Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2012 - XII ZB 661/11

bei uns veröffentlicht am18.07.2012
vorgehend
Amtsgericht Hamburg, 278 F 124/11, 04.10.2011
Hanseatisches Oberlandesgericht, 7 UF 149/11, 15.11.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 661/11
vom
18. Juli 2012
in der Kindschaftssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) In einer Kindschaftssache nach § 151 Nr. 6 FamFG darf das Beschwerdegericht
nicht gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer erneuten Anhörung des Betroffenen
absehen, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs bei der Anhörung
des Betroffenen zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat (im Anschluss an
den Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805).

b) Die Genehmigung der Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung
verbunden ist (§ 1631 b BGB), ist unzulässig, solange insbesondere eine Heimerziehung
in einer offenen Einrichtung nicht aussichtslos erscheint.
BGH, Beschluss vom 18. Juli 2012 - XII ZB 661/11 - OLG Hamburg
AG Hamburg
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juli 2012 durch den Vorsitzenden
Richter Dose und die Richter Weber-Monecke, Dr. Klinkhammer,
Schilling und Dr. Botur

beschlossen:
1. Dem Betroffenen wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Familiensenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 15. November 2011 bewilligt. 2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der vorgenannte Beschluss aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. 3. Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses des Amtsgerichts Hamburg vom 4. Oktober 2011 wird aufgehoben.

Gründe:

A.

1
Der am 4. Juli 1995 geborene minderjährige Betroffene wendet sich gegen die Genehmigung seiner Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer sozialtherapeutischen Jugendhilfeeinrichtung.
2
Seine alleinsorgeberechtigte Mutter nahm seit April 2011 Leistungen der Familienhilfe in Anspruch, weil sie mit der Erziehung ihres Sohnes überfordert war. Der Betroffene ging nicht mehr zur Schule, konsumierte Alkohol und Cannabis und war zusammen mit anderen Jugendlichen straffällig geworden. Im Rahmen einer Therapie in einer Drogenambulanz wurde eine stationäre Behandlung für erforderlich gehalten, zu der der Betroffene nicht bereit war. Daraufhin beantragte die Mutter, die geschlossene Unterbringung ihres Sohnes zu genehmigen. Das Amtsgericht hat für den Betroffenen einen Verfahrensbeistand bestellt und nach Anhörung des Betroffenen, des Verfahrensbeistands und der Mutter die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses zunächst bis zum 13. Oktober 2011 zur Begutachtung genehmigt. Zugleich hat es die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage angeordnet, unter welcher psychischen Störung der Betroffene leide und welche therapeutischen Maßnahmen erforderlich seien, um eine Gefährdung des Kindeswohls abzuwenden. Nach Eingang des Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht den Betroffenen in Anwesenheit seiner Mutter zu dem Ergebnis des Gutachtens angehört und sodann die Unterbringung in einer geschlossenen Abteilung einer sozialtherapeutischen Jugendhilfeeinrichtung längstens bis zum 4. Oktober 2012 genehmigt und die sofortige Wirksamkeit des Beschlusses angeordnet.
3
Die Beschwerde des Betroffenen blieb erfolglos. Dagegen wendet er sich mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung erstrebt.

B.

4
Die Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.

I.

5
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 2 FamFG statthaft, da es sich bei der Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach § 1361 b BGB um ein Verfahren nach § 151 Nr. 6 FamFG handelt. Das Rechtsmittel ist nach Gewährung der Wiedereinsetzung auch im Übrigen zulässig.

II.

6
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
7
1. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt :
8
Eine mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung sei nach § 1361 b Satz 2 BGB zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes erforderlich sei und der Gefahr nicht auf andere Weise begegnet werden könne. Beide Voraussetzungen seien erfüllt, wie sich im Wesentlichen aus dem Sachverständigengutachten ergebe. Die vorliegende Störung des Sozialverhaltens äußere sich in Form von oppositionellem Verhalten, Nichteinhalten von Regeln und Grenzen, verbaler und körperlicher Aggressivität und wiederholter Straffälligkeit. Außerdem sei ein deutlich affektiver Symptomkomplex mit Antriebs- und Lustlosigkeit, dysphorischer Stimmungslage, Affektverflachung und eingeschränkter Schwingungsfähigkeit festgestellt worden. Der Betroffene sei aus kinder- und jugendpsychiatrischer Sicht ein stark beeinträchtigter und in seiner kognitiven und sozial -emotionalen Entwicklung verzögerter Jugendlicher, der aus einem psychosozial hoch belasteten familiären Umfeld stamme. Aufgrund des zunehmend dissozialen Verhaltens bestehe eine hohe Gefährdung der weiteren Entwicklung in allen relevanten Bereichen. Ohne eine konsequente, pädagogische Einwirkung , zu der die Kindesmutter nicht in der Lage sei, bestehe für den Betroffenen die Gefahr einer weiteren Verschlechterung der Störung, einer weiteren Beeinträchtigung der psychosozialen Anpassung und eine massive Entwicklungsgefährdung. Deshalb sei eine langfristig angelegte Unterbringung in einer pädagogisch intensiv betreuten Einrichtung der stationären Jugendhilfe dringend erforderlich. Dabei müsse es sich um eine geschlossene Einrichtung handeln , weil dem Betroffenen eine entwicklungsangemessene Problemeinsicht fehle. Aus diesem Grund hätten auch ambulante Jugendhilfemaßnahmen bisher keinen Erfolg gehabt. Der Betroffene habe die vereinbarten Termine mit dem Jugendhilfebetreuer häufig nicht wahrgenommen. Seine im Beschwerdeverfahren mitgeteilte Ankündigung, er wolle mit einem anderen Erziehungsbeistand zusammenarbeiten, könne deshalb nicht überzeugen. Um dem Betroffenen den nötigen stabilen pädagogisch haltgebenden Rahmen und die Möglichkeit zur Entwicklung altersadäquater Problemlösestrategien zu geben, erscheine ein Unterbringungszeitraum von zunächst einem Jahr erforderlich und angemessen.
9
2. Diese Beurteilung hält bereits den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
10
a) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass die angefochtene Entscheidung auf Verfahrensfehlern beruht. Das Beschwerdegericht hat von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen, weil nach zwei Anhörungen durch das Familiengericht hierdurch keine neuen Erkenntnisse zu erwarten gewesen seien. Der Betroffene habe bei der letzten Anhörung lediglich geäußert , dass er nicht bereit sei, sich freiwillig in eine geschlossene Einrichtung zu begeben. Außerdem sei davon auszugehen, dass der Verfahrensbeistand in der Beschwerdebegründung vollständig und zutreffend mitgeteilt habe, weshalb der Betroffene nicht in der geschlossenen Einrichtung bleiben wolle.
11
Diese Begründung rechtfertigt das Unterlassen einer persönlichen Anhörung im Beschwerdeverfahren nicht.
12
b) Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht zwar von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschlüsse vom 11. August 2010 - XII ZB 171/10 - FamRZ 2010, 1650 Rn. 7 und vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 12 f.). Dies gilt jedoch nicht für Verfahrenshandlungen , bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschlüsse vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 14 und vom 14. März 2012 - XII ZB 502/11 - FamRZ 2012, 869 Rn. 22).
13
c) Solche Verletzungen von Verfahrensvorschriften liegen hier vor.
14
aa) Das Amtsgericht hat den Betroffenen nach Einholung des Sachverständigengutachtens und vor der Entscheidung über die Genehmigung der längerfristigen Unterbringung nicht im Beisein des bestellten Verfahrensbeistands angehört (vgl. Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 11). § 159 Abs. 4 Satz 3 FamFG sieht für die Anhörung eines Kindes indessen vor, dass diese in Anwesenheit des bestellten Verfahrensbeistands stattfinden soll. Hiervon kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall aus Gründen einer besseren Sachaufklärung geboten ist. Darüber hat das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu befinden. In jedem Fall ist aber zu beachten, dass es dem Verfahrensbeistand möglich sein muss, seine gesetzliche Aufgabe, dem Willen und den Interessen des Kindes Geltung zu verschaffen, sinnvoll zu erfüllen (Keidel/Engelhardt FamFG 17. Aufl. § 159 Rn. 16).
15
Aus welchen Gründen das Amtsgericht davon abgesehen hat, den Verfahrensbeistand zu der abschließenden Anhörung des Betroffenen hinzuzuziehen , lässt sich der erstinstanzlichen Entscheidung nicht entnehmen. Schon deshalb kann nicht festgestellt werden, dass die zugrunde liegenden Erwägungen auf pflichtgemäßer Ermessenausübung beruhen.
16
bb) Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, kommt hinzu, dass weder der Betroffene noch sein Verfahrensbeistand im Zeitpunkt der Anhörung das Sachverständigengutachten zur Kenntnis erhalten hatten. Dieses ist dem Verfahrensbeistand frühestens zusammen mit dem Beschluss des Amtsgerichts mitgeteilt worden; der Betroffene hat das Gutachten offensichtlich nicht erhalten. Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG aber voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen persönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 167 Abs. 3 FamFG) zur Verfügung zu stellen (Senatsbeschluss vom 6. Juli 2011 - XII ZB 616/10 - FamRZ 2011, 1574 Rn. 11). Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 164 Satz 2 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Au- gust 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 278 und vom 6. Juli 2011 - XII ZB 616/10 - FamRZ 2011, 1574 Rn. 11 sowie MünchKomm/Schwab BGB 6. Aufl. § 1896 Rn. 185 mwN). Dass das Beschwerdegericht hier zur Vermeidung erheblicher Nachteile für den Betroffenen von einer Bekanntgabe des Gutachtens abgesehen hat, lässt sich der Entscheidung ebenfalls nicht entnehmen.
17
cc) Im Hinblick auf diese Verfahrensfehler durfte das Beschwerdegericht nicht von einer erneuten Anhörung absehen. Denn der Betroffene hatte bisher keine Gelegenheit, sich - auch zu dem Sachverständigengutachten - persönlich in Anwesenheit seines Verfahrensbeistands zu äußern. Es ist nicht auszuschließen , dass das Beschwerdegericht nach einer Anhörung zu einer anderen Entscheidung gelangt wäre.
18
3. Die Rechtsbeschwerde beanstandet darüber hinaus zu Recht, dass die Voraussetzungen des § 1631 b Satz 2 BGB nicht ausreichend festgestellt worden sind.
19
a) Nach Satz 1 der vorgenannten Bestimmung bedarf die Unterbringung eines Kindes, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, der Genehmigung des Familiengerichts. Die Unterbringung ist zulässig, wenn sie zum Wohl des Kindes , insbesondere zur Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung , erforderlich ist und der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1631 b Satz 2 BGB). § 1631 b BGB ist durch das Gesetz zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls vom 4. Juli 2008 (BGBl. I S. 2586) durch Einfügung des Satzes 2 konkretisiert worden. Die Neufassung stelltklar, dass die geschlossene Unterbringung aus Gründen des Kindeswohls erforderlich und verhältnismäßig sein muss. So ist insbesondere der Vorrang ande- rer öffentlicher Hilfen zu beachten. Der Maßstab der Erforderlichkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass das Familiengericht im Verfahren nach § 1631 b BGB eine Entscheidung der sorgeberechtigten Eltern überprüft, denen im Rahmen ihres Beurteilungsvorrangs (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) ein Spielraum bei der Ausübung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zufällt. Die Entscheidung des Gerichts hat zugleich dem Freiheitsrecht des Minderjährigen Rechnung zu tragen. Eine geschlossene Unterbringung kommt daher nur als letztes Mittel und nur für die kürzeste angemessene Zeit in Betracht (vgl. auch Art. 37 Buchstabe b der UN-Kinderrechtekonvention). Der Gesetzgeber hat davon abgesehen, Gründe für eine geschlossene Unterbringung abschließend aufzuzählen, da diese Gründe zu vielschichtig sind. Das Gesetz nennt aber beispielhaft die Abwendung einer erheblichen Selbst- oder Fremdgefährdung. Im Fall der Fremdgefährdung kann die Unterbringung des Kindes geboten sein, wenn das Kind sich sonst dem Risiko von Notwehrmaßnahmen, Ersatzansprüchen und Prozessen aussetzt. Eigen- und Fremdgefährdung sind insoweit eng miteinander verbunden (BT-Drucks. 16/6815 S. 13 f.; vgl. auch MünchKommBGB/Huber 6. Aufl. § 1631 b Rn. 12 f. und Wiesner/Schmid/Obkirchner SGB VIII 4. Aufl. § 34 Rn. 21).
20
b) Eine akute Eigen- oder Fremdgefährdung liegt nach dem von dem Beschwerdegericht in Bezug genommenen Sachverständigengutachten nicht vor. Nach den getroffenen Feststellungen ist der Betroffene allerdings aus kinderund jugendpsychiatrischer Sicht stark beeinträchtigt und in seiner kognitiven und sozial-emotionalen Entwicklung verzögert. Insofern sei von einer erheblichen Chronifizierung auszugehen; aktuell bestehe aufgrund des zunehmend dissozialen Verhaltens mit Schulabsentismus, wiederholter Straffälligkeit und Drogenkonsum eine hohe Gefährdung der weiteren Entwicklung in allen relevanten Bereichen. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass bei dieser Sachlage das Kindeswohl in erheblicher Weise gefährdet ist (vgl. zu chronischen Gefährdungssituationen etwa Rüth FPR 2011, 554, 556), fehlt es jedenfalls an hinreichenden Feststellungen zu der weiteren Voraussetzung des § 1631 b Satz 2 BGB, nämlich dass dieser Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch andere öffentliche Hilfen, begegnet werden kann.
21
Nach den getroffenen Feststellungen hat die Mutter des Betroffenen seit April 2011 Hilfe zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) in Anspruch genommen. Im weiteren Verlauf wurde für den Betroffenen ein Erziehungsbeistand oder Betreuungshelfer (§ 30 SGB VIII) bestellt; Termine mit diesem soll der Betroffene häufig nicht wahrgenommen haben. Von den gegenüber einer geschlossenen Unterbringung vorrangigen anderen Möglichkeiten öffentlicher Hilfe wurde dagegen kein Gebrauch gemacht, sei es von der Erziehung in einer Tagesgruppe (§ 32 SGB VIII), der intensiven sozialpädagogischen Einzelbetreuung (§ 35 SGB VIII) oder der Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder einer sonstigen betreuten Wohnform, die Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern soll (§ 34 SGB VIII; vgl. BT-Drucks. 16/6815 S. 10, 13 f.). Letztere erfolgt nicht zwingend in einer geschlossenen Einrichtung, ist also nicht notwendigerweise mit einer Freiheitsentziehung verbunden.
22
Dass eine Freiheitsentziehung nicht gerechtfertigt und damit unverhältnismäßig ist, kann nach den getroffenen Feststellungen nicht ausgeschlossen werden. Es trifft zwar ausweislich des Sachverständigengutachtens zu, dass der Betroffene keine Krankheits- und Problemeinsicht zeigt. Andererseits hat er während seines Aufenthalts in der psychiatrischen Klinik die vereinbarten Ausgänge zuverlässig wahrgenommen. Darüber hinaus hat der Betreuer bereits bei Besuchen in der Klinik eine deutliche Veränderung des Betroffenen bemerkt; er habe wacher und klarer gewirkt und bei Gesprächen Fragen gestellt. Unter die- sen Umständen, insbesondere unter dem Eindruck der Unterbringung in der Klinik, erscheint etwa eine Heimerziehung in einer offenen Einrichtung zumindest nicht aussichtslos. Da die Genehmigung einer mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung aber nur die letzte Möglichkeit sein darf, um einer Gefährdung des Kindeswohls zu begegnen, fehlt der erteilten Genehmigung die erforderliche tatsächliche Grundlage.
23
4. Der angefochtene Beschluss kann danach keinen Bestand haben. Der Senat ist nicht in der Lage, in der Sache abschließend zu entscheiden, da es hierzu weiterer Feststellungen sowie der Anhörung des Betroffenen im Beisein seines Verfahrensbeistands bedarf. Die Sache ist deshalb an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
24
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass in jedem Fall auch die Dauer der Unterbringung einer sorgfältigen Prüfung bedarf (vgl. hierzu auch Rüth FPR 2011, 556, 557).

C.

25
Der in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthafte Antrag, die sofortige Wirksamkeit der Genehmigung der Unterbringung einstweilen außer Vollzug zu setzen (vgl. BGH Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10 - FGPrax 2010, 97 Rn. 3), ist begründet.
26
Das Rechtsbeschwerdegericht hat über den vorgenannten Antrag nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH Beschluss vom 21. Januar 2010 - V ZB 14/10 - FGPrax 2010, 97 Rn. 5).
27
Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis, dass die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung aufzuheben ist. Nachdem die Rechtsbeschwerde Erfolg hat, weil die bisherigen Feststellungen die Genehmigung der Unterbringung nicht rechtfertigen, kann auch die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Genehmigung der Unterbringung keinen Bestand haben, zumal der Ausgang des weiteren Verfahrens nicht absehbar ist.
Dose Weber-Monecke Klinkhammer Schilling Botur
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 04.10.2011 - 278 F 124/11 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 15.11.2011 - 7 UF 149/11 -

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(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(1) Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.

(2) Das Kind hat ein Recht auf Pflege und Erziehung unter Ausschluss von Gewalt, körperlichen Bestrafungen, seelischen Verletzungen und anderen entwürdigenden Maßnahmen.

(3) Das Familiengericht hat die Eltern auf Antrag bei der Ausübung der Personensorge in geeigneten Fällen zu unterstützen.

Kindschaftssachen sind die dem Familiengericht zugewiesenen Verfahren, die

1.
die elterliche Sorge,
2.
das Umgangsrecht und das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes,
3.
die Kindesherausgabe,
4.
die Vormundschaft,
5.
die Pflegschaft oder die gerichtliche Bestellung eines sonstigen Vertreters für einen Minderjährigen oder für ein bereits gezeugtes Kind,
6.
die Genehmigung von freiheitsentziehender Unterbringung und freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 1631b des Bürgerlichen Gesetzbuchs, auch in Verbindung mit § 1795 Absatz 1 Satz 3 und § 1813 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
7.
die Genehmigung oder Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung, freiheitsentziehenden Maßnahme oder ärztlichen Zwangsmaßnahme bei einem Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker oder
8.
die Aufgaben nach dem Jugendgerichtsgesetz
betreffen.

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

Kindschaftssachen sind die dem Familiengericht zugewiesenen Verfahren, die

1.
die elterliche Sorge,
2.
das Umgangsrecht und das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes,
3.
die Kindesherausgabe,
4.
die Vormundschaft,
5.
die Pflegschaft oder die gerichtliche Bestellung eines sonstigen Vertreters für einen Minderjährigen oder für ein bereits gezeugtes Kind,
6.
die Genehmigung von freiheitsentziehender Unterbringung und freiheitsentziehenden Maßnahmen nach § 1631b des Bürgerlichen Gesetzbuchs, auch in Verbindung mit § 1795 Absatz 1 Satz 3 und § 1813 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
7.
die Genehmigung oder Anordnung einer freiheitsentziehenden Unterbringung, freiheitsentziehenden Maßnahme oder ärztlichen Zwangsmaßnahme bei einem Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker oder
8.
die Aufgaben nach dem Jugendgerichtsgesetz
betreffen.

(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.

(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.

(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:

1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder
3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.

7
Ferner kann das Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG zwar von der persönlichen Anhörung absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind. Auch diese - kumulativ erforderlichen - Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Denn das Amtsgericht hat die Betroffene nicht persönlich angehört.
14
bb) Im Beschwerdeverfahren kann allerdings nicht von einer Wiederholung solcher Verfahrenshandlungen abgesehen werden, bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat (Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 68 Rn. 57). In diesem Fall muss das Beschwerdegericht, vorbehaltlich der Möglichkeiten nach § 69 Abs. 1 Satz 2 und 3 FamFG, den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen oder das gesamte Verfahren wiederholen (Keidel/Sternal FamFG 16. Aufl. § 68 Rn. 57; Gutjahr in BeckOK FamFG [Stand: 1. August 2010] § 68 Rn. 40). Dies gilt insbesondere dann, wenn das erstinstanzliche Gericht bei der Anhörung des Betroffenen zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat (Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl. § 68 Rn. 8; vgl. auch OLG Hamm FamRZ 2000, 494, 495 zu §§ 69 i Abs. 6, 69 g Abs. 5 Satz 1, 68 Abs. 1 FGG). Die Anhörung des Betroffenen in Unterbringungsverfahren nach § 319 Abs. 1 FamFG dient der Verwirklichung der in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG garantierten Rechte eines Betroffenen in Freiheitsentziehungssachen. Danach darf die Freiheit einer Person nur aufgrund eines förmlichen Gesetzes und unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die Anhörung des Betroffenen nach § 319 Abs. 1 FamFG vor der Entscheidung über die Unterbringung gehört zu den wesentlichen Förmlichkeiten i.S.v. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 319 Rn. 1). Verfahrensfehler bei der Durchführung der Anhörung verletzen den Betroffenen deshalb nicht nur in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern auch in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG.
22
Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht zwar von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (Senatsbeschlüsse vom 11. August 2010 - XII ZB 171/10 - FamRZ 2010, 1650 Rn. 7 und vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 12 f.). Dies gilt jedoch nicht für Verfahrenshandlungen , bei denen das Gericht des ersten Rechtszugs zwingende Verfahrensvorschriften verletzt hat. In diesem Fall muss das Beschwerdegericht den betreffenden Teil des Verfahrens nachholen (Senatsbeschluss vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 14).

(1) Das Gericht hat das Kind persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen.

(2) Von der persönlichen Anhörung und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks nach Absatz 1 kann das Gericht nur absehen, wenn

1.
ein schwerwiegender Grund dafür vorliegt,
2.
das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun,
3.
die Neigungen, Bindungen und der Wille des Kindes für die Entscheidung nicht von Bedeutung sind und eine persönliche Anhörung auch nicht aus anderen Gründen angezeigt ist oder
4.
das Verfahren ausschließlich das Vermögen des Kindes betrifft und eine persönliche Anhörung nach der Art der Angelegenheit nicht angezeigt ist.
Satz 1 Nummer 3 ist in Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die die Person des Kindes betreffen, nicht anzuwenden. Das Gericht hat sich in diesen Verfahren einen persönlichen Eindruck von dem Kind auch dann zu verschaffen, wenn das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun.

(3) Sieht das Gericht davon ab, das Kind persönlich anzuhören oder sich einen persönlichen Eindruck von dem Kind zu verschaffen, ist dies in der Endentscheidung zu begründen. Unterbleibt eine Anhörung oder die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks allein wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.

(4) Das Kind soll über den Gegenstand, Ablauf und möglichen Ausgang des Verfahrens in einer geeigneten und seinem Alter entsprechenden Weise informiert werden, soweit nicht Nachteile für seine Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. Ihm ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Hat das Gericht dem Kind nach § 158 einen Verfahrensbeistand bestellt, soll die persönliche Anhörung und die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in dessen Anwesenheit stattfinden. Im Übrigen steht die Gestaltung der persönlichen Anhörung im Ermessen des Gerichts.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.

(1) In Verfahren nach § 151 Nummer 6 sind die für Unterbringungssachen nach § 312 Nummer 1 und 2, in Verfahren nach § 151 Nummer 7 die für Unterbringungssachen nach § 312 Nummer 4 geltenden Vorschriften anzuwenden. An die Stelle des Verfahrenspflegers tritt der Verfahrensbeistand. Die Bestellung eines Verfahrensbeistands ist stets erforderlich.

(2) Ist für eine Kindschaftssache nach Absatz 1 ein anderes Gericht zuständig als dasjenige, bei dem eine Vormundschaft oder eine die Unterbringung erfassende Pflegschaft für den Minderjährigen eingeleitet ist, teilt dieses Gericht dem für das Verfahren nach Absatz 1 zuständigen Gericht die Anordnung und Aufhebung der Vormundschaft oder Pflegschaft, den Wegfall des Aufgabenbereichs Unterbringung und einen Wechsel in der Person des Vormunds oder Pflegers mit; das für das Verfahren nach Absatz 1 zuständige Gericht teilt dem anderen Gericht die Unterbringungsmaßnahme, ihre Änderung, Verlängerung und Aufhebung mit.

(3) Der Betroffene ist ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig, wenn er das 14. Lebensjahr vollendet hat.

(4) In den in Absatz 1 Satz 1 genannten Verfahren sind die Elternteile, denen die Personensorge zusteht, der gesetzliche Vertreter in persönlichen Angelegenheiten sowie die Pflegeeltern persönlich anzuhören.

(5) Das Jugendamt hat die Eltern, den Vormund oder den Pfleger auf deren Wunsch bei der Zuführung zur Unterbringung zu unterstützen.

(6) In Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 soll der Sachverständige Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sein. In Verfahren nach § 151 Nr. 6 kann das Gutachten auch durch einen in Fragen der Heimerziehung ausgewiesenen Psychotherapeuten, Psychologen, Pädagogen oder Sozialpädagogen erstattet werden. In Verfahren der Genehmigung freiheitsentziehender Maßnahmen genügt ein ärztliches Zeugnis; Satz 1 gilt entsprechend.

(7) Die freiheitsentziehende Unterbringung und freiheitsentziehende Maßnahmen enden spätestens mit Ablauf von sechs Monaten, bei offensichtlich langer Sicherungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von einem Jahr, wenn sie nicht vorher verlängert werden.

11
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG aber voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen per- sönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen (Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 275 mwN). Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 281 Rn. 11).

Die Entscheidung, gegen die das Kind das Beschwerderecht ausüben kann, ist dem Kind selbst bekannt zu machen, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat und nicht geschäftsunfähig ist. Eine Begründung soll dem Kind nicht mitgeteilt werden, wenn Nachteile für dessen Entwicklung, Erziehung oder Gesundheit zu befürchten sind. § 38 Abs. 4 Nr. 2 ist nicht anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 138/10
vom
11. August 2010
In der Betreuungssache
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. August 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, den Richter Prof. Dr. Wagenitz, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dose und Schilling

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 29. März 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Durch Beschluss des Amtsgerichts - Betreuungsgericht - vom 8. März 2010 ist die Beteiligte zur Betreuerin der Betroffenen mit den Aufgabenkreisen Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht, Rechts-, Antragsund Behördenangelegenheiten, insbesondere Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen in Sorgerechtsangelegenheiten, bestellt worden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

2
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
3
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 70 Abs. 3 Nr. 1 FamFG statthaft; das Betreuungsverfahren ist auf Anregung des Klinikums W. vom 18./19. Februar 2010, mithin nach dem 31. August 2009, eingeleitet worden (Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG-RG).
4
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
5
a) Zwar durfte das Beschwerdegericht - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - von einer persönlichen Anhörung der Betroffenen absehen.
6
Nach § 278 Abs. 1 FamFG hat das Betreuungsgericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers persönlich anzuhören (Satz 1) und sich - ggf. in der üblichen Umgebung des Betroffenen (Satz 3) - von diesem einen persönlichen Eindruck zu verschaffen (Satz 2). Diese Anhörungspflicht gilt gemäß § 68 Abs. 3 Satz 1 FamFG auch im Beschwerdeverfahren. Nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht allerdings von der Durchführung einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Dies gilt grundsätzlich auch für die Anhörungspflicht nach § 278 Abs. 1 FamFG (vgl. auch - für den Fall der persönlichen Anhörung nach § 420 FamFG - BGH Beschlüsse vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10 - juris Tz. 9, vom 4. März 2010 - V ZB 222/09 - FGPrax 2010, 154 und vom 28. Januar 2010 - V ZB 2/10 - FGPrax 2010, 163). Im vorliegenden Fall war die Betroffene bereits vom Amtsgericht - am 23. Februar 2010, also nur rund einen Monat zuvor - zur Frage einer Betreuerbestellung persönlich ange- hört worden. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten seien. Diese Einschätzung ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Besondere sonstige Umstände , die eine erneute Anhörung der Betroffenen geboten hätten (vgl. etwa BGH Beschluss vom 17. Juni 2010 - V ZB 3/10 - juris Tz. 9), sind nicht ersichtlich.
7
b) Die angefochtenen Entscheidungen verletzen jedoch - von der Rechtsbeschwerde zutreffend gerügt - aus anderem Grund das Recht der Betroffenen auf rechtliches Gehör.
8
Das Amtsgericht hat seinen Beschluss vom 8. März 2010 tragend auf ein Gutachten gestützt, das die Fachärztin Dr. G. am 7. Oktober 2009 - im vorausgehenden Betreuungsverfahren - erstattet hat. Entsprechend der Empfehlung der Gutachterin ist das Gutachten der Betroffenen nicht ausgehändigt worden, um das paranoide Erleben der Betroffenen nicht zu verstärken. Auch im vorliegenden Verfahren ist eine solche Aushändigung nicht erfolgt.
9
Zwar kann von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens abgesehen werden, wenn zu besorgen ist, die Bekanntgabe werde die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden. In einem solchen Fall muss jedoch ein Verfahrenspfleger bestellt werden, diesem das Gutachten übergeben werden und die Erwartung gerechtfertigt sein, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. MünchKomm/Schwab BGB 5. Aufl. § 1896 Rdn. 182 m.w.N.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Betroffene nicht anwaltlich vertreten ist. Im vorliegenden Verfahren war für die anwaltlich nicht vertretene Betroffene kein Verfahrenspfleger bestellt. Zwar hat das Betreuungsgericht der Betroffenen mit Beschluss vom 8. März 2010 Rechtsanwalt F. als Verfahrenspfleger bestellt. Diese Bestellung erfolgte jedoch zeitgleich mit dem hier angefochtenen Beschluss über die Einrichtung der Betreuung und betraf ausdrücklich nur die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts und die Unterbringung und Zwangsmedikation der Betroffenen , daher nicht den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
10
Dem angefochtenen Beschluss sind mithin Tatsachen zugrunde gelegt worden, zu denen die Betroffene sich - mangels Kenntnis - weder selbst noch durch einen Verfahrenspfleger oder Verfahrensbevollmächtigten verhalten konnte. Dieser Gehörsverstoß wird nicht dadurch geheilt, dass die Entscheidung des Amtsgerichts - ebenso wie die Entscheidung des Beschwerdegerichts - auch auf die fachärztliche Stellungnahme vom 18. Februar 2010 gestützt wird, mit der Ärzte des Klinikums W. erneut die Bestellung eines Betreuers für die Betroffene angeregt hatten. Zum einen wird diese Stellungnahme in den angefochtenen Entscheidungen nur ergänzend - zur Bestätigung des gutachtlichen Befundes und als Beleg für dessen fortdauernde Aktualität - herangezogen. Zum anderen hat gemäß § 280 FamFG der Bestellung eines Betreuers eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit dieser Maßnahme vorauszugehen. Die fachärztliche Stellungnahme erfüllt - schon mangels Einholung durch das Gericht - diese Voraussetzung nicht. Sie könnte - als ärztliches Zeugnis - das von § 280 FamFG geforderte Gutachten nur unter den Voraussetzungen des § 281 Abs. 1 FamFG ersetzen. Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor.
Hahne Wagenitz Vézina Dose Schilling
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 08.03.2010 - 667 XVII M4149 -
LG Hannover, Entscheidung vom 29.03.2010 - 3 T 23/10 -
11
Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage setzt gemäß § 37 Abs. 2 FamFG aber voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut grundsätzlich auch dem Betroffenen per- sönlich im Hinblick auf dessen Verfahrensfähigkeit (§ 275 FamFG) zur Verfügung zu stellen (Senatsbeschluss vom 11. August 2010 - XII ZB 138/10 - BtPrax 2010, 275 mwN). Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (Keidel/Budde FamFG 16. Aufl. § 281 Rn. 11).

(1) Ein Personensorgeberechtigter hat bei der Erziehung eines Kindes oder eines Jugendlichen Anspruch auf Hilfe (Hilfe zur Erziehung), wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.

(2) Hilfe zur Erziehung wird insbesondere nach Maßgabe der §§ 28 bis 35 gewährt. Art und Umfang der Hilfe richten sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall; dabei soll das engere soziale Umfeld des Kindes oder des Jugendlichen einbezogen werden. Unterschiedliche Hilfearten können miteinander kombiniert werden, sofern dies dem erzieherischen Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht.

(2a) Ist eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich, so entfällt der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch, dass eine andere unterhaltspflichtige Person bereit ist, diese Aufgabe zu übernehmen; die Gewährung von Hilfe zur Erziehung setzt in diesem Fall voraus, dass diese Person bereit und geeignet ist, den Hilfebedarf in Zusammenarbeit mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach Maßgabe der §§ 36 und 37 zu decken.

(3) Hilfe zur Erziehung umfasst insbesondere die Gewährung pädagogischer und damit verbundener therapeutischer Leistungen. Bei Bedarf soll sie Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen im Sinne des § 13 Absatz 2 einschließen und kann mit anderen Leistungen nach diesem Buch kombiniert werden. Die in der Schule oder Hochschule wegen des erzieherischen Bedarfs erforderliche Anleitung und Begleitung können als Gruppenangebote an Kinder oder Jugendliche gemeinsam erbracht werden, soweit dies dem Bedarf des Kindes oder Jugendlichen im Einzelfall entspricht.

(4) Wird ein Kind oder eine Jugendliche während ihres Aufenthalts in einer Einrichtung oder einer Pflegefamilie selbst Mutter eines Kindes, so umfasst die Hilfe zur Erziehung auch die Unterstützung bei der Pflege und Erziehung dieses Kindes.

Der Erziehungsbeistand und der Betreuungshelfer sollen das Kind oder den Jugendlichen bei der Bewältigung von Entwicklungsproblemen möglichst unter Einbeziehung des sozialen Umfelds unterstützen und unter Erhaltung des Lebensbezugs zur Familie seine Verselbständigung fördern.

Hilfe zur Erziehung in einer Tagesgruppe soll die Entwicklung des Kindes oder des Jugendlichen durch soziales Lernen in der Gruppe, Begleitung der schulischen Förderung und Elternarbeit unterstützen und dadurch den Verbleib des Kindes oder des Jugendlichen in seiner Familie sichern. Die Hilfe kann auch in geeigneten Formen der Familienpflege geleistet werden.

Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung soll Jugendlichen gewährt werden, die einer intensiven Unterstützung zur sozialen Integration und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung bedürfen. Die Hilfe ist in der Regel auf längere Zeit angelegt und soll den individuellen Bedürfnissen des Jugendlichen Rechnung tragen.

Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht (Heimerziehung) oder in einer sonstigen betreuten Wohnform soll Kinder und Jugendliche durch eine Verbindung von Alltagserleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten in ihrer Entwicklung fördern. Sie soll entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie

1.
eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versuchen oder
2.
die Erziehung in einer anderen Familie vorbereiten oder
3.
eine auf längere Zeit angelegte Lebensform bieten und auf ein selbständiges Leben vorbereiten.
Jugendliche sollen in Fragen der Ausbildung und Beschäftigung sowie der allgemeinen Lebensführung beraten und unterstützt werden.

(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird. Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sind bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten werden soll.

(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle ist in Ehesachen und in Familienstreitsachen ausgeschlossen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.

(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist.

3
1. Er ist allerdings in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft. Der Gesetzgeber hat zwar in § 74 Abs. 4 FamFG nur eine Verweisung auf die Vorschriften des Verfahrens erster Instanz vorgesehen. Er hat dabei aber übersehen, dass die als Orientierung dienende Vorschrift des § 555 ZPO (vgl. Entwurfsbegründung in BT-Drucks. 16/6308 S. 211) durch Sondervorschriften (§§ 565, 719 ZPO) ergänzt wird. Die dadurch entstandene planwidrige Lücke ist durch die entsprechende Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG zu schließen (Keidel/Meyer-Holz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 61).