Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Jan. 2000 - 4 StR 619/99
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im übrigen wegen "gewerbsmäßiger Bandenhehlerei in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, und wegen eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen hat der Angeklagte Revision eingelegt.
Die Revision ist unzulässig, weil der Angeklagte nach der Urteilsverkündung wirksam auf Rechtsmittel verzichtet hat (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Wie sich aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ergibt, hat der Angeklagte erklärt, er nehme das Urteil an; anschließend hat sein (damaliger) Verteidiger auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet. Beide Erklärungen wurden zwar nicht - wie es sich im Interesse der Verfahrensklarheit empfiehlt (BGH wistra 1994, 29; vgl. Nr. 143 Abs. 1 Satz 2 RiStBV) - gemäß § 273 Abs. 3 StPO vorgelesen und genehmigt; dies hat aber nur zur Folge, daß dem Protokollvermerk über
den Rechtsmittelverzicht keine Beweiskraft im Sinne des § 274 StPO zukommt. Gleichwohl ist dieser Vermerk ein gewichtiges Beweisanzeichen dafür, daß der Angeklagte die in der Niederschrift festgehaltene Erklärung abgegeben hat (vgl. BGHSt 18, 257, 258; BGH bei Tolksdorf DAR 1995, 196; NStZ-RR 1997, 305; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 5). Der Angeklagte behauptet jedoch, er habe eine solche Erklärung nicht abgegeben, sein damaliger Verteidiger habe den Rechtsmittelverzicht eigenmächtig erklärt. Auf die Frage, welche Folgen die widerspruchslose Hinnahme einer solchen Ä ußerung hat (vgl. Ruß in KK/StPO 4. Aufl. § 302 Rdn. 20, 22), kommt es hier nicht an; denn der Senat ist im Freibeweis zu der Überzeugung gelangt, daß der Angeklagte selbst, wie in der Sitzungsniederschrift festgehalten, das Urteil angenommen hat: Die Vorsitzende der Strafkammer hat in ihrem Beschluß vom 10. August 1999, mit dem sie den gegen diesen Vermerk gerichteten Antrag auf Protokollberichtigung abgelehnt hat, ausgeführt, sie erinnere sich daran, daß der Angeklagte die Annahme des Urteils in polnischer Sprache erklärt habe ; auch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat in ihrer dienstlichen Stellungnahme vom gleichen Tag die Abgabe einer solchen Erklärung bestätigt. Der Senat sieht daher keinen weiter gehenden Aufklärungsbedarf, etwa durch Befragung der zugezogenen Dolmetscherin.
Er trägt auch keine Bedenken, daß die Annahme des Urteils hier wie regelmäßig einen Rechtsmittelverzicht enthält (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 302 Rdn. 20); von diesem Verständnis geht auch der Angeklagte in seinem Revisionsvortrag aus.
Der Rechtsmittelverzicht kann als Prozeßhandlung nicht widerrufen, wegen Irrtums angefochten oder sonst zurückgenommen werden (st. Rspr.; vgl.
BGH NStZ 1999, 526). Die Rechtsprechung erkennt allerdings an, daß in besonderen Fällen schwerwiegende Willensmängel bei der Erklärung des Rechtsmittelverzichts aus Gründen der Gerechtigkeit dazu führen können, daß eine Verzichtserklärung von Anfang an unwirksam ist (BGHSt 17, 14, 18 f.; BGH NStZ-RR 1997, 173; NJW 1999, 2449, 2451). Hier bestehen indessen entgegen der Auffassung der Revision und der örtlichen Staatsanwaltschaft keine Zweifel daran, daß sich der Angeklagte der Tragweite und Verbindlichkeit seiner Verzichtserklärung im Zeitpunkt ihrer Abgabe bewußt war. Ein Rechtsmittelverzicht kann auch im Anschluß an die Urteilsverkündung wirksam abgegeben werden (BGHSt 18, 257, 258; BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1983, 359; NStZ 1996, 297). Unerheblich ist, daß der nicht vorbestrafte Angeklagte , ein polnischer Staatsangehöriger, die deutsche Sprache nicht beherrscht und dem polnischen Strafprozeßrecht nach der Behauptung der Revision das Institut des Rechtsmittelverzichts unbekannt sein soll. Die Vorsitzende der Strafkammer hat den Angeklagten nämlich über das Rechtsmittel der Revision belehrt; dies wurde von der Dolmetscherin, gegen deren Übertragungstätigkeit der Angeklagte in der mehrtägigen Hauptverhandlung keine Einwände erhoben hatte (vgl. BGH bei Pfeiffer/Miebach NStZ 1987, 221; OLG München StV 1998, 646), in die polnische Sprache übersetzt. Dem Angeklagten war daher bewußt, daß er über die Frage einer Anfechtung des Urteils entscheidet. Die Bedeutung des Vorgangs wurde zudem dadurch unterstrichen, daß das Gericht zuvor Rechtsmittelverzichtserklärungen von vier früheren Mitangeklagten sowie deren Verteidigern entgegengenommen hatte.
Anhaltspunkte dafür, daß das Landgericht dem Angeklagten einen Rechtsmittelverzicht ohne vorherige Beratung mit seinem Verteidiger abverlangt oder ihm jedenfalls vor der Verzichtserklärung keine Gelegenheit gege-
ben hätte, sich mit seinem Verteidiger zu besprechen (vgl. BGHSt 18, 257, 259 f.; 19, 101, 103 ff.; BGH NJW 1999, 2449, 2452; NStZ 1999, 364; 526), liegen nicht vor. Es bedarf hier auch keiner Aufklärung, ob die Vorsitzende der Strafkammer den Angeklagten zu der Erklärung über den Rechtsmittelverzicht veranlaßt hat (vgl. BGHSt 19,101; Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 302 Rdn. 24, 25 m.w.N.); ausweislich der Sitzungsniederschrift wurde die Hauptverhandlung nämlich nach der Rechtsmittelbelehrung für zehn Minuten unterbrochen und zunächst mit der Verkündung von zwei Beschlüssen, die frühere Mitangeklagte betrafen, fortgesetzt. Wie die Vorsitzende in ihrem Beschluß vom 10. August 1999 – in Übereinstimmung mit der Protokollführerin – ausgeführt hat, hat sich der Angeklagte vor Abgabe seiner Erklärung durch Blickkontakt mit seinem (damaligen) Verteidiger verständigt und, als die Reihe an ihm war, in polnischer Sprache erklärt, daß er das Urteil annehme. Vor der Verzichtserklärung haben der Angeklagte und sein Verteidiger daher die Gelegenheit zur Beratung genutzt; auch ein Mißverständnis ist auszuschließen, zumal der Verteidiger anschließend selbst auf Rechtsmittel verzichtet hat.
Meyer-Goßner Maatz Athing Ernemann
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.
(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.
(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.
(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.
(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.
Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.