Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2006 - VIII ZB 101/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Das Landgericht hat durch Urteil vom 21. Juli 2005, das dem Kläger am 22. Juli 2005 zugestellt worden ist, die Klage abgewiesen. Eine Rechtsanwaltsfachangestellte im Büro des Prozessbevollmächtigten des Klägers hat die an das Oberlandesgericht adressierte Berufungsschrift des Klägers vom 22. August 2005 am selben Tag per Telefax versandt, dabei jedoch irrtümlich die Telefaxnummer des Amtsgerichts Koblenz verwendet. Die vom Amtsgericht weitergeleitete Telekopie und das Original des Berufungsschriftsatzes sind am 23. August 2005 beim Oberlandesgericht Koblenz eingegangen. Dies ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 29. August 2005 mitgeteilt worden.
II.
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- Das Oberlandesgericht hat zur Begründung ausgeführt:
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- Die Berufung sei als unzulässig zu verwerfen, weil die Berufungsschrift nicht innerhalb der Berufungsfrist beim Oberlandesgericht eingegangen sei. Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zurückzuweisen , weil die Berufungsfrist nicht ohne Verschulden seines Prozessbevollmächtigten versäumt worden sei. Es liege ein dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Organisationsverschulden des Rechtsanwalts vor, da dieser keine ausreichende Anweisung zur sicheren Übermittlung von Telefaxen an sein Büropersonal erteilt habe. Die jeweiligen Bürokräfte seien unter anderem befugt, die Telefaxnummern aus dem System "klickTel" herauszusuchen. Dieses System stelle erkennbar nicht so eindeutige Angaben her, dass eine normal geschulte Rechtsanwaltsfachangestellte in der Lage sei, damit fehlerfrei zu arbeiten. So weise der vorgelegte Ausdruck unter der Rubrik "Justizbehörden - Amtsgericht Landgericht Staatsanwaltschaft Oberlandesgericht" eine Vielzahl von Telefaxnummern aus, ohne dass eine Zuordnung zu der gewünschten Dienststelle unproblematisch möglich wäre. Der vom Kläger vorgelegte Ausdruck aus dem Telefonverzeichnis der Deutschen Telekom "Das Örtliche", anhand dessen das Büropersonal die ermittelte Telefonnummer zu überprüfen habe, weise unter "Justizbehörden" gar keine Telefaxnummer des Oberlandesgerichts aus. Die Arbeitsanweisung, die benötigten Telefaxnummern - unter anderem - aus dem System "klickTel" herauszusuchen, sei daher fehlerhaft. Jedenfalls hätte die Arbeitsanweisung bei Verwendung derart unklarer Telefonverzeichnisse privater Anbieter dahin lauten müssen, dass eine Abgleichung anhand amtlicher Verzeichnisse zu erfolgen habe.
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- Zwar habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers glaubhaft gemacht, es gebe darüber hinaus die Anweisung, nach Durchführung des Sendevorgangs das Sendeprotokoll noch einmal sowohl anhand der Angaben in "klickTel" als auch des aktuellen Telefonbuchs der Telekom zu überprüfen. Aus dem vorgelegten Sendeprotokoll ergebe sich aber kein Hinweis darauf, dass es sich bei der gewählten Nummer um die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Koblenz gehandelt habe. Wenn die Bürokraft berechtigt gewesen sei, das unübersichtliche Verzeichnis "klickTel" zu verwenden, so hätte die Arbeitsanweisung bezüglich der Überprüfung des Sendevorgangs jedenfalls dahin lauten müssen, dass der Empfänger des Schriftsatzes hätte namentlich feststellbar sein müssen. Gegebenenfalls hätte daher eine fernmündliche Rückfrage bei dem Berufungsgericht erfolgen müssen.
III.
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- Die zulässige Rechtsbeschwerde des Klägers hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist.
- 6
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthaft. Sie ist auch nach § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
- 7
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Zwar hat der Kläger die gemäß § 517 ZPO am 22. August 2005 abgelaufene Berufungsfrist versäumt, weil seine Berufungsschrift erst am 23. August 2005 beim Berufungsgericht eingegangen ist. Dem Kläger ist jedoch auf seinen rechtzeitigen Antrag gemäß §§ 233 ff. ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beruht die Versäumung der Berufungsfrist nicht auf einem dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozessbevollmächtigten. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde , dass das Berufungsgericht im vorliegenden Fall die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Anwalts überspannt und das Vorbringen des Klägers zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags nicht hinreichend gewürdigt hat.
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- a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Rechtsanwalt , der unter Einschaltung seines Büropersonals fristgebundene Schriftsätze per Telefax einreicht, verpflichtet, durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen , dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (BGH, Beschluss vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04, NJW-RR 2005, 1373, unter II 1; Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04, NJW 2006, 2412, unter II 2, jeweils m.w.Nachw.). Hierzu gehört bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel auch, dass ein Sendebericht ausgedruckt wird, der anhand des zuvor verwendeten oder eines anderen, ebenso zuverlässigen Verzeichnisses zu überprüfen ist, um nicht nur Fehler bei der Eingabe, sondern auch bereits Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (vgl. Beschluss vom 10. Mai 2006, aaO).
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- b) Diesen Anforderungen genügen die zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags dargelegten und glaubhaft gemachten Vorkehrungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Durch sie war von Seiten des Rechtsanwalts in ausreichendem Maße sichergestellt, dass der Berufungsschriftsatz an die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Koblenz versendet werden würde. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht ein Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers damit begründet, dass die Büroangestellten befugt seien, Telefaxnummern aus dem Verzeichnis "klickTel" herauszusuchen, obwohl dieses erkennbar nicht so eindeutige Angaben herstelle, dass eine normal geschulte Rechtsanwaltsfachangestellte in der Lage sei, damit fehlerfrei zu arbeiten.
- 10
- Hierbei hat das Berufungsgericht zum einen nicht berücksichtigt, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen und glaubhaft gemacht hat, das von ihm dargelegte Verfahren - einschließlich der Verwendung des Telefonverzeichnisses "klickTel" - habe sich in den letzten Jahren beanstandungsfrei bewährt, wobei in seiner Kanzlei jährlich etwa 60.000 Gerichtsverfahren betrieben würden; dies steht der Annahme des Berufungsgerichts entgegen , das verwendete Telefonverzeichnis sei erkennbar nicht für eine fehlerfreie Benutzung durch das Büropersonal geeignet gewesen. Zum anderen bestand darüber hinaus die Anweisung, die im Verzeichnis "klickTel" ermittelte Empfängernummer anhand des Telefonverzeichnisses der Deutschen Telekom "Das Örtliche" zu überprüfen. Wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt, hätte das Berufungsgericht diese zusätzliche Vorkehrung nicht ohne vorherige Erteilung eines Hinweises (§ 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO) mit der Begründung als unzureichend ansehen dürfen, der vom Kläger vorgelegte Ausdruck weise unter der Eintragung "Justizbehörden" keine Telefaxnummer des Oberlandesgerichts Koblenz aus. Dieser Auszug aus dem Telefonverzeichnis "Das Örtliche" war erkennbar unvollständig; dies ergibt sich aus der Übersichtszeile, in der es un- ter anderem heißt: "Treffer gesamt: 28; Seite 1 von 2 (Treffer 1…20)". Wie die Rechtsbeschwerde unter Vorlage eines vollständigen Ausdrucks aufzeigt, enthält auch das Telefonverzeichnis "Das Örtliche" eine Telefaxnummer des Oberlandesgerichts.
- 11
- Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war der Prozessbevollmächtigte des Klägers im vorliegenden Fall auch weder verpflichtet, das Büropersonal zu einer Abgleichung der Empfängernummer anhand "amtlicher" Verzeichnisse anzuhalten (vgl. BGH, Beschluss vom 19. März 1997 - IV ZB 14/96, NJW-RR 1997, 952; Beschluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 35/03, NJW 2004, 2830; Beschluss vom 10. Mai 2006, aaO), noch bedurfte es zur Überprüfung des Sendevorgangs einer Anweisung dahin, dass der Empfänger des Schriftsatzes hätte namentlich feststellbar sein und anderenfalls eine fernmündliche Rückfrage bei dem Berufungsgericht hätte erfolgen müssen. Vielmehr waren die organisatorischen Vorkehrungen ausreichend, um Fehler bei der Ermittlung der Empfängernummer aufzudecken. Dass die Berufungsschrift im konkreten Fall gleichwohl an ein unzuständiges Gericht versandt worden ist, beruht nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen in der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags auf einem Versehen der Büroangestellten, das für den Pro- zessbevollmächtigten des Klägers nicht vorhersehbar war und dem Kläger nicht gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
Vorinstanzen:
LG Koblenz, Entscheidung vom 21.07.2005 - 1 O 373/02 -
OLG Koblenz, Entscheidung vom 17.10.2005 - 10 U 1248/05 -
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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat; sie ist eine Notfrist und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.