Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Apr. 2014 - XII ZB 704/13

bei uns veröffentlicht am30.04.2014
vorgehend
Amtsgericht Stadtroda, 8 XVII 30/99, 21.12.2012
Landgericht Gera, 5 T 558/13, 21.11.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB704/13
vom
30. April 2014
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Sozialhilfeträger, der gegen einen Betreuten Rückforderungsansprüche wegen
erbrachter Sozialleistungen geltend macht, ist im Festsetzungsverfahren
nach § 292 Abs. 1 i.V.m. § 168 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, in dem das Amtsgericht
Höhe und Zeitpunkt der Zahlungen bestimmt, die der Betreute an die
Staatskasse nach § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1836 e BGB zu leisten hat,
nicht beschwerdebefugt. Führt die Festsetzung dazu, dass der Sozialhilfeträger
nur einen geringeren Betrag zurückfordern kann, stellt dies lediglich eine mittelbare
Folge der Festsetzungsentscheidung dar.
BGH, Beschluss vom 30. April 2014 - XII ZB 704/13 - LG Gera
AG Stadtroda
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. April 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Schilling, Dr. Günter, Dr. NeddenBoeger
und Dr. Botur

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Gera vom 21. November 2013 wird auf Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Beschwerdewert: 504 €

Gründe:

I.

1
Der Landkreis S.-H. (im Folgenden: Landkreis) wendet sich in seiner Funktion als Sozialhilfeträger gegen die vom Amtsgericht festgesetzten Zahlungen , die der Betreute aus übergegangenem Recht an die Staatskasse zu leisten hat.
2
Nachdem der Betreute geerbt hatte, hat das Amtsgericht am 21. Dezember 2012 aufgrund eines nunmehr zu berücksichtigenden Vermögens von rund 5.884 € beschlossen, dass der Betreute der Staatskasse einen Betrag von 1.473,26 € für geleistete Betreuervergütung zu erstatten hat. Am 18. Januar 2013 hat der Landkreis seinerseits gegen den Betreuten einen Rückforderungsbescheid in Höhe von rund 5.745 € wegen erbrachter Sozialleistungen erlassen. Außerdem hat er am 31. Januar 2013 gegen den amtsgerichtlichen Beschluss vom 21. Dezember 2012 Beschwerde eingelegt und diese damit be- gründet, dass die vom Amtsgericht festgesetzten Ansprüche teilweise bereits verjährt gewesen seien; wegen der überhöhten Festsetzung könne er weniger Sozialleistungen zurückfordern. Das Landgericht hat die Beschwerde als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Landkreis mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
4
1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass eine Rechtsbeeinträchtigung im Sinne des § 59 Abs. 1 FamFG einen unmittelbaren Eingriff in ein subjektives Recht des Beschwerdeführers fordere, indem der Beschluss das Recht aufhebe, beschränke, mindere oder gefährde, die Ausübung des Rechts störe oder erschwere oder eine Verbesserung der Rechtsstellung vorenthalte. Jedoch genüge allein ein - berechtigtes - Interesse an einer Beseitigung bzw. Änderung der Entscheidung ebenso wenig wie eine nur mittelbare Beeinträchtigung.
5
Ausgehend hiervon sei der Landkreis nicht unmittelbar in seinen Rechten beeinträchtigt. Zwar habe er ebenfalls Rückforderungsansprüche gegen den Betreuten, die er durchsetzen möchte. Diese würden jedoch durch den Rückforderungsbescheid des Amtsgerichts nur mittelbar beeinträchtigt, nämlich als Folge desselben. Eine andere Auffassung hätte letztlich zur Folge, dass das Amtsgericht mit der Festsetzung seines Rückforderungsanspruchs warten müsste, bis der Landkreis einen rechtskräftigen Bescheid erlassen habe. Ein solcher Vorrang des Sozialhilfeträgers gegenüber dem Regressanspruch der Staatskasse sei dem Gesetz jedoch nicht zu entnehmen. Die beiden Ansprüche stünden vielmehr gleichrangig nebeneinander, so dass letztlich nur die schnellere Bearbeitungszeit entscheide.
6
Die Beschwerdeberechtigung ergebe sich auch nicht aus § 59 Abs. 3 FamFG. Diese müsste ausdrücklich im Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit oder einem anderen Gesetz angeordnet worden sein, was nicht der Fall sei.
7
2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
8
a) Gemäß § 59 Abs. 1 FamFG steht die Beschwerde demjenigen zu, der durch den angefochtenen Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. Eine Rechtsbeeinträchtigung liegt vor, wenn der Entscheidungssatz des angefochtenen Beschlusses unmittelbar in ein dem Beschwerdeführer zustehendes Recht eingreift, wobei diese Beeinträchtigung auch in einer ungünstigen Beeinflussung oder Gefährdung des Rechts liegen kann (Senatsbeschluss vom 19. Januar 2011 - XII ZB 326/10 - FamRZ 2011, 465 Rn. 9). Die Vorschrift des § 59 Abs. 1 FamFG entspricht inhaltlich dem früheren § 20 Abs. 1 FGG und erfordert eine Beeinträchtigung eigener Rechte, die von bloßen rechtlichen Interessen zu unterscheiden sind. Über den Fall der Rechtsbeeinträchtigung hinaus räumt die Vorschrift nur Behörden bei entsprechender besonderer gesetzlicher Anordnung eine Beschwerdebefugnis ein (Senatsbeschlüsse vom 18. April 2012 - XII ZB 623/11 - NJW 2012, 2039 Rn. 8 und - XII ZB 624/11 - FamRZ 2012, 1131 Rn. 8).
9
b) Gemessen hieran hat das Beschwerdegericht die Beschwerdeberechtigung des Landkreises zu Recht verneint.
10
Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss gemäß § 292 Abs. 1 i.V.m. § 168 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG Höhe und Zeitpunkt der Zah- lungen bestimmt, die der Betreute an die Staatskasse nach § 1908 i Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1836 e BGB zu leisten hat. Durch diese Entscheidung werden unmittelbar der Betreute und die Staatskasse in ihrer Rechtssphäre betroffen.
11
Demgegenüber ist der Landkreis von dieser Entscheidung - wie das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt hat - nur mittelbar betroffen, weil der Betreute aufgrund der zeitlich vorangegangenen Festsetzung durch das Amtsgericht nur noch über ein geringeres Vermögen verfügt und ihm damit weniger verbleibt, um die Forderung des Landkreises zu begleichen. Dabei spielt es für die Unmittelbarkeit der Rechtsbetroffenheit entgegen der Auffassung des Landkreises keine Rolle, ob die vorangegangene Festsetzung zu Recht oder zu Unrecht erfolgt ist. Der Landkreis ist an dem Rechtsverhältnis zwischen Betreutem und Staatskasse materiell nicht beteiligt.
12
Selbst wenn er vom Amtsgericht formell beteiligt worden wäre, hätte der Landkreis für den Betreuten nicht die Einrede der Verjährung erheben können, weil er nicht sein gesetzlicher Vertreter ist (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2012 - XII ZB 474/11 - FamRZ 2012, 1798 Rn. 14). Der Hinweis der Rechtsbeschwerde, das Amtsgericht habe in seinem - vom Beschwerdegericht mittlerweile aufgehobenen - Beschluss vom 18. Oktober 2013 selbst eingeräumt , verjährte Ansprüche zugesprochen zu haben, geht schon deshalb fehl, weil der Betreute bzw. sein Betreuer ausweislich der Begründung dieses Beschlusses die Einrede der Verjährung gerade nicht erhoben haben.
13
Soweit die Rechtsbeschwerde darauf hinweist, dass bei einer fehlenden Beschwerdeberechtigung das öffentliche Interesse an der Verringerung von Sozialausgaben beeinträchtigt wäre, verkennt sie, dass die amtsgerichtliche Festsetzung ebenfalls der öffentlichen Hand zugute kommt, nämlich der Staatskasse.
14
3. Dass nach dem Vortrag der Rechtsbeschwerde der nach Abschluss des Vergütungsverfahrens in erster Instanz gestellte Antrag auf Beteiligung nach § 7 FamFG bislang nicht beschieden ist, steht der Verwerfung der Beschwerde nicht entgegen. Anders als etwa im Fall der Beschwerdeberechtigung von Angehörigen oder Vertrauenspersonen gemäß § 303 Abs. 2 FamFG kommt der Beteiligung im Ausgangsverfahren für die Beschwerdeberechtigung des Landkreises keine Bedeutung zu.
15
4. Schließlich ist der Beschwerdeführer auch nicht aufgrund von besonderen Vorschriften im Sinne von § 59 Abs. 3 FamFG zur Beschwerde befugt.
Dose Schilling Günter Nedden-Boeger Botur
Vorinstanzen:
AG Stadtroda, Entscheidung vom 21.12.2012 - 8 XVII 30/99 -
LG Gera, Entscheidung vom 21.11.2013 - 5 T 558/13 -

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Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 59 Beschwerdeberechtigte


(1) Die Beschwerde steht demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist. (2) Wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist, steht die Beschwerde nur dem Antragsteller

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 7 Beteiligte


(1) In Antragsverfahren ist der Antragsteller Beteiligter. (2) Als Beteiligte sind hinzuzuziehen: 1. diejenigen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird,2. diejenigen, die auf Grund dieses oder eines anderen Gesetzes von Amts w

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit - FamFG | § 303 Ergänzende Vorschriften über die Beschwerde


(1) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde gegen Entscheidungen über1.die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts,2.Umfang, Inhalt oder Bestand einer in Nummer 1 genannten Maßnahmezu. (2) Das Re

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 474/11 vom 22. August 2012 in der Betreuungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §§ 195, 199 Abs. 1, 214, 1836 e, 1902, 1908 i; FamFG §§ 168, 276, 292 Abs. 1 Der Verfahrenspfleger k

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(1) Die Beschwerde steht demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

(2) Wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist, steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu.

(3) Die Beschwerdeberechtigung von Behörden bestimmt sich nach den besonderen Vorschriften dieses oder eines anderen Gesetzes.

14
bb) Bei der Einrede der Verjährung handelt es sich um eine Einrede im materiellen Sinne (Wernecke JA 2004, 331; MünchKommBGB/Grothe 6. Aufl. § 214 Rn. 4). Sie ändert die materielle Rechtslage und weist damit einen rechtsgeschäftsähnlichen Charakter auf (BGHZ 184, 128 = FamRZ 2010, 887 Rn. 29 mwN; s. auch MünchKommBGB/Grothe 6. Aufl. § 214 Rn. 4; Peters/ Jacoby in Staudinger BGB [2009] § 214 Rn. 6). Deshalb kann die Einrede grundsätzlich nur der Schuldner bzw. sein gesetzlicher Vertreter erheben (vgl. BGHZ 131, 376 = NJW 1996, 1060, 1061).

(1) In Antragsverfahren ist der Antragsteller Beteiligter.

(2) Als Beteiligte sind hinzuzuziehen:

1.
diejenigen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird,
2.
diejenigen, die auf Grund dieses oder eines anderen Gesetzes von Amts wegen oder auf Antrag zu beteiligen sind.

(3) Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag weitere Personen als Beteiligte hinzuziehen, soweit dies in diesem oder einem anderen Gesetz vorgesehen ist.

(4) Diejenigen, die auf ihren Antrag als Beteiligte zu dem Verfahren hinzuzuziehen sind oder hinzugezogen werden können, sind von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen, soweit sie dem Gericht bekannt sind. Sie sind über ihr Antragsrecht zu belehren.

(5) Das Gericht entscheidet durch Beschluss, wenn es einem Antrag auf Hinzuziehung gemäß Absatz 2 oder Absatz 3 nicht entspricht. Der Beschluss ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(6) Wer anzuhören ist oder eine Auskunft zu erteilen hat, ohne dass die Voraussetzungen des Absatzes 2 oder Absatzes 3 vorliegen, wird dadurch nicht Beteiligter.

(1) Das Recht der Beschwerde steht der zuständigen Behörde gegen Entscheidungen über

1.
die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Umfang, Inhalt oder Bestand einer in Nummer 1 genannten Maßnahme
zu.

(2) Das Recht der Beschwerde gegen eine von Amts wegen ergangene Entscheidung steht im Interesse des Betroffenen

1.
dessen Ehegatten oder Lebenspartner, wenn die Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt leben, sowie den Eltern, Großeltern, Pflegeeltern, Abkömmlingen und Geschwistern des Betroffenen sowie
2.
einer Person seines Vertrauens
zu, wenn sie im ersten Rechtszug beteiligt worden sind.

(3) Das Recht der Beschwerde steht dem Verfahrenspfleger zu.

(4) Der Betreuer oder der Vorsorgebevollmächtigte kann gegen eine Entscheidung, die seinen Aufgabenkreis betrifft, auch im Namen des Betroffenen Beschwerde einlegen. Führen mehrere Betreuer oder Vorsorgebevollmächtigte ihr Amt gemeinschaftlich, kann jeder von ihnen für den Betroffenen selbständig Beschwerde einlegen.

(1) Die Beschwerde steht demjenigen zu, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist.

(2) Wenn ein Beschluss nur auf Antrag erlassen werden kann und der Antrag zurückgewiesen worden ist, steht die Beschwerde nur dem Antragsteller zu.

(3) Die Beschwerdeberechtigung von Behörden bestimmt sich nach den besonderen Vorschriften dieses oder eines anderen Gesetzes.