Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2007 - XII ZB 37/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus einem Mietvertrag über Gewerberäume geltend.
- 2
- Der Beklagte hat gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Die am 25. September 2005 endende Frist zur Begründung der Berufung ist antragsgemäß bis zum 8. November 2005 verlängert worden. Der Beklagte hat die Berufung mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 8. November 2005 begründet. Dieser Schrift- satz trägt den Stempel "Nachtbriefkasten" und den Eingangsstempel des Oberlandesgerichts mit dem Datum "9. Nov. 2005".
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- Nach Hinweis des Oberlandesgerichts, dass beabsichtigt sei, die erst am 9. November 2005 eingegangene Berufung als unzulässig zu verwerfen, hat der Beklagte, gestützt auf die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten , vorgetragen, dieser habe die Berufungsbegründung persönlich zwischen 20.30 Uhr und 22.00 Uhr in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts eingeworfen. Mit Schriftsatz vom 28. November 2005, der am gleichen Tag beim Oberlandesgericht eingegangen ist, hat der Beklagte vorsorglich beantragt , ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.
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- Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt , die Rechtsbeschwerde sei erst am 9. November 2005, und damit verspätet , beim Oberlandesgericht eingegangen. Dies folge aus dem gerichtlichen Eingangsstempel auf der Berufungsbegründung, der den vollen Beweis für das Datum des Eingangs erbringe. Der Beklagte habe den im Wege des Freibeweises zu führenden Gegenbeweis eines fristgemäßen Eingangs der Berufungsbegründung nicht erbracht. Dieser erfordere mehr als bloße Glaubhaftmachung. Notwendig sei die volle Überzeugung des Gerichts von dem rechtzeitigen Eingang. Diese Überzeugung habe das Gericht nicht gewonnen.
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- Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.
II.
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- 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
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- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
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- a) Zwar geht das Berufungsgericht zu Recht davon aus, dass der Eingangsstempel auf dem Berufungsbegründungsschriftsatz als öffentliche Urkunde gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den Beweis dafür erbringt, dass der Schriftsatz an diesem Tag bei Gericht eingegangen ist. Dieser Beweis kann jedoch, wie auch das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, gemäß § 418 Abs. 2 ZPO durch einen im Wege des Freibeweises zu erbringenden Gegenbeweis entkräftet werden (BGH Beschlüsse vom 30. Oktober 1997 - VII ZB 19/97 - NJW 1998, 461; vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - NJW 2000, 814; vom 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05- VersR 2006, 568). Danach können auch eidesstattliche Versicherungen als Beweismittel ausreichen, wenn diese dem Gericht die volle Überzeugung von der Richtigkeit der versicherten Behauptung vermitteln (Senatsbeschluss vom 17. April 1996 - XII ZB 42/96 - NJW 1996, 2038). Da der Beweiswert einer eidesstattlichen Versicherung jedoch lediglich auf Glaubhaftmachung angelegt ist, reicht sie zum Nachweis der Fristwahrung regelmäßig nicht aus. Ist dies der Fall, muss auf die Vernehmung der Beweispersonen, etwa des Rechtsanwalts oder seines Personals, als Zeugen oder auf andere Beweismittel zurückgegriffen werden (BGH Beschluss vom 10. Januar 2006 - VI ZB 61/05 - VersR 2006, 568).
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- b) Danach durfte das Berufungsgericht den von dem Beklagten zu führenden Gegenbeweis für den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung nicht allein auf der Grundlage der eidesstattlichen Versicherung seines Prozessbevollmächtigten als nicht erbracht ansehen. Es hätte vielmehr auf die Vernehmung des Prozessbevollmächtigten des Beklagten als Zeugen zurückgreifen müssen, da es die eidesstattliche Versicherung für nicht ausreichend gehalten hat, um die volle Überzeugung von dem rechtzeitigen Zugang der Berufungsbegründung zu erbringen.
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- Zwar hat sich der Beklagte in der Annahme, die vorgelegte eidesstattliche Versicherung sei ausreichend, nicht auf die Vernehmung eines Prozessbevollmächtigten als Zeugen berufen. Das Berufungsgericht hätte jedoch den Beklagten gemäß § 139 Abs. 2 ZPO darauf hinweisen müssen, dass zur Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsmittels die vorgelegten Mittel zur Glaubhaftmachung nicht ausreichen und hätte dem Beklagten Gelegenheit geben müssen, Zeugenbeweis anzutreten (BGH Beschlüsse vom 7. Mai 2002 - I ZB 30/01 - Juris; vom 7. Dezember 1999 - VI ZB 30/99 - NJW 2000, 814). Das hat das Berufungsgericht unterlassen und damit den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt.
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- 3. Da der angefochtene Beschluss auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann, ist die Sache zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
- 12
- 4. Der Beschluss war auch aufzuheben, soweit das Berufungsgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen hat. Über den Wiedereinsetzungsantrag darf das Berufungsgericht erst dann entscheiden, nachdem es die Frage, ob die Berufungsbegründungsschrift rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, geklärt hat. Das ist noch nicht geschehen.
Vorinstanzen:
LG Halle, Entscheidung vom 22.08.2005 - 4 O 19/05 -
OLG Naumburg, Entscheidung vom 21.12.2005 - 9 U 113/05 -
Annotations
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.