Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Apr. 2019 - VI ZR 279/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. April 2019 durch die Richterin von Pentz als Vorsitzende, die Richterinnen Dr. Roloff und Müller und die Richter Dr. Allgayer und Böhm
beschlossen:
Gründe:
I.
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- Die Kläger nehmen die Beklagte auf Unterlassung einer Bildberichterstattung in Anspruch. Die Beklagte verlegt die Illustrierte DAS NEUE BLATT. Diese veröffentlichte am 1. Juli 2015 unter der Überschrift "Unglaublich, sie planen ihre kirchliche Hochzeit" unter anderem ein Foto des Wohnhauses der Kläger ("das Foto"). In dem Begleittext heißt es "Neues Zuhause [Kläger] zog bei [Klägerin ] und den beiden Söhnen in [G.] ein".
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- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Kammergericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit Beschluss vom 6. August 2018 hat es sein Urteil auf einen Tatbestandsberichtigungsantrag der Beklagten hin berichtigt. Die Revision hat es nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
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- Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht ist unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG zu der Annahme gelangt, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger die schutzwürdigen Interessen der Beklagten überwiege.
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- 1. Das Berufungsgericht hat - soweit hier erheblich - ausgeführt, in der Veröffentlichung des Fotos liege ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kläger. Ein umfriedetes Grundstück sei jedenfalls dann der Privatsphäre zuzurechnen, wenn es - wie vorliegend - dem Nutzer die Möglichkeit gebe, frei von öffentlicher Beobachtung zu sein; der Schutz entfalle nicht deshalb , weil Vorbeikommende Grundstücksteile einsehen könnten. Die Veröffentlichung des Fotos greife in die Privatsphäre ein. Die Anonymität des Anwesens werde aufgehoben. Die Abbildung werde den Klägern zugeordnet und gewinne einen zusätzlichen Informationsgehalt. Hierdurch entstehe die Gefahr, dass das Grundstück in seiner Eignung als Rückzugsort für die Kläger beeinträchtigt werde. Die Kläger müssten den Eingriff nicht hinnehmen. Zwar leiste die nicht angegriffene Textberichterstattung einen Beitrag zu einer Diskussion allgemeinen Interesses. Angesichts der politischen Bedeutung der vom Kläger zu 1 ausgeübten Staatsämter sowie der von den Klägern immer wieder gewährten tiefen Einblicke in ihr Eheleben habe ihre Versöhnung Nachrichten- und Informationswert. Das Wohnhaus könne aber anhand des Bildes für einen hinreichend großen Kreis von Personen lokalisiert werden. Die Kläger seien in gesteigertem Maße schutzbedürftig, da eine erhöhte Gefahr bestehe, dass sie und die in dem Haushalt lebenden minderjährigen Kinder belästigt oder angegriffen würden. Am 27. Januar 2018 sei bei den Klägern eingebrochen worden. Am 31. Januar 2018 habe eine Person in Polizeiuniform die Haustür aufgestoßen und zu dem älteren Sohn gesagt, dass er dessen Mutter, der Klägerin zu 2, ein Messer an die Kehle setzen würde und deren Ehemann, den Kläger zu 1 ebenfalls umbringen würde. Diese Vorfälle zeigten, dass eine erhöhte konkrete Gefahr bestehe, dass die Familie der Kläger in ihrem Wohnhaus Opfer von Straftaten werde. Bei der Abwägung komme dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Kläger daher überwiegende Bedeutung zu. Das von der Beklagten verfolgte Informationsinteresse müsse zurücktreten.
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- Mit Berichtigungsbeschluss vom 6. August 2018 hat das Berufungsgericht sein Urteil gemäß § 320 ZPO dahin berichtigt, dass nach dem bestrittenen Vortrag der Kläger am 27. Januar 2018 bei den Klägern eingebrochen, sowie nach dem bestrittenen Vortrag der Kläger am 31. Januar 2018 eine Person in Polizeiuniform die Haustür aufgestoßen und die oben wiedergegebenen Äußerungen getätigt habe.
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- 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht das - erhebliche - Bestreiten der Beklagten im Hinblick auf die von den Klägern behaupteten Geschehnisse am 27. und 31. Januar 2018 nicht berücksichtigt hat.
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- a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Art. 103 Abs. 1 GG ist allerdings erst verletzt, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Gerichte das von ihnen entgegengenommene Parteivorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Sie sind dabei nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 70, 288, 293; BVerfGE 86, 133, 145 f.; Senat, Beschluss vom 15. September 2015 - VI ZR 431/14, ZMGR 2015, 409; juris Rn. 8).
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- b) Solche Umstände hat die Nichtzulassungsbeschwerde hier aufgezeigt. Das Berufungsgericht ist bei der Begründung seines Urteils davon ausgegangen , dass der Vortrag der Kläger, am 27. Januar 2018 sei bei ihnen eingebrochen worden, sowie am 31. Januar 2018 habe eine Person in Polizeiuniform die Haustür aufgestoßen und habe die oben wiedergegebenen Äußerungen getätigt , unstreitig ist. Es hat diese Geschehnisse maßgeblich in die von ihm vorgenommene Abwägung eingestellt. Dabei hat es übergangen, dass die Beklagte den Vortrag der Kläger bestritten hat. Das ergibt sich daraus, dass es auf den Tatbestandsberichtigungsantrag der Beklagten mit Beschluss vom 6. August 2018 die Worte "nach dem bestrittenen Vortrag der Kläger" nachträglich in die Urteilsgründe eingefügt hat.
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- c) Der Gehörsverstoß ist auch erheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es das Bestreiten der Beklagten berücksichtigt hätte. von Pentz Roloff Müller Allgayer Böhm
LG Berlin, Entscheidung vom 10.11.2016 - 27 O 125/16 -
KG Berlin, Entscheidung vom 31.05.2018 - 10 U 140/16 -
Annotations
(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).
(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn
- 1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder - 2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.
(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.
(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.
(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.
(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.
(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.
(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.
(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.
(1) Enthält der Tatbestand des Urteils Unrichtigkeiten, die nicht unter die Vorschriften des vorstehenden Paragraphen fallen, Auslassungen, Dunkelheiten oder Widersprüche, so kann die Berichtigung binnen einer zweiwöchigen Frist durch Einreichung eines Schriftsatzes beantragt werden.
(2) Die Frist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils. Der Antrag kann schon vor dem Beginn der Frist gestellt werden. Die Berichtigung des Tatbestandes ist ausgeschlossen, wenn sie nicht binnen drei Monaten seit der Verkündung des Urteils beantragt wird.
(3) Das Gericht entscheidet ohne Beweisaufnahme. Bei der Entscheidung wirken nur diejenigen Richter mit, die bei dem Urteil mitgewirkt haben. Ist ein Richter verhindert, so gibt bei Stimmengleichheit die Stimme des Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung die Stimme des ältesten Richters den Ausschlag. Eine Anfechtung des Beschlusses findet nicht statt. Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.
(4) Die Berichtigung des Tatbestandes hat eine Änderung des übrigen Teils des Urteils nicht zur Folge.