnen die Ablehnung des (bedingten) Tötungsvorsatzes der Angeklagten durch das Landgericht. Das Rechtsmittel ist unbegründet; die Überprüfung des Urteils aufgrund der erhobenen Sachbeschwerde ergibt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zugunsten oder zulasten (§ 301 StPO) der Angeklagten.

I.

2
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Am Morgen des 17. September 2011 kam es in der Nähe einer Diskothek in A. zunächst zu einem verbalen Konflikt zwischen einer Gruppe um die - erheblich alkoholisierten und in ihrer Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich verminderten - Angeklagten und dem Geschädigten S.. Dieser begab sich danach zum Eingangsbereich der Diskothek und setzte sich auf die dortigen Stufen. Nachdem die Angeklagten und zwei ihrer Begleiter ein Taxi bestiegen hatten und aus diesem Fahrzeug heraus beim Vorbeifahren an dem Geschädigten und dessen Bekannten K. ein sogenannter "Stinkefinger" gezeigt worden war, stand K. auf, folgte dem Taxi und schlug gegen die Scheibe, um die Insassen zu einer Klärung aufzufordern. Die Insassen des Taxis stiegen aus. Einer von ihnen, der Zeuge Sch. , begab sich sogleich zum Zeugen K. , worauf sich zwischen diesen beiden eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beleidigungen ergab. Der Geschädigte ging in die Richtung der Streitenden, um K. aus der Auseinandersetzung herauszuholen. Daraufhin kam es zwischen dem Angeklagten D. und dem Geschädigten ebenfalls zu Beleidigungen und zu einem Gerangel. Schließlich versetzte der Angeklagte D. dem Geschädigten zwei bis drei gezielte heftige Faustschläge in das Gesicht, wodurch dieser zu Boden ging. Der Angeklagte D. beugte sich sodann herunter und schlug jedenfalls ein weiteres Mal mit der Faust auf den Oberkörper oder in das Gesicht des Geschädigten, wobei dieser versuchte, sich durch seine Hände und Arme vor der Wucht der Schläge zu schützen. Der Angeklagte G. , der sich bis dahin irgendwo im Umfeld des Geschehens aufgehalten hatte, ohne selbst einzugreifen, kam hinzu, als der Geschädigte bereits am Boden lag, um mit seinem Freund D. gemeinsam auf den Geschädigten einzuwirken. Der Angeklagte G. trat aus dem Lauf heraus mit der Innenseite seines mit Straßenturnschuhen beschuhten linken Fußes wuchtig gegen den Kopf des Geschädigten. In schneller Abfolge folgten von diesem Angeklagten ausgeführte vier bis fünf weitere Tritte in das Gesicht des am Boden Liegenden. Der Angeklagte D. , der leichte Straßenturnschuhe trug, nahm dies wahr, billigte das Vorgehen seines Freundes G. und trat nunmehr ebenfalls zwei- bis dreimal heftig auf das sich nicht mehr wehrende Opfer ein. Die Tritte gingen jedenfalls auch gezielt auf den Kopf des Opfers. Sie waren wuchtig und potentiell lebensbedrohlich, ohne dass es allerdings zu einer konkreten Lebensgefahr kam. Schließlich ließ der Angeklagte D. von dem Geschädigten ab und lief, sich die Jacke über den Kopf ziehend, in Richtung einer nahegelegenen Tankstelle davon. Der Angeklagte G. führte noch einen Tritt aus und flüchtete dann, sich seine Jacke ebenfalls über den Kopf ziehend, unmittelbar hinter dem Angeklagten D. her. Bei der Tankstelle blieben sie gut sichtbar stehen.
4
Infolge der Gewalteinwirkung durch die Angeklagten erlitt der Geschädigte im Wesentlichen eine Fraktur des Orbitabogens links, eine Kieferhöhlenfraktur links sowie eine Nasenbeinfraktur. Er verlor insgesamt drei Zähne. Im Bereich des linken Auges bis hinunter zum Jochbogen hatte er ein sogenanntes Monokelhämatom. Der Geschädigte verbrachte einen Tag im Krankenhaus; er litt auch danach noch in erheblichen Umfang und längere Zeit an den psychischen Folgen der Tat, die auch zum Verlust seines Arbeitsplatzes führten.
5
2. Den Schuldspruch hat das Landgericht auf § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2, 4 und 5 StGB gestützt. Die Angeklagten hätten jedenfalls billigend in Kauf genommen, mit ihren wuchtigen Tritten gegen den Kopf des Geschädigten er- hebliche Körperverletzungen hervorzurufen. Demgegenüber hat das Landgericht nicht sicher feststellen können, "dass der vor Beginn der Tathandlung gefasste Entschluss einen Tötungsvorsatz enthielt" oder die Angeklagten "im Verlauf der Geschehnisse einen Tötungsvorsatz fassten". Die Jugendkammer hat daher den Tatbestand des versuchten Totschlags nicht festzustellen vermocht. Dies hat das Landgericht ausführlich und im Einzelnen begründet. Dabei hat es sich davon überzeugt, dass das Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes bei den Angeklagten gegeben war, aber unter Abwägung der festgestellten Gesamtumstände das Vorliegen des Willenselementes des bedingten Tötungsvorsatzes bei beiden Angeklagten nicht ohne vernünftige Zweifel festzustellen vermocht.

II.

6
Der Schuldspruch hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Die Beweiswürdigung , auf welcher die Überzeugung der Jugendkammer beruht, ein auch nur bedingter Tötungsvorsatz sei nicht zweifelsfrei festzustellen, begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
1. Bedingt vorsätzliches Handeln setzt voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt, weiter, dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung zumindest abfindet. Vor Annahme eines bedingten Vorsatzes müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissens - als auch das Willenselement, umfassend geprüft und gegebenenfalls durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles, in welche vor allem die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung, die konkrete Angriffsweise des Täters, seine psychische Verfassung bei der Tatbegehung und seine Motivationslage einzubeziehen sind. Kann der Tatrichter auf der Grundlage dieser Gesamtbewertung aller Umstände Zweifel am Vorliegen des bedingten Vorsatzes nicht überwinden, so hat das Revisionsgericht dies regelmäßig hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist vom Gesetz dem Tatrichter übertragen (§ 261 StPO). Es obliegt daher allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen , wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näher liegend gewesen wäre.
8
Gleichermaßen allein Sache des Tatrichters ist es, die Bedeutung und das Gewicht der einzelnen Indizien in der Gesamtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisionsgericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen. Dies muss insbesondere auch dann gelten, wenn der Tatrichter im Rahmen der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes Gewalthandlungen des Täters festgestellt hat, die für das Opfer objektiv lebensbedrohlich gewesen sind. Zwar hat der Bundesgerichtshof die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung als wesentlichen Indikator sowohl für das Wissens- als auch für das Willenselement des bedingten Vorsatzes angesehen und bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen das Vorliegen beider Elemente als naheliegend bezeichnet. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung bei der Prüfung der subjektiven Tatseite von Rechts wegen immer die ausschlaggebende indizielle Bedeutung beizumessen hätte. Darin läge eine vom Einzelfall gelöste Festlegung des Beweiswerts und der Beweisrichtung eines im Zusammenhang mit derartigen Delikten immer wieder auftretenden Umstandes, die einer Beweisregel nahekäme und deshalb dem Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung widerspräche.
9
Dieselben Grundsätze gelten für solche Beweisanzeichen, die sich auf den ersten Blick als ambivalent darstellen, die also dem Tatrichter, je nachdem, wie er sie im Einzelfall bewertet, rechtlich zulässige Schlüsse sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Angeklagten ermöglichen. Eine rechtlich vertretbare tatrichterliche Entscheidung darüber, in welchem der möglichen, zueinander in einem Gegensatz stehenden Beweiszusammenhänge ein solcher Umstand im konkreten Fall indizielle Bedeutung entfaltet, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen. Der Tatrichter kann in einem solchen Falle nicht gehalten sein, denselben Umstand nochmals in dem anderen Beweiszusammenhang zu erwägen und damit Gefahr zu laufen, sich zu seinem anderweitig gewonnenen Ergebnis zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten in Widerspruch zu setzen (vgl. zu alledem BGH, Urteil vom 20. September 2012 - 3 StR 140/12, NStZ-RR 2013, 75, 76 f. mwN).
10
Nach alledem ist es bei der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes - nicht anders als sonst bei der Würdigung der Beweise - aus revisionsrechtlicher Sicht erforderlich, aber auch ausreichend, sämtliche objektiven und subjektiven , für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände des Einzelfalles in eine individuelle Gesamtschau einzubeziehen und zu bewerten.
11
2. Daran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Sie beruht auf einer bewertenden Gesamtschau aller maßgeblichen objektiven und subjektiven Tatumstände des Einzelfalles. Die von der Jugendkammer in diesem Zusammenhang angestellten Erwägungen sind weder lückenhaft, widersprüchlich oder unklar noch verstoßen sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze. Die Beschwerdeführerin beanstandet die Beweiswürdigung weitgehend mit eigenen Wertungen; damit kann die Revision regelmäßig nicht erfolgreich begründet werden. Im Einzelnen:
12
Das Landgericht ist bei seiner Würdigung der Feststellungen und Beweisanzeichen von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Jugendkammer habe den Indizwert der Tritte gegen den Kopf des Geschädigten und das äußere Tatgeschehen für das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zu gering bewertet, zeigt sie einen Rechtsfehler nicht auf. Die Gewichtung der objektiven Tatumstände und die Bewertung ihrer Bedeutung für den subjektiven Tatbestand sind allein dem Tatrichter vorbehalten. Dies gilt auch bei Tritten des Täters gegen den Kopf des Opfers, die nicht stets und gleichsam automatisch den Schluss auf das Vorliegen eines (bedingten) Tötungsvorsatzes begründen. Auch die Einordnung und Würdigung der - ambivalenten - Beweisanzeichen einer erheblichen Alkoholisierung und eines spontanen Handelns in affektiver Erregung obliegen dem Tatrichter (BGH, aaO, juris Rn. 16). Zudem ist anerkannt, dass insbesondere bei spontanen , unüberlegten, in affektiver Erregung ausgeführten Handlungen aus dem Wissen um den möglichen Eintritt des Todes nicht ohne Berücksichtigung der sich aus der Tat und der Persönlichkeit des Täters ergebenden Besonderheiten darauf geschlossen werden kann, dass das - selbständig neben dem Wissenselement stehende - voluntative Vorsatzelement gegeben ist (vgl. BGH, Urteil vom 25. November 2010 - 3 StR 364/10, NStZ 2011, 338 mwN). Ebenso dem Tatrichter vorbehalten ist die Entscheidung, welcher Stellenwert dem Nachtatverhalten des Täters im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung beizumessen ist. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten nach der Tat, das nach den Feststellungen nicht nur von einer Flucht unter Verbergen des Gesichts, sondern auch durch ein sichtbares Verbleiben in der Nähe des Tatortes gekennzeichnet war, unter Heranziehung aller insoweit maßgeblichen Gesichtspunkte rechtsfehlerfrei gewürdigt. Der Senat kann mit Blick auf die Urteilsgründe ausschließen, dass die Jugendkammer bei der Bewertung der Verletzungen des Geschädigten die von ihr festgestellten Gesichtsschädelfrakturen außer Acht gelassen hat. Die Würdigung des Landgerichts, es könne trotz der Heftigkeit der Tritte nicht ausgeschlossen werden, dass die - fußballerisch erfahrenen - Angeklagten nicht mit der ihnen möglichen vollen Wucht auf den Kopf des Opfers eintraten, stellt angesichts der hierfür herangezogenen Umstände eine mögliche Schlussfolgerung dar; diese ist - entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts - nach Maßgabe der dargelegten Grundsätze revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
13
Auch im Übrigen hat die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler ergeben.
Schäfer Pfister Hubert Mayer Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 484/14
vom
26. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
ECLI:DE:BGH:2016:260416B2STR484.14.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 26. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 357 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 18. Juli 2014 - auch soweit es den Mitangeklagten D. betrifft - mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten wegen versuchten Mordes verurteilt worden sind;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten H. wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. wegen versuchten Mordes und wegen „gemeinschaftlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gemeinschädlicher Sachbeschädigung in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Diebstahl“ sowie wegen „unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition in Tateinheit mit dem unerlaubtem Besitz von Munition in Tateinheit mit dem unerlaubten Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Den nicht revidierenden Mitangeklagten D. hat es wegen versuchten Mordes und wegen „gemeinschaftlicher Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gemeinschädlicher Sachbeschädigung in Tateinheit mit gemeinschaftlichem Diebstahl“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
2
Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten H. hat teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte H. wegen versuchten Mordes verurteilt wurde. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.

3
Das Landgericht hat – soweit vorliegend von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. a) Die Angeklagten H. und D. kamen mit dem späteren Tatopfer M. A. , mit dem sie beide befreundet waren, überein, gemeinsam den am Bahnhof G. installierten Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn AG zu sprengen, um das darin befindliche Bargeld zu entwenden. Der im Verlaufe des späteren Tatgeschehens tödlich verletzte A. hatte die Tat ge- plant und den Tatort ausgewählt, weil der Bahnhof G. sichtgeschützt hinter Bäumen, rund einen Kilometer vom Ortskern entfernt abgeschieden gelegen war. Er hatte sich über die Möglichkeiten einer Automatensprengung im Internet informiert und die hierfür erforderlichen Hilfsmittel – ein „Gas/Sauerstoffset“ sowie 10 Liter Sauerstoff – erworben. Mehrere Tage vor der Tat hatte er – gemeinsam mit dem Angeklagten H. – einen Sprengversuch an einem Metallkanister unternommen. Am Vorabend der Tat war er gemeinsam mit dem Angeklagten H. von S. , dem gemeinsamen Wohnort der Beteiligten, zu dem rund 120 Kilometer entfernt gelegenen Bahnhof G. gefahren und hatte erfolglos versucht, den Fahrkartenautomaten aufzuflexen, um an das darin befindliche Bargeld zu gelangen.
5
Am 17. September 2013 hatte A. zunächst den Angeklagten H. und sodann den Angeklagten D. mit seinem Fahrzeug abgeholt und beide in seinen nunmehr konkret gefassten Tatplan eingeweiht. Danach sollte der Angeklagte D. gemeinsam mit A. die für die Automatensprengung benötigten Hilfsmittel zu dem Fahrkartenautomaten transportieren und sich während der Sprengung in einem nahe gelegenen Gebüsch verborgen halten und dort „Schmiere stehen“. Der Angeklagte H. sollte mit dem Fahrzeug des A. ein oder zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt warten und die beiden nach der Tat abholen. Die Tatbeute sollte zu gleichen Teilen aufgeteilt werden.
6
In Umsetzung dieses gemeinsamen Tatentschlusses fuhren die beiden Angeklagten und der spätere Geschädigte M. A. mit dem Fahrzeug des A. von S. nach G. , wo sie am 18. September 2013 kurz nach 1.00 Uhr eintrafen. A. und der Angeklagte D. , die beide Sturmhauben trugen, luden einen Korb mit den für die Automatensprengung benötigten Utensilien aus und begaben sich zu dem Fahrkartenautomaten, während der Angeklagte H. das Fahrzeug in einen rund zwei bis drei Kilome- ter entfernt gelegenen Feldweg fuhr und dort wartete. A. leitete zunächst Gas in das Innere des Fahrkartenautomaten ein und dichtete diesen anschließend gemeinsam mit dem nicht revidierenden Mitangeklagten D. mit Klebeband ab; anschließend entfernte sich dieser und bezog seinen Posten in einem rund 30 Meter entfernt gelegenen Gebüsch. Der später GeschädigteM. A. entzündete eine Wunderkerze, steckte sie in das Innere des Fahrkartenautomaten und löste dadurch eine Explosion aus. Die Wucht der Detonation war so groß, dass der Fahrkartenautomat einschließlich des Betonsockels, auf dem dieser montiert war, gänzlich zerstört wurde. Der Geschädigte A. wurde durch die Druckwelle der Detonation durch die Luft geschleudert und fiel rund zwei bis drei Meter entfernt unter der rund 25 Kilogramm schweren Metallabdeckung des Fahrkartenautomaten auf dem Rücken liegend zu Boden.
7
Der Angeklagte D. begab sich sofort zu dem Verletzten A. und hob die Metallplatte von ihm ab. Er erkannte, dass A. nicht ansprechbar war, Arme und Hände jedoch noch leicht bewegte und atmete. Der Mitangeklagte H. , der den Knall der Explosion an seinem Standort ebenfalls gehört hatte, erkundigte sich auf dem Weg zum Bahnhof über ein Mobiltelefon, was geschehen sei. Der Angeklagte D. erklärte ihm, dass A. bei der Explo- sion „etwas abbekommen habe“. Nachdem der Angeklagte H. mit dem Fahr- zeug des A. am Bahnhof eingetroffen war, luden beide zwei durch die Sprengung freigelegte metallene Geldkassetten mit Münzgeld im Wert von rund 350 Euro und das Tatwerkzeug in den Kofferraum des Fahrzeugs ein. Durch die Wucht der Explosion entstand am Fahrkartenautomaten ein Sachschaden in Höhe von 30.000 Euro; durch die Wucht der Explosion wurde außerdem das Wartehäuschen am Bahnsteig zerstört, wodurch ein weiterer Sachschaden in Höhe von 40.000 Euro entstand.
8
b) Anschließend hoben die Angeklagten H. und D. den rund 120 Kilogramm wiegenden, schwer verletzten A. , der unter anderem eine rund acht Zentimeter lange, bis zum Knochen reichende, klaffende Riss /Quetschwunde von der linken Augenbraue bis in die Stirn, einen Schädelbruch mit vollständigem Abriss des Oberkiefers, Einblutungen in die weichen Hirnhäute sowie Verletzungen an Armen und Beinen erlitten und um dessen mit einer Sturmhaube bedeckten Kopf herum sich eine Blutlache gebildet hatte, auf die Rückbank des Fahrzeugs. In dem Bewusstsein, dass der Geschädigte A. sofortige notärztliche Hilfe benötigte, kamen sie überein, keinen Notruf abzusetzen , sondern sich – gemeinsam mit dem Schwerverletzten A. – vom Tatort schnellstmöglich zu entfernen, damit ihre Tat nicht entdeckt würde. Weil sie „in Bayern oder Baden-Württemberg zudem eine noch härtere Bestrafung im Falle der Entdeckung ihrer Beteiligung […] befürchteten, beschlossen sie, zunächst in das Bundesland Hessen zurückzukehren.“ Sie fuhren in den folgenden zwei Stunden von G. in das in der Nähe ihres Wohnortes gelegene B. , um A. in dem dortigen Krankenhaus, welches den Angeklagten bekannt war, ärztliche Hilfe zukommen zu lassen. Dabei war ihnen nicht nur „bewusst“, „dass sie auf der beinahe zweistündigen Fahrt dem Ge- schädigten A. auch jede Möglichkeit nahmen, einer Rettung zugeführt zu werden, indem er beispielsweise durch Dritte aufgefunden worden wäre“, son- dern sie nahmen auch seinen Tod billigend in Kauf, um ihre vorangegangene Tat zu verdecken und sich nicht der Gefahr eigener Strafverfolgung auszusetzen.
9
Weil sie wussten, dass der Parkplatz des Krankenhauses in B. videoüberwacht war, legten sie den Geschädigten A. nach rund zweistündiger Fahrt gegen 3.20 Uhr auf dem Parkplatz des dortigen Bahnhofs ab und nahmen Sturmhaube und Papiere an sich, um seine Identifizierung zu erschweren. Der Angeklagte H. setzte unter Angabe eines falschen Namens einen Notruf ab und behauptete wahrheitswidrig, dass einer der an einer vorangegangenen Schlägerei Beteiligten verletzt am Boden liege. Vor Eintreffen der Rettungskräfte flohen die Angeklagten und fuhren nach Hause. Die gegen 3.30 Uhr eintreffenden Rettungskräfte konnten nur noch den Tod des A. feststel- len, der bereits während der Fahrt „spätestens um 2.15 Uhr“ infolge des durch die Explosion erlittenen schweren Schädel-Hirntraumas, verbunden mit dem Bruch des Schädelknochens, eingetreten war. Der infolge der Explosion schwer verletzte A. hätte auch dann, wenn der Angeklagte H. und der nicht revidierende Mitangeklagte D. die Rettungskräfte unmittelbar im Anschluss an die Explosion per Notruf verständigt hätten, nicht mehr gerettet werden können.
10
2. Der Angeklagte H. hat in der Hauptverhandlung ein weitgehendes Geständnis abgelegt. Hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Tat zum Nachteil des A. hat er sich dahin eingelassen, dass er den bewusstlosen, aber noch atmenden Geschädigten gemeinsam mit dem Mitangeklagten D. in das Fahrzeug gelegt habe, um ihn in ein Krankenhaus zu bringen. Er habe unter Schock gestanden. Das Krankenhaus in B. habe er angesteuert , weil er dieses gekannt habe; auch an die offene Bewährung des Angeklagten D. und an den bei ihm gelagerten Karton mit Waffen und Sprengstoff habe man gedacht. Deshalb hätten sie gemeinsam beschlossen, von G. zum Krankenhaus nach B. zu fahren, um „keinesfalls mit dem gesprengten Automaten in Verbindung gebracht zu werden“ ; auch habe man das Bundesland Bayern schnell verlassen wollen, weil man dort im Falle der Entdeckung mit einer höheren Strafe als in Hessen gerechnet habe. Er sei der Auffassung gewesen, dass der Geschädigte überleben werde, auch wenn ihm klar gewesen sei, dass dessen Verletzungen „nicht harmlos“ seien.

II.

11
Die Revision ist unbegründet, soweit der Angeklagte wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit gemeinschädlicher Sachbeschädigung und Diebstahls sowie wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt worden ist.
12
Jedoch hält der Schuldspruch wegen versuchten Mordes rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Annahme des Landgerichts, der AngeklagteH. habe den Tatbestand des versuchten Mordes verwirklicht, weil er den Geschä- digten „durch seinen Transport in dem Fahrzeug während der knapp zweistündigen Fahrt […] aktiv und bewusst von jeder Rettungsmöglichkeit fernhalten“ wollte (UA S. 52), ist nicht tragfähig begründet.
13
1. Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Tatumstände erfolgen (Senat, Urteil vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26; BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702). Die auf der Grundlage der dem Täter bekannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ist dabei ein wesentlicher Indikator für das Vorliegen beider Elemente des bedingten Tötungsvorsatzes (vgl. BGH, Urteil vom 13. Januar 2015 – 5 StR 435/14, NStZ 2015, 216). Hinsichtlich des Willenselements sind neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des Täters, sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation in die erforderliche umfassende Gesamtbetrachtung einzubeziehen (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2000 – 3 StR 321/00, BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51). Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Täter die Gefahr des Eintritts eines tödlichen Erfolgs ausnahmsweise nicht erkannt oder jedenfalls darauf vertraut hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten, ist der Tatrichter verpflichtet, sich hiermit auseinander zu setzen (Senat, Urteil vom 16. September 2015 – 2 StR 483/14, NStZ 2016, 25, 26). Bezugspunkt der Prüfung des bedingten Tötungsvorsatzes ist dabei die konkrete Tathandlung, die nach dem Vorstellungsbild des Täters den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges herbeiführen soll.
14
2. Gemessen an diesen Maßstäben fehlt es an der erforderlichen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes sprechenden Umstände.
15
Zwar hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte H. die lebensgefährlichen Verletzungen des bewusstlosen A. erkannt und wahrgenommen hat, dass sich bereits am Tatort um seinen Kopf herum eine große Blutlache gebildet hatte. Dass das Landgericht vor diesem Hintergrund unter Berücksichtigung der eigenen Einlassung des Angeklagten, er sei davon ausgegangen , dass der Geschädigte zu seiner Rettung unverzüglich ärztliche Hilfe benötige, sich von dem Wissenselement des bedingten Tötungsvorsatzes überzeugt hat, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
16
Das Landgericht hat jedoch angenommen, dass der Angeklagte H. nach seinem Vorstellungsbild den Tod des A. billigend in Kauf nahm, weil er ihn „durch seinen Transport […] bewusst von jeder Rettungsmöglichkeit“ habe fernhalten wollen. Dabei hat das Schwurgericht, das sich für seine Rechtsauffassung auf das Urteil des 1. Strafsenats vom 20. September 2005 (1 StR 288/05, NStZ-RR 2006, 10 f.) gestützt hat, nicht dargelegt, aufgrund welcher konkreten Tatsachen der Angeklagte H. annahm, der Schwerverletzte A.
hätte - am Tatort zurückgelassen - durch das Eingreifen Dritter gerettet werden können. Dies verstand sich hier auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalls nicht selbst. Zwar konnte die festgestellte ohrenbetäubende Explosion, die der Angeklagte H. auch in einer Entfernung rund zwei Kilometer vom Tatort entfernt noch wahrgenommen hatte, sowie das unerwartete Ausmaß der eingetretenen Zerstörung und der Umstand, dass sich der Tatort in der Nähe einer Ortschaft befand, für die Erwartung des Angeklagten H. sprechen , dass Polizei und Feuerwehr alsbald am Tatort eintreffen würden und den schwerverletzten A. retten könnten. Auch der Umstand, dass der Mitangeklagte D. den Tatort absichern und „Schmiere stehen“ sollte, konnte auf die Erwartung des Angeklagten hindeuten, dass der Bahnhof ungeachtet seiner Abgeschiedenheit und der nächtlichen Stunde von dritten Personen aufgesucht werden könnte. Von selbst verstand sich dies jedoch nicht und hätte näherer Darlegung und Erörterung in den Urteilsgründen bedurft.
17
Darüber hinaus hätte sich das Landgericht bei Prüfung der voluntativen Seite des bedingten Tötungsvorsatzes näher mit der Einlassung des Angeklagten H. auseinandersetzen müssen. Dieser hatte angegeben, den Verletzten A. gemeinsam mit dem Mitangeklagten D. in das Fahrzeug gelegt zu haben, um ihn in ein Krankenhaus zu bringen. Der damit dokumentierte Rettungswille konnte gegen die billigende Inkaufnahme des tödlichen Erfolges des mit dem Tatopfer befreundeten Angeklagten sprechen, auch wenn er außerdem bekundet hatte, dass ihm klar gewesen sei, dass A. nur durch sofortige ärztliche Hilfe habe gerettet werden können. Dass der Angeklagte, der außerdem angab, angenommen zu haben, der Geschädigte A. werde überleben, nicht auf ein Ausbleiben des – ihm unerwünschten – Erfolgs vertraute, verstand sich in Ansehung dieser widersprüchlich anmutenden Einlassungen nicht von selbst und hätte näherer Darlegung und Erörterung bedurft.
18
In Ansehung dieser Umstände hätte das Schwurgericht ungeachtet der Motivlage des Angeklagten, seine Beteiligung an der Automatensprengung zu verschleiern, das voluntative Element bedingten Tötungsvorsatzes sorgfältiger als geschehen begründen müssen.
19
Der hierin liegende Rechtsfehler nötigt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Die Urteilsaufhebung war auf den nicht revidierenden Mitangeklagten D. zu erstrecken, weil der Rechtsfehler auch ihn betrifft (§ 357 StPO). Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Fischer Eschelbach Ott Zeng Bartel
4
Diese Beweiswürdigung zum Heimtückemord ist zu beanstanden, weil das Landgericht nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat, dass der tödlichen Verletzung des Opfers durch Messerstiche ein nur von Verletzungsvorsatz getragenes Handeln infolge eines Streits, einer wirklichen oder vermeintlichen Provokation vorausgegangen sein kann. Dieser Geschehensablauf, der einer Annahme von Heimtücke entgegenstehen könnte, wäre jedoch zu erwägen gewesen , weil ein Tötungsmotiv nicht festgestellt wurde und das objektive Geschehen von Handlungen mit zunehmender Gefährlichkeit geprägt war. Eine von Anfang an von Tötungsvorsatz getragene Mehrzahl von Tathandlungen, die mit dem Bewusstsein der Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers einhergingen, liegt bei dieser Sachlage ferner als ein anfängliches Handeln mit Verletzungsvorsatz, dem ein Vorsatzwechsel zum Tötungsverbrechen gefolgt ist. Die vom Landgericht als Indiz gegen einen Vorsatzwechsel betrachtete Feststellung einer unmittelbaren Abfolge aller Tathandlungen ist nicht tragfähig begründet worden. Das Landgericht hat nicht bedacht, dass die Annahme, die Zeugin N. habe kurz vor der Wahrnehmung des Angeklagten beim Verlassen der Wohnung einen "Schrei" des Opfers gehört, kaum mit dessen sofortiger Bewusstlosigkeit infolge des überraschenden Schlages ins Gesicht vereinbar ist. Die weitere Indiztatsache, dass das Opfer die ausgeschlagenen Zähne nicht ausgespuckt oder verschluckt hat, kann der Bewusstlosigkeit geschuldet gewesen sein und besagt ebenfalls nichts über den zeitlichen Abstand zwischen dem Schlag und den Messerstichen.

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

26
Heimtücke im Sinne des § 211 StGB setzt Arglosigkeit und dadurch bedingte Wehrlosigkeit des Opfers voraus. Die Arglosigkeit entfällt, wenn das Opfer mit einem jedenfalls erheblichen körperlichen Angriff rechnet (BGH, Urteile vom 26. Februar 1993 - 3 StR 207/92, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 17 mwN und vom 15. April 1987 - 2 StR 32/87, BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 4 mwN). Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem der Täter den ersten Angriff mit Tötungsvorsatz führt (BGH aaO). Jedoch entfällt die Arglosigkeit dann nicht, wenn die Spanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem Angriff zu kurz war, um dem Opfer noch zu ermöglichen, dem Angriff zu begegnen (BGH, Urteil vom 15. September 2011 - 3 StR 223/11 mwN; zusammenfassend Schneider in MüKo-StGB, 2. Aufl., § 211 Rn. 151 mwN in Fn. 615).

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

3
Der Angeklagte lebte vorübergehend im Haushalt seiner Cousine M. B. , des späteren Tatopfers, zu der er eine intime Beziehung unter- hielt. Am Abend des 28. Februar 2005 kamen in ihm unbegründete Eifersuchtsgedanken auf. Er steigerte sich derart hinein, dass er nicht einschlafen konnte. Der Angeklagte, der alkoholabhängig ist, aber seit sieben Jahren abstinent lebte , wurde alkoholrückfällig. Er trank heimlich 0,5 Liter 40 %-igen Calvados.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 217/08
vom
19. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 18. Dezember 2007 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen heimtückisch begangenen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

I.

2
Die Kammer hat folgende Feststellungen getroffen: 1. Der Angeklagte und die zur Tatzeit 31-jährige Geschädigte Z. führten eine Beziehung. Nachdem sich diese verschlechtert und die Geschädigte neue Männerbekanntschaften gesucht hatte, trennte sie sich mit SMS vom 2. April 2007 vom Angeklagten. Am Freitag, den 20. April 2007 kam es zwischen den beiden zum Streit wegen der von Z. gewollten Trennung und wegen ihrer neuen Beziehung. Der Angeklagte seinerseits schlug die Fort- führung einer jedenfalls sexuellen Beziehung vor. Darauf ging Z. noch nicht konkret ein. Der Angeklagte erwartete, über das Wochenende hierüber Bescheid zu erhalten.
3
Am 23. April 2007 sollte der Angeklagte vereinbarungsgemäß einen Rasenmäher zur Geschädigten bringen. Am Abend des 22. April 2007 stellte der Angeklagte eine Garotte her, die als Drosselinstrument geeignet war. Dazu sägte er aus einem Kinderbett zwei Rundholzstäbe heraus und verband sie mit einer Kordel. Damit wollte der Angeklagte gegenüber Z. vortäuschen, einen Rasenmäher wieder aktivieren zu können. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass man die Garotte als Würgeinstrument verwenden könnte. Bereits am 22. April 2007 kam dem Angeklagten in den Sinn, dass er Z. etwas antun und dass er hierzu die Garotte als Würgeinstrument verwenden könnte.
4
Am Morgen des 23. April 2007 fuhr der Angeklagte, ohne Tötungsvorsatz zu haben, zu Z. , wo er gegen 08.15 Uhr eintraf. Die angefertigte Garotte hatte er in der Jackentasche eingesteckt. Sein Fahrzeug parkte er rückwärts in die Einfahrt. Im Kofferraum war eine Plane vorbereitet. Z. ging davon aus, dass der Angeklagte absprachegemäß einen Rasenmäher bringen und sein restliches Werkzeug abholen würde. Bis um 11.16 Uhr verlief der Besuch problemlos, wie sich aus einem von Z. zu diesem Zeitpunkt geführten Telefongespräch ergibt.
5
2. Weitgehend auf Grundlage der Angaben des Angeklagten stellte die Kammer zum Geschehensablauf in objektiver und subjektiver Hinsicht Folgendes fest:
6
Zwischen 11.17 und 12.00 Uhr tötete der Angeklagte Z. . Diese berichtete dem Angeklagten von gemeinsamen Aktivitäten mit ihrem neuen Partner und erklärte, dass sie mit dem behinderten Kind des Angeklagten nichts anfangen könne und dass dieses verzogen sei. Durch diese Äußerung war der Angeklagte aufgebracht. Er setzte sich neben die Geschädigte auf das Sofa, wollte sich beruhigen und legte einen Arm um sie. Nachdem die beiden fünf bis zehn Minuten so schweigsam saßen, sagte Z. , es sei besser, wenn der Angeklagte jetzt gehe. Hierbei drückte sie ihn leicht von sich weg. Der Angeklagte sah hierin eine negative Antwort auf seine Frage bezüglich einer weiteren sexuellen Beziehung.
7
Ohne dass Z. – wie der Angeklagte erkannte – auf einen körperlichen Angriff vorbereitet gewesen wäre, würgte sie der Angeklagte nun unvermittelt mit beiden Händen am Hals. Zu diesem Zeitpunkt wollte der Angeklagte noch nicht bedingt oder direkt den Tod der Geschädigten herbeiführen, sondern seine Aggressionen wegen der gescheiterten Beziehung durch Verletzung ihres Körpers abbauen. Nach diesem Würgen landeten beide auf dem Boden. Der Angeklagte lag auf der Geschädigten, hörte kurzfristig mit dem Würgen auf und Z. äußerte zweimal, dass sie den Angeklagten liebe, in der Hoffnung, er beende dadurch seinen Angriff. Der Angeklagte sah diese Äußerung jedoch als Lüge an und würgte sie erneut mit Körperverletzungsvorsatz.
8
Plötzlich hatte die Geschädigte, die mit dem Rücken auf dem Boden lag, einen Schürhaken in der Hand. Der Angeklagte entwand ihr diesen, legte ihn ihr quer über den Hals und brachte mit beiden Händen und mit einem Knie erhebliches Gewicht auf den Haken, wobei sich der direkte Körperverletzungsvorsatz zum bedingten Tötungsvorsatz gewandelt hatte. Der Angeklagte wollte die Geschädigte nun massiv bestrafen, wobei er ihren Tod als möglich erachtete und billigend in Kauf nahm. Z. gelang, abgesehen von Kratzen im Gesicht, keine Gegenwehr. Anschließend drehte der Angeklagte sein Opfer in Bauchlage , nahm – weiterhin mit bedingtem Tötungsvorsatz – die angefertigte Garotte, legte die Schnur über Kreuz um den Hals der Geschädigten und zog mit beiden Händen kräftig zu. Nachdem er eine zeitlang zugezogen hatte und die Geschädigte nicht mehr aufstehen konnte, nahm er ein Beil, das abgestellt war, und schlug ihr – nunmehr mit direktem Tötungsvorsatz – mit der stumpfen Seite mehrmals kräftig ins Genick.
9
Nach der Tat steckte der Angeklagte die Getötete in einen Bettüberzug, den er aus dem Schlafzimmer geholt hatte, schleifte das Opfer zu dem rückwärts in der Einfahrt geparkten Auto, breitete die im Kofferraum befindliche Folie aus, legte die Leiche dort ab und fuhr anschließend nach N. .

II.


10
Die Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke hält auf der Grundlage dieser Feststellungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
11
1. Nach ständiger Rechtsprechung kommt es bei heimtückisch begangenem Mord hinsichtlich der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers auf den Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs an (BGHSt 32, 382, 384; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16 jew. m.w.N.). Arglosigkeit des Tatopfers ist allerdings auch dann anzunehmen, wenn der überraschende Angriff zunächst nicht mit Tötungsvorsatz, sondern nur mit Verletzungsvorsatz geführt wird, jedoch der ursprüngliche Verletzungswille derart schnell in Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, in dem der Täter zu dem auf Tötung gerichteten Angriff übergeht, sodass die Situ- http://www.juris.de/jportal/portal/t/f4l/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE038302307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/f4l/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=3&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR001270871BJNE038302307&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 6 - ation völlig unverändert ist und dem Opfer keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen bleibt. Die Tat muss vielmehr vom ersten Angriff an ihren ganz ungehemmten und nicht zu hemmenden Fortgang nehmen (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 3, 16 und 27; BGH NStZ-RR 2004, 234).
12
2. Diesen Maßstäben wird das landgerichtliche Urteil nicht in vollem Umfang gerecht. Die Kammer hat zwar nicht verkannt, dass nach ihren Feststellungen der Angeklagte den ersten Würgeangriff mit den Händen lediglich mit Verletzungsvorsatz geführt hat. Sie meint aber, der Angeklagte habe sein Opfer völlig überraschend gewürgt und der Übergang vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz sei schnell geschehen, nachdem die Geschädigte einen Schürhaken ergriffen und der Angeklagte ihr diesen entwunden hatte. Währenddessen habe sich der Angeklagte fortwährend auf seinem Opfer befunden, sodass dieses keine Möglichkeit zu relevanten Gegenmaßnahmen gehabt habe. Das Ergreifen des Schürhakens könne nicht als relevante Gegenmaßnahme angesehen werden. Der Angeklagte habe diesen der Geschädigten sofort entwunden. Wegen des Kräfteverhältnisses und des Umstandes, dass sich der Angeklagte bereits auf seinem Opfer befunden habe, habe es keine relevante Chance gehabt. Dies gelte auch für die dem Angeklagten zugefügten Kratzer im Gesicht , die nur eine geringe Abwehrtätigkeit darstellten.
13
3. Diese Erwägungen tragen die Annahme der Heimtücke nicht.
14
a) Die Wehrlosigkeit des Opfers kann selbst dann entfallen, wenn ihm die nicht von vorneherein gänzlich aussichtslose Möglichkeit bleibt, auf den Täter verbal einzuwirken, um den Angriff zu beenden. Von einer Wehrlosigkeit des Opfers im Sinne eines Ausschlusses jedes nicht gänzlich sinnlosen Versuchs, den Täter von der Tötungshandlung abzubringen, kann nur dann ausgegangen werden, wenn festgestellt ist, dass der Entschluss des Täters zur Tötung so unumstößlich war, dass jeder Versuch, ihn davon abzubringen, mit Sicherheit zum Scheitern verurteilt war (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 8).
15
Nach den bisherigen Feststellungen der Kammer landeten der Angeklagte und das Opfer nach dem ersten mit Körperverletzungsvorsatz geführten Angriff auf dem Sofa infolge eines Gerangels auf dem Boden und der Angeklagte hörte kurzfristig mit dem Würgen auf. In dieser Situation äußerte die Geschädigte in der Hoffnung, den Angriff beenden zu können, zweimal, dass sie den Angeklagten liebe. Unter diesen Umständen scheint es nicht ausgeschlossen, dass es der Geschädigten grundsätzlich möglich gewesen wäre, den Angeklagten umzustimmen oder jedenfalls hinzuhalten und so der Bedrohung zu entgehen ; dies insbesondere, da der Angeklagte nach den Urteilsgründen zum Zeitpunkt der Äußerungen noch gar keinen Tötungsvorsatz gefasst hatte und er selbst nach den Liebesbekundungen sein Opfer erneut lediglich mit Körperverletzungsvorsatz würgte. Indem die Kammer ausschließlich auf mögliche Gegenmaßnahmen körperlicher Art abgestellt hat, hat sie sich den Blick für die Möglichkeit verbaler Einwirkung versperrt.
16
b) Auch nach dem ersten Angriff würgte der Angeklagte die Geschädigte erneut lediglich mit Körperverletzungsvorsatz. Erst nachdem er ihr den Schürhaken entwunden hatte und ihr diesen auf den Hals drückte, handelte er nach den Feststellungen erstmals mit bedingtem Tötungsvorsatz. Bei diesem Tatgeschehen , bei dem sich die Situation wiederholt gewandelt, der Angeklagte – aus welchem Grund auch immer – in seinem Würgeangriff innegehalten hat, die Geschädigte versucht hat, den Angriff verbal zu beenden, und bei dem die ersten beiden Angriffe lediglich mit Körperverletzungsvorsatz geführt wurden, kann nicht davon gesprochen werden, die Situation sei von Beginn an völlig unverändert gewesen und es sei keine Zeit zu irgendwie gearteten Gegenmaßnahmen geblieben (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 16).
17
c) Schließlich geht die Kammer bei der Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers auch von einem falschen Ansatz aus, indem sie darauf abstellt , der Körperverletzungsvorsatz sei schnell in Tötungsvorsatz übergegangen , nachdem der Angeklagte seinem Opfer den Schürhaken entwunden habe (UA S. 45). Das Landgericht durfte jedoch den Umstand nicht außer Acht lassen , dass dem ersten mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Angriff ein weiterer lediglich mit Körperverletzungsvorsatz geführter Würgeangriff voranging, nachdem der Angeklagte für kurze Zeit mit dem ersten – ebenfalls nur von Körperverletzungsvorsatz getragenen – Würgen aufgehört und die Geschädigte ihm ihre Liebe bekundet hatte. Vielmehr ist bei der Beurteilung der Arg- und Wehrlosigkeit darauf abzustellen, ob der Körperverletzungsvorsatz beim ersten, überraschenden Angriff derart schnell in Tötungsvorsatz umschlägt, dass der Überraschungseffekt bis zu dem Zeitpunkt andauert, in dem der Täter zu dem auf Tötung gerichteten Angriff übergeht.

III.


18
Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass für die neue Hauptverhandlung auf Folgendes hinzuweisen:
19
1. Das Tatgericht ist nicht gehalten, auch entlastende Einlassungen des Angeklagten, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine Beweise gibt, den Urteilsfeststellungen ohne weiteres als unwiderlegbar zugrunde zu legen. Der Tatrichter hat nach ständiger Rechtsprechung vielmehr auf der Grundlage des gesamten Beweisergebnisses zu entscheiden, ob derartige Angaben geeignet sind, seine Überzeugungsbildung zu beeinflussen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGH NStZ 2002, 48; NJW 2007, 2274). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (vgl. nur BVerfG, Beschl. vom 8. November 2006 - 2 BvR 1378/06; BGH NStZ-RR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36; NJW 2007, 2274).
20
Die vom Landgericht getroffene Feststellung, der Angeklagte sei ohne Tötungsabsicht zur Geschädigten gefahren und habe sowohl den ersten als auch den zweiten Würgeangriff mit den Händen lediglich mit Körperverletzungsvorsatz geführt, bevor er dann – ohne ersichtlichen Grund – mit Tötungsvorsatz gehandelt habe, hat keine erkennbaren realen Anknüpfungstatsachen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Angeklagte am Tattag die Garotte in seiner Jackentasche trug, eine Plane im Kofferraum seines Fahrzeugs hatte, auf der er später die Leiche zum Abtransport ablegte , und das Fahrzeug bereits rückwärts in der Einfahrt geparkt hatte. Gleiches gilt für die Annahme der Kammer, der Angeklagte habe am Abend vor der Tat die Garotte hergestellt, um damit der Geschädigten vorzutäuschen, einen Rasenmäher wieder aktivieren zu können, wobei es ihm gleichzeitig in den Sinn gekommen sei, dass er ihr damit etwas antun und hierzu die Garotte als Würgeinstrument verwenden könnte.
21
2. Außerdem ist Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt nicht eine absolute, das Gegenteil oder andere Möglichkeiten denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt. Der Tatrichter ist also nicht gehindert, an sich mögliche, wenn auch nicht zwingende Folgerungen aus bestimmten Tatsachen zu ziehen, wenn diese tragfähig sind (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 22, 25; BGH NStZ-RR 2004, 238). Im Hinblick darauf begegnet die Formulierung des Landgerichts rechtlichen Bedenken, wonach aus dem Umstand, dass der Angeklagte am Tattag im Kofferraum seines Fahrzeugs eine Plane vorbereitet hatte – die er letztlich auch zum Abtransport der Leiche benutzte –, „keine zwingenden Schlüsse gezogen werden“ könnten (UA S. 14). Dies lässt besorgen, dass sich die Strafkammer nicht bewusst war, dass aus einer Indiztatsache auch zu Ungunsten des Angeklagten Schlüsse, die nicht zwingend, sondern nur möglich sind, gezogen werden können, und dass sie damit überspannte Anforderungen an die erforderliche Überzeugungsbildung gestellt hat.
22
3. Im Übrigen ist es regelmäßig verfehlt, nach den tatsächlichen Feststellungen die Aussagen sämtlicher Zeugen der Reihe nach und in ihren Einzelheiten mitzuteilen. Die schriftlichen Urteilsgründe dienen nicht dazu, den Inhalt der in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zu dokumentieren. Sie sollen das Ergebnis der Hauptverhandlung wiedergeben und die rechtliche Nachprüfung der getroffenen Entscheidung ermöglichen. Die Beweiswürdigung setzt sich mit der Einlassung des Angeklagten auseinander, soweit diese von den für Schuldund Rechtsfolgenausspruch wesentlichen Feststellungen abweicht. Mit der Be- weiswürdigung soll der Tatrichter lediglich belegen, warum er bestimmte, bedeutsame tatsächliche Umstände so festgestellt hat. Hierzu wird er Zeugenaussagen , Urkunden und ähnliches heranziehen, soweit deren Inhalt für die Überzeugungsbildung wesentlich ist (BGH NStZ 1998, 51). Nack Wahl Boetticher Elf Sander

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

22
a) Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch weisen keine so enge Verbindung auf, dass – ausnahmsweise (näher Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 318 Rn. 7a mwN) – eine getrennte Überprüfung des angefoch- tenen Teils nicht möglich wäre. Die getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß § 145a StGB belegen die durch die Weisungsverstöße begründete konkrete Gefährdung des Maßregelzwecks. Einer ausdrücklichen Erwähnung dieser Gefährdung bedurfte es nicht, lag doch in einem der beiden Weisungsverstöße zugleich die Begehung einer neuen Sexualstraftat zu Lasten eines Kindes.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 331/11
vom
24. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. November
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Bender,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Nebenkläger-Vertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 19. Januar 2011 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels sowie die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung und einem Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat es abgesehen. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision, die sie auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkt hat.
2
Das vom Generalbundesanwalt nicht vertretene Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


3
Nach den Feststellungen sprach das Amtsgericht Ueckermünde den Angeklagten mit Urteil vom 12. Mai 2004 des sexuellen Missbrauchs eines Kindes schuldig und setzte die Entscheidung über die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung aus. Der Angeklagte hatte im Dezember 2002 ein ihm unbekanntes sechsjähriges Mädchen dazu veranlasst, sich auszuziehen und nackt mit dem Rücken auf ein Sofa zu legen. Anschließend hatte sich der bis auf einen Pullover entkleidete Angeklagte mit dem Bauch auf den Körper des Kindes gelegt. Als das Mädchen begonnen hatte zu weinen, hatte der Angeklagte ihm zunächst den Mund mit einer Hand zugehalten, dann aber aus Mitleid von ihm abgelassen. Am 20. Juli 2006 verurteilte das Amtsgericht Pasewalk den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts Ueckermünde vom 12. Mai 2004 zu der Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Dem lag zu Grunde, dass der Angeklagte Ende 2005/Anfang 2006 einem zwölf Jahre alten Jungen die Hosen heruntergezogen und ihn durch Festhalten mit den Händen dazu gezwungen hatte zu erdulden, dass der Angeklagte an dem Geschlechtsteil des Jungen manipuliert, und es schließlich auch in den Mund genommen hatte. Die Jugendstrafe verbüßte der Angeklagte vollständig bis zum 1. August 2008. Anschließend unterlag er der Führungsaufsicht , in deren Rahmen ihm u.a. die Weisung erteilt wurde, keinerlei Kontakt zu Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren aufzunehmen.
4
Bei der im vorliegenden Verfahren abgeurteilten, am 16. August 2010 begangenen Tat sprach der Angeklagte einen ihm unbekannten neunjährigen Jungen auf der Straße an, lockte ihn unter einem Vorwand in seine Wohnung und veranlasste ihn, sich zu entkleiden. Dem nackt auf einer Couch liegenden Kind führte der Angeklagte, der sich selbst Hose und Unterhose ausgezogen hatte, einen Plastikschlauch in den Anus bis zum Rektum ein und ließ anschließend Wasser über den Schlauch in den Darm des Kindes laufen. Das Einführen des Plastikschlauchs führte - vom Angeklagten billigend in Kauf genommen - zu Einrissen im Anus sowie zu Verletzungen der Anal- und Rektumschleimhaut.
5
Eine Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat das Landgericht abgelehnt, weil es die formellen Voraussetzungen für die Anordnung dieser Maßregel als nicht erfüllt angesehen hat.

II.


6
Die wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel beschränkte Revision ist unbegründet. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin hat das Landgericht die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. zu Recht verneint.
7
1. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel wirksam auf die Frage der Sicherungsverwahrung beschränkt. Zwischen dem Strafausspruch und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine der Rechtsmittelbeschränkung entgegenstehende Wechselwirkung (vgl. BGH, Urteile vom 24. März 2010 – 2 StR 10/10, NStZ-RR 2010, 239; vom 7. Mai 2009 - 3 StR 122/09; vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, NStZ 2007, 212, 213). Ein Ausnahmefall, in welchem auf Grund des Inhalts der Urteilsgründe ein innerer Zusammenhang zwischen Strafe und Nichtanordnung der Maßregel nicht auszuschließen ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. Februar 1994 – 3 StR 679/93, NStZ 1994, 280, 281), liegt nicht vor.
8
2. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach der Bestimmung des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F., die bei vor dem 1. Januar 2011 begangenen Anlasstaten nach Maßgabe der Übergangsvorschrift des Art. 316e Abs. 1 und 2 EGStGB sowie der vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 4. Mai 2011 – 2 BvR 2365/09 (NJW 2011, 1931, Rn. 172) getroffenen Fortgeltungsanordnung weiterhin Anwendung findet, setzt in formeller Hinsicht voraus, dass der Täter zwei Katalogtaten im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB a.F. begangen hat, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat, und er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt wird. Verwirkt ist bei einer bereits abgeurteilten Tat (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2006 – 1 StR 284/06, aaO) die tatsächlich verhängte Strafe (vgl. Rissing-van Saan/Peglau in LK, 12. Aufl., § 66 Rn. 85, und Fischer, StGB, 58. Aufl., § 66 Rn. 12, jew. zu § 66 Abs. 2 StGB). Bei einer einheitlichen Jugendstrafe nach § 31 JGG gelten die gleichen Grundsätze, wie sie die Rechtsprechung für den Anwendungsbereich des § 66 Abs. 1 StGB entwickelt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. Mai 2010 – 5 StR 104/10, NStZ-RR 2011, 170; vom 28. Februar 2007 – 2 StR 28/07, NStZ-RR 2007, 171; vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, NStZ 2002, 29; Urteil vom 27. Mai 1975 – 5 StR 115/75, BGHSt 26, 152). Danach erfüllt eine Einheitsjugendstrafe die Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB a.F. nur dann, wenn zu erkennen ist, dass gegen den Täter wenigstens bei einer ihr zugrunde liegenden Katalogtat eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre. Dies festzustellen, ist eine im Wesentlichen tatrichterliche Aufgabe , die dem über die Sicherungsverwahrung entscheidenden Richter obliegt. Davon, dass im Falle gesonderter Aburteilung der Katalogtat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre, darf nur ausgegangen werden, wenn der Tatrichter Feststellungen darüber treffen kann, wie der Rich- ter des Vorverfahrens die einzelnen der Vorverurteilung zu Grunde liegenden Taten bewertet hat. Er darf sich nicht an dessen Stelle setzen und im Nachhinein eine eigene Strafzumessung vornehmen (BGH, Beschluss vom 23. August 2001 – 3 StR 261/01, aaO). Als Grundlage für die erforderlichen Feststellungen zu der Bewertung der Katalogtat im früheren Verfahren kommen in erster Linie die jugendgerichtlichen Strafzumessungserwägungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 23. August 1996 – 2 StR 337/96, StV 1998, 343; vom 29. Oktober 1990 – 5 StR 251/90, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Vorverurteilungen 6), daneben aber auch die Höhe der Einheitsjugendstrafen in der Vorverurteilung und möglicherweise einbezogenen Urteilen sowie Zahl und Art der abgeurteilten Taten in Betracht (vgl. BGH, Urteile vom 14. Juli 1999 – 3 StR 209/99, NJW 1999, 3723, 3724; vom 13. Juni 1978 – 1 StR 167/78; vom 27. Mai 1975 – 5 StR 115/75, aaO 155).
9
Diesen rechtlichen Maßstab hat das Landgericht beachtet. Es hat die Strafzumessungserwägungen aus dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk und die zu den beiden abgeurteilten Katalogtaten jeweils getroffenen Sachverhaltsfeststellungen im Einzelnen mitgeteilt und sich auf dieser Grundlage außer Stande gesehen festzustellen, dass für die Ende 2005/Anfang 2006 begangene Tat bei gesonderter Aburteilung eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts Pasewalk befassen sich maßgeblich mit erzieherischen Gesichtspunkten und enthalten keine Ausführungen zur Bewertung der einzelnen Taten oder zu deren Gewichtung im Verhältnis zueinander. Auch die jeweiligen Tatgeschehen und ihre rechtliche Würdigung lassen keinen tragfähigen Schluss dahin zu, dass allein für die zuletzt begangene Tat auf eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren erkannt worden wäre. Auf die weiteren Erwägungen der Strafkammer zu den vom damaligen Tatrichter mit der Anwendung von Jugendstrafrecht verfolgten Intentionen kommt es bei dieser Sachlage nicht mehr an. Da es maßgeblich auf die tatsächlich verhängte Strafe ankommt, ist es schließlich auch ohne Bedeutung, dass die Ahndung der dem Urteil des Amtsgerichts Pasewalk zugrunde liegenden Tat zu Unrecht nach Jugendstrafrecht erfolgte und der Tatrichter bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht von der Strafandrohung des § 176a Abs. 2 und 4 StGB hätte ausgehen müssen.
10
Da aus den dargelegten Gründen auch nicht festgestellt werden kann, dass für beide Vortaten bei isolierter Aburteilung jeweils Jugendstrafen von mindestens einem Jahr verhängt worden wären, liegen die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB a.F. ebenfalls nicht vor.

III.


11
Bleibt die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft erfolglos, hat der Nebenkläger seine im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen selbst zu tragen (vgl. BGH, Urteil vom 29. September 2004 – 2 StR 149/04, bei Becker, NStZ-RR 2006, 65, 67; Hilger in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 473 Rn. 90).
Ernemann Roggenbuck Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 284/06
vom
10. Oktober 2006
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Oktober
2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 7. März 2006 im Ausspruch über die Maßregeln mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Vorwegvollzug von zwei Jahren der erkannten Freiheitsstrafe angeordnet. Von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat die Strafkammer abgesehen. Dies beanstandet die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten und auf die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung beschränkten Revision. Diese hat Erfolg. Allerdings erstreckt sich die Aufhebung auch auf die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt. Insoweit ist die Revisionsbeschränkung unwirksam.
2
Der Angeklagte wurde bereits - neben anderen geringeren Vorstrafen - vom Amtsgericht Mühldorf am Inn am 28. Februar 2002 wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Strafkammer hat gleichwohl die von der Staatsanwaltschaft beantragte Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB abgelehnt und zwar schon deshalb, da sie dessen formelle Voraussetzungen nicht als gegeben ansah. Die Strafkammer meint, in den Fällen des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB dürfe nicht - hinsichtlich der weiteren Straftat - auf eine Vorverurteilung abgestellt werden, vielmehr müssten - mindestens - zwei Straftaten der entsprechenden Qualifikation zum Anordnungszeitpunkt zur Aburteilung anstehen. Dies entnimmt die Strafkammer dem Wortlaut der Norm. Außerdem würde sonst § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB „völlig sinnentleert, da sämtliche Fälle, die unter § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB zu subsumieren wären, gleichzeitig dem Satz 2 unterfielen“ , es somit für den § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB keinen gesonderten Anwendungsbereich mehr gäbe.
3
Dies entspricht nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine Strafe ist danach „verwirkt“ (§ 66 Abs. 3 Satz 2 StGB), wenn wegen der Tat eine Verurteilung bereits ergangen ist oder im Zusammenhang mit dem Verfahren , in dem die Frage der Sicherungsverwahrung zu entscheiden ist, ausgesprochen wird (BGH NStZ 2006, 156, 158 Rdn. 5; NJW 1999, 3723, 3724; vgl. auch Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 66 Rdn. 13 m.w.N.). Auch bei dieser am Wortlaut orientierten Auslegung sind die Anwendungsbereiche des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB und des § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB nicht völlig deckungsgleich. Satz 2 setzt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren voraus. Bei der Sichtweise des Landgerichts könnte das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB auch von Zufälligkeiten abhängen, nämlich ob - etwa je nach Arbeitsweise bei verschiedenen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaf- ten oder nach deren Abgabepraxis - eine frühere Tat bereits abgeurteilt ist oder erst gemeinsam mit der weiteren Tat angeklagt wird. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung hat daher keinen Bestand.
4
Der Rechtsmangel zur Frage der Sicherungsverwahrung nötigt nicht dazu , auch den Strafausspruch aufzuheben. Insoweit ist der Umfang des Rechtsmittels wirksam beschränkt. Denn zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung besteht grundsätzlich keine Wechselwirkung (vgl. BGH NStZ 1994, 280, 281; NJW 1996, 3018, 3019 [insoweit in BGHSt 42, 191, nicht abgedruckt]; NStE Nr. 17 zu § 344 StPO). Der Senat kann auch im vorliegenden Fall ausschließen, dass die Strafe von dem Unterbleiben der Anordnung der Maßregel beeinflusst war.
5
Anders ist dies hier hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu bewerten. Zwar kann bei einer Revision , die sich gegen die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung richtet, im Grundsatz nicht nur der Strafausspruch, sondern auch eine angeordnete Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wirksam von der Anfechtung ausgenommen werden (vgl. BGH - Senat - NStZ 2000, 587, 588). Im vorliegenden Fall ist jedoch ein möglicher innerer Zusammenhang zwischen beiden Maßnahmen nicht von vorneherein völlig auszuschließen, zumal die Strafkammer - anders als in der zitierten Entscheidung - schon die formellen Voraussetzungen einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abgelehnt und damit keine Gelegenheit gefunden hat, sich mit den materiellen Voraussetzungen einer Unterbringung - in der Sicherungsverwahrung sachverständig beraten - auseinanderzusetzen. Insoweit erweist sich die Beschränkung der Revision daher als unwirksam. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird ebenfalls aufgehoben, um dem Landgericht so Gelegenheit zu geben, die Voraussetzungen beider Maßregeln gemeinsam aufgrund widerspruchsfreier aktueller Feststellungen hierzu zu prüfen (zu den Voraussetzungen des Absehens von einer Anordnung von Sicherungsverwahrung - sofern die Voraussetzungen dazu im Übrigen gegeben sind - im Hinblick eine angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt vgl. BGH aaO). Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

10
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu Folgendes ausgeführt: „Die Kammer hat zutreffend die formellen Anforderungen einer Si- cherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und 3 StGB als gegeben angesehen (UA S. 99 f.). Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat sie dennoch abgelehnt, da sie sich vom Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 66 StGB nicht überzeugen konnte (UA S. 100-117). Dabei hat sie ihrer Würdigung die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten rechtlichen Maßstäbe zum Vorliegen eines derartigen Hanges (unten 1.) zugrunde gelegt und ist aufgrund einer umfassenden Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass deren Voraussetzungen in der Person des Angeklagten nicht gegeben sind (unten 2.). Die Revision der Staatsanwaltschaft vermag einen Rechtsfehler dieser Würdigung nicht aufzuzeigen (unten 3.). Von der Prüfung der Anordnung einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung hat die Kammer rechtlich beanstandungsfrei abgesehen (unten 4.). 1. Als Hang im Sinne des § 66 StGB ist ein eingeschliffener innerer Zustand des Täters anzusehen, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Er kann sowohl bei einem Täter vorliegen, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist, wie bei einem Täter, der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (stRspr.; vgl. BGH Urteil vom 25. Februar 1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; Urt. vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f. m.w.N.). Der Hang muss sich auf erhebliche rechtswidrige Taten richten (Fischer StGB 63. Aufl. § 66 Rdn. 57 m.w.N.) und zur Zeit des tatgerichtlichen Urteils gegeben sein (BGH Urteil vom 8. Juli 2005 aaO S. 193 m.w.N.). Der Hang ist ein der gerichtlichen Würdigung unterliegender Rechtsbegriff, die Beurteilung seines Vorliegens darf daher nicht einem Sachverständigen überantwortet werden (vgl. Rissing-van Saan/Peglau LK StGB 12. Aufl. § 66 Rdn. 117 m.w.N.). Die gerichtliche Würdigung ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Ange- klagten, der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände vorzunehmen (vgl. Rissingvan Saan/Peglau LK StGB 12. Aufl. § 66 Rdn. 100 m.w.N.). Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume zwar im Grundsatz, aber nicht zwingend gegen einen Hang sprechen. Dessen Annahme bedarf in derartigen Fällen besonders eingehender Begründung (Rissing-van Saan/Peglau a.a.O. Rdn. 131; m.w.N.). Verstärkten Begründungsanforderungen unterliegt die Annahme des Hangs auch in den Fällen des § 66 Abs. 2 und 3 StGB (wie hier), da die für die Würdigung zur Verfügung stehende Tatsachenbasis regelmäßig schmaler ist als in den Fällen des § 66 Abs. 1 StGB (BGH Urteil vom 15. Februar 2011 – 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Fischer a.a.O. Rdn. 51). 2. Diesen Maßstäben genügt das angegriffene Urteil. Die Kammer hat sich ausführlich mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten , dessen Vorleben und sozialen Verhältnissen (UA S. 101ff., 105f, 108f., 112f) sowie den Symptom- und Anlasstaten (UA S. 103ff., 113ff.) auseinander gesetzt. Sie hat hervorgehoben, dass erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 StGB nur durch die innerhalb von 16 Tagen begangene Serie von drei Sexualstraftaten im Jahre 2008 gegeben sind. Weder für das Vorleben des zur Tatzeit 44-jährigen Angeklagten noch für die sieben darauf folgenden Jahre waren andere erhebliche Straftaten festzustellen. In Anbetracht dessen könne weder von einem Täter gesprochen werden, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, noch von einem , der immer wieder strafffällig werde, wenn sich die Gelegenheit biete (UA S. 113f.). Die Kammer hat nicht übersehen, dass beim Angeklagten von einer Persönlichkeitsstörung mit starken dissozialen Zügen auszugehen ist (UA S. 14, 68-70), die ein Indiz für einen Hang darstellen kann. Ihre Wertung, der Umstand, dass trotz dieser Persönlichkeitsstörung nur eine singuläre und kurzzeitige Tatserie festzustellen ist, spreche gegen ein eingeschliffenes Verhaltensmuster zur Begehung derartiger Taten (UA S. 114), ist rechtlich nicht zu beanstanden. 3. Die Auffassung der Revision, die Gesamtwürdigung der Strafkammer sei lückenhaft und enthalte Wertungswidersprüche (RB S. 5), ist vor allem damit begründet, der Sachverständige habe bekundet, dass bei Sexualstraftaten das Rückfallrisiko mit Zeitablauf wieder ansteige, womit die Kammer sich nicht auseinander gesetzt habe (RB S. 6f). Diese Darstellung wird von den Urteilsgründen nicht getragen. Im Gegenteil hat der Sachverständige bekundet, dass aus der Gruppe der Sexualstraftäter einzelne Täter auch noch nach 15 oder 20 Jahren wieder mit Sexualstraftaten rückfällig geworden seien (UA S. 105). Gewisse Ruhepausen sprächen zwar grundsätzlich gegen eine Hangtäterschaft, erneute Delinquenz sei aber bei Sexualstraftätern nicht ungewöhnlich (UA S. 107). Das Rückfallrisiko erhöhe sich bei Mehrfachtätern gegenüber dem bei Ersttätern (UA S. 108). Diese Angaben hat die Kammer, wie auch die weiteren von der Revision hervorgehobenen Umstände, bei ihrer Gesamtbetrachtung mitberücksichtigt. Ihre Entscheidung lässt eine Überschreitung des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums nicht erkennen. 4. Den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) brauchte die Strafkammer vorliegend nicht zu erörtern, auch wenn bei der regen Reisetätigkeit des Angeklagten im Ausland (UA S. 15) nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich zukünftig noch Erkenntnisse über frühere, im Ausland begangene Straftaten ergeben könnten (vgl. UA S. 115). Gemäß Art. 316e Abs. 1 S. 1 EGStGB ist jedoch für vor dem 1. Januar 2011 begangene Taten § 66a a.F. anwendbar. Der Bundesgerichtshof hat für diese Fassung des Gesetzes in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass für das Merkmal des Hangs eine positive Feststellung erforderlich ist (vgl. die Nachweise bei Rissing-van Saan/Peglau a.a.O. § 66a Rdn. 32 m.w.N.). Daran aber fehlt es vorliegend.“

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

22
a) Schuldspruch und Rechtsfolgenausspruch weisen keine so enge Verbindung auf, dass – ausnahmsweise (näher Paul in Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl., § 318 Rn. 7a mwN) – eine getrennte Überprüfung des angefoch- tenen Teils nicht möglich wäre. Die getroffenen Feststellungen zu den Taten gemäß § 145a StGB belegen die durch die Weisungsverstöße begründete konkrete Gefährdung des Maßregelzwecks. Einer ausdrücklichen Erwähnung dieser Gefährdung bedurfte es nicht, lag doch in einem der beiden Weisungsverstöße zugleich die Begehung einer neuen Sexualstraftat zu Lasten eines Kindes.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 645/10
vom
15. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. Februar 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2010 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zahlreicher Sexualdelikte (Einzelstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat gemäß § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen dargelegt, weshalb es entgegen dem in der Verhandlung von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat. Mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft insbesondere die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung; sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

II.

2
Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler ergeben.
3
1. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung weist keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB jeweils aF (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) vorliegen. Es hat aber rechtsfehlerfrei in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S. den gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF erforderlichen Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten verneint.
4
Soweit die Staatsanwaltschaft eine fehlerhafte Ermessensausübung durch das Landgericht rügt, übersieht sie, dass der Begriff des Hangs ein Rechtsbegriff ist, der der rechtlichen Würdigung des Tatrichters unterliegt (vgl. u.a. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3). Eine Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB aF für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nur dann zu treffen, wenn der Hang zu erheblichen Straftaten rechtsfehlerfrei festgestellt ist.
5
Das Landgericht ist von einem zutreffenden Verständnis des Rechtsbegriffs "Hang" ausgegangen. Das Merkmal "Hang" i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige , der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung (wobei der Rechtsbegriff "Hang" als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09 Rn. 9) - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner maßgebenden Umstände dem erkennenden Richter (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 Rn. 5). Dem ist hier Genüge getan. Das Landgericht hat alle für das Vorliegen eines Hanges wesentlichen Gesichtspunkte einer umfassenden Würdigung unterzogen. Hierbei hat es durchaus die für einen Hang des Angeklagten sprechenden Umstände gesehen. Es hat aber im Einzelnen dargelegt und begründet, weshalb es letztlich ein eingeschliffenes Verhaltensmuster nicht erkennen kann. Das Landgericht hat sich dem Gutachter angeschlossen und dessen Erwägungen mitgeteilt, so dass eine revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist. Da es aber selbst die gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen hat, ist nicht zu besorgen, es habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen.
6
Die Revision zeigt mit ihren Beanstandungen keinen Rechtsfehler auf. Zutreffend ist allerdings der Hinweis, dass in Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF nach der gesetzlichen Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein kann. Es ist daher bereits im Ansatz zweifelhaft , ob der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde und dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, maßgeblich zur Verneinung eines Hanges herangezogen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2010 - 1 StR 187/10 Rn. 12 mwN). Das Landgericht hat zwar die Vorverurteilung thematisiert und als nicht einschlägig im engeren Sinn bezeichnet und weiter auch angeführt, dass zwischen der im April 2002 begangenen Tat und den nunmehr gegenständlichen Taten ein Zeitraum von fast sieben Jahren liegt (UA S. 33), es hat diesen Umständen aber nach dem Gesamtkontext der Urteilsgründe kein maßgebliches Gewicht zur Verneinung eines Hanges beigemessen. Denn es hat sich aufgrund eigener Überzeugung (UA S. 32) auch die im Urteil wiedergegebenen (UA S. 31) Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. zu eigen gemacht, die gegen einen Hang des Angeklagten sprechen. So weise der Angeklagte keine dissoziale Persönlichkeitsstruktur oder dissozialen Verhaltensweisen auf und habe in den letzten Jahren keinen Alkohol- oder Drogenmissbrauch betrieben. Weiter sei das unterdurchschnittliche Aggressionspotential des Angeklagten und dessen vorgerücktes Alter von 57 Jahren zu berücksichtigen. Als prognostisch günstig sei zudem u.a. zu werten, dass im Arbeitsleben des Angeklagten weitgehend Kontinuität geherrscht und er erkennbar die Bereitschaft gezeigt habe, sich einer Therapie zu unterziehen. Weiterhin seien als prognostisch günstige Faktoren die spezifische Täter-Opfer-Beziehung, die relativ späte Umsetzung der Paraphilie auf der Verhaltensebene und der Umstand anzusehen, dass das delinquente Verhalten des Angeklagten durch den Arbeitsplatz begünstigt wurde, was ein erhebliches aktives Vorgehen seitens des Angeklagten nicht erforderlich gemacht habe.
7
Im Übrigen darf der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde und dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, indiziell in zurückhaltender Form durchaus in die notwendige Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit eingestellt werden und muss nicht ausgeblendet werden. Denn die Gesamtwürdigung ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn - wie hier - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 274/10 Rn. 4 mwN). So darf auch berücksichtigt werden, dass ein Angeklagter in der Lage war, sich über einen längeren Zeitraum straffrei zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 356/10 Rn. 5).
8
Das Landgericht hat sich auch damit befasst, dass den Angeklagten "Warnhinweise" erreicht haben, hat aber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargetan, dass hiermit keine deutliche Warnfunktion verbunden war. Es liegt daher kein Widerspruch vor, wenn im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend gewertet wird, dass er zweimal auf die von ihm vorgenommenen Massagen "angesprochen" wurde und sich dennoch in der Folgezeit nicht von den von ihm begangenen sexuellen Handlungen hat abhalten lassen (UA S. 27 und 28).
9
Das Landgericht hat weiter rechtsfehlerfrei dargelegt, dass beim Angeklagten eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen nicht vorliegt. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF als auch in § 67b Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 Rn. 7 mwN). Dieser Unterscheidung wird das angefochtene Urteil im Ergebnis gerecht, wenn auch eine gewisse Gefährlichkeit des Angeklagten in entsprechenden Situationen nicht zu verkennen ist, die gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB bei einer etwaigen Reststrafaussetzung zur Bewährung berücksichtigt werden kann.
10
Durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2300) hat sich die Rechtslage hinsichtlich des vorliegenden Falles nicht entscheidungserheblich geändert.
11
2. Soweit die Staatsanwaltschaft in zweiter Linie auch die Strafzumessung rügt, zeigt sie ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Nack Rothfuß Hebenstreit Graf Sander

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 69/10
vom
30. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 30. März
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 8. Oktober 2009 im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Zugleich hat es die Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen die Verurteilung richtet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Nach den Feststellungen missbrauchte der damals 57 oder 58 Jahre alte Angeklagte zwei Mädchen im Alter von zehn oder elf bzw. von zwölf Jahren, die er im unmittelbaren Wohnumfeld kennengelernt und um die er sich im Einverständnis mit den Eltern als hilfsbereiter Nachbar gekümmert hatte. Er holte die Kinder von der Schule ab, machte Ausflüge mit ihnen und ließ sie in seiner Wohnung das Internet nutzen. In den Sommerferien 2008 waren die Kinder ständig von morgens bis abends bei ihm. Die Taten beging der Angeklagte "in dem Zeitraum von Anfang Juni bis Ende August 2008". Eine nähere Eingrenzung war der Kammer - von zwei Taten abgesehen, die am 15. und 16. August 2008 stattfanden - nicht möglich.
3
Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Strafzumessung - insbesondere die Annahme eines besonders schweren Falles des sexuellen Kindesmissbrauchs (§ 176 Abs. 3 StGB) im Fall II. 2. der Urteilsgründe sowie die Verhängung von drei Einzelfreiheitsstrafen von einem Jahr, denen jeweils ein Zungenkuss des Angeklagten mit der zehn- oder elfjährigen M. zugrunde liegt - ist angesichts der Gesamtumstände zwar eher streng, verlässt aber den Bereich des Schuldangemessenen noch nicht.
4
Die Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben, da das Landgericht weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine auf ihm beruhende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet hat.
5
1. Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung (BGH, Urt. vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09 - Rdn. 4).
6
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es führt - unter pauschaler Bezugnahme auf "gutachterliche Feststellungen" des Sachverständigen - lediglich aus, dass "bei dem Angeklagten die aus psychologischpsychiatrischer Sicht für einen Hangtäter sprechenden Risikofaktoren für die Begehung weiterer sexueller Missbrauchstaten von Kindern nach Anzahl und Gewicht (überwiegen). Dieses ließe erwarten, dass der Angeklagte auch weitere im mittleren bis schweren Bereich anzusiedelnde sexuelle Missbrauchstaten begehen wird." Damit ist nicht nur zu besorgen, das Landgericht habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen, es fehlt auch an der notwendigen Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn - wie hier - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (vgl. BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1). In die Würdigung wäre hier u. a. einzustellen gewesen , dass der nicht vorbestrafte Angeklagte bislang ein unauffälliges Leben führte und aus mehreren, zum Teil langjährigen Beziehungen mit Frauen insge- samt vier erwachsene Kinder hatte. Zudem handelte es sich um einen äußerst kurzen Tatzeitraum.
7
Sollte das Landgericht angenommen haben, eine positive Gefährlichkeitsprognose könne die Feststellung eines Hangs ersetzen, wäre auch dies rechtsfehlerhaft. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB als auch in § 67 d Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (BGHSt 50, 188, 196; vgl. auch BGH StV 2008, 301, 320).
8
2. Auch die Beurteilung der Gefährlichkeit des Angeklagten ist rechtlich zu beanstanden. Hier referiert das Landgericht, der Sachverständige habe "zum einen eine statistische Bewertung des von dem Angeklagten ausgehenden Risikos nach dem Verfahren 'Static 99' durchgeführt. … Auf einer bis 10 reichenden Skala habe der Angeklagte einen Skalenwert von 7 erreicht. Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei der Angeklagte damit in den Bereich 'hohes Risiko' einzustufen, der bei dem Skalenwert 6 beginne."
9
Zutreffend an diesen Ausführungen ist allein, dass es sich bei dem "Static 99" um eines von mehreren Prognoseinstrumenten zur Vorhersage von Rückfällen bei Sexualdelinquenz handelt (vgl. hierzu Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in: Kröber u. a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie Bd. 3 S. 1, 32 ff., 41 ff.; Dahle FPPK 2007, 15, 17), dessen Qualität inzwischen auch durch Studien in Europa getestet worden ist (vgl. Nedopil, Forensische Psychiatrie 3. Aufl. S. 248; Rettenberger/Eher MschrKrim 2006, 352, 358; Noll u. a MschrKrim 2006, 24, 29; Endrass u. a. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 2009, 284; Dahle u. a. FPPK 2009, 210, 216, 219). Es ist aber bereits nicht ersichtlich, wie der Sachverständige bei dem unbestraften, nahezu 60jährigen Angeklagten, der mehrere langjährige Beziehungen zu Frauen hatte, seine durchweg weiblichen Opfer und deren Familien im nachbarschaftlichen Umfeld seit längerem kannte und bei seinen Taten ohne Gewalt vorging, zur Vergabe von sieben Risikopunkten kommen konnte. Die Feststellungen des Landgerichts belegen jedenfalls nur einen Risikopunkt (ItemNummer 8: Opfer und Täter sind nicht verwandt). Hinzu kommt, dass sich das Landgericht darauf beschränkt, ein "hohes Risiko" festzustellen, ohne darzulegen , welche Straftaten in welchem Zeitraum mit welcher Wahrscheinlichkeit von dem Angeklagten zu erwarten sind. Nur so könnte nachprüfbar belegt werden, ob der Angeklagte gefährlich ist.
10
Zuletzt lässt das Landgericht außer Acht, dass mit der Feststellung, der Angeklagte weise bei Anwendung irgendeines statistischen Prognoseinstruments eine bestimmte Anzahl von Risikopunkten auf, nichts Entscheidendes gewonnen ist. Solche Instrumente können für die Prognose zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, sind indes nicht in der Lage, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (Dahle FPPK 2007, 15, 24). Zur individuellen Prognose bedarf es über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus zusätzlich einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen. Denn jedes Instrument kann nur ein Hilfsmittel sein, eines von mehreren Werkzeugen, mit denen sich der Gutachter die Prognosebeurteilung erarbeitet (vgl. auch Boetticher u. a. NStZ 2009, 478, 481).
11
Die weiteren, im Urteil wiedergegebenen Erwägungen des Sachverständigen vermögen diese Mängel nicht auszugleichen.
12
3. Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neuerliche Verhandlung doch noch zur Feststellung von Umständen führt, die die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals entschieden werden. Dabei wird sich die Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen empfehlen.
Sost-Scheible Pfister Hubert Schäfer Mayer

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 645/10
vom
15. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
15. Februar 2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 16. Juni 2010 wird verworfen. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen zahlreicher Sexualdelikte (Einzelstrafen von sechs Monaten bis zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat gemäß § 267 Abs. 6 Satz 1 StPO in den Urteilsgründen dargelegt, weshalb es entgegen dem in der Verhandlung von der Staatsanwaltschaft gestellten Antrag Sicherungsverwahrung nicht angeordnet hat. Mit ihrer wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft insbesondere die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung; sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel, das vom Generalbundesanwalt nicht vertreten wird, hat keinen Erfolg.

II.

2
Die Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler ergeben.
3
1. Die Nichtanordnung der Sicherungsverwahrung weist keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und § 66 Abs. 3 Satz 2 StGB jeweils aF (in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) vorliegen. Es hat aber rechtsfehlerfrei in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Dr. S. den gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF erforderlichen Hang des Angeklagten zu erheblichen Straftaten verneint.
4
Soweit die Staatsanwaltschaft eine fehlerhafte Ermessensausübung durch das Landgericht rügt, übersieht sie, dass der Begriff des Hangs ein Rechtsbegriff ist, der der rechtlichen Würdigung des Tatrichters unterliegt (vgl. u.a. BGHR StGB § 66 Abs. 1 Gefährlichkeit 3). Eine Ermessensentscheidung nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 StGB aF für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist nur dann zu treffen, wenn der Hang zu erheblichen Straftaten rechtsfehlerfrei festgestellt ist.
5
Das Landgericht ist von einem zutreffenden Verständnis des Rechtsbegriffs "Hang" ausgegangen. Das Merkmal "Hang" i.S.d. § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige , der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung (wobei der Rechtsbegriff "Hang" als solcher dem Sachverständigenbeweis nicht zugänglich ist; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Januar 2010 - 3 StR 436/09 Rn. 9) - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner maßgebenden Umstände dem erkennenden Richter (st. Rspr.; vgl. u.a. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09 Rn. 4; BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 Rn. 5). Dem ist hier Genüge getan. Das Landgericht hat alle für das Vorliegen eines Hanges wesentlichen Gesichtspunkte einer umfassenden Würdigung unterzogen. Hierbei hat es durchaus die für einen Hang des Angeklagten sprechenden Umstände gesehen. Es hat aber im Einzelnen dargelegt und begründet, weshalb es letztlich ein eingeschliffenes Verhaltensmuster nicht erkennen kann. Das Landgericht hat sich dem Gutachter angeschlossen und dessen Erwägungen mitgeteilt, so dass eine revisionsgerichtliche Überprüfung möglich ist. Da es aber selbst die gebotene Gesamtwürdigung vorgenommen hat, ist nicht zu besorgen, es habe unter Verkennung der Kompetenz- und Verantwortungsbereiche die Entscheidung über den Hang dem Sachverständigen überlassen.
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Die Revision zeigt mit ihren Beanstandungen keinen Rechtsfehler auf. Zutreffend ist allerdings der Hinweis, dass in Fällen des § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF nach der gesetzlichen Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein kann. Es ist daher bereits im Ansatz zweifelhaft , ob der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde und dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, maßgeblich zur Verneinung eines Hanges herangezogen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Juni 2010 - 1 StR 187/10 Rn. 12 mwN). Das Landgericht hat zwar die Vorverurteilung thematisiert und als nicht einschlägig im engeren Sinn bezeichnet und weiter auch angeführt, dass zwischen der im April 2002 begangenen Tat und den nunmehr gegenständlichen Taten ein Zeitraum von fast sieben Jahren liegt (UA S. 33), es hat diesen Umständen aber nach dem Gesamtkontext der Urteilsgründe kein maßgebliches Gewicht zur Verneinung eines Hanges beigemessen. Denn es hat sich aufgrund eigener Überzeugung (UA S. 32) auch die im Urteil wiedergegebenen (UA S. 31) Ausführungen des Sachverständigen Dr. S. zu eigen gemacht, die gegen einen Hang des Angeklagten sprechen. So weise der Angeklagte keine dissoziale Persönlichkeitsstruktur oder dissozialen Verhaltensweisen auf und habe in den letzten Jahren keinen Alkohol- oder Drogenmissbrauch betrieben. Weiter sei das unterdurchschnittliche Aggressionspotential des Angeklagten und dessen vorgerücktes Alter von 57 Jahren zu berücksichtigen. Als prognostisch günstig sei zudem u.a. zu werten, dass im Arbeitsleben des Angeklagten weitgehend Kontinuität geherrscht und er erkennbar die Bereitschaft gezeigt habe, sich einer Therapie zu unterziehen. Weiterhin seien als prognostisch günstige Faktoren die spezifische Täter-Opfer-Beziehung, die relativ späte Umsetzung der Paraphilie auf der Verhaltensebene und der Umstand anzusehen, dass das delinquente Verhalten des Angeklagten durch den Arbeitsplatz begünstigt wurde, was ein erhebliches aktives Vorgehen seitens des Angeklagten nicht erforderlich gemacht habe.
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Im Übrigen darf der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfters straffällig wurde und dass nicht ein bestimmter zeitlicher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, indiziell in zurückhaltender Form durchaus in die notwendige Gesamtwürdigung von Taten und Täterpersönlichkeit eingestellt werden und muss nicht ausgeblendet werden. Denn die Gesamtwürdigung ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn - wie hier - bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 StGB aF in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz erfolgter Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (vgl. u.a. BGH, Beschluss vom 5. Oktober 2010 - 3 StR 274/10 Rn. 4 mwN). So darf auch berücksichtigt werden, dass ein Angeklagter in der Lage war, sich über einen längeren Zeitraum straffrei zu führen (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 2010 - 2 StR 356/10 Rn. 5).
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Das Landgericht hat sich auch damit befasst, dass den Angeklagten "Warnhinweise" erreicht haben, hat aber in rechtlich nicht zu beanstandender Weise dargetan, dass hiermit keine deutliche Warnfunktion verbunden war. Es liegt daher kein Widerspruch vor, wenn im Rahmen der Strafzumessung strafschärfend gewertet wird, dass er zweimal auf die von ihm vorgenommenen Massagen "angesprochen" wurde und sich dennoch in der Folgezeit nicht von den von ihm begangenen sexuellen Handlungen hat abhalten lassen (UA S. 27 und 28).
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Das Landgericht hat weiter rechtsfehlerfrei dargelegt, dass beim Angeklagten eine intensive Neigung zu Rechtsbrüchen nicht vorliegt. Hangtätereigenschaft und Gefährlichkeit für die Allgemeinheit sind keine identischen Merkmale. Das Gesetz differenziert zwischen den beiden Begriffen sowohl in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB aF als auch in § 67b Abs. 3 StGB. Der Hang ist nur ein wesentliches Kriterium der Prognose. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Die Gefährlichkeitsprognose schätzt die Wahrscheinlichkeit dafür ein, ob sich der Täter in Zukunft trotz seines Hanges erheblicher Straftaten enthalten kann oder nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 Rn. 7 mwN). Dieser Unterscheidung wird das angefochtene Urteil im Ergebnis gerecht, wenn auch eine gewisse Gefährlichkeit des Angeklagten in entsprechenden Situationen nicht zu verkennen ist, die gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB bei einer etwaigen Reststrafaussetzung zur Bewährung berücksichtigt werden kann.
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Durch das am 1. Januar 2011 in Kraft getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2300) hat sich die Rechtslage hinsichtlich des vorliegenden Falles nicht entscheidungserheblich geändert.
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2. Soweit die Staatsanwaltschaft in zweiter Linie auch die Strafzumessung rügt, zeigt sie ebenfalls keinen Rechtsfehler auf. Ein solcher ist auch nicht ersichtlich. Nack Rothfuß Hebenstreit Graf Sander
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Die Begründung, mit der das Landgericht das Vorliegen eines Hanges verneint hat, ist nicht zutreffend. Liegen wie im vorliegenden Fall die formellen Voraussetzungen von § 66 Abs. 2 StGB vor, kann nach der gesetzlichen Wertung schon allein aus den abgeurteilten Taten ein Hang ableitbar sein. Es ist daher bereits im Ansatz zweifelhaft, ob der Umstand, dass der Täter nicht schon früher oder öfter straffällig wurde oder dass nicht ein bestimmter zeitli- cher Abstand zwischen den Anlasstaten bestand, maßgeblich zur Verneinung eines Hanges herangezogen werden kann (vgl. BGH, Urt. vom 14. August 2007 - 1 StR 201/07; Urt. vom 4. September 2008 - 5 StR 101/08 m.w.N.). Vielmehr können gerade zeitlich dicht aufeinander folgende Taten in ihrer Häufung für einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters sprechen, der ihn immer neue Straftaten begehen lässt. Durch die daher nicht tragfähig abgelehnte Anordnung von Sicherungsverwahrung ist der Angeklagte aber nicht beschwert.
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Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift hierzu Folgendes ausgeführt: „Die Kammer hat zutreffend die formellen Anforderungen einer Si- cherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 und 3 StGB als gegeben angesehen (UA S. 99 f.). Die Anordnung der Sicherungsverwahrung hat sie dennoch abgelehnt, da sie sich vom Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 66 StGB nicht überzeugen konnte (UA S. 100-117). Dabei hat sie ihrer Würdigung die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten rechtlichen Maßstäbe zum Vorliegen eines derartigen Hanges (unten 1.) zugrunde gelegt und ist aufgrund einer umfassenden Würdigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass deren Voraussetzungen in der Person des Angeklagten nicht gegeben sind (unten 2.). Die Revision der Staatsanwaltschaft vermag einen Rechtsfehler dieser Würdigung nicht aufzuzeigen (unten 3.). Von der Prüfung der Anordnung einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung hat die Kammer rechtlich beanstandungsfrei abgesehen (unten 4.). 1. Als Hang im Sinne des § 66 StGB ist ein eingeschliffener innerer Zustand des Täters anzusehen, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Er kann sowohl bei einem Täter vorliegen, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist, wie bei einem Täter, der aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit dazu bietet (stRspr.; vgl. BGH Urteil vom 25. Februar 1988 – 4 StR 720/87, BGHR StGB § 66 Abs. 1 Hang 1; Urt. vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 195 f. m.w.N.). Der Hang muss sich auf erhebliche rechtswidrige Taten richten (Fischer StGB 63. Aufl. § 66 Rdn. 57 m.w.N.) und zur Zeit des tatgerichtlichen Urteils gegeben sein (BGH Urteil vom 8. Juli 2005 aaO S. 193 m.w.N.). Der Hang ist ein der gerichtlichen Würdigung unterliegender Rechtsbegriff, die Beurteilung seines Vorliegens darf daher nicht einem Sachverständigen überantwortet werden (vgl. Rissing-van Saan/Peglau LK StGB 12. Aufl. § 66 Rdn. 117 m.w.N.). Die gerichtliche Würdigung ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Ange- klagten, der Symptom- und Anlasstaten unter Einbeziehung aller objektiven und subjektiven Umstände vorzunehmen (vgl. Rissingvan Saan/Peglau LK StGB 12. Aufl. § 66 Rdn. 100 m.w.N.). Von besonderer Bedeutung ist dabei die zeitliche Verteilung der Straftaten, wobei längere straffreie Zeiträume zwar im Grundsatz, aber nicht zwingend gegen einen Hang sprechen. Dessen Annahme bedarf in derartigen Fällen besonders eingehender Begründung (Rissing-van Saan/Peglau a.a.O. Rdn. 131; m.w.N.). Verstärkten Begründungsanforderungen unterliegt die Annahme des Hangs auch in den Fällen des § 66 Abs. 2 und 3 StGB (wie hier), da die für die Würdigung zur Verfügung stehende Tatsachenbasis regelmäßig schmaler ist als in den Fällen des § 66 Abs. 1 StGB (BGH Urteil vom 15. Februar 2011 – 1 StR 645/10, NStZ-RR 2011, 204; Fischer a.a.O. Rdn. 51). 2. Diesen Maßstäben genügt das angegriffene Urteil. Die Kammer hat sich ausführlich mit der Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten , dessen Vorleben und sozialen Verhältnissen (UA S. 101ff., 105f, 108f., 112f) sowie den Symptom- und Anlasstaten (UA S. 103ff., 113ff.) auseinander gesetzt. Sie hat hervorgehoben, dass erhebliche Straftaten im Sinne des § 66 StGB nur durch die innerhalb von 16 Tagen begangene Serie von drei Sexualstraftaten im Jahre 2008 gegeben sind. Weder für das Vorleben des zur Tatzeit 44-jährigen Angeklagten noch für die sieben darauf folgenden Jahre waren andere erhebliche Straftaten festzustellen. In Anbetracht dessen könne weder von einem Täter gesprochen werden, der dauernd zu Straftaten entschlossen ist, noch von einem , der immer wieder strafffällig werde, wenn sich die Gelegenheit biete (UA S. 113f.). Die Kammer hat nicht übersehen, dass beim Angeklagten von einer Persönlichkeitsstörung mit starken dissozialen Zügen auszugehen ist (UA S. 14, 68-70), die ein Indiz für einen Hang darstellen kann. Ihre Wertung, der Umstand, dass trotz dieser Persönlichkeitsstörung nur eine singuläre und kurzzeitige Tatserie festzustellen ist, spreche gegen ein eingeschliffenes Verhaltensmuster zur Begehung derartiger Taten (UA S. 114), ist rechtlich nicht zu beanstanden. 3. Die Auffassung der Revision, die Gesamtwürdigung der Strafkammer sei lückenhaft und enthalte Wertungswidersprüche (RB S. 5), ist vor allem damit begründet, der Sachverständige habe bekundet, dass bei Sexualstraftaten das Rückfallrisiko mit Zeitablauf wieder ansteige, womit die Kammer sich nicht auseinander gesetzt habe (RB S. 6f). Diese Darstellung wird von den Urteilsgründen nicht getragen. Im Gegenteil hat der Sachverständige bekundet, dass aus der Gruppe der Sexualstraftäter einzelne Täter auch noch nach 15 oder 20 Jahren wieder mit Sexualstraftaten rückfällig geworden seien (UA S. 105). Gewisse Ruhepausen sprächen zwar grundsätzlich gegen eine Hangtäterschaft, erneute Delinquenz sei aber bei Sexualstraftätern nicht ungewöhnlich (UA S. 107). Das Rückfallrisiko erhöhe sich bei Mehrfachtätern gegenüber dem bei Ersttätern (UA S. 108). Diese Angaben hat die Kammer, wie auch die weiteren von der Revision hervorgehobenen Umstände, bei ihrer Gesamtbetrachtung mitberücksichtigt. Ihre Entscheidung lässt eine Überschreitung des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums nicht erkennen. 4. Den Vorbehalt der Sicherungsverwahrung (§ 66a StGB) brauchte die Strafkammer vorliegend nicht zu erörtern, auch wenn bei der regen Reisetätigkeit des Angeklagten im Ausland (UA S. 15) nicht ausgeschlossen erscheint, dass sich zukünftig noch Erkenntnisse über frühere, im Ausland begangene Straftaten ergeben könnten (vgl. UA S. 115). Gemäß Art. 316e Abs. 1 S. 1 EGStGB ist jedoch für vor dem 1. Januar 2011 begangene Taten § 66a a.F. anwendbar. Der Bundesgerichtshof hat für diese Fassung des Gesetzes in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass für das Merkmal des Hangs eine positive Feststellung erforderlich ist (vgl. die Nachweise bei Rissing-van Saan/Peglau a.a.O. § 66a Rdn. 32 m.w.N.). Daran aber fehlt es vorliegend.“

(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn

1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die
a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet,
b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder
c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und
4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
Für die Einordnung als Straftat im Sinne von Satz 1 Nummer 1 Buchstabe b gilt § 12 Absatz 3 entsprechend, für die Beendigung der in Satz 1 Nummer 1 Buchstabe c genannten Führungsaufsicht § 68b Absatz 1 Satz 4.

(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.

(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.

(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

4
aa) Anders als seine Vorgängervorschrift (§ 66a Abs. 1 StGB in der Fassung vom 21. August 2002) fordert § 66a Abs. 1 Nr. 3 StGB in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes zur Neuanwendung der Vorschriften der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I 2300) nicht mehr die sichere Feststellung eines Hanges im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB, sondern lässt es sowohl in Bezug hierauf als auch hinsichtlich der hangbedingten Gefährlichkeit ausreichen, dass deren Vorliegen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 15, 26; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 66a Rn. 5; Jehle/Harrendorf in: SSW-StGB, 3. Aufl., § 66a Rn. 8; Stree/Kinzig in: Schönke /Schröder, StGB, 29. Aufl., § 66a Rn. 12; Ullenbruch/Morgenstern in: MüKoStGB , 3. Aufl., § 66a Rn. 62; Ziegler in: BeckOK-StGB, 34. Edition, § 66a Rn. 4; Kinzig, NJW 2011, 177, 178 f.; zur alten Rechtslage vgl. BGH, Urteil vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 194 f.). Dabei darf sich der Tatrichter nicht darauf beschränken, die Gründe dafür anzugeben, warum keine hinreichend sicheren Feststellungen getroffen werden konnten. Vielmehr muss sich aus den Urteilsgründen auch im Sinne einer belegten positiven Feststellung ergeben, dass sowohl das Vorliegen einer Hangtäterschaft als auch das Beste- hen einer hierdurch bedingten Gefährlichkeit für die Allgemeinheit im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB wahrscheinlich sind (vgl. BT-Drucks. 17/3403, S. 29; Sinn in: SK-StGB, 9. Aufl., § 66a Rn. 11). Da es sich insoweit nicht um identische Merkmale handelt, werden in der Regel entsprechende Einzelausführungen erforderlich sein (vgl. BGH, Urteile vom 28. April 2015 – 1 StR 594/14, Rn. 30; vom 8. Juli 2005 – 2 StR 120/05, BGHSt 50, 188, 196; Jehle /Harrendorf, aaO § 66 Rn. 21).

(1) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
jemand wegen einer der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Straftaten verurteilt wird,
2.
die übrigen Voraussetzungen des § 66 Absatz 3 erfüllt sind, soweit dieser nicht auf § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 verweist, und
3.
nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar, aber wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(2) Einen Vorbehalt im Sinne von Absatz 1 kann das Gericht auch aussprechen, wenn

1.
jemand zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren wegen eines oder mehrerer Verbrechen gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit, die sexuelle Selbstbestimmung, nach dem Achtundzwanzigsten Abschnitt oder nach den §§ 250, 251, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255, verurteilt wird,
2.
die Voraussetzungen des § 66 nicht erfüllt sind und
3.
mit hinreichender Sicherheit feststellbar oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen des § 66 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 vorliegen.

(3) Über die nach Absatz 1 oder 2 vorbehaltene Anordnung der Sicherungsverwahrung kann das Gericht im ersten Rechtszug nur bis zur vollständigen Vollstreckung der Freiheitsstrafe entscheiden; dies gilt auch, wenn die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt war und der Strafrest vollstreckt wird. Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden.

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.