Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2007 - XII ZB 41/07

published on 11/09/2007 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2007 - XII ZB 41/07
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Previous court decisions
Amtsgericht Paderborn, 8 F 810/05, 07/03/2006
Oberlandesgericht Hamm, 6 UF 53/06, 20/02/2007

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 41/07
vom
11. September 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brüssel IIa-VO Art. 8 Abs. 1;
NRWSchulG §§ 34, 41;
NRWVerf Art. 8 Abs. 2
Weigern sich Eltern beharrlich, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder
einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, um ihnen statt dessen selbst
"Hausunterricht" zu erteilen, so kann darin ein Missbrauch der elterlichen Sorge
liegen, der das Wohl der Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts
nach §§ 1666, 1666 a BGB erfordert.
Die Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Regelung
von Schulangelegenheiten in Verbindung mit der Anordnung einer Pflegschaft
ist in solchen Fällen im Grundsatz zur Abwehr der Gefahr geeignet und
verhältnismäßig.
Ein vom Familiengericht bestellter Pfleger ist jedoch zur Wahrnehmung seiner
Aufgaben im Einzelfall offenkundig ungeeignet, wenn er bereits im einstweiligen
Anordnungsverfahren zum Pfleger bestellt worden war und in dieser Eigenschaft
die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass die Eltern ihre Kinder
ins Ausland verbracht haben und ihnen dort nunmehr - wie von ihren Eltern bezweckt
- auf Antrag des Pflegers "Hausunterricht" erteilt wird.
Die gleichzeitige Bestellung eines solchen Pflegers stellt zwar die Rechtsmäßigkeit
des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Pflegschaft
als solche nicht in Frage. Sie ist, weil sie die Wirksamkeit dieser an sich sachgerechten
Maßnahmen unterläuft, aber - für sich genommen - rechtsfehlerhaft.
BGH, Beschluss vom 11. September 2007 - XII ZB 41/07 - OLG Hamm
AG Paderborn
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. September 2007 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Sprick, Weber-Monecke,
Prof. Dr. Wagenitz und Dose

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des 6. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm vom 20. Februar 2007 wird zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die teilweise Entziehung der elterlichen Sorge, die Anordnung der Pflegschaft für die betroffenen Kinder und die dem Pfleger zuerkannte Befugnis richtet, die Herausgabe der Kinder, notfalls mit Gewalt und mittels Betretens und Durchsuchung der elterlichen Wohnung, zu verlangen. Im Übrigen (Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger; Einschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts des Pflegers) wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens , an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 3000 €

Gründe:


I.

1
Die Beteiligten zu 1 sind die Eltern der minderjährigen Kinder M. und D. sowie deren drei jüngerer und drei älterer Geschwister. Sie sind gläubige Baptisten und - zusammen mit anderen Mitgliedern ihrer Glaubensgemeinschaft - als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen. Das Kind D. besuchte die ersten drei Klassen der öffentlichen Grundschule. Im September 2004 - Beginn der vierten Grundschulklasse - haben die Eltern der Schule mitgeteilt, dass sie das Kind D. ebenso wie das Kind M. , das zu diesem Zeitpunkt eingeschult werden sollte, künftig zu Hause unterrichten würden, da die Lehrinhalte und -methoden der öffentlichen Grundschule mit ihren Glaubensüberzeugungen fächerübergreifend nicht vereinbar seien. Gespräche mit Schulleitung, Bezirksregierung und Integrationsbeauftragtem führten ebenso wenig wie die rechtskräftige Verurteilung der Eltern zur Zahlung eines Bußgeldes von je 250 € dazu, dass die Eltern die Kinder zum Schulunterricht brachten. Ein Zwangsgeldverfahren wurde bislang nicht erfolgreich abgeschlossen. Die Eltern und andere Mitglieder ihrer Glaubensgemeinschaft streben die Gründung einer Ersatzschule an, die ihren religiösen Überzeugungen entspricht; eine Entscheidung im Verwaltungsverfahren steht aus.
2
Das Amtsgericht - Familiengericht - hat den Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge in Schulangelegenheiten sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht entzogen und auf die Beteiligte zu 2 als Pfleger mit der Maßgabe übertragen, dass im Falle einer notwendig werdenden Fremdunterbringung der Kinder keine Heimunterbringung, sondern eine Unterbringung in einer baptistischen Pflegefamilie erfolgen solle, welche die allgemeine Schulpflicht anerkenne und die Teilnahme der Kinder am Unterricht in einer öffentli- chen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule ermögliche; zugleich ist die Beteiligte zu 2 ermächtigt worden, die Herausgabe der Kinder mittels Gewalt zu erzwingen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
3
Die Kinder wurden im Juli/August 2005 mit Einwilligung der Beteiligten zu 2 nach W. in K. (Österreich) umgemeldet. Sie halten sich überwiegend dort auf und bewohnen gemeinsam mit ihrer Mutter, die ihren Wohnsitz nach wie vor in P. hat, sowie mit Angehörigen einer anderen baptistischen Familie, die ebenfalls die Erfüllung der deutschen Schulpflicht verweigert , ein gemietetes Haus. Der Vater lebt mit den anderen sechs Kindern weiterhin in P. und geht dort seiner Berufstätigkeit nach. Die Mutter besucht mit den Kindern D. und M. in den Ferien und an verlängerten Wochenenden die übrige Familie in P. . Sie will mit den Kindern nicht dauerhaft in Österreich bleiben, sondern nach einem für sie erfolgreichen Abschluss des vorliegenden Verfahrens nach P. zurückkehren. Die Beteiligte zu 2 hat bei den österreichischen Behörden die Gestattung erwirkt, dass die Kinder in Österreich Heimunterricht nach § 11 des österreichischen Schulpflichtgesetzes erhalten; der Unterricht wird ihnen anhand von österreichischem Lernmaterial von ihrer Mutter, die über keine einschlägige Vorbildung verfügt, erteilt. Ausweislich eines von der Hauptschule V. erteilten Zeugnisses "lt. Überprüfung des häuslichen Unterrichts (Schulpflichtgesetz § 11 Abs. 4)" hat das Kind D. die 1. Klasse (5. Schulstufe) mit gutem Erfolg abgeschlossen und ist zum Aufsteigen in die 2. Klasse (6. Schulstufe) berechtigt.
4
Im Hauptverfahren hat das Amtsgericht die bereits mit der einstweiligen Anordnung getroffene Regelung über den teilweisen Entzug des Sorgerechts und dessen Übertragung auf die Beteiligte zu 2 aufrechterhalten. Die Gefahr für das Kindeswohl bestehe trotz der Beschulung der Kinder in Österreich insoweit fort, als bei einer Aufhebung der angeordneten Maßnahme mit einer Rückkehr der Kinder nach P. zu rechnen sei, ohne dass die Kinder dort die öffentlichen Schulen besuchen würden. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Beteiligten zu 1 ihr Beschwerdebegehren weiter.

II.

5
Das Rechtsmittel führt lediglich zur teilweisen Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht, hat aber im Übrigen keinen Erfolg.
6
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts hat das Familiengericht den Beteiligten zu 1 das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung von Schulangelegenheiten für ihre Kinder D. und M. gemäß §§ 1666, 1666 a BGB zu Recht entzogen und auf die Beteiligte zu 2 übertragen.
7
Das geistige und seelische Wohl der Kinder sei nachhaltig gefährdet, weil die Beteiligten zu 1 die für die Entwicklung der Kinder in einer pluralistischen Gesellschaft wichtige staatliche Schulerziehung ablehnten und verhinderten. Dabei könne dahinstehen, ob die Heimunterrichtung der Kinder eine hinreichende Wissensvermittlung gewährleiste; denn durch den gemeinsamen Schulbesuch sollten Kinder auch in das Gemeinschaftsleben hineinwachsen. Es sei notwendig, Kinder auch anderen Einflüssen als denen des Elternhauses auszusetzen. Wie das Bundesverfassungsgericht ausgeführt habe, könnten soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abwei- chenden Überzeugung effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfänden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung seien.
8
Der Umstand, dass die Kinder sich derzeit in Österreich aufhielten und nach dem dortigen Recht die Schulpflicht durch Heimunterricht erfüllt werde, stehe nicht entgegen. Denn die Kinder teilten den Wohnsitz ihrer Eltern (§ 11 BGB), der für beide Elternteile weiterhin in Nordrhein-Westfalen begründet sei. Der Aufenthalt in Österreich sei, wie die Mutter selbst wiederholt erklärt habe, nur vorübergehender Natur; er begründe mangels Domizilwillens keinen Wohnsitz. Deshalb unterlägen die Kinder nach wie vor der Schulpflicht nach § 34 SchulG NRW, die eine Hausunterrichtung nicht zulasse. Eine Kindeswohlgefährdung sei auch nicht deshalb zu verneinen, weil die Beteiligte zu 2 selbst bei den österreichischen Behörden beantragt habe, dass die Kinder ihre Schulpflicht durch Heimunterricht nach österreichischem Recht erfüllen könnten. Denn mit diesem Antrag habe die Beteiligte zu 2 ersichtlich nur erreichen wollen , dass die Kinder zumindest in die Lage versetzt würden, in Österreich häuslichen Unterricht mit der Möglichkeit des Ablegens einer Prüfung nach § 11 Abs. 4 des österreichischen Schulpflichtgesetzes zu erhalten.
9
Durch die Schulpflicht seien die Grundrechte der Beteiligten zu 1 und der Kinder nicht verletzt. Wie das Bundesverfassungsgericht dargelegt habe, diene die Pflicht zum Besuch der staatlichen Grundschule dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags und sei zur Erreichung dieses Ziels auch geeignet und erforderlich. Die mit dieser Pflicht verbundenen Eingriffe in die Grundrechte der Eltern stünden auch in angemessenem Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten ließen. Die Allgemeinheit habe ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich geprägten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Integration setze dabei auch voraus, dass religiöse oder weltanschauliche Minderheiten sich nicht selbst abgrenzten und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschlössen. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, sei eine wichtige Aufgabe schon der Grundschule.
10
Die vom Familiengericht zur Durchsetzung der Schulpflicht angeordneten Maßnahmen seien auch verhältnismäßig; geringere Eingriffe zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung kämen nicht in Betracht.
11
2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Wesentlichen stand.
12
a) Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte ist gegeben, da die Kinder weiterhin in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Art. 8 Abs. 1 EG-Verordnung Nr. 2201/2003, EuEheVO II = "Brüssel II a"). Das Oberlandesgericht hat zwar den gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder nicht ausdrücklich erörtert. Aus seinen zum Wohnsitz getroffenen Feststellungen ergibt sich jedoch, dass der Schwerpunkt der Bindungen der Kinder, mithin ihr Daseinsmittelpunkt (vgl. BGH Urteil vom 5. Februar 1975 - IV ZR 103/73 - FamRZ 1975, 272), weiterhin in Deutschland liegt.
13
b) Nicht zu beanstanden ist die Auffassung des Oberlandesgerichts, dass die Kinder weiterhin der Schulpflicht nach deutschem Recht unterliegen, da der insoweit maßgebende § 34 Schulgesetz NRW auf den Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt der Kinder abstellt, die Kinder den Wohnsitz ihrer Eltern teilen (§ 11 Satz 1 BGB) und dieser für beide Elternteile - nach den rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Oberlandes- gerichts - weiterhin in P. begründet ist. Richtig ist ferner, dass das deutsche Schulrecht die Beteiligten zu 1 verpflichtet, ihre Kinder zur Befolgung der Schulpflicht anzuhalten (vgl. § 41 Abs. 1 Schulgesetz NRW i.V.m. Art. 8 Abs. 2 Landesverfassung NRW). Richtig ist außerdem, dass die beharrliche Weigerung der Beteiligten zu 1, ihre Kinder der öffentlichen Grundschule oder einer anerkannten Ersatzschule zuzuführen, sich als ein Missbrauch der elterlichen Sorge darstellt, der das Wohl der betroffenen Kinder nachhaltig gefährdet und Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666 a BGB erfordert. Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit weder gegen die Schulpflicht noch - im Grundsatz - gegen familiengerichtliche Maßnahmen, mit denen die Schulpflicht nach Maßgabe der §§ 1666, 1666a BGB durchgesetzt werden soll. Auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts und die dort ausführlich wiedergegebene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird verwiesen. Danach sind die Eltern auch dann nicht berechtigt, ihre Kinder der Schulpflicht zu entziehen, wenn einzelne Lehrinhalte oder -methoden der Schule den Glaubensüberzeugungen der Eltern entgegenstehen. Dies gilt jedenfalls solange , als der Staat seinen Erziehungsauftrag im Sinne der Vorgaben des Grundgesetzes verantwortungsvoll wahrnimmt; Gegenteiliges ist hier nicht ersichtlich.
14
Das Oberlandesgericht durfte auch zu Recht davon absehen, den von den Beteiligten zu 1 angebotenen Zeugenbeweis über deren Behauptung zu erheben, die Erfahrungen mit dem Unterricht in Gemeindeschulen sowie mit dem (Haus-)Unterricht der "D. F. " oder der "P. - S. " hätten keine Kindeswohlgefährdungen zutage gebracht. Der Unterricht in Gemeindeschulen ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens. Die Vor- und Nachteile von Hausunterricht sind, wie das Oberlandesgericht zu Recht bemerkt, nicht einem Zeugenbeweis, sondern allenfalls einem Sachverständigenbeweis zugänglich. Der Erhebung eines solchen Sachverständigenbeweises bedurfte es jedoch nicht, da sich die vom Oberlandesgericht - in An- lehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - geschilderten Vorzüge eines nicht hausgebundenen Unterrichts ebenso wie die relativen Nachteile eines Hausunterrichts dem tatrichterlichen Sachverstand ohne weiteres erschließen und sich zudem mit der Einschätzung des deutschen Schulgesetzgebers wie auch des Bundesverfassungsgerichts decken.
15
c) Frei von Rechtsfehlern sind auch der teilweise Entzug des Sorgerechts und die Anordnung einer Pflegschaft. Diese Maßnahmen sind im Grundsatz geeignet, dem Missbrauch der elterlichen Sorge durch die Beteiligten zu 1 entgegenzuwirken. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Regelung von Schulangelegenheiten schafft in Verbindung mit der Anordnung der Pflegschaft die Voraussetzungen dafür, dass die Kinder durch geeignete Maßnahmen eines Pflegers zum Besuch einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule in Deutschland angehalten werden und Schaden von den Kindern, wie er von einem fortgesetzten ausschließlichen Hausunterricht durch die Mutter zu besorgen ist, abgewendet wird. Es ist rechtsbedenkenfrei und im Hinblick auf die gezeigte Widersetzlichkeit der Eltern sogar naheliegend, dass ein solcher Pfleger - wie im Beschluss des Familiengerichts auch geschehen - ermächtigt wird, die Herausgabe der Kinder notfalls unter Einsatz von Gewalt und mittels Betreten und Durchsuchung der elterlichen Wohnung sowie unter Inanspruchnahme der Hilfe des Gerichtsvollziehers oder der Polizei zu erzwingen. Mildere Mittel, die Kinder vor dem Missbrauch der elterlichen Sorge wirksam zu schützen und den staatlichen Erziehungsauftrag im wohlverstandenen Kindesinteresse durchzusetzen, stehen - wie vom Oberlandesgericht zutreffend dargelegt - nicht zur Verfügung. Der teilweise Sorgerechtsentzug und die Anordnung der Pflegschaft stehen zu dem mit diesen Maßnahmen verfolgten Kindesinteresse auch nicht außer Verhältnis; sie sind in Wahrnehmung des staatlichen Wächteramtes geboten.
16
d) Rechtlich zu beanstanden ist allerdings, dass das Familiengericht die Beteiligte zu 2 zum Pfleger bestellt hat. Denn dieser Pfleger ist nicht geeignet, den Gefahren für das Kindeswohl effektiv zu begegnen.
17
Zwar ist es grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters, einen geeigneten Pfleger auszuwählen. Die Auswahlentscheidung ist deshalb vom Rechtsbeschwerdegericht nur begrenzt nachprüfbar, insbesondere dahin, ob der Tatrichter die maßgeblichen Umstände ausreichend und umfassend in seine Auswahlentscheidung einbezogen hat. Das ist hier offenkundig nicht der Fall. Denn das Familiengericht hat die Erfahrungen, die es im vorangegangenen einstweiligen Anordnungsverfahren aus der Tätigkeit der Beteiligten zu 2 als Pfleger der Kinder hätte gewinnen müssen, unberücksichtigt gelassen.
18
Vor Erlass der angefochtenen Entscheidung hatte die Beteiligte zu 2 als Pfleger der Kinder deren Ummeldung nach Österreich - mit Wissen des Familiengerichts - zugestimmt und damit deren Verbringung dorthin erst ermöglicht. Die Ummeldung der Kinder nach Österreich verfolgte nach dem erklärten Willen der Beteiligten zu 1 den Zweck, die Kinder der deutschen Schulpflicht zu entziehen und ihnen den in Österreich zulässigen Hausunterricht durch die Mutter angedeihen zu lassen. Die Möglichkeit, die Kinder in Österreich dem Hausunterricht durch die Mutter zuzuführen, hat die Beteiligte zu 2 sodann - ebenfalls mit Wissen des Familiengerichts - durch eine entsprechende Antragstellung bei den österreichischen Behörden selbst eröffnet. Damit ist der Erfolg eingetreten, den die Beteiligten zu 1 von vornherein erstrebt haben, nämlich die häusliche Unterrichtung der Kinder durch die Mutter - dies allerdings nicht in Deutschland, sondern in Österreich.
19
Es ist nicht ersichtlich, dass der angefochtene - im Hauptverfahren ergangene - Beschluss des Familiengerichts, soweit er der Beteiligten zu 2 das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Sorgerecht in Schulangelegenheiten überträgt, an dieser von der Beteiligten zu 2 selbst herbeigeführten Situation etwas ändert. Diese Sicht teilt im Ansatz offenbar auch das Familiengericht, das eine Kindeswohlgefährdung deshalb für weiterhin gegeben hält und die teilweise Entziehung deshalb für nach wie vor notwendig erachtet, weil anderenfalls "mit einer Rückkehr der Kinder nach P. zu rechnen ist, ohne dass diese dann hier die öffentlichen Schulen besuchen werden". Damit wird indes verkannt , dass das Wohl der Kinder nicht deshalb gefährdet ist, weil sie in Deutschland keine öffentliche Schule besuchen, sondern weil sie - obschon sie der deutschen Schulpflicht unterliegen - überhaupt keine öffentliche Schule besuchen. Der Gefahr für das Kindeswohl kann deshalb auch nicht dadurch begegnet werden, dass die Kinder möglichst an einer Rückkehr nach Deutschland gehindert werden; Ziel einer auf §§ 1666, 1666a BGB gestützten Maßnahme kann es vielmehr nur sein, die Kinder zum Besuch einer öffentlichen Schule anzuhalten. Dieses Ziel kann zwar grundsätzlich mit dem vom Familiengericht vorgenommenen teilweisen Sorgerechtsentzug und der Anordnung einer Pflegschaft erreicht werden - dies allerdings nur dann, wenn der mit dem Aufenthaltsbestimmungsrecht und der Sorge für Schulangelegenheiten der Kinder betraute Pfleger willens und in der Lage ist, den Besuch der Kinder in einer öffentlichen Schule durchzusetzen, oder wenn er erforderlichenfalls durch geeignete Weisungen des Familiengerichts hierzu angehalten wird.
20
An geeigneten Weisungen hat es das Familiengericht - in Kenntnis des Verhaltens des Pflegers - bereits im einstweiligen Anordnungsverfahren fehlen lassen; auch im Hauptverfahren hat es solche Weisungen offenbar für nicht angezeigt erachtet. Da die Beteiligte zu 2 bereits vor dem Erlass der angefochtenen Entscheidung keine geeigneten Maßnahmen zur Einhaltung der Schulpflicht getroffen und - im Gegenteil - die Voraussetzungen für eine Hausunterrichtung der Kinder in Österreich überhaupt erst geschaffen hat, erscheint die Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger - bei gleichzeitigem Fehlen entsprechender Weisungen des Familiengerichts - zur Wahrnehmung seiner Aufgaben in diesem Einzelfall offenkundig ungeeignet, den Gefahren für das Wohl der Kinder zu begegnen. Die Bestellung eines offenkundig ungeeigneten Pflegers stellt die Rechtmäßigkeit des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Pflegschaft zwar als solche nicht in Frage; sie ist, weil sie die Wirksamkeit dieser an sich sachgerechten Maßnahmen unterläuft, aber für sich genommen rechtsfehlerhaft.
21
e) Soweit das Familiengericht das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Pflegers dahin eingeschränkt hat, dass die Kinder für den Fall einer notwendig werdenden Fremdunterbringung nicht in einem Heim, sondern nur bei einer baptistischen Pflegefamilie untergebracht werden dürfen, stützt sich diese Einschränkung - ausweislich der vom Familiengericht gegebenen Begründung - auf die besonderen Verhältnisse und Möglichkeiten in P. . Sie ist ersichtlich auf die Beteiligte zu 2 als Pfleger zugeschnitten und deshalb nicht geeignet und bestimmt, auch andere Pfleger in der Wahrnehmung ihres Aufenthaltsbestimmungsrechts zu binden. Diese Beschränkung teilt deshalb das rechtliche Schicksal der Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger und bedarf erneuter Überprüfung.

III.

22
Im Ergebnis sind deshalb die teilweise Entziehung des Sorgerechts und die Anordnung einer Pflegschaft als solche rechtlich nicht zu beanstanden. Deshalb war die Rechtsbeschwerde, soweit sie sich gegen diese Maßnahmen richtet, zurückzuweisen.
23
Die teilweise Entziehung des Sorgerechts und die Anordnung einer Pflegschaft können die Kindeswohlgefährdung aber letztlich nur dann abwenden , wenn durch die Auswahl eines geeigneten Pflegers oder durch geeignete Weisungen des Familiengerichts an den Pfleger sichergestellt wird, dass der Schulpflicht der Kinder und der Verantwortung der Eltern für deren Einhaltung Geltung verschafft werden kann. Dies gilt, solange deutsches Recht - auch Schulrecht - Anwendung findet, unabhängig davon, ob die Kinder sich in Deutschland oder in Österreich aufhalten. Daran fehlt es bislang.
24
Der angefochtene Beschluss war daher hinsichtlich der vom Familiengericht vorgenommenen Bestellung der Beteiligten zu 2 als Pfleger und der auf ihn zugeschnittenen Beschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts aufzuheben. Die Sache war insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen, damit es durch die Bestellung eines anderen, geeigneten Pflegers oder durch detaillierte Weisungen sicherstellt, dass die Schulpflicht der Kinder entsprechend dem offenkundigen Zweck der Pflegerbestellung und im recht verstandenen Interesse des Kindeswohls durchgesetzt wird. Das Verbot der reformatio in peius hindert eine solche Abänderung oder Ergänzung der familiengerichtlichen Entscheidung nicht, da im Verfahren nach §§ 1666, 1666 a BGB die Dispositionsmaxime nicht gilt und deshalb vom Rechtsmittelführer im Interesse des Kindeswohls auch eine Schlechterstellung hinzunehmen ist (BayObLG FamRZ 1985, 635, 636; Keidel/Kahl Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl. § 19 Rdn. 115).
Hahne Sprick Weber-Monecke Wagenitz Dose

Vorinstanzen:
AG Paderborn, Entscheidung vom 07.03.2006 - 8 F 810/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 20.02.2007 - 6 UF 53/06 -
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(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil v

Ein minderjähriges Kind teilt den Wohnsitz der Eltern; es teilt nicht den Wohnsitz eines Elternteils, dem das Recht fehlt, für die Person des Kindes zu sorgen. Steht keinem Elternteil das Recht zu, für die Person des Kindes zu sorgen, so teilt das Ki
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published on 17/10/2007 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 42/07 vom 17. Oktober 2007 in der Familiensache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB §§ 11 Satz 1, 1666, 1666 a; Brüssel IIa-VO Art. 8 Abs. 1; NRWSchulG §§ 34, 41; NRWVerf Art. 8 Abs. 2 Weigern sich
published on 19/01/2015 00:00

Tenor Die Anträge werden abgelehnt. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt. 1Gründe: 2Der Prozesskostenhilfeantrag für das zweitinstanzliche Verfahren ist
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Annotations

Ein minderjähriges Kind teilt den Wohnsitz der Eltern; es teilt nicht den Wohnsitz eines Elternteils, dem das Recht fehlt, für die Person des Kindes zu sorgen. Steht keinem Elternteil das Recht zu, für die Person des Kindes zu sorgen, so teilt das Kind den Wohnsitz desjenigen, dem dieses Recht zusteht. Das Kind behält den Wohnsitz, bis es ihn rechtsgültig aufhebt.

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. Wird einem Elternteil oder einem Dritten die Nutzung der vom Kind mitbewohnten oder einer anderen Wohnung untersagt, ist bei der Bemessung der Dauer der Maßnahme auch zu berücksichtigen, ob diesem das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zusteht, auf dem sich die Wohnung befindet; Entsprechendes gilt für das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht, das dingliche Wohnrecht oder wenn der Elternteil oder Dritte Mieter der Wohnung ist.

(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.

(1) Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.

(2) In der Regel ist anzunehmen, dass das Vermögen des Kindes gefährdet ist, wenn der Inhaber der Vermögenssorge seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind oder seine mit der Vermögenssorge verbundenen Pflichten verletzt oder Anordnungen des Gerichts, die sich auf die Vermögenssorge beziehen, nicht befolgt.

(3) Zu den gerichtlichen Maßnahmen nach Absatz 1 gehören insbesondere

1.
Gebote, öffentliche Hilfen wie zum Beispiel Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und der Gesundheitsfürsorge in Anspruch zu nehmen,
2.
Gebote, für die Einhaltung der Schulpflicht zu sorgen,
3.
Verbote, vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Familienwohnung oder eine andere Wohnung zu nutzen, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung aufzuhalten oder zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich das Kind regelmäßig aufhält,
4.
Verbote, Verbindung zum Kind aufzunehmen oder ein Zusammentreffen mit dem Kind herbeizuführen,
5.
die Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge,
6.
die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.

(4) In Angelegenheiten der Personensorge kann das Gericht auch Maßnahmen mit Wirkung gegen einen Dritten treffen.

(1) Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann. Dies gilt auch, wenn einem Elternteil vorübergehend oder auf unbestimmte Zeit die Nutzung der Familienwohnung untersagt werden soll. Wird einem Elternteil oder einem Dritten die Nutzung der vom Kind mitbewohnten oder einer anderen Wohnung untersagt, ist bei der Bemessung der Dauer der Maßnahme auch zu berücksichtigen, ob diesem das Eigentum, das Erbbaurecht oder der Nießbrauch an dem Grundstück zusteht, auf dem sich die Wohnung befindet; Entsprechendes gilt für das Wohnungseigentum, das Dauerwohnrecht, das dingliche Wohnrecht oder wenn der Elternteil oder Dritte Mieter der Wohnung ist.

(2) Die gesamte Personensorge darf nur entzogen werden, wenn andere Maßnahmen erfolglos geblieben sind oder wenn anzunehmen ist, dass sie zur Abwendung der Gefahr nicht ausreichen.