Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Okt. 2017 - IX ZA 16/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:191017BIXZA16.17.0
bei uns veröffentlicht am19.10.2017
vorgehend
Landgericht München I, 30 O 13615/13, 20.05.2016
Oberlandesgericht München, 5 U 2875/16, 07.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZA 16/17
vom
19. Oktober 2017
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2017:191017BIXZA16.17.0

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterin Lohmann, den Richter Prof. Dr. Pape, die Richterin Möhring und den Richter Meyberg
am 19. Oktober 2017
beschlossen:
Der Antrag der Klägerinnen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Nichtzulassungsbeschwerde gegen den die Berufung zurückweisenden Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 7. April 2017 wird abgelehnt.

Gründe:


I.


1
Die Klägerin zu 1, mehrere Gläubiger der Klägerin zu 2, die sich in einer BGB-Gesellschaft zusammengeschlossen haben, und die Klägerin zu 2, die sich nach Einstellung des im Jahr 2002 eröffneten Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen im Jahr 2008 seither in Liquidation befindet, machen Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten persönlich als früheren Insolvenzverwalter über das Vermögen der Klägerin zu 2 geltend. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerinnen ist erfolglos geblieben. Die Klägerinnen beantragen, ihnen Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens gegen den die Berufung zurückweisenden Beschluss vom 7. April 2017 zu gewähren, um ihre Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten weiterzuverfolgen.

II.


2
Der Antrag hat keinen Erfolg. Prozesskostenhilfe ist den Klägerinnen bereits deshalb zu versagen, weil die Unterlassung der Rechtsverfolgung durch die Klägerinnen keinen allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
3
Die Klägerinnen als parteifähige Vereinigungen erhalten Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO nur, wenn das Unterbleiben der Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderliefe. Dies setzt voraus, dass durch die Entscheidung größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens angesprochen werden und die Entscheidung soziale Wirkungen nach sich ziehen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1985 - X ZR 23/85, NJW 1986, 2058, 2059; vom 10. Februar 2011 - IX ZB 145/09, ZIP 2011, 540 Rn. 10 mwN). Das ist vorliegend nicht der Fall. Das Verfahren hat keine wirtschaftliche oder soziale Bedeutung, die ein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung der Klägerinnen begründen könnte.
4
Die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführte Klägerin zu 1 kann zwar grundsätzlich als parteifähige Vereinigung im Sinne des Prozesskostenhilferechts angesehen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011, aaO Rn. 6 f). Die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen ihrer Mitglieder berührt aber keine allgemeinen Interessen. Sie dient nur dem individuellen Interesse der in der Gläubigertreuhand zusammengeschlossenen Personen und ist damit nicht geeignet, die Voraussetzungen des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO zu begründen. Hieran ändern auch die Ausführungen in dem Schriftsatz vom 9. August 2017 nichts. Die Gesellschaft ist nur zu dem Zweck gegründet worden , Ansprüche ihrer Mitglieder, deren Anzahl sich nach Erlass des klagabwei- senden erstinstanzlichen Urteil von ursprünglich 28 auf 6 Personen reduziert hat, durchzusetzen. Anhaltspunkte, die Unterlassung der Rechtsverfolgung könnte allgemeinen Interessen zuwiderlaufen, wenn die Vereinigung ohne die Durchführung des Rechtsstreits gehindert wäre, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen, sind nicht zu erkennen.
5
Bezüglich der Klägerin zu 2 scheidet die Bewilligung von Prozesskostenhilfe schon deshalb aus, weil die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hat und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen erfolgt ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011, aaO Rn. 9). Die Klägerin zu 2 ist seit dem Jahr 2002 nicht mehr werbend tätig und befindet sich derzeit im Stadium der Liquidation. Damit ist ausgeschlossen, dass von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhängt, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht, oder eine große Zahl von Kleingläubigern betroffen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011, aaO Rn. 10 mwN). Die in dem Schriftsatz vom 9. August 2017 angedeuteten künftigen Vorhaben der Klägerin zu 2 können die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht rechtfertigen. Durch eine Insolvenzeröffnung aufgelöste, im Liquidationsstadium befindliche Vereinigungen besitzen keine von der Rechtsordnung anerkannte Existenzberechtigung mehr. Diese besteht nur, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele aus eigener Kraft zu verfolgen (BTDrucks. 8/3068 S. 26 unter Hinweis auf BVerfGE 35, 348 ff, 356). Die Regelung des § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO soll Vorsorge dagegen treffen, dass mittellose Vereinigungen wirtschaftliche Interessen auf Kosten der Allgemeinheit verwirklichen (BGH, Beschluss vom 10. Februar 2011, aaO Rn. 9 mwN).
6
Im Hinblick auf die Versagung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens kann offen bleiben, ob den Klägerinnen wegen der Versäumung der Frist zur Einreichung der dem Antrag vom 12. Mai 2017 beizufügenden Unterlagen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Ob es den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten zumutbar wäre, die Kosten aufzubringen (§ 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO), braucht nicht entschieden zu werden.
Kayser Lohmann Pape
Möhring Meyberg

Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 20.05.2016 - 30 O 13615/13 -
OLG München, Entscheidung vom 07.04.2017 - 5 U 2875/16 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 116 Partei kraft Amtes; juristische Person; parteifähige Vereinigung


Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag 1. eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten a

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Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Feb. 2011 - IX ZB 145/09

bei uns veröffentlicht am 10.02.2011

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Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2018 - VII ZA 1/18

bei uns veröffentlicht am 21.03.2018

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Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag

1.
eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen;
2.
eine juristische Person oder parteifähige Vereinigung, die im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gegründet und dort ansässig ist, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.
§ 114 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 ist anzuwenden. Können die Kosten nur zum Teil oder nur in Teilbeträgen aufgebracht werden, so sind die entsprechenden Beträge zu zahlen.

10
bb) Der Anwendungsbereich der Vorschrift beschränkt sich mithin auf Sachverhalte, die größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens ansprechen und soziale Wirkungen nach sich ziehen können (BGH, Beschl. v. 20. September 1957 - VII ZR 62/57, BGHZ 25, 183, 185; Beschl. v. 5. November 1985 - X ZR 23/85, NJW 1986, 2058, 2059; Beschl. v. 20. Dezember 1989 - VIII ZR 139/89, NJW-RR 1990, 474). Ein allgemeines Interesse kann angenommen werden, wenn außer den an der Führung des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten ein erheblicher Kreis von Personen durch die Unterlassung der Rechtsverfolgung in Mitleidenschaft gezogen würde (BFH, RPfleger 1993, 290). Danach läuft die Unterlassung der Rechtsverfolgung allgemeinen Interessen zuwider, wenn die Vereinigung ohne die Durchführung des Rechtsstreits gehindert wäre, der Allgemeinheit dienende Aufgaben zu erfüllen. Gleiches kann gel- ten, wenn von der Durchführung des Prozesses die Existenz eines Unternehmens abhängt, an dessen Erhaltung wegen der großen Zahl von Arbeitsplätzen ein allgemeines Interesse besteht (BGH, Beschl. v. 20. September 1957, aaO S. 184 f; Beschl. v. 24. Oktober 1990 - VIII ZR 87/90, NJW 1991, 703 im Anschluss an BT-Drucks., aaO S. 26 f). Der Gesichtspunkt der Existenzsicherung eines Unternehmens greift jedoch nicht durch, wenn die Gesellschaft ihren Geschäftsbetrieb eingestellt hat und ihre Liquidation ohnehin zum Wegfall von Arbeitsplätzen führen wird (BFH, aaO; OLG Hamm NJW-RR 1989, 382, 383). Die Unterlassung der Rechtsverfolgung kann auch dann allgemeinen Interessen zuwiderlaufen, wenn eine große Zahl von Kleingläubigern betroffen ist (BGH, Beschl. v. 5. November 1985, aaO S. 2059; Beschl. v. 24. Oktober 1990, aaO). Allein die Gemeinnützigkeit einer Vereinigung begründet noch kein allgemeines Interesse an der Rechtsverfolgung (BGH, Beschl. v. 29. Januar 1987, aaO; KG, aaO; Musielak/Fischer, aaO § 116 Rn. 18). Ohne Bedeutung ist das - bereits im Rahmen des § 114 Satz 1 ZPO zu berücksichtigende - Einzelinteresse an einer richtigen Entscheidung (BGH, Beschl. v. 20. September 1957, aaO S. 185; Beschl. v. 20. Januar 1965, aaO). Ebenso wenig reicht der Umstand aus, dass bei der Entscheidung des Rechtsstreits Rechtsfragen von allgemeiner Bedeutung zu beantworten sind (BGH, Beschl. v. 20. Januar 1965, aaO; Beschl. v. 20. Dezember 1989, aaO). Außer Betracht hat schließlich zu bleiben, ob die Vereinigung auf der Grundlage eines ihr günstigen Urteils in die Lage versetzt wird, rückständige Steuern und Abgaben zu begleichen (OLG Köln JurBüro 1985, 1259; VersR 1989, 277).

Prozesskostenhilfe erhalten auf Antrag

1.
eine Partei kraft Amtes, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können und den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Kosten aufzubringen;
2.
eine juristische Person oder parteifähige Vereinigung, die im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gegründet und dort ansässig ist, wenn die Kosten weder von ihr noch von den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und wenn die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung allgemeinen Interessen zuwiderlaufen würde.
§ 114 Absatz 1 Satz 1 letzter Halbsatz und Absatz 2 ist anzuwenden. Können die Kosten nur zum Teil oder nur in Teilbeträgen aufgebracht werden, so sind die entsprechenden Beträge zu zahlen.