Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2007 - VI ZB 66/06

bei uns veröffentlicht am25.04.2007
vorgehend
Landgericht Lüneburg, 3 O 365/04, 17.03.2006
Oberlandesgericht Celle, 7 U 87/06, 10.08.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 66/06
vom
25. April 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Pflicht eines Rechtsanwalts, die Eintragung des Fristendes für eine Berufungsbegründung
auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, wenn ihm die Handakte
aufgrund einer notierten Vorfrist vorgelegt wird.
BGH, Beschluss vom 25. April 2007 - VI ZB 66/06 - OLG Celle
LG Lüneburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2007 durch die Vizepräsidentin
Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen sowie
die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 10. August 2006 wird auf Kosten des Beklagten verworfen. Beschwerdewert: bis 9.272 €

Gründe:

I.

1
Der Beklagte ist durch Urteil des Landgerichts zur Zahlung verurteilt worden. Dagegen hat der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten Berufung einlegen lassen. Die Frist zur Begründung der Berufung ist bis zum 26. Juni 2006 verlängert worden. Bis zum Ablauf der Frist ist eine Berufungsbegründung nicht beim Berufungsgericht eingegangen. Den Antrag des Beklagten , ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, hat das Berufungsgericht zurückgewiesen, die Berufung hat es als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

2
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
3
2. Allerdings begegnet der angefochtene Beschluss Bedenken, weil er keine Darstellung des Sachverhalts sowie der Anträge der Parteien enthält. Es handelt sich um einen Beschluss, der von Gesetzes wegen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden kann (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt , über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den gesetzmäßigen Gründen versehen (Senatsbeschluss vom 20. Juni 2006 - VI ZB 75/05 - VersR 2006, 1423, 1424; BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01 - VersR 2003, 926; vom 12. Juli 2004 - II ZB 3/03 - NJW 2005, 78; vom 7. April 2005 - IX ZB 63/03 - BGH-Report 2005, 1000). Das Fehlen einer Sachdarstellung kann hier nur deshalb hingenommen werden, weil sich die prozessualen Vorgänge, auf die es hier alleine ankommt, mit noch ausreichender Deutlichkeit aus den Beschlussgründen und den dort in Bezug genommenen Aktenteilen ergeben.
4
3. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu Recht zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Der Beklagte hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Versäumnis beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten , das er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO anrechnen lassen muss.
5
a) Nach dem Vortrag des Beklagten unterlief der zuverlässigen Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten beim Notieren der verlängerten Beru- fungsbegründungsfrist ein Zahlendreher, indem sie statt des 26. Juni den 29. Juni 2006 auf der Akte notierte. Dieser Fehler fiel dem Prozessbevollmächtigten nicht auf, als ihm die Akte am Tag der notierten Vorfrist, dem 19. Juni 2006, vorgelegt wurde. Er überprüfte nicht die Richtigkeit der notierten Frist, sondern lediglich, ob aufgrund seines Arbeitsplans ausreichend Zeit für die Erledigung der Frist sei, wenn er sich mit der Sache am Tag vor dem Fristablauf befasse.
6
b) Danach hat der Prozessbevollmächtigte die Versäumung der Frist deswegen verschuldet, weil er die gebotene Fristkontrolle unterlassen hat, als ihm die Akten zu der notierten Vorfrist am 19. Juni 2006 vorgelegt wurden.
7
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Rechtsanwalt die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und eingetragen worden ist, wenn ihm die Akten - wie hier auf Vorfrist - zur Bearbeitung vorgelegt werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. September 1998 - VI ZB 16/98 - BRAK-Mitt. 1998, 269 und vom 9. März 1999 - VI ZB 3/99 - VersR 1999, 866; BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 12/94 - NJW 1994, 2831 und vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01 - VersR 2002, 1391 f., jeweils m.w.N.). Diese Prüfung muss zwar nicht sofort erfolgen , weil die Vorfrist gerade den Sinn hat, dem Rechtsanwalt einen gewissen Spielraum zur Bearbeitung bis zum endgültigen Ablauf der Frist zu verschaffen. Sie kann daher auch noch am folgenden Tag vorgenommen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. März 1999 - VI ZB 3/99 - aaO und vom 5. Oktober 1999 - VI ZB 22/99 - VersR 2000, 202, 204; BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01 - aaO). Soll die Prüfung Sinn machen, darf sie jedoch nicht zurückgestellt werden, bis der Rechtsanwalt - gegebenenfalls erst am letzten Tag der Frist (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - VersR 1997, 1252, 1253) - die eigentliche Bearbeitung der Sache vornimmt. Vielmehr ent- steht die Prüfungspflicht mit Vorlage der Akten unabhängig davon, ob sich der Rechtsanwalt daraufhin zur sofortigen Bearbeitung der Sache entschließt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 29. September 1998 - VI ZB 16/98 - aaO und vom 23. Januar 2007 - VI ZB 5/06 - EBE/BGH 2007, 83; BGH, Beschlüsse vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91 - NJW 1992, 841; vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 12/94 - aaO; vom 27. Februar 1997 - I ZB 50/96 - NJW 1997, 1708; vom 24. Oktober 2001 - VIII ZB 19/01 - aaO). Dementsprechend muss sich der Rechtsanwalt, der die eigentliche Sachbearbeitung zurückstellen will, bei der Vorlage auf Vorfrist auch davon überzeugen, ob ihm am Tag des Fristablaufs noch Zeit für die Anfertigung der Rechtsmittelbegründung oder für einen Antrag auf Verlängerung der Begründungsfrist verbleibt (Senatsbeschlüsse vom 27. Mai 1997 - VI ZB 10/97 - und vom 29. September 1998 - VI ZB 16/98 - aaO). Auch hat der Senat bereits früher ausgeführt, der Rechtsanwalt habe jedenfalls dann Anlass zur eigenverantwortlichen Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten sei, wenn ihm die Sache anlässlich des bevorstehenden Fristablaufs vorgelegt werde; dass diese Verpflichtung auch und gerade dann entstehe, wenn dem Rechtsanwalt die Akten auf Vorfrist zur Anfertigung der Rechtsmittelbegründung vorgelegt werden, sei im Hinblick auf die Warnfunktion der Vorfrist selbstverständlich und bedürfe deshalb keiner näheren Darlegungen (Senatsbeschluss vom 29. September 1998 - VI ZB 16/98 - aaO).
8
Die Rechtsbeschwerde beruft sich für ihre Auffassung demnach zu Unrecht auf den Senatsbeschluss vom 5. Oktober 1999 (VI ZB 22/99 - aaO). Auch dort ist betont, dass die Vorfrist dem Zweck dient, die Einhaltung der Hauptfrist zu sichern. Dass die Akte nicht bereits am Tag der Vorlage auf die Vorfrist zur Hand genommen werden muss und dass die gesetzliche Frist, deren Einhaltung durch die Notierung der Vorfrist gesichert werden soll, voll ausgeschöpft werden darf, besagt nicht, dass die Akte ohne jegliche Prüfung der notierten Fristen bis zum letzten Tag der notierten Frist wieder weggelegt werden darf.
9
Auch auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Oktober 2005 (V ZR 111/05 - BGH-Report 2006, 255 f.) beruft sich die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg. Dort ist zwar (insoweit in BGH-Report 2006, 255 f. nicht abgedruckt ) ausgeführt, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müsse eine Sache, die auf Grund einer Vorfristenanordnung vorgelegt werde, nicht sofort bearbeitet und auch die vom Büropersonal notierte Frist nicht sofort überprüft werden. Dabei ist indes Bezug genommen auf den Senatsbeschluss vom 9. März 1999 (VI ZB 3/99 - aaO), in dem ausgeführt ist, es könne nicht beanstandet werden, wenn der Rechtsanwalt die Bearbeitung der ihm als Vorfristsache vorgelegten Akten erst am Tage nach Vorlage in Angriff nehme und dabei die Fristen überprüfe. In dem der Entscheidung vom 25. Oktober 2005 zu Grunde liegenden Fall endete die Frist bereits am Tag nach Ablauf der Vorfrist, so dass dem Rechtsanwalt ein Verschulden nicht zur Last gelegt werden konnte.
10
Im vorliegenden Fall geht es im Übrigen weniger darum, innerhalb welchen Zeitraums nach Vorlage auf die Vorfrist die Akte zur Hand genommen werden muss. Vielmehr ist entscheidend, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten sich mit der Akte noch am Tag der Vorlage befasst und die Bearbeitung der Berufungsbegründung auf den letzten Tag der notierten Frist verschoben hat, ohne die notierte Frist auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
11
Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
12
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Lüneburg, Entscheidung vom 17.03.2006 - 3 O 365/04 -
OLG Celle, Entscheidung vom 10.08.2006 - 7 U 87/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 522 Zulässigkeitsprüfung; Zurückweisungsbeschluss


(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 75/05
vom
20. Juni 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
RBerG Art. 1 § 1
Die Abweisung einer Klage und die Verwerfung eines Rechtsmittels als unzulässig
mit der Begründung, der vom Kläger als Prozessbevollmächtigter bestellte Rechtsanwalt
arbeite mit einem Mietwagenunternehmen in Form eines Unfallhelferrings zusammen
, kommt nur dann in Betracht, wenn aufgrund konkreter Umstände festgestellt
wird, dass der Rechtsanwalt im Zusammenwirken mit dem Mietwagenunternehmen
auf dessen Veranlassung und in dessen Interesse, nicht aber auf Veranlassung
und im Interesse des Mandanten tätig ist.
Mit einer Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann die Berufung nur als unbegründet
zurückgewiesen werden. § 522 Abs. 3 ZPO schränkt die durch § 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO eröffnete Möglichkeit der Rechtsbeschwerde gegen einen die
Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss nicht ein.
BGH, Beschluss vom 20. Juni 2006 - VI ZB 75/05 - LG Halle
AG Naumburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2006 durch die Vizepräsidentin
Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederichsen sowie
die Richter Stöhr und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Halle vom 22. September 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: bis 4.179,25 €.

Gründe:

I.

1
Der Kläger begehrt von dem beklagten Haftpflichtversicherer restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall. Die volle Ersatzpflicht der Beklagten für das Schadensereignis ist unstreitig. Die Beklagte hat die vom Kläger geltend gemachten Ersatzansprüche vollständig ausgeglichen mit Ausnahme der Mietwagenkosten, die sie nur zum Teil ersetzt hat. Den von ihm errechneten Restbetrag macht der Kläger mit der vorliegenden Klage geltend. Zu diesem Zweck erteilte er seinem erst- und zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten, der ihm von dem streitverkündeten Mietwagenunternehmen empfohlen worden war, Prozessvollmacht.
2
Das Amtsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auferlegt, weil das streitverkündete Mietwagenunternehmen und der Prozessbevollmächtigte in Form eines Unfallhelferrings gehandelt hätten.
3
Das Berufungsgericht hat die dagegen gerichteten Berufungen des Klägers und der dem Rechtsstreit auf Seiten des Klägers beigetretenen Streitverkündeten als unzulässig verworfen und die Kosten des vom Kläger betriebenen Berufungsverfahrens dessen Prozessbevollmächtigten auferlegt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.
4
Eine sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers gegen die ihn betreffende Kostenentscheidung des Amtsgerichts hat das Berufungsgericht mit einem die Rechtsbeschwerde nicht zulassenden Beschluss zurückgewiesen. Dagegen und gegen die ihn beschwerende Kostenentscheidung des Berufungsgerichts hat der Prozessbevollmächtigte Verfassungsbeschwerde erhoben (1 BvR 2311/05).

II.

5
1. a) Die Rechtsbeschwerde ist statthaft.
6
Nach § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO findet gegen einen Beschluss, durch den eine Berufung als unzulässig verworfen wird, die Rechtsbeschwerde statt. Ein solcher Beschluss des Berufungsgerichts liegt hier vor, weil die Berufung des Klägers in dem Tenor des angefochtenen Be- schlusses ausdrücklich als unzulässig verworfen wird und in dessen Gründen ausgeführt ist, die Berufung sei unzulässig.
7
Der Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht eingangs der Gründe ausführt, die zulässige Berufung sei gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss der Kammer zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg habe, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung habe und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erforderten. Diese Ausführungen stehen, soweit von einer "zulässigen" Berufung die Rede ist, bereits im Widerspruch zu den folgenden Ausführungen. Es ist auch nicht nachvollziehbar , warum das Berufungsgericht die Frage einer Zulassung der Revision erörtert, wenn ein Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO beabsichtigt war.
8
Eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO, die nach Absatz 3 der Norm nicht anfechtbar ist, kommt jedenfalls nur in Betracht, wenn die Berufung als unbegründet zurückgewiesen werden soll (vgl. Zöller /Gummer/Heßler, ZPO, 25. Aufl., § 522 Rn. 29). § 522 Abs. 3 ZPO schränkt die durch § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO eröffnete Möglichkeit der Rechtsbeschwerde gegen einen die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss nicht ein.
9
b) Die Rechtsbeschwerde ist auch zulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen vor. In förmlicher Hinsicht bestehen keine Bedenken.
10
2. Die Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
11
Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt:
12
Die Berufung des Klägers sei schon deshalb unzulässig, weil sie aufgrund einer durch den Kläger erteilten unwirksamen Prozessvollmacht an seinen Prozessbevollmächtigten nicht in der erforderlichen Form eingelegt worden sei, so dass es auf die Begründetheit der Berufung des Klägers nicht (mehr) ankomme. Die Kammer sehe in ständiger Rechtsprechung eine Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes dann als unwirksam im Sinne eines Verstoßes gegen §§ 138, 134 BGB in Verbindung mit §§ 1 und 2 BRAO an, soweit das Mietwagenunternehmen und der Rechtsanwalt dem Geschädigten die Verfolgung und Durchsetzung seiner Ansprüche vollständig abnähmen und sich damit eine "Unfallhilfe" in dem Sinne zeige, dass sich aus der Bewertung der Gesamtumstände und aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise ergebe, dass die Initiative zur Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes nicht vom Kläger selbst ausgegangen sei, sondern vielmehr unter faktischer Risiko- und Arbeitsfreistellung dem Kläger die Anspruchsverfolgung unter Zwischenschaltung eines (nur) ihr (der Autovermietung ) bekannten Rechtsanwaltes zielbewusst gewerbsmäßig abgenommen werde. Dazu könnten nicht einzelne Indizien, wohl aber eine Vielzahl von Hinweisen in einer wertenden Betrachtung ausreichen, die hier - auch nach ergänzender persönlicher Anhörung des Klägers in erster Instanz und nach Vernehmung von Zeugen - gegeben seien.
13
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.
14
a) Der angefochtene Beschluss ist schon deshalb aufzuheben, weil er keine Darstellung des Sachverhalts sowie der Anträge der Parteien und nicht einmal eine Bezugnahme auf das Urteil des Amtsgerichts enthält. Dies war hier erforderlich, weil der Beschluss von Gesetzes wegen mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden kann (§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO). Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt , über den entschieden wird, wiedergeben und den Streitgegenstand und die Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen lassen; andernfalls sind sie nicht mit den gesetzmäßigen Gründen versehen (BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01 - VersR 2003, 926; vom 12. Juli 2004 - II ZB 3/03 - NJW-RR 2005, 78). Alleine die Rechtsausführungen enthalten keine ausreichenden Informationen über den festgestellten Sachverhalt und das Begehren der Parteien in den beiden Tatsacheninstanzen.
15
b) Darüber hinaus erfordern weitere Rechtsfehler eine Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
16
aa) In der Rechtsprechung der Instanzgerichte ist bereits mehrfach die Ansicht vertreten worden, der Geschäftsbesorgungsvertrag eines Geschädigten mit dem Anwalt und die diesem erteilte Prozessvollmacht seien nichtig, wenn sie von einem Unfallhelferring veranlasst seien bzw. der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen durch ein Mietwagenunternehmen auf dessen Kostenrisiko dienten (LG Frankenthal, VersR 1996, 777 f.; LG Zwickau, VersR 2000, 1037 f.; AG Dresden, DAR 2004, 456, 457; AG Koblenz, VersR 2003, 788 f.; AG Sinzig, VersR 2004, 393, 394). Dies wird aus § 134 BGB in Verbindung mit Art. 1 § 1 RBerG, aber auch aus § 138 BGB hergeleitet. Diese Ansicht begegnet bereits im Ansatz rechtlichen Bedenken. Für eine Sittenwidrigkeit der Mandatierung des Prozessbevollmächtigten des Klägers und der ihm erteilten Prozessvollmacht fehlt es zudem an tragfähigen Feststellungen des Berufungsgerichts.
17
bb) Nach ständiger Rechtsprechung bedarf der Inhaber eines Mietwagenunternehmens , das es geschäftsmäßig übernimmt, für unfallgeschädigte Kunden die Schadensregulierung durchzuführen, der Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG, und zwar auch dann, wenn er sich die Schadensersatzforderungen erfüllungshalber abtreten lässt und die eingezogenen Beträge auf seine Forderungen an die Kunden verrechnet (vgl. Senatsurteile BGHZ 47, 364, 366; 61, 317, 319; vom 26. April 1994 - VI ZR 305/93 - VersR 1994, 950, 951; vom 18. März 2003 - VI ZR 152/02 - VersR 2003, 656; vom 22. Juni 2004 - VI ZR 272/03 - VersR 2004, 1062, 1063; vom 26. Oktober 2004 - VI ZR 300/03 - VersR 2005, 241 und vom 5. Juli 2005 - VI ZR 173/04 - VersR 2005, 1256). Bei der Beurteilung, ob die Abtretung den Weg zu einer erlaubnispflichtigen Besorgung von Rechtsangelegenheiten eröffnen sollte, ist nicht allein auf den Wortlaut der getroffenen vertraglichen Vereinbarung, sondern auf die gesamten diesen zugrunde liegenden Umstände und ihren wirtschaftlichen Zusammenhang abzustellen, also auf eine wirtschaftliche Betrachtung, die es vermeidet, dass Art. 1 § 1 RBerG durch formale Anpassung der geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung an den Gesetzeswortlaut und die hierzu entwickelten Rechtsgrundsätze umgangen wird (vgl. Senatsurteile BGHZ 61, 317, 320 f.; vom 26. April 1994 - VI ZR 305/93 - aaO; vom 18. März 2003 - VI ZR 152/02 - aaO; vom 22. Juni 2004 - VI ZR 272/03 - aaO; vom 26. Oktober 2004 - VI ZR 300/03 - aaO und vom 5. Juli 2005 - VI ZR 173/04 - aaO). Allerdings besorgt das Mietwagenunternehmen keine Rechtsangelegenheit des geschädigten Kunden, sondern eine eigene Angelegenheit, wenn es ihm im Wesentlichen darum geht, die durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen, wobei ein solcher Fall aber nicht vorliegt, wenn nach der Geschäftspraxis des Mietwagenunternehmens die Schadensersatzforderungen der unfallgeschädigten Kunden eingezogen werden, bevor diese selbst auf Zahlung in Anspruch genommen werden. Denn damit werden den Geschädigten Rechtsangelegenheiten abgenommen, um die sie sich eigentlich selbst zu kümmern hätten (vgl. Senatsurteile BGHZ 47, 364, 366 f.; vom 18. März 2003 - VI ZR 152/02 - aaO; vom 26. Oktober 2004 - VI ZR 300/03 - aaO und vom 5. Juli 2005 - VI ZR 173/04 - aaO).
18
Ob eine solche Fallgestaltung hier vorgelegen hat, lässt sich den Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss nicht entnehmen. Er enthält keine genaue Darstellung der zwischen dem Kläger und der Streitverkündeten getroffenen Vereinbarungen. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, wie und in welchem Maße die Streitverkündete in die Schadensabwicklung einbezogen war, ob ihr im Hinblick auf die Mietzinsforderung eine Sicherheit eingeräumt und ob und inwieweit eine Inanspruchnahme des Klägers persönlich vereinbart war. Die Ausführungen des Berufungsgerichts befassen sich nahezu ausschließlich mit der Frage, inwieweit die Einschaltung des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf einer Empfehlung oder Vorgabe der Streitverkündeten beruhte.
19
cc) Soweit das Berufungsgericht seiner Beurteilung offenbar die Rechtsprechung des Senats zur Anwendung des Rechtsberatungsgesetzes bei durch Mietwagenunternehmen beeinflussten Schadensregulierungen zugrunde legen will, fehlt es demgemäß schon an tragfähigen Feststellungen, dass hier ein Verstoß der Streitverkündeten gegen Art. 1 § 1 RBerG vorgelegen hat. Selbst wenn man einen solchen Verstoß unterstellt, kann den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht gefolgt werden.
20
Ein Verstoß des Mietwagenunternehmens gegen das Rechtsberatungsgesetz führt nicht ohne Weiteres dazu, dass der vom Geschädigten mit einem Rechtsanwalt zwecks Durchsetzung seiner Schadensersatzforderung geschlossene Geschäftsbesorgungsvertrag gemäß § 134 BGB nichtig ist. Erst recht folgt daraus keine Nichtigkeit der einem Rechtsanwalt zu diesem Zweck erteilten Prozessvollmacht.
21
Das Verbot unerlaubter Rechtsberatung soll die Rechtsuchenden vor einer unsachgemäßen Erledigung ihrer rechtlichen Angelegenheiten schützen und im Interesse einer reibungslosen Abwicklung des Rechtsverkehrs fachlich ungeeignete oder unzuverlässige Personen von der geschäftsmäßigen Besorgung fremder Angelegenheiten fernhalten (BGHZ 154, 283, 286; BGH, Urteil vom 22. Oktober 2003 - IV ZR 33/03 - VersR 2004, 921, 922). Es dient ferner dem Schutz des Anwaltsstandes gegen den Wettbewerb anderer (vgl. OLG Karlsruhe, NZV 1995, 30). Dem entsprechend wird die Berufsausübung der Rechtsanwälte durch das Rechtsberatungsgesetz nicht berührt (Art. 1 § 3 Nr. 2 RBerG). Ein mit einem Rechtsanwalt geschlossener Mandatsvertrag und die ihm erteilte Vollmacht sind daher nicht deshalb nichtig, weil einzelne Beteiligte bei der bisherigen Verfolgung von Ansprüchen gegen das Rechtsberatungsgesetz verstoßen haben (OLG Karlsruhe, aaO; vgl. auch Rennen /Caliebe, RBerG, 3. Aufl., Art. 1 § 1 Rn. 199).
22
Zu Unrecht wird in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung verwiesen, wonach ein Treuhandvertrag oder ein sonstiger Geschäftsbesorgungsvertrag nach Art. 1 § 1 RBerG in Verbindung mit § 134 BGB nichtig sein kann und sich dann die Nichtigkeit auch auf die dem Geschäftsbesorger erteilte Prozessvollmacht bezieht (BGHZ 153, 214, 220; 154, 283, 285 ff.; BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - IV ZR 122/02 - NJW 2004, 841, 842 f.). Diese Rechtsprechung betrifft den unerlaubt rechtsberatenden Geschäftsbesorger und die Erklärungen, die er aufgrund der ihm erteilten Vollmacht abgibt; deren Wirksamkeit muss verhindert werden, weil andernfalls Sinn und Zweck des gesetzlichen Verbots nicht zu erreichen wären. Für den Fall der erlaubten Rechtsberatung durch einen (nunmehr eingeschalteten) Rechtsanwalt besagt dies nichts. Für diesen Fall verbleibt es insbesondere dabei, dass die Vorschriften des materiellen Rechts auf die Prozessvollmacht nicht anzuwenden sind, weil die §§ 78 ff. ZPO insoweit ein Sonderrecht bilden (vgl. BGHZ 154, 283, 286 ff.; Zöller/Vollkommer, aaO; § 80 Rn. 2 m.w.N.).
23
dd) Das Berufungsgericht führt aus, die Bevollmächtigung des Prozessbevollmächtigten des Klägers sei unwirksam im Sinne eines Verstoßes gegen §§ 134, 138 BGB in Verbindung mit §§ 1 und 2 BRAO, weil sich hier eine "Unfallhilfe" in dem Sinne zeige, dass sich aus der Bewertung der Gesamtumstände und aus wirtschaftlicher Betrachtungsweise ergebe, dass die Initiative zur Bevollmächtigung des Rechtsanwaltes nicht vom Kläger selbst ausgegangen sei, sondern vielmehr unter faktischer Risiko- und Arbeitsfrei- stellung dem Kläger die Anspruchsverfolgung unter Zwischenschaltung eines (nur) ihr (der Autovermietung) bekannten Rechtsanwaltes zielbewusst gewerbsmäßig abgenommen werde. Damit soll offenbar gesagt sein, der Prozessbevollmächtigte des Klägers übe im vorliegenden Fall nicht als unabhängiges Organ der Rechtspflege einen freien Beruf aus, sondern handele ohne Rücksicht auf die Belange des Klägers quasi als verlängerter Arm der Streitverkündeten.
24
Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass es für einen derart schwerwiegenden Vorwurf an tragenden Feststellungen fehlt. Das Berufungsgericht räumt selbst ein, dass die Mandatierung des Prozessbevollmächtigten des Klägers dessen Wunsch entsprochen habe. Die Rechtsbeschwerde weist zutreffend darauf hin, dass unter diesen Umständen und in Anbetracht der Tatsache, dass der Prozessbevollmächtigte erst 8 Tage nach Anmietung des Ersatzfahrzeugs mandatiert wurde, die Annahme des Berufungsgerichts, hier liege keine freie Anwaltswahl vor, schlechterdings nicht nachvollziehbar ist. Die Anhörung des Klägers und die Zeugenaussagen der Mitarbeiter des Mietwagenunternehmens haben nach den durch die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht in Frage gestellten Ausführungen der Rechtsbeschwerde lediglich ergeben, dass der Kläger die Mitarbeiter des Mietwagenunternehmens bei Anmietung des Ersatzfahrzeugs nach einem ihnen bekannten Rechtsanwalt fragte, der die Schadensregulierung übernehmen könne, und dass bei dieser Gelegenheit der spätere Prozessbevollmächtigte genannt wurde, den der Kläger später mandatierte, weil er selbst keinen anderen Rechtsanwalt kannte und wegen seiner Montagetätigkeit auch keine Zeit hatte, sich selbst um die Sache zu kümmern.
25
Es verstößt weder gegen die §§ 1, 2 BRAO noch ist es sittenwidrig, wenn ein Rechtsanwalt das Mandat eines Unfallgeschädigten übernimmt, dem er von einer Autovermietung empfohlen wurde. Eine abweichende Be- urteilung bedarf der Feststellung weiterer Anhaltspunkte, aus denen sich ergibt, dass der Rechtsanwalt in gewolltem Zusammenwirken mit der Autovermietung tatsächlich auf deren Veranlassung und in deren Interesse, nicht auf Veranlassung und im Interesse des Mandanten tätig werden sollte. Was das Berufungsgericht dazu ausführt, beruht nicht auf den erforderlichen Feststellungen, sondern auf einer Interpretation der "Allgemeinen Kundeninformation bei Unfallersatz-Anmietung" der Klägerin, die dem von der Rechtsbeschwerde dargelegten Geschehensablauf, wie ihn der Kläger und die Zeugen für den Streitfall dargestellt haben, nicht entspricht. Danach hat der Prozessbevollmächtigte in seinem Schreiben vom 3. März 2003, mit dem er dem Kläger die Prozessvollmacht übersandte, ausdrücklich darauf hingewiesen , dass der Kläger die freie Anwaltswahl habe und jeden beliebigen Anwalt mit der Abwicklung seines Schadensersatzanspruches beauftragen könne, und hat der Kläger die Prozessvollmacht am 8. März 2003, mithin 8 Tage nach der Anmietung des Ersatzfahrzeuges und nach der Empfehlung und somit nach einer ausreichenden Bedenkzeit unterschrieben zurückgesandt. Bei dieser Sachlage spricht nichts dafür, dass die Mandatierung im vorliegenden Fall auf einem rechtlich zu missbilligenden Zusammenwirken der Streitverkündeten und des Prozessbevollmächtigten beruhte.
26
ee) Das Berufungsgericht berücksichtigt bei seiner Beurteilung auch nicht hinreichend, dass der Kläger dem Prozessbevollmächtigten den Auftrag zur Klageerhebung erteilt und bei seiner persönlichen Anhörung durch das Amtsgericht in keiner Weise zum Ausdruck gebracht hat, mit der Durchführung des Prozesses nicht einverstanden zu sein. Darin liegt zumindest die Genehmigung oder Neuerteilung einer möglicherweise früher unwirksam erteilten Vollmacht. Warum der frühere Mangel dem gesamten Mandatsverhältnis anhaften und fortwirken soll, wird vom Berufungsgericht nicht näher ausgeführt und ist auch nicht ersichtlich.
27
Indem das Berufungsgericht den Willen des Klägers, den Rechtsstreit durch seinen Prozessbevollmächtigten zu führen, außer Acht lässt und den von ihm angenommenen Mangel des Mandatverhältnisses und der Vollmacht zum Anlass nimmt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, verstößt es auch gegen den Grundsatz, dass Verstöße gegen solche Vorschriften, die den Rechtssuchenden schützen sollen, keine den Rechtssuchenden belastenden prozessrechtlichen Folgen haben dürfen (BVerfG, NJW 2004, 1373, 1374; BGHZ 54, 275, 282). Soweit der Prozessbevollmächtigte des Klägers gegen ihn betreffende den Schutz der Mandanten bezweckende Vorschriften verstoßen haben sollte , mag sein Ausschluss aus dem Verfahren in Betracht zu ziehen sein (vgl. BVerfG, aaO, m.w.N.). Dies darf aber nicht dazu führen, dass eine vom Kläger gewollte Klage und die im Rechtsstreit von ihm eingelegten Rechtsmittel als unzulässig verworfen werden. Vielmehr ist dem Kläger in einem solchen Fall Gelegenheit zu geben, das Verfahren unter Einschaltung eines anderen Prozessbevollmächtigten fortzuführen.

III.

28
Der die Berufung als unzulässig verwerfende Beschluss kann danach keinen Bestand haben und muss aufgehoben werden. Dies gilt auch hinsichtlich der Entscheidung über die Berufung der Streitverkündeten. Reichen sowohl die Hauptpartei als auch ihr Streithelfer (§ 67 ZPO) Rechtsmittelschriften ein, liegt ein einheitliches Rechtsmittel vor, über das auch nur einheitlich entschieden werden kann (Senatsbeschluss vom 24. Januar 2006 - VI ZB 49/05 - NJW-RR 2006, 644, m.w.N.). Auch hinsichtlich der Kostenentscheidung muss der angefochtene Beschluss insgesamt aufgehoben werden, weil bei der neuen Entscheidung über die Kosten neu zu befinden sein wird. Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
AG Naumburg, Entscheidung vom 17.11.2004 - 12 C 569/03 -
LG Halle, Entscheidung vom 22.09.2005 - 1 S 240/04 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 3/03
vom
12. Juli 2004
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 12. Juli 2004 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Goette,
Dr. Kurzwelly, Münke und Dr. Gehrlein

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß der Zivilkammer 53 des Landgerichts Berlin vom 29. November 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Gründe:


I. Durch den angefochtenen Beschluß hat das Landgericht die Berufung des Klägers gegen das am 19. Juni 2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg "gemäß § 522 Abs. 1 ZPO auf seine Kosten als unzulässig verworfen , weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 600,00 EUR nicht übersteigt (§ 511 Abs. 2 Ziff. 1 ZPO)". Weitere Ausführungen enthält der Beschluß nicht. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde, mit der er
eine Grundsätzlichkeit in bezug auf den Rechtsmittelstreitwert in nichtvermögensrechtlichen Angelegenheiten geltend macht sowie einen Verstoß gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 GG) und eine Verletzung seiner Verfahrensgrundrechte (Art. 103 GG) rügt; u.a. beanstandet er insoweit auch, daß die angefochtene Entscheidung willkürlich seine Wertangaben übergehe und "keine Gründe für die Abweichung von diesem Wert ... erkennen lasse".
II. Die gemäß §§ 522 Abs. 1 Satz 2, 574 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil der angefochtene Beschluß, wie der Kläger zu Recht beanstandet, nicht mit Gründen versehen ist (§ 576 Abs. 3 i.V.m. § 547 Nr. 6 ZPO n.F.). Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen den maßgeblichen Sachverhalt, über den entschieden wird, wiedergeben; anderenfalls sind sie nicht mit gesetzmäßigen Gründen versehen (BGH, Beschl. v. 20. Juni 2002 - IX ZB 56/01, BGHReport 2002, 902 m.w.N.). Denn das Rechtsbeschwerdegericht hat grundsätzlich von demjenigen Sachverhalt auszugehen, den das Berufungsgericht festgestellt hat (§ 577 Abs. 2 Satz 1, 4; § 559 ZPO). Fehlen tatsächliche Feststellungen, so ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Berufungsgerichts , die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne.
Im vorliegenden Fall lassen die minimalen "Ausführungen" des angefochtenen Beschlusses weder den Streitgegenstand noch die Anträge der Parteien in beiden Instanzen erkennen, so daß die Begründung des Landgerichts für die Verwerfung der Berufung, die darin liegen soll, daß der Wert des Beschwerdegegenstandes angeblich 600,00 € nicht übersteigt, in keiner Weise nachvollziehbar ist.
In welchem Umfang etwa das Berufungsgericht auf erstinstanzliche Feststellungen oder bestimmte Aktenbestandteile und mögliche vorangegangene Zwischenentscheidungen Bezug nehmen darf (vgl. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO n.F.), kann hier offenbleiben. Denn der angefochtene Beschluß verweist in keiner Weise auf anderweitig festzustellende Tatsachen.
Wegen des bezeichneten Verfahrensfehlers hat der Senat von der Erhebung der Gerichtskosten für das Rechtsbeschwerdeverfahren abgesehen (§ 8 GKG a.F. i.V.m. § 72 Nr. 1 GKG n.F.). Im übrigen hat er bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit nach § 577 Abs. 4 Satz 3 ZPO n.F. Gebrauch gemacht.
Beschwerdewert: 1.500,00 €
Röhricht Goette Kurzwelly
Münke Gehrlein

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 5/06
vom
23. Januar 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Wird einem Rechtsanwalt der Entwurf der Berufungsbegründung vorgelegt, hat er
spätestens dann die Fristennotierung eigenständig zu prüfen.
BGH, Beschluss vom 23. Januar 2007 - VI ZB 5/06 - OLG Hamm
LGBochum
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2007 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Wellner, Pauge und
Stöhr

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 2. Januar 2006 wird auf Kosten der Beklagten als unzulässig verworfen. Gegenstandswert: 8.000 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin macht wegen eines Behandlungsfehlers Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.
2
Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 14. September 2005, zugestellt am 29. September 2005, zur Zahlung von 6.000 € Schmerzensgeld verurteilt und dem Feststellungsantrag der Klägerin stattgegeben. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte mit einem am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz vom 31. Oktober 2005 (Montag) Berufung eingelegt. Da die Berufung zunächst nicht begründet worden ist, hat das Oberlandesgericht mit Verfügung vom 6. Dezember 2005 darauf hingewiesen, dass es beab- sichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 1 ZPO zu verwerfen. Durch Schriftsatz vom 6. Dezember 2005 ist die Berufung begründet und Wiedereinsetzung hinsichtlich der versäumten Berufungsbegründungsfrist beantragt worden.
3
Die Beklagte hat hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrags ausgeführt, das am 29. September 2005 zugestellte Urteil sei mit einem entsprechenden Eingangsstempel versehen worden. Die zuständige Angestellte - Frau W. - habe die Berufungsfrist mit einer Vorfrist zum 24. Oktober 2005 und einer Ablauffrist zum 31. Oktober 2005 sowie die Begründungsfrist mit Vorfrist zum 22. November 2005 und Ablauffrist zum 29. November 2005 im Fristenkalender notiert und die entsprechenden Fristen auf dem Urteil handschriftlich vermerkt. Sodann sei eine entsprechende Kontrolle durch Rechtsanwalt H. erfolgt und die Akte mit dem Urteil zur weiteren Bearbeitung der erstinstanzlich tätig gewesenen Rechtsanwältin Dr. J. vorgelegt worden. Diese habe ebenfalls festgestellt, dass die Fristen ordnungsgemäß notiert worden seien.
4
Nachdem am 31. Oktober 2005 die Haftpflichtversicherung der Beklagten die Weisung erteilt habe, gegen das Urteil Berufung einzulegen, habe Rechtsanwältin Dr. J. die Berufungsschrift veranlasst. Entsprechend einer internen Absprache habe sie sodann die Akte an ihren Kollegen Rechtsanwalt Dr. R. zur weiteren Bearbeitung im Rahmen des Berufungsverfahrens weitergeleitet. Dieser habe durch seine Sekretärin - Frau B. - eine Berufungsakte anlegen lassen, was diese am 7. November 2005 erledigt habe. Dabei habe sie das erstinstanzliche Urteil kopiert und in die zweitinstanzliche Handakte gelegt. Eine eigene Fristübertragung im Sekretariat des nunmehr tätigen Rechtsanwalts sei aber unterblieben. Dies sei Rechtsanwalt Dr. R. nicht aufgefallen, weil das Urteil bereits entsprechende handschriftliche Notizen aufgewiesen habe.
5
Rechtsanwalt R. habe einen Entwurf der Begründung gefertigt, der am 4. November 2005 geschrieben worden sei. Eine endgültige Überarbeitung habe erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen sollen, weil es andere dringlichere Mandate gegeben habe. Die Akte sei dann weder zur Vorfrist noch zum Fristablauf vorgelegt worden. Rechtsanwalt R. habe dies erst am 2. Dezember 2005 festgestellt, als er die Akte routinemäßig habe fertig stellen wollen.
6
Die Beklagte müsse sich die Fristversäumung nicht zurechnen lassen. Diese sei auf das Fehlverhalten zweier ausgebildeter und mehrjährig tätiger Rechtsanwaltsfachangestellten zurückzuführen. Es bestehe die generelle Anweisung , die Fristen im Kalender des erstinstanzlich tätig gewesenen Sachbearbeiters erst zu streichen, wenn durch eine Rückmeldung aus dem Sekretariat des zweitinstanzlich tätigen Anwaltes sicher sei, dass dort die Fristen notiert seien. Zu einer solchen Rückmeldung sei es nicht gekommen. Frau W. habe die bei ihr notierten Fristen übersehen und auch bei Fristablauf nicht im Sekretariat von Rechtsanwalt Dr. R. angerufen, um nachzufragen, ob die Fristen erledigt seien. Frau W. sei eine sehr qualifizierte Fachkraft, die schon seit längerer Zeit ein Vorzimmer leite und überaus ordentlich und korrekt arbeite.
7
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Es sei nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden, dass im Büro der Prozessvertreter der Beklagten die Fristenkontrolle ordnungsgemäß gesichert oder organisiert sei. Es lägen nicht nur mehrere deutliche Fehler einer einzigen Angestellten vor, sondern beide Angestellte der eingeschalteten Rechtsanwälte hätten in nicht unerheblicher Weise fehlerhaft und entgegen den behaupteten hausinternen Anweisungen gehandelt. Dies lasse darauf schließen, dass die Organisation entweder nicht ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet sei oder nicht hinreichend überwacht werde.
8
Zudem habe der geschriebene Entwurf der Berufungsbegründung dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegen. Deshalb habe ihm die Fristensicherung wieder selbst oblegen, weil er die Sache im Zusammenhang mit der Frist bearbeitet habe.

II.

9
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
10
1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist. Es ist nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht ein solches Verschulden angenommen hat, weil der die Berufungsbegründung bearbeitende Rechtsanwalt die Fristensicherung nicht selbst überprüft hat, obgleich ihm der Entwurf der Berufungsbegründung rechtzeitig vor Ablauf der Frist vorgelegt worden ist.
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein Rechtsanwalt den Ablauf von Rechtsmittelbegründungsfristen zwar nicht bei jeder Vorlage der Handakten, aber dann eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Für die Berufungsbegründungsfrist ist ihm das seit Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes schon ab der Zustellung des Urteils möglich und zumutbar, weil der Ablauf der Begründungsfrist nicht mehr vom Zeitpunkt der Berufungseinlegung abhängt, sondern nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO zwei Monate ab Zustellung des vollständig abgefassten Urteils beträgt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437; vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - VersR 2002, 637; vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - VersR 1997, 598, jeweils m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435; vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183; vom 11. Februar 2004 - XII ZB 263/03 - FamRZ 2004, 696). Diese Verpflichtung zu einer eigenständigen Prüfung besteht unabhängig davon, ob sich der Prozessbevollmächtigte sogleich zur Bearbeitung der Sache entschließt oder - wie hier - die (weitere) Bearbeitung vorerst zurückstellt (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - aaO; BGH, Beschluss vom 29. April 1998 - XII ZB 140/95 - NJW-RR 1998, 1526). Es ist auch nicht erforderlich, dass dem Anwalt zugleich die Akten vorgelegt werden. Soweit in Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auf die Vorlage der Akten abgehoben wird, geschieht dies nicht, um zwischen den "Akten" und der "Sache" zu unterscheiden, sondern um sachgerecht dahin zu differenzieren, ob die Akten zur Vorlage der fristwahrenden Prozesshandlung oder aus sonstigen Gründen vorgelegt worden sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - aaO; vom 19. Februar 1991 - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 12/94 - VersR 1995, 238). Zu der notwendigen Nachprüfung gehört auch die Kontrolle des Bürovermerks in den Handakten über die Eintragung der Frist im Fristenkalender (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1987 - VIII ZB 16/87 - VersR 1988, 414).
12
b) Nach diesen Grundsätzen hätte der die Beklagte in der zweiten Instanz vertretende Prozessbevollmächtigte jedenfalls nach Wiedervorlage des von ihm diktierten und zwischenzeitlich geschriebenen Entwurfs der Berufungsbegründung anhand der Handakten überprüfen müssen, ob ein Erledigungsvermerk hinsichtlich der Fristeneintragung erfolgt ist. Hätte er dies getan, hätte ihm auffallen müssen, dass zwar eine Kopie des erstinstanzlichen Urteils mit dem Erledigungsvermerk des erstinstanzlich tätigen Büros hinsichtlich der Fristennotierung vorlag, jedoch ein entsprechender Vermerk seines eigenen Büros nicht aus den Handakten ersichtlich war. Wäre er den sich daraus ergebenden Zweifeln an einer ordnungsgemäßen Notierung der Berufungsbegründungsfrist nachgegangen, hätte er das Fehlen der Eintragung im Fristenkalender entdeckt , so dass die Versäumung der Frist vermieden worden wäre. Da der zweitinstanzliche Rechtsanwalt der Beklagten eine solche Prüfung nicht vorgenommen , sondern den Entwurf der Berufungsbegründung nach Vorlage durch sein Büro wegen anderer vordringlicher Arbeiten zunächst nicht weiter bearbeitet hat, hat er mithin nicht alles ihm Zumutbare getan und veranlasst, damit die Frist zur Begründung des Rechtsmittels gewahrt wird. Daher hat das Oberlandesgericht zu Recht ein Verschulden angenommen.
13
2. Im Hinblick darauf kommt es nicht mehr darauf an, ob das Oberlandesgericht zu Recht aus einer Reihe von Fehlern mehrerer Mitarbeiter den Schluss gezogen hat, dass die Organisation im Anwaltsbüro entweder nicht ausreichend verständlich und eindeutig gestaltet gewesen oder nicht hinreichend überwacht worden sei (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 27. März 2001 - VI ZB 7/01 - VersR 2001, 1133, 1134; BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 1996 - XII ZR 279/95 - FamRZ 1996, 1469; vom 20. Dezember 1984 - III ZB 37/84 - VersR 1985, 270). Eine Rechtsfortbildung zu der von der Rechtsbeschwerde aufgeworfenen Frage, wann eine auffällige Häufung von Mängeln bei der Wahrung einer Rechtsmittelbegründungsfrist anzunehmen ist, ist nicht geboten, weil der angefochtene Beschluss - wie ausgeführt - schon aus anderen Gründen einer Überprüfung stand hält.
14
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Wellner Pauge Stöhr

Vorinstanzen:
LG Bochum, Entscheidung vom 14.09.2005 - 6 O 306/04 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 02.01.2006 - 26 U 156/05 -

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)