Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2007 - XII ZB 37/06

bei uns veröffentlicht am21.02.2007
vorgehend
Landgericht Halle, 4 O 19/05, 22.08.2005
Oberlandesgericht Naumburg, 9 U 113/05, 21.12.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 37/06
vom
21. Februar 2007
in dem Rechtsstreit
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2007 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Fuchs und Dr. Ahlt, die Richterin
Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 21. Dezember 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 70.041,61 €.

Gründe:


I.

1
Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus einem Mietvertrag über Gewerberäume geltend.
2
Der Beklagte hat gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Die am 25. September 2005 endende Frist zur Begründung der Berufung ist antragsgemäß bis zum 8. November 2005 verlängert worden. Der Beklagte hat die Berufung mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 8. November 2005 begründet. Dieser Schrift- satz trägt den Stempel "Nachtbriefkasten" und den Eingangsstempel des Oberlandesgerichts mit dem Datum "9. Nov. 2005".
3
Nach Hinweis des Oberlandesgerichts, dass beabsichtigt sei, die erst am 9. November 2005 eingegangene Berufung als unzulässig zu verwerfen, hat der Beklagte, gestützt auf die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten , vorgetragen, dieser habe die Berufungsbegründung persönlich zwischen 20.30 Uhr und 22.00 Uhr in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Mit Schriftsatz vom 28. November 2005, der am gleichen Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat der Beklagte vorsorglich beantragt , ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
4
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt , die Rechtsbeschwerde sei erst am 9. November 2005, und damit verspätet , beim Oberlandesgericht eingegangen. Dies folge aus dem gerichtlichen Eingangsstempel auf der Berufungsbegründung, der den vollen Beweis für das Datum des Eingangs erbringe. Der Beklagte habe den im Wege des Freibeweises zu führenden Gegenbeweis eines fristgemäßen Eingangs der Berufungsbegründung nicht erbracht. Dieser erfordere mehr als bloße Glaubhaftmachung. Notwendig sei die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang. Diese Überzeugung habe das Gericht nicht gewonnen.
5
Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

6
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
7
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
8
a) Zwar geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass der Eingangsstempel auf dem Berufungsbegründungsschriftsatz als öffentliche Urkunde gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür erbringt, dass der Schriftsatz an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Dieser Beweis kann jedoch, wie auch das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch einen im Wege des Freibeweises zu erbringenden Gegenbeweis entkräftet werden (BGH Beschlüsse vom 30. Oktober 1997 - VII ZB 19/97 - NJW 1998, 461; vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - NJW 2000, 814; vom 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05- VersR 2006, 568). Danach können auch eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel ausreichen, wenn diese dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit der versicherten Behauptung vermitteln (Senatsbeschluss vom 17. April 1996 - XII ZB 42/96 - NJW 1996, 2038). Da der Beweiswert einer eidesstattlichen Versicherung jedoch lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, reicht sie zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht aus. Ist dies der Fall, muss auf die Vernehmung der Beweispersonen, etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals, als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden (BGH Beschluss vom 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05 - VersR 2006, 568).
9
b) Danach durfte das Berufungsgericht den von dem Beklagten zu führenden Gegenbeweis für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung nicht allein auf der Grundlage der eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten als nicht erbracht ansehen. Es hätte vielmehr auf die Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als Zeugen zurückgreifen müssen, da es die eidesstattliche Versicherung für nicht ausreichend gehalten hat, um die volle Überzeugung von dem rechtzeitigen Zugang der Berufungsbegründung zu erbringen.
10
Zwar hat sich der Beklagte in der Annahme, die vorgelegte eidesstattliche Versicherung sei ausreichend, nicht auf die Vernehmung eines Prozessbevollmächtigten als Zeugen berufen. Das Berufungsgericht hätte jedoch den Beklagten gemäß § 139 Abs. 2 ZPO darauf hinweisen müssen, dass zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels die vorgelegten Mittel zur Glaubhaftmachung nicht ausreichen und hätte dem Beklagten Gelegenheit geben müssen, Zeugenbeweis anzutreten (BGH Beschlüsse vom 7. Mai 2002 - I ZB 30/01 - Juris; vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - NJW 2000, 814). Das hat das Berufungsgericht unterlassen und damit den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
11
3. Da der angefochtene Beschluss auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann, ist die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
12
4. Der Beschluss war auch aufzuheben, soweit das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen hat. Über den Wiedereinsetzungsantrag darf das Berufungsgericht erst dann entscheiden, nachdem es die Frage, ob die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, geklärt hat. Das ist noch nicht geschehen.
Hahne Fuchs Ahlt Vézina Dose

Vorinstanzen:
LG Halle, Entscheidung vom 22.08.2005 - 4 O 19/05 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 21.12.2005 - 9 U 113/05 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 418 Beweiskraft öffentlicher Urkunden mit anderem Inhalt


(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. (2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Lande

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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.

(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.

(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 61/05
vom
10. Januar 2006
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2006 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und
Stöhr

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 29. Juli 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 2.086,29 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien verlangen wechselseitig Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall. Das Amtsgericht hat der Klage mit Urteil vom 8. April 2005 stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Dieses Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 13. April 2005 zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom 13. Mai 2005 haben die Beklagten Berufung eingelegt. Dieser Schriftsatz trägt einen Eingangsstempel der Allgemeinen Eingangsstelle V der Justizbe- hörden in M. mit dem Datum 14. Mai 2005. Auf Hinweis des Gerichts, dass die Berufung verspätet eingegangen sei, haben die Beklagten vorgetragen, Rechtsanwalt B. habe die Rechtsmittelschrift am 13. Mai 2005 vor 20.00 Uhr in den Nachtbriefkasten eingeworfen. Zum Beweis haben sie sich auf das Zeugnis von Rechtsanwalt B. bezogen. Des weiteren haben sie geltend gemacht, wegen des verlängerten Wochenendes sei nach Auskunft des Leiters der Einlaufstelle seinerzeit eine Zwischenleerung vorgenommen worden, weshalb nicht auszuschließen sei, dass der Umschlag mit der Berufung in den "falschen Kasten" gelangt sei.
2
Mit Beschluss vom 29. Juli 2005 hat das Landgericht die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Eingangskontrolle der Nachtbriefkästen sei nach dem Vortrag der Klägerin und des Drittwiderbeklagten so ausgestattet, dass Schriftsätze, die vor 24.00 Uhr eines jeweiligen Tages eingeworfen würden, das Eingangsdatum dieses Tages trügen. Dies entspreche auch der Erfahrung der Kammer. Da ein technischer Defekt nicht glaubhaft gemacht worden sei, gelte das aufgestempelte Eingangsdatum als objektives Beweismittel. Deshalb sei vorliegend davon auszugehen, dass die Berufungseinlegung erst am 14. Mai 2005 und damit verspätet erfolgt sei.
3
Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beklagten mit der Rechtsbeschwerde.

II.

4
1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f. = NJW 1989, 1147; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
5
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
6
Das Berufungsgericht durfte die Berufung nicht mit der Begründung als unzulässig verwerfen, es sei von einem verspäteten Eingang der Berufungsschrift auszugehen, weil ein technischer Defekt des Nachtbriefkasten nicht glaubhaft gemacht worden sei. Das Berufungsgericht verkennt, dass für die Entscheidung der Frage, ob ein Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt worden ist, die allgemeinen Regeln der Tatsachenfeststellung gelten. Dabei gilt der so genannte Freibeweis (BGH, Beschluss vom 15. September 2005 - III ZB 81/04 - NJW 2005, 3501). Deshalb können auch eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel berücksichtigt werden. Da deren Beweiswert jedoch lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, wird dies zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht ausreichen. Insoweit muss dann auf die Vernehmung der Beweispersonen - etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals - als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - VersR 2000, 1129; vom 27. Mai 2003 - VI ZB 77/02 - VersR 2004, 625 und vom 14. Juni 2005 - VI ZB 10/05, juris).
7
Im Streitfall haben sich die Beklagten zum Beweis ihrer Behauptung, die Berufungsschrift sei am 14. Mai 2005 in den Nachtbriefkasten eingeworfen worden (§ 418 Abs. 2 ZPO), auf das Zeugnis des Rechtsanwalts B. bezogen. Diesem Beweisantrag hätte das Berufungsgericht nachgehen müssen. Des weiteren hätte es bei seiner Entscheidung auch den Vortrag der Beklagten berücksichtigen müssen, dass nach Auskunft des Leiters der Einlaufstelle an dem betreffenden Wochenende eine Zwischenleerung vorgenommen worden sei und deshalb nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Umschlag mit der Berufungsschrift in den "falschen Kasten" gelangt sei.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 08.04.2005 - 343 C 38846/04 -
LG München I, Entscheidung vom 29.07.2005 - 17 S 9546/05 -

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZB 30/01
vom
7. Mai 2002
in dem Rechtsstreit
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 7. Mai 2002 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. UngernSternberg
, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Schaffert

beschlossen:
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers wird der Beschluß des 15. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. Oktober 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 7.925,13 ? (= 15.520,-- DM) festgesetzt.

Gründe:


I. Der Kläger hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts vom 24. November 1999, das ihm am 14. Dezember 1999 zugestellt worden ist, durch seine Prozeßbevollmächtigten am 14. Januar 2000 per Telefax Berufung eingelegt. Nach dem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist teilte der stellver-
tretende Vorsitzende des Berufungssenats den Prozeûbevollmächtigten des Klägers mit, es sei beabsichtigt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden sei. Auf dieses am 14. März 2000 zugestellte Schreiben hin beantragte Rechtsanwalt Dr. A. für den Kläger mit am 24. März 2000 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, wobei er zugleich einen Abdruck der in seinen Akten befindlichen Berufungsbegründung vorlegte. Zur Begründung trug er vor, man habe, nachdem die Berufungsbegründung bereits am 7. Februar 2000 fertiggestellt und am 9. Februar 2000 geändert worden sei, in der Kanzlei zugewartet, ob der Kläger noch Änderungswünsche gehabt habe. Da dies bis zum Dienstende der Sekretariatsmitarbeiter am Tag des Fristablaufs nicht der Fall gewesen sei, habe er, Dr. A., soweit erinnerlich, die Berufungsbegründung an diesem Tag auf dem Nachhauseweg in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Die Richtigkeit dieser Angabe werde an Eides Statt versichert.
II. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe die Frist zur Berufungsbegründung versäumt, weil der entsprechende Schriftsatz erst am 24. März 2000 bei Gericht eingegangen sei, die Berufungsbegründungsfrist aber schon am 14. Februar 2000 geendet habe. Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers sei unbegründet, weil sich aus seinem Vortrag nicht hinreichend ergebe, daû eine unverschuldete Fristversäumung vorliege. Der Zusatz "soweit erinnerlich" in dem auffallend knappen Vorbringen seines Prozeûbevollmächtigten weise eine deutliche Einschränkung des Vorbringens auf. Offen bleibe insbesondere, ob sich der Prozeûbevollmächtigte an den geltend gemachten Vorgang mit der für eine
Wiedereinsetzung notwendigen Gewiûheit erinnere. Auûerdem gehe aus dem Vorbringen nicht deutlich hervor, ob sich der Prozeûbevollmächtigte beim Einwerfen der Sendung nochmals versichert habe, um welches Schriftstück es sich gehandelt habe.
Gegen diesen ihm am 6. November 2001 zugestellten Beschluû hat der Kläger durch seine Prozeûbevollmächtigten am 20. November 2001 Beschwerde eingelegt. Mit ihr greift er insbesondere die vom Berufungsgericht vorgenommene Würdigung der von seinem Prozeûbevollmächtigten Dr. A. abgegebenen Erklärung an.
III. Die gemäû § 519 b Abs. 2 Halbsatz 2, § 547, § 577 Abs. 2 Satz 1 und 2 ZPO a.F. statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und damit zulässige Beschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Die Berufung des Klägers wäre rechtzeitig begründet worden und damit zulässig, wenn - wie der Kläger vorbringt - davon auszugehen wäre, daû die Berufungsbegründungsschrift bereits am 14. Februar 2000 in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen worden und nachfolgend im Bereich des Gerichts verlorengegangen war. Dem stünde der Umstand nicht entgegen, daû auf diesem Schriftsatz nach dem Vortrag des Klägers das gerichtliche Aktenzeichen gefehlt hat; denn aufgrund der in dem Schriftsatz enthaltenen Angaben über die Parteien des Rechtsstreits war seine Zuordnung zu dem mit der Berufungseinlegung eingeleiteten Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht gleichwohl ohne weiteres möglich.
2. Das Berufungsgericht hat den dem Kläger als Rechtsmittelführer insoweit obliegenden vollen Beweis (vgl. BGH, Beschl. v. 4.6.1992 - IX ZB 10/92, NJW-RR 1992, 1338, 1339; Beschl. v. 7.12.1999 - VI ZB 30/99, NJW 2000, 814; Urt. v. 24.4.2001 - VI ZR 258/00, NJW 2001, 2722, 2723, jeweils m.w.N.) aufgrund der Angaben in der eidesstattlichen Versicherung des Rechtsanwalts Dr. A. als nicht erbracht angesehen. In einem solchen Falle ist die insoweit gebotene Prüfung lediglich unter Heranziehung dieser Versicherung nicht möglich. Vielmehr könnte eine abschlieûende prozeûordnungsgemäûe Klärung der Frage, ob die Berufungsbegründung rechtzeitig bei Gericht eingereicht worden war, nur nach einer die volle Überzeugungsbildung ermöglichenden Beweiserhebung durch Vernehmung des Rechtsanwalts Dr. A. erfolgen. Zwar hat sich der Kläger im bisherigen Verfahren - wegen seines Irrtums, die vorgelegte Versicherung sei ausreichend - nicht auf die Vernehmung dieses Zeugen berufen. Indessen wäre bereits das Berufungsgericht, hätte es das aufgezeigte verfahrensrechtliche Erfordernis erkannt, von Amts wegen gehalten gewesen, den Kläger darauf hinzuweisen, daû zur Prüfung der Zulässigkeit seines Rechtsmittels das vorgelegte Glaubhaftmachungsmittel nicht ausreichte. Es hätte daher schon im Berufungsverfahren dem Kläger Gelegenheit gegeben werden müssen, Zeugenbeweis anzutreten (BGH NJW 2000, 814).
Bei dieser Sachlage sieht der Senat davon ab, das zur Klärung der Frage , ob die Berufung rechtzeitig begründet worden ist, erforderliche Beweisverfahren selbst durchzuführen. Vielmehr erscheint es angebracht, unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, der auf dem aufgezeigten Verfahrensfehler beruhen kann, die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (BGH NJW 2000, 814 f.).
3. Das Berufungsgericht wird daher im wiedereröffneten Berufungsverfahren - einen entsprechenden Beweisantritt des Klägers vorausgesetzt - Rechtsanwalt Dr. A. als Zeugen zu der Frage zu vernehmen haben, ob dieser, wie der Kläger geltend macht, die Berufungsbegründung am 14. Februar 2000 in den Nachtbriefkasten des Berufungsgerichts eingeworfen hat. Sollte die durchzuführende Beweisaufnahme dieses nicht ergeben, wäre mit Blick auf die Regelung in § 85 Abs. 2 ZPO auch für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wie sie der Kläger beantragt hat, kein Raum.
Erdmann v. Ungern-Sternberg Pokrant
Büscher Schaffert