Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Mai 2013 - 5 StR 143/13

bei uns veröffentlicht am14.05.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 143/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 14. Mai 2013
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Mai 2013

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 13. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Görlitz zurückverwiesen.

G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Folgendes Geschehen liegt zugrunde:
3
a) Die Schwurgerichtskammer hat einen Beweisantrag der Verteidigung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Mit diesem hatte der Angeklagte unter anderem die Vernehmung der Zeugin Z. zum Beweis der Tatsache begehrt, dass die Zeugin Wi. , die Freundin des Angeklagten, ihr am Morgen nach der Tatnacht – in Übereinstimmung mit späteren Angaben gegenüber der Polizei – von dem Tatgeschehen berichtet und hierbei kundgetan habe, der Angeklagte sei von den Zeugen A. und B. angegriffen worden, habe sich rückwärts von diesen wegbewegt und die ihn weiter verfolgenden Zeugen aufgefordert, sich ihm nicht weiter zu nähern. Er habe dabei mit einem abgebrochenen Flaschenhals in der Hand wild um sich geschlagen und gestikuliert. Der Zeuge B. habe sich gleichwohl weiter genähert und sei schließlich vom Angeklagten am Hals getroffen worden.
4
b) Zur Begründung der Ablehnung dieses Beweisantrags hat das Landgericht ausgeführt, es halte die Einvernahme der Zeugin Z. zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin Wi. für nicht erforderlich. Falls die Zeugin Z. inhaltlich die Angaben der Zeugin Wi. gegenüber der Polizei wiedergebe, wäre als weitergehender Erkenntnisgewinn lediglich festzustellen, dass die Zeugin Wi. innerhalb von ca. zwei Wochen zwei gleichlautende Aussagen getroffen habe. Die Strafkammer habe die Zeugen F. (den Polizeibeamten, der im Ermittlungsverfahren die Zeugin Wi. vernommen hatte) und Wi. bereits vernommen. Die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen treffe die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme. Im Urteil hat die Schwurgerichtskammer die die Einlassung des Angeklagten stützende Aussage der Zeugin Wi. als unglaubhaft bewertet und insoweit unter anderem ausgeführt, die Zeugin habe zwischen dem Abtauchen des Angeklagten und ihrem eigenen Verschwinden am 2. Dezember 2011 (dem Tattag ) bis zu ihrer Vernehmung am 17. Dezember 2011 genügend Zeit gehabt, ihre Aussage mit derjenigen des Angeklagten abzustimmen (UA S. 25).
5
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
a) Bereits die Begründung, mit der das Landgericht den auf eine Indiztatsache gerichteten Beweisantrag abgelehnt hat, genügt nicht den insoweit bestehenden Anforderungen. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb. Dies nötigt zu einer Einfügung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (BGH, Beschluss vom 27. November 2012 – 5 StR 426/12 mwN). Das Landgericht hätte sich daher in der Beschlussbegründung ausdrücklich damit auseinandersetzen müssen, weshalb der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit jedenfalls nicht von vornherein unerhebliche Umstand der Übereinstimmung kurz nach der Tat gegenüber einer Bekannten getätigter Angaben mit einer zwei Wochen später stattfindenden Aussage bei der Polizei im konkreten Fall keinen Einfluss auf die Bewertung der das Tatgeschehen weitgehend im Einklang mit der Einlassung des Angeklagten darstellenden Angaben der Zeugin Wi. haben kann, sei es, weil es der Zeugin ohnehin Glauben schenkt, sei es, weil es deren Angaben auch bei einer zu unterstellenden Richtigkeit der Beweisbehauptung aus bestimmten Gründen als unglaubhaft bewerten würde. Demgegenüber erweckt die Beschlussbegründung den Eindruck, das Landgericht halte den – tatsächlich bestehenden – Zusammenhang der Beweistatsache mit dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht für gegeben.
7
b) Ob dieser Begründungsmangel im vorliegenden Fall bereits für sich genommen geeignet wäre, die Revision des Angeklagten zu begründen, kann indessen letztlich dahinstehen, da sich die Ablehnung des Beweisantrags jedenfalls aus einem anderen Grund als rechtsfehlerhaft erweist.
8
An der dem Ablehnungsbeschluss zugrunde liegenden Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache muss sich das Gericht festhalten lassen; es darf sich nicht im Urteil zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch setzen, insbesondere die Urteilsgründe nicht auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (BGH, Beschlüsse vom 27. November 2012 – 5 StR 426/12 – und vom 20. Juli 2010 – 3 StR 250/10, StraFo 2010, 466; Urteil vom 19. September 2007 – 2 StR 248/07, StraFo 2008, 29; Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22). Indem die Strafkammer die die Einlassung des Angeklagten bestätigende Aussage der Zeugin Wi. - unter anderem mit der Begründung als unglaubhaft bewertet hat, die Zeugin habe zwischen dem Abtauchen des Angeklagten und ihrem eigenen Verschwinden am 2. Dezember 2011 bis zu ihrer Vernehmung am 17. Dezember 2011 genügend Zeit gehabt, ihre Aussage mit derjenigen des Angeklagten abzustimmen, hat sie jedoch einen mit der im Ablehnungsbeschluss als bedeutungslos erachteten Tatsache unvereinbaren Umstand zur Stützung seiner Überzeugung herangezogen. Hätte die Zeugin Wi. nämlich bereits am Morgen nach der Tat identische Angaben gemacht, könnte nicht auf den im Urteil genannten für eine Abstimmung der Aussagen zur Verfügung stehenden Zeitraum von zwei Wochen abgestellt werden, sondern lediglich auf einen solchen von wenigen Stunden, in dem der Angeklagte und die Zeugin noch unmittelbar unter dem Eindruck des Erlebten gestanden haben dürften und eine polizeiliche Aussage noch nicht unmittelbar bevorstand.
9
c) Auf dem Verfahrensfehler beruht das Urteil. Zwar führt das Landgericht noch weitere Gründe für die Unglaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin Wi. an. Das Abstellen auf den zur Abstimmung der Aussage zur Verfügung stehenden Zeitraum kann gleichwohl nicht als die Entscheidung nicht tragende Hilfserwägung verstanden werden. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Strafkammer unter Berücksichtigung einer inhaltlich deckungsgleichen Schilderung Wi. s bereits am Morgen nach der Tat insoweit zu einem anderen Ergebnis gelangt und die Aussage der Zeugin sowie die durch sie gestützte Einlassung des Angeklagten anders bewertet und im Ergebnis abweichende tatsächliche Feststellungen getroffen hätte.
10
d) Dieser Rechtsfehler nötigt zur umfassenden Aufhebung des Urteils. Zwar lässt die in der Hauptverhandlung abgegebene Einlassung des Angeklagten einen die Voraussetzungen des § 32 StGB erfüllenden unmittelbar bevorstehenden Angriff der Zeugen A. und B. nicht erkennen, so dass ihr entsprechende Feststellungen entgegen der Ansicht der Revision dem Schuldspruch nicht ohne weiteres die Grundlage entzögen. Es ist dem Revisionsgericht jedoch verwehrt, die rechtsfehlerhaft zustande gekommenen Feststellungen des Tatgerichts durch anderweitige zu ersetzen.
11
3. Für die neue Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
12
a) Die Notwendigkeit und der Umfang der Wiedergabe von Zeugenaussagen und der Auseinandersetzung mit ihnen bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalls (näher Engelhardt in KK, StPO, 6. Aufl., § 267 Rn. 15 mwN). So muss etwa die Entwicklung einer Zeugenaussage in der Beweiswürdigung dann nicht abgehandelt werden, wenn dieser Gesichtspunkt zur Überzeugung der Strafkammer geklärt ist und das Urteil selbst von Widersprüchen oder Lücken frei ist (BGH, Urteil vom 27. Juli 2005 – 2 StR 203/05, NStZ 2006, 55). Das neue Tatgericht wird sich jedoch einge- hender als bisher geschehen mit den verschiedenen Zeugenaussagen auseinanderzusetzen haben, die im angefochtenen Urteil zur Widerlegung der Einlassung des Angeklagten herangezogen worden sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass etwa die im Urteil wiedergegebenen Aussagen der Zeuginnen Bü. und Al. in Teilbereichen inhaltlich nicht mit den Feststellungen des Landgerichts in Einklang stehen.
13
b) Die im Urteil vorgenommene Trinkmengenberechnung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. zur Berechnung König in LK, 12. Aufl., § 316 Rn. 37 ff.).
14
4. Der Senat verweist die Sache – nach „Aufhebung“ des Landgerichts Bautzen – an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts Görlitz zurück (§ 71 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 2 Nr. 3 SächsJG).
Raum Sander Schneider
König Bellay

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafgesetzbuch - StGB | § 32 Notwehr


(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig. (2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

5 StR 426/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 27. November 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. November 2012

beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten E. und K. wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Februar 2012, soweit es sie betrifft, gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 16 Fällen zu Gesamtfreiheitsstrafen von sechs Jahren und neun Monaten (E. ) und sechs Jahren und sechs Monaten (K. ) verurteilt. Die hiergegen gerichteten Revisionen der Angeklagten haben mit inhaltsgleichen Verfahrensrügen Erfolg.
2
Die Strafkammer hat zwei von beiden Angeklagten gestellte Beweisanträge wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt. Mit diesen haben sie die Vernehmung der Zeugen O. und L. – ersterenals Zeugen vom Hörensagen, letzteren als unmittelbaren Zeugen – zum Beweis der Tatsache begehrt, dass der Mitangeklagte P. in der Justizvollzugsanstalt T. , in der er als Vollzugsbeamter tätig war, mit Drogen gehandelt habe. Zur Begründung hat das Tatgericht ausgeführt, die Beweistatsache lasse keine zwingenden Schlüsse auf die „Glaubwürdigkeit“ des Mitangeklagten zu. Sie beträfe lediglich einen Randbereich seiner Aussage. Im Übrigen hätten die Angeklagten selbst eine Tatbeteiligung eingeräumt.
3
Dies genügt nicht den Anforderungen, die an die Begründung der Ablehnung eines auf eine Indiztatsache gerichteten Beweisantrags zu stellen sind. Der Beschluss, mit dem die Erhebung eines Beweises wegen Unerheblichkeit der Beweistatsache abgelehnt wird, ist mit konkreten Erwägungen zu begründen, warum das Tatgericht aus der Beweistatsache keine entscheidungserheblichen Schlussfolgerungen ziehen will. Die Anforderungen an diese Begründung entsprechen grundsätzlich denjenigen, denen das Gericht genügen müsste, wenn es die Indiz- oder Hilfstatsache durch Beweiserhebung festgestellt und sodann in den schriftlichen Urteilsgründen darzulegen hätte, warum sie auf seine Entscheidungsbildung ohne Einfluss blieb (BGH, Urteil vom 7. April 2011 – 3 StR 497/10, NStZ 2011, 713 mwN). Dies nötigt zu einer Einfügung der Beweistatsache in das bisher gewonnene Beweisergebnis (vgl. BGH, Beschluss vom 10. November 2011 – 5 StR 397/11, NStZ-RR 2012, 82).
4
Dem werden die die Anträge auf Vernehmung der Zeugen O. und L. zurückweisenden Beschlüsse nicht gerecht. Der schlagwortartige Hinweis darauf, dass die in Frage stehenden Angaben des Mitangeklagten P. – auf denen die Urteilsfeststellungen überwiegend beruhen – lediglich das Randgeschehen beträfen und die Angeklagten im Übrigen eine Tatbeteiligung eingeräumt hätten, berücksichtigt nicht ausreichend die Besonderheiten des vorliegenden Falles und lässt eine ausreichende Gesamtwürdigung nicht erkennen. Träfe die Beweistatsache nämlich zu, so läge – insbesondere hinsichtlich des auf Vernehmung des Zeugen L. gerichteten Beweisantrags , in welchem der behauptete Handel des Mitangeklagten P. ausdrücklich den Tatzeitraum einbezieht – die Annahme äußerst nahe, dass es sich hierbei um den Absatz eines Teils der durch die abgeurteilten Anbauhandlungen erzielten Erträge gehandelt habe. Der eine eigene Verkaufstätigkeit in Abrede stellende P. hätte in diesem Fall seinen eigenen Beitrag zu den verfahrensgegenständlichen Taten heruntergespielt, wodurch nicht nur seine Glaubwürdigkeit im allgemeinen, sondern auch die Glaubhaftigkeit seiner Angaben zum konkreten Tatgeschehen, durch die er die Beschwerdeführer erheblich belastet hat, berührt wäre. Hieran vermag auch das jeweilige Teilgeständnis der Beschwerdeführer nichts zu ändern, da diese erheblich hinter den auf den Angaben P. s beruhenden Feststellungen zurückbleiben und der Beweisantrag gerade darauf abzielte, die von den Einlassungen der Beschwerdeführer abweichenden Angaben des unter Berücksichtigung seiner getätigten Aufklärungshilfe zu einer zweijährigen, zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilten Mitangeklagten P. in Zweifel zu ziehen.
5
Die Ablehnung der Beweisanträge erweist sich zudem aus einem weiteren Grund als rechtsfehlerhaft. An der dem Ablehnungsbeschluss zugrunde liegenden Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit der Beweistatsache muss sich das Gericht festhalten lassen; es darf sich nicht im Urteil zu der Ablehnungsbegründung in Widerspruch setzen, insbesondere die Urteilsgründe nicht auf das Gegenteil der unter Beweis gestellten Tatsache stützen (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 3 StR 250/10, StraFo 2010, 466; Urteil vom 19. September 2007 – 2 StR 248/07, StraFo 2008, 29; Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 373/96, BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 22). Gegen diesen Grundsatz hat das Landgericht verstoßen, indem es im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt hat, die Behauptung, der Mitangeklagte P. habe Drogen in die JVA „eingeschmuggelt“, habe sich nach Vernehmung des Leiters der Personalabteilung der JVA „als völlig haltlos erwiesen“ (UA S. 22).
6
Auf dem Verfahrensfehler beruht das Urteil. Da die seitens der Beschwerdeführer eingeräumten Teile des Tatgeschehens untrennbar mit den darüber hinausgehenden, auf die Angaben P. s gestützten Feststellungen verbunden sind, können die Urteilsfeststellungen insgesamt keinen Bestand haben.
7
Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass zwar bei mehreren selbständigen Erntevorgängen grundsätzlich die Annahme selbständiger Taten des Handeltreibens naheliegt (vgl. BGH, Beschlüsse vom 15. Oktober 2008 – 2 StR 352/08, und vom 20. April 2005 – 3 StR 106/05, NStZ 2005, 650), dies indessen für jeden Beteiligten die Feststellung auf die einzelnen Ernten bezogener Tatbeiträge voraussetzt, da das Konkurrenzverhältnis für jeden Beteiligten gesondert nach seinem Tatbeitrag zu bewerten ist (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., Vor § 52 Rn. 34 mwN).
Basdorf Schaal Schneider Dölp Bellay

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 250/10
vom
20. Juli 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am 20. Juli
2010 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 28. Januar 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II. 1 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes (Fall II. 1) und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit "Verstoß gegen das Waffengesetz" (Fall II. 2) unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet , hat mit einer Verfahrensrüge zum Fall II. 1 und zum Gesamtstrafenausspruch Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Rüge, das Landgericht habe einen Beweisantrag in rechtsfehlerhafter Weise abgelehnt, greift durch.
3
1. Nach den Feststellungen zum Fall II. 1 ergriff der Angeklagte den späteren Geschädigten, der sich in Begleitung des Zeugen H. befand, mit der linken Hand an der Schulter, legte den Arm um ihn und zog ihn gegen dessen Willen in den nicht einsehbaren Eingangsbereich einer Spielothek. Dort nahm er ihm gewaltsam 120 € weg.
4
Das Landgericht hat die Verurteilung des Angeklagten, der die Tat bestritten hat, im Wesentlichen auf die Angaben des Tatopfers gestützt. Dessen Aussage hat es auch deshalb als glaubhaftangesehen, weil der Zeuge H. bei seiner polizeilichen Vernehmung zum Vortatgeschehen in Übereinstimmung mit dem Geschädigten angegeben habe, der Angeklagte habe das Tatopfer "von ihm weggezogen" und sei mit ihm in die Spielothek gegangen. Die polizeiliche Aussage des Zeugen H. wurde über den Vernehmungsbeamten in die Hauptverhandlung eingeführt; eine persönliche Einvernahme des Zeugen hat nicht stattgefunden.
5
2. Der Angeklagte hat mit dem Ziel, die Glaubhaftigkeit der Aussage des Geschädigten zu erschüttern, die Vernehmung des Zeugen H. zum Beweis dafür beantragt, dass das Tatopfer dem Angeklagten freiwillig in den Durchgang der Spielothek gefolgt und hierzu von dem Angeklagten nicht im Sinne einer Nötigungshandlung gezwungen worden sei. Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die behauptete Tatsache sei - ersichtlich tatsächlich - für die Entscheidung ohne Bedeutung. Entscheidend sei allein das Geschehen im Eingangsbereich der Spielothek. Die Indiztatsache, dass das Tatopfer dem Angeklagten dorthin freiwillig gefolgt sei, lasse nur den mögli- chen, nicht aber den zwingenden Schluss zu, dass die Wegnahme des Geldes im nicht einsehbaren Eingangsbereich der Spielothek ohne Gewaltanwendung erfolgt sei. Diesen Schluss wolle die Strafkammer jedoch nicht ziehen.
6
a) Der Antrag des Beschwerdeführers genügt den an einen Beweisantrag zu stellenden Anforderungen. Insbesondere wird eine hinreichend bestimmte Tatsache behauptet; denn bei sinngerechter Auslegung war der Antrag erkennbar dahin zu verstehen, der Zeuge H. werde bekunden, dass der Geschädigte ohne Widerstreben und ohne Zwangseinwirkung durch den Angeklagten diesem in den Eingangsbereich der Spielothek gefolgt ist.
7
b) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist auch im Sinne des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig erhoben. Die Revision teilt sowohl den Inhalt des Beweisantrags nebst Begründung als auch den gerichtlichen Ablehnungsbeschluss im Wortlaut mit. Da weder im Beweisantrag noch im Ablehnungsbeschluss Aktenbestandteile in Bezug genommen wurden und sich die Fehlerhaftigkeit des Gerichtsbeschlusses bereits aus dessen Begründung in Verbindung mit den Urteilsgründen ergibt, bedurfte es entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts weiterer Darlegungen zur Begründung der Rüge nicht (vgl. Löwe/Rosenberg/ Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 372).
8
c) Die Ablehnung der beantragten Beweiserhebung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
9
Für die zu treffende Entscheidung ohne Bedeutung ist eine unter Beweis gestellte Indiz- oder Hilfstatsache nur dann, wenn ein Zusammenhang zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs selbst im Falle ihres Erwiesenseins nicht ge- eignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 244 Rn. 56 mwN). Zwar ist es dem Tatrichter grundsätzlich nicht verwehrt, Indiztatsachen als für die Entscheidung bedeutungslos zu betrachten, wenn er einen möglichen Beweisschluss, den der Antragsteller erstrebt, nicht ziehen will. Er muss sich dann aber an seiner Annahme tatsächlicher Bedeutungslosigkeit festhalten lassen und darf sich im Urteil nicht in Widerspruch zu der Ablehnungsbegründung setzen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 8. Februar 2000 - 4 StR 592/99, NStZ-RR 2000, 210 mwN).
10
Dies ist hier jedoch geschehen. Im Rahmen der Glaubwürdigkeitsbeurteilung des Tatopfers hat das Landgericht auch aus den übereinstimmenden Angaben des Zeugen H. und des Geschädigten zu dem Vortatgeschehen auf die Glaubhaftigkeit der Angaben des Opfers zur Tat II. 1 geschlossen. Damit hat es zu erkennen gegeben, dass es diesem Geschehen entgegen der im Ablehnungsbeschluss geäußerten Auffassung Bedeutung für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen beigemessen hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO.
11
Bei der im Fall II. 1 gegebenen Sachlage, bei der zum eigentlichen Raubgeschehen Aussage gegen Aussage steht, vermag der Senat ein Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensverstoß nicht auszuschließen.
12
3. Die Aufhebung des Urteils im Fall II. 1 zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Becker Pfister Sost-Scheible
Hubert Mayer

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Wer eine Tat begeht, die durch Notwehr geboten ist, handelt nicht rechtswidrig.

(2) Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 203/05
vom
27. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 27. Juli 2005,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Rissing-van Saan
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Bundesanwalt in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt ,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Trier vom 13. Dezember 2004 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltig ung, sexueller Nötigung, Körperverletzung in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Bedrohung und wegen versuchter Nötigung unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er Verfahrensrügen und die Sachrüge erhebt.
1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
Der Angeklagte und die fünf Jahre jüngere, damals 15- jährige Nebenklägerin lernten sich 1995 kennen und verliebten sich ineinander. 1996 wurde die Nebenklägerin schwanger, im November 1996 wurde die gemeinsame Tochter geboren. Obwohl der Angeklagte und die Nebenklägerin nicht zusammenzogen, setzten sie ihre Beziehung fort, in der der Angeklagte die
gen, setzten sie ihre Beziehung fort, in der der Angeklagte die zunächst noch sehr junge und selbstunsichere Nebenklägerin dominierte. Als die Nebenklägerin zunehmend selbstständiger wurde und eigene Wünsche äußerte, kam es seit Ende 1998 zu Gewalttätigkeiten des Angeklagten, der seinen Willen - auch in sexueller Hinsicht - gegenüber der ihm körperlich weit unterlegenen Nebenklägerin durchzusetzen suchte. So hat der Angeklagte im Jahre 1999 nach einem Streit mit der Nebenklägerin, die zu Fuß nach Hause laufen wollte, dieser im Laufen von der Seite derart in die Beine getreten, dass sie stürzte und sich verletzte (II. 1.). Ende 2000 setzte sich der Angeklagte auf den Oberkörper der Nebenklägerin, die den Geschlechtsverkehr verweigert hatte, masturbierte und ejakulierte in ihr Gesicht (II. 2.). Im April oder Mai 2001 erzwang der Angeklagte gegen den Willen der Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr, indem er sie festhielt und würgte (II. 3.). Im November 2001 schlug er der Nebenklägerin während eines Streites ins Gesicht und stieß sie in den Rücken (II. 4.). Im Januar 2002 schlug er ihr mit der Faust mehrfach auf den Oberarm (II. 5.). Am 5. Juni 2002 schlug er auf die Nebenklägerin ein, versuchte sie mit einem Kabelbinder zu fesseln und drohte, dass er Stellen im Wald kenne, wo sie niemand finden werde (II. 6.). Am 7. Juli 2002 versuchte der Angeklagte die Nebenklägerin zu bewegen, abends zu ihm zu kommen. Als sie ablehnte, drohte er, er werde einen Schlussstrich ziehen, sie werde ihren 22. Geburtstag nicht erleben (II. 7.). Die Nebenklägerin geriet über die Drohung in große Angst. Nachdem sie dies zunächst - auch nach polizeilicher Beratung - abgelehnt hatte, erstattete sie am 8. Juli 2002 Strafanzeige und beantragte eine einstweilige Verfügung, nach der dem Angeklagten untersagt werden sollte, sich ihr zu nähern.
Das Landgericht hat den Angeklagten, der die Tatvorwür fe bestritten hat, insbesondere auf Grund der Angaben der Nebenklägerin für überführt angesehen. Die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sah es durch ein Glaubwürdigkeitsgutachten , das auch auf die "bemerkenswerte" Konstanz ihrer Angaben im Ermittlungsverfahren - Vernehmungen am 8. Juli 2002, 30. Oktober 2002, 8. Dezember 2002 - und anlässlich der Explorationen am 21. Mai 2004 und 29. Juni 2004 verwies, bestätigt. Die Einholung des Gutachtens erachtete das Landgericht auf Grund der Besonderheiten des Falls für geboten, da die Nebenklägerin trotz der jahrelangen Misshandlungen und sexuellen Übergriffe eine endgültige Trennung von dem Angeklagten nicht durchsetzte und immer wieder zu ihm zurückkehrte. Im Anschluss an den Sachverständigen hat das Landgericht ausgeführt, dass auch die Regelung des Umgangsrechts des Angeklagten mit dem gemeinsamen Kind kein überzeugendes Motiv für eine Falschaussage der Nebenklägerin biete, da das Umgangsrecht geregelt sei und die Nebenklägerin gerade nicht bestrebt sei, dem Angeklagten das Kind vorzuenthalten.
2. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
Eine Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge h at keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch die Verfahrensrüge , mit der ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot gerügt wird, ist aus den Erwägungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 11. Mai 2005 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die Entscheidung des EGMR, StV 2005, 136 f. zu Art. 5 Abs. 3, Art. 6 Abs. 1 EMRK ist hier nicht einschlägig. Sie betrifft eine Haftsache, die mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar ist.

Näherer Erörterung bedarf jedoch die Verfahrensrüge, mit der die Revision eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Verurteilung des Angeklagten wegen der Sexualdelikte (II. 2. und II. 3.) behauptet.
a) Die Revision meint, das Gericht habe seine Aufklärung spflicht verletzt , weil es verschiedene Zeugen, die im Ermittlungsverfahren und in den beiden zivilrechtlichen Verfahren tätig geworden sind, nicht gehört und verschiedene Urkunden nicht eingeführt habe. Das Gericht wäre bei Erhebung dieser Beweise "zwingend" zu dem Ergebnis gekommen, dass die Nebenklägerin wegen ihrer Misserfolge im Verfahren zur Regelung des Umgangsrechts, im einstweiligen Verfügungsverfahren und im Ermittlungsverfahren den Angeklagten erstmals am 28. August 2002 auch sexueller Straftaten beschuldigt habe und eine Falschbelastung jedenfalls hinsichtlich der Sexualdelikte nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden könne.
Im Einzelnen hätten folgende Zeugen gehört werden m üssen:
- der POK B. : Dieser hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin bei ihrer Anzeigeerstattung am 8. Juli 2002 nur Körperverletzungsdelikte nicht Sexualdelikte des Angeklagten angegeben habe, - die Rechtspflegerin S. : Sie hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin ihren Antrag vom 8. Juli 2002 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen den Angeklagten, mit dem Ziel, dass dieser von ihr bis auf 50 m Abstand fern zu bleiben habe, nur mit dem Vorfall vom 7. Juli 2002 (Fall II. 7. der Urteilsgründe ) begründet habe,
- der Dipl. Sozialarbeiter U. : Über seine Stellungnahme vom 2. August 2002 im Streit um das Umgangsrecht des Angeklagten mit seiner Tochter, nach der als vorläufige Regelung an ein Besuchsrecht alle zwei Wochen samstags und einen Wochentag zwischendurch gedacht werden könne, - der Richter am Amtsgericht (Familiengericht) Se. : Dieser hätte bekunden können, dass er die vorerwähnte Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten der Nebenklägerin zustellen ließ und diese mit Schriftsatz vom 22. August 2002 einen zweimonatigen Ausschluss des Besuchsrechts für den Angeklagten und danach nur einen vom Jugendamt überwachten Kontakt vorgeschlagen habe. Die Nebenklägerin sei über die Entscheidung des Zeugen vom 26. August 2002, mit der diesem Antrag nicht voll gefolgt worden sei, erkennbar enttäuscht gewesen, - den Richter am Amtsgericht K. : Dieser hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin die Aufrechterhaltung der erwähnten einstweiligen Verfügung bei der Verhandlung am 22. August 2002 energisch erstrebt habe und dem dann abgeschlossenen Vergleich nur zugestimmt habe, weil man sie darauf hingewiesen habe, dass die Anordnung eines Sicherheitsabstandes nicht in Betracht komme, - den Amtsanwalt G. : Dieser hätte bekunden können, dass er die Nebenklägerin für unglaubhaft gehalten habe und laut seinem Vermerk vom 26. August 2002 keinen hinreichenden Tatverdacht gesehen habe, - die Kriminalkommissarin Ke. : Diese hätte bekunden können, dass die Nebenklägerin bei ihrer Vernehmung am 30. Oktober 2002 die Fälle II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe nur knapp beschrieben habe und zum Fall II. 2. angegeben habe, dass der Angeklagte vor ihr, nicht jedoch auf ihrem Oberkörper sitzend masturbiert habe,
- den in der Hauptverhandlung nur als Sachverständigen, nicht als Zeugen vernommenen Prof.Dr. Sc. : Dieser hätte bekunden können, dass er bei Erstellung seines Gutachtens keine Kenntnis von den Akten des familiengerichtlichen Verfahrens über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht und über das einstweilige Verfügungsverfahren hatte und auch in der Hauptverhandlung keine Angaben über den genauen Verlauf dieser Verfahren erhalten habe.
Die sich auf diese Zeugen bzw. auf die erwähnten Verfa hren beziehenden , von der Revision näher bezeichneten Urkunden hätten verlesen werden müssen. Sie seien auch sonst nicht in die Hauptverhandlung eingeführt worden.
Nach Auffassung der Revision hätten sich dem Landgericht d iese Beweiserhebungen aufdrängen müssen, wenn es die Koinzidenz zwischen dem relativen Misserfolg der Nebenklägerin in dem einstweiligen Verfügungsverfahren , dem Umgangsverfahren, dem Stand des Ermittlungsverfahrens, wie er sich Ende August 2002 darstellte, und der Erweiterung der Strafanzeige am 28. August 2002 durch die Nebenklägerin auf die bisher nicht erwähnten Sexualdelikte berücksichtigt hätte. Die Feststellung des Landgerichts im Urteil, das Umgangsrecht sei befriedigend für die Nebenklägerin geregelt und scheide deshalb als Motiv für eine mögliche Falschbelastung aus, treffe für den Zeitpunkt der Anzeigeerstattung und der Erweiterung der Anzeige nicht zu. In diesem Zusammenhang hätte das Landgericht, das in den Urteilsgründen von der Konstanz der Angaben der Nebenklägerin ausgegangen sei, den Widerspruch zwischen ihrer Erstaussage am 8. Juli 2002 bei ihrer polizeilichen Vernehmung sowie den Angaben im einstweiligen Verfügungsverfahren, bei denen sie je-
weils nur die Körperverletzungsdelikte angegeben habe, und der Erweiterung ihrer Anzeige auf die Sexualdelikte am 28. August 2002 klären müssen.

b) Die Rüge greift nicht durch.
aa) Bedenken gegen die Zulässigkeit der Rüge bestehen b ereits deswegen , weil die Revision zwar eine Vielzahl von Urkunden aus den verschiedenen Verfahren (Ermittlungsverfahren, Umgangsverfahren, einstweilige Verfügungsverfahren) vorgetragen hat, der Vortrag aber teilweise unvollständig, teilweise unzutreffend ist. So hatte der Sachverständige entgegen den schriftlichen Ausführungen der Revision die Beiakten 5 C AG Bitburg (einstweiliges Verfügungsverfahren) und 2 F AG Bitburg (Verfahren über das Umgangsrecht des Angeklagten mit der Tochter Natascha) zur Erstattung seines Gutachtens erhalten. Diese Akten, wie auch die Ermittlungsakten einschließlich der Vernehmungen der Nebenklägerin vom 8. Juli 2002 und 30. Oktober 2002, sind - wie auch von der Revision in der Revisionshauptverhandlung berichtigend klargestellt worden ist - von dem Sachverständigen zur Grundlage seines schriftlichen Gutachtens (vgl. Bl. 17 f. d. Gutachtens) gemacht und inhaltlich referiert worden. Weiter ist das schriftliche Gutachten des Prof. Dr. Sc. nur auszugsweise - II Bl. 63/64 und 68 des Wortprotokolls zum Gutachten - vorgetragen und das Ergebnis des Sachverständigen zur Hypothese einer bewussten Falschaussage auf Grund der jedenfalls zunächst streitigen Regelung des Umgangsrechts des Angeklagten mit der Tochter in seinem schriftlichen Gutachten (Bl. 60 des Gutachtens) nicht mitgeteilt worden. Desgleichen hat die Revision die Ausführungen des Sachverständigen zur Konstanzprüfung nicht wiedergegeben. Aus ihnen ergibt sich aber, dass die Konstanz der Aussagen der Nebenklägerin in den gleichlautenden Schilderungen der jeweiligen Tat-
vorwürfe gesehen, nicht jedoch unter dem Gesichtspunkt untersucht wurde, ob in jeder Vernehmung oder Exploration jeweils alle Tatvorwürfe angegeben wurden.
Dass sich die vermisste zeugenschaftliche Vernehmung des Sachver - ständigen, der sein Gutachten u.a. auf der Grundlage vollständiger Aktenkenntnis erstattet hat, dem Landgericht nicht aufdrängen musste, hat die Revision in der Revisionshauptverhandlung selbst nicht mehr in Frage gestellt. Unter Berücksichtigung des genannten Umstands mussten sich aber auch die weiteren von der Revision vermissten Beweiserhebungen, mit denen in einer Gesamtschau die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin erschüttert werden soll, dem Landgericht nicht mehr aufdrängen. Der Sachverständige hat die Nebenklägerin auf der dargelegten Tatsachengrundlage für glaubhaft erachtet und einen Zusammenhang der Streitigkeiten über das Besuchsrecht mit ihrer den Angeklagten belastenden Aussage verneint. Zudem sind die Angaben der Nebenklägerin in weiteren Punkten durch Aussagen von unabhängigen Zeugen bestätigt worden. Auch die Verteidigung hat in der Hauptverhandlung keinen Anlass gesehen, entsprechende Beweisanträge zu stellen.
bb) Soweit beanstandet wird, die Strafkammer hätte zu r Frage der Konstanz der Aussagen der Nebenklägerin die polizeilichen Vernehmungsbeamten hören müssen, diesbezüglich seien der Nebenklägerin auch keine Vorhalte gemacht worden, ergibt sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll anderes, nämlich dass der Nebenklägerin bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung in der Hauptverhandlung u.a. aus ihrer ersten Vernehmung vom 8. Juli 2002 Vorhalte gemacht worden sind. Unter diesen Umständen kann nicht nur nicht ausgeschlossen werden, sondern ist es sogar nahe liegend, dass die Nebenkläge-
rin in der Hauptverhandlung insbesondere auch Angaben zur Aussageentwicklung und der späten Anzeigeerstattung der Sexualdelikte gemacht und dies so begründet hat, dass sie für alle Verfahrensbeteiligten zum Zeitpunkt der Entscheidung befriedigend geklärt war.
cc) Ob dies tatsächlich der Fall war, lässt sich zwar den Urt eilsfeststellungen nicht entnehmen. Aus dem Schweigen der Urteilsgründe zur Aussageentwicklung allein kann aber nicht geschlossen werden, dass die Strafkammer diesen Punkt als erörterungsbedürftig ansehen musste. War er zu ihrer Überzeugung geklärt, bestand kein Anlass, ihn als wesentlichen Punkt in der Beweiswürdigung abzuhandeln (vgl. auch BGH NJW 1992, 2838, 2840). Ein sachlich-rechtlicher Erörterungsmangel liegt ebenfalls nicht vor, weil sich aus dem Urteil selbst keine Lücke und keine Widersprüche ergeben.
Die Frage ließe sich deshalb nur durch eine Rekonstruktio n der Hauptverhandlung klären, die dem Revisionsgericht grundsätzlich verwehrt ist. Die Rüge läuft, auch wenn eine ausdrückliche Verknüpfung im Sinne einer Alternativität zwischen einer Verletzung der Aufklärungspflicht oder einem Verstoß gegen § 261 StPO nicht vorgenommen worden ist, deshalb im Ergebnis auf die Rüge der "Aktenwidrigkeit" der Urteilsgründe hinaus, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich unzulässig ist (BGH NJW 1992, 2840; BGH NStZ 1997, 294; BGH NStZ 1999, 423; BGH NStZ 2000, 156; Meyer -Goßner, StPO 48. Aufl. § 337 Rdn. 15 a m.w.N.). Ein von der Rechtsprechung anerkannter Ausnahmefall (etwa bei wörtlich protokollierter Aussage) liegt nicht vor.
Rissing-van Saan Otten Rothfuß

Roggenbuck Appl