Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Okt. 2008 - IV ZR 272/06

bei uns veröffentlicht am29.10.2008
vorgehend
Landgericht Hannover, 8 O 292/05, 21.04.2006
Oberlandesgericht Celle, 8 U 130/06, 12.10.2006

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 272/06
vom
29. Oktober 2008
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke
am 29. Oktober 2008

beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Oktober 2006 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 50.000 €

Gründe:


1
Das Berufungsgericht hat dem Kläger Deckungsschutz aus der bei der Beklagten gehaltenen Privathaftpflichtversicherung nach § 4 II Nr. 1 Satz 1 der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Haftpflichtversicherungsbedingungen (AHB) und § 152 VVG a.F. versagt, weil er die dem Zeugen S. mittels zweier körperlicher Angriffe zugefügten Verletzungen (u.a. Schultereckgelenkssprengung mit Abriss meh- rerer Bänder, HWS-Distorsion, Becken- und Gesäßprellung) vorsätzlich herbeigeführt habe. Es hat dabei das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, soweit sich dieser unter Beweisantritt darauf berufen hat, er habe den Geschädigten im Vollrausch, mithin in einem die freie Willensbetätigung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit i.S. von § 827 BGB angegriffen.
2
1. Der Kläger hatte behauptet, am 19. April 2003 gegen 19.00 Uhr das Osterfeuer in A. aufgesucht und fortan bis 23.30 Uhr stündlich fünf bis sechs, insgesamt ca. 25 Gläser Bier, ferner zahlreiche Schnäpse getrunken zu haben. Zum Beweis für diese Behauptung hatte er sich auf das Zeugnis seiner damaligen Begleiter, der Zeugen Wi. und W. , berufen. Er hatte weiter die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass der behauptete Alkoholkonsum bei ihm zu einem Vollrausch geführt habe.
3
Die Vorinstanzen haben den beantragten Beweis nicht erhoben.
4
Das Berufungsgericht hat dazu ausgeführt, da dem Kläger seinerzeit keine Blutprobe entnommen worden sei, stehe seine Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit nicht fest. Die Rechtsprechung nehme eine alkoholbedingte Zurechnungsunfähigkeit etwa ab einem BAK-Wert von 3,0 Promille an. Entscheidend seien letztlich aber immer die Umstände des Einzelfalles. Gegen die Trinkmengenbehauptung oder aber für eine erhebliche Alkoholgewöhnung des Klägers spreche, dass er etwa eineinhalb Stunden vor den tätlichen Angriffen noch in der Lage gewesen sei, sich in einem Gespräch mit dem Geschädigten über seinen früheren Arbeitgeber zu unterhalten und sich dabei noch gut verständlich auszudrücken. Dass der Kläger nach diesem Gespräch noch besonders viel Alko- hol getrunken habe, habe er selbst nicht behauptet. Die Tatausführung spreche gegen eine Zurechnungsunfähigkeit des Klägers. Er habe den Geschädigten auf dem Nachhauseweg verfolgt und ihn - jeweils gezielt und mit erheblicher Wucht - zweimal hintereinander angegriffen. Zwar sei er nach dem ersten Angriff infolge seiner Alkoholisierung zunächst am Boden liegen geblieben und habe dort auch unkontrolliert um sich geschlagen , weil er stark betrunken gewesen sei; er sei aber immerhin noch in der Lage gewesen, gegenüber dem Opfer den Satz "ich reiß dich nieder" zu äußern. Insgesamt könne das Verhalten des Klägers damit als willensgesteuert und logisch nachvollziehbar eingestuft werden.
5
Für eine sachverständige Begutachtung der Trunkenheit des Klägers fehle es an verlässlichen Anknüpfungstatsachen. Der Kläger selbst berufe sich auf eine Amnesie (einen "Filmriss"); dass die von ihm benannten beiden Zeugen sich die gesamte Zeit über bei ihm befunden und seinen gesamten Alkoholkonsum beobachtet hätten, sei nicht ersichtlich und in Anbetracht des Ablaufs solcher Feste lebensfremd. Mithin sei offen , welche Menge Bier mit welchem Alkoholgehalt der Kläger getrunken habe, um welche Art Schnaps es sich gehandelt habe und in welcher genauen zeitlichen Abfolge der Alkohol konsumiert worden sei. Ferner sei über die körperliche Konstitution und eine mögliche Alkoholgewöhnung des Klägers nichts bekannt. Unbekannt sei schließlich auch, ob und inwieweit er am fraglichen Abend Nahrung zu sich genommen habe. Ergänzenden Vortrag des Klägers im Berufungsverfahren dazu, dass es sich jeweils um 0,3-Liter-Gläser Bier und beim fraglichen Schnaps um Apfelkorn gehandelt habe, hat das Berufungsgericht nach § 531 Abs. 2 Ziff. 3 ZPO als verspätet zurückgewiesen. http://www.juris.de/jportal/portal/t/fft/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=6&numberofresults=217&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR000010949BJNE013400314&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/fft/## [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/fft/## - 5 -
6
3. Das verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.
7
a) Die Vernehmung der beiden vom Kläger benannten Zeugen zu seinem Alkoholkonsum durfte nicht mit der Begründung verweigert werden , es sei nicht ersichtlich oder lebensfremd, dass die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Beobachtungen gemacht hätten (vgl. dazu Zöller/Greger , ZPO 26. Aufl. vor § 284 Rdn. 10a m.w.N.). Darin liegt eine vorweggenommene Beweiswürdigung, die im Prozessrecht keine Stütze findet und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30. Januar 2008 - IV ZR 9/06 - VersR 2008, 659 unter Tz. 3; vom 21. November 2007 - IV ZR 129/05 - VersR 2008, 382 unter Tz. 2; BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007). Dafür, dass der Beweisantritt "ins Blaue hinein" erfolgt wäre, ist nichts ersichtlich. Vielmehr deuten zahlreiche Indizien, insbesondere auch die Aussagen des Geschädigten und seiner Verlobten , darauf hin, dass der Kläger am fraglichen Abend erheblich betrunken war und deutliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gezeigt hatte. Ob und inwieweit die vom Kläger benannten Zeugen in der Lage waren , Beobachtungen zu seinem Trinkverhalten zu machen und zu erinnern , wäre erst durch die Vernehmung der Zeugen und die daran anschließende Würdigung ihrer Aussagen zu klären gewesen.
8
b) Der Beweisantritt war auch nicht deswegen unbeachtlich, weil der Kläger zunächst nicht ausreichend konkrete Tatsachenbehauptungen aufgestellt hatte. Zwar hatte er weder die von ihm konsumierte Bier- und Schnapssorte oder wenigstens deren jeweiligen Alkoholgehalt noch die Größe der benutzten Gläser angegeben, so dass aufgrund der von ihm zunächst unter Beweis gestellten Behauptungen ein ausreichender Überblick über die aufgenommene Alkoholmenge nicht ohne Weiteres zu gewinnen war. Andererseits wären aber diese offenen Fragen durch ei- nen entsprechenden gerichtlichen Hinweis oder auch eine Frage an die benannten Zeugen einfach zu klären gewesen.
9
aa) Nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO hat das Gericht dahin zu wirken , dass sich die Parteien rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären und insbesondere auch Angaben zu geltend gemachten Tatsachen ergänzen und die sachdienlichen Anträge stellen. Beantragt eine Partei - wie hier - die Einholung eines Sachverständigengutachtens und stellt sie dazu Anknüpfungstatsachen unter Zeugenbeweis , so muss das Gericht jedenfalls dann durch einen Hinweis nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO auf Ergänzung des Tatsachenvortrags hinwirken , wenn es der Auffassung ist, die unter Beweis gestellten Anknüpfungstatsachen seien zu unbestimmt (vgl. dazu Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 29. Aufl. § 139 Rdn. 8) und reichten deshalb für die Erstellung des Gutachtens nicht aus. Einen solchen Hinweis hatten hier weder das Landgericht noch das Berufungsgericht erteilt.
10
bb) Der Kläger wurde stattdessen erstmals durch die Berufungserwiderung der Beklagten vom 25. Juli 2006 darauf aufmerksam gemacht, dass seine unter Beweis gestellten Trinkmengenangaben unvollständig waren. Er hat daraufhin seinen Beweisantritt mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 4. September 2006 dahin ergänzt, dass er das Bier aus 0,3-Liter-Gläsern und im Übrigen Apfelkorn getrunken habe.
11
Diesen Vortrag hätte das Berufungsgericht nicht - wie geschehen - nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO als verspätet zurückweisen dürfen; das ist dann nicht zulässig, wenn die Verspätung des Vortrages auf einem Verfahrensfehler des Gerichts - hier dem sowohl vom Landgericht als auch vom Berufungsgericht unterlassenen Hinweis nach § 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO - beruht (vgl. dazu auch BGH, Urteile vom 14. Oktober 2004 - VII ZR 180/03 - NJW-RR 2005, 213 unter II; vom 15. März 1990 - VII ZR 61/89 - NJW-RR 1990, 856 unter II 2 a).
12
Der cc) Senat kann nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht , hätte es den ergänzenden Vortrag des Klägers berücksichtigt, davon ausgegangen wäre, dass bei Erweis der unter Zeugenbeweis gestellten Trinkmengenangaben ausreichende Anknüpfungstatsachen für das beantragte Sachverständigengutachten vorgelegen hätten. Zwar hatte sich der Kläger weiterhin nicht zum Alkoholgehalt der von ihm konsumierten Getränke, zu seiner körperlichen Konstitution und Alkoholgewöhnung geäußert, insoweit stehen aber Tatsachen in Rede, die ein Sachverständiger für Blutalkoholbestimmung regelmäßig unschwer aufgrund seiner Erfahrungswerte ermitteln kann. Das gilt insbesondere auch für die Frage der Alkoholgewöhnung, weil sich hierzu besonders bei hohen Alkoholisierungsgraden aus dem verbliebenen psychischen und motorischen Leistungsvermögen des Probanden Rückschlüsse ergeben.
13
4. Die Ermittlung der vom Kläger erreichten Blutalkoholkonzentration war auch nicht deshalb entbehrlich, weil sich anhand der Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Tatumstände ein Vollrausch des Klägers ohnehin sicher ausschließen ließe. Zwar ist die Blutalkoholkonzentration nicht das allein maßgebliche oder vorrangige Beweisanzeichen für das Vorliegen eines alkoholbedingten, die freie Willensbetätigung ausschließenden Zustandes krankhafter Störung der Geistestätigkeit i.S. von § 827 BGB. Es gibt insbesondere keinen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration regelmäßig bestimmte Beeinträchtigungsgrade vorliegen (vgl. zu § 21 StGB: BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - 1 StR 248/04 - NStZ 2005, 329 unter 3 a). Vielmehr können aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen im Einzelfall selbst bei hohen Alkoholisierungsgraden der Annahme einer krankhaften Störung der Geistestätigkeit i.S. von § 827 BGB entgegenstehen. Umgekehrt gewinnt der Beweiswert der Blutalkoholkonzentration aber dort an Gewicht, wo solche anderweitigen Beweisanzeichen weitgehend fehlen.
14
So liegt der Fall hier. Anders als das Berufungsgericht meint, kann weder dem Umstand, dass der Kläger etwa eineinhalb Stunden vor den Angriffen auf den Geschädigten noch in der Lage war, mit diesem ein verständliches Gespräch zu führen und dabei gerade zu stehen, noch der eigentlichen Tatausführung und dem Umstand, dass er beim zweiten Angriff auf den Geschädigten den Satz "ich reiß dich nieder" hervorbrachte , ausreichend sicher entnommen werden, dass der Kläger nicht im Vollrausch handelte. Die Gesamtwürdigung des Berufungsgerichts lässt wesentliche Fallumstände außer Acht und erscheint insgesamt lückenhaft. Sie begründet im Übrigen die Besorgnis, dass das Berufungsgericht ohne sachverständige Hilfe und auch ausreichende eigene Sachkunde einzelnen wenigen psychodiagnostischen Beweisanzeichen eine zu große Aussagekraft beigemessen hat.
15
Sowohl der Geschädigte als auch dessen Verlobte haben übereinstimmend davon berichtet, dass der Kläger schon bei dem Gespräch eineinhalb Stunden vor den Angriffen, welches sich in einer Beschimpfung des früheren Arbeitgebers des Klägers erschöpfte, einen stark alkoholisierten Eindruck machte, mag er zu diesem Zeitpunkt auch noch gerade gestanden haben. Jedenfalls die Verlobte des Geschädigten will schon zu diesem Zeitpunkt bemerkt haben, dass der Kläger Sprachschwierigkeiten zeigte ("lallte"). Diese vom Berufungsgericht nicht erwähnte Beob- achtung deutet bereits auf erhebliche alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hin und steht nicht notwendigerweise im Widerspruch dazu, dass der Geschädigte selbst den Kläger noch gut verstehen konnte. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger selbst habe nicht behauptet, nach diesem Gespräch bis zum Angriff auf den Geschädigten noch besonders viel Alkohol getrunken zu haben, findet in den Akten keine Stütze. Nach der Behauptung des Klägers hat er stündlich bis zu sechs Gläser Bier, ferner unbekannte Mengen an Apfelkorn getrunken. Das bedeutet , dass er in den verbleibenden ca. 90 Minuten seit dem Gespräch noch ca. acht bis neun weitere Gläser Bier und auch Apfelkorn getrunken haben will. Für einen ohnehin schon stark alkoholisierten Menschen ist das ein erheblicher weiterer Alkoholkonsum.
16
Die Einschätzung des Berufungsgerichts, die Tatausführung selbst spreche gegen eine Zurechnungsunfähigkeit des Klägers, weil dieser den Geschädigten auf dem Nachhauseweg verfolgt und zweimal massiv und erfolgreich von hinten attackiert habe, vermag deshalb nicht zu überzeugen, weil sie außer Acht lässt, dass ein nachvollziehbares Motiv für das äußerst aggressive Verhalten des Klägers nicht ersichtlich ist und er - obwohl selbst unverletzt - nach beiden Angriffen zunächst am Boden liegen blieb, im ersten Falle dort wild und unmotiviert um sich schlagend, weil er - wie das Berufungsgericht selbst feststellt - stark betrunken war. Dass das Berufungsgericht in alldem dennoch ein willensgesteuertes, "logisch nachvollziehbares" Verhalten erkennen will, erschließt sich auch nicht ohne Weiteres daraus, dass der Kläger noch imstande war, den Satz "ich reiß dich nieder" zu sprechen.
17
Es kommt hinzu, dass das Berufungsgericht, wie seine Darlegungen zur Schwierigkeit der Ermittlung von Anknüpfungstatsachen für eine Begutachtung zeigen, dem Kläger offensichtlich geglaubt hat, dass er an das Geschehen keine genaue Erinnerung mehr habe. Inwieweit diese Amnesie auch für das Vorliegen eines Vollrausches sprechen kann, hat das Berufungsgericht aber nicht geprüft.
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 21.04.2006 - 8 O 292/05 -
OLG Celle, Entscheidung vom 12.10.2006 - 8 U 130/06 -

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Abweichend von § 8 Abs. 1 Satz 1 beträgt die Widerrufsfrist 30 Tage.

(2) Der Versicherer hat abweichend von § 9 Satz 1 auch den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile nach § 169 zu zahlen. Im Fall des § 9 Satz 2 hat der Versicherer den Rückkaufswert einschließlich der Überschussanteile oder, wenn dies für den Versicherungsnehmer günstiger ist, die für das erste Jahr gezahlten Prämien zu erstatten.

(3) Abweichend von § 33 Abs. 1 ist die einmalige oder die erste Prämie unverzüglich nach Ablauf von 30 Tagen nach Zugang des Versicherungsscheins zu zahlen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 9/06
vom
30. Januar 2008
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
am 30. Januar 2008

beschlossen:
Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 5. Dezember 2005 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 52.756,55 €

Gründe:


1
I. Die Beschwerde führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache.
2
1. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt, weil es den von ihm angebotenen Sachverständigenbeweis nicht erhoben hat. Der Kläger hat zum Beweis seiner Behaup- tung, die (als solche unstreitigen) Änderungen des Endalters und damit der Dauer der Berufsunfähigkeitsrente im Versicherungsantrag seien von Mitarbeitern der Beklagten vorgenommen worden, in erster Instanz die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. In der Berufungserwiderung hat er anhand eines Vergleichs der Änderungen und sonstigen Eintragungen in den von der Beklagten vorgelegten zwei Kopien von unterschiedlichen Blättern des Durchschreibesatzes unter anderem im Einzelnen dargelegt, dass die streitigen Änderungen sich im Schriftbild unterschieden, die Änderungen demgemäß nicht im Durchschreibeverfahren , sondern erst nach Trennung des Durchschreibesatzes erfolgt seien und diese Trennung erst im Hause der Beklagten vorgenommen worden sei. Er hat weiter auf seinen erstinstanzlichen Sachvortrag und die nicht erledigten Beweisangebote Bezug genommen. Als in erster Instanz siegreiche Partei brauchte der Kläger ohne Hinweis des Berufungsgerichts weiteres nicht vorzutragen (vgl. BVerfG NJW 2000,

131).


3
Das Berufungsgericht ist dem Beweisangebot nicht nachgegangen, weil der Antrag bei der Beklagten nur noch in Mikrofiche vorliege und die Einholung eines Sachverständigengutachtens deshalb ersichtlich keine weitere Aufklärung ermögliche. Darin liegt eine vorweggenommene Beweiswürdigung , die im Prozessrecht keine Stütze findet und Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007; BVerfG NJW 2003, 125, 127; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VI ZR 166/06 - VersR 2007, 1008 f.). Die Beantwortung der Frage, ob eine Begutachtung geeignet ist, zur Aufklärung des Sachverhalts beizutragen, setzt im Allgemeinen fachspezifische Sachkunde voraus. Das Berufungsgericht hat nicht dargelegt, dass es über diese Sachkunde verfügt. Die - unterstellte - Vernichtung der Originale schließt zwar Materialuntersu- chungen und Farbvergleiche aus, nicht aber Feststellungen zu der Behauptung des Klägers, das Schriftbild in den beiden Antragsexemplaren sei unterschiedlich.
4
2. Das Berufungsgericht wird deshalb das beantragte Gutachten einzuholen haben. Zuvor ist der Beklagten die Vorlage der Originalanträge aufzugeben, wie vom Kläger mehrfach beantragt. Die Beklagte hat sich bisher nicht dazu geäußert, ob ihr dies möglich ist. Das Berufungsgericht hat im Übrigen nicht gesehen, dass der Versicherer sich auf Beweisschwierigkeiten , die aus dem Fehlen des Originals herrühren, nicht berufen darf und der Versicherungsnehmer dann so zu stellen ist, als sei ihm der Beweis gelungen (Senatsurteil vom 21. Juni 2000 - IV ZR 157/99 - VersR 2000, 1133 unter I).
5
II. Der Rechtsstreit ist nicht aus anderen Gründen zugunsten des Klägers entscheidungsreif.
6
1. Die Beklagte muss sich die Kenntnis und das Handeln der Maklerin nicht zurechnen lassen. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen sich der Versicherer das Verhalten eines Maklers zurechnen lassen muss, ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt (vgl. Urteile vom 19. September 2001 - IV ZR 235/00 - VersR 2001, 1498 unter II 2; vom 17. Januar 2001 - IV ZR 282/99 - VersR 2001, 368 unter II 1 und vom 22. September 1999 - IV ZR 15/99 - VersR 1999, 1481 unter 2 c, jeweils m.w.N.). Daran gemessen rechtfertigt der Vortrag des Klägers eine Zurechnung des Maklerverhaltens nicht.
7
2. Wenn unterstellt wird, die Beklagte habe den Versicherungsantrag in der von ihr vorgelegten Fassung erhalten, könnte Anlass für eine klärende Nachfrage bestanden haben und vorbehaltlich weiterer tatsächlicher Feststellungen ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus Verschulden bei Vertragsschluss in Betracht kommen. Dabei wäre aber nach § 254 BGB zu berücksichtigen, dass dann die Hauptverantwortung für den Schaden bei der Maklerin läge.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 22.04.2005 - 11 O 1762/04 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 05.12.2005 - 8 U 926/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 129/05
vom
21. November 2007
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Seiffert, Dr. Schlichting, die Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Felsch
und Dr. Franke
am 21. November 2007

beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 28. April 2005 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: Bis 50.000 €

Gründe:


1
1.DasBerufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es zu Unrecht den Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hat zu ihrer Behauptung , die Vorerkrankungen, deren Verschweigen ihr angelastet werde , stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Eintritt des Versicherungsfalles. Dieser Verstoß führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil nicht auszuschließen ist, dass das Urteil darauf beruht.
2
Die a) Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2005, 1487 m.w.N.). Von der Erhebung eines Beweises darf zwar abgesehen werden, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache unerheblich ist. Dies setzt aber voraus , dass sie zugunsten des Beweisbelasteten als wahr unterstellt wird (BVerfG NJW 1993, 254, 255 und 1992, 1875, 1877). Dagegen darf ein Beweisangebot nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Behauptung unwahrscheinlich erscheint, weil darin eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung liegt (BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007). Setzt die Würdigung eines Sachverhalts spezielles Fachwissen voraus, hat der Richter nachvollziehbar darzulegen, dass er über solche eigene Sachkunde verfügt (BVerfG NJW 2003, 125, 127; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VI ZR 166/06 - VersR 2007, 1008 unter II und Urteil vom 23. November 2006 - III ZR 65/06 - NJW-RR 2007, 357 Tz. 13, 14). In derartigen Fällen dürfen an den Vortrag einer Partei, die nur geringe Sachkunde hat, keine hohen Anforderungen gestellt werden, vielmehr darf sie sich auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken (BGH, Urteile vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02 - VersR 2004, 83 unter II 1 a und vom 10. Januar 1995 - VI ZR 31/94 - VersR 1995, 433 unter II 1). Ist der Vortrag in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet, das geltend gemachte Recht zu begründen, ist er erheblich (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2000 - VI ZR 236/99 - NJW 2000, 3286 unter II 1).
3
aa) b) Der Vortrag der Klägerin, zwischen den verschwiegenen Vorerkrankungen, insbesondere der im Bericht des Epilepsiezentrums K. genannten psychischen Beschwerden und Störungen und der schweren Depression, die nach Abschluss des Vertrages aufgetreten sei und zur Berufsunfähigkeit geführt habe, bestehe kein ursächlicher Zusammenhang , ist erheblich. Trifft die Behauptung zu, bleibt die Leistungspflicht der Beklagten nach § 7 Abs. 3 Satz 5 AVB, § 21 VVG trotz wirksamen Rücktritts bestehen. Mangels eigener Sachkunde brauchte die Klägerin zunächst mehr nicht vorzutragen. Sie hat das Fehlen des Zusammenhangs im Übrigen nicht nur pauschal behauptet, sondern auf längere Beschwerdefreiheit und darauf hingewiesen, den für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstatteten Gutachten der Ärzte M. -K. und Dr. B. sei zu entnehmen, die neurotische Symptomatik habe 1999 zeitgleich mit der Eheschließung und den erheblichen Problemen am Arbeitsplatz begonnen.
4
bb) Das Berufungsgericht hat den Vortrag auch nicht als unerheblich angesehen, denn es hat ihn nicht zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt. Es ist vielmehr zu dem Ergebnis gelangt, die seinerzeit in K. und von Dr. O. diagnostizierten psychischen Beschwerden bestünden in Gestalt der nunmehr beklagten Depressionen und Angstzustände fort. Die Behauptung einer Zäsur zwischen den damals festgestellten und den der jetzigen Verrentung zugrunde liegenden Befunden erscheine nicht annähernd nachvollziehbar. Damals habe es sich ersichtlich um die Feststellung dauerhaft vorhandener in der Persönlichkeitsstruktur angelegter, unter Stress zu Tage tretender, nachhaltiger Tendenzen gehandelt, psychogen bedingte Beschwerden mit körperlichen Reaktionen zu entwickeln. Ersichtlich seien die schon damals festgestellten - langfristig als behandlungsbedürftig angesehenen - Neigungen im Zusammenhang mit den beruflichen Belastungen, die dem Ausscheiden der Klägerin bei der Sparkasse vorausgegangen seien, erneut hervorgetreten oder hätten zumindest mitgewirkt.
5
Diese Annahmen beruhen auf medizinischen Schlussfolgerungen, die das Berufungsgericht ohne eigene Sachkunde nicht ziehen durfte. Es hat damit die Beweisfrage, deren Beantwortung medizinischen Sachverstand voraussetzt, ohne ausgewiesene eigene Sachkunde selbst beantwortet. Das ist prozessual unzulässig.
6
2. Hinsichtlich der Rücktrittsberechtigung der Beklagten ist ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte zum Rücktritt berechtigt war, weil die Klägerin ihr die im Epilepsiezentrum K. festgestellten depressiven Erscheinungen und psychischen Störungen und die insoweit vorgenommenen Untersuchungen und Behandlungen verschwiegen hat.
Seiffert Dr. Schlichting Dr. Kessal-Wulf
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 03.03.2004 - 10 O 25/03 -
OLG Celle, Entscheidung vom 28.04.2005 - 8 U 74/04 -

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 180/03 Verkündet am:
14. Oktober 2004
Heinzelmann,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Ein Sachvortrag kann in der Berufungsinstanz nicht zurückgewiesen werden, wenn
das erstinstanzliche Gericht aufgrund eines unvollständigen gerichtlichen Hinweises
den Eindruck erweckt hat, weiteres Vorbringen sei nicht erforderlich.
BGH, Urteil vom 14. Oktober 2004 - VII ZR 180/03 - OLG München
LG Augsburg
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. Oktober 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die
Richter Dr. Wiebel, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Streithelfers des Beklagten wird das Urteil des 27. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München, Zivilsenate in Augsburg, vom 9. April 2003 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt restliche Vergütung von 78.969,49 € für eine Brandschadenssanierung bei einem Objekt des Beklagten. Der Beklagte hat in erster Instanz die Beauftragung des Klägers bestritten und geltend gemacht, die Abrechnung sei überhöht. Er habe nur ein deutlich niedrigeres Angebot erhalten, allenfalls könne danach abgerechnet werden. Soweit der Kläger in der Klageschrift die angeblich erbrachten Leistungen in einem anderen, nicht erhaltenen Angebot aufgelistet habe, würden diese selbst, wie auch die Angemessenheit der dort aufgeführten Einzelsummen, bestritten.
Außerdem hat der Beklagte Mängel gerügt und sich insoweit die Aufrechnung vorbehalten. Das Landgericht hat den Beklagten in der Terminsverfügung auf folgendes hingewiesen: "Soweit der Beklagte wegen der nicht fachgerechten Sanierung sich Schäden berühmt, mögen diese beziffert und unter Beweis gestellt werden." Im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 12. August 2002 hat der Beklagte , auf eine in der mündlichen Verhandlung geäußerte Bitte bezugnehmend , um einen Hinweis gebeten, falls das Bestreiten der einzelnen Leistungen nicht ausreichend sei. Da ein Hinweis bisher nicht erteilt sei, werde davon ausgegangen , daß der bisherige Vortrag ausreiche. In dem daraufhin ergangenen, klagezusprechenden Urteil hat das Landgericht das Bestreiten der Rechnungshöhe als unsubstantiiert zurückgewiesen, auch weil es im Widerspruch zu dem Abrechnungsverhalten gegenüber der Brandversicherung stehe. Mit der Berufung hat der Beklagte eine Überraschungsentscheidung gerügt und umfangreich zu den einzelnen Positionen vorgetragen. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der erstinstanzliche Anwalt des Beklagten als dessen Streithelfer den Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Revision ist zulässig. Der Streithelfer ist mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde dem Rechtsstreit beigetreten. Entgegen der Auffassung des Revisionsbeklagten entspricht der Beitritt den Anforderungen des § 70 Nr. 2 ZPO. Der Streithelfer hat mit seinem Beitritt auf die noch im Berufungsrechtszug erfolgte Streitverkündung Bezug genommen. Aus dieser und den ihm zugestellten Unterlagen ergibt sich eindeutig, daß ihm der Streit als Anwalt wegen eines Regreßanspruches verkündet worden ist.

B.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Auf das Verfahren der Berufung sind die Vorschriften nach Maßgabe des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 anzuwenden (§ 26 Nr. 5 EGZPO).

I.

Das Berufungsgericht führt aus, die Klage sei begründet. Das detaillierte Bestreiten der einzelnen Positionen aus dem Angebot des Klägers werde nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zurückgewiesen.

II.

Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Vorbringen des Beklagten zu den einzelnen Abrechnungspositionen hätte gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 2 ZPO berücksichtigt werden müssen. Danach sind neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen, wenn sie infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden. Diese Voraussetzungen liegen vor. Das Landgericht hat die Entscheidung unter Verstoß gegen § 139 Abs. 2 ZPO auf einen Gesichtspunkt gestützt, den der Beklagte erkennbar übersehen hat, ohne ihm Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Der Beklagte ist erkennbar und jedenfalls nach der Terminsverfügung des Landgerichts auch zu Recht davon ausgegangen, daß sein Bestreiten ausreichend war. Denn mit der Terminsverfügung hat das Landgericht nur auf Bedenken gegen die Schlüssigkeit der Aufrechnung hingewiesen. Es hat damit den Eindruck erweckt, weitere Bedenken gegen die Verteidigung bestünden nicht. Daß das pauschale Bestreiten derjenigen Leistungen, die im von der Klägerin vorgelegten Angebot bezeichnet waren, nicht als ausreichend bewertet werde, lag entgegen der von der Klägerin im Revisionsverfahren vertretenen Auffassung nicht auf der Hand. Der Beklagte hat sich auch damit verteidigt, daß er lediglich die Leistungen in Auftrag gegeben und zu bezahlen habe, die sich aus dem von ihm vorgelegten Angebot ergäben. In diesem Angebot waren Leistungen detailliert aufgeführt.
Es besteht kein Zweifel daran, daß der Beklagte nach dem gebotenen Hinweis des Landgerichts darauf, daß auch das Bestreiten der der Werklohnforderung zugrunde liegenden Behauptungen als unsubstantiiert bewertet werde , den Vortrag in der Weise ergänzt hätte, wie es in der Berufungsbegründung geschehen ist.
Dressler Wiebel Kuffer Kniffka Bauner

Wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 248/04
vom
22. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom
20. Oktober 2004 in der Sitzung am 22. Oktober 2004, an denen teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger
- in der Verhandlung vom 20. Oktober 2004 -,
Rechtsanwalt
als Verteidiger
- in der Sitzung am 22. Oktober 2004 -,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29. Januar 2004 wird verworfen. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten greift mit einer Verfahrensrüge und der Sachrüge die Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit an. Sie bleibt ohne Erfolg. 1. Das Landgericht hat festgestellt: Der Angeklagte begann im Alter von 13 Jahren mit dem Trinken von Alkohol. Bereits mit 17 Jahren befand er sich in einer Entziehungskur, die ebenso ergebnislos blieb wie spätere Entgiftungen und Therapien. Am 25. Juli 2003 tranken der Angeklagte und seine Lebensgefährtin R. , die Geschädigte, in ihrer gemeinsamen Wohnung ab etwa
16.00 Uhr zusammen mit dem Mitangeklagten S. in erheblichem Umfang Wein.Als R. gegen 21.00 Uhr, nur mit einem Achselshirt und einem Slip bekleidet, aufreizend vor S. tanzte, entschloß sich der Angeklagte aus Wut und Verärgerung hierüber sowie aufgrund bereits in der Vergangenheit erfolgter Demütigungen seitens der Geschädigten, seine Lebensgefährtin zu töten. Er holte, verborgen vor der Geschädigten, aus der Küche ein Fleischermesser und stachelte den S. mehrfach leise mit den Worten "Komm, die stechen wir jetzt ab; sie hat es verdient" an. S. ergriff schließlich das Messer und stieß es der auf dem Sessel sitzenden Geschädigten wuchtig in den Unterbauch. Sodann verließ er fluchtartig die Wohnung. Der Angeklagte zog das Messer aus der Wunde und wusch es in der Spüle ab. Anschließend verständigte er per Notruf das DRK. Eine 45 Minuten nach der Tat entnommene Blutprobe des Angeklagten ergab eine Blutalkoholkonzentration von 2,92 o/oo. Seine Einsichts- und Steuerungsfähigkeit war zum Tatzeitpunkt jedoch nicht erheblich eingeschränkt. 2. Mit einer Aufklärungsrüge macht der Angeklagte geltend, das Landgericht hätte den Arzt Dr. L. , der auf dem Polizeirevier bei dem Angeklagten die Blutprobe entnommen und ein Protokoll über den Zustand des Angeklagten gefertigt hatte, als sachverständigen Zeugen vernehmen müssen. Die Rüge ist unbegründet. Durch das Unterlassen der Einvernahme des Arztes hat das Landgericht nicht gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen. Es hat zwar die Feststellungen in dem Protokoll der Blutentnahme u.a. mit der Begründung in Frage gestellt, derartige Feststellungen geschähen "zumeist unter Zeitdruck und lediglich oberflächlich", was im vorliegenden Fall durch die hohe Zahl der ausgelassenen Untersuchungen bestätigt werde. Es hat aber rechts-
fehlerfrei den Angaben des Protokolls keinen wesentlichen Indizwert beigemessen. Die in dem Protokollsformular vorgesehenen Untersuchungen bezüglich Puls, Blutdruck, Romberg-Test, Drehnystagmus, Gang geradeaus und plötzliche Kehrtwendung wurden bei dem Angeklagten überhaupt nicht vorgenommen. Auch deuten einige der getroffenen Feststellungen eher auf eine nicht eingeschränkte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten hin. So wird das Befinden des Angeklagten als "normal", der Alkoholeinfluß auf den Angeklagten nur als "deutlich" und nicht als "stark" oder "sehr stark" gekennzeichnet. Bei dieser Sachlage mußte das Landgericht sich nicht zu der ergänzenden Vernehmung des Arztes gedrängt sehen. 3. Auch die Sachrüge ist nicht begründet. Ohne Rechtsfehler hat das Landgericht angenommen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten nicht alkoholbedingt erheblich vermindert war.
a) Bei einer Blutalkoholkonzentration in der festgestellten Höhe ist die Möglichkeit einer krankhaften seelischen Störung durch einen akuten Alkoholrausch zu erörtern. Einen Rechts- oder Erfahrungssatz, wonach ab einer bestimmten Höhe der Blutalkoholkonzentration regelmäßig vom Vorliegen dieses Merkmals auszugehen ist, gibt es jedoch nicht. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtschau aller wesentlichen objektiven und subjektiven Umstände aus der Persönlichkeitsstruktur des Täters, seinem Erscheinungsbild vor, während und nach der Tat und dem eigentlichen Tatgeschehen. Die Blutalkoholkonzentration ist in diesem Zusammenhang ein zwar gewichtiges, aber keinesfalls allein maßgebliches oder vorrangiges Beweisanzeichen, wobei deren Bedeutung auch von der - hier sehr hohen - Alkoholgewöhnung des Täters beeinflußt sein kann (vgl. BGHSt 43, 66, 70; BGH NStZ 2002, 532).
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer krankhaften seelischen Störung bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortun g zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen , die die Rechtsordnung auch an einen berauschten Täter stellt (vgl. BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (BGH NStZ 2004, 437).
b) Diesen Grundsätzen ist die sachverständig beratene Strafkammer gerecht geworden (zum Maßstab revisionsrechtlicher Überprüfung tatrichterlicher Entscheidungen zum Einfluß von Alkohol auf die Schuldfähigkeit vgl. auch Maatz/Wahl BGH-FS S. 531, 553). Der Revision ist zwar einzuräumen, daß der Blutalkoholwert hier sehr tatzeitnah - 45 Minuten nach der Tat - gemessen wurde und deshalb eine zuverlässige Aussage mit nicht geringer Beweisbedeutung darstellt. Das Landgericht war gleichwohl aus Rechtsgründen nicht gehindert, trotz dieses Blutalkoholwertes die festgestellten psychodiagnostischen Beweisanzeichen dahin zu würdigen, daß eine krankhafte seelische Störung nicht vorgelegen hatte. Die psychodiagnostischen Beweisanzeichen sind hier sogar besonders aussagekräftig. Der alkoholabhängige Angeklagte ist in hohem Maße trinkgewohnt. Sein Verhalten vor, während und nach der Tat hat in sich schlüssige Handlungssequenzen mit motorischen Kombinationsleistungen gezeigt, die so nicht möglich gewesen wären, wenn diese Fähigkeiten erheblich beeinträchtigt gewesen wären. Er brachte das Messer mit dem Unterarm verdeckt in das Wohnzimmer, verbarg es dort vor der Geschädigten und sprach bewußt so lei-
se auf den Mitangeklagten S. ein, daß der Geschädigten seine Worte verborgen blieben. Er rief unmittelbar nach der Tat bei der Polizeidirektion an und erfragte die Telefonnummer des DRK. Auf dem Notrufband des DRK ist die Stimme des Angeklagten - wie die Strafkammer aufgrund eigener Wahrnehmung festgestellt hat - deutlich und ohne Anzeichen einer verwaschenen Aussprache zu vernehmen. Er antwortete schnell und angepaßt auf Nachfragen und legte bei der Angabe seiner Telefonnummer sogar bewußt Pausen ein, um das Mitschreiben zu erleichtern. Die Geschädigte wie der Mitangeklagte S. schilderten den Angeklagten als "ganz normal", und auch der am Tatort eintreffende Polizeibeamte Polizeihauptmeister Ri. stellte bei dem Angeklagten "keinerlei Ausfallerscheinungen" fest. Hinzu kommt das genaue, auch die Motivationslage einschließende Erinnerungsvermögen des Angeklagten. Soweit das kontrollierte Vorgehen des Angeklagten, das über "eingeschliffenes" Verhalten und schlichte Verhaltensmuster hinausging, nach der Tat geschah, brauchte das Landgericht angesichts seines Verhaltens vor und bei Ausführung der Tat auch keinen relevanten Ernüchterungseffekt in Rechnung zu stellen. Er hat die Tat weder in einem Zustand der Erregung oder in einem seelischen Ausnahmezustand noch unüberlegt begangen. Er hat sie vielmehr im einzelnen geplant und das Tatwerkzeug besorgt. Er hat die Lage, in der die Geschädigte sich aufgrund der entspannten Atmosphäre keines Angriffs auf ihr Leben versah, bewußt zur Tat ausgenutzt. Diese - das Mordmerkmal der Heimtücke erfüllende - Vorgehensweise läßt die Annahme, das differenzierte Verhalten des Angeklagten nach der Tat sei auf einen Ernüchterungseffekt zurückzuführen, als fernliegend erscheinen. Das Landgericht durfte daher - "nach eingehender Prüfung" - die Indizwirkung der gemessenen hohen Blutalkoholkonzentration als entkräftet anse-
hen, ohne den ihm insoweit zustehenden Beurteilungsspielraum (BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 13) zu überschreiten. Da das Landgericht damit das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung rechtsfehlerfrei verneint hat, kommt es auf die Frage der "Erheblichkeit" einer verminderten Steuerungsfähigkeit nicht mehr an.
c) Der von der Revision hilfsweise beantragten Vorlage der Sache an den Großen Senat für Strafsachen nach § 132 Abs. 2, 3 GVG bedarf es nicht, da kein Strafsenat des Bundesgerichtshofs an der Auffassung festhält, es gebe einen gesicherten medizinisch-statistischen Erfahrungssatz, wonach ab einem bestimmten Grenzwert des Blutalkoholgehalts die Steuerungsfähigkeit in aller Regel erheblich vermindert ist (vgl. BGHSt 43, 66, 76). Dementsprechend hat der Senat auch bereits entschieden, daß in einem Fall, in dem die Blutalkoholkonzentration bis zu 3,54 o/oo betragen haben kann, eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens kurz nach der Tat zu Recht ausgeschlossen wurde (BGH NStZ 2002, 532). Gleichermaßen hat z.B. auch der 4. Strafsenat für den Fall einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 3,23 o/oo den Ausschluß einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit aufgrund psychodiagnostischer Beurteilungskriterien für möglich erklärt (BGH, Urteil vom 11. September 2003 - 4 StR 139/03). Soweit in den Entscheidungen der einzelnen Senate möglicherweise Unterschiede in der auf den jeweiligen Einzelfall bezogenen Bewertung und Gewichtung einzelner psychodiagnostischer Kriterien aufgetreten sind, nötigt dies nicht zur Vorlage dieser Sache an den Großen Senat für Strafsachen , da es sich insoweit nicht um verbindliche Entscheidungen eines anderen Senats in einer Rechtsfrage im Sinne von § 132 Abs. 2 GVG handelt.
Es bestehen schließlich keine Anhaltspunkte dafür, die der Rechtsprechung des Senats zugrundeliegenden medizinischen Erfahrungssätze in Frage zu stellen, so daß es auch der von der Revision ebenfalls hilfsweise beantragten Anhörung eines Sachverständigen nicht bedarf. Nack Wahl Kolz Elf Graf

Wer im Zustand der Bewusstlosigkeit oder in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit einem anderen Schaden zufügt, ist für den Schaden nicht verantwortlich. Hat er sich durch geistige Getränke oder ähnliche Mittel in einen vorübergehenden Zustand dieser Art versetzt, so ist er für einen Schaden, den er in diesem Zustand widerrechtlich verursacht, in gleicher Weise verantwortlich, wie wenn ihm Fahrlässigkeit zur Last fiele; die Verantwortlichkeit tritt nicht ein, wenn er ohne Verschulden in den Zustand geraten ist.