Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Okt. 2017 - 5 StR 364/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:121017B5STR364.17.0
bei uns veröffentlicht am12.10.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 364/17
vom
12. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:121017B5STR364.17.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. Oktober 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 18. April 2017 im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte wahrscheinlich seit 2011, aber auf jeden Fall seit 2015 an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ (ICD-10: F 60.30). Wegen psychischer Störungen , zunächst wegen Angststörungen, war er seit 2010/2011 wiederholt in Behandlung eines niedergelassenen Psychiaters, der bei ihm eine schwere Depression diagnostizierte und ihn medikamentös therapierte. Im Jahr 2008 fiel der Angeklagte erstmals durch Gewalttätigkeiten gegen seine mittlerweile geschiedene Ehefrau auf. Wegen weiterer gewalttätiger Übergriffe im Mai 2009 und im Januar 2010 sowie auch nach der Trennung ihr gegenüber geäußerter Beleidigungen und Bedrohungen wurde er im Jahr 2014 unter anderem wegen Körperverletzung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeitsstö- rung, die sich dahin auswirkt, „dass sich der Angeklagte, gegebenenfalls auch aus nichtigem Anlass, in eine kaum mehr beherrschbare Spirale an Aggression hineinsteigert“ (UA S. 9), beging er die beiden Anlasstaten:
3
Im August 2015 griff er zunächst verbal eine Mitarbeiterin der städtischen Verkehrsüberwachung an, die den verbotswidrig und behindernd geparkten Pkw eines Bekannten des Angeklagten abschleppen lassen wollte. Dann „schrie der wild gestikulierende Angeklagte nur noch unverständlich herum“ und stieß die Zeugin gegen die Schulter. Er beruhigte sich nicht, als drei uniformierte Polizeibeamte eintrafen. Gegen einen Platzverweis setzte er sich brüllend zur Wehr. Als ein Polizist ihn wegzuführen versuchte, schlug er mit der Faust nach diesem. Weiteren Beamten gelang es, dem sich heftig wehrenden Angeklagten Handschellen anzulegen und ihn in einen Streifenwagen zu bringen. Auf der Fahrt zur Dienststelle trat er um sich, wobei zwei der ihn begleitenden Polizeibeamten leicht, ein weiterer erheblich verletzt wurden.
4
Im April 2016 griff der Angeklagte einen Bruder seiner früheren Ehefrau sowie deren neuen Lebensgefährten an. Er konnte die Trennung von seiner Ehefrau nicht überwinden und war verärgert darüber, dass ihre Familie ihre neue Beziehung zu G. billigte. Am Tattag brachte er in Erfahrung, dass sich Teile ihrer Familie und ihr neuer Lebensgefährte in einem Café aufhielten. Nachdem er einen Bruder seiner früheren Ehefrau bereits vor dem Café geschlagen hatte, folgte er diesem in den Gastraum und entdeckte dort den Zeugen G. . Unvermittelt zog er einen Schraubendreher, den er zufällig da- bei hatte, und „fuchtelte“ damit vor dessen Oberkörper hin und her. Dabei fügte er ihm eine oberflächliche Wunde auf der Brust zu. Der körperlich überlegene G. wehrte sich. Der Angeklagte wurde von weiteren Gästen aus dem Café gedrängt, schlug jedoch von außen gegen die Fensterscheiben, so dass sich G. mit einigen Gästen vor die Tür begab. Obwohl G. drohte, den Angeklagten mit einem Holzbrett zu schlagen, stürmte dieser mit dem Schraubendreher auf den Zeugen zu und fügte ihm damit weitere oberflächliche Wunden zu. Erst nachdem G. ein Messer aus dem Café geholt hatte, dessen Einsatz er dem Angeklagten androhte, ergriff dieser die Flucht. Im Rahmen eines nicht verfahrensgegenständlichen Nachtatgeschehens kam es kurz darauf zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einem weiteren Bruder der früheren Ehefrau und dem Angeklagten, in dessen Verlauf der Angeklagte den Bruder mit dem Schraubendreher in den Rumpf stach.
5
Aufgrund seiner psychischen „Erkrankung“ war der Angeklagte nach Auffassung des sachverständig beratenen Landgerichts zum Zeitpunkt der Taten „massiv eingeschränkt, sein Verhalten zu modulieren und seine Aggressivität zu kontrollieren“. Er steigerte sich weiter in eine Aggression hinein, „die nicht zielführend sein konnte“ (UA S. 17). Dies führte dazu, dass seine Steuerungsfähigkeit zu den Tatzeitpunkten erheblich vermindert war.
6
2. Der Maßregelausspruch hält einer sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand.
7
Die Anordnung nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Begründung , weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Den danach zu erhebenden Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht.
8
a) Bereits das Vorliegen eines Eingangsmerkmals des § 20 StGB ist nicht hinreichend belegt.
9
Die Sachverständige und ihr folgend das Landgericht ordnen die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung dem Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung des § 20 StGB zu. Derartige Defekte sind jedoch am Merkmal der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ zu messen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2013 – 2 StR 463/13, NStZ-RR 2014, 72, und vom 21. Juli 2015 – 2 StR 163/15; SSW-StGB/Kaspar, 3. Aufl., § 20 Rn. 71, 79 ff.). Dieses Eingangsmerkmal wird allein durch den Befund einer Persönlichkeitsstörung nicht belegt. Erforderlich ist bei einer nicht pathologisch begründeten Persönlichkeitsstörung, dass sie in ihrem Gewicht einer krankhaften seelischen Störung gleichkommt. Dabei sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters von Bedeutung. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist im Allgemeinen maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des Deliktes zu Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (vgl. zum Ganzen BGH, Urteile vom 21. Januar 2004 – 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45,52 und vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 f.; Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 5 StR 398/07, NStZ-RR 2008, 104).
10
Hierzu verhält sich das angefochtene Urteil nicht. Es wird lediglich die Einschätzung der Sachverständigen wiedergegeben, dass es sich bei der emotional -instabilen Persönlichkeitsstörung um eine schwere Störung der charakter- lichen Konstitution und des Verhaltens handele, die „zumeist“ mit persönlichen und sozialen Beeinträchtigungen einhergehe (UA S. 18). Ob und inwieweit dies beim Angeklagten der Fall ist, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Die vor 2015 aufgetretenen Auffälligkeiten (Aggressionstaten zum Nachteil der Ehefrau; Konsultationen eines niedergelassenen Psychiaters wegen Angststörungen) müssen insoweit außer Betracht bleiben, da das Landgericht erst beginnend mit dem Jahr 2015 das sichere Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung festgestellt hat.
11
b) Zur Bejahung eines dauernden Zustands im Sinne von § 63 StGB reicht die auf eine Persönlichkeitsstörung zurückzuführende Disposition nicht aus, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2008 – 4 StR 595/07 mwN). Dies hat das Landgericht im Grundsatz erkannt und gestützt auf die entsprechende Beurteilung der Sachverständigen – darauf abgestellt, dass für den Angeklagten bereits alltägliche Situationen ausreichende Anreize „für einen erneuten krankheitsbedingten Aggressionsschub mit gewalttätigem Verhalten“ böten (UA S. 43). Allerdings ist diese Einschätzung der Sachverständigen und des Landgerichts bislang lediglich durch die Anlasstat vom August 2015 und damit unzureichend belegt.
12
3. Da über die Voraussetzungen des § 21 StGB neu entschieden werden muss, war auch der Strafausspruch aufzuheben. Unabhängig hiervon hätte er einer rechtlichen Überprüfung nicht standgehalten. Das Landgericht hat zu Las- ten des Angeklagten gewertet, dass im Fall 1 die Widerstandshandlung von erheblicher Brutalität gekennzeichnet war und weit über das hinausgegangen sei, was Polizeibeamte „an Widerstandshandlungen üblicherweise erleiden“ müssten. Im Fall 2 hat es negativ berücksichtigt, dass der Angeklagte den Zeugen G. mehrfach attackierte. Diese Umstände sind jedoch nach den Urteilsausführungen (UA S. 30 f.) gerade durch die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten bedingt. Sofern diese sich im Sinne des § 21 StGB schuldmindernd ausgewirkt hat, durften sie dem Angeklagten jedenfalls nicht uneingeschränkt strafschärfend angelastet werden (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1961 – 4 StR 373/61, BGHSt 16, 360, 364; Beschlüsse vom 25. Oktober 2012 – 5 StR 512/12; vom 9. Oktober 1996 – 3 StR 454/96, NStZ-RR 1997, 66 mwN).
Mutzbauer Sander Schneider
König Mosbacher

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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Tenor Die Berufung wird zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 %

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR163/15
vom
21. Juli 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 21. Juli 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 23. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Beschuldigten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Schon die Annahme, die Beschuldigte habe sämtliche Taten in einem Zustand der Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB begangen, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht ist - sachverständig bera- ten - davon ausgegangen, die Beschuldigte habe zu sämtlichen Tatzeitpunkten aufgrund des Vorliegens einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung als schwerer anderer seelischer Abartigkeit sowie unter dem Einfluss einer Polytoxikomanie im Zustand aufgehobener Schuldunfähigkeit gehandelt. Die Steuerungsfähigkeit sei dabei vollständig aufgehoben gewesen. Bei Verübung der Tat Nr. 6 habe sie sich zudem aufgrund des Vorliegens einer undifferenzierten Schizophrenie in einem hochpsychotischen Zustand befunden, weshalb neben der Steuerungsfähigkeit auch die Einsichtsfähigkeit bei der Beschuldigten gefehlt habe.
4
1. Damit hat die Strafkammer für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar dargelegt, dass die festgestellte Persönlichkeitsstörung den nach der Rechtsprechung erforderlichen Schweregrad zur Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit aufweist. Die Erwägungen des Landgerichts beschreiben in allgemeiner Form lediglich die angenommene Persönlichkeitsstörung und enthalten - weder für sich noch im Zusammenhang mit den weiteren Urteilsgründen - den Beleg dafür, dass sie in ihrer belastenden Wirkung für die Betroffene - und damit auch im Hinblick auf ihre Fähigkeit zu normgemäßem Verhalten - zur Tatzeit das Gewicht krankhafter seelischer Störungen i.S.d. §§ 20, 21 StGB erreicht hatte (vgl. BGH NStZ-RR 2014, 72; st. Rspr.). Soweit das Landgericht mehrfach ausgeführt hat, die Persönlichkeitsstörung habe sich bereits frühkindlich verfestigt und bestehe auch aktuell noch immer unverändert fort, da sie tief in der Persönlichkeit der Beschuldigten verwurzelt sei, belegt auch dies nicht, ob und gegebenenfalls ab wann die emotional instabile Persön- lichkeitsstörung als „schwere andere seelische Abartigkeit“ angesehen werden kann. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der an anderer Stelle dargelegten Lebensgeschichte der 32 Jahre alten Beschuldigten, die früh von Verhaltensauffälligkeiten , später von Drogensucht und einer starken Alkoholabhängigkeit und seit dem Jahre 2010 von vermehrten Unterbringungen nach dem HFEG geprägt war. Damit hat die Strafkammer zwar einen sich verschlechternden psychischen Zustand der Beschuldigten beschrieben, belegt aber auch damit nicht die nötige Schwere der Persönlichkeitsstörung.
5
Im Übrigen ist nicht - insbesondere bei den Taten Nr. 2 und 3 - hinreichend belegt, dass sich die angenommene Persönlichkeitsstörung tatsächlich auf die Begehung der Taten ausgewirkt hat. Grundloses, fremdaggressives Verhalten ist nicht ohne Weiteres ein Beleg für das vom Landgericht angenommene Fehlen einer Impulskontrolle. Dass die Persönlichkeitsstörung die Schuldfähigkeit ausgeschlossen habe, wird zwar an mehreren Stellen in den Urteilsgründen behauptet. Es fehlt aber an einer nachvollziehbaren Darlegung, welchen konkreten Einfluss die psychische Erkrankung auf die Beschuldigte hat und unter welchen Bedingungen es zur Begehung von Gewalthandlungen gegen Dritte kommen kann.
6
2. Soweit das Landgericht hinsichtlich der Tat Nr. 6 darüber hinaus vom Fehlen der Einsichtsfähigkeit aufgrund einer undifferenzierten Schizophrenie ausgegangen ist, beruht auch dies nicht auf für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Erwägungen. Es beschränkt sich im Wesentlichen auf die Mitteilung, bei der Beschuldigten hätten sich ab dem Jahre 2013 erste Anzeichen einer Schizophrenie entwickelt, die sich spätestens im August 2014 (mit der Tat Nr. 6) zu einer undifferenzierten Schizophrenie deutlich ausgeprägt habe. Zwar wird dies gestützt durch die Einlassung der Beschuldigten, „man habe mit ihr Voodoo gemacht“ und sie mit einer „Voodo-Handy-App“ gesteuert, sie habe sich deshalb nicht kontrollieren können, doch genügen diese Ausführungen angesichts einer großen Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden sol- cher Störungen nicht für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20, Rn. 9b).
7
3. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung der Unterbringungsentscheidung nach § 63 StGB, wobei der neue Tatrichter die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens zu erwägen haben wird.
Krehl Eschelbach Ott
Richter am BGH Zeng ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Bartel
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung ja
Zur Beurteilung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit (hier
„dissoziale und schizoide Persönlichkeitsstörung“) und der Erheblichkeit der
Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat (Fortführung von BGHSt
37, 397).
BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03 – LG Stuttgart

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 346/03
vom
21. Januar 2004
in der Strafsache
gegen
wegen erpresserischen Menschenraubs u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. Januar
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 8. April 2003 wird verworfen. 2. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels sowie die durch dieses Rechtsmittel entstandenen notwendigen Ausla- gen der Nebenklägerin zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen räuberischen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Die Überprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Sachrüge hat keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben.

II.

Die Beschwerdeführerin deckt mit ihrem Revisionsvorbringen auch im Strafausspruch keinen Rechtsfehler auf. Näherer Erörterung bedarf allerdings die Rüge, die Angeklagte leide unter einer schweren Persönlichkeitsstörung
und habe sowohl bei dem verfahrensgegenständlichen räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 als auch beim erpresserischen Menschenraub im Juli 2002 unter einem so starken Motivationsdruck gestanden, daß sie für beide Taten - anders als vom Landgericht angenommen - strafrechtlich nicht voll verantwortlich gewesen sei. 1. Die sachverständig beratene Strafkammer hat zur Persönlichkeitsentwicklung der Angeklagten und zum Tatgeschehen folgende Feststellungen getroffen :
a) Die Angeklagte, deren Eltern aus Kroatien stammen, wuchs in Deutschland gemeinsam mit einer Schwester auf. Sie hatte trotz durchschnittlicher Begabung bereits früh Probleme in der Grundschule. Nachdem sie die zweite Klasse wiederholen mußte, kam sie in die Sonderschule. Diese verließ sie im Jahre 1988 nach der 9. Klasse ohne Abschluß und besuchte danach ein Jahr eine Hauswirtschaftsschule. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten als wahr unterstellt, sie sei von ihrem Vater seit ihrem siebten Lebensjahr bis kurz vor ihrer Verhaftung immer wieder sexuell mißbraucht und regelmäßig geschlagen worden. Ab dem zehnten Lebensjahr unternahm sie mehrere Suizidversuche. Im Jugendalter wurde sie dreimal in stationäre psychiatrische Behandlung nach Kroatien gebracht, wurde allerdings nach wenigen Tagen wieder entlassen, ohne daß eine klare Diagnose gestellt werden konnte. Es wurden ihr Antidepressiva und regelmäßig ein Schmerzmittel verschrieben. Sie konsumierte außerdem seit dem 14. Lebensjahr in erheblichem Umfang Alkohol , ohne daß sich jedoch eine Suchtproblematik herausgebildet hätte. Gelegentlich konsumierte die Angeklagte auch Haschisch. Im Jahre 1991 heiratete die Angeklagte. Aus der Ehe gingen zwei Kinder im Alter von nunmehr elf und sechs Jahren hervor. Nach der Heirat arbeitete
sie halbtags als Textilverkäuferin; später übte sie verschiedene Tätigkeiten aus, zuletzt war sie in einem Fitneß-Studio tätig, wo sie rund 500 Euro im Monat verdiente. Etwa Mitte der neunziger Jahre spitzten sich ihre persönlichen Probleme zu. Sie praktizierte einen gehobenen Lebensstil, der nicht ihren bescheidenen finanziellen Verhältnissen entsprach, unter anderem mit häufigen Urlauben, teurer Kleidung für sich und ihre Kinder und häufigem Ausgehen mit Einladungen von Freunden. Diesen Lebensstil konnte sie nur durch zahlreiche Vermögensstraftaten finanzieren. Deshalb wurde sie am 24. Mai 1995 u. a. wegen Diebstahls in vier Fällen sowie wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit Betrug in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die Strafe wurde 1999 erlassen. Am 23. Mai 2000 wurde sie wegen Betrugs in zehn Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung in neun Fällen und wegen Diebstahls zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafe wurde nochmals zur Bewährung ausgesetzt. Im Jahr 1999 lernte sie während eines Urlaubs in Tunesien einen Tunesier kennen, der Mitglied einer sektenartigen Bewegung war, in der sich die Angeklagte aufgehoben fühlte. Seit 2000 leben die Eheleute getrennt.
b) Der räuberische Diebstahl Im Oktober 2001 betrat die Angeklagte gegen Mittag ein Schreibwarengeschäft mit Lottoannahmestelle und ließ sich einschließen. Sie entnahm der Lottokasse Bargeld in Höhe von mindestens 1.200 DM und packte drei Plastiktüten mit rund 320 Schachteln Zigaretten ein. Als die Ladenbesitzerin nach der Pause das Geschäftslokal betrat, gab die Angeklagte vor, versehentlich eingeschlossen worden zu sein. Die Ladenbesitzerin wollte die Angeklagte einschließen und die Polizei benachrichtigen. Dies verhinderte die Angeklagte
mit einem kräftigen Stoß, bei der die Frau zu Boden ging. Sie forderte nach einem Faustschlag von ihr das Mobilteil des Telefons, das sie in die Tasche steckte. Dann flüchtete sie. Die Angeklagte konnte aufgrund von Fingerabdrükken ermittelt und am 12. März 2002 festgenommen werden. Nach einem über ihren Verteidiger abgegebenen Geständnis wurde sie am 26. März 2002 wieder auf freien Fuß gesetzt. Die Angeklagte rechnete wegen dieser Tat mit einer erheblichen Freiheitsstrafe ohne Bewährung und befürchtete den Widerruf einer Strafaussetzung zur Bewährung aus einer früheren Verurteilung. Außerdem hatte sie Probleme mit ihrem Vater, der sich im Jahre 2001 von ihrer Mutter getrennt hatte und seitdem bei ihr der Wohnung wohnte. Die Probleme trieben einem Höhepunkt zu, als der Vater den Wunsch äußerte, mit ihrer Tochter ein Wochenende allein im Schwarzwald zu verbringen. Die Kammer hat zu Gunsten der Angeklagten angenommen, sie habe befürchtet, der Vater könne sich auch an ihrer Tochter vergehen. Um den Problemen zu entgehen, faßte die Angeklagte den Plan, Deutschland zu verlassen und in Tunesien eine neue Existenz aufzubauen. Nach der Entlassung aus der Untersuchungshaft feierte sie dort aufwendig die Verlobung mit dem Tunesier, obwohl sie noch verheiratet war. Sie versprach dem Verlobten, dem gegenüber sie sich als wohlhabend ausgab, daß sie im Juli 2002 mit ihren Kindern endgültig zu ihm nach Tunesien ziehen werde. Dabei werde sie einen großen Geldbetrag mitbringen, mit dem man dort gemeinsam ein Mietwagenunternehmen aufbauen könne.
c) Die Kindesentführung
Anfang Juli 2002 faßte die Angeklagte den Entschluß, sich die Mittel zur Durchführung ihrer Tunesien-Pläne durch eine Kindesentführung mit Lösegeldforderung zu beschaffen. Als Erpressungsopfer erschien ihr hierfür die als wohlhabend geltende Familie R. geeignet, die nach ihren Informationen in der Lage sein würde, einen größeren Geldbetrag auch kurzfristig besorgen zu können. Der Plan der Angeklagten ging dahin, die 7jährige Tochter J. auf dem Schulweg in ihre Gewalt zu bringen und für ihre Freilassung ein "Löse- ! " # %$ &' ( &' *)+ , - ' . 0/1& geld" von 250.000 dem Geld sofort nach Tunesien absetzen. Zur Vorbereitung der Tat observierte die Angeklagte ab Anfang Juli 2002 die Verhaltensgewohnheiten der Familie R. . Insbesondere erforschte sie durch zahlreiche Anrufe, bei denen sie sich nicht meldete, zu welchem Zeitpunkt sich die Mitglieder der Familie zu Hause aufhielten. Zur Durchführung der Tat, die zunächst für den 12. Juli 2002 geplant war, kaufte sie einen gebrauchten Pkw BMW der 7er-Klasse. Da sie das Fahrzeug mit nach Tunesien mitnehmen wollte, ließ sie das Fahrzeug mit Ausfuhrkennzeichen zu. Am gleichen Tag buchte sie unter ihrem eigenen Namen zwei Flugreisen für den 12. Juli 2002 von Stuttgart nach Tunesien. Als Passagiere gab sie ihren Sohn und eine Person namens E. an. Sie war auf unbekannte Weise in Besitz eines Personalausweises mit diesem Namen gelangt und wollte unter diesem Namen nach Tunesien reisen. Am 10. Juli 2002 suchte sie ihre Cousine und deren Ehemann auf und teilte diesen mit, sie habe die Absicht nach Tunesien auszuwandern. Beide erklärten sich bereit, das Fahrzeug nach Tunesien zu überführen und die Tochter der Angeklagten mitzunehmen. Am 12. Juli 2002 gab sich die Angeklagte gegenüber der Sekretärin der Schule, in der J. in die erste Klasse ging, als deren Mutter aus und forderte sie auf, das Kind nach Hause zu schicken. Da J. jedoch krankheits-
bedingt nicht in der Schule war, brach die Angeklagte den Entführungsversuch an diesem Tag ab. Sie stornierte den geplanten Flug nach Tunesien und buchte den Flug auf den nächsten Tag um, in der Hoffnung die Tat an diesem Tag durchzuführen. Der Entführungsversuch fand aus nicht feststellbaren Gründen jedoch nicht statt.
Am 15. Juli 2002 überlegte die Angeklagte, wie sie auf anderer Weise Jasmin in ihre Gewalt bringen könnte. Sie wurde dabei gesehen, wie sie gegen 8.00 Uhr morgens aus ihrem Fahrzeug das Wohnhaus der Eheleute R. beobachtete. Die Angeklagte entschloß sich schließlich, die Entführung am 18. Juli 2002 durchzuführen. Sie buchte am 16. Juli 2002 für dieselben Personen einen Flug nach Tunesien für den 19. Juli 2002. Der Flug sollte jedoch von München stattfinden, wo sie die Nacht verbringen wollte. Sie buchte für sich und ihre Tochter eine Übernachtung im Hotel K. . Nachdem die Angeklagte am 18. Juli 2002 mehrere Kontrollanrufe bei der Familie R. getätigt hatte, fuhr sie mit ihrem Fahrzeug, in dem sie eine geladene Schreckschußpistole und ein Elektroschockgerät mit sich führte, gegen 8.00 Uhr zu der Schule. Gegen 9.00 Uhr sprach sie auf dem Schulgelände zwei 8jährige Schüler an und bat sie, J. aus dem Klassenzimmer zu holen ; sie solle zu der Sekretärin ins Rektorat kommen. Die Schüler, die die Angeklagte als Mutter von J. ansahen, holten J. mit Zustimmung der Klassenlehrerin heraus und begleiteten sie in Richtung Rektorat. Die Angeklagte paßte die beiden Schüler und J. zwischen dem Klassenraum und dem Rektorat ab. Die arglosen Jungen ließen J. mit der Angeklagten al-
lein. Sie vergewisserte sich, ob es sich bei dem Kind um J. handele und schüchterte es mit dem mitgebrachten Elektroschockgerät ein, indem sie dieses am Hals des Mädchens auslöste. Als J. zu schreien begann, drohte ihr die Angeklagte, sie werde sie töten, wenn sie nicht ruhig sei. Das Kind verhielt sich ruhig, weigerte sich aber, mit der Angeklagten zu gehen. Die Angeklagte nahm es unter den Arm und trug es zu ihrem Fahrzeug. J. wehrte sich dagegen mit Strampeln und verlor dabei ihre Sandalen und ihre Brille. Die Angeklagte setzte J. zunächst auf den Beifahrersitz und drückte das Kind nach unten, um zu verhindern, daß es bei der Abfahrt gesehen wurde. Um J. weiterhin gefügig zu machen, löste die Angeklagte das Elektroschockgerät nochmals an ihrer Wange aus, wodurch es zu einer leichten Verbrennung kam. Gegen 9.50 Uhr rief die Angeklagte J. s Vater an und forderte ihn auf nach Hause zu kommen, weil J. nach Hause gegangen sei. Er begab sich sofort nach Hause. Dort rief die Angeklagte den Vater erneut an und teilte ihm mit, daß sie J. in ihrer Gewalt habe. Er solle ruhig sein und keine Polizei rufen. Für den Fall, daß er sich nicht an ihre Anweisungen halte, drohte die Angeklagte, es würde für seine Tochter auf dem Markt einen guten Preis geben. Der Vater sollte die Befürchtung haben, sie wolle J. an einen Mädchenhändler verkaufen. Der Vater fuhr danach sofort in die Schule, wo inzwischen die Schuhe und die Brille des Kindes gefunden waren. Die Angeklagte fuhr mit dem Wagen ziellos im Raum L. herum. Da das Kind verängstigt und verzweifelt jammerte, verbrachte sie es spätestens gegen 11.00 Uhr in den Kofferraum des Fahrzeugs, wo es bis zu seiner Befreiung bis gegen 16.00 Uhr verblieb. Gegen 11.50 Uhr rief die Angeklagte den Vater J. s an und forderte ihn auf, binnen einer Stunde 250.000 243 die Freilassung seiner Tochter bereitzustellen. Nachdem der Vater einwandte, er benötige für die Beschaffung des Geldes Zeit bis 16.00 Uhr, erklärte sie sich
bereit, abzuwarten. In der Folgezeit rief sie mehrfach beim Vater an, um sich nach dem Stand der Vorbereitungen für die Geldübergabe zu erkundigen. Um 14.25 Uhr sprach die Angeklagte am Bahnhof in L. einen Taxifahrer an und forderte ihn auf, zum Haus der Familie R. zu fahren, dort ein Päckchen abzuholen und zu ihr zu bringen. Sie einigte sich mit dem Taxifahrer auf 50 Euro für die Fahrt. Um 14.40 Uhr teilte die Angeklagte dem Vater von J. mit, daß sie einen Boten schicken werde, der das Geld abholen werde. Um 14.50 Uhr rief sie den Vater erneut an und erklärte, er werde seine Tochter nicht wiedersehen, da er die Polizei eingeschaltet habe. In Absprache mit der inzwischen eingeschalteten Polizei gab der Vater gegenüber dem Taxifahrer an, daß das Paket noch nicht da sei, er möge noch etwas warten. Der Vater erfuhr dabei, daß der Taxifahrer das Paket zum Bahnhof nach L. bringen solle. Daraufhin begann die Polizei mit der Observation des Bahnhofsgebietes in L. . Dort entdeckte die Polizei die Angeklagte gegen 15.19 Uhr in ihrem Fahrzeug; bis zu ihrer Festnahme um 15.48 Uhr wurde sie lückenlos observiert. J. wurde im Kofferraum des Fahrzeugs in einem zwar erschöpften, jedoch insgesamt zufriedenstellenden Zustand aufgefunden.
2. Die sachverständig beratene Strafkammer hat eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Angeklagten verneint und sie für beide Taten für strafrechtlich voll verantwortlich gehalten. Die Kammer ist dem psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, die Angeklagte leide an einer schweren gemischten Persönlichkeitsstörung mit dissozialen und schizoiden Anteilen, die weitgehend auf einem hochproblema-
tischen Verhältnis zum Vater beruhe. Dazu ist in den Urteilsgründen näher ausgeführt, die Störung äußere sich in einer unausgeglichenen Affektivität mit autoaggressiven Zügen, einer gestörten Beziehungsfähigkeit und einer Neigung , insbesondere problematische Dinge von sich abzuspalten. Die Persönlichkeitsstörung , die auch durch sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei deshalb so erheblich, daß Symptome vorlägen, die rechtlich als "schwere andere seelische Abartigkeit" im Sinne des § 20 StGB eingeordnet würden. Die Strafkammer ist den Ausführungen des Sachverständigen auch insoweit gefolgt, als keine Anhaltspunkte dafür bestünden, daß sich die Persönlichkeitsstörung bei der konkreten Tat auf ihre Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt habe. Die Angeklagte sei in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Angesichts der hohen Komplexität der Tatabläufe , insbesondere der umfänglichen Tatplanung und der Vorbereitungshandlungen , sowie der Tatsache, daß die Angeklagte längerfristige, zukunftsgerichtete Pläne verfolgt habe, lägen keine Hinweise dafür vor, daß sie ihr Verhalten nicht habe steuern können. Dagegen hat die die Revision eingewendet, die Beurteilung der Schuldfähigkeit sei in mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft. Die Strafkammer habe bezüglich des ersten Tatvorwurfs, dem räuberischen Diebstahl, die Frage der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit überhaupt nicht geprüft. Hinsichtlich der Kindesentführung habe sie sich zwar mit der Problematik auseinandergesetzt , jedoch schon verkannt, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichthofes die Annahme einer schweren seelischen Abartigkeit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit zumindest nahe lege. Ein überlegtes, geplantes, logisches und zielgerichtetes Handeln schließe eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit nicht aus, da auch "bei geplantem und geordnetem Vorgehen" die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein könne,
Anreize zu einem bestimmten Verhalten und Hemmungsvorstellungen gegen- einander abzuwägen und danach den Willensentschluß zu bilden. Deshalb habe die Kammer in erster Linie prüfen müssen, ob die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung in der fraglichen Zeit einem zur Tat führenden starken Motivationsdruck ausgesetzt gewesen sei, wie er sonst in vergleichbaren Situationen bei anderen Straftätern nicht vorhanden sei, und ob dadurch ihre Fähigkeit , sich normgerecht zu verhalten, deutlich vermindert gewesen sei. Die Kammer sei zwar davon ausgegangen, daß die schwere Persönlichkeitsstörung möglicherweise auf dem hochproblematischen Verhältnis zum Vater beruhe , habe jedoch außer acht gelassen, daß die Angeklagte mit ihrer Tochter und ihrem Sohn Deutschland verlassen und nach Tunesien auswandern wollte, „weil ihr Vater - der bereits sie über Jahre sexuell mißbraucht und geschlagen hatte - den Wunsch äußerte, mit der Tochter der Angeklagten ein Wochenende allein im Schwarzwald verbringen zu wollen und die Angeklagte befürchtete, daß ihr Vater sich auch an ihrer Tochter vergehen würde“ (UA S. 5, 20). 3. Es ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, daß die Strafkammer die Angeklagte trotz der angenommenen Persönlichkeitsstörung für beide Taten als strafrechtlich voll verantwortlich angesehen hat.
a) Persönlichkeitsstörung als andere seelische Abartigkeit
aa) Ersichtlich ist der Sachverständige bei der Beurteilung der persönlichen Entwicklung der Angeklagten und ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit nach den Kriterien der in der forensischen Psychiatrie gebräuchlichen diagnostischen und statistischen Klassifikationssysteme vorgegangen (ICD-10 Kapitel V (F), Internationale Klassifikation psychischer Störungen, Dil-
ling/Mombour/Schmidt [Hrsg.], 4. Aufl.; DSM-IV, Diagnostisches und Statisti- sches Manual Psychischer Störungen 2. Aufl., Saß/Wittchen/Zaudig [Hrsg.].).
bb) Bei der in ICD-10 F 60.0 (DSM-IV 301.0) genannten Störungsgruppe „Persönlichkeitsstörung“ handelt es sich um einen Oberbegriff. Es werden völlig unterschiedliche typologisch definierte Varianten beschrieben, die je nach Ausprägung als normal oder abnorm zugeordnet werden. Sie reichen von einer Vielzahl normalpsychologisch wirksamer Ausprägungen und Beeinträchtigungen des Empfindens und Verhaltens bis zu einer abnormen Persönlichkeit, die von ihrem Gewicht her durchaus Krankheitswert erreichen kann (Rasch, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 261 f.). Der Begriff der Persönlichkeitsstörung beschreibt abnorme Persönlichkeiten, deren Eigenschaften von einer nicht näher bezeichneten gesellschaftlichen Norm abweichen. Von psychopathischen Persönlichkeiten wird dann gesprochen, wenn die Person an ihrer Abnormität leidet oder wenn die Gesellschaft unter ihrer Abnormität leidet (vgl. Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung 4. Aufl. S. 248, 250; Rasch, StV 1991, 126, 127; Nedopil, Forensische Psychiatrie 2. Aufl. S. 149, 152 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
cc) Für die forensische Unterscheidung zwischen strafrechtlich nicht relevanten Auffälligkeiten in Charakter und Verhalten einer Persönlichkeit und einer psychopathologischen Persönlichkeitsstörung, die Symptome aufweist, die in einer Beziehung zu psychischen Erkrankungen im engeren Sinne bestehen , enthalten die Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV eine Vielzahl diagnostischer Kriterien, anhand derer der psychiatrische Sachverständige einzelne Persönlichkeitsstörungen spezifizieren und deren Ausprägungsgrad bewerten kann. Diagnostische Hilfsmittel bei psychischen Störungen sind ne-
ben technischen Untersuchungen (EEG, Laboruntersuchungen etc.) sowie den Selbst- und Fremdbeurteilungen vor allem strukturierte Checklisten und diagnostische Interviews (vgl. DSM-IV aaO S. XVII). Bei der forensischen Begut- achtung hat sich der Sachverständige methodischer Mittel zu bedienen, die dem jeweils aktuellen wissenschaftlichen Kenntnisstand gerecht werden. Existieren mehrere anerkannte und indizierte Verfahren, so steht deren Auswahl in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Dabei ist der Sachverständige – unbeschadet der Sachleitungsbefugnis durch das Gericht - frei, von welchen inhaltlichen Überlegungen und wissenschaftlichen Methoden er bei Erhebung der maßgeblichen Informationen ausgeht und welche Gesichtspunkte er für seine Bewertung des Ausprägungsgrades für maßgeblich hält. In seinem Gutachten hat er nach den Geboten der Nachvollziehbarkeit und der Transparenz für alle Verfahrensbeteiligten nach Möglichkeit darzulegen, aufgrund welcher Anknüpfungstatsachen und auf welchem Weg er zu den von ihm gefundenen Ergebnissen gelangt ist (vgl. BGHSt 44, 26, 33; 45, 164, 169; st. Rspr.).
dd) Der Senat hat der forensisch-psychiatrischen Literatur entnommen, daß sich nach dem bestehenden wissenschaftlichen Kenntnisstand für die forensische Schuldfähigkeitsbeurteilung von Persönlichkeitsstörungen folgende Vorgehensweise anbietet, ohne daß die Nichteinhaltung einzelner Schritte nach rechtlichen Maßstäben fehlerhaft sein muß. Dazu gehört, daß der Sachverständige die sozialen und biographischen Merkmale unter besonderer Berücksichtigung der zeitlichen Konstanz der pathologischen Auffälligkeiten erhebt. Darüber hinaus bedarf es der Darstellung der pathologischen Reaktionsweisen unter konflikthaften Belastungen und deren Veränderungen infolge der natürlichen Reifungs- und Entwicklungsschritte sowie der therapeutischen Maßnahmen (Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen, 2003, S. 177,
178). Weist die untersuchte Person Persönlichkeitszüge auf, die nur auf ein unangepaßtes Verhalten oder auf eine akzentuierte Persönlichkeit hindeuten und die Schwelle einer Persönlichkeitsstörung nicht erreichen, wird schon aus psychiatrischer Sicht eine Zuordnung zum vierten Merkmal des § 20 StGB auszuschließen sein.

b) Schweregrad der Abartigkeit
Gelangt der Sachverständige – wie hier - zur Diagnose einer „dissozialen oder antisoziale Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.2 und DSM-IV 301.7: „Mißachtung sozialer Normen“) und einer „schizoiden Persönlichkeitsstörung“ (ICD-10 F 60.1. und DSM-IV 301.20: „Distanziertheit in sozialen Beziehungen, eingeschränkte emotionale Ausdrucksmöglichkeiten“), so ist diese psychiatrische Diagnose indes nicht mit der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ in § 20 StGB gleichzusetzen. Für die forensische Praxis ist mit der bloßen Feststellung, bei dem Angeklagten liege eine Persönlichkeitsstörung vor, nichts gewonnen. Vielmehr sind der Ausprägungsgrad der Störung und der Einfluß auf die soziale Anpassungsfähigkeit entscheidend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit (Rasch, Die psychiatrisch-psychologische Beurteilung der sogenannten schweren anderen seelischen Abartigkeit, StV 1991 S. 126, 127). Hierfür sind die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit (etwa hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen und dritter Personen, der emotionalen Reaktionen, der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und der Impulskontrolle) durch die festgestellten pathologischen Verhaltensmuster im Vergleich mit jenen krankhaft seelischer Störungen zu untersuchen (vgl. Kröber NStZ 1998, 80 f.). Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des angeklagten Deliktes zu Einschränkungen des
beruflichen und sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (DSM-IV aaO S. 715, 716; Nedopil aaO S. 152). Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens oder Verhaltens, das gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter in Erscheinung tritt, sich im Zeitverlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als viertes Merkmal des § 20 StGB, der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angesehen werden.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ werden aus psychiatrischer Sicht genannt: Hervorgehen der Tat aus neurotischen Konflikten; konflikthafte Zuspitzung und emotionale Labilisierung in der Zeit vor der Tat; abrupter, impulshafter Tatablauf; aktuelle konstellative Faktoren wie z. B. Alkohol und andere Drogen, Ermüdung, affektive Erregung. Gegen das Vorliegen des vierten Merkmals des § 20 StGB können sprechen: Tatvorbereitung; planmäßiges Vorgehen bei der Tat; Fähigkeit zu warten; lang hingezogenes Tatgeschehen; komplexer Handlungsablauf in Etappen; Vorsorge gegen Entdeckung; Möglichkeit anderen Verhaltens unter vergleichbaren Umständen; Hervorgehen des Delikts aus dissozialen Charakterzügen (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179, 180; Versuche einer empirischwissenschaftlichen Auswertung der am häufigsten in forensischen Gutachten vorkommenden Indikatoren bei Scholz/Schmidt, Schuldfähigkeit bei schwerer anderer seelischer Abartigkeit, 2003).

c) Erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat
Ob die Steuerungsfähigkeit wegen des Vorliegens einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat "erheblich" im Sinne des § 21 StGB vermindert war, ist eine Rechtsfrage. Diese hat der Tatrichter ohne Bin-
dung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten. Hierbei fließen normative Gesichtspunkte ein. Entscheidend sind die Anforderungen, die die Rechtsordnung an jedermann stellt (vgl. für den „berauschten Täter“ BGHSt 43, 66, 77; BGH NStZ-RR 1999, 295, 296 jew. m.w.N.). Diese Anforderungen sind um so höher, je schwerwiegender das in Rede stehende Delikt ist (BGH, Urt. v. 21. März 2001 - 1 StR 32/01).
Da Persönlichkeitsstörungen in der Regel die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit nicht vollständig aufheben, wird der Tatrichter Gesichtspunkte bewerten, die für oder gegen eine Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sprechen können, ohne daß es wegen der fließenden Übergänge zwischen Normalität sowie allen Schweregraden und Konstellationen abnormer Persönlichkeit feste skalierbare Regelungen gibt (Saß in Saß/Herpertz aaO S. 179).
aa) Zudem kommt es nach dem Gesetz nicht darauf an, ob die Steuerungsfähigkeit generell eingeschränkt ist. Maßgeblich ist vielmehr, ob sie bei Begehung der Tat – und zwar erheblich – eingeschränkt war. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage wird der Tatrichter auf der Grundlage des Beweisergebnisses über den Ablauf der Tathandlung – auch unter Beachtung möglicher alternativer Tatvarianten - die vom Sachverständigen gestellte Diagnose, den Schweregrad der Störung und deren innere Beziehung zur Tat in eigener Verantwortung nachprüfen. Stellt er in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen fest, daß das Störungsbild die Merkmale eines oder mehrerer Muster oder einer Mischform die Klassifikationen in ICD-10 oder DSM-IV erfüllen, besagt dies rechtlich noch nichts über das Ausmaß psychischer Störungen (vgl. BGH NStZ 1997, 383). Eine solche Zuordnung hat eine Indizwirkung dafür, daß eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung vorliegt (vgl. zu bestimmten Fallgrup-
pen BGH StV 1998, 342; StV 2002, 17, 18; BGH, Urt. vom 27. August 2003 – 2 StR 267/03). Der Tatrichter wird in einer Gesamtbetrachtung die Persönlichkeit des Angeklagten und dessen Entwicklung bewerten, wobei auch Vorgeschichte , unmittelbarer Anlaß und Ausführung der Tat sowie das Verhalten danach von Bedeutung sind (st. Rspr.; vgl. BGHSt 37, 397, 401 f.; BGH NStZ 1997, 485; BGH, BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit 10, 20, 23, 36; BGH NStZ 1996, 380; BGH StraFo 2001, 249; BGH StV 2002, 17, 18; vgl. in diesem Sinne auch Venzlaff und Pfäfflin in Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung aaO S. 270 f.; Saß in Saß/Herpertz, Persönlichkeitsstörungen S. 177, 180).
bb) Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die mitgeteilte Diagnose des Sachverständigen zum Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung zutreffend war. Dagegen könnte sprechen, daß die in den Urteilsgründen mitgeteilte Tatsachengrundlage wenig tragfähig erscheint. Der Sachverständige hat seine Diagnose im wesentlichen auf die persönlichen Angaben der Angeklagten bei der Exploration gestützt und ausgeführt, „die Persönlichkeitsstörung die durchaus auch auf sexuelle Mißbrauchserlebnisse mitbedingt sein könne, sei auch so erheblich, daß eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB anzunehmen sei“. Auch die Strafkammer ist „ entsprechend ihren Angaben zu ihren Gunsten davon ausgegangen“, die Angeklagte sei vom Vater seit ihrem siebten Lebensjahr immer wieder sexuell mißbraucht worden. Konkrete Feststellungen oder objektivierbare Indizien, die die Behauptungen der Angeklagten stützen, enthalten die Urteilsgründe nicht. Die als Zeugen vernommenen Mutter und Schwester haben sogar ausgesagt, sie hätten zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für einen sexuellen Mißbrauch der Angeklagten gehabt (UA S. 15).
Die Strafkammer hat zum räuberischen Diebstahl im Oktober 2001 keine näheren Ausführungen zu einer möglichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit gemacht. Eine solche lag auch eher fern, denn hinsichtlich dieser Tat behauptet die Revision selbst nicht, daß die Angeklagte infolge ihrer Persönlichkeitsstörung schon zu diesem Zeitpunkt einem so starken Motivationsdruck ausgesetzt war, daß sie die Wegnahme des Geldes und dessen Sicherung durch Gewaltanwendung nicht habe steuern können.
Die Strafkammer hat auch hinsichtlich der im Juli 2002 begangenen Entführung der siebenjährigen J. nachvollziehbar einen erheblichen Einfluß der Persönlichkeitsstörung auf das komplexe Tatgeschehen ausgeschlossen. Die Angeklagte sei zwar aufgrund ihrer Lebensgeschichte, zu der auch die Mißbrauchsgeschichte gehören könne, in vieler Hinsicht kritikgemindert. Sie sei aber in der Lage, die Realität zu erkennen und richtig einzuschätzen. Ihre gelegentliche Impulsivität sei keine pathologisch überhöhte Erregbarkeit, insbesondere sei auch keine hirnorganisch begründete Affektlabilität festzustellen.
Als Beleg für eine vollständig erhaltene Steuerungsfähigkeit hat die Strafkammer herangezogen, daß es der Angeklagten bei ihrer Tat in erster Linie darum ging, sich mittels des erwarteten Lösegeldes die Basis für ihr zukünftiges Leben in Tunesien zu schaffen. Die Behauptung der Angeklagten, sie habe wegen eines möglichen Übergriffs des Vaters auf ihre Tochter unter einem schwer beherrschbaren Motivationsdruck gestanden, darf die Kammer als widerlegt ansehen. Sie hat ausgeführt, die Angeklagte habe diese Pläne schon seit ihrem Besuch und ihrer Verlobung in Tunesien im April 2002 verfolgt und
sich endgültig im Juli 2002 zu dieser Straftat entschlossen. Das Lösegeld sollte das ihrem neuen Lebensgefährten zugesagte Startkapital sein.
Gegen die erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat sprachen hier die bis ins einzelne gehende Planung der Entführung, die vorbereitende Beobachtung der Familie über mehrere Tage sowie das mehrmalige Umbuchen der Flüge nach Tunesien. Die Kammer hat mit Recht auch als überlegtes kriminelles Handeln angesehen, daß die Angeklagte dem Vater des Entführungsopfers jeweils nur kurze Fristen zur Geldbeschaffung setzte, um ihn aus Furcht um sein Kind unter Druck zu setzen. Die Strafkammer konnte schließlich als Belege für ein kontrolliertes und zielgerichtetes Handeln der Angeklagten auch die kaltblütige Durchführung der Entführung auf dem öffentlichen Schulgelände heranziehen. Sie hat ausgeführt, das Sichbemächtigen des Kindes auf dem Schulgelände zeige, in welchem Maße die Angeklagte in der Lage war, situationsadäquat zu handeln und ihre Impulse instrumental zu steuern. Obwohl sie auf dem Schulgelände mit Zeugen rechnen mußte, habe sie das Kind in der Nähe des Rektorats abgefangen und gezielt - und für das Kind J. äußerst schmerzhaft - das Elektroschockgerät einsetzte und das sich wehrende Kind in den bereitgestellten Pkw verbracht. Damit ist die Strafkammer zu Recht davon ausgegangen, daß bei der Angeklagten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht vorlag.
Nack Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 3 7 / 1 5
vom
1. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Dezember 2014 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Nach Aufhebung eines ersten Urteils durch Senatsbeschluss vom 17. April 2014 - 2 StR 405/12 (NJW 2014, 2738), wobei aber die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten wurden, hat das Landgericht den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen Betrugs in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ausgesprochen, dass davon zwei Monate als bereits vollstreckt gelten. In den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis von eins zu eins angerechnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, der das Rechtsmittel in der Revisionshauptverhandlung auf den Strafausspruch beschränkt hat. Die Revision hat in diesem Umfang Erfolg.

I.

2
Nach den bindend gewordenen Feststellungen zur Tat beschloss der Angeklagte im Herbst 2005 noch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen gleichartiger Taten, Kunden in schwierigen finanziellen Verhältnissen eine Leasingfinanzierung anzubieten und dabei Vorschusszahlungen zu verlangen. Im Februar 2006 gründete er mit dem gesondert verfolgten S. die H. mit Sitz in M. . Das Unternehmen unterbreitete Interessenten jeweils Angebote für eine Finanzierung, wobei eine Vorausgebühr ab Erteilung einer Darlehenszusage in Höhe von fünf vom Hundert der Darlehenssumme verlangt wurde. Unmittelbar nach Erbringung dieser "Sonderzahlung" übernahm eine "Refinanzierungsabteilung" des Unternehmens die Sachbearbeitung und forderte umfangreiche Bonitätsauskünfte sowie die Vorlage weiterer Unterlagen ein. Danach wurde der Vertrag jeweils mit Hinweis auf ein Verschulden des Kunden gekündigt, und die H. machte gegen die Kunden auch Schadensersatzansprüche geltend, bis diese einer Aufhebungsvereinbarung unter Verzicht auf die Rückzahlung der Vorausgebühr zustimmten. Über ausreichende Mittel oder Refinanzierungsmöglichkeiten zur Darlehensgewährung an die Kunden verfügte die H. nicht.
3
Gegenstand der Verurteilung sind Sonderzahlungen von Kunden aufgrund von Darlehenszusagen durch Mitarbeiter der H. . In einem Teil der Fälle hatte der Angeklagte, der als faktischer Geschäftsführer des Unternehmens aufgetreten war, neben anderen Personen selbst am Vertragsabschluss mitgewirkt. Andere Fälle hat ihm das Landgericht als uneigentliches Organisationsdelikt zugerechnet.

II.

4
Die Rechtsmittelbeschränkung in der Revisionshauptverhandlung, welcher der Generalbundesanwalt zugestimmt hat, ist wirksam.
5
Der Senat schließt - unbeschadet des Vorliegens eines Rechtsfehlers bei der Prüfung der §§ 20, 21 StGB (dazu sogleich unter III.) - aus, dass ein neues Tatgericht zu der Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit gelangen würde. Dagegen sprechen unter anderem die Vorausplanung der Tat bereits in der Haft und die lange Dauer des komplexen Tatgeschehens.

III.

6
Die Revision hat im verbleibenden Umfang Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind, auch soweit sie doppelrelevant wirken , bereits bindend geworden, was der Senat klargestellt hat.
7
1. In dem vom Senat aufgehobenen ersten Urteil war das Fehlen der Fähigkeit des Angeklagten zur Einsicht in das Unrecht der Betrugshandlungen nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen worden. Nunmehr hat das Landgericht angenommen, zur Tatzeit habe der Angeklagte mit Unrechtseinsicht gehandelt. Seiner Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung nach dieser Einsicht habe keine schwere andere seelische Abartigkeit entgegengestanden. Seine Feststellung vorhandener Unrechtseinsicht ist rechtsfehlerfrei. Jedoch unterliegt die Verneinung einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der heute 62jährige Angeklagte unter einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Anteilen. Schon als Kind hatte er Geld entwendet, um sich mit Zuwendungen Freundschaften zu erkaufen. Nie nahm er später eine intime Beziehung auf. Sein gesamtes Streben als Erwachsener war darauf gerichtet, die Mitarbeiter seiner Unternehmungen an sich zu binden, die er als „Ersatzfamilie“ betrachtete und in eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten einbezog. Er unterstützte nicht nur seine Mitarbeiter finanziell, sondern sogar die Eltern der zum Personal der H. gehörenden Brüder S. . Der Angeklagte reagierte "indigniert bis beleidigt", wenn sich die Mitarbeiter seinem Wunsch nach engem Kontakt verschlossen.
9
Das Landgericht hat ausgeführt, zwar liege das Vollbild einer Persönlichkeitsstörung vor; jedoch habe diese Störung nicht dasselbe Belastungsgewicht wie eine seelische Krankheit. Sie erfülle nicht das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB.
10
Die Störung habe allerdings dazu geführt, dass der Angeklagte sich in der gesamten Tatstruktur ein Konstrukt geschaffen habe, in welchem er nicht nur beruflich, sondern auch im Persönlichen der "Chef" gewesen sei. Die Störung sei in seiner Persönlichkeit absolut prägend. Aufgrund einer Selbstwertstö- rung habe er eine Rolle eingenommen, die ihn besonders „großartig“ erschie- nen ließ. In Fantasien über einen Finanzierungserfolg und der Behandlung des gesondert verfolgten S. als seinen künftigen "Nachfolger" im Sinne dynastischer Großkonzerne seien narzisstische Züge zu erkennen. Er habe sich in Beziehungen verstrickt, über deren Motivation man nur spekulieren könne und die scheitern mussten, weil er seine "Ziehsöhne" stets nach seinen Vorstellungen "umzugestalten" versucht habe.
11
Gleichwohl habe die Störung das Leben des Angeklagten nicht vergleichbar schwer und mit ähnlichen sozialen Folgen beeinträchtigt, wie eine krankhafte seelische Störung. Sein "soziales Funktionsniveau" sei dafür zu hoch gewesen. Eine stereotype Lebensgestaltung wie bei einem Drogenabhängigen habe nicht vorgelegen, sondern ein unauffällig strukturierter Tagesablauf, der sowohl Arbeit als auch Freizeitverhalten eingeschlossen habe. Beruflich wie privat habe der Angeklagte ein Maß an Flexibilität gezeigt, das von einem Menschen mit einer krankhaften seelischen Störung nicht erwartet werden könne. Er sei auch grundsätzlich in einer Weise kontaktfähig gewesen, wie sie "von einem Patienten mit einer krankhaften seelischen Störung - etwa mit einem psychotischen Residualsyndrom - keinesfalls zu erwarten" gewesen sei. Probleme bei der Affektregulation und ähnliche störungsbedingte Beeinträchtigungen seien nicht zu beobachten gewesen. Vor diesem Hintergrund sei festzustellen , dass die Einsicht des Angeklagten in das Unrecht der Serientaten nicht ausgeschlossen gewesen sei.
12
b) Gegen diese Beurteilung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Sie lenken den Blick auf die Unrechtseinsicht des Angeklagten und vernachlässigen die Frage einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens.
13
aa) Richtig ist zwar, dass nicht bereits die gesicherte Diagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Anteilen mit einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" in § 20 StGB gleichzusetzen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52). Jedoch kann das Eingangsmerkmal im Einzelfall bei einem solchen Befund erfüllt sein. Dabei sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit von Bedeutung.
14
Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist im Allgemeinen maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des Delikts zu Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (BGH aaO). Insoweit ist die Unterscheidung von beruflichen und privaten Aktivitäten des Angeklagten dadurch erschwert, dass seine vielfältigen "privaten" Aktivitäten - "durchgängig" unter Einbeziehung der Mitglieder seiner "Ersatzfamilie" - gerade Ausdruck seiner Persönlichkeitsstörung waren. Im Vordergrund der Prüfung müssten daher die Wahrnehmung der eigenen und anderer Personen, die emotionalen Reaktionen , die konkrete Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Impulskontrolle stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 seelische Abartigkeit 6). Damit hat sich das Landgericht unter einem falschen Blickwinkel beschäftigt.
15
So wäre etwa auch die Unfähigkeit des Angeklagten, eine intime Partnerschaft einzugehen und deren vollständige Ersetzung durch die intensive berufliche wie private Beziehung zu den Mitarbeitern als Ausdruck der Störung in die Gesamtschau einzubeziehen. Deshalb grenzt die landgerichtliche Annahme des Vorliegens eines normalen Sozialverhaltens mit "hohem Funktionsniveau" ein nur scheinbar intaktes Privatleben in unzutreffender Weise von Störungssymptomen ab. Zumindest hat das Landgericht die Bedeutung dieses Aspekts im Unklaren gelassen, indem es angemerkt hat, über die Gründe dafür, dass der Angeklagte zweifelhafte Beziehungen mit Personen aufgenommen hat, die ihn - wie er wusste - stets ausgenutzt haben, können "nur spekuliert" werden.
16
bb) Das Landgericht hat die Zielrichtung der Prüfung, ob ein Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB vorliegt und die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war, im Hinblick auf die Frage des Hemmungsvermögens vernachlässigt, weil es sich auf die Frage der Unrechtseinsicht konzentriert hat. Auch deshalb hat es eine fragwürdige Gewichtung der Störung vorgenommen.
17
Die Entscheidung, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, StV 2013, 694); jedoch sind die Prüfungspunkte miteinander verzahnt (vgl. zur Problematik Fischer, StGB 62. Aufl. § 20 Rn. 5, 5a m.w.N.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine Störung im psychiatrischen Sinn vorliegt, was hier mit dem "Vollbild einer Persönlichkeitsstörung" eindeutig der Fall ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung im Hinblick auf das Vorliegen eines Eingangsmerkmals und anschließend die Erheblichkeit des Einflusses auf das Hemmungsvermögen gemäß § 21 StGB zu untersuchen. Hierzu ist der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befundes wie bei der Prüfung erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um Rechtsfragen. Diese Fragen hat das Landgericht nicht in einer nachvollziehbaren Weise beantwortet.
18
Sein Vergleich der Bedeutung der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit der Beeinträchtigung eines Drogensüchtigen wirkt unpassend. Jedenfalls hat die Strafkammer nicht näher überprüft, inwieweit die störungsbedingte Sucht des Angeklagten danach, die Mitglieder seiner Ersatzfamilie an sich zu binden, sein Sozialverhalten und das hiermit auf das Engste verknüpfte Tatverhalten beherrscht hat. In diese Prüfung wäre zudem der festgestellte Konsum des angstlösenden Medikaments Lorazepam (Tavor) als konstellativer Faktor einzubeziehen gewesen.
19
Schließlich liegt der Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Abläufe in dem - ausschließlich auf Betrug ausgerichteten - Unternehmen zu organisieren und dabei auch Verträge zu entwerfen vermocht, was ein Mensch im Residualsyndrom einer Psychose nicht hätte leisten können, ein fehlerhafter Vergleich zu Grunde. Die Fähigkeit zu einem bestimmten Handeln des Täters enthält keine abschließende Aussage über seine Möglichkeit, ausreichende Hemmungen gegen dieses Handeln aufzubauen. Fischer Krehl Eschelbach Zeng Bartel
5 StR 398/07

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 4. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Dezember 2007 beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 13. April 2007 nach § 349
Abs. 4 StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen
Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision gegen das genannte Urteil
wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet
verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1 Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sachbeschädigung in
drei Fällen und wegen versuchter schwerer Brandstiftung in drei Fällen zu
einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn zur Zahlung von
Schadensersatz verpflichtet. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel
hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg; im Übrigen ist es aus den
Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne
2 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts musste der Angeklagte
am Tattag sein Wohnheim verlassen, nachdem er auf einen Mitbewohner im
Rahmen einer aus ungeklärtem Grund begonnenen Auseinandersetzung mit
seiner Krücke eingeschlagen hatte. Der Angeklagte fühlte sich ungerecht
behandelt. Kurz darauf beschädigte er drei Kraftfahrzeuge ihm unbekannter
Eigentümer, indem er mit Steinen die Autoscheiben einwarf.
3 Etwa vier Stunden später begab er sich in den Vorraum eines in der
Spandauer Innenstadt gelegenen Reisebüros und zündete das dort in einer
Tonne gelagerte Papier und die auf einem Tisch ausgelegten Werbeprospekte
an. In dem Vorraum, dessen Fußboden und Decke aus Holz bestanden,
entwickelten sich 30 bis 40 Zentimeter hohe Flammen, die jedoch gelöscht
werden konnten, ohne dass es zu einer weiteren Ausbreitung des Brandes
kam. Unmittelbar darauf ging er in ein in der Nähe gelegenes Kaufhaus und
suchte mit Kleidungsstücken aus den Auslagen die Umkleidekabine auf. Dort
zündete er die Bekleidung an und legte sie auf die Sitzbank, die in Brand geriet
, welcher sich auf die hölzernen Kabinenwände ausbreitete. Ein Übergreifen
auf in der Nähe stehende Warenträger mit Textilien und auf den Holzfußboden
wurde durch Löscharbeiten der Kaufhausangestellten verhindert. Kurze
Zeit darauf wiederholte der Angeklagte diese Vorgehensweise in einem
anderen Kaufhaus in der Spandauer Innenstadt. Dort hing er die in Brand
gesetzten Bademäntel an die Kabinenwand, an der es zu Einbrennungen
kam. Ein in der Kabine befindlicher Hocker geriet in Brand. Dieser wurde von
Kunden bemerkt, die den Brand löschten und eine Ausbreitung auf in unmittelbarer
Nähe befindliche leicht brennbare Materialien und den hölzernen
Fußboden verhinderten. In allen drei Fällen beabsichtigte der Angeklagte
eine Brandausbreitung auf größere Teile des Geschäfts und der Haussubstanz
; bei ungehindertem Brandverlauf wäre es wegen der vielen brennbaren
und leicht entzündlichen Materialien hierzu auch gekommen.
4 2. Der Schuldspruch zeigt keine Rechtsfehler zuungunsten des Angeklagten
auf. Soweit allerdings die sachverständig beratene Strafkammer eine
relevante Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit verneint hat, kann das Urteil
keinen Bestand haben.
5 Im Anschluss an den Sachverständigen hat das Landgericht hierzu
festgestellt, dass bei dem Angeklagten, der auf Affekte nicht anspreche und
keine Gefühle empfinde, eine antisoziale Persönlichkeitsstörung bestehe, die
aber nicht die Qualität einer krankhaften seelischen Störung habe. Das lang
hingezogene Tatgeschehen und die komplexen Handlungsabläufe ergäben
keine Beeinträchtigung der Hemmungsfähigkeit, der Angeklagte führe vielmehr
gezielt und koordiniert einen bewussten Rachefeldzug durch.
6 Diese Erwägungen sind nicht ausreichend, um angesichts der festgestellten
Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten, ihren Auswirkungen
auf sein Vorleben und das Tat- und Nachtatgeschehen eine erhebliche
Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer schweren anderen
seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB nachvollziehbar auszuschließen.
Zwar geht das Landgericht zutreffend davon aus, dass die Diagnose
einer Persönlichkeitsstörung nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer
schweren anderen seelischen Abartigkeit ist (BGHSt 49, 347). Für diese Annahme
und die Bewertung der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung
der Steuerungsfähigkeit bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen
beim Täter sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen
belasten oder einengen wie krankhafte seelische Störungen (BGH
NStZ 2006, 154).
7 Eine solche Gesamtschau (vgl. BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit
4, 9, 16, 24, 29) hat das Landgericht aber nicht angestellt, sondern eine entsprechende
Beeinträchtigung der Gesamtheit des Lebens des Angeklagten
ohne weitere Begründung abgelehnt. Dies ist rechtsfehlerhaft, da der im Urteil
festgestellte Werdegang des Angeklagten keinen Lebensbereich erkennen
lässt, der von einem intakten Sozialverhalten geprägt ist. Daher ist der
Schluss des Landgerichts, dass eine schwerwiegende allgemeine Einschränkung
seiner Handlungskompetenz, wie sie die Feststellung eines
überdauernden Zustands vom Schweregrad des § 21 StGB voraussetzt
(BGH, Beschluss vom 30. Januar 2007 – 4 StR 603/06), nicht gegeben ist,
hier eher fernliegend. In diesem Zusammenhang wäre nämlich zu erörtern
gewesen, dass der Angeklagte, der seit seiner Kindheit an einer chronischen
Muskelentzündung der Beine leidet, aufgrund dessen zu 30 Prozent schwerbehindert
und auf Gehhilfen angewiesen ist, von seinen Eltern wegen seiner
Behinderung abgelehnt wurde und seine Kindheit überwiegend in Heimen
verbrachte. Aufgrund seiner lebensfremden Einstellung entschied er sich
schon früh, keinen Beruf erlernen zu wollen, und lebt seit 1982 von Sozialhilfe.
Er hat nie gearbeitet. Für die Bewertung der Beeinträchtigung des bisherigen
Lebens des Angeklagten durch die psychische Störung ist auch von
Bedeutung, dass er zu keiner Zeit Freunde oder eine Intimpartnerin hatte.
Zudem wäre der Umstand, dass er seit etwa einem Jahr in einem Übergangswohnheim
für Obdachlose wohnte, welches er schließlich aufgrund
eines aggressiven Übergriffs verlassen musste, einzubeziehen gewesen.
8 Vor allem der Charakter der Taten als „Rachefeldzug“ gegenüber einer
Vielzahl von Menschen, die an vermeintlichen Kränkungen oder Zurücksetzungen
des Angeklagten nicht mitgewirkt haben, wäre als Indiz für die
Bewertung des Ausprägungsgrades der psychischen Störung zu erörtern
gewesen. Auch wäre zu prüfen gewesen, ob die Umsetzung der Rachepläne
vor allem durch Brandlegung, was auf eine gewisse Affinität zu Feuer schließen
lässt, im Zusammenhang mit der diagnostizierten Störung zu sehen ist.
Schließlich wäre im Rahmen der Gesamtschau auch das Verhalten des Angeklagten
nach seiner Festnahme zu berücksichtigen gewesen, bei dem er
erklärte, dass alles erst der Anfang sei, alle würden für das ihm angetane
Unrecht bezahlen, er werde Menschen töten, es sei ihm gleichgültig, wen es
erwische. Gleiches gilt für die dem Sachverständigen berichteten Drohungen.
9 Soweit das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit
aufgrund der Persönlichkeitsstörung im Hinblick auf das gezielte
und koordinierte Handeln des Angeklagten ausgeschlossen hat, ist
diese Begründung ebenfalls nicht tragfähig (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit
10, 14, 23). Denn auch bei geplantem und geordnetem Vorgehen
kann die Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein, Anreize zu einem bestimmten
Verhalten und Hemmungsvermögen gegeneinander abzuwägen und danach
seinen Willensentschluss zu bilden (BGH StraFo 2001, 249).
10 Dass eine umfassende Beurteilung aller Kriterien zur Schuldunfähigkeit
führt, lässt sich nach den Feststellungen ausschließen, nicht indes die
Möglichkeit einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Dies
hat die Aufhebung der Einzelstrafen und der Gesamtstrafe, die für sich genommen
nicht überhöht sind, jedenfalls deshalb zur Folge, weil der Angeklagte
bei Annahme des § 21 StGB zugleich mit der Anordnung einer Maßregel
nach § 63 StGB rechnen muss. Sollte das neue Tatgericht nämlich,
naheliegend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen, zu dem
Ergebnis kommen, dass der Angeklagte bei den Taten in seiner Steuerungsfähigkeit
mit Sicherheit erheblich vermindert war, was ungeachtet der bisherigen
Begutachtung keineswegs fernliegt, wird es auch über die Verhängung
einer Maßregel nach § 63 StGB zu entscheiden haben (§ 358 Abs. 2
Satz 3 StPO).
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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 595/07
vom
29. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Januar 2008 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 26. Juli 2007
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung und der schweren Vergewaltigung schuldig ist,
b) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen schuldig gesprochen, "wobei er in einem Fall ein gefährliches Werkzeug verwendete und in dem anderen Fall ein sonstiges Mittel bei sich führte, um den Widerstand einer anderen Person durch Drohung mit Gewalt zu verhindern". Es hat ihn deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und im Fall II. 2 im Adhäsionsverfahren der Nebenklägerin Schadensersatz zuerkannt.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, ist zum Schuld-, Straf- und Adhäsionsausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der Maßregelausspruch hat hingegen keinen Bestand.
3
1. Im Fall II. 2 tragen die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB (vgl. BGH NStZ 2004, 261). Dass die Strafkammer dies bei der rechtlichen Würdigung der Tat in den Urteilsgründen nicht zum Ausdruck gebracht hat, steht dem nicht entgegen. Das Landgericht ist deshalb bei der Strafzumessung im Ergebnis zu Recht von dem sich aus § 177 Abs. 3 StGB ergebenden erhöhten Strafrahmen von drei Jahren bis 15 Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen. Der Erörterung des § 177 Abs. 5 2. Halbs. StGB bedurfte es nicht, da die Annahme eines minder schweren Falles bei dem rechtsfehlerfrei festgestellten Tatgeschehen fern lag.
4
Jedoch ist die Urteilsformel mit Blick auf die Verwirklichung der Qualifikationstatbestände dahin klarzustellen, dass der Angeklagte im Fall II. 1 der besonders schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) und im Fall II. 2 der schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB) schuldig ist (vgl. BGHR StPO § 260 IV 1 Urteilsformel 4).
5
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Anordnung dieser Maßregel kommt nur bei solchen Personen in Betracht , deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (st. Rspr., BGHSt 34, 22, 27; 42, 385 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan.
7
Das Landgericht hat angenommen, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei der ersten Tat, nicht hingegen bei der zweiten Tat, erheblich im Sinne des § 21 StGB infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung (UA 16) vermindert gewesen. Der Angeklagte weise eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf der "Basis einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur in Form eines sogenannten 'verdeckten Narzissmus' " auf, die für sich genommen zwar eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht begründen könne. Jedoch habe sich der Angeklagte bei Begehung der Tat II. 1, anders als bei der zweiten Tat, auf Grund einer akuten und ernsten Beziehungskrise mit seiner damaligen Lebensgefährtin Oxana S. in einer belastenden Situation im Sinne einer Lebenskrise befunden. Dies habe im Zusammentreffen mit dem labilen Persönlichkeitsgefüge des Angeklagten bei Begehung der ersten Tat zum Nachteil der Sandra Sch. infolge einer affektiv bedingt eingeengten Wahrnehmung zu einem sexuellen Impulsdurchbruch geführt, welcher für den Angeklagten nur bedingt steuerbar gewesen sei.
8
a) Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat II. 1 wird durch diese Ausführungen nicht belegt.
9
Die der Schuldfähigkeitsbeurteilung als Anknüpfungstatsache zu Grunde gelegte "akute und ernste" trennungsbedingte Krisensituation des Angeklagten kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden. Ausweislich der Urteilsgründe ging die Trennung nämlich nicht etwa von Oxana S. , sondern vom Angeklagten aus. Es war auch der Angeklagte, der darauf bestand, dass Oxana S. ca. zwei Monate vor der Tat aus der gemeinsamen Wohnung auszog, was diese auch befolgte. Vor diesem Hintergrund ist bereits nicht zu erkennen, weshalb sich die Trennung von seiner Lebensgefährtin für den Angeklagten noch zwei Monate später bei Begehung der Tat zum Nachteil der Sandra Sch. als schwere Belastungssituation darstellen konnte.
10
Hinzu kommt, dass sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Tat II. 2, die der Angeklagte ca. zehn Monate nach der ersten Tat in - wovon die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeht - uneingeschränkt schuldfähigem Zustand beging, ein nahezu identisches Tatmuster wie die erste Tat aufwies. Dies gilt nicht nur für das Sichbemächtigen der dem Angeklagten unbekannten jungen Frauen anlässlich nächtlicher Fahrten durch Halle und die Durchführung der Taten selbst, sondern auch für die sinngleichen, drohenden Äußerungen des Angeklagten gegenüber den jeweiligen Tatopfern, etwa "er habe nichts zu verlieren" bzw. ihm "sei sowieso alles egal". In Anbetracht der übereinstimmenden Tatbilder vermag die von der Strafkammer hervorgehobene Äußerung des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin bei Begehung der Tat II. 2 die unterschiedliche Schuldfähigkeitsbeurteilung nicht zu belegen (UA 16).
11
b) Darüber hinaus vermögen die Feststellungen des Landgerichts die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch deshalb nicht zu tragen, weil ihnen eine die Unterbringung rechtfertigende Stö- rung im Sinne eines länger andauernden "Zustands" nicht entnommen werden kann.
12
Nach den bisherigen Feststellungen führt die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung vielmehr erst dann zu einer Verminderung der Schuldfähigkeit, wenn sich der Angeklagte in "mehr oder weniger krisenhaften Situationen, insbesondere Beziehungskrisen" befindet. Diese auf die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung zurückzuführende Disposition, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, reicht zur Bejahung eines dauernden Zustands im Sinne des § 63 StGB nicht aus (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2004 - 4 StR 452/04 und vom 10. Januar 2008 - 4 StR 626/07).
13
3. Der Maßregelausspruch kann daher nicht bestehen bleiben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil sich möglicherweise noch Feststellungen treffen lassen, die die Maßregelanordnung tragen können. Für die neue Hauptverhandlung wird es sich jedoch empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen. Der Strafausspruch wird durch die Aufhebung der Unterbringungsanordnung nicht berührt, da der Angeklagte durch die Annahme des § 21 StGB im Fall II. 1 bei der Strafzumessung nicht beschwert ist.
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.