Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juli 2016 - StB 23/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:140716BSTB23.16.0
14.07.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 23/16
vom
14. Juli 2016
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
ECLI:DE:BGH:2016:140716BSTB23.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart sowie des Beschwerdeführers und seiner Verteidiger am 14. Juli 2016 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO
beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 8. Juni 2016 - 6 OJs 1/14 - wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.


1
Der Angeklagte befindet sich seit seiner Festnahme am 12. Februar 2015 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. August 2014 (OGs 1/14) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Gegenstand des Haftbefehls ist der Vorwurf, er habe sich mindestens seit Mitte des Jahres 2010 bis September 2013 unter dem Decknamen "D. " in der Funktion eines Gebietsleiters für mehrere Regionen in Deutschland als Mitglied an der Arbeiterpartei Kurdistans ("Partiya Karkeren Kurdistan" - PKK) und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (§ 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Der Senat hat mit Beschluss vom 3. September 2015 (AK 27/15) die Haftfortdauer ange- ordnet. Seit dem 1. Dezember 2015 findet gegen den Angeklagten vor dem Oberlandesgericht Stuttgart die Hauptverhandlung statt. Am 31. Mai 2016, dem 31. Tag der Hauptverhandlung, haben die Verteidiger des Beschwerdeführers beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Zur Begründung haben sie angeführt, dass die Untersuchungshaft nunmehr unverhältnismäßig lange andauere, da bisher durchschnittlich nur an 1,2 Tagen wöchentlich verhandelt worden sei. Auch sei das in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellende Gewicht der abzuurteilenden Tat als sehr viel geringer anzusehen als im Haftbefehl zugrunde gelegt, da der Verdacht der mitgliedschaftlichen Betätigung nur einen Tatzeitraum von insgesamt sieben Monate umfasse. Darüber hinaus nimmt der Beschwerdeführer den Haftgrund der Fluchtgefahr in Abrede.
2
Mit Beschluss vom 8. Juni 2016 hat das Oberlandesgericht diesen Antrag zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Beschwerde vom 14. Juni 2016, der das Oberlandesgericht am 20. Juni 2016 nicht abgeholfen hat.

II.


3
Das gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft liegen vor. Insbesondere ist kein Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gegeben.
4
1. Gegen den Angeklagten besteht nach dem jetzigen Stand der Beweisaufnahme der dringende Tatverdacht, sich in dem vom Haftbefehl erfassten Tatzeitraum und darüber hinaus bis zu seiner Festnahme am 12. Februar 2015 in der Funktion als Gebietsleiter in verschiedenen Regionen Deutschlands - zunächst Kiel, später Sachsen und Stuttgart und schließlich, vom Haftbefehl noch nicht, wohl aber von der Anklage umfasst, im Gebiet Bodensee - als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt zu haben (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB).
5
a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143 mwN; vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12, NStZRR 2013, 16, 17; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob und hinsichtlich welcher Taten der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand (noch) besteht. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.
6
Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen , die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsge- richts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2016 - StB 5/16, NStZ-RR 2016, 217 mwN).
7
b) Nach diesen Maßstäben sieht der Senat weiterhin den dringenden Verdacht begründet, dass sich der Angeklagte von Mitte des Jahres 2010 bis zu seiner Festnahme im Februar 2015 mitgliedschaftlich an der PKK und damit an einer ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt hat. Das Oberlandesgericht hat in der angefochtenen Entscheidung und insbesondere in seinem Nichtabhilfebeschluss vom 20. Juni 2016 noch ausreichend dargelegt, dass die bisherige Beweisaufnahme deutliche Belege für derartige mitgliedschaftliche Aktivitäten des Angeklagten im Tatzeitraum erbracht hat.
8
2. Dies wird vom Beschwerdeführer im Grundsatz auch nicht spezifiziert in Abrede gestellt. Soweit er vielmehr einwendet, das Oberlandesgericht habe nur derart wenige unter § 129a Abs. 1, § 129b StGB subsumierbare Beteiligungshandlungen hinreichend dargelegt, dass die darauf gründende Straferwartung die Annahme des Haftgrunds der Fluchtgefahr nicht mehr rechtfertige und der Fortdauer der Untersuchungshaft auch unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit entgegenstehe, beruht sein Vorbringen indes auf rechtsirrigen Erwägungen.
9
a) Das gilt zunächst für den Einwand, bei einer Vielzahl der ihm angelasteten Aktivitäten (etwa: Teilnahme an genehmigten Demonstrationen oder an Kulturveranstaltungen) handele es sich um legale Bestätigungen. Dies verkennt , dass die Beteiligungsakte, die der Täter zur Förderung der Zwecke oder Tätigkeit der Organisation entfaltet, für sich genommen nicht strafbar sein müssen , um unter § 129a Abs. 1, § 129b StGB subsumiert werden zu können. Vielmehr genügen auch solche Handlungen, die an sich betrachtet nicht pönalisiert sind; Voraussetzung ist lediglich, dass sie Ausfluss der Mitgliedschaft des Täters in der Vereinigung sind und in deren Interesse vorgenommen werden. Durch diese Verknüpfung erhalten auch isoliert gesehen legale Aktivitäten, wenn sie für die Organisation entfaltet werden, ihr Unwerturteil (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 - 3 StR 537/14, NJW 2016, 657, 658).
10
Ob eine mitgliedschaftliche Betätigungshandlung auch nach anderen Vorschriften strafbar ist, hat daher für ihre Tatbestandsmäßigkeit nach § 129a Abs. 1, § 129b StGB keine Bedeutung. Die Strafbarkeit auch nach einer anderen Vorschrift führt lediglich konkurrenzrechtlich dazu, dass der in Tateinheit zur mitgliedschaftlichen Beteiligung stehende Rechtsverstoß in Realkonkurrenz zu den anderen, nicht gegen weitere Strafbestimmungen verstoßenden Betätigungsakten steht, die ihrerseits eine tatbestandliche Handlungseinheit und damit nur eine Tat im materiellen Sinne bilden (BGH aaO, S. 657).
11
b) Fehl geht auch der Einwand, der Tatverdacht gegen den Angeklagten beschränke sich auf derart wenige konkrete mitgliedschaftliche Betätigungsakte , dass letztlich allenfalls von einem "Tatzeitraum" von nur sieben Monaten ausgegangen werden könne. Zwar trifft es zu, dass eine Beteiligung als Mitglied nicht für Zeiten angenommen werden darf, in denen der Täter keine Aktivitäten für die Vereinigung entfaltet, und eine längere Unterbrechung mitgliedschaftli- cher Betätigungen daher je nach Fallgestaltung zu einer rechtlichen Zäsur in der tatbestandlichen Handlungseinheit führen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 - StB 4 - 5/01, BGHSt 46, 349, 355 ff.).
12
So liegt es hier indessen nicht. Die abweichende Auffassung des Beschwerdeführers beruht auf der unzutreffenden Prämisse, dass in die strafrechtliche Bewertung nur solche Beteiligungshandlungen eingestellt werden dürften, die dem Täter konkret nach Tatzeit, Tatort und spezifizierter Tathandlung belegt werden können. Vielmehr ist im Hinblick auf die pauschalisierende Fassung des Tatbestands der mitgliedschaftlichen Beteiligung in § 129a Abs. 1, § 129b StGB auch der Nachweis ausreichend, dass der Täter während des Tatzeitraums immer wieder Aktivitäten bestimmter Art zugunsten der Vereinigung erbracht hat. Das ist hier der Fall. Den Ausführungen des Oberlandesgerichts lässt sich in ihrem Gesamtzusammenhang hinreichend entnehmen, dass nach dem bisherigen Beweisergebnis weiterhin erhebliche Anhaltspunkte dafür sprechen, der Angeklagte habe im Tatzeitraum durchgehend die üblichen Tätigkeiten eines Gebietsleiters der PKK entfaltet (etwa im Spenden- und Berichtswesen usw.). Dies ist ausreichend, um auch dem Senat eine hinreichende Prüfung der Verdachtslage zu ermöglichen. Einer weiteren Spezifizierung der Einzelakte bedurfte es nach dem Gesagten nicht.
13
3. Das Oberlandesgericht hat weiter zutreffend angenommen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO auch der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) weiterhin vorliegt. Diese folgt schon aus der - maßgeblich auch von der Dauer und vom Umfang der mitgliedschaftlichen Betätigung des einschlägig vorverurteilten Angeklagten bestimmten - Straferwartung (s. oben 2.). Demgegenüber relativieren die familiären Bindungen des verheirateten Angeklagten bereits deshalb die Fluchtgefahr nicht, weil dieser im gesamten Tatzeitraum nicht mit seiner Familie zusammenlebte. Zudem reiste er häufig ins Ausland, wo er über zahlreiche Kontakte verfügt. Dass der Angeklagte, der türkischer Staatsangehöriger ist und in Deutschland lediglich über eine ausländerrechtliche Duldung verfügt, hinsichtlich der rechtlichen Anforderungen an die Annahme einer Fluchtgefahr mit einem Angehörigen der Europäischen Union, der in seinem Heimatland einen festen Wohnsitz hat, nicht gleichgestellt werden kann, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
14
4. Die Fortdauer der nunmehr siebzehnmonatigen Untersuchungshaft ist weiterhin verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
15
a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Nach dem verfassungsrechtlich ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen haben die Strafverfolgungsbehörden und -gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Forderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Dies gilt auch im Zwischen- und Hauptverfahren. Dem Beschleunigungsgebot ist regelmäßig nur dann Genüge getan, wenn innerhalb von drei Monaten nach Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Hauptverhandlung begonnen wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 15. Februar 2007 - 2 BvR 2563/06, NStZ-RR 2007, 311, 313; vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08, StV 2008, 421, 423). Bei absehbar umfangreichen Verfahren ist eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umfassende Hauptverhandlungsplanung mit durchschnittlich mehr als nur einem Hauptverhandlungstag pro Woche gefordert (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschlüsse vom 4. Mai 2011 - 2 BvR 2781/10; vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10, StV 2011, 31, 34; vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198, 199).
16
b) Bei Anwendung dieser Grundsätze unterliegt die Verfahrensführung des Oberlandesgerichts keiner Beanstandung. Im Rahmen der gebotenen Abwägung sind dabei im Wesentlichen die folgenden Gesichtspunkte von Bedeutung :
17
aa) Zwar ist die Anklage bereits am 28. April 2015 beim Oberlandesgericht eingegangen. Doch findet der Zeitablauf bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens am 25. September 2015 im Verfahrensgang eine sachliche Rechtfertigung. Nachdem der Vorsitzende unmittelbar nach Eingang der Anklage deren Übersetzung veranlasst hatte, wurde dem Angeklagten am 23. Juni 2015 die übersetzte Anklageschrift übersandt. Am 16. Juli 2015 lief die - auf Antrag des Verteidigers verlängerte - Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1 Satz 1 StPO ab. Nach Durchführung der besonderen Haftprüfung nach § 121 StPO und dem Haftfortdauerbeschluss des Senats vom 3. September 2015 wurde zeitnah noch im September 2015 über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Zwischen der Eröffnungsentscheidung und dem Beginn der Hauptverhandlung am 1. Dezember 2015 liegen wenig mehr als zwei Monate.
18
bb) Auch hat die Hauptverhandlung bisher an durchschnittlich mehr als nur einem Tag pro Woche stattgefunden. Die Terminplanung des Oberlandesgerichts sah von vornherein wöchentlich zwei Verhandlungstermine vor. Diese Planung wurde im Wesentlichen, wenn auch nicht durchgängig, eingehalten. Fünf Hauptverhandlungstermine mussten - einer auf Antrag des Verteidigers, zwei wegen triftiger privater Belange von Mitgliedern des Gerichts und zwei im Hinblick auf nicht abgeschlossene Selbstleseverfahren - aufgehoben werden. Außerdem wurden um Weihnachten, Ostern und Pfingsten Verhandlungspausen eingelegt. Soweit nach der Aufstellung der Verteidigung bis zum Haftprüfungsantrag mit 31 Terminen durchschnittlich nur an 1,2 Verhandlungstagen pro Woche verhandelt wurde, kann ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot bisher nicht erkannt werden. Dass es immer wieder zu sachlich begründeten Terminsaufhebungen kommen kann, steht außer Frage. Auch bedarf es keiner näheren Darlegung, dass ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot nicht dadurch begründet wird, dass im Rahmen der gesetzlichen Regelungen den berechtigten Regenerations- und Erholungsinteressen der Verfahrensbeteiligten in angemessener Weise Rechnung getragen wird; das Beschleunigungsgebot lässt vielmehr Unterbrechungen für eine angemessene Zeit bei einer ansonsten hinreichenden Terminsdichte zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198, 199). Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass bislang 12 Stehordner mit mehr als 5.500 Seiten im Selbstleseverfahren in die Hauptverhandlung eingeführt wurden. Der Zeitraum, den die Verfahrensbeteiligten benötigen, um den Inhalt der Urkunden außerhalb der Hauptverhandlung zur Kenntnis zu nehmen, kann bei der Gesamtbetrachtung der Dauer der Hauptverhandlung nicht unberücksichtigt bleiben, zumal das Selbstleseverfahren mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer erheblichen Verkürzung der Verhandlungsdauer geführt hat. Auch künftig soll im Juli an sieben, im August - wegen der Sommerferien - allerdings nur an zwei und im September an wiederum sieben Tagen verhandelt werden, wobei das Oberlandesgericht davon ausgeht, sein eigenes Beweisprogramm bis Mitte Juli ab- schließen zu können, so dass bis zu einem Urteil möglicherweise nicht alle Terminstage ausgeschöpft werden müssen.
19
Die zusammenfassende Bewertung ergibt unter Berücksichtigung insbesondere von Planung und Durchführung der Hauptverhandlung, dass auch mit Blick auf die Dauer der Untersuchungshaft dem Beschleunigungsgebot sowohl im Zwischen- als auch im Hauptverfahren genügt wurde. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist - auch mit Blick auf das Gewicht der dem Angeklagten vorgeworfenen Tat (s. oben 2.) und seiner einschlägigen Vorbelastung - nicht ersichtlich.
Becker Schäfer Spaniol

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(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, 1. Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völ

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(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
A K 2 7 / 1 5
vom
3. September 2015
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
Stuttgart sowie des Angeschuldigten und seines Verteidigers
am 3. September 2015 gemäß §§ 121, 122 StPO beschlossen:
Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. Eine etwa erforderliche weitere Haftprüfung durch den Bundesgerichtshof findet in drei Monaten statt. Bis zu diesem Zeitpunkt wird die Haftprüfung dem Oberlandesgericht Stuttgart übertragen.

Gründe:

I.


1
Der Angeschuldigte, der türkischer Staatsangehöriger ist, wurde am 12. Februar 2015 vorläufig festgenommen und befindet sich seit diesem Tag aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. August 2014 (OGs 1/14) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart hat unter dem 28. April 2015 Anklage gegen den Angeschuldigten vor dem Oberlandesgericht Stuttgart erhoben.
2
Gegenstand des Haftbefehls vom 4. August 2014 ist der Vorwurf, der Angeschuldigte habe sich mindestens seit Mitte des Jahres 2010 unter dem Decknamen "D. " in der Funktion eines Gebietsleiters als Mitglied an der Arbeiterpartei Kurdistans ("Partiya Karkeren Kurdistan" - PKK) und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen (§ 129b Abs. 1 i.V.m. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB).
3
Die Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz zur strafrechtlichen Verfolgung unter anderem der jeweiligen Verantwortlichen für die in Deutschland bestehenden Gebiete der PKK und ihrer Teilorganisation in Europa CDK (Civata Demokratik Kurdistan; "Kurdische demokratische Gesellschaft"), soweit ein Deutschlandbezug besteht, liegt seit dem 6. September 2011 vor.

II.


4
Die Voraussetzungen der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer über sechs Monate hinaus sind gegeben.
5
1. Nach den bisherigen Ermittlungen ist im Sinne eines dringenden Tatverdachts im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt auszugehen:
6
a) Die PKK wurde 1978 u.a. von Abdullah Öcalan in der Türkei als Kaderorganisation mit dem Ziel gegründet, einen kurdischen Nationalstaat unter ihrer Führung zu schaffen. Sie gliedert sich in verschiedene Organisationen, die mehrfach die Bezeichnung wechselten. So bestehen u.a. seit 2007 die "Vereinigte Gemeinschaft Kurdistans" (Koma Civakên Kurdistan - KCK) als Kaderorganisation und der "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gelê Kurdistan - KONGRA-GEL) als quasi legislatives Organ sowie die ("neue") PKK mit der Aufgabe einer Fortentwicklung der ideologischen Ausrichtung. Ziel der KCK ist ein staatsähnlicher "konföderaler" Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, in Syrien, im Iran und im Irak.
7
Die KCK ist, ebenso wie die PKK, auf die Person Abdullah Öcalans ausgerichtet. Daneben vollzieht sich die Willensbildung über die KONGRA-GEL und den Exekutivrat der KCK. Die Führungskader folgen grundsätzlich dieser Willensbildung und setzen die getroffenen Entscheidungen um. Zur Überprüfung haben sie den übergeordneten Kadern regelmäßig Bericht zu erstatten.
8
Die PKK sieht im Rahmen der "Selbstverteidigung" einen Guerillakrieg als legitimes Mittel an. Zu ihrem System gehören auch die "Volksverteidigungskräfte" ("Hezen Parastine Gel" - HPG). Diese nehmen ein Recht auf "aktive Verteidigung" und auf "Vergeltungsangriffe" gegen türkische Sicherheitsbehörden in Anspruch. Sie verübten deshalb - auch in Zeiträumen, für die, wie zuletzt am 23. März 2013, vom Präsidium des Exekutivrats der KCK "Feuerpausen" verkündet wurden, - Anschläge mit Sprengstoff und Waffen insbesondere gegen türkische Soldaten und Polizisten und verletzten oder töteten eine Vielzahl von ihnen. Vereinzelt waren auch Zivilisten betroffen.
9
Der Schwerpunkt der Strukturen und das eigentliche Aktionsfeld der PKK liegen in den von Kurden bevölkerten Gebieten in der Türkei, in Syrien, im Iran und im Irak. Zahlreiche auf die Unterstützung der politischen und militärischen Auseinandersetzung mit dem türkischen Staat ausgerichtete Aktivitäten betreibt die PKK jedoch auch in Deutschland und anderen Gebieten Westeuropas. Dazu bedient sie sich der CDK, deren Aufgabe insbesondere darin besteht, nach den Vorgaben der KCK und der KONGRA-GEL die in Europa lebenden Kurden zu organisieren. Unterhalb dieser Führungsebene ist Europa in Sektoren, Gebiete , Räume und Stadtteile eingeteilt.
10
b) Der Angeschuldigte ist dringend verdächtig, jedenfalls seit Mitte 2010 als Gebietsleiter in die dargestellte Organisation der PKK und CDK eingebunden gewesen zu sein und diese gefördert zu haben:
11
Der Angeschuldigte war seit diesem Zeitpunkt als - von der PKK alimentierter - Gebietsleiter zunächst für das Gebiet "Kiel" und später - bis zu seiner Verhaftung - nacheinander für die Gebiete "Sachsen", "Stuttgart" und "Bodensee" tätig. In dieser Funktion organisierte er Spendensammlungen, verwaltete die eingenommenen Gelder und leitete sie weiter. Er nahm an Treffen mit anderen PKK-Kadern teil bzw. besuchte entsprechende Schulungen. Außerdem organisierte er die Teilnahme von Kurden, die in "seinen" Gebieten ansässig waren, an zentralen Demonstrationen und Veranstaltungen. Höherrangigen Kadern, mit denen er auch telefonisch in Kontakt stand, erstattete er regelmäßig Bericht.
12
Der dringende Tatverdacht hinsichtlich dieses Sachverhalts ergibt sich aus den bei einer Durchsuchung des "Kurdistan Volkshauses" in H. im Jahr 2010 und bei der Festnahme des Angeschuldigten im Februar 2015 sichergestellten Unterlagen, dem Ergebnis der Überwachung der Telekommunikation des Angeschuldigten und seiner Observierung sowie weiteren Ermittlungsergebnissen der Landeskriminalämter Schleswig-Holstein, Sachsen und Baden-Württemberg. Wegen der Einzelheiten wird auf die Darlegungen im Haftbefehl des Ermittlungsrichters des Oberlandesgerichts Stuttgart und im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Bezug genommen.
13
Damit ist der Angeschuldigte dringend verdächtig, sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland beteiligt zu haben.
14
2. Es besteht aus den im Haftbefehl dargestellten Gründen jedenfalls der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Die bisherige Dauer der Untersu- chungshaft steht auch noch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden erheblichen Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
15
3. Die Voraussetzungen für die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus (§ 121 Abs. 1 StPO) sind gegeben. Die besondere Schwierigkeit und der Umfang des Verfahrens haben ein Urteil noch nicht zugelassen.
16
Nach der Festnahme des Angeschuldigten am 12. Februar 2015 wurde das Ermittlungsverfahren zügig abgeschlossen. Unter dem 28. April 2015 hat die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart Anklage zum dortigen Oberlandesgericht erhoben. Bereits am 29. April 2015 verfügte der Vorsitzende des Strafsenats die Zustellung der Anklage und - nach Anhörung des Verteidigers - am 8. Mai 2015 deren Übersetzung. Am 23. Juni 2015 wurde dem Angeschuldigten die Übersetzung der Anklageschrift übersandt. Am 16. Juli 2015 lief die - auf Antrag des Verteidigers verlängerte - Erklärungsfrist nach § 201 Abs. 1Satz 1 StPO ab. Der Senat geht davon aus, dass das Oberlandesgericht - wie angekündigt - nunmehr zügig über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden wird.
Schäfer Pfister Spaniol

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
__________
StB 9/12
vom
8. Oktober 2012
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 8. Oktober 2012
gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Auf die Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. Juni 2012 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1
I. Der Angeklagte befindet sich seit dem 17. November 2009 in Untersuchungshaft , zunächst aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 16. November 2009 (4 BGs 31/09), sodann aufgrund des diesen ersetzenden Haftbefehls des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Januar 2011. Danach liegt dem Angeklagten zur Last, in 26 Fällen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie in 39 Fällen Kriegsverbrechen, jeweils in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, begangen zu haben. Er soll seit Juni 2004 1. Vizepräsident der "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda" (im Folgenden: FDLR), einer vor allem im Osten der Demokratischen Republik Kongo (im Folgenden: DRC) operierenden paramilitärischen Milizenorganisation, gewesen sein und es von Januar 2008 bis zu seiner Festnahme als militärischer Befehlshaber unterlassen ha- ben, seine Untergebenen daran zu hindern, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu begehen. Wegen dieser Tatvorwürfe hat der Generalbundesanwalt unter dem 7. Dezember 2010 Anklage zum Oberlandesgericht Stuttgart erhoben. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 1. März 2011 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 4. Mai 2011 begonnen. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2011 hat das Oberlandesgericht Anträge der Verteidigung, den Haftbefehl aufzuheben, zurückgewiesen.
2
Der Senat hatte zuvor im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 f. StPO mit Beschlüssen vom 17. Juni 2010 (AK 4/10), 28. Oktober 2010 (AK 14/10) und 8. Februar 2011 (AK 3/11) jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Er hatte dabei auf den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland abgestellt und offen gelassen, ob der Angeklagte darüber hinaus dringend verdächtig ist, Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch begangen zu haben.
3
Die Verteidigung des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 19. Juni 2012 erneut die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die bisherige Hauptverhandlung genüge nicht dem Beschleunigungsgebot; zudem stützten die in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel den Anklagevorwurf nicht. Das Oberlandesgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 29. Juni 2012 zurückgewiesen. Es hat den Gang der Hauptverhandlung näher dargelegt und ausgeführt, der Angeklagte sei weiterhin dringend verdächtig, die ihm im Haftbefehl und in der Anklage zur Last gelegten Taten begangen zu haben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der weiterhin einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot geltend macht und vorträgt, ein dringender Tatverdacht bestehe nicht. Das Oberlandesgericht hat dem Rechtsmittel gemäß Vermerk vom 10. August 2012 nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Die bisher durchgeführte Beweisaufnahme habe das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen ganz überwiegend bestätigt. Es bestehe weiterhin der dringende Verdacht, dass der Angeklagte der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung schuldig sei sowie die ihm vorgeworfenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ungeachtet einer bestehenden Verantwortlichkeit nach § 4 VStGB - insoweit über die rechtliche Würdigung in Haftbefehl und Anklageschrift hinaus - in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen begangen habe.
4
II. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache zu neuer Bescheidung durch das Oberlandesgericht ; denn die dem Senat bislang unterbreiteten tatsächlichen Grundlagen reichen für eine abschließende Beurteilung des dringenden Tatverdachts bezüglich der dem Angeklagten vorgeworfenen Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch und damit der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft nicht aus.
5
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB). Demgegenüber kann der Senat derzeit nicht abschließend bewerten, ob der Angeklagte mit hoher Wahrscheinlichkeit die ihm vorgeworfenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Kriegsverbrechen (§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 3, 6, 8, 9, Abs. 3, § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, Abs. 4 Satz 1, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 VStGB), sei es in Verbindung mit der Verantwortlichkeit militärischer Befehlshaber oder anderer Vorgesetzter (§ 4 VStGB), sei es in mittelbarer Täterschaft durch Unterlassen (§ 25 Abs. 1 Alt. 2, § 13 Abs. 1 StGB), begangen hat.
6
a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme.
7
b) Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht vor dem Hintergrund des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, wie es in der Anklageschrift zusammengefasst ist, ausreichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nicht in Frage stellen, den der Senat auf der Grundlage des jeweiligen Ermittlungsergebnisses in seinen Haftprüfungsentscheidungen ebenfalls bejaht hatte. Es besteht auch bei sachgerechter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens kein Anlass anzunehmen, eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die FDLR eine auf die Begehung der in § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB bezeichneten Verbrechen gerichtete ausländische Vereinigung ist und der Angeklagte sich an dieser als 1. Vizepräsident und damit als hochrangiges Mitglied beteiligte, liege nicht mehr vor.
8
c) Demgegenüber kann der Senat auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen des Oberlandesgerichts auch mit Blick auf den Inhalt der Anklageschrift und den Beschluss vom 21. Dezember 2011 nicht abschließend beurteilen , ob der Angeklagte dringend verdächtig ist, sich wegen der ihm vorgeworfenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen strafbar gemacht zu haben. Die Zurechnung der in der DRC begangenen Verbrechen über § 4 VStGB setzt u.a. voraus, dass der Angeklagte die Möglichkeit hatte, das Verhalten seiner Untergebenen faktisch zu bestimmen, insbesondere Straftaten wirksam zu unterbinden (vgl. im Einzelnen, BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 - AK 3/10, BGHSt 55, 157, 168). Damit der Senat diese - in seinen Haftprüfungsentscheidungen offen gelassene - Frage in einer die Entscheidung über die Beschwerde des Angeklagten tragenden Weise bewerten kann, bedarf es einer substantiierteren Darlegung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch das Oberlandesgericht, als dies bislang geschehen ist. Von besonderem Belang sind dabei Ausmaß und Inhalt der Kontakte des Angeklagten zu den vor Ort in der DRC agierenden Einheiten der FDLR sowie das Maß der Verbindlichkeit eventueller Vorgaben bzw. Anweisungen. Zu der - soweit für den Senat ersichtlich vom Generalbundesanwalt in seiner Erwiderung auf die Beschwerde erstmals aufgeworfenen - Frage, ob der Angeklagte mit großer Wahrscheinlichkeit sogar darüber hinaus als mittelbarer Täter für die vor Ort begangenen Verbrechen strafrechtlich verantwortlich ist, verhält sich die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts naturgemäß ebenfalls nicht.
9
Der Senat weist zur Klarstellung darauf hin, dass er als Beschwerdegericht ohne eigene Erkenntnismöglichkeiten bezüglich des Inhalts der Hauptver- handlung zwar in die Lage versetzt werden muss, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erhöhten Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10, juris Rn. 23) ausreichend Rechnung getragen werden kann. Dies bedeutet indes nicht, dass das verhandelnde Tatgericht in Fallkonstellationen wie der vorliegenden zu einer umfassenden Darstellung der Würdigung aller bislang erhobenen Beweise verpflichtet ist. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung sind den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. BGH, Beschluss vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368). Weiter entspricht es der Natur der Sache, dass die vom Tatgericht vorzunehmende Würdigung vorläufigen Charakter hat und für sich genommen nicht geeignet ist, etwa den Vorwurf der Voreingenommenheit der beteiligten Richter zu begründen.
10
2. Da der Senat den dringenden Tatverdacht hinsichtlich der Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch nicht abschließend zu beurteilen vermag, ist derzeit auch eine endgültige Entscheidung darüber nicht möglich, ob die Fortdauer der Untersuchungshaft mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) zu vereinbaren ist.
11
a) Entgegen der Ansicht der Beschwerde liegt allerdings ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot als spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht vor.
12
aa) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Nach dem verfassungsrechtlich ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 GG verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen haben die Strafverfolgungsbehörden und -gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (BVerfG aaO, juris Rn. 19 ff.). Bei der danach gebotenen auf den Einzelfall bezogenen Prüfung des Verfahrensablaufs sind etwa der Umfang und die Komplexität der Rechtssache, die Anzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 f.).
13
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist - im Gegensatz zur Auffassung der Verteidigung - die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung nicht zu beanstanden. Vielmehr ist angesichts der maßgebenden konkreten Umstände die Verfahrensweise des Oberlandesgerichts als angemessen zu bewerten.
14
Das Oberlandesgericht hat die (ohne Anlage) 189 Seiten umfassende Anklageschrift vom 7. Dezember 2010 mit Beschluss vom 1. März 2011 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Der Vorsitzende hat bereits am 17. März 2011 Termine zur Hauptverhandlung ab dem 4. Mai 2011 bestimmt, und zwar regelmäßig auf montags sowie mittwochs. Insgesamt sind bis zum 29. Juni 2012 84 Hauptverhandlungstage durchgeführt worden, die im Wesentlichen mehr als fünf, teilweise auch mehr als acht Stunden andauerten. Somit sah nicht nur die Planung der Hauptverhandlung mehr als einen Verhandlungstag pro Woche vor, sondern es ist durchschnittlich auch an mehr als einem Tag pro Woche verhandelt worden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 - 2 BvR 1847/07, BVerfGK 12, 166). Es widerspricht dem Beschleunigungsgebot nicht, dass in der ersten Aprilhälfte 2012 und Ende Mai/Anfang Juni 2012 im Hinblick auf die Ostertage bzw. das Pfingstfest keine Verhandlungen stattfanden; denn dieses lässt Unterbrechungen für eine angemessene Zeit bei einer ansonsten hinreichenden Terminsdichte zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198).
15
In Bedacht zu nehmen ist daneben, dass das Verfahren sich gegen zwei Angeklagte richtet und u.a. die Aufklärung der sich über mehrere Jahre erstreckenden Tätigkeit des Angeklagten für die FDLR sowie von 15 verschiedenen Überfällen in der DRC erfordert. Das Oberlandesgericht hat bis zum Zeitpunkt seiner angegriffenen Entscheidung u.a. 27 Zeugen und Sachverständige vernommen , wovon 15 aus dem Ausland, vornehmlich Ruanda angereist waren. Daneben wurden zahlreiche SMS, E-Mails und sonstige Urkunden verlesen sowie Telefonate und Videoaufzeichnungen von teilweise erheblicher Dauer in Augenschein genommen. Da ein Großteil der Beweismittel nur mit Hilfe eines Übersetzers für die Sprache Kinyarwanda in die Hauptverhandlung eingeführt werden konnte, musste bei der Bestimmung der Verhandlungszeiten auf des- sen Belange angemessen Rücksicht genommen werden. Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass diese Komplexität des Verfahrensstoffs insbesondere eine umfangreiche Vor- und Nachbereitung der jeweiligen Hauptverhandlungstage notwendig macht.
16
Vor diesem Hintergrund lässt eine vorausschauende Verhandlungsplanung es zudem gerade sinnvoll erscheinen, jeweils Freiräume zwischen den einzelnen Verhandlungstagen auch deshalb einzuplanen, damit diese für notwendige Zwischenberatungen etwa über zu bescheidende Anträge zur Verfügung stehen und auf diese Weise das geplante Hauptverhandlungsprogramm ohne Änderung im zeitlichen Ablauf durchgeführt werden kann. Die Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens zeigt sich beispielsweise daran, dass das Oberlandesgericht - abgesehen von sonstigen Anträgen - bisher über wenigstens acht Ablehnungsgesuche wegen der Besorgnis der Befangenheit zu befinden hatte.
17
b) Die Frage, ob der weitere Vollzug der Untersuchungshaft im Übrigen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, kann der Senat derzeit nicht abschließend beurteilen. Dies hängt - wenn auch nicht ausschließlich, so doch - wesentlich von der für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehenden Straferwartung und - unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB - vom hypothetischen Strafende ab (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12, juris Rn. 25). Hierfür ist von maßgeblicher Bedeutung, ob der Angeklagte - möglicherweise auch - wegen der ihm zur Last liegenden Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch zu verurteilen sein wird. Die Prüfung des diesbezüglichen dringenden Tatverdachts ist dem Senat jedoch - wie dargelegt - zurzeit nicht möglich.
18
III. Bei dieser Sach- und Rechtslage scheidet eine abschließende Sachentscheidung des Senats ausnahmsweise aus. Die vorliegende Fallkonstellation entspricht derjenigen, bei der ein Verfahrensmangel vorliegt, den das Beschwerdegericht nicht beheben kann (vgl. hierzu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 309 Rn. 8 mwN). Das Begehren des Angeklagten bedarf deshalb insgesamt neuer Befassung und Entscheidung durch das Oberlandesgericht, das dabei ebenfalls über die Kosten des Rechtsmittels zu befinden haben wird.
Becker Schäfer Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
__________
StB 12/12
vom
22. Oktober 2012
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 22. Oktober 2012
gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. September 2012 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
I. Der Angeklagte befindet sich seit dem 22. Februar 2011 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Februar 2011 (2 BGs 64/11) in Untersuchungshaft. Danach liegt dem Angeklagten zur Last, sich mindestens seit September 2009 als Mitglied an der "Islamischen Bewegung Usbekistan" (im Folgenden: IBU) und damit an einer Vereinigung im Ausland beteiligt zu haben, deren Zwecke und deren Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) zu begehen, strafbar als Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (§ 129b Abs. 1 Satz 1 und 2, § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB). Er habe sich dieser in Waziristan ansässigen Organisation angeschlossen, dort ein Ausbildungslager besucht und sei bei Kampfhandlungen verletzt worden. Auch nach seiner Rückkehr nach Deutschland habe er sich weiterhin mit den Zielen und Zwecken der Vereinigung identifiziert. Wegen dieser Tatvorwürfe hat der Generalbundesanwalt unter dem 8. November 2011 Anklage zum Oberlandesgericht Düsseldorf erhoben. Das Oberlandesgericht hat mit Beschluss vom 9. Januar 2012 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung hat am 5. März 2012 begonnen.
2
Der Senat hatte zuvor im Haftprüfungsverfahren nach §§ 121 f. StPO mit Beschlüssen vom 14. Oktober 2011 (AK 17/11) und 31. Januar 2012 (AK 3/12) jeweils die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und darin den dringenden Tatverdacht mit Blick auf die dem Angeklagten zur Last gelegten Taten bejaht.
3
Die Verteidigung des Angeklagten hat mit Schriftsatz vom 4. September 2012 die Aufhebung des Haftbefehls, hilfsweise dessen Außervollzugsetzung, beantragt. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ausgeführt, die bisherige Hauptverhandlung genüge nicht dem Beschleunigungsgebot. Zudem könne dem Angeklagten seine am 4. September 2012 abgegebene Einlassung durch die in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel nicht widerlegt werden; diese erkläre seinen Aufenthalt in Waziristan abweichend von dem Anklagevorwurf schlüssig, weshalb ihm eine mitgliedschaftliche Beteiligung an der IBU nicht nachzuweisen sei. Auch sei angesichts seiner gesundheitlichen Probleme und seiner Mittellosigkeit die Fluchtgefahr nicht gegeben. Das Oberlandesgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 11. September 2012 zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten, der weiterhin einen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot geltend macht und vorträgt, ein dringender Tatverdacht der Mitgliedschaft in der IBU bestehe nicht. Das Oberlandesgericht hat dem Rechtsmittel durch Beschluss vom 26. September 2012 nicht abgeholfen. Der Generalbundesanwalt beantragt, die Beschwerde zu- rückzuweisen. Die Einlassung des Angeklagten habe den dringenden Tatverdacht nicht entfallen lassen, sie erweise sich vielmehr in zahlreichen Punkten als nicht nachvollziehbar und widersprüchlich. Ihre Überprüfung in der Hauptverhandlung sei zudem noch nicht abgeschlossen. Es bestehe damit weiterhin der dringende Verdacht, dass der Angeklagte der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung schuldig sei. Ebenso sei nach wie vor der Haftgrund der Fluchtgefahr gegeben; das Verfahren sei schließlich mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung gefördert worden.
4
II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
5
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 1 Nr. 1, § 129b Abs. 1 StGB).
6
a) Nach der Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Maße der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12 mwN; vom 7. August 2007 - StB 17/07, juris Rn. 5; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, BGHR StPO § 112 Tatverdacht 3 mwN). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme (BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12).
7
Es muss allerdings in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10, juris Rn. 23), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2012 - StB 9/12 - und vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368).
8
b) Bei Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs hat das Oberlandesgericht ausreichend dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung das Vorliegen des dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung derzeit nicht in Frage stellen. Dabei hat die Beweisaufnahme zunächst vor dem Hintergrund des wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen, wie es in der Anklageschrift zusammengefasst ist, den dringenden Tatverdacht bestätigt, den der Senat auf der Grundlage des jeweiligen Ermittlungsergebnisses in seinen Haftprüfungsentscheidungen ebenfalls bejaht hatte. Ob sich dabei Beweismittel für eine Beteiligung des Angeklagten an Kampfhandlungen ergeben haben, oder ob dieser Vorwurf - wie die Verteidigung behauptet - mittlerweile nicht einmal mehr vom Generalbundesanwalt aufrecht erhalten wird, kann der Senat nicht beurteilen; angesichts der zahlreichen Beweismittel, die weitere Beteiligungshandlungen des Angeklagten belegen können, kommt diesem Aspekt aber für die Frage des die Untersuchungshaft rechtfertigenden dringenden Tatverdachts keine entscheidende Bedeutung zu. Dass und warum - jedenfalls derzeit - die am 34. Hauptverhandlungstag abgegebene Einlassung des Angeklagten, die zudem in erheblichem Widerspruch zu seinen früheren Angaben im Ermittlungsverfahren steht, mit Blick auf den dringenden Tatverdacht nicht zu einer anderen Beurteilung führt, hat das Oberlandesgericht in seinen Beschlüssen vom 11. und 26. September 2012 im Einzelnen dargelegt. Dabei ist insbesondere maßgeblich , dass die - im Hinblick auf den insoweit abzuarbeitenden Verfahrensstoff notwendig zeitintensive - Überprüfung der Einlassung noch nicht abgeschlossen ist; angesichts der zuvor an 33 Hauptverhandlungstagen durchgeführten Beweisaufnahme wäre eine ungeprüfte Übernahme der Einlassung des Angeklagten auch schlechterdings nicht nachvollziehbar. Bei dieser Sachlage ist die Annahme des weiterhin bestehenden dringenden Tatverdachts nicht zu beanstanden.
9
Gleiches gilt hinsichtlich der von der Verteidigung anders als vom Oberlandesgericht und dem Generalbundesanwalt gedeuteten Beweisergebnisse aus der Gutachtenerstattung durch den Sachverständigen Dr. S. zur Frage des Gefolgschaftseides: Der Sachverständige soll zur Beantwortung ergänzender Fragen geladen werden. Bevor diese Befragung nicht durchgeführt worden ist, kann der Angeklagte nicht verlangen, dass sein einseitiges Verständnis der bisherigen Beweisaufnahme als ausschließlich maßgebliches festgeschrieben wird.
10
2. Zu Recht hat das Oberlandesgericht auch das weitere Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) bejaht. Insoweit nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen in dem angefochtenen Beschluss vom 11. September 2012 sowie im Nichtabhilfebeschluss des Oberlandesgerichts vom 26. September 2012 Bezug. Da der dringende Tatverdacht der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach wie vor besteht, erübrigt sich ein Eingehen auf die Erwägungen der Verteidigung, wie der Angeklagte unter Zugrundelegung seiner Einlassung zu bestrafen sein könnte. Zudem besteht der weitere Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO.
11
3. Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist auch mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO) zu vereinbaren.
12
a) Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot als spezielle Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes liegt nicht vor.
13
aa) Das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung ist bei jeder Entscheidung betreffend die Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft zu beachten. Nicht nur die Anordnung sondern auch die Dauer der Untersuchungshaft muss verhältnismäßig sein. Nach dem verfassungsrechtlich ebenfalls in Art. 2 Abs. 2 GG verankerten Beschleunigungsgebot in Haftsachen haben die Strafverfolgungsbehörden und -gerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (Beschluss vom 24. Au- gust 2010 - 2 BvR 1113/10, juris Rn. 19 ff.). Bei der danach gebotenen auf den Einzelfall bezogenen Prüfung des Verfahrensablaufs sind etwa der Umfang und die Komplexität der Rechtssache, die Anzahl der beteiligten Personen und das Verhalten der Verteidigung zu beachten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198 f.).
14
bb) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist - im Gegensatz zur Auffassung der Verteidigung - die Planung und Durchführung der Hauptverhandlung nicht zu beanstanden.
15
Das Oberlandesgericht hat die (ohne Anlage) 134 Seiten umfassende Anklageschrift vom 8. November 2011 mit Beschluss vom 9. Januar 2012 zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Der Vorsitzende hat bereits am 10. Januar 2012 Termine zur Hauptverhandlung ab dem 5. März 2012 bestimmt, und zwar regelmäßig auf dienstags und mittwochs sowie - fakultativ - auf donnerstags. Insgesamt ist bis zum 2. Oktober 2012 an 40 Tagen die Hauptverhandlung durchgeführt worden. In der Regel fanden zwei Sitzungstermine pro Woche statt, nur in fünf Wochen wurde lediglich an einem Tag in der Woche verhandelt, wobei die in zwei Wochen im Juli ausgefallenen Verhandlungstage zu Gesprächen mit den Verfahrensbeteiligten genutzt wurden , die zur Abtrennung des Verfahrens gegen den Bruder des Angeklagten, den früheren Mitangeklagten C. , führten; gegen ihn ist das Verfahren zwischenzeitlich durch - rechtskräftiges - Urteil des Oberlandesgerichts vom 1. August 2012 beendet. Somit sah nicht nur die Planung der Hauptverhandlung mehr als einen Verhandlungstag pro Woche vor, sondern es ist durchschnittlich auch an mehr als einem Tag pro Woche verhandelt worden (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 19. September 2007 - 2 BvR 1847/07, BVerfGK 12, 166). Soweit der Angeklagte die zu geringe Zeitdauer der einzelnen Verhand- lungstage bemängelt, ist zu berücksichtigen, dass bei der zeitlichen Planung eines Verhandlungstages, an dem etwa Zeugen vernommen werden sollen, auch das Fragerecht der Verfahrensbeteiligten einzukalkulieren ist. Wenn dieses alsdann nicht oder nur in geringem Umfang wahrgenommen wird, so dass das Programm des Verhandlungstages früher als erwartet abgearbeitet worden ist, liegt darin kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot. Gleiches gilt mit Blick auf die Terminsaufhebungen wegen des Urlaubs des Ergänzungsrichters und der Unterbrechung zur Sommerpause für den Urlaub sämtlicher Verfahrensbeteiligter : Unterbrechungen für eine angemessene Zeit sind bei einer ansonsten hinreichenden Terminsdichte zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198).
16
Auch im Übrigen hat das Oberlandesgericht mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung verhandelt. Dies ergibt sich hinsichtlich der einzuführenden Urkunden bereits aus dem Umstand, dass solche weitgehend zum Gegenstand von Selbstleseverfahren gemacht worden sind. Soweit die Verteidigung dies in Abrede stellt, weil die beteiligten Richter den Inhalt dieser Urkunden doch bereits aus den Akten kennten, geht dies ersichtlich fehl, ergibt sich doch nicht zuletzt aus § 261 StPO, dass für die richterliche Überzeugungsbildung nur die Beweismittel herangezogen werden dürfen, die in die Hauptverhandlung eingeführt worden sind. Auch die von der Verteidigung als zu spät gerügte Beauftragung eines medizinischen Sachverständigen stellt angesichts der von dem Angeklagten erst am 25. Juli 2012 erteilten Erklärungen zur Entbindung der ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht keinen Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot dar.
17
b) Der weitere Vollzug der Untersuchungshaft verstößt auch im Übrigen nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sacheund - angesichts des dringenden Verdachts, der Angeklagte habe sich des Verbrechens der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht - der im Falle einer Verurteilung zu erwartenden erheblichen Strafe. Dies gilt auch mit Blick auf das hypothetische Strafende unter Berücksichtigung einer etwaigen Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests zur Bewährung gemäß § 57 StGB (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Juni 2012 - 2 BvR 644/12, juris Rn. 25). Der Zweck der Untersuchungshaft kann durch weniger einschneidende Maßnahmen als deren Vollzug nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO).
Becker Pfister Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
S t B 1 / 1 5
vom
5. Februar 2015
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beihilfe zum Mord
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
sowie des Beschwerdeführers und seiner Verteidiger am 5. Februar
2015 gemäß § 304 Abs. 5 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 22. Dezember 2014 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.


1
Der Angeklagte wurde am 29. November 2011 aufgrund des Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. November 2011 (3 BGs 97/11) - neu gefasst durch dessen Beschluss vom 15. Mai 2012 (3 BGs 169/12), abgeändert durch Senatsbeschluss vom 14. Juni 2012 (AK 18/12) - festgenommen. Er befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft. Der Senat hat in der letztgenannten Entscheidung deren Fortdauer über sechs Monate hinaus und durch Beschlüsse vom 4. Oktober 2012 (AK 30/12), vom 8. Januar 2013 (AK 36/12) und vom 11. April 2013 (AK 9/13) deren Fortdauer auch über neun, zwölf und fünfzehn Monate hinaus angeordnet. Zum Tatvorwurf nimmt der Senat Bezug auf seinen Beschluss vom 14. Juni 2012 (AK 18/12) und auf die Anklageschrift des Generalbundesanwalts vom 5. November 2012. Der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München hat mit der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und vier Mitangeklagte am 6. Mai 2013 begonnen; diese dauert weiter an.
2
In der Hauptverhandlung am 3. Dezember 2014 haben die Verteidiger des Angeklagten beantragt, den bestehenden Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise , diesen gegen geeignete Auflagen außer Vollzug zu setzen. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2014 hat das Oberlandesgericht München die Anträge abgelehnt und Haftfortdauer angeordnet. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten.

II.


3
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
4
1. Der Angeklagte ist des ihm vorgeworfenen Tatgeschehens weiterhin dringend verdächtig.
5
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Beschlüsse vom 16. April 2013 - StB 6/13; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368) unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind (BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12, StV 2013, 640, 642 f.), ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Entscheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste.
6
b) Nach diesen Maßstäben hat das Oberlandesgericht hinreichend konkret dargelegt, dass die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung den dringenden Verdacht der Beihilfe zu neun Fällen des Mordes, wie ihn der Senat auf der Grundlage des damaligen Ermittlungsergebnisses in den oben aufgeführten Haftentscheidungen ebenfalls bejaht hatte, nicht in Frage stellen. Auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die sich - wie schon zuvor der entsprechende Anträge des Angeklagten ablehnende, vom Oberlandesgericht inhaltlich bestätigte Beschluss vom 25. Juni 2014 - mit den Erkenntnissen zum Weg der Tatwaffe Ceska 83 Nr. 034678 hin zu Mitglie- dern des "Nationalsozialistischen Untergrunds" und den vom Angeklagten hierzu entfalteten Aktivitäten eingehend auseinandersetzen, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug.
7
2. Der Haftgrund der Schwerkriminalität besteht fort (§ 112 Abs. 3 StPO); durch weniger einschneidende Maßnahmen als den Haftvollzug kann der Zweck der Untersuchungshaft nach wie vor nicht erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Insoweit verweist der Senat auf die in der angefochtenen Entscheidung in Bezug genommenen Gründe des Beschlusses vom 25. Juni 2014, an deren Gültigkeit sich nach den Darlegungen des Oberlandesgerichts auch in der Zwischenzeit nichts geändert hat. Es sieht durch das bisherige Ergebnis der Beweisaufnahme die Besorgnis bestätigt, dass der Angeklagte, auf freien Fuß gesetzt, mit Hilfe von Unterstützern aus der rechten Szene Fluchtgedanken ohne wesentliche Schwierigkeiten in die Tat umsetzen könnte. Für diese Einschätzung des Oberlandesgerichts gilt nichts anderes als - wie oben ausgeführt - zur Annahme fortbestehenden dringenden Tatverdachts.
8
3. Das Verfahren ist weiterhin mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung geführt worden. Der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens haben ein Urteil bislang noch nicht zugelassen. Zwar findet der Vollzug von Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Erlass eines Urteils nur in ganz besonderen Ausnahmefällen eine Rechtfertigung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07, StV 2008, 198, 199). Ein solcher Ausnahmefall ist hier jedoch gegeben. Das Verfahren richtet sich gegen insgesamt fünf Angeklagte und umfasst einen Tatzeitraum von insgesamt fünfzehn Jahren. Beteiligt sind elf Verteidiger und mehr als 60 Nebenklagevertreter. Die dem Angeklagten vorgeworfenen Beihilfehandlungen sind isolierter Betrachtung nicht zugänglich, sondern bedürfen zunächst sorgfältiger Aufklärung der entsprechenden Haupttaten und deren Würdigung in einer Gesamtschau des Tatgeschehens. Schon der Umfang der Sachakten - über 800 Ordner - verdeutlicht, dass dies ohne eine außergewöhnlich aufwändige Beweisaufnahme nicht möglich ist. So hat das Oberlandesgericht bislang bereits etwa 300 Zeugen und Sachverständige vernommen. Dem Gebot größtmöglicher Beschleunigung hat es dabei durch regelmäßig drei Verhandlungstage pro Woche ausreichend Rechnung getragen.
9
4. Auch in Anbetracht der insgesamt zu erwartenden Verfahrensdauer steht der weitere Vollzug der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartenden Strafe (vgl. hierzu auch EGMR, Entscheidung vom 6. November 2014 - Application no. 67522/09 Ereren gegen Deutschland, Rn. 61). Zwar wird sich der Angeklagte, soweit derzeit absehbar, zum Zeitpunkt des Urteils weit über die derzeit bereits vollzogenen drei Jahre und zwei Monate hinaus in Untersuchungshaft befinden. Das aufzuklärende Tatgeschehen stellt sich jedoch nicht nur nach der gesetzlichen Strafandrohung als eine erhebliche Straftat dar, sondern wiegt auch unter den konkret gegebenen Umständen schwer. Die im Falle der Verurteilung des Angeklagten zu erwartende und zu verbüßende Strafe wird deshalb auch eine Untersuchungshaft von erheblicher Dauer nicht nur unwesentlich übersteigen.
Becker Hubert Mayer

(1) Die Beschwerde ist gegen alle von den Gerichten im ersten Rechtszug oder im Berufungsverfahren erlassenen Beschlüsse und gegen die Verfügungen des Vorsitzenden, des Richters im Vorverfahren und eines beauftragten oder ersuchten Richters zulässig, soweit das Gesetz sie nicht ausdrücklich einer Anfechtung entzieht.

(2) Auch Zeugen, Sachverständige und andere Personen können gegen Beschlüsse und Verfügungen, durch die sie betroffen werden, Beschwerde erheben.

(3) Gegen Entscheidungen über Kosten oder notwendige Auslagen ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(4) Gegen Beschlüsse und Verfügungen des Bundesgerichtshofes ist keine Beschwerde zulässig. Dasselbe gilt für Beschlüsse und Verfügungen der Oberlandesgerichte; in Sachen, in denen die Oberlandesgerichte im ersten Rechtszug zuständig sind, ist jedoch die Beschwerde zulässig gegen Beschlüsse und Verfügungen, welche

1.
die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Unterbringung zur Beobachtung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 oder § 101a Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen,
2.
die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen oder das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einstellen,
3.
die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten (§ 231a) anordnen oder die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung aussprechen,
4.
die Akteneinsicht betreffen oder
5.
den Widerruf der Strafaussetzung, den Widerruf des Straferlasses und die Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 453 Abs. 2 Satz 3), die Anordnung vorläufiger Maßnahmen zur Sicherung des Widerrufs (§ 453c), die Aussetzung des Strafrestes und deren Widerruf (§ 454 Abs. 3 und 4), die Wiederaufnahme des Verfahrens (§ 372 Satz 1) oder die Einziehung oder die Unbrauchbarmachung nach den §§ 435, 436 Absatz 2 in Verbindung mit § 434 Absatz 2 und § 439 betreffen;
§ 138d Abs. 6 bleibt unberührt.

(5) Gegen Verfügungen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes und des Oberlandesgerichts (§ 169 Abs. 1) ist die Beschwerde nur zulässig, wenn sie die Verhaftung, einstweilige Unterbringung, Bestellung eines Pflichtverteidigers oder deren Aufhebung, Beschlagnahme, Durchsuchung oder die in § 101 Abs. 1 bezeichneten Maßnahmen betreffen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
StB 5/16
vom
21. April 2016
in dem Strafverfahren
gegen
wegen Beihilfe zum Mord
ECLI:DE:BGH:2016:210416BSTB5.16.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts sowie des Angeklagten und seiner Verteidiger am 21. April 2016 gemäß § 304 Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:
Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Haftfortdauerbeschluss des Oberlandesgerichts München vom 1. Oktober 2014 (7 St 5/14) wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

1
Der Angeklagte ist auf der Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 4. Juni 2009 (3 BJs 19/08-2) und des zugrundeliegenden Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 18. Mai 2009 (1 BGs 118/09) am 17. April 2014 in Kroatien festgenommen und - bewilligt durch Beschluss des Bezirksgerichts Varazdin vom 27. März 2014 (Kv-eun 8/14) sowie durch Beschluss des Obersten Gerichts der Republik Kroatien vom 15. April 2014 (Kz-eun 20/14-6) - am 17. April 2014 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert worden. Seit diesem Zeitpunkt befindet er sich im vorliegenden Strafverfahren ununterbrochen in Untersuchungshaft.
2
Den Haftbefehl gegen den Angeklagten vom 18. Mai 2009 hat der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs durch Beschluss vom 18. April 2014 (1 BGs 84/14) abgeändert und neu gefasst; zugleich hat er den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, als Leiter eines Geheimdienstes des ehemaligen Jugoslawien seinen damaligen Untergebenen , den Mitangeklagten P. , damit beauftragt zu haben, den Mord an dem Exilkroaten D. , der am 28. Juli 1983 in W. getötet wurde, zu planen und logistisch vorzubereiten.
3
Unter dem 15. Juli 2014 hat der Generalbundesanwalt wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord bei dem Oberlandesgericht München gegen den Angeklagten Anklage erhoben, die am 22. Juli 2014 beim dortigen 7. Strafsenat eingegangen ist. Dieser Senat des Oberlandesgerichts hat am 1. September 2014 die Anklage des Generalbundesanwalts zur Hauptverhandlung zugelassen , das Hauptverfahren eröffnet und zugleich Haftfortdauer gegen den Angeklagten angeordnet (§ 207 Abs. 4 StPO). Erneut und bislang letztmalig hat der 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts München durch Beschluss vom 1. Oktober 2014 (7 St 5/14 (2)), mit dem die Akten dem Bundesgerichtshof im Haftprüfungsverfahren gemäß §§ 121, 122 StPO vorgelegt worden sind, Haftfortdauer gegen den Angeklagten angeordnet.
4
Am 17. Oktober 2014 hat die Hauptverhandlung vor dem 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts München begonnen, die bisher an insgesamt 99 Tagen durchgeführt worden ist. Derzeit sind weitere 27 Hauptverhandlungstage bis zum 2. August 2016 bestimmt.
5
Mit Schriftsatz seiner Verteidiger vom 16. März 2016 hat der Angeklagte Haftbeschwerde eingelegt und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben.
6
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.

7
Die Beschwerde ist in ihrer Auslegung durch den Senat gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO zulässig.
8
Der Schriftsatz der Verteidiger des Angeklagten vom 16. März 2016 ist als Beschwerde gegen die Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts München vom 1. Oktober 2014 anzusehen (§ 300 StPO). Diese Anordnung der Fortdauer der Untersuchungshaft war die zeitlich letzte, den Bestand des Haftbefehls gegen den Angeklagten betreffende Entscheidung, gegen die eine Beschwerde zulässig erhoben werden kann. Der aus der Regelung des § 117 Abs. 2 StPO abgeleitete allgemeine Grundsatz, dass der Beschuldigte nur die jeweils letzte Haftentscheidung anfechten kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 117 Rn. 8 mwN), liegt die Erwägung zugrunde, dass es einem vernünftigen Verfahrensablauf widersprechen würde, wenn ein Beschwerdeführer in beliebiger Art und Weise auf frühere, möglicherweise in ihrer Begründung bereits überholte Haftentscheidungen zurückgreifen und es hierdurch im Ergebnis zu einander widersprechenden Entscheidungen verschiedener mit der Sache befasster Gerichte kommen könnte.

III.

9
Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
10
1. Gegen den Angeklagten besteht weiterhin der dringende Tatverdacht, an der Tötung von D. beteiligt gewesen zu sein. Sein Beschwerdevorbringen ist nicht geeignet, ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Insofern gilt:
11
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats unterliegt die Beurteilung des dringenden Tatverdachts, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht (vgl. Beschlüsse vom 5. Februar 2015 - StB 1/15, BGHR StPO § 304 Abs. 4 Haftbefehl 3; vom 22. Oktober 2012 - StB 12/12, NJW 2013, 247, 248; vom 19. Dezember 2003 - StB 21/03, StV 2004, 143; vom 2. September 2003 - StB 11/03, NStZ-RR 2003, 368). Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnisse aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen, unmittelbaren Erkenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme. Allerdings muss das Beschwerdegericht in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung über das Rechtsmittel des Angeklagten auf einer hinreichend tragfähigen tatsächlichen Grundlage zu treffen, damit den erhöhten Anforderungen , die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen zu stellen sind, ausreichend Rechnung getragen werden kann. Daraus folgt indes nicht, dass das Tatgericht alle bislang erhobenen Beweise in der von ihm zu treffenden Ent- scheidung einer umfassenden Darstellung und Würdigung unterziehen muss. Die abschließende Bewertung der Beweise durch das Oberlandesgericht und ihre entsprechende Darlegung ist den Urteilsgründen vorbehalten. Das Haftbeschwerdeverfahren führt insoweit nicht zu einem über die Nachprüfung des dringenden Tatverdachts hinausgehenden Zwischenverfahren, in dem sich das Tatgericht zu Inhalt und Ergebnis aller Beweiserhebungen erklären müsste (vgl. auch BGH, Beschluss vom 29. Oktober 2015 - StB 14/15, juris Rn. 7 mwN).
12
b) Nach diesen Maßstäben ist die durch den Nichtabhilfebeschluss vom 17. März 2016 näher begründete Bewertung des Oberlandesgerichts, dass der dringende Tatverdacht der Beihilfe zum Mord gegen den Angeklagten weiterhin besteht, nicht zu beanstanden. Auf die Ausführungen in den Gründen dieser Nichtabhilfeentscheidung wird Bezug genommen. Wie sich daraus im Einzelnen ergibt, stellen die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts der Beteiligung des Angeklagten an der Tötung von D. nach vorläufiger Bewertung nicht in Frage. Für den Senat besteht auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, das eine abweichende Bewertung des in der Hauptverhandlung zu erwartenden Beweisergebnisses vornimmt, kein greifbarer Anhaltspunkt, der es rechtfertigen würde, von der - keine ins Auge fallenden Unplausibilitäten enthaltenden - Bewertung des bisher erzielten Kenntnisstandes und der noch nicht erhobenen Beweise durch das Oberlandesgericht abzuweichen und in eigener Einschätzung der Beweislage den dringenden Tatverdacht zu verneinen.
13
2. Zutreffend ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass bei dem Angeklagten neben dem Haftgrund des § 112 Abs. 3 StPO auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO weiterhin vorliegt. Dem gegebenen erheblichen Fluchtanreiz stehen weiterhin keine privaten Bindungen und sozialen Beziehungen des Angeklagten in Deutschland gegenüber.
Diese Umstände schließen auch eine Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1 StPO aus. Mildere Maßnahmen, mit denen der Zweck der Untersuchungshaft ebenfalls zu erreichen wäre, sind nicht ersichtlich.
14
3. Die Untersuchungshaft hat mit Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des Angeklagten und dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung bei Berücksichtigung und Abwägung der gegebenen Besonderheiten des vorliegenden Verfahrens - auch angesichts der bereits nahezu zwei Jahre währenden Untersuchungshaft und der zu erwartenden Gesamtdauer des Verfahrens - fortzudauern. Ihr weiterer Vollzug steht angesichts der gegebenen Besonderheiten auch nicht außer Verhältnis zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
15
a) Hierbei ist freilich das in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit in besonderer Weise zu beachten. Der Entzug der Freiheit eines der Straftat lediglich Verdächtigen ist wegen der Unschuldsvermutung , die ihre Wurzel im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG hat und auch in Art. 6 Abs. 2 EMRK ausdrücklich hervorgehoben ist, nur ausnahmsweise zulässig. Dabei muss den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv gegenübergestellt werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt.
16
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass diese nicht außer Verhältnis zu der zu erwartenden Strafe steht, und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen. Das Gewicht des Frei- heitsanspruchs vergrößert sich gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung regelmäßig mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft. Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft steigen. Zum anderen nehmen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund zu.
17
Das verfassungsrechtlich verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der etwaigen späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist. Bei absehbar umfangreicheren Verfahren ist daher stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlung mit im Grundsatz durchschnittlich mehr als einem Hauptverhandlungstag pro Woche notwendig. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Bei der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Zu würdigen sind auch die voraussichtliche Gesamtdauer des Verfahrens und die für den Fall einer Verurteilung konkret im Raum stehende Straferwartung (st. Rspr.; vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - 2 BvR 2098/12 mwN, juris Rn. 39 ff.; BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 12 ff.).
18
b) Daran gemessen ist der Haftbefehl gegen den Angeklagten aufrechtzuerhalten und die Untersuchungshaft weiter zu vollziehen. Der Generalbundesanwalt hat nach der Festnahme des Angeklagten in Kroatien und seiner Auslieferung am 17. April 2014 die Ermittlungen mit der in Haftsachen gebotenen Beschleunigung abgeschlossen und bereits unter dem 15. Juli 2014 die Anklage gegen den Angeklagten erhoben. Auch die Durchführung des Zwischenverfahrens und der bisherige Verlauf der Hauptverhandlung lassen erhebliche vermeidbare Verzögerungen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09, StV 2009, 479, 480 f.) nicht erkennen. Zwar ergibt die rein rechnerische Betrachtung der "Sitzungsfrequenz" mit Blick auf den seit Beginn der Hauptverhandlung am 17. Oktober 2014 verstrichenen Zeitraum und die Anzahl von bisher 99 Verhandlungstagen, dass das Oberlandesgericht die Hauptverhandlung im Durchschnitt an weniger als zwei Tagen pro Woche durchgeführt hat. Jedoch ist - auch ohne Darlegung des Verlaufs der bisherigen Hauptverhandlung im Detail und der Ursachen hierfür im Einzelnen (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 19. März 2013 - StB 2/13, juris Rn. 18 ff.) - aus der Nichtabhilfeentscheidung vom 17. März 2016 hinreichend ersichtlich, dass das Oberlandesgericht seine Hauptverhandlung mit der in Haftsachen gebotenen zügigen Verfahrensweise durchgeführt hat, insbesondere eine höhere "Sitzungsfrequenz" wegen der Besonderheiten der vorliegenden Sache nicht möglich war. Hierfür war insbesondere deren Auslandsbezug verantwortlich , der mit Blick auf den Aufklärungsgrundsatz eine hohe Zahl neuer Rechtshilfeersuchen und schwierige Zeugenladungen notwendig machte. Auf die Ausführungen des Oberlandesgerichts hierzu wird Bezug genommen. Anhaltspunkte dafür, dass diese den besonderen Verlauf der Hauptverhandlung nicht zu- treffend wiedergeben, bestehen nicht. Bedeutsame Verzögerungen oder Versäumnisse , die die Fortdauer der Untersuchungshaft mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hindern würden, sind nicht ersichtlich.
19
Nach alledem ist der weitere Vollzug der Untersuchungshaft angesichts der Bedeutung der Sache und der konkreten Erwartung einer hohen Freiheitsstrafe immer noch verhältnismäßig (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Becker Schäfer Tiemann

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 537/14
vom
9. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:090715B3STR537.14.1

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 9. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 27. Januar 2014, soweit es ihn betrifft, mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall B.VIII. der Urteilsgründe sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an das Amtsgericht Wipperfürth - Strafrichter - zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten - unter Freispruch im Übrigen - wegen Körperverletzung (Fall B.VII. 10. der Urteilsgründe) sowie wegen versuchter Körperverletzung in Tateinheit mit Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Fall B.VIII. der Urteilsgründe) zu der Gesamt- geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 25 € verurteilt. Die auf die Rüge der Ver- letzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts rief der Angeklagte am 1. Mai 2011 zwischen 3.00 und 4.00 Uhr auf einer Maifeier in R. lauthals "Sieg Heil". Als ihn ein Besucher deswegen zur Rede stellen wollte, wiederholte er den Ausruf und "schlug dem Zeugen mit der flachen Hand die Brille aus dem Gesicht, ohne ihm dabei Schmerzen zuzufügen oder die Brille zu beschädigen". Anschließend entfernte sich der Angeklagte (Fall B.VIII. der Urteilsgründe).
3
Am 25. November 2011 kam es in W. außerhalb eines Schnellrestaurants zu einer Schlägerei, weswegen der Filialleiter die Polizei informierte. Als er bemerkte, dass die Kämpfenden den Ort des Geschehens verließen, hielt er den sich ebenfalls entfernenden Angeklagten, der in die Filiale gekommen war und zu einer der Gruppe der Kämpfenden gehörte, am Arm fest, um einen Zeugen vor Ort zu haben. Der Angeklagte riss sich los und rannte zur Tür. Als der Filialleiter ihm folgte, drehte sich der Angeklagte um, versetzte ihm einen Schlag mit der Faust ins Gesicht und floh anschließend vom Tatort (Fall B.VII. 10. der Urteilsgründe).
4
2. Die Verurteilung wegen Körperverletzung hinsichtlich des unter B.VII. 10. der Urteilsgründe geschilderten Sachverhalts hat Bestand. Soweit die Revision geltend macht, das Landgericht hätte eine Rechtfertigung des Angeklagten durch Notwehr erörtern müssen, ergeben die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen , dass der Faustschlag des sich ohnehin im Gehen befindlichen Angeklagten jedenfalls nicht erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB war.
5
3. Demgegenüber wird der Schuldspruch wegen versuchter Körperverletzung hinsichtlich des Geschehens vom 1. Mai 2011 von den Feststellungen nicht getragen. Insofern fehlt es an Ausführungen zur subjektiven Tatseite des Angeklagten. Es mag zwar naheliegen, dass dessen Angriff nicht ausschließlich der Brille, sondern auch der körperlichen Integrität des Geschädigten galt oder dass der Angeklagte jedenfalls die Möglichkeit erkannte, diesen durch sein Vorgehen zu verletzen und dies billigend in Kauf nahm. Dies festzustellen ist indes Sache des Tatrichters. Darüber hinaus verhält sich das Urteil nicht zum Vorstellungsbild des Angeklagten unmittelbar nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung, welches für die Beurteilung maßgeblich ist, ob der Angeklagte gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB von einem etwaigen Versuch strafbefreiend zurückgetreten ist (vgl. zum Rücktrittshorizont BGH, Urteil vom 2. November 1994 - 2 StR 449/94, BGHSt 40, 304, 305 f.).
6
Die deshalb gebotene Aufhebung des Urteils umfasst auch das in Tateinheit zur versuchten Körperverletzung stehende, für sich betrachtet rechtsfehlerfrei festgestellte Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (vgl. KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 353 Rn. 12 mwN). Der Wegfall der Einzelstrafe zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
7
Nach Ausscheiden des die Zuständigkeit des Landgerichts begründenden Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Abs. 1 Var. 2 StGB verweist der Senat das Verfahren im Umfang der Aufhebung an das für das Geschehen in R. örtlich zuständige Amtsgerichts Wipperfürth - Strafrichter - zurück (§ 354 Abs. 3 StPO).
8
4. Darüber hinaus stellt der Senat klar, dass entgegen den Ausführungen in den schriftlichen Urteilsgründen des Landgerichts für einen Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und vom Vorwurf des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (Nr. 1 (12) der Anklage) kein Raum war, und sich dementsprechend der ausgeurteilte Teilfreispruch hierauf nicht erstreckt.
9
Allerdings war die Anklage mit Blick auf das Geschehen vom 1. Mai 2011 von zwei Taten (§ 53 StGB) - dem ersten Ruf "Sieg Heil" auf der einen, dem zweiten Ruf sowie dem Schlag gegen die Brille auf der anderen Seite - ausgegangen. In diesen Fällen ist ein Freispruch auch dann angezeigt, wenn das tatmehrheitlich angeklagte, indes nicht als erwiesen angesehene Geschehen mit dem abgeurteilten Teil eine natürliche Handlungseinheit bilden würde (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 260 Rn. 13 mwN). Dies gilt jedoch nicht, wenn - wie vorliegend - das gesamte angeklagte Geschehen abgeurteilt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2012 - 3 StR 220/12, NStZ-RR 2013, 6, 7). Denn in diesen Fällen ist für eine weitere materiellrechtliche Tat, die Gegenstand eines Freispruchs sein könnte, kein Raum mehr.
10
Ein Freispruch unterbleibt des Weiteren, wenn nicht wegen aller Taten verurteilt wird, die nach dem Eröffnungsbeschluss in Tateinheit zueinander stehen (BGH, Urteil vom 22. Mai 1984 - 5 StR 270/84, NStZ 1985, 13, 15 f. bei Pfeiffer/Miebach). Deswegen kam ein Freispruch vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, der als in Tateinheit zu der Körperverletzung vom 25. November 2011 stehend angeklagt worden war, nicht in Betracht.
Becker Pfister Mayer Gericke Spaniol

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Wer eine Vereinigung (§ 129 Absatz 2) gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
Mord (§ 211) oder Totschlag (§ 212) oder Völkermord (§ 6 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 des Völkerstrafgesetzbuches) oder Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 oder § 12 des Völkerstrafgesetzbuches) oder
2.
Straftaten gegen die persönliche Freiheit in den Fällen des § 239a oder des § 239b
3.
(weggefallen)
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind,

1.
einem anderen Menschen schwere körperliche oder seelische Schäden, insbesondere der in § 226 bezeichneten Art, zuzufügen,
2.
Straftaten nach den §§ 303b, 305, 305a oder gemeingefährliche Straftaten in den Fällen der §§ 306 bis 306c oder 307 Abs. 1 bis 3, des § 308 Abs. 1 bis 4, des § 309 Abs. 1 bis 5, der §§ 313, 314 oder 315 Abs. 1, 3 oder 4, des § 316b Abs. 1 oder 3 oder des § 316c Abs. 1 bis 3 oder des § 317 Abs. 1,
3.
Straftaten gegen die Umwelt in den Fällen des § 330a Abs. 1 bis 3,
4.
Straftaten nach § 19 Abs. 1 bis 3, § 20 Abs. 1 oder 2, § 20a Abs. 1 bis 3, § 19 Abs. 2 Nr. 2 oder Abs. 3 Nr. 2, § 20 Abs. 1 oder 2 oder § 20a Abs. 1 bis 3, jeweils auch in Verbindung mit § 21, oder nach § 22a Abs. 1 bis 3 des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen oder
5.
Straftaten nach § 51 Abs. 1 bis 3 des Waffengesetzes
zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, wenn eine der in den Nummern 1 bis 5 bezeichneten Taten bestimmt ist, die Bevölkerung auf erhebliche Weise einzuschüchtern, eine Behörde oder eine internationale Organisation rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt zu nötigen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Staates oder einer internationalen Organisation zu beseitigen oder erheblich zu beeinträchtigen, und durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen einen Staat oder eine internationale Organisation erheblich schädigen kann.

(3) Sind die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung darauf gerichtet, eine der in Absatz 1 und 2 bezeichneten Straftaten anzudrohen, ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

(4) Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern, so ist in den Fällen der Absätze 1 und 2 auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(5) Wer eine in Absatz 1, 2 oder Absatz 3 bezeichnete Vereinigung unterstützt, wird in den Fällen der Absätze 1 und 2 mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in den Fällen des Absatzes 3 mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Wer für eine in Absatz 1 oder Absatz 2 bezeichnete Vereinigung um Mitglieder oder Unterstützer wirbt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(6) Das Gericht kann bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter Bedeutung ist, in den Fällen der Absätze 1, 2, 3 und 5 die Strafe nach seinem Ermessen (§ 49 Abs. 2) mildern.

(7) § 129 Absatz 7 gilt entsprechend.

(8) Neben einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten kann das Gericht die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, und die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, aberkennen (§ 45 Abs. 2).

(9) In den Fällen der Absätze 1, 2, 4 und 5 kann das Gericht Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(1) Die §§ 129 und 129a gelten auch für Vereinigungen im Ausland. Bezieht sich die Tat auf eine Vereinigung außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so gilt dies nur, wenn sie durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen wird oder wenn der Täter oder das Opfer Deutscher ist oder sich im Inland befindet. In den Fällen des Satzes 2 wird die Tat nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz verfolgt. Die Ermächtigung kann für den Einzelfall oder allgemein auch für die Verfolgung künftiger Taten erteilt werden, die sich auf eine bestimmte Vereinigung beziehen. Bei der Entscheidung über die Ermächtigung zieht das Ministerium in Betracht, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen die Grundwerte einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und bei Abwägung aller Umstände als verwerflich erscheinen.

(2) In den Fällen der §§ 129 und 129a, jeweils auch in Verbindung mit Absatz 1, ist § 74a anzuwenden.

(1) Die Untersuchungshaft darf gegen den Beschuldigten angeordnet werden, wenn er der Tat dringend verdächtig ist und ein Haftgrund besteht. Sie darf nicht angeordnet werden, wenn sie zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis steht.

(2) Ein Haftgrund besteht, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen

1.
festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
2.
bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde (Fluchtgefahr), oder
3.
das Verhalten des Beschuldigten den dringenden Verdacht begründet, er werde
a)
Beweismittel vernichten, verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen oder
b)
auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken oder
c)
andere zu solchem Verhalten veranlassen,
und wenn deshalb die Gefahr droht, daß die Ermittlung der Wahrheit erschwert werde (Verdunkelungsgefahr).

(3) Gegen den Beschuldigten, der einer Straftat nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 oder § 13 Absatz 1 des Völkerstrafgesetzbuches oder § 129a Abs. 1 oder Abs. 2, auch in Verbindung mit § 129b Abs. 1, oder nach den §§ 176c, 176d, 211, 212, 226, 306b oder 306c des Strafgesetzbuches oder, soweit durch die Tat Leib oder Leben eines anderen gefährdet worden ist, nach § 308 Abs. 1 bis 3 des Strafgesetzbuches dringend verdächtig ist, darf die Untersuchungshaft auch angeordnet werden, wenn ein Haftgrund nach Absatz 2 nicht besteht.

(1) Der Haftbefehl ist aufzuheben, sobald die Voraussetzungen der Untersuchungshaft nicht mehr vorliegen oder sich ergibt, daß die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde. Er ist namentlich aufzuheben, wenn der Beschuldigte freigesprochen oder die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder das Verfahren nicht bloß vorläufig eingestellt wird.

(2) Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung des Beschuldigten nicht aufgehalten werden.

(3) Der Haftbefehl ist auch aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Erhebung der öffentlichen Klage beantragt. Gleichzeitig mit dem Antrag kann die Staatsanwaltschaft die Freilassung des Beschuldigten anordnen.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 16. November 2010 - 3 Ws 884/10 H - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde verworfen.

...

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Fortdauer von Untersuchungshaft.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer befand sich vom 14. Januar 2010 bis 7. Februar 2011 in Untersuchungshaft. Ihm wird zur Last gelegt, gemeinschaftlich handelnd Umsatzsteuer in Höhe von gut einer Million Euro hinterzogen zu haben. Am 28. Juni 2010 erhob die Staatsanwaltschaft deshalb Anklage vor dem Landgericht Augsburg. Die Vorsitzende der zuständigen 10. Strafkammer verfügte am darauffolgenden Tag die Zustellung der Anklageschrift verbunden mit der Aufforderung zur Stellungnahme binnen vier Wochen. Innerhalb dieser Frist wurden weder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens erhoben noch Beweisanträge gestellt. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ die Kammer am 5. Juli 2010 außerdem einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl. Im Rahmen der ersten Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO ordnete das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 30. Juli 2010 die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Dem in Haftsachen zu beachtenden Beschleunigungsgebot sei bislang entsprochen worden. Da die Strafkammer am 5. Juli 2010 einen neuen Haftbefehl erlassen und damit das Bestehen eines dringenden Tatverdachts geprüft habe, sei mit einem weiterhin zügigen Fortgang des Verfahrens und seinem Abschluss innerhalb angemessener Frist zu rechnen.

3

2. Mit Beschluss vom 6. Oktober 2010 legte die Kammer die Akten dem Oberlandesgericht zur zweiten besonderen Haftprüfung erneut vor. Über die Eröffnung des Hauptverfahrens sei noch nicht entschieden, ein Termin zur Hauptverhandlung habe noch nicht bestimmt werden können. Mit Schreiben vom gleichen Tag zeigte die Vorsitzende dem Präsidium des Landgerichts eine Überlastung der Kammer an. Diese sei nur noch mit ihr und einer Beisitzerin besetzt, nachdem die andere Beisitzerin Mitte September 2010 in Mutterschutz gegangen sei. Derzeit würden mehrmals wöchentlich zwei Strafverfahren verhandelt. In einem dieser Verfahren seien bislang 57 Zeugen vernommen worden. Mindestens die gleiche Anzahl sei noch geladen. Diese Verfahren seien derzeit bis zum 26. November 2010 beziehungsweise bis einschließlich 13. Dezember 2010 terminiert. Es sei davon auszugehen, dass weitere Verhandlungstage erforderlich würden. Ab dem 10. November 2010 verhandele die Kammer außerdem ein drittes Verfahren. Da die Verteidiger in allen Verfahren zahlreiche Beweisanträge angekündigt hätten, würden diese mindestens noch bis Ende des Jahres 2010, voraussichtlich bis Anfang des Jahres 2011 andauern. Soweit der Kammer ab dem 1. November 2010 eine weitere Richterin mit der Hälfte ihrer Arbeitskraft zugewiesen sei, sei davon auszugehen, dass diese im Jahr 2010 allenfalls die anhängigen Berufungen verhandeln könne, und dass möglicherweise noch Urteile nach Absprachen gefällt werden könnten. Die Kammer sei nicht in der Lage, vier weitere Strafverfahren, zu denen auch das des Beschwerdeführers zähle, noch im Jahr 2010 oder zu Beginn des Jahres 2011 vorzubereiten, zu terminieren und zu verhandeln. Sie, die Vorsitzende, gehe davon aus, dass Verständnis dafür bestehe, dass die Kapazität mehr als ausgeschöpft sei, wenn drei Wirtschaftsstrafsachen an drei verschiedenen Tagen pro Woche über Monate hinweg verhandelt würden. Im Übrigen seien noch weitere Haftsachen sowie zahlreiche andere Verfahren anhängig, die auch deshalb in der Vergangenheit nicht hätten verhandelt werden können, weil der Kammer ab dem Geschäftsjahr 2009 zusätzlich Verfahren der 8. und der 9. Strafkammer übertragen worden seien. Die außergewöhnliche Belastung in den Jahren 2009 und 2010 und die zahlreichen, zum Teil sehr schwierigen Verfahren hätten dazu geführt, dass sowohl die Beisitzerin als auch sie, die Vorsitzende, noch sehr viele Tage Resturlaub hätten, die nicht hätten eingebracht werden können.

4

Mit Beschluss vom 16. November 2010 ordnete das Oberlandesgericht die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft an. Gegen das Beschleunigungsgebot werde auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weiterhin "nicht so erheblich verstoßen", dass der Haftbefehl aufgehoben werden müsse. Allerdings habe der Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers, der sich seit rund zehn Monaten in Untersuchungshaft befinde, gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung an Gewicht gewonnen. Zwar sei das Verfahren nach Zustellung der Anklageschrift und Ablauf der vierwöchigen Stellungnahmefrist ins Stocken geraten. Insbesondere habe die Strafkammer noch nicht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden. Trotz der dadurch bedingten Verzögerung sei die Fortdauer der Untersuchungshaft aber noch zu rechtfertigen. Die Vorsitzende habe die hierfür ursächliche Überlastung am 6. Oktober 2010 dem Präsidium angezeigt. Dieses habe mittlerweile Abhilfe durch Bildung einer weiteren Wirtschaftsstrafkammer mit zusätzlichen Kräften in Aussicht gestellt, so dass erwartet werden könne, dass das Verfahren noch innerhalb angemessener Frist erledigt werden könne. Der Senat rechne damit, dass nunmehr alsbald über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden werde, zumal sich die Kammer bereits vor Erlass des an die Anklageschrift angepassten Haftbefehls vom 5. Juli 2010 mit dem äußerst umfangreichen Verfahrensstoff befasst haben müsse. Auch wenn sie aufgrund der derzeitigen Belastungssituation nicht in der Lage sei, das komplexe Verfahren, das sich gegen vier Personen richte, noch im Jahr 2010 oder zu Beginn des Jahres 2011 zu verhandeln, sei jedenfalls davon auszugehen, dass sie sich noch im Jahr 2010 um eine Abstimmung von Hauptverhandlungsterminen mit den Verfahrensbeteiligten bemühen werde. Um den Fortgang des Verfahrens besser überwachen zu können, werde die weitere Haftprüfung dem Landgericht nicht für drei, sondern nur für die Dauer von zwei Monaten übertragen.

II.

5

1. Nach Ergehen der zweiten Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Er rügt eine Verletzung des aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG folgenden Beschleunigungsgrundsatzes. Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens sei in sachlich nicht gerechtfertigter Weise verzögert worden. Für die Zeitspanne zwischen Eröffnungsbeschluss und Beginn der Hauptverhandlung sei anerkannt, dass diese grundsätzlich nicht länger als drei Monate betragen dürfe. Dieser Zeitraum sei auch zu beachten, wenn zwar der Eröffnungsbeschluss noch nicht gefasst worden, das Verfahren aber eröffnungsreif sei, denn mit dem Beschleunigungsgebot sei es nicht vereinbar, wenn ein Gericht trotz bestehender Eröffnungsreife den Eröffnungsbeschluss aufschiebe, um einen größeren zeitlichen Spielraum für die nachfolgende Terminierung zu erlangen. Im vorliegenden Fall sei das Verfahren spätestens mit Ablauf der vierwöchigen Stellungnahmefrist am 4. August 2010 eröffnungsreif gewesen, weil Einwendungen nicht erhoben und die Erhebung von Beweisen weder beantragt noch von der Kammer selbst für erforderlich erachtet worden seien. Hinzu komme, dass das Bestehen eines dringenden Tatverdachts im Rahmen des Erlasses des Haftbefehls am 5. Juli 2010 auf der Grundlage der Anklage bereits bejaht worden sei, was die Feststellung einschließe, dass auch ein hinreichender, die Eröffnung rechtfertigender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO vorliege. Dennoch habe die Kammer - auch über vier Monate nach Eintritt der Entscheidungsreife - keinen Eröffnungsbeschluss gefasst. Ihre Überlastung rechtfertige dies nicht. Ebenso wenig könne der darin liegende Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot durch die in Aussicht gestellte Bildung einer neuen Strafkammer geheilt werden.

6

2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die für die Verzögerung des Verfahrens ursächliche Überlastung sei kurzfristig eingetreten und nicht vermeidbar gewesen. In den letzten Jahren habe es beim Landgericht Augsburg insgesamt zwei Strafkammern gegeben, die insbesondere für sämtliche Wirtschaftsstrafsachen sowie wirtschaftsnahe Strafsachen zuständig gewesen seien, wobei jeweils ein Beisitzer zusätzlich mit einem Arbeitskraftanteil von einem Zehntel Mitglied der Strafvollstreckungskammer gewesen sei. Zu Überlastungsanzeigen sei es dabei nicht gekommen. Wegen eines außerordentlich umfangreichen anderen Verfahrens hätten beide Wirtschaftsstrafkammern im Geschäftsjahr 2009 zusätzliche Zuständigkeiten aus dem Bereich der allgemeinen Strafsachen übernommen. In Bezug auf die Wirtschaftsstrafsachen sei die 10. Strafkammer außerdem gegenüber der 9. Strafkammer mit einem leichten Übergewicht belastet worden, weil diese durch ein anderes Verfahren außerordentlich beansprucht gewesen sei. Zugleich sei aber die mit Strafvollstreckungskammeraufgaben belastete Beisitzerin von diesen entlastet worden. Nach den Erfahrungen der Vorjahre sei davon auszugehen gewesen, dass unter diesen Rahmenbedingungen dem Beschleunigungsgrundsatz habe entsprochen werden können, zumal die 10. Strafkammer nach Beendigung der anderen Verfahren im Laufe des Jahres 2010 von den zusätzlichen Zuständigkeiten wie von Anfang an geplant wieder entlastet worden sei. Ab dem 1. Juni 2010 sei diese damit - wie im Jahr 2008 - für etwa die Hälfte der Wirtschaftsstrafsachen zuständig gewesen, allerdings ohne die ursprüngliche Zuständigkeit für wirtschaftsnahe Strafsachen und ohne die Zusatzbelastung des Einsatzes einer Beisitzerin in der Strafvollstreckungskammer. Die in der Überlastungsanzeige dargelegten Begleitumstände seien daher nicht vorhersehbar gewesen. Ursächlich sei vor allem ein drastisch und unerwartet gestiegener Eingang an Wirtschaftsstrafsachen im Jahr 2010 gewesen. Dieser habe nach dem ersten Halbjahr bei 26 und nach den ersten drei Quartalen bei 49 gelegen, während in den Jahren 2008 und 2009 jeweils nur insgesamt 43 beziehungsweise 40 Wirtschaftsstrafsachen eingegangen seien. Hinzugekommen sei der Ausfall einer der Beisitzerinnen, die der Kammer mit der Hälfte ihrer Arbeitskraft zugewiesen gewesen sei. Diese habe ihre Schwangerschaft am 13. Juli 2010 angezeigt und sei zum 18. September 2010 in Mutterschutz mit anschließender Elternzeit gegangen. Dieser Ausfall habe erst zum 1. November 2010 durch die Rückkehr einer anderen, in Wirtschaftsstrafsachen erfahrenen Richterin aus der Elternzeit kompensiert werden können. Auf die Überlastungsanzeige vom 6. Oktober 2010 habe das Präsidium des Landgerichts umgehend reagiert und zunächst die Übertragung des Verfahrens auf die 9. Strafkammer erwogen, was wegen deren eigener Belastung aber nicht möglich gewesen sei. Am 15. Oktober 2010 sei daraufhin die Bildung einer weiteren Strafkammer zum Jahreswechsel beschlossen worden, nachdem ab diesem Zeitpunkt ein in Wirtschaftsstrafsachen besonders erfahrener Vorsitzender wieder zur Verfügung gestanden habe.

7

3. Ausweislich einer vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz vorgelegten Stellungnahme des Präsidenten des Landgerichts Augsburg hat die neu eingerichtete Kammer einen Teil des Bestandes der 10. Strafkammer übernommen. Am 21. Dezember 2010 hat diese den Beschluss über die Eröffnung des Hauptverfahrens gefasst und am 11. Januar 2011 - nach vorheriger Abstimmung mit den Verteidigern - Hauptverhandlungstermine einmal wöchentlich ab dem 2. März 2011 festgesetzt.

8

4. Nach Zustellung der Verfassungsbeschwerde hat das Oberlandesgericht im Rahmen der dritten besonderen Haftprüfung den Haftbefehl des Landgerichts mit Beschluss vom 7. Februar 2011 aufgehoben. Schon die späte Fassung des Eröffnungsbeschlusses am 21. Dezember 2010 erscheine im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt fast ein Jahr andauernde Untersuchungshaft bedenklich. Zumindest aber sei die nunmehr feststehende Hauptverhandlungsplanung mit dem Beschleunigungsgebot nicht zu vereinbaren. Obwohl die Untersuchungshaft bei Beginn der Hauptverhandlung am 2. März 2011 bereits 14 Monate andauern würde, seien bis Ende April 2011 lediglich sieben Sitzungstage vorgesehen. Mit einem Abschluss des Verfahrens innerhalb angemessener Frist könne daher nicht mehr gerechnet werden.

9

5. Der Beschwerdeführer hält trotz der Aufhebung des Haftbefehls an seiner gegen die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts und den Haftbefehl des Landgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde fest. Er verweist auf die besondere Bedeutung, insbesondere die Dauer der Freiheitsentziehung und das damit verbundene Gewicht des Grundrechtseingriffs.

B.

10

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und auch die weiteren Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG vorliegen.

I.

11

Die Verfassungsbeschwerde ist trotz der zwischenzeitlichen Aufhebung des Haftbefehls weiter zulässig, soweit sie sich gegen die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts richtet. Der Beschwerdeführer ist durch diese Entscheidung zwar nicht mehr gegenwärtig beschwert. Im Hinblick auf das mit einer Freiheitsentziehung verbundene Rehabilitierungsinteresse besteht aber zumindest unter den hier gegebenen Umständen ein Rechtsschutzbedürfnis für die - auch nachträgliche - Feststellung der Verfassungswidrigkeit fort (vgl. für die verfassungsrechtliche Gebotenheit eines nachträglichen fachgerichtlichen Rechtsschutzes BVerfGE 104, 220 <234 ff.>; BVerfGK 6, 303 <309>; für das verfassungsgerichtliche Verfahren BVerfGE 10, 302 <308>; 32, 87 <92>; 53, 152 <157 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Februar 2000 - 2 BvR 453/99 -, NJW 2000, S. 1401 <1401>). Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Haftbefehl des Landgerichts richtet, ist sie dagegen nach dessen Aufhebung durch das Oberlandesgericht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig.

II.

12

Die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG.

13

1. Der im Recht auf Freiheit der Person verankerte Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen, denn zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und Sicherstellung der Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft dann nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verzögerungen verursacht ist. Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare Verfahrensverzögerungen stehen daher regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen. Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Betroffenen und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann. Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. An dessen zügigen Fortgang sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert. Dieser Gedanke liegt auch der Regelung des § 121 StPO zugrunde, der bestimmt, dass der Vollzug der Untersuchungshaft vor Ergehen eines Urteils wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden darf, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zugelassen haben und die Fortdauer der Haft rechtfertigen. Wie sich aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte ergibt, handelt es sich dabei um eng begrenzte Ausnahmetatbestände (vgl. BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 20, 144 <148 f.>; 36, 264 <270 ff.>; 53, 152 <158 ff.>; BVerfGK 7, 421 <427 f.>; 9, 339 <347 f.>; 10, 294 <301 ff.>; zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10 -, EuGRZ 2010, S. 674 <676>).

14

2. Damit steht die zweite Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts nicht in Einklang, denn obwohl die Sache bereits seit geraumer Zeit entscheidungsreif war, hat die Strafkammer die Eröffnung des Hauptverfahrens erst am 20. Dezember 2010 beschlossen und Termin zur Hauptverhandlung nicht vor dem 2. März 2011 anberaumt. Darin liegt eine vom Beschwerdeführer nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung, die der Fortdauer der Untersuchungshaft unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG schon zum Zeitpunkt der zweiten Haftfortdauerentscheidung entgegenstand.

15

a) Der Beschleunigungsgrundsatz beansprucht auch für das Zwischenverfahren nach den §§ 199 ff. StPO Geltung. Auch in diesem Stadium muss das Verfahren mit der gebotenen Zügigkeit gefördert werden, um eine Entscheidung über die Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung herbeizuführen. Dass das Verfahren im vorliegenden Fall in Anbetracht der Komplexität der im Raum stehenden wirtschaftlichen Vorgänge eine erhebliche Schwierigkeit aufweist, rechtfertigte das Zuwarten nicht. Die Kammer hat sich hierauf in ihren Vorlagebeschlüssen an das Oberlandesgericht im Rahmen der Haftprüfung auch nicht berufen. Nachdem innerhalb der Stellungnahmefrist Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens nicht erhoben und die Erhebung von Beweisen weder beantragt noch von der Strafkammer für erforderlich erachtet worden waren, stellte sich die Prozesslage gegenüber dem Zeitpunkt der Anklageerhebung am 28. Juni 2010 unverändert dar. Auf dieser Grundlage hatte sie bereits mehrfach, zunächst bei Erlass des Haftbefehls am 5. Juli 2010, zuletzt gelegentlich der Fassung des zweiten Vorlagebeschlusses am 6. Oktober 2010, das Bestehen eines dringenden Tatverdachts bejaht. Es ist kein tragfähiger Grund dafür erkennbar, warum sie gleichwohl von einer Eröffnung des Hauptverfahrens abgesehen hat. Die Feststellung eines dringenden Tatverdachts schließt bei dieser Verfahrenslage nach der gebotenen objektivierten Betrachtung notwendig das Bestehen des für die Eröffnung nach § 203 StPO vorausgesetzten hinreichenden Tatverdachts ein, weil diese Begriffe hinsichtlich des Verdachtsgrades in einem Stufenverhältnis stehen. Ein Unterschied besteht nur insofern, als die Feststellung eines dringenden Tatverdachts auf den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen bezogen ist, der sich ändern kann, während die Prüfung des hinreichenden Tatverdachts auf der Grundlage des Ergebnisses abgeschlossener Ermittlungen erfolgt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl. 2010, § 112 Rn. 6). Dieser Unterschied wirkt sich jedoch nicht aus, wenn - wie im vorliegenden Fall - nicht ersichtlich ist, dass noch weitere Ermittlungen, insbesondere die Erhebung weiterer Beweise nach § 202 StPO, erforderlich waren. Mit der Bejahung des dringenden Tatverdachts war daher hier zugleich Entscheidungsreife hinsichtlich der Eröffnung des Hauptverfahrens eingetreten. Dann gebietet der Beschleunigungsgrundsatz im Regelfall auch die Fassung des Eröffnungsbeschlusses (vgl. auch OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. Februar 2009 - 1 Ws 28/09 H u.a. -, StV 2009, S. 367 f.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. November 2001 - 1 HPL 77/01 -, StV 2002, S. 152). Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erhebung der Anklage schon fast ein halbes Jahr in Untersuchungshaft war, so dass an den zügigen Fortgang des Verfahrens erhöhte Anforderungen zu stellen waren.

16

b) Die (zwischenzeitliche) Überlastung der Kammer war kein zureichender Grund für die Fortdauer der Untersuchungshaft.

17

aa) Grundsätzlich ist durch geeignete Maßnahmen der Gerichtsorganisation Sorge dafür zu tragen, dass den Erfordernissen des Beschleunigungsgebots entsprochen werden kann. Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG ist daher verletzt, wenn sich das Verfahren infolge vermeidbarer gerichtsorganisatorischer Fehler oder Versäumnisse erheblich verzögert (vgl. BVerfGE 36, 264 <273>; BVerfGK 9, 306 <311 f.>). Eine nicht nur kurzfristige Überlastung rechtfertigt die Fortdauer von Untersuchungshaft aber selbst dann nicht, wenn sie auf einem Geschäftsanfall beruht, der sich trotz Ausschöpfung aller gerichtsorganisatorischen Mittel und Möglichkeiten nicht mehr innerhalb angemessener Fristen bewältigen lässt. Der Beschuldigte hat es nicht zu vertreten, wenn seine Haftsache nicht binnen angemessener Zeit zur Verhandlung gelangt, weil dem Gericht die personellen oder sächlichen Mittel fehlen, die zur ordnungsgemäßen Bewältigung des Geschäftsanfalls erforderlich wären (vgl. BVerfGE 36, 264 <273 ff.>; BVerfGK 6, 384 <392>).

18

bb) Davon ausgehend kann dahinstehen, ob die gerichtsorganisatorischen Möglichkeiten - wie der Präsident des Landgerichts im Einzelnen darlegt - im Hinblick auf die Erfordernisse des Beschleunigungsgrundsatzes optimal ausgeschöpft wurden. Es bedarf auch keiner Entscheidung, ob und wieweit kurzfristige Engpässe eine Haftfortdauer rechtfertigen können, wenn sie nicht oder kaum vorhersehbar und vermeidbar waren (dafür Hilger, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 4, 26. Aufl. 2007, § 121 Rn. 42). Ausweislich der Überlastungsanzeige war die 10. Strafkammer insbesondere aufgrund der zwischenzeitlichen Übernahme zusätzlicher Zuständigkeiten ab dem Geschäftsjahr 2009 bereits seit längerem außergewöhnlich belastet und ihre Kapazität "mehr als ausgeschöpft", was Ausdruck auch darin gefunden hat, dass sowohl die Vorsitzende als auch die Beisitzerin "sehr viele Tage Resturlaub" nicht haben einbringen können. Die Überlastungssituation bestand daher offenbar schon länger, auch wenn sie sich erst aufgrund eines deutlich erhöhten Eingangs an Wirtschaftsstrafsachen im Jahr 2010 so zugespitzt haben mag, dass eine verzögerte Behandlung endgültig unvermeidlich wurde. Jedenfalls auf dieser Grundlage ist unter Berücksichtigung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auf Freiheit der Person für die Annahme eines kurzfristigen, weder vorhersehbaren noch vermeidbaren Engpasses, dessen Folgen der Beschwerdeführer hätte hinnehmen müssen, kein Raum.

19

c) Die zum Zeitpunkt der zweiten Haftfortdauerentscheidung bereits eingetretene Verzögerung hat ihr Gewicht auch nicht nachträglich dadurch verloren, dass zum 1. Januar 2011 eine weitere Strafkammer gebildet wurde, die die 10. Strafkammer durch die Übernahme von Altverfahren entlastet hat, so dass zwischenzeitlich über die Eröffnung des Hauptverfahrens entschieden und Hauptverhandlungstermine festgesetzt werden konnten. Da eine besonders intensive Form der Bearbeitung in jeder Lage des Verfahrens geboten ist, ist schon grundsätzlich zweifelhaft, ob die zeitweilige Verzögerung eines Verfahrens dadurch ausgeglichen werden kann (vgl. BVerfGK 7, 21 <41>). Jedenfalls durch die bisherige Hauptverhandlungsplanung mit nur einem Termin pro Woche ab dem 2. März 2011 konnten die bereits eingetretenen Verzögerungen nicht kompensiert werden.

20

d) Auf das Gewicht der im Raum stehenden Straftaten - Hinterziehung von Umsatzsteuer in Höhe von gut einer Million Euro - kam es nicht an, denn die Anforderungen des Beschleunigungsgebots werden nicht grundsätzlich dadurch geringer, dass die der Strafverfolgung unterliegenden Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstrafenerwartung im Raum steht. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können daher jedenfalls bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden (vgl. BVerfGK 7, 421 <428>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 24. August 2010 - 2 BvR 1113/10 -, EuGRZ 2010, S. 674 <677>).

III.

21

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.

Tenor

1. Der Haftbefehl des Landgerichts Hannover vom 21. Dezember 2009 - 46 KLs 6031 Js 94687/04 (19/09) - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 31. März 2010 - 1 Ws 165/10 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 2 Absatz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes.

2. Der Haftbefehl und der Beschluss werden aufgehoben.

3. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

4. Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

I.

1

1. Der Beschwerdeführer ist albanischer Staatsangehöriger. Mit Haftbefehl des Amtsgerichts Hannover vom 5. November 2004 wurde gegen ihn wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Untersuchungshaft angeordnet. Wegen der hohen zu erwartenden Freiheitsstrafe bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Auf Grundlage dessen wurde der Beschwerdeführer am 15. Juni 2005 in Lyon (Frankreich) festgenommen. Durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 17. Juni 2005 wurde der Haftbefehl erweitert. Am 7. Juli 2005 übergaben die französischen Behörden den Beschwerdeführer den deutschen Ermittlungsbeamten. Danach befand sich der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Hannover erhob am 15. Juli 2005 Anklage. Darin wurden dem Beschwerdeführer 14 Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz zur Last gelegt. Mit Beschluss vom 11. Oktober 2005 ließ das Landgericht Hannover die Anklage zur Hauptverhandlung zu und eröffnete das Hauptverfahren vor der 3. großen Strafkammer des Landgerichts unter Mitwirkung des Vorsitzenden und eines beisitzenden Richters. Das Verfahren wurde mit dem Verfahren gegen vier Mitangeklagte zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Die Hauptverhandlung begann am 31. Oktober 2005. Die Verteidiger des Beschwerdeführers rügten vor der Vernehmung des ersten Angeklagten zur Sache die Besetzung der Kammer; der Einwand wurde vom Landgericht Hannover zurückgewiesen und das Verfahren in dieser Besetzung fortgeführt. Eine Verfassungsbeschwerde gegen die Fortdauer der Untersuchungshaft wurde mit Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. September 2007 nicht zur Entscheidung angenommen (2 BvR 1847/07). In den Gründen der Entscheidung wies die Kammer jedoch darauf hin, dass eine vorausschauende Hauptverhandlungsplanung erforderlich sei; die im Juli und August 2007 anberaumten Fortsetzungstermine genügten dem nicht. Die Kammer werde bei der Dauer der Untersuchungshaft von mehr als zwei Jahren künftig vermehrt verhandeln müssen, um dem Beschleunigungsgebot Rechnung zu tragen. Es sei nicht unzumutbar, dass monatlich durchschnittlich an acht Tagen ganztägig verhandelt werde.

2

2. Mit Urteil vom 28. Mai 2008 verurteilte das Landgericht Hannover den Beschwerdeführer nach 88 Hauptverhandlungstagen wegen Handels und Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren. Gegenstand des Urteils waren drei der 14 angeklagten Taten (Fall 11, 12 und 14 der Anklageschrift). Zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer gälten ein Jahr und zehn Monate der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt; denn das Strafverfahren sei in rechtsstaatswidriger Weise verzögert worden. Die Frequenz der Verhandlungstage entspreche 0,7 Verhandlungstagen pro Woche. Grund dafür sei die Überlastung der 3. großen Strafkammer. Die Verzögerung sei jedoch nicht allein den Strafverfolgungsbehörden und dem Gericht zuzurechnen; teilweise sei die Verzögerung auch auf das Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen. Die Verfahrensdauer sei als Strafzumessungsfaktor mildernd zu berücksichtigen und führe weiter zur Kompensation in der genannten Höhe.

3

Bezüglich der Tatvorwürfe zu Ziff. 1 bis 10 und 13 der Anklage wurde das Verfahren mit Beschluss vom gleichen Tag abgetrennt und ausgesetzt. Ebenfalls mit Beschluss vom 28. Mai 2008 hob das Landgericht Hannover den Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer auf, soweit er auf die Tatvorwürfe zu Ziff. 1 bis 10 und 13 der Anklageschrift gestützt sei; im Übrigen bleibe der Haftbefehl aufrechterhalten. In Bezug auf die Tatvorwürfe zu Ziff. 1 bis 10 und 13 der Anklageschrift bestehe zwar nach wie vor dringender Tatverdacht. Die Beweisaufnahme hinsichtlich dessen würde sich jedoch voraussichtlich über einen erheblichen Zeitraum erstrecken. Nach der Geschäftslage der Kammer sei derzeit nicht absehbar - wenn nicht eine Erledigung nach § 154 StPO in Betracht komme - wann hinsichtlich dieser Tatvorwürfe eine Hauptverhandlung anberaumt werden könne. In Ansehung dieser Umstände sei der Fortbestand des Haftbefehls nicht mehr verhältnismäßig. In Bezug auf die übrigen Taten sei der Haftbefehl aufrechtzuerhalten, da nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme dringender Tatverdacht bestehe. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Insoweit sei der Fortbestand des Haftbefehls auch nicht unverhältnismäßig, da das Verfahren unmittelbar vor dem Abschluss stehe.

4

3. Mit Urteil vom 18. Juni 2009 hob der Bundesgerichtshof auf die Revision des Beschwerdeführers hin das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Mai 2008 mit den Feststellungen auf, weil der Beschwerdeführer zu Recht die Besetzung der Strafkammer in der Hauptverhandlung mit (nur) zwei Berufsrichtern einschließlich des Vorsitzenden (§ 76 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 338 Nr. 1 StPO) beanstandet habe.

5

4. Mit Beschluss vom 24. August 2009 hob das Landgericht Hannover den Haftbefehl vom 17. Juni 2005 in der Fassung des Beschlusses vom 28. Mai 2008 auf. Die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft sei unverhältnismäßig. Bereits die Betrachtung der bereits verstrichenen Zeit seit Festnahme des Beschwerdeführers im Verhältnis zur Gesamtfreiheitsstrafe lasse Zweifel an der Verhältnismäßigkeit aufkommen. Durch die anzurechnende Untersuchungshaft sei bereits die Hälfte der Strafe verbüßt, und zwar auch bei Berücksichtigung einer möglicherweise geringeren Kompensation für die überlange Verfahrendauer. Zu berücksichtigen sei auch die vermeidbare Verfahrensverzögerung durch weiträumige Terminierungen und zum Teil auffallend kurze Verhandlungszeiten an einzelnen Hauptverhandlungstagen. Schließlich komme die absolute Dauer der Untersuchungshaft, die mit über vier Jahren als außergewöhnlich lang zu bezeichnen sei, hinzu. Auch in Ansehung der weiteren noch in der 3. großen Strafkammer anhängigen elf vorgeworfenen Taten könne jedenfalls in Anbetracht des Verfahrensstillstandes seit dem 28. Mai 2008 nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die Fortdauer der Untersuchungshaft verhältnismäßig sei. Der Beschwerdeführer wurde daraufhin noch am 24. August 2009 entlassen.

6

5. Mit Schreiben vom 27. März 2006 hatte die Landeshauptstadt Hannover dem Beschwerdeführer die Abschiebung angekündigt. Er sei nach § 58 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig. Nach seiner Haftentlassung reiste der Beschwerdeführer nach Albanien aus.

7

6. Mit Beschluss vom 4. November 2009 verband das Landgericht das mit Beschluss vom 28. Mai 2008 abgetrennte und ausgesetzte Verfahren wieder zu dem anderen Verfahren hinzu.

8

7. Zum Hauptverhandlungstermin am 18. Dezember 2009 erschien der Beschwerdeführer nicht. Das Landgericht erließ daraufhin am 21. Dezember 2009 einen erneuten Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer, gestützt auf sämtliche 14 Straftaten, wegen derer er angeklagt worden war. Der dringende Tatverdacht bezüglich der Taten zu Ziff. 11, 12 und 14 ergebe sich aus dem Urteil des Landgerichts vom 28. Mai 2008, hinsichtlich der übrigen Taten aus dem wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen. Es bestehe der Haftgrund des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO. Der Beschwerdeführer sei flüchtig, weil er sich nach der Tat in das Ausland mit der Wirkung abgesetzt habe, dass er für das Gericht unerreichbar und dessen Zugriff entzogen sei. Der erneute Erlass des Haftbefehls sei nicht unverhältnismäßig, da es nach Aktenlage nicht unwahrscheinlich sei, dass im Falle einer Verurteilung wegen der drei bereits abgeurteilten und/oder der anderen elf Taten auf eine noch darüber liegende Gesamtfreiheitsstrafe erkannt werde mit der Folge, dass der Beschwerdeführer noch über einen längeren Zeitraum Strafhaft zu verbüßen haben werde, selbst wenn der Strafrest nach Verbüßung von 2/3 der zu erwartenden Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt oder der Beschwerdeführer nach § 456a StPO abgeschoben werde. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Kammer mit Beschluss vom 24. August 2009 den Haftbefehl aufgehoben habe. Dabei habe die Erwägung im Vordergrund gestanden, dass einzig die Taten zu Ziff. 11, 12 und 14 der Anklage verfahrensgegenständlich gewesen seien und der gegenüber der Flucht weniger gravierende Haftgrund der Fluchtgefahr bestanden habe.

9

8. Mit Schriftsatz vom 15. März 2010 legten die Verteidiger des Beschwerdeführers Beschwerde gegen den Haftbefehl ein. Dem Beschwerdeführer sei sein Ausbleiben in der Verhandlung nicht vorzuwerfen. Im Übrigen sei der Haftbefehl unverhältnismäßig. Eine weitere Begründung erfolge nach Akteneinsicht.

10

Mit Beschluss vom 16. März 2010 half das Landgericht der Beschwerde nicht ab. Das Oberlandesgericht Celle verwarf die Haftbeschwerde mit Beschluss vom 31. März 2010 als unbegründet unter Bezugnahme auf die Gründe des Haftbefehls in Verbindung mit dem Nichtabhilfebeschluss.

11

9. Mit Schreiben vom 9. April 2010 erhoben die Verteidiger des Beschwerdeführers Gegenvorstellung. Das rechtliche Gehör sei dadurch verletzt, dass die Entscheidung bereits am 31. März 2010 ergangen sei, obwohl die Verteidigerin weiteren Vortrag nach Akteneinsicht angekündigt habe, die sie ab dem 22. März 2010 für drei Tage erhalten habe.

12

Der Beschwerdeführer sei nach Aufhebung des Haftbefehls in sein Heimatland ausgereist, weil er in Deutschland kein Bleiberecht gehabt habe. Er sei deshalb nicht zum Hauptverhandlungstermin erschienen, weil er von der Deutschen Botschaft in Tirana kein Visum erhalten habe. Der Haftbefehl sei auch unverhältnismäßig, weil in Bezug auf die elf abgetrennten und ausgesetzten Taten das Verfahren seither in keiner Weise gefördert worden sei.

13

Mit Beschluss vom 19. April 2010 wies das Oberlandesgericht die Gegenvorstellung zurück. Die Entscheidung beruhe nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs. Der Senat habe nach Gewährung der Akteneinsicht noch länger als eine Woche bis zur Entscheidung gewartet. Diese Wartezeit sei angemessen gewesen; in Haftsachen gelte der besondere Beschleunigungsgrundsatz, der auch dann greife, wenn die Haft wie hier nicht vollzogen werde.

II.

14

1. Mit der Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG. Er sei nicht gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO flüchtig.

15

Der Haftbefehl sei unverhältnismäßig. Nach Aufhebung des ursprünglichen Haftbefehls am 24. August 2009 wegen Unverhältnismäßigkeit könne die Verhältnismäßigkeit nicht mit der Hinzuverbindung der noch nicht abgeurteilten Taten begründet werden.

16

2. Das Justizministerium des Landes Niedersachsen hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.

III.

17

Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine der Verfassungsbeschwerde stattgebende Entscheidung der Kammer sind gegeben. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Ebenso ist die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet.

18

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

19

1. a) Bei der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft ist das Spannungsverhältnis zwischen dem in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleisteten Recht des Einzelnen auf persönliche Freiheit und den unabweisbaren Bedürfnissen einer wirksamen Strafverfolgung zu beachten. Den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlich und zweckmäßig erscheinenden Freiheitsbeschränkungen muss ständig der Freiheitsanspruch des noch nicht rechtskräftig verurteilten Beschuldigten als Korrektiv entgegengehalten werden, wobei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine maßgebliche Bedeutung zukommt (vgl. grundlegend BVerfGE 19, 342 <347> sowie BVerfGE 20, 45 <49 f.>; 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>).

20

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist dabei nicht nur für die Anordnung, sondern auch für die Dauer der Untersuchungshaft von Bedeutung. Er verlangt, dass die Dauer der Untersuchungshaft nicht außer Verhältnis zur erwarteten Strafe steht und setzt ihr auch unabhängig von der Straferwartung Grenzen (BVerfGE 20, 45 <49 f.>). Außerdem vergrößert sich regelmäßig das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft (vgl. BVerfGE 36, 264 <270>; 53, 152 <158 f.>). Daraus folgt zum einen, dass die Anforderungen an die Zügigkeit der Arbeit in einer Haftsache mit der Dauer der Untersuchungshaft zunehmen (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25. März 1996 - 2 Ws 86/96 -, StV 1996, S. 496). Zum anderen steigen auch die Anforderungen an den die Haftfortdauer rechtfertigenden Grund (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>; EGMR, Urteil vom 5. Juli 2001 - Beschw.Nr. 38321/97 - Erdem, EuGRZ 2001, S. 391 <395>).

21

b) Das verfassungsrechtlich in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verankerte Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. BVerfGE 46, 194 <195>) verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <273>). An den zügigen Fortgang des Verfahrens sind dabei umso strengere Anforderungen zu stellen, je länger die Untersuchungshaft schon andauert (vgl. BVerfGK 7, 421 <427>). Zur Durchführung eines geordneten Strafverfahrens und einer Sicherstellung der späteren Strafvollstreckung kann die Untersuchungshaft deshalb nicht mehr als notwendig anerkannt werden, wenn ihre Fortdauer durch vermeidbare Verfahrensverzögerungen verursacht ist (vgl. BVerfGE 20, 45 <50>; 36, 264 <270 ff.>; 53, 152 <161 f.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, StV 2008, S. 198). Von dem Beschuldigten nicht zu vertretende, sachlich nicht gerechtfertigte und vermeidbare erhebliche Verfahrensverzögerungen stehen regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen.

22

Das Beschleunigungsgebot verliert seine Bedeutung auch nicht durch den Erlass des erstinstanzlichen Urteils. Es gilt für das gesamte Strafverfahren und ist auch im Rechtsmittelverfahren bei der Prüfung der Anordnung der Fortdauer von Untersuchungshaft zu beachten (vgl. BVerfGE 46, 194 <195>; BVerfGK 5, 109 <117>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, EuGRZ 2008, S. 621 <623 f.>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09 -, EuGRZ 2009, S. 414 <416>).

23

c) In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundrechtsschutz auch das Verfahrensrecht beeinflusst. Das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde muss so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (vgl. hierzu BVerfGE 53, 30 <65>; 63, 131 <143>). Dem ist durch eine verfahrensrechtliche Kompensation (vgl. BVerfGE 17, 108 <117 ff.>; 42, 212 <219 f.>; 46, 325 <334 f.>) des mit dem Freiheitsentzug verbundenen Grundrechtseingriffs, insbesondere durch erhöhte Anforderungen an die Begründungstiefe von Haftfortdauerentscheidungen, Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 103, 21 <35 f.>). Die mit Haftsachen betrauten Gerichte haben sich bei der zu treffenden Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit deren Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese entsprechend zu begründen. Auch das aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Recht des Beschuldigten auf ein faires Strafverfahren (vgl. BVerfGE 57, 250 <274 f.>; 63, 380 <390>; 70, 297 <308>) verlangt eine hinreichende Begründung, die das Bundesverfassungsgericht in die Lage versetzt, eine Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) zu prüfen (BVerfGK 10, 294<304>; 10, 544 <550>).

24

2. Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen an die Entscheidungen der Gerichte im Rahmen der Haftprüfung werden weder der angegriffene Haftbefehl des Landgerichts Hannover noch die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Celle gerecht. Sie genügen nicht den Begründungsanforderungen im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft.

25

Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit des weiteren Vollzugs der Untersuchungshaft lassen die Gerichte die gebotene Abwägung mit dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers nicht erkennen. Sie gehen nicht auf die Frage der hinreichend beschleunigten Durchführung des Strafverfahrens ein, und dies obwohl die Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots bereits im September 2007 durch das Bundesverfassungsgericht angemahnt worden war und das Landgericht Hannover selbst in seinem Urteil vom 28. Mai 2008 von einer Verletzung des Beschleunigungsgebots ausging.

26

a) Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Anforderungen des Beschleunigungsgebots dadurch nicht grundsätzlich geringer werden, dass die der Strafverfolgung unterliegenden Taten von hohem Gewicht sind und eine hohe Gesamtstraferwartung im Raum steht. Allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung können jedenfalls bei erheblichen vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur weiteren Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft herangezogen werden (vgl. BVerfGK 7, 421 <428>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Januar 2008 - 2 BvR 2652/07 -, StV 2008, S. 198 <199>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 13. Mai 2009 - 2 BvR 388/09 -, EuGRZ 2009, S. 414 <416>). Ein in Untersuchungshaft befindlicher Beschwerdeführer, dem schwere Taten zur Last liegen, hat vielmehr ebenfalls Anspruch auf eine Durchführung des Strafverfahrens, die den Grundsätzen des Beschleunigungsgebots genügt. Dafür streitet schon der Resozialisierungszweck der Strafhaft; denn wird die verhängte Freiheitsstrafe zu einem erheblichen oder überwiegenden Teil durch Anrechnung der Untersuchungshaft verbüßt, so können die im Rahmen des Vollzugs der Strafhaft möglichen Maßnahmen zur Resozialisierung nur in geringem Ausmaß oder überhaupt keine Wirkung entfalten (vgl. BVerfGK 7, 140 <162>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Juni 2008 - 2 BvR 806/08 -, EuGRZ 2008, S. 621 <624>).

27

Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in Bezug auf die drei abgeurteilten Taten aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme - trotz Aufhebung des Urteils durch den Bundesgerichtshof - die Begehung einer Straftat durch den Beschwerdeführer als erwiesen angesehen worden ist. Damit vergrößert sich zwar das Gewicht des staatlichen Strafanspruchs, doch stellt die verhängte Freiheitsstrafe grundsätzlich nur ein Indiz für das Gewicht der zu verfolgenden Straftat dar (vgl. BVerfGK 7, 140 <161>). Darüber hinaus ist hier zu berücksichtigen, dass jedenfalls in Bezug auf die elf abgetrennten Taten noch keine erstinstanzliche Verurteilung vorliegt und insoweit ein Tatnachweis bisher nicht geführt worden ist.

28

b) Die eingetretenen Verfahrensverzögerungen verletzen das Beschleunigungsgebot und führen dazu, dass die Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschwerdeführers und dem staatlichen Strafverfolgungsanspruch die Anordnung weiterer Untersuchungshaft nicht mehr erlaubt, wenn nicht festgestellt wird, dass die Verzögerungen unvermeidbar oder von den Gerichten nicht zu vertreten waren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit Blick auf die bereits erlittene Untersuchungshaft von über vier Jahren und zwei Monaten an deren weitere Fortdauer strengste Anforderungen zu stellen sind.

29

Dies ergibt sich schon daraus, dass insgesamt gesehen nach Beginn der Hauptverhandlung das Verfahren ersichtlich zu wenig gefördert wurde, indem zu wenig verhandelt wurde. Die Hauptverhandlung dauerte insgesamt über zweieinhalb Jahre, nämlich vom 31. Oktober 2005 bis zum 28. Mai 2008. In dieser Zeit wurde an 88 Tagen verhandelt; dies entspricht einer Frequenz von 0,65 Verhandlungstagen pro Woche. Das verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot in Haftsachen fordert aber stets eine vorausschauende, auch größere Zeiträume umgreifende Hauptverhandlungsplanung mit mehr als nur einem durchschnittlichen Hauptverhandlungstag pro Woche (vgl. BVerfGK 7, 140 <157>). Die Hinweise im Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts zur Anzahl der monatlichen Verhandlungstage wurden nicht beachtet, ohne dass stichhaltige Rechtfertigungsgründe ersichtlich sind. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass in Bezug auf die elf noch nicht abgeurteilten Taten jedenfalls 15 Monate lang, nämlich von Anfang Juni 2008 bis etwa Ende August 2009, ein völliger Verfahrensstillstand eintrat. Nach der diesbezüglichen Abtrennung und Aussetzung des Verfahrens mit Beschluss vom 28. Mai 2008 begann das Gericht erst im August/September 2009 damit, die Fortführung der Hauptverhandlung mit Blick auf das gesamte Verfahren ab Dezember 2009 zu planen. Der Haftbefehl wurde zwar mit Beschluss vom 28. Mai 2008 in Bezug auf die elf nicht abgeurteilten Taten aufgehoben. In der Folge blieb der Beschwerdeführer jedoch bis zum 24. August 2009 in Haft. Durch die teilweise Aufhebung des Haftbefehls wurde er insoweit nicht entlastet.

30

c) Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht beim Neuerlass des Haftbefehls am 21. Dezember 2009 dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers nicht genügend Gewicht beigemessen, als es davon ausging, die erneute Anordnung der Untersuchungshaft rechtfertige sich durch die Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren wegen der Taten zu Ziff. 11, 12 und 14 sowie durch das Gewicht der elf noch nicht abgeurteilten Taten und die aus beidem folgende Höhe der zu erwartenden Gesamtstrafe. Mit diesen Erwägungen allein lässt sich hier die Fortdauer der Untersuchungshaft nicht begründen.

31

3. Der Haftbefehl des Landgerichts sowie der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts vom 31. März 2010 werden gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben.

32

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

33

5. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit und fordert ihn zugleich auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Vornahme einzelner Beweiserhebungen vor der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens beantragen oder Einwendungen gegen die Eröffnung des Hauptverfahrens vorbringen wolle. Die Anklageschrift ist auch dem Nebenkläger und dem Nebenklagebefugten, der dies beantragt hat, zu übersenden; § 145a Absatz 1 und 3 gilt entsprechend.

(2) Über Anträge und Einwendungen beschließt das Gericht. Die Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt, darf der Vollzug der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über sechs Monate hinaus nur aufrechterhalten werden, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang der Ermittlungen oder ein anderer wichtiger Grund das Urteil noch nicht zulassen und die Fortdauer der Haft rechtfertigen.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 ist der Haftbefehl nach Ablauf der sechs Monate aufzuheben, wenn nicht der Vollzug des Haftbefehls nach § 116 ausgesetzt wird oder das Oberlandesgericht die Fortdauer der Untersuchungshaft anordnet.

(3) Werden die Akten dem Oberlandesgericht vor Ablauf der in Absatz 2 bezeichneten Frist vorgelegt, so ruht der Fristenlauf bis zu dessen Entscheidung. Hat die Hauptverhandlung begonnen, bevor die Frist abgelaufen ist, so ruht der Fristenlauf auch bis zur Verkündung des Urteils. Wird die Hauptverhandlung ausgesetzt und werden die Akten unverzüglich nach der Aussetzung dem Oberlandesgericht vorgelegt, so ruht der Fristenlauf ebenfalls bis zu dessen Entscheidung.

(4) In den Sachen, in denen eine Strafkammer nach § 74a des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, entscheidet das nach § 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständige Oberlandesgericht. In den Sachen, in denen ein Oberlandesgericht nach den §§ 120 oder 120b des Gerichtsverfassungsgesetzes zuständig ist, tritt an dessen Stelle der Bundesgerichtshof.