Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Feb. 2017 - VI ZR 314/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Februar 2017 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterinnen von Pentz und Dr. Oehler und den Richter Dr. Klein
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche wegen Tierhalterhaftung geltend. Der Ehemann der Klägerin (künftig: der Geschädigte) entfernte auf dem Gehweg vor seinem Hausgrundstück in gebückter Haltung Unkraut. Dabei erschreckte er sich durch das Verhalten des Hundes des Beklagten und verdrehte sich das Bein. In der Folge unterzog er sich einer Knieoperation (Kreuzbandplastik), de- ren Erforderlichkeit er auf den Vorfall mit dem Hund des Beklagten zurückführt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht nach Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 300 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 46,41 €, jeweils nebst Zinsen, zu zahlen. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
- 2
- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Erläuterung des Gutachtens des Sachverständigen Dr. G. abgesehen hat.
- 3
- 1. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats steht jeder Prozesspartei gemäß §§ 397, 402 ZPO zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Recht zu, einen Sachverständigen zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen (vgl. etwa Senatsurteile vom 21. September 1982 - VI ZR 130/81, NJW 1983, 340, 341; vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95, VersR 1996, 211; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, VersR 1998, 342, 343; Senatsbeschluss vom 5. September 2006 - VI ZR 176/05, NJW-RR 2007, 212). Der Tatrichter muss dementsprechend dem von einer Partei recht- zeitig gestellten Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen nach Erstattung des schriftlichen Gutachtens zu dessen mündlicher Verhandlung zu laden, selbst dann stattgeben, wenn die schriftliche Begutachtung aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend ist (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, VersR 1997, 509 mwN). Dieser Pflicht ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen verspätet oder rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist. Von letzterem kann nicht die Rede sein, wenn die Partei (wie in § 411 Abs. 4 ZPO vorgesehen ) konkret vorgetragen hat, worin sie Unklarheiten und Erläuterungsbedarf im Hinblick auf das schriftliche Sachverständigengutachten sieht und in welcher Richtung sie ihr Fragerecht ausüben will (vgl. Senatsurteil vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, aaO).
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- 2. Im vorliegenden Fall war der von der Klägerin gestellte Antrag auf Anhörung des Sachverständigen weder verspätet noch rechtsmissbräuchlich. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 19. Februar 2015 weitergehende Fragen an den Sachverständigen angekündigt, die Klarheit dazu schaffen sollten, ob die Kreuzbandoperation auch ohne das schädigende Ereignis erforderlich gewesen wäre. Sie hat dazu ausgeführt, dass der Geschädigte trotz einer vorbestehenden vorderen Kreuzbandruptur bis zu dem schädigenden Ereignis keine wesentlichen gesundheitlichen Probleme gehabt habe und trotz seines Alters sehr aktiv, fit und leistungsfähig gewesen sei. Soweit auf schriftlichem Wege eine abschließende Klärung dieser Frage nicht möglich sei, hat sich die Klägerin einen Antrag auf persönliche Anhörung des Sachverständigen vorbehalten. Nachdem das Berufungsgericht mit Verfügung vom 4. März 2015 ausgeführt hat, dass es nicht beabsichtige, dem Sachverständigen die mit Schriftsatz der Klägerin vom 19. Februar 2015 gestellten Fragen zur Stellungnahme zu übersenden oder den Sachverständigen zum Termin zur Anhörung zu laden, hat die Klägerin in einem weiteren Schriftsatz vom 14. März 2015 unter anderem ein Übergehen des Antrags auf Anhörung des Sachverständigen als Verstoß gegen rechtliches Gehör bezeichnet. Schließlich hat der instanzgerichtliche Prozessbevollmächtigte der Klägerin nochmals in der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2015 die mangelnde Ausschöpfung der Beweismittel sowie die Nichtbeachtung der Einwendungen gegen das Gutachten nebst Übergehen von Beweisantritten gerügt.
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- 3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Anhörung des Sachverständigen nicht deshalb entbehrlich, weil es sich bei den Fragen, welche die Klägerin dem Sachverständigen stellen wollte, allein um Rechtsfragen gehandelt habe. Vielmehr ist die Frage, ob der Geschädigte trotz der bereits bestehenden Ruptur des vorderen Kreuzbandes bis zu dem Vorfall mit dem Hund des Beklagten im Wesentlichen beschwerdefrei war und erst die erlittene Distorsion die erfolgte Kreuzbandplastik erforderlich machte, eine tatsächliche Frage, welche in Ermangelung eigener Sachkunde des Gerichts nur mit Hilfe des medizinischen Sachverständigen beantwortet werden kann.
- 6
- 4. Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Klärung zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wä- re, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung auch das weitere Vorbringen der Klägerin zu berücksichtigen haben. Galke Wellner von Pentz Oehler Klein
LG Braunschweig, Entscheidung vom 09.04.2013 - 7 O 1322/12 (204) -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 30.04.2015 - 8 U 66/13 -
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(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.
(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.
(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.
Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.
(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.
(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.
(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.
(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.