Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juli 2018 - XII ZB 72/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Juli 2018 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Die angefochtene Entscheidung, mit der das Landgericht die Beschwerde des seit dem Jahr 2009 in einer geschlossenen Einrichtung lebenden Betroffenen gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung seiner Unterbringung für ein weiteres Jahr zurückgewiesen hat, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 2
- 1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Landgericht den Betroffenen im Beschwerdeverfahren rechtsfehlerhaft nur durch ein beauftragtes Mitglied der Beschwerdekammer angehört hat.
- 3
- a) Allerdings muss die Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht zwangsläufig durch alle Mitglieder der Beschwerdekammer erfolgen. Dies folgt bereits aus § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG, wonach das Beschwerdegericht von einer Anhörung absehen kann, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurde und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Die Beschwerdekammer hat im Rahmen der ihr obliegenden Amtsermittlung nach § 26 FamFG darüber zu befinden, ob es für ihre Entscheidung wegen der Besonderheiten des Falles darauf ankommt, dass sich die gesamte Kammer einen eigenen Eindruck von dem Betroffenen verschafft, oder ob der Kammer durch eine vom beauftragten Richter durchgeführte Anhörung eine ausreichende Grundlage für die zu treffende Entscheidung vermittelt wird. Dabei ist jedoch zu beachten, dass die Anhörung durch den beauftragten Richter nur in ihrem objektiven Ertrag und als dessen persönlicher Eindruck verwertet werden darf (vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 22. März 2017 - XII ZB 358/16 - FamRZ 2017, 996 Rn. 12 mwN und vom 15. Juni 2016 - XII ZB 581/15 - FamRZ 2016, 1446 Rn. 17 mwN).
- 4
- b) Gemessen hieran ist es vorliegend mit § 26 FamFG unvereinbar, dass das Landgericht den Betroffenen lediglich durch die beauftragte Richterin angehört hat. Über Art und Umfang der vorzunehmenden Ermittlungen entscheidet zwar grundsätzlich der Tatrichter nach pflichtgemäßem Ermessen. Das Rechtsbeschwerdegericht hat jedoch unter anderem nachzuprüfen, ob das Beschwerdegericht die Grenzen seines Ermessens eingehalten hat, ferner, ob es von zutreffenden Tatsachenfeststellungen ausgegangen ist (Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 581/15 - FamRZ 2016, 1446 Rn. 19 mwN).
- 5
- Dieser Nachprüfung hält die angefochtene Entscheidung nicht stand. Es kann dahinstehen, ob bereits der objektive Ertrag der Anhörung im Beschwerdeverfahren ausgereicht hätte, das vom Landgericht gefundene Ergebnis zu begründen. Denn das Landgericht hat dem in dieser Anhörung gewonnenen Eindruck vom Betroffenen ausweislich der Gründe des angefochtenen Beschlusses ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, um in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen eine auch im Entscheidungszeitpunkt bestehende Abstinenzunfähigkeit des Betroffenen und eine aus zu erwartenden massiven Alkoholrückfällen folgende unmittelbare Lebensgefahr für ihn zu bejahen. Dabei hat es den mehrfachen Bekundungen des Betroffenen , zukünftig abstinent leben zu wollen, aufgrund des gewonnenen Eindrucks keinen Glauben geschenkt, weil er angesprochen auf seinen Alkoholkonsum ausweichend geantwortet und den Schwerpunkt auf seinen Freiheitswunsch und die als Unrecht empfundene Unterbringung gelenkt habe. Eine kritische Auseinandersetzung mit den lebensbedrohlichen Alkoholexzessen sowie eine nachhaltige Distanz zum Alkohol hätten nicht erkannt werden können. Mithin war der in der Anhörung gewonnene persönliche Eindruck für die Beschwerdeentscheidung ein maßgebliches Kriterium, so dass es zwingend des persönlichen Eindrucks aller drei Kammermitglieder von dem Betroffenen bedurft hätte (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 15. Juni 2016 - XII ZB 581/15 - FamRZ 2016, 1446 Rn. 19).
- 6
- 2. Die Beschwerdeentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 FamFG). Dieses wird den Betroffenen nun durch die Kammer anzuhören haben.
- 7
- Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass sich bei einer lang andauernden Unterbringung wie der des Betroffenen Besonderheiten mit Blick auf die Feststellung der von § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB vorausgesetzten Gefährdung von Leib und Leben des Betroffenen und die hierfür gebotene Begründungstiefe der gerichtlichen Entscheidung sowie für die Frage der Verhältnismäßigkeit der Freiheitsentziehung ergeben können (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. März 2018 - XII ZB 629/17 - FamRZ 2018, 950 Rn. 16 ff., zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt).
- 8
- Sofern sich nach den nun zu treffenden Feststellungen trotz der lange währenden Unterbringung sowohl die getroffene Diagnose und die weitere Abstinenzunfähigkeit des Betroffenen bestätigen als auch ergibt, dass der dadurch bestehenden Eigengefährdung des Betroffenen auch bei engmaschiger Betreuung und Überwachung in einer offenen Wohnform nicht in vertretbarer Weise zu begegnen ist, kann bei dem in Rede stehenden Ausmaß und der Intensität der Gefährdung durchaus eine weitere Unterbringung gerechtfertigt sein. Der Betroffene leidet nach den bisherigen Feststellungen unter anderem auf der Grundlage einer schweren Alkoholabhängigkeit mit chronischem Alkoholismus an einer schweren hirnorganischen Persönlichkeits- und Verhaltensstörung, an einem amnestischen Korsakowsyndrom in Verbindung mit einer instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ mit zusätzlichen narzisstischen und paranoiden Anteilen, außerdem an alkoholtoxischer Leberzirrhose, rezidivierenden akuten Bauchspeicheldrüsenentzündungen, einer chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung mit Bauchspeicheldrüseninsuffizienz und daraus resultierendem labilen insulinpflichtigen Diabetes mellitus, einem epileptischen Anfallsleiden und einer Polyneuropathie. Bei akuten Alkoholentgleisungen wie der vom September 2017 (mit Aufenthalt auf der Intensivstation) drohen nach den Ausführungen des Sachverständigen unter anderem lebensbedrohliche Intoxikationen und vital bedrohliche Blutzuckerentgleisungen. Bei der bislang vom Landgericht angenommenen hohen Wahrscheinlichkeit eines entsprechenden Rückfalls außerhalb einer geschlossenen Einrichtung würde der verfassungsrechtliche Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit des Betroffenen seine weitere zivilrechtliche Unterbringung als Maßnahme des Erwachsenenschutzes zwingend gebieten.
- 9
- Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Vorinstanzen:
AG Lippstadt, Entscheidung vom 28.12.2017 - 11 XVII 228/09 K -
LG Paderborn, Entscheidung vom 23.01.2018 - 5 T 8/18 -
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Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.
(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.