Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Sept. 2015 - XII ZB 225/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene wendet sich dagegen, dass Amts- und Landgericht ihm die Bestellung eines Betreuers versagt haben.
- 2
- Auf Anregung des Vollstreckungsgerichts ist für den im Jahre 1950 geborenen Betroffenen ein Betreuungsverfahren eingeleitet worden, weil sich im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens Hinweise auf eine psychische Erkrankung des Betroffenen mit Suizidgefahr ergeben hatten. Der Betroffene hat auch selbst die Einrichtung einer Betreuung beantragt und zur Begründung ausgeführt, er sei insbesondere nicht in der Lage, seine finanziellen Angelegenheiten selbst zu erledigen.
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- Der von Vollstreckungsgericht und Betreuungsgericht beauftragte sozialpsychiatrische Dienst hat in einem amtsärztlichen Gutachten eine depressive Symptomatik diagnostiziert, derentwegen der Betroffene mit der Regelung seiner finanziellen und schriftlichen Angelegenheiten überfordert sei. Er sei aber zur Vollmachterteilung sowie dazu in der Lage, seinen Willen unbeeinflusst von dieser Beeinträchtigung zu bilden.
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- Das Amtsgericht hat die Bestellung eines Betreuers abgelehnt, weil der Betroffene sich erforderliche Hilfen durch Erteilung einer (Vorsorge-)Vollmacht beschaffen könne. Die Beschwerde des Betroffenen ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.
II.
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- Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ohne Zulassung durch das Beschwerdegericht statthafte (Senatsbeschluss vom 29. Januar 2014 - XII ZB 519/13 - FamRZ 2014, 652 Rn. 8) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
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- 1. Das Beschwerdegericht hat unter Bezugnahme auf die amtsgerichtliche Entscheidung zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Betroffene leide zwar an einer depressiven Episode. Er sei aber unbeschränkt geschäftsfähig und in der Lage, eine (Vorsorge-)Vollmacht zu erteilen. Von der Möglichkeit, eine Vollmacht zu erteilen, habe er im Übrigen sowohl im Betreuungsverfahren als auch im Zwangsversteigerungsverfahren Gebrauch gemacht. Gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB sei die Einrichtung einer gesetzlichen Be- treuung nicht erforderlich, wenn ein Betroffener geschäftsfähig sei, Vollmachten erteilen und sich alternative Hilfen beschaffen könne. So liege es hier. Der Betroffene vermöge einer Person seines Vertrauens eine Vollmacht in den Angelegenheiten zu erteilen, die er selbst nicht erledigen könne. Dass eine solche Person nicht zur Verfügung stehe, sei nicht hinreichend dargetan. Der Vortrag, die Familienangehörigen hätten im Hinblick auf die damit verbundene Verantwortung Bedenken geäußert, sei jedenfalls nicht ausreichend.
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- 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand
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- a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Beschwerdegerichts , wonach gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB die Betreuung nicht erforderlich ist, soweit die Angelegenheiten des Volljährigen durch einen Bevollmächtigten oder durch andere Hilfen ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können. Daher erübrigt sich eine Betreuungsanordnung jedenfalls dann, wenn der Betroffene noch in der Lage ist, eine Person seines Vertrauens mit der Wahrnehmung der Angelegenheiten zu beauftragen und ein besonderes Bedürfnis für die mit der Betreuung verbundene gerichtliche Kontrolle nicht ersichtlich ist (Senatsbeschluss vom 21. November 2013 - XII ZB 481/12 - FamRZ 2014, 294 Rn. 11 mwN).
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- b) Die Annahme des Beschwerdegerichts, nach diesen Maßstäben sei eine Betreuung im vorliegenden Fall nicht erforderlich, hat hingegen keinen Bestand.
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- aa) Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen leidet der Betroffene jedenfalls unter einer psychischen Krankheit im Sinne des § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB, aufgrund derer er zumindest teilweise nicht in der Lage ist, seine Angelegenheiten zu besorgen. Er ist allerdings nach wie vor geschäftsfähig und damit in rechtlicher Hinsicht imstande, Vollmachten zu erteilen.
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- Die von der Rechtsbeschwerde hiergegen geltend gemachten Verfahrensrügen greifen nicht durch. Insbesondere gehen die auf § 280 FamFG gestützten , gegen das amtsärztliche Gutachten und dessen Verwertung geführten Angriffe der Rechtsbeschwerde schon deshalb ins Leere, weil der Anwendungsbereich dieser Vorschrift mangels Bestellung eines Betreuers oder Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts nicht eröffnet war. Auch ein Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 26 FamFG liegt insoweit nicht vor. Die von der Rechtsbeschwerde in diesem Zusammenhang angeführten Umstände führen nicht dazu, dass das Beschwerdegericht zur Frage der Geschäftsfähigkeit weitere Ermittlungen hätte anstellen müssen.
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- bb) Das Beschwerdegericht hat aber zu Unrecht von der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen und der daraus folgenden Möglichkeit, eine (Vorsorge-) Vollmacht zu erteilen, darauf geschlossen, dass es an einem Betreuungsbedarf fehlt.
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- Ist ein Betroffener in der von § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB erfassten Art und Weise an der eigenverantwortlichen Erledigung seiner Angelegenheiten ganz oder teilweise gehindert und liegt ein Betreuungsbedürfnis vor, kann die Erforderlichkeit der Betreuung nur dann gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 2 BGB verneint werden, wenn konkrete Alternativen im Sinne dieser Vorschrift bestehen. Daher ist das Vorliegen der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen und die damit einhergehende rechtliche Möglichkeit der Bevollmächtigung nicht ausreichend. Vielmehr muss es auch tatsächlich mindestens eine Person geben, welcher der Betroffene das für eine Vollmachterteilung erforderliche Vertrauen entgegen bringt und die zur Übernahme der anfallenden Aufgaben als Bevollmächtigter bereit und in der Lage ist.
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- Hierzu fehlt es - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt - an ausreichenden tatrichterlichen Feststellungen. Der amtsgerichtliche Beschluss erwähnt zwar die "Familienangehörigen", ohne sich aber zum Vertrauensverhältnis , zur Eignung als Bevollmächtigte und dazu zu verhalten, ob sie als solche zur Verfügung stehen würden. Das Beschwerdegericht wiederum beschränkt sich insoweit auf den Hinweis, das Fehlen einer zu bevollmächtigenden Person sei "nicht hinreichend dargetan". Dabei geht es offensichtlich unzutreffend von einer entsprechenden Vortragslast des die Betreuung beantragenden Betroffenen aus und verkennt damit grundlegend die aus § 26 FamFG folgende Verpflichtung des Gerichts, von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
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- 3. Die Sache ist gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG zur Nachholung der bislang unterbliebenen Feststellungen an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen.
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- 4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Vorinstanzen:
AG Gelnhausen, Entscheidung vom 14.01.2015 - 76 XVII 507/14 -
LG Hanau, Entscheidung vom 23.04.2015 - 3 T 60/15 -
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Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts hat eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Der Sachverständige soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie sein.
(2) Der Sachverständige hat den Betroffenen vor der Erstattung des Gutachtens persönlich zu untersuchen oder zu befragen. Das Ergebnis einer Anhörung nach § 279 Absatz 2 Satz 2 hat der Sachverständige zu berücksichtigen, wenn es ihm bei Erstellung seines Gutachtens vorliegt.
(3) Das Gutachten hat sich auf folgende Bereiche zu erstrecken:
- 1.
das Krankheits- oder Behinderungsbild einschließlich dessen Entwicklung, - 2.
die durchgeführten Untersuchungen und die diesen zugrunde gelegten Forschungserkenntnisse, - 3.
den körperlichen und psychischen Zustand des Betroffenen, - 4.
den aus medizinischer Sicht aufgrund der Krankheit oder Behinderung erforderlichen Unterstützungsbedarf und - 5.
die voraussichtliche Dauer der Maßnahme.
Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.