Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZR 40/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin verlangt vom Beklagten Restwerklohn.
- 2
- Sie wurde am 11. April 2003 vom Beklagten mit den Roharbeiten im Rahmen der Errichtung einer Seniorenwohnanlage zu einem Pauschalpreis von 1.106.480,40 € brutto beauftragt. Vertragsbestandteil waren die VOB/B sowie ein von der Streithelferin des Beklagten erstelltes Leistungsverzeichnis vom 27. November 2002, eine Aufstellung der Klägerin vom 6. Februar 2003 und ein weiteres Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003, in das verschiedene Änderungen eingearbeitet worden waren.
- 3
- Die Klägerin hat zuletzt den ihr noch zustehenden Werklohn mit 74.636,16 € errechnet und diesen Betrag eingeklagt. Sie hat dabei Leistungen als zusätzlich in Rechnung gestellt, von denen der Beklagte der Meinung ist, sie seien vom Pauschalpreis umfasst. Das Landgericht hat der Klägerin 58.552,10 € nebst Zinsen zugesprochen. Auf die Berufung des Beklagten hat das Berufungsgericht diesen nur noch zur Zahlung von 8.241,48 € nebst Zinsen verurteilt. Es hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie will mit der Revision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils erreichen.
II.
- 4
- Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision hat teilweise Erfolg.
- 5
- 1. Das Berufungsurteil beruht auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht den Zuschlag von 1.344,60 € netto für die Position 18100090 - S. -Isokorb - aus dem 6. Nachtrag nicht zugesprochen hat.
- 6
- a) Das Berufungsgericht führt insoweit aus, die Klägerin könne diesen Betrag nicht verlangen, weil von ihr nicht ausreichend dargetan sei, dass es sich tatsächlich um eine zusätzliche Leistung handele. Damit hat es, wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht rügt, gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen. Es hätte die Klägerin auf seine Beurteilung hinweisen und ihr Gelegenheit geben müssen, ihren Vortrag zu ergänzen.
- 7
- b) Zwar stellt nicht jeder Verstoß gegen § 139 ZPO eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar. Die Vorschrift geht über das verfassungsrechtlich gebotene Minimum hinaus (BVerfG, NJW-RR 2005, 936, 937). Es bedarf vielmehr im Einzelfall der Prüfung, ob dadurch zugleich das unabdingbare Maß verfassungsrechtlich verbürgten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist (BVerfGE 60, 305).
- 8
- Das ist hier jedoch der Fall. Die Klägerin hatte zu dieser Position in erster Instanz vorgetragen, der Beklagte habe den S. -Isokorb zunächst in einer einfachen, dann aber in einer teureren Ausführung gewünscht. Der Beklagte und seine Streithelferin haben sich dazu nicht im Einzelnen geäußert, sondern nur allgemein behauptet, es seien keine Zusatzaufträge erteilt worden. Das Landgericht hat den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Berufungsinstanz wurde die Position vom Beklagten und seiner Streithelferin wiederum nicht ausdrücklich angesprochen, sondern generell die Erteilung von Zusatzaufträgen bestritten.
- 9
- Bei dieser Sachlage stellt es eine gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßende Überraschungsentscheidung dar, wenn das Berufungsgericht ohne vorherigen Hinweis im Gegensatz zu der Beurteilung des Landgerichts den Vortrag der Klägerin als nicht ausreichend ansieht (vgl. auch BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - VII ZR 197/01, BauR 2002, 1432 = ZfBR 2002, 678).
- 10
- c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Klägerin auf einen entsprechenden Hinweis hin ergänzend dargelegt, dass die Isokörbe im Obergeschoss eingebaut worden seien, an der Decke über dem Erdgeschoss, und dass ihr erst nach Auftragsvergabe insoweit Ausführungspläne übergeben worden seien, die andere Isokörbe vorgesehen hätten. Es ist nicht auszuschließen, dass dann das Berufungsgericht diese Position als eine vergütungspflichtige zusätzliche Leistung angesehen hätte.
- 11
- 2. Das Berufungsurteil beruht des Weiteren auf einer Verletzung des Anspruchs der Klägerin auf rechtliches Gehör, soweit das Berufungsgericht der Klägerin einen Betrag von 10.069 € netto für den im Dachgeschoss verwendeten Stahl nicht zuerkannt hat.
- 12
- a) Das Berufungsgericht führt hierzu aus: Nach dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen spreche einiges dafür, dass die von der Klägerin in Ansatz gebrachte größere Stahlmenge bereits im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 berücksichtigt worden sei. Es sei nun Sache der Klägerin zu beweisen , dass ungeachtet dessen tatsächlich mehr Stahl verwendet worden sei, als im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 vorgesehen. Diesen Beweis könne die Klägerin nicht erbringen.
- 13
- Damit hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG erheblichen Vortrag der Klägerin nicht berücksichtigt und abermals gegen seine Hinweispflicht aus § 139 Abs. 1, Abs. 2 ZPO verstoßen.
- 14
- b) Die Klägerin ist in erster Instanz den Ausführungen des Sachverständigen entgegengetreten. Sie hat vorgetragen: Die im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 enthaltene größere Stahlmenge habe mit dem im Dachgeschoss verwendeten Stahl nichts zu tun. Dort sei ursprünglich eine Holzkonstruktion vorgesehen gewesen, was dann geändert worden sei. In ihrer Aufstellung vom 6. Februar 2003, die Vertragsbestandteil geworden sei, sei festgehalten, dass die Stahlkonstruktion der Dachkonstruktion nicht enthalten sei. Bisher sei diese Position auch nicht strittig gewesen.
- 15
- Der Beklagte hat sich hierzu nicht geäußert. Seine Streithelferin hat lediglich ausgeführt, nach den Feststellungen des Sachverständigen könnten die Mengen nicht nachvollzogen werden und seien bereits im Leistungsverzeichnis vom 4. April 2003 enthalten; dem sei nichts hinzuzufügen. Sie legt aber nicht dar, warum sie diese Position in ihrer Prüfung der Schlussrechnung vom 11. November 2004 lediglich geringfügig reduziert und in ihrer weiteren Prüfung vom 15. Februar 2005 völlig unbeanstandet gelassen hat. Das Landgericht hat den geltend gemachten Betrag zugesprochen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin noch einmal darauf hingewiesen, dass das Sachverständigengutachten hinsichtlich der Position Stahl im Dachgeschoss angreifbar sei. Es ist daher nichts dafür ersichtlich, dass sie ihren erstinstanzlichen Vortrag nicht mehr aufrechterhalten wollte. Der Beklagte und die Streithelferin haben sich mit der Position in der Berufungsinstanz nicht mehr befasst.
- 16
- Bei dieser Sachlage ist davon auszugehen, dass das Berufungsgericht den zentralen Vortrag der Klägerin zu dieser Position nicht zur Kenntnis genommen hat. Es hat zudem dadurch den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, dass es trotz der gegenteiligen Beurteilung durch das Landgericht und eines fehlenden konkreten Angriffs des Beklagten ohne vorherigen Hinweis die Klage in diesem Punkt abgewiesen hat.
- 17
- c) Der Verstoß ist entscheidungserheblich. Nach dem Vortrag der Nichtzulassungsbeschwerde hätte die Klägerin nach dem gebotenen Hinweis auf ihren oben wiedergegebenen Vortrag hingewiesen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gekommen wäre, wenn es den Vortrag berücksichtigt hätte.
III.
- 18
- Im Übrigen wird von einer Begründung der Entscheidung über die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde abgesehen, weil sie nicht geeig- net wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist (§ 544 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz ZPO).
Vorinstanzen:
LG Bückeburg, Entscheidung vom 15.05.2009 - 2 O 176/05 -
OLG Celle, Entscheidung vom 10.02.2010 - 7 U 103/09 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.