Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05

bei uns veröffentlicht am14.06.2006
vorgehend
Landgericht Leipzig, 5 O 3776/04, 30.11.2004
Oberlandesgericht Dresden, 10 U 2308/04, 03.03.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 18/05
vom
14. Juni 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
_____________________
Ist die Frist zur Berufungsbegründung richtig errechnet und deren Eintragung
im Fristenkalender des Anwaltsbüros in der Handakte als erledigt notiert,
muss der Anwalt die Eintragung im Fristenkalender nicht noch persönlich überprüfen.
BGH, Beschluss vom 14. Juni 2006 - IV ZB 18/05 - OLG Dresden
LG Leipzig
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke
am 14. Juni 2006

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. März 2005 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
Streitwert: 106.885,07 €

Gründe:


1
I. Die Kläger verlangen von der Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 106.885,07 €. Das Landgericht hat die Klage ab- gewiesen. Gegen das am 2. Dezember 2004 zugestellte Urteil wurde rechtzeitig Berufung eingelegt. Begründet wurde sie jedoch erst mit einem am 7. Februar 2005 eingegangenen Schriftsatz, in dem zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die am 2. Februar 2005 abgelaufene Frist zur Berufungsbegründung beantragt wurde.
2
Die Kläger haben vorgetragen, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten habe die erfahrene und bewährte Bürovorsteherin nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist sowie die jeweils dazugehörigen Vorfristen zutreffend errechnet und auf einem an die Urteilsausfertigung gehefteten Zettel notiert. Diese Fristen seien zugleich in den Fristenkalender eingetragen worden mit Ausnahme der Berufungsbegründungsfrist, deren Eintragung aus unerklärlichen Gründen unterblieben sei. Auf dem Zettel, der an die Urteilsausfertigung in der Handakte geheftet war, sei jedoch die am 2. Februar 2005 ablaufende Berufungsbegründungsfrist zum Zeichen ihrer Eintragung in den Fristenkalender mit einem Haken und dem Zusatz "not." versehen worden. Diesen Sachverhalt hat die Bürovorsteherin an Eides statt versichert. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat weiter vorgetragen, er sei vom 24. bis 28. Januar 2005 in Urlaub gewesen; da die Vorfrist zur Berufungsbegründung am 26. Januar 2005 ablief, habe er die Berufung schon vor seinem Urlaub begründet und den Entwurf der Berufungsbegründung den Klägern zur Stellungnahme bis zum 31. Januar 2005 mit dem Hinweis übersandt, dass die Endfassung am 2. Februar 2005 bei Gericht sein müsse. Am 1. Februar sei die Antwort der Kläger in seiner Kanzlei eingegangen. Dass die Endfassung dann nicht am 2. Februar an das Berufungsgericht gefaxt worden sei, habe einzig daran gelegen, dass diese Frist nicht im Fristenbuch eingetragen gewesen sei. Das Fristversäumnis sei wegen der Aufarbeitung des urlaubsbedingten Arbeitsrückstaus erst am 7. Februar 2005 aufgefallen.
3
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Dagegen haben die Kläger rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt.
4
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.
5
1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden bei der Überwachung seiner Bürovorsteherin vorzuwerfen sei. Jedenfalls habe er seine Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung der richtigen Eintragung des Fristendes in Bezug auf die Berufungsbegründungsfrist verletzt. Die Handakte habe ihm aufgrund der zum 26. Januar 2005 notierten Vorfrist nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am Montag, dem 31. Januar 2005, vorgelegen. Wenn er die Bearbeitung bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am Mittwoch, dem 2. Februar 2005, habe zurückstellen wollen, habe er die Eintragung dieser Frist durch seine Bürovorsteherin im Fristenkalender kontrollieren müssen. Hätte er dies getan, wäre ihm aufgefallen, dass das Ende der Berufungsbegründungsfrist überhaupt nicht im Kalender eingetragen war. Dadurch hätte die Fristversäumnis vermieden werden können.

6
2. Mit dieser Rechtsauffassung weicht das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Danach hat der Rechtsanwalt zwar die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Bearbeitung wegen einer fristgebundenen Prozesshandlung wie hier vorgelegt werden. Diese Pflicht erstreckt sich auch darauf, ob das (zutreffend errechnete ) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Dabei kann sich der Rechtsanwalt jedoch grundsätzlich auf eine Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken. Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender wie hier ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich insoweit keine Zweifel auf, braucht er nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 1971 - V ZB 7/71 - VersR 1971, 1125 unter 1; Urteil vom 1. Juli 1976 - III ZR 88/75 - VersR 1976, 1154 unter II; Beschlüsse vom 14. Oktober 1987 - VIII ZB 16/87 - unter II 2 a und b, dokumentiert in juris; vom 22. Januar 1997 - XII ZB 195/96 - VersR 1997, 598 unter 1; vom 21. April 2004 - XII ZB 243/03 - FamRZ 2004, 1183 unter II 1 und 2; vom 1. Dezember 2004 - XII ZB 164/03 - FamRZ 2005, 435 unter II 3; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 233 Rdn. 23 zum Stichwort Fristenbehandlung; Born, NJW 2005, 2042, 2046). Wollte man dem Berufungsgericht folgen, würde die zulässige Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend sinnlos, wie die Rechtsbeschwerde mit Recht hervorhebt.
7
3. Eine andere Rechtsauffassung ist auch dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. November 2002 (VI ZB 40/02 - NJW 2003, 437 unter II 3 b) nicht zu entnehmen, auf den sich das Berufungsgericht stützt. Soweit es dort heißt, dass dem Rechtsanwalt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Prüfungspflicht der Widerspruch zwischen dem von ihm persönlich bestimmten und in den Handakten notierten und dem im Fristenkalender festgehaltenen Fristende offenkundig geworden wäre, ergibt sich aus der Entscheidung nicht, dass sich in den Handakten neben dem vom Rechtsanwalt errechneten Fristende ein Vermerk befunden hätte, wonach die neue Frist auch im Fristenbuch notiert sei. Anders als im vorliegenden Fall kann es auch dann liegen, wenn der Rechtsanwalt die zur Vorfrist vorgelegte Akte nicht auf den Ablauf der Hauptfrist und deren Eintragung im Fristenbuch prüft, sondern mehrere Tage bis kurz vor dem Ende der Hauptfrist unbearbeitet lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999 - IX ZB 32/99 - NJW 1999, 2680 unter II 2). Hier fiel der Ablauf der Vorfrist in die Urlaubszeit; der Prozessbevollmächtigte der Kläger hatte die Berufungsbegründung deshalb schon vor Antritt seines Urlaubs entworfen und den Klägern zur Stellungnahme mit dem Hinweis zugesandt, der Schriftsatz müsse in der Endfassung am 2. Februar 2005 bei Gericht sein. Darin kommt zum Ausdruck, dass er den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist überprüft hatte, der ausweislich der Handakte auch im Fristenbuch vermerkt war.
8
III. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Bedenken des Berufungsgerichts gegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand greifen nicht durch. Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein sonstiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger erkennbar , insbesondere bei der Organisation der Fristenkontrolle (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02 - NJW 2003, 1815 unter II 3 a-c) oder bei der Überwachung der Bürovorsteherin. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat ergänzend vorgetragen und eides- stattlich versichert, etwa zweimal pro Woche prüfe jeder in seiner Kanzlei tätige Anwalt stichprobenartig nach, ob die in den Handakten als notiert abgehakten Fristen auch tatsächlich im Fristenbuch eingetragen seien; Beanstandungen hätten sich bisher nie ergeben. Es fehlt danach jeder Anhalt dafür, dass die Bürovorsteherin die Erledigung in der Handakte etwa auch in anderen Fällen vor oder nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Eintragung im Fristenbuch vermerkt hätte (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 aaO unter II 3 d).
9
Mithin haben die Kläger glaubhaft gemacht, dass die Frist zur Berufungsbegründung ohne eigenes oder ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist. Daher war ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Damit wird der angegriffene Beschluss des Berufungsgerichts, soweit darin die Berufung als unzulässig verworfen wird, gegenstandslos.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Leipzig, Entscheidung vom 30.11.2004 - 5 O 3776/04 -
OLG Dresden, Entscheidung vom 03.03.2005 - 10 U 2308/04 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

Zivilprozessordnung - ZPO | § 85 Wirkung der Prozessvollmacht


(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie

Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 40/02
vom
5. November 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
ZPO § 233 B, Fa; § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2
Der Rechtsanwalt, dem die Handakten zur Anfertigung der Berufungsbegründung
vorgelegt werden, hat eigenverantwortlich die Berufungsbegründungsfrist zu prüfen.
BGH, Beschluß vom 5. November 2002 - VI ZB 40/02 - OLG Frankfurt am Main
LG Wiesbaden
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2002 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 24. April 2002 wird auf Kosten der Klägerin als unzulässig verworfen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 5.219,62

Gründe:

I.

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz für Grundstücksbeeinträchtigungen. Nachdem das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, hat sie das Oberlandesgericht dem Grunde nach zugesprochen und die Sache hinsichtlich der Schadenshöhe an das Landgericht zurückverwiesen. Mit Urteil vom 4. Januar 2002 hat das Landgericht die Klage erneut abgewiesen. Gegen das ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 8. Januar 2002 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit Schriftsatz ihres in zweiter Instanz bevollmächtigten Rechtsanwaltes vom 6. Februar 2002, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung ist am 7. März 2002 bei Gericht eingegangen. Mit Verfügung vom 8. März 2002, den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin zugestellt am 13. März 2002, hat der Senatsvorsitzende auf die Verspätung hingewiesen. Die Klägerin hat mit dem am 19. März
2002 eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozeßbevollmächtigten Wiedereinset- zung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und vorgetragen, die im Büro ihrer Prozeßbevollmächtigten tätige Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte M. habe wegen der zum 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Änderung der Zivilprozeßordnung irrtümlich den Ablauf der Begründungsfrist auf 8. März 2002 im Fristenbuch notiert. Nach Rücksprache mit dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin sei sie angewiesen worden, den 6. März 2002 als Fristende einzutragen. Dies habe Frau M. versehentlich unterlassen. Von einer anderen Angestellten sei am 6. März 2002 der Berufungsbegründungsschriftsatz fertig gemacht und am 7. März 2002 bei Gericht eingereicht worden. Das Oberlandesgericht hat mit dem angefochtenen Beschluß die Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde, die sie wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache, zur Fortbildung des Rechts und zur Wahrung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig erachtet. Sie macht geltend, die in dem angefochtenen Beschluß aufgestellten Sorgfaltsanforderungen an den Rechtsanwalt seien überspannt und die besonderen Umstände des vorgetragenen Sachverhalts nicht hinreichend berücksichtigt worden.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 574 Abs. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt der Sache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 574 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Entscheidung erhebliche Rechtsfrage klärungsbedürftig ist, die sich allgemein, in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellt (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - NJW 2002, 3029; Zöller /Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 543 Rdn. 11). Das ist vorliegend nicht der Fall. Zur Frage, welche Sorgfaltspflichten den Rechtsanwalt bei der Kontrolle der Rechtsmittelfristen treffen, hat sich der Bundesgerichtshof bereits in einer Vielzahl von Entscheidungen geäußert. Danach hat der Rechtsanwalt bei fristgebundenen Handlungen, so auch bei der Einreichung der Berufungsbegründung bei Gericht, den Fristablauf eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der betreffenden Prozeßhandlung vorgelegt wird (Senatsbeschlüsse vom 5. März 2002 - VI ZR 286/01 - VersR 2002, 637; vom 19. Juni 2001 - VI ZB 22/01 - VersR 2001, 1400 f.; vom 4. April 2000 - VI ZR 309/99 - BRAK-Mitt 2000, 287, 288; vom 11. Februar 1992 - VI ZB 2/92 - NJW 1992, 1632; vom 19. Februar 1991 - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269,1270; vom 1. Juni 1976 - VI ZB 23/75 - VersR 1976, 962, 963 und vom 2. November 1976 - VI ZB 7/76 - VersR 1977, 255; BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 1980 - VII ZB 2/80 - VersR 1980, 976, 977; vom 25. März 1985 - II ZB 2/85 - VersR 1985, 552 und vom 11. Dezember 1991 - VIII ZB 38/91 - VersR 1992, 1153). Ob der Rechtsanwalt die Sorgfaltsanforderungen beachtet hat, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Dementsprechend hat das Berufungsgericht im vorliegenden Fall aufgrund der Würdigung der konkreten Einzelfallumstände einen Sorgfaltsverstoß des Klägervertreters bejaht. Eine abstrakte , der Verallgemeinerung zugängliche Rechtsfrage wirft der Fall nicht auf.
2. Auch zur Rechtsfortbildung ist eine höchstrichterliche Entscheidung nicht geboten (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 ZPO). Diese ist nur erforderlich, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (vgl. BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - aaO; Zöller/Greger aaO, § 543 Rdn. 12). Die Klägerin zeigt nicht auf, daß der Fall eine verallgemeinerungsfähige rechtliche Frage aufwirft, für deren rechtliche Beurteilung eine richtungsweisende Orientierungshilfe ganz oder teilweise fehlt. 3. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes auch nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
a) Der von der Klägerin aufgezeigte Unterschied des dem vorliegenden Fall zugrundeliegenden Sachverhalts zu dem, der dem Senatsbeschluß vom 19. Februar 1991 (- VI ZB 2/91 - aaO) zugrunde lag, begründet keine rechtliche Divergenz. Eine solche ist nur dann in Betracht zu ziehen, wenn nach den Darlegungen des Beschwerdeführers der angefochtenen Entscheidung ein Rechtssatz zugrundeliegt, der von einem die Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts, eines anderen Spruchkörpers desselben Gerichts oder eines anderen gleichgeordneten Gerichts abweicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02 - VersR 2002, 1257 und vom 4. Juli 2002 - V ZB 75/02 - NJW 2002, 2957). Die Klägerin beruft sich auf Unterschiede in den jeweiligen Sachverhalten. Sie legt aber nicht dar, daß die angefochtene Entscheidung bei gleichgelagerten tatsächlichen Umständen ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist eine höchstrichterliche Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch nicht deshalb geboten, weil das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft einen zu strengen Sorgfaltsmaßstab zugrundegelegt und die besonderen Umstände nicht hinreichend berücksichtigt hätte. Zwar käme die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO in Frage, wenn der Klägerin mit der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrages der Zugang zu der ihr nach der Zivilprozeßordnung eingeräumten Berufungsinstanz in unzumutbarer und aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert würde (vgl. BVerfG 44, 302, 305 f.; 69, 381, 385; BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02 - aaO). Bei der Auslegung der Vorschriften über die schuldhafte Fristversäumnis und die Wiedereinsetzung dürfen deshalb die Anforderungen nicht überspannt werden (vgl. BVerfGE 44, aaO; 62, 334, 336; 69, aaO). Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht aber im vorliegenden Fall nicht verstoßen. Das Berufungsgericht hat zu Recht verlangt, daß der Prozeßbevollmächtigte die Frist eigenverantwortlich bei Vorlage der Handakten zur Anfertigung der Berufungsbegründung zu prüfen hatte (Senat, Beschlüsse vom 14. Januar 1997 - VI ZB 24/96 - VersR 1997, 598; vom 10. Dezember 1996 - VI ZB 16/96 - VersR 1997, 507 f. und vom 19. Januar 1991 - VI ZB 2/91 - VersR 1991, 1269). Bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Prüfungspflicht wäre der Widerspruch zwischen dem von ihm persönlich bestimmten und in den Handakten notierten und dem im Fristenkalender festgehaltenen Fristende offenkundig geworden, bevor es zu einer Fristversäumnis kommen konnte.
c) Die Rechtsbeschwerde ist auch nicht wegen der behaupteten Verfahrensverstöße gegen die richterliche Hinweispflicht zuzulassen, um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu sichern. Selbst wenn die Rügen der Klägerin berechtigt wären, ist nicht dargelegt, daß die Interessen der Allgemeinheit über den Einzelfall hinaus nachhaltig berührt werden, weil etwa dadurch schwer er-
trägliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen oder das Berufungsgericht in ständiger Praxis die höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Hinweispflichten nicht berücksichtigt und dem Rechtsfehler deshalb eine „symptomatische“ Bedeutung zukommt (vgl. BGH, Beschluß vom 29. Mai 2002 - V ZB 11/02 - aaO). 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.