Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2007 - IV ZR 129/05

bei uns veröffentlicht am21.11.2007
vorgehend
Landgericht Hannover, 10 O 25/03, 03.03.2004
Oberlandesgericht Celle, 8 U 74/04, 28.04.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 129/05
vom
21. November 2007
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Seiffert, Dr. Schlichting, die Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Felsch
und Dr. Franke
am 21. November 2007

beschlossen:
Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 28. April 2005 zugelassen.
Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: Bis 50.000 €

Gründe:


1
1.DasBerufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es zu Unrecht den Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hat zu ihrer Behauptung , die Vorerkrankungen, deren Verschweigen ihr angelastet werde , stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Eintritt des Versicherungsfalles. Dieser Verstoß führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil nicht auszuschließen ist, dass das Urteil darauf beruht.
2
Die a) Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2005, 1487 m.w.N.). Von der Erhebung eines Beweises darf zwar abgesehen werden, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache unerheblich ist. Dies setzt aber voraus , dass sie zugunsten des Beweisbelasteten als wahr unterstellt wird (BVerfG NJW 1993, 254, 255 und 1992, 1875, 1877). Dagegen darf ein Beweisangebot nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Behauptung unwahrscheinlich erscheint, weil darin eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung liegt (BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007). Setzt die Würdigung eines Sachverhalts spezielles Fachwissen voraus, hat der Richter nachvollziehbar darzulegen, dass er über solche eigene Sachkunde verfügt (BVerfG NJW 2003, 125, 127; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VI ZR 166/06 - VersR 2007, 1008 unter II und Urteil vom 23. November 2006 - III ZR 65/06 - NJW-RR 2007, 357 Tz. 13, 14). In derartigen Fällen dürfen an den Vortrag einer Partei, die nur geringe Sachkunde hat, keine hohen Anforderungen gestellt werden, vielmehr darf sie sich auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken (BGH, Urteile vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02 - VersR 2004, 83 unter II 1 a und vom 10. Januar 1995 - VI ZR 31/94 - VersR 1995, 433 unter II 1). Ist der Vortrag in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet, das geltend gemachte Recht zu begründen, ist er erheblich (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2000 - VI ZR 236/99 - NJW 2000, 3286 unter II 1).
3
aa) b) Der Vortrag der Klägerin, zwischen den verschwiegenen Vorerkrankungen, insbesondere der im Bericht des Epilepsiezentrums K. genannten psychischen Beschwerden und Störungen und der schweren Depression, die nach Abschluss des Vertrages aufgetreten sei und zur Berufsunfähigkeit geführt habe, bestehe kein ursächlicher Zusammenhang , ist erheblich. Trifft die Behauptung zu, bleibt die Leistungspflicht der Beklagten nach § 7 Abs. 3 Satz 5 AVB, § 21 VVG trotz wirksamen Rücktritts bestehen. Mangels eigener Sachkunde brauchte die Klägerin zunächst mehr nicht vorzutragen. Sie hat das Fehlen des Zusammenhangs im Übrigen nicht nur pauschal behauptet, sondern auf längere Beschwerdefreiheit und darauf hingewiesen, den für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstatteten Gutachten der Ärzte M. -K. und Dr. B. sei zu entnehmen, die neurotische Symptomatik habe 1999 zeitgleich mit der Eheschließung und den erheblichen Problemen am Arbeitsplatz begonnen.
4
bb) Das Berufungsgericht hat den Vortrag auch nicht als unerheblich angesehen, denn es hat ihn nicht zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt. Es ist vielmehr zu dem Ergebnis gelangt, die seinerzeit in K. und von Dr. O. diagnostizierten psychischen Beschwerden bestünden in Gestalt der nunmehr beklagten Depressionen und Angstzustände fort. Die Behauptung einer Zäsur zwischen den damals festgestellten und den der jetzigen Verrentung zugrunde liegenden Befunden erscheine nicht annähernd nachvollziehbar. Damals habe es sich ersichtlich um die Feststellung dauerhaft vorhandener in der Persönlichkeitsstruktur angelegter, unter Stress zu Tage tretender, nachhaltiger Tendenzen gehandelt, psychogen bedingte Beschwerden mit körperlichen Reaktionen zu entwickeln. Ersichtlich seien die schon damals festgestellten - langfristig als behandlungsbedürftig angesehenen - Neigungen im Zusammenhang mit den beruflichen Belastungen, die dem Ausscheiden der Klägerin bei der Sparkasse vorausgegangen seien, erneut hervorgetreten oder hätten zumindest mitgewirkt.
5
Diese Annahmen beruhen auf medizinischen Schlussfolgerungen, die das Berufungsgericht ohne eigene Sachkunde nicht ziehen durfte. Es hat damit die Beweisfrage, deren Beantwortung medizinischen Sachverstand voraussetzt, ohne ausgewiesene eigene Sachkunde selbst beantwortet. Das ist prozessual unzulässig.
6
2. Hinsichtlich der Rücktrittsberechtigung der Beklagten ist ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte zum Rücktritt berechtigt war, weil die Klägerin ihr die im Epilepsiezentrum K. festgestellten depressiven Erscheinungen und psychischen Störungen und die insoweit vorgenommenen Untersuchungen und Behandlungen verschwiegen hat.
Seiffert Dr. Schlichting Dr. Kessal-Wulf
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 03.03.2004 - 10 O 25/03 -
OLG Celle, Entscheidung vom 28.04.2005 - 8 U 74/04 -

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Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Versicherungsvertragsgesetz - VVG 2008 | § 21 Ausübung der Rechte des Versicherers


(1) Der Versicherer muss die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend g

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZR 272/06 vom 29. Oktober 2008 in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und Dr. Franke am 29. Oktober 2008 b

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(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 166/06
vom
16. Januar 2007
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Januar 2007 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten wird das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 18. Juli 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 30.462,24 €

Gründe:

I.

1
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung verletzt den Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

II.

2
Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft davon abgesehen hat, ein Sachverständigengutachten zum Beweis dafür einzuholen, dass es unmöglich sei, 3 cm lange Blechschrauben aus der Dachluke in der Scheune des Beklagten auf das Silo des Klägers zu werfen, obwohl der Beklagte den entsprechenden Antrag im Schriftsatz vom 2. Mai 2006 in der Berufung und in der ersten Instanz vom 11. Juli 2005 gestellt hat. Das Berufungsgericht durfte nicht aufgrund eigener Sachkunde und Lebenserfahrung zu Lasten des Beklagten die gegenteilige Feststellung treffen.
3
Zwar erfordert die Würdigung eines einfachen Sachverhalts regelmäßig keine spezielle Sachkunde und wird durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht, die jeder im Laufe seines Lebens sammelt. Doch muss die eigene Sachkunde des Richters, die die Einholung eines Sachverständigengutachtens entbehrlich macht, den Parteien bekannt und im Urteil im Einzelnen dargelegt werden (vgl. Senatsurteile vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99 - VersR 2000, 984, 985 und vom 13. Oktober 1970 - VI ZR 34/69 - VersR 1971, 129, 130). Schon daran fehlt es im Streitfall. Das Berufungsgericht legt die zur Beurteilung des streitigen Sachverhalts erforderlichen Kenntnisse nicht im Einzelnen dar, sondern verweist ohne weitere Begründung lediglich auf die eigene Sachkunde und Lebenserfahrung. Die Würdigung des vom Kläger behaupteten Sachverhalts wird aber nicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht, die sich die Richter im Laufe ihres Lebens angeeignet haben mögen. Sie setzt eine physikalische Berechnung unter sachkundiger Berücksichtigung der Gegebenheiten des konkreten Einzelfalls (Gewicht der Schrauben, Entfernung der Giebelluke vom Silo und Wurfmöglichkeiten aus der Luke) voraus. Darauf weist der Beklagte zu Recht hin. Eine solche Berech- nung übersteigt das beim Berufungsgericht gemeinhin zu vermutende Laienwissen.
4
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Beklagtenvorbringens zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre, ist das Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 14.12.2005 - 6 O 4689/05 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 18.07.2006 - 9 U 165/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 65/06
Verkündet am:
23. November 2006
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ist zwischen einem Telefonanschlussinhaber und seinem Teilnehmernetzbetreiber
strittig, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich ein
auf dem Heimcomputer des Anschlussinhabers vorgefundenes
Schadprogramm auf das Telefonentgeltaufkommen ausgewirkt hat, ist
über die widerstreitenden Behauptungen ein Sachverständigengutachten
einzuholen, es sei denn das Gericht verfügt ausnahmsweise über
eigene besondere Sachkunde und legt diese im Urteil und in einem
vorherigen Hinweis an die Parteien dar.
BGH, Urteil vom 23. November 2006 - III ZR 65/06 - LG Stralsund
AG Stralsund
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 23. November 2006 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die
Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Dr. Herrmann

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Stralsund vom 22. Februar 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand


1
Die Klägerin betreibt ein Telekommunikationsnetz für die Öffentlichkeit und stellt ihren Kunden Telefonanschlüsse zur Verfügung. Der Beklagte schloss 1999 mit der Klägerin einen Vertrag über einen ISDN-Anschluss. Diesen verwendeten der Beklagte und seine Angehörigen auch, um mit ihrem Heimcomputer das Internet zu nutzen. Der Zugang hierzu wurde ihnen durch ein anderes Unternehmen verschafft.
2
Unter dem 28. Mai 2001 berechnete die Klägerin dem Beklagten für von ihr hergestellte Verbindungen im Zeitraum vom 18. Februar bis 16. Mai 2001 sowie für die Bereithaltung des Anschlusses insgesamt 2.886,44 DM (= 1.475,81 €). Darin enthalten waren 2.341,90 DM (= 1.197,39 €) für Verbindungen zu mehreren Mehrwertdienstenummern. Diesen Betrag beglich der Beklagte nicht. Auf seinem Rechner wurde bei einer Überprüfung ein Schadprogramm der Kategorie "Backdoor-Explorer 32-Trojan" festgestellt.
3
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, aufgrund dieses Programms sei der Anschein der Richtigkeit der von der Klägerin erstellten Rechnung erschüttert worden. Das Schadprogramm habe, so hat er behauptet, einen Dialer installiert und damit das unbemerkte Anwählen der berechneten Mehrwertdienste verursacht. Dies habe er nicht zu vertreten.
4
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung der strittigen Verbindungsentgelte verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrer von der Vorinstanz zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe


5
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.


6
Dieses hat in seiner in MMR 2006, 487 veröffentlichten Entscheidung ausgeführt, der Anscheinsbeweis für die Richtigkeit der Rechnung der Klägerin sei erschüttert. Das auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene Virus könne dazu geführt haben, dass Nutzerdaten ausgespäht worden seien. Diese hätten dazu missbraucht werden können, um mit den Zugangscodes, die der Beklagte und seine Angehörigen zur Einwahl in das Internet verwendeten, ohne das Zutun und den Willen des Berechtigten das Internet auf Kosten des Anschlussinhabers zu nutzen, vergleichbar mit dem unbefugten Aufschalten einer zweiten Leitung. Dies sei von dem berechtigten Nutzer, der zu Vorkehrungen gegen Computerviren nicht ohne besonderen Anlass verpflichtet sei, nicht zu vertreten.

II.


7
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
8
1. Das angefochtene Urteil beruht, wie die Revision mit Recht rügt, darauf, dass das Berufungsgericht die tatsächlichen Feststellungen, die seiner Entscheidung zugrunde liegen, verfahrensfehlerhaft getroffen hat.
9
a) Das Berufungsgericht durfte nicht ohne weiteres davon ausgehen, das auf dem Heimcomputer vorgefundene Schadprogramm habe dazu führen können , dass unbefugte Dritte unter Ausspähung und anschließender Verwendung der Zugangsdaten des Beklagten über eine virtuelle "zweite Leitung" auf dessen Kosten Mehrwertdienste nutzten sowie Dialer aktivierten und so die strittigen Verbindungsentgelte verursachten. Der Sachvortrag der Parteien bot für diese Annahme keine hinreichende Grundlage.
10
Der Beklagte hat, wie für die erste Instanz auch aufgrund des Tatbestandes des amtsgerichtlichen Urteils feststeht (§ 314 ZPO), in tatsächlicher Hinsicht lediglich behauptet, durch das Schadprogramm sei heimlich ein Dialer installiert worden, der unbemerkt Verbindungen in das Internet über Mehrwertdienstenummern hergestellt habe. Diesen Sachvortrag hat der Beklagte in der Berufungsinstanz schriftsätzlich wiederholt. Dass er darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung weitere Behauptungen über die Wirkungsweise des "Trojaners" aufgestellt hat, ist weder dem Sitzungsprotokoll noch den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsurteils zu entnehmen. Die vom Berufungsgericht angenommene Funktionsweise des Schadprogramms unterscheidet sich wesentlich von derjenigen, die der Beklagte vorgetragen hat. Während ein heimlich installierter Dialer von dem betroffenen Computer aus Internetverbindungen selbsttätig über teure Mehrwertdienstenummern herstellt (vgl. Senatsurteil BGHZ 158, 201), geht das Berufungsgericht, wie es im Einzelnen ausführt, im Gegensatz dazu davon aus, dass der "Trojaner" "nur“ die Internetzugangsdaten des befallenen Rechners ausspäht und es so ermöglicht, auch von anderen Computern aus das Internet auf Kosten des geschädigten Anschlussinhabers zu nutzen. Im ersten Fall wird stets der betroffene Rechner für die Verbindungen verwendet. In der zweiten Fallgestaltung können hingegen andere Computer genutzt werden, wobei ein berechtigter Zugang vorgetäuscht wird.
11
Auch mit dem Vortrag der Klägerin ist die Annahme des Berufungsgerichts nicht in Einklang zu bringen. Diese hat den Behauptungen des Beklagten - insoweit noch in Übereinstimmung mit dem Ausgangspunkt der Vorinstanz - entgegen gehalten, das Schadprogramm habe es lediglich ermöglicht, dass Dritte die auf dem Computer gespeicherten Benutzerdaten ausspähen. Nicht vorgetragen hat die Klägerin hingegen, dass der Missbrauch dieser Daten dazu führen konnte, dass sich die Rechnung für die von der Klägerin hergestellten Verbindungen erhöhte. Vielmehr ergibt sich aus dem Zusammenhang ihrer Ausführungen der Wille der Klägerin, dies zu bestreiten. In der Anspruchsbegründung hat die Klägerin zwar erklärt, über die ausspionierte Zugangsberechtigung hätten auf Kosten des Berechtigten Verbindungen aufgebaut werden können. Dem ist aber - entgegen der Schlussfolgerung der Vorinstanz - nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Klägerin eingeräumt hat, diese Verbindungen würden, wie die hier strittigen, als solche, die sie hergestellt hat, auf der Telefonrechnung erscheinen. Soweit die Behauptungen der Klägerin mehrdeutig waren, hätte die Vorinstanz gemäß § 139 Abs. 1 und 2 ZPO auf die von ihr aus dem Vortrag gezogenen Schlüsse hinweisen und Gelegenheit zu dessen Präzisierung geben müssen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87 - juris Rn. 13, insoweit nicht in NJW-RR 1988, 1373 f abgedruckt).
12
Die Klägerin hätte, wie sie mit der Revision geltend macht, auf einen solchen Hinweis vorgetragen und unter Sachverständigenbeweis gestellt, das Ausspähen der Benutzerdaten hätte allenfalls ermöglicht, dass sich der unberechtigte Nutzer auf Kosten des Anschlussinhabers bei dem Unternehmen, das diesem den Zugang zum Internet verschafft (Access-Provider), einwählt. Dies hätte bewirkt, dass sich die vom Provider abgerechneten, auf der Telefonrechnung der Klägerin gesondert ausgewiesenen Kosten erhöht hätten, nicht aber - wie hier - das Entgelt für die von der Klägerin hergestellten 0190-Verbindungen. Das Berufungsgericht hätte, wenn es diesen Vortrag, wie geboten, berücksichtigt hätte, zu den unterschiedlichen Behauptungen der Parteien Beweis erheben müssen (dazu auch sogleich b). http://www.juris.de/jportal/portal/t/8sv/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=21&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE309119500&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/8sv/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=21&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE309119500&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint [Link] http://www.juris.de/jportal/portal/t/8sv/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=21&fromdoctodoc=yes&doc.id=KORE309119500&doc.part=K&doc.price=0.0#focuspoint - 7 -
13
b) Das Berufungsgericht hätte, wie die Revision ebenfalls zutreffend rügt, überdies nicht ohne vorherige Einholung eines Sachverständigengutachtens davon ausgehen dürfen, der auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene "Trojaner" habe, vergleichbar mit einer zweiten Leitung, das strittige erhöhte Entgeltaufkommen verursachen können. Die Annahme der Vorinstanz beruht auf einer technischen Schlussfolgerung aus dem Vortrag der Klägerin. Diesen Schluss durfte das Berufungsgericht nicht aus eigener Sachkompetenz ziehen. Es hätte die Stellung eines entsprechenden Beweisantrags anregen oder die Beweisanordnung gegebenenfalls von Amts wegen (§ 144 Abs. 1 ZPO) treffen müssen.
14
Es ist zwar grundsätzlich dem pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters überlassen, ob er seine eigene Sachkunde für ausreichend erachtet und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens absieht (vgl. z.B. BGH, Urteil vom 21. März 2000 - VI ZR 158/99 - NJW 2000, 1946, 1947). Die Grenze seines Ermessens hat das Berufungsgericht jedoch nicht eingehalten. Die Würdigung eines nicht einfachen technischen Sachverhalts, wie die Beurteilung , in welcher Weise das auf dem Rechner des Beklagten vorgefundene Schadprogramm wirkt und ob es das umstrittene Entgeltaufkommen verursachen konnte, setzt besondere computertechnische Kenntnisse voraus und wird nicht schon durch die Kenntnis allgemeiner Erfahrungssätze ermöglicht (Ernst CR 2006, 590, 594). Der Tatrichter kann, wenn es um die Beurteilung einer Fachwissen voraussetzenden Frage geht, auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur verzichten, wenn er entsprechende eigene besondere Sachkunde auszuweisen vermag (z.B.: BGHZ 159, 254, 262; BGH, Urteile vom 17. Oktober 2001 - IV ZR 205/00 - NJW-RR 2002, 166, 167 und vom 14. Februar 1995 - VI ZR 106/94 - NJW 1995, 1619 jew. m.w.N.). Eigenes computer- technisches Fachwissen hat das Berufungsgericht jedoch weder in dem Urteil noch, wie es außerdem geboten gewesen wäre (vgl. MünchKommZPO/Damrau , ZPO, 2. Aufl., § 402 Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 402 Rn. 7), in einem vorherigen Hinweis an die Parteien dargetan.
15
2. Da die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 und 3 ZPO).
Schlick Wurm Streck
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
AG Stralsund, Entscheidung vom 08.08.2005 - 91 C 114/04 -
LG Stralsund, Entscheidung vom 22.02.2006 - 1 S 237/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 321/02 Verkündet am:
19. Februar 2003
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
Will eine Prozeßpartei ein ihr ungünstiges Sachverständigengutachten angreifen
, so ist sie grundsätzlich weder aufgrund ihrer Substantiierungslast
noch aufgrund ihrer allgemeinen Prozeßförderungspflicht verpflichtet, ein Privatgutachten
einzuholen (hier: ungerechtfertigte Nichtzulassung eines Privatgutachtens
im Berufungsverfahren).
BGH, Urteil vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02 - OLG Oldenburg
LG Aurich
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter
Seiffert und Dr. Schlichting, die Richterinnen Ambrosius und
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Februar 2003

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 20. März 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Revisionsverfahren werden nicht erhoben.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der beklagten Versicherungsgesellschaft , bei der sie seit 1987 eine Gruppenunfallversicherung unterhält, zugunsten eines ihrer Geschäftsführer (im folgenden: der Versicherte) die für 100%ige Invalidität vereinbarte Versicherungssumme von

750.000 DM (abzüglich einer bereits geleisteten Zahlung von 75.000 DM).
Der Versicherte war neben seinem Bruder Mitgeschäftsführer der Klägerin, die ein Fuhrunternehmen betreibt, war aber nach seinen Angaben mit 80% seiner Arbeitskraft als Fernfahrer tätig und führte zu 20% kleine Reparaturen an den Lastkraftwagen aus. Am 3. August 1997 erlitt er durch einen Autounfall einen Verrenkungsbruch der Halswirbelsäule. Als Dauerschaden behielt der Versicherte eine Einschränkung der Beweglichkeit des rechten Armes zurück. Die Parteien streiten darüber, ob er daneben weitere bleibende Gesundheitsschäden davongetragen hat und wie hoch gegebenenfalls der Grad seiner Invalidität anzusetzen ist. Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen UB 86 der Beklagten zugrunde; die einschlägige Regelung in Teil 2 § 8 dieser Bedingungen entspricht § 8 AUB 61. § 8 II (2) - (4) AUB 61 enthalten die sogenannte Gliedertaxe nebst ergänzenden Bestimmungen. § 8 II (5) lautet: "Soweit sich der Invaliditätsgrad nach Vorstehendem nicht bestimmen läßt, wird bei der Bemessung in Betracht gezogen , inwieweit der Versicherte imstande ist, eine Tätigkeit auszuüben, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines Berufs zugemutet werden kann." Die Beklagte erbrachte auf die von der Klägerin verlangte Invaliditätsentschädigung Vorschußzahlungen von 75.000 DM. Diese Summe entspricht einem Invaliditätsgrad von 30%. Weitere Zahlungen lehnte die Beklagte ab. Daraufhin hat die Klägerin mit der Begründung, der Versicherte sei nach § 8 II (5) der Bedingungen vollständig arbeits- und be-

rufsunfähig, Klage auf Zahlung des Restbetrages für 100%ige Invalidität erhoben.
Das Landgericht hat die Klage unter Bezugnahme auf ein von ihm eingeholtes arbeitsmedizinisches Gutachten des Sachverständigen Dr. D. , wonach der Kläger noch als Linienbusfahrer arbeiten kann, durch Urteil vom 28. September 2001 abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, die im Berufungsverfahren ein privates Gegengutachten vorgelegt hat, ist vom Berufungsgericht, das dieses Privatgutachten als verspätet angesehen und deshalb nicht zugelassen hat, zurückgewiesen worden. Hiergegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Klägerin.

Entscheidungsgründe:


Die Verfahrensrüge der Revision ist begründet. Das Berufungsgericht hat das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten zu Unrecht als verspätet zurückgewiesen.
I. Das Berufungsgericht hat sein die Klageabweisung bestätigendes Urteil wie folgt begründet: Die Klägerin habe keinen über den von der Beklagten bereits vorprozessual gezahlten Betrag hinausgehenden Anspruch auf Invaliditätsentschädigung für den Versicherten. Da es insoweit um seine Arbeitsunfähigkeit nach § 8 II (5) AUB 61 gehe, die ausscheide , wenn er nicht mehr seinem bisherigen Beruf, wohl aber noch einer anderen zumutbaren Tätigkeit nachgehen könne, müsse er sich die

Feststellung des im ersten Rechtszug eingeholten arbeitsmedizinischen Sachverständigengutachtens entgegenhalten lassen, daß er vollschichtig als Linienbusfahrer arbeiten könne. Das von der Klägerin im Berufungsverfahren vorgelegte Privatgutachten, wonach der Versicherte aus neurologischer Sicht weder als LKW-Fahrer noch als Linienbusfahrer tätig sein dürfe, hätte zwar, wenn es zu berücksichtigen gewesen wäre, die Einholung eines Obergutachtens erforderlich gemacht. Das Privatgutachten könne jedoch wegen Verspätung nicht zugelassen werden. Die Klägerin hätte es schon im Verfahren vor dem Landgericht vorlegen müssen. Nach Erhalt des überzeugenden schriftlichen Gerichtsgutachtens hätte sie nicht darauf vertrauen dürfen, daß allein durch ihre kritische Stellungnahme zu diesem Gutachten und die Anhörung des Sachverständigen ein für sie günstigeres Ergebnis der Beweisaufnahme zu erreichen sein werde. Es habe sich ihr vielmehr aufdrängen müssen, daß sie, um einen nachteiligen Prozeßausgang zu vermeiden, bis zur Anhörung des Sachverständigen entweder ein weiteres Gutachten vorlegen oder aber - eventuell nach Einholung sachverständigen Rates - hätte substantiiert vortragen müssen, daß der neurologische Aspekt im Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen nicht hinreichend beachtet worden sei (§ 282 Abs. 1 ZPO, § 528 Abs. 2 ZPO a.F.). Darüber hinaus habe die Klägerin das Privatgutachten auch im Berufungsverfahren verspätet , nämlich erst im Anschluß an ihre Berufungsbegründung und nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingereicht (§§ 527, 519, 296 Abs. 1 ZPO a.F.). Es entschuldige sie nicht, daß ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter sich erst nach der persönlichen Besprechung mit dem Versicherten, die er zwei Monate nach der Zustellung des landgerichtlichen Urteils geführt und in der er erstmals einen eigenen Eindruck vom schlechten Gesundheitszustand des Versicherten gewonnen habe,

für die Einholung eines Privatgutachtens entschieden habe. Denn der Klägerin selbst, nicht etwa ihrem Berufungsanwalt, sei vorzuwerfen, daß sie zwei Monate lang keine Aktivitäten im Hinblick auf die Erlangung eines weiteren Gutachtens entfaltet habe.
II. Die Nichtzulassung des Privatgutachtens hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dem Berufungsgericht ist damit ein Verfahrensfehler unterlaufen. Der Klägerin kann weder für den ersten noch für den zweiten Rechtszug vorgeworfen werden, daß sie das Privatgutachten früher hätte vorlegen müssen.
1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Verstoß der Klägerin gegen ihre Prozeßförderungspflicht im erstinstanzlichen Verfahren angenommen (§ 528 Abs. 2 ZPO a.F. i.V. mit § 282 Abs. 1 ZPO). Nach § 528 Abs. 2 ZPO a.F. sind im Berufungsverfahren unter anderem neue Angriffs - und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszug entgegen § 282 Abs. 1 ZPO a.F. nicht rechtzeitig vorgebracht worden sind, nur zuzulassen , wenn die Partei das Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat. § 282 Abs. 1 ZPO verpflichtet die Parteien, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel so zeitig vorzubringen, wie es nach der Prozeßlage einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozeßführung entspricht. Die Klägerin hat schon objektiv nicht gegen diese Prozeßförderungspflicht verstoßen. Denn sie brauchte im ersten Rechtszug auch nach Erhalt des für sie ungünstigen Gerichtsgutachtens kein Privatgutachten vorzulegen.


a) Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Einwendungen der Klägerin gegen das Gerichtsgutachten seien ohne die Beifügung eines Privatgutachtens oder die Wiedergabe eingeholten sachverständigen Rates nicht substantiiert gewesen, steht nicht mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Einklang. Ein Privatgutachten ist substantiierter Parteivortrag. Deshalb ist aber der Parteivortrag zu fachspezifischen , insbesondere medizinischen Fragen nicht unsubstantiiert, falls er nicht durch ein beigefügtes Privatgutachten untermauert wird. Wenn eine Partei nur geringe Sachkunde hat, dürfen weder an ihren klagebegründenden Sachvortrag noch an ihre Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten hohe Anforderungen gestellt werden, sondern darf sie sich auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken. Das gilt insbesondere hinsichtlich medizinischer Fragen (vgl. nur Urteile vom 19. Mai 1981 - VI ZR 220/79 - VersR 1981, 752 unter II 1 und vom 10. Januar 1995 - VI ZR 31/94 - BGHR ZPO § 138 Abs. 1 Darlegungslast

4).



b) Die Klägerin brauchte auch nicht etwa über ihre somit hinreichend substantiierte Kritik an dem gerichtlichen Gutachten hinaus weitergehende , zusätzliche Maßnahmen zu ergreifen. Insbesondere brauchte sie keinen Privatgutachter zu konsultieren, um vorbeugend der Gefahr entgegenzuwirken, daß das Gericht dem Gerichtssachverständigen trotz ihrer Einwendungen folgen werde. Das Berufungsgericht hat mit seiner gegenteiligen Ansicht die Prozeßförderungspflicht über die Grenzen des § 282 Abs. 1 ZPO hinaus überspannt.
2. Aber auch die vom Berufungsgericht weiter herangezogenen §§ 527, 519, 296 Abs. 1 ZPO a.F., wonach ein im Berufungsverfahren

verspätet vorgebrachtes Angriffs- oder Verteidigungsmittel nur zuzulassen ist, wenn es die Erledigung nicht verzögern würde oder wenn die Verspätung genügend entschuldigt ist, tragen die Nichtzulassung des Privatgutachtens nicht.
Das Privatgutachten ist beim Berufungsgericht zwar objektiv verspätet eingegangen, nämlich erst nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist. Nach § 519 Abs. 3 Ziff. 2 ZPO a.F. muß bereits die Berufungsbegründung die im einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie die neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden, die die Partei zur Rechtfertigung ihrer Berufung anzuführen hat, bezeichnen.
Jedoch trifft die Klägerin - und nur ihr, nicht etwa ihrem zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten, wirft das Berufungsgericht ein Versäumnis vor - an der objektiven Verspätung des Privatgutachtens kein Verschulden. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin selbst hätte von sich aus unmittelbar nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils Aktivitäten im Hinblick auf die Erlangung eines privaten Sachverständigengutachtens entfalten müssen, also schon bevor ihr zweitinstanzlicher Prozeßbevollmächtigter seine Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung abgeschlossen hatte, beruht auf einem zu strengen Maßstab für das in § 296 Abs. 1 ZPO a.F. vermutete Versäumnisverschulden der Partei. Zu folgen ist vielmehr der Auffassung der Revision, daß die Partei, die einen Rechtsanwalt mit der Prüfung der Erfolgsaussichten eines Berufungsverfahrens beauftragt, keine Eigeninitiative zu entfalten braucht, solange die Prüfung der Erfolgsaussicht nicht abgeschlossen ist, und daß sie auch nach Vorlage des Gutachtens über die Erfolgsaus-

sichten der Berufung nur solche Aktivitäten entfalten muß, die der Prozeßbevollmächtigte zweiter Instanz ihr zu entfalten anrät. Zutreffend weist die Revision darauf hin, daß eine vorauseilende Eigeninitiative für die Partei nicht zumutbar ist, die gerade deshalb, um die Erkenntnis zu gewinnen, ob und gegebenenfalls in welcher Form und aus welchen Gründen ein landgerichtliches Urteil angreifbar ist, den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten mit einer Prüfung der Erfolgsaussicht beauftragt hat. Das Recht der Partei, das Ergebnis dieser Aussichtenprüfung abzuwarten, ergibt sich auch aus dem Sinn und Zweck des Anwaltszwanges , der, soweit er sich auf die Partei bezieht, im Verfahrensund Gefahrenschutz, in der Warn- und Beratungsfunktion besteht (Zöller /Vollkommer, ZPO 23. Aufl. § 78 Rdn. 2). Es wäre widersinnig, einerseits der Partei die anwaltliche Beratung aufzuzwingen und andererseits dann aber von ihr zu verlangen, daß sie dem Rechtsanwalt durch eine unberatene Eigeninitiative zuvorkommt.
Damit erweist sich als unberechtigt auch der Vorwurf des Berufungsgerichts , wenn erst der persönliche Eindruck vom Gesundheitszustand des Versicherten dazu führen konnte, Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsgutachtens aufkommen zu lassen, hätte die Klägerin ihrem Prozeßbevollmächtigten zweiter Instanz entweder den Zustand des Versicherten rechtzeitig eindringlicher schildern oder aber von sich aus dafür Sorge tragen müssen, daß ein persönliches Gespräch eher zustande kam. Auch ein solches Verhalten hätte eine eigene Vorwegnahme der rechtlichen Beurteilung des Falles vorausgesetzt, nämlich die Einsicht, daß das landgerichtliche Urteil keinen anderen Angriffspunkt als die in der Übernahme des Gerichtsgutachtens bestehende Beweiswürdigung bot.

3. Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache zu- rückzuverweisen, damit das Berufungsgericht ein Obergutachten über die neurologischen Gesichtspunkte und gegebenenfalls über die Frage einholt, ob der Kläger noch als Linienbusfahrer berufstätig sein kann. Das Gutachten hat sich nach den medizinischen Erkenntnismöglichkeiten zu richten, die spätestens drei Jahre nach dem Unfall gegeben waren (BGH, Urteil vom 13. April 1988 - IVa ZR 303/86 - VersR 1988, 798).
Der Einwand der Beklagten, § 8 II (5) AUB 61 sei von vornherein nicht einschlägig, ist nicht begründet. Die Behauptung der Beklagten, der Kläger mache nur ein Wegknicken des rechten Fußes und damit lediglich eine teilweise Gebrauchsunfähigkeit des rechten Fußes bzw. Beines geltend, die ausschließlich nach der Gliedertaxe zu bewerten sei, trifft nicht zu. Der Kläger hat schon im ersten Rechtszug außer dem zeitweisen Kontrollverlust über das rechte Bein verschiedene Taubheitsgefühle und eine Störung der Harnentleerung angeführt. Im zweiten Rechtszug hat er dann unter Berufung auf das Privatgutachten eine Spastik im Bereich der ganzen rechten Körperhälfte, gravierende Sensibilitätsstörungen mit eingeschränkter Gang- und Trittsicherheit, eine Störung der Urogenitalfunktionen und die gefährliche Empfindlichkeit der verplatteten

Bruchstelle in der Halswirbelsäule geltend gemacht. Diese Beeinträchtigungen - die er beweisen muß - lassen sich nicht mit der Gliedertaxe erfassen.

Seiffert Dr. Schlichting Ambrosius
Dr. Kessal-Wulf Felsch

(1) Der Versicherer muss die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend gemachte Recht begründet, Kenntnis erlangt. Der Versicherer hat bei der Ausübung seiner Rechte die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt; er darf nachträglich weitere Umstände zur Begründung seiner Erklärung angeben, wenn für diese die Frist nach Satz 1 nicht verstrichen ist.

(2) Im Fall eines Rücktrittes nach § 19 Abs. 2 nach Eintritt des Versicherungsfalles ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, die Verletzung der Anzeigepflicht bezieht sich auf einen Umstand, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet.

(3) Die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 erlöschen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss; dies gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt, beläuft sich die Frist auf zehn Jahre.