Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juni 2004 - VII ZB 35/03

published on 24/06/2004 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juni 2004 - VII ZB 35/03
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 35/03
vom
24. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur Ermittlung der Faxnummer eines Gerichts darf sich der Rechtsanwalt auf ein seit
Jahren bewährtes EDV-Programm in der jeweils neuesten Fassung in der Regel verlassen.
Eine organisatorische Anweisung des Anwalts an seine Bürokraft, eine Abgleichung
der Faxnummer mit den Angaben in Anschreiben des Gerichts oder im
Telefonbuch vorzunehmen, ist grundsätzlich nicht erforderlich.
BGH, Beschluß vom 24. Juni 2004 - VII ZB 35/03 - LG Lüneburg
AG Uelzen
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Juni 2004 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Kuffer,
Prof. Dr. Kniffka und Bauner

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 18. September 2003 aufgehoben. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gegen das Urteil des Amtsgerichts Uelzen vom 24. April 2003 gewährt.

Gründe:

I.

1. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts, das ihm am 29. April 2003 zugestellt worden ist, am 28. Mai 2003 beim Landgericht unter der Faxnummer 455 Berufung eingelegt. Er hat am Montag, dem 30. Juni 2003 per Telefax beantragt, die Berufungsbegründungsfrist zu verlängern. Der Antrag wies die Telefaxnummer des Amtsgerichts (453) aus und in Klammer eine weitere Nummer (256), bei der es sich nach in den Akten befindlichen Schriftstücken des Landgerichts um die Faxnummer des Landgerichts handelt. Er ging beim Amtsgericht am 30. Juni
2003 um 16.07 Uhr ein und wurde von dort an das Landgericht weitergeleitet, wo er am 1. Juli 2003 einging. Die Berufungsbegründung, deren Frist bis zum 29. Juli 2003 verlängert worden war, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin erneut unter derselben Faxnummer eingereicht. Sie ging am 29. Juli 2003 nach Dienstschluß beim Amtsgericht ein und wurde am 30. Juli 2003 an das Landgericht weitergeleitet. Nach Hinweis auf die verspätet eingelegte Berufungsbegründung hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin fristgerecht Wiedereinsetzung beantragt und glaubhaft gemacht: In den Anträgen sei eine falsche Faxnummer deswegen verwendet worden, weil es zwischenzeitlich wegen eines Updates zur Veränderung der Adreßdateien im Programm RA Micro gekommen sein müsse. In der Kanzlei werde das seit Jahren bewährte Programm RA Micro benutzt. Dabei würden nach Aufruf des Programms die Adresse und die Faxnummer ausgedruckt und auf die Schriftsätze gedruckt. Die Berufung sei unter der Nr. 455 gefaxt worden, der Verlängerungsantrag und die Berufungsbegründung unter der Nr. 453. Es bestehe zudem die Weisung, die Faxnummer abzugleichen. Die sonst zuverlässige Fachangestellte L. sei der Weisung nicht nachgekommen und habe sich auf das Programm RA Micro verlassen. 2. Das Landgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen und den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Die Berufungsbegründungsfrist sei versäumt worden. Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren, weil der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin schuldhaft die Berufungsbegründungsfrist nicht eingehalten habe. Es entlaste ihn nicht, wenn das Programm RA Micro die falsche Faxnummer ausweise. Es bestünden
zudem Bedenken, ob dies tatsächlich der Fall gewesen sei, da die Berufung die richtige Faxnummer aufweise. Es entlaste ihn auch nicht, daß schon der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist an das Amtsgericht gefaxt worden sei. Schon mit dessen Eingang am 1. Juli 2003 hätte die Berufung verworfen werden können.

II.

Die dagegen fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig (§ 574 Abs. 1, 2 Nr. 2 in Verbindung mit § 238 Abs. 2 ZPO) und begründet. Der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil die Versäumung der Berufungsbegründung nicht auf einem Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten beruht, das sich die Klägerin zurechnen lassen müßte (§ 85 Abs. 2 ZPO). Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründung und die Berufungsbegründung selbst sind deswegen verspätet eingereicht worden, weil sie jeweils unter Verwendung einer falschen Faxnummer nicht an das Landgericht, sondern an das Amtsgericht gesandt worden sind. Bei der Verwendung des Telefax handelte es sich um eine einfache technische Verrichtung, die der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin der damit vertrauten Fachangestellten überlassen durfte (BGH, Beschluß vom 28. Oktober 1993 - VII ZB 22/93, NJW 1994, 329). Sollte die Angestellte des Klägervertreters hier die falsche Faxnummer deswegen verwendet haben, weil das EDV-Programm RA Micro im betreffenden Update die Faxnummer des Landgerichts fehlerhaft aufwies, so liegt hierin weder ein Verschulden des Klägervertreters noch seiner Angestellten. Auf die
Richtigkeit dieses Programms in seiner jeweils neuesten Fassung darf sich der Anwalt in der Regel verlassen. Sollte es hingegen deshalb zur Verwendung einer falschen Faxnummer gekommen sein, weil die Angestellte den Ausdruck aus dem Programm fehlerhaft gehandhabt hat, so läge ein Fehlverhalten der Bürokraft vor, das der Klägerin nicht als Verschulden angerechnet werden kann. Auf die glaubhaft gemachte Anweisung des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin an seine Kanzleikraft, bei Verwendung des Programms RA Micro jeweils noch eine Abgleichung der Faxnummer mit den Angaben in Anschreiben des Gerichts oder im Telefonbuch vorzunehmen, kommt es nicht an. Die Organisation des Anwalts muß derartige Maßnahmen, die dem Einsatz des EDVProgramms seine Rationalisierungswirkung nehmen würden, grundsätzlich nicht vorsehen, solange sichergestellt ist, daß das EDV-Programm jeweils in seiner neuesten Fassung verwendet wird. Der Gewährung der Wiedereinsetzung steht nicht entgegen, daß bereits der Verlängerungsantrag vom 30. Juni 2003 verspätet beim Landgericht eingegangen ist und die Begründungsfrist daher schon seinerzeit versäumt war.
Auch dies beruht auf den gleichen Umständen wie die Versäumung der auf den 29. Juli 2003 verlängerten Frist, so daß auch insoweit ein Wiedereinsetzungsgrund gegeben ist. Dressler Thode Kuffer Kniffka Bauner
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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A
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Annotations

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.