Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Jan. 2010 - VI ZB 36/08

published on 19/01/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Jan. 2010 - VI ZB 36/08
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Landgericht Darmstadt, 3 O 16/06, 06/03/2008
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 12 W 43/08, 15/05/2008

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 36/08
vom
19. Januar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
RVG-VV Nr. 1008
Wird ein Rechtsanwalt für eine im Wege des Direktanspruchs mitverklagte Partei und
zugleich für diese als Streithelferin einer anderen Partei tätig, steht ihm keine erhöhte
Gebühr nach Nr. 1008 RVG-VV zu.
BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - VI ZB 36/08 - OLG Frankfurt in Darmstadt
LG Darmstadt
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll, Wellner, die Richterin Diederichsen
und den Richter Stöhr

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 3 gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Mai 2008 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen. Beschwerdewert: 358,15 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin hat gegen die Beklagten zu 1 und 2 als Fahrer bzw. Halter sowie gegen die Beklagte zu 3 als Haftpflichtversicherer Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht. Die Beklagte zu 3 ist dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten zu 1 und 2, die durch einen eigenen Prozessbevollmächtigten vertreten waren, als Streithelferin beigetreten, weil wegen des Einwands einer Unfallmanipulation eine Interessenkollision nicht auszuschließen war. Ihr Prozessbevollmächtigter hat "namens und auftrags der Beklagten zu 3" in deren Eigenschaft als Streithelferin der Beklagten zu 1 und 2 ebenfalls Klageabweisung beantragt.
2
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention auferlegt. Bei der Kostenfestsetzung hat es den Antrag der Beklagten zu 3 abgelehnt, im Hinblick auf ihre Nebenintervention eine zweifache Erhöhungsgebühr von 0,3 gemäß Nr. 1008 RVG-VV festzusetzen. Die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 3 hat das Oberlandesgericht durch den angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Das Landgericht habe die Voraussetzungen für eine erhöhte Gebühr gemäß Nr. 1008 RVG-VV zu Recht als nicht erfüllt erachtet. Voraussetzung für eine Erhöhung sei, dass der Prozessbevollmächtigte mehrere Mandanten vertreten habe. Der von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 3 erklärte Beitritt der Beklagten zu 3 als Streithelfer der Beklagten zu 1 und 2 habe aber kein Mandat der - anderweitig anwaltlich vertretenen - Beklagten zu 1 und 2 im Sinne der Nr. 1008 RVG-VV zur Folge gehabt. Vielmehr habe der von der Beklagten zu 3 im eigenen Interesse erklärte Beitritt als Nebenintervenient (§ 66 Abs. 1 ZPO) lediglich zur Folge gehabt, dass die Beklagte zu 3 kraft eigenen Rechts die Rechtsstellung eines Gehilfen der Beklagten zu 1 und 2 im Prozess erlangt habe. Die erhöhte Gebühr gemäß Nr. 1008 RVG-VV falle im Falle der Nebenintervention nur an, wenn der von dem Rechtsanwalt vertretene Streithelfer und die von ihm vertretene Partei nicht dieselbe Person sei.
3
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte zu 3 den Antrag weiter, ihr eine zweifach erhöhte Gebühr nach Nr. 1008 RVG-VV zuzubilligen.

II.

4
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet. Das Oberlandesgericht hat zu Recht die Voraussetzungen für die Zubilligung einer erhöhten Gebühr verneint.
5
1. Zwar gilt im Haftpflichtprozess nach einem Verkehrsunfall im Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer § 7 Abs. 2 Nr. 5 AKB. Danach hat der Versicherungsnehmer im Falle eines Rechtsstreits dessen Führung dem Versicherer zu überlassen und dem Rechtsanwalt, den der Versicherer bestellt, Vollmacht zu erteilen (vgl. Senatsbeschluss vom 20. Januar 2004 - VI ZB 76/03 - VersR 2004, 622, 623). Wird gemäß dieser Bestimmung im Haftpflichtprozess gegen den Versicherungsnehmer und den Haftpflichtversicherer ein einheitlicher Prozessbevollmächtigter bestellt, wird dieser für mehrere Personen im Sinne der Nr. 1008 RVG-VV tätig.
6
2. Im vorliegenden Fall liegt jedoch eine andere Situation vor. Hier ist der Prozessbevollmächtigte für die Beklagte zu 3 als im Wege des Direktanspruchs mitverklagte Partei und zugleich für die Beklagte zu 3 als Streithelferin der Beklagten zu 1 und 2 tätig geworden. In diesem Fall steht dem Prozessbevollmächtigten keine erhöhte Gebühr nach Nr. 1008 RVG-VV zu, weil er nicht für verschiedene Personen im Sinne dieser Vorschrift tätig geworden ist.
7
Der Nebenintervenient ist nicht Vertreter der von ihm unterstützten Partei. Er beteiligt sich vielmehr nur an einem fremden Prozess und handelt insoweit neben der Hauptpartei. Der Nebenintervenient handelt mithin stets in eigenem Namen und kraft eigenen Rechts (vgl. Musielak/Weth, ZPO, 7. Aufl., § 67 Rn. 2; PG/Gehrlein, ZPO, § 67 Rn. 1; Zöller/Vollkommer, 27. Aufl., ZPO, § 67 Rn. 1, jeweils m.w.N.).
8
Im Hinblick darauf wird zu Recht ein Anspruch auf eine erhöhte Gebühr nach Nr. 1008 RVG-VV (früher: § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO) verneint, wenn ein Rechtsanwalt in einem Prozess eine Partei und zugleich diese als Streithelfer eines Dritten vertritt (vgl. OLG Braunschweig, OLGR Braunschweig 2001, 181, 182; OLG Koblenz, JurBüro 2004, 484; OLG München, OLGR München 1993, 171). Nach dem Sinn und Zweck der Nr. 1008 RVG-VV soll mit der Erhöhung dem mit dem Vorhandensein mehrerer Beteiligter typischerweise verbundenen Mehr an Arbeit und Aufwand, insbesondere durch die laufende Informationsaufnahme und Unterrichtung durch den Rechtsanwalt, in genereller Weise Rechnung getragen werden. Zudem wird die Erhöhung in solchen Fällen mit dem für den Prozessbevollmächtigten bestehenden höheren Haftungsrisiko begründet (vgl. BGH, NJW 1987, 2240, 2241; OLG München, aaO; Gerold /Schmidt/Müller-Rabe, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 18. Aufl., 1008 VV Rn. 37; BT-Drucks. 7/2016 S. 99; BT-Drucks. 15/1971 S. 205). Nach diesem Sinn und Zweck ist es zwar grundsätzlich möglich, dass der Rechtsanwalt eine erhöhte Gebühr erhält, wenn er eine Partei und zugleich einen Streithelfer vertritt , weil es unerheblich ist, in welcher Rolle die mehreren Auftraggeber an einer Angelegenheit beteiligt sind (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, aaO, Rn. 40). Der Anwalt muss aber für mehrere Personen tätig werden. Dies ist nicht der Fall, wenn er einen Auftraggeber vertritt, der in verschiedenen Rollen am Verfahren teilnimmt, wie hier die Beklagte zu 3 als Partei und zugleich als Nebenintervenient (vgl. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, aaO, Rn. 48). In einem solchen Fall liegt eine andere Situation vor als in den Verfahren, in denen der Rechtsanwalt den Nebenintervenienten und die von diesem unterstützte Partei vertritt (vgl. OLG Hamburg JurBüro, 1984, 702) oder eine Person gleichzeitig als Partei kraft Amtes und als natürliche Person gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen wird (vgl. OLG Köln, OLGR Köln 2009, 64). Galke Zoll Wellner Diederichsen Stöhr
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 06.03.2008 - 3 O 16/06 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 15.05.2008 - 12 W 43/08 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiege, kann dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten. (2) Die Nebenintervention kann in jeder Lage des Re
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Annotations

(1) Wer ein rechtliches Interesse daran hat, dass in einem zwischen anderen Personen anhängigen Rechtsstreit die eine Partei obsiege, kann dieser Partei zum Zwecke ihrer Unterstützung beitreten.

(2) Die Nebenintervention kann in jeder Lage des Rechtsstreits bis zur rechtskräftigen Entscheidung, auch in Verbindung mit der Einlegung eines Rechtsmittels, erfolgen.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.