Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 566/17
vom
21. März 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:210318B4STR566.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. März 2018 gemäß § 206a Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit es den früheren Angeklagten R. P. betrifft. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens. Es wird jedoch davon abgesehen, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen; sie ist auch nicht verpflichtet, erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den früheren Angeklagten R. P. wegen Totschlags , Betruges in zwei Fällen, Computerbetruges in 15 Fällen und Unterschlagung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil hat allein die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Revision eingelegt. Sie hat ihr Rechtsmittel auf die Tat vom 8. Juni 2016 (Fall II.6 der Urteilsgründe) beschränkt und insoweit beanstandet, dass der Angeklagte nicht wegen Mordes verurteilt worden ist.
2
Der Angeklagte ist vor der Entscheidung des Revisionsgerichts, am 13. März 2018, verstorben. Das Verfahren ist daher, soweit es diesen Angeklagten betrifft, insgesamt gemäß § 206a Abs. 1 StPO wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Juni 1999 – 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108, 111; vom 8. Dezember 2005 – 4 StR 198/05 Rn. 2; vom 30. Juni 2014 – 2 StR 248/14, NStZ-RR 2014, 349 [Ls.]), auch wenn ein Teil des ihn betreffenden Schuldspruchs bereits rechtskräftig geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. November 1960 – 4 StR 407/60, BGHSt 15, 203, 207; Urteil vom 28. April 1982 – 3 StR 35/82, BGHSt 31, 51 f.; Beschluss vom 8. Dezember 2005, aaO Rn. 2). Das angefochtene Urteil ist damit im Hinblick auf den Angeklagten R. P. gegenstandslos.
3
Die Kosten des Verfahrens hat insoweit die Staatskasse zu tragen (§ 467 Abs. 1 StPO). Der Senat hat jedoch davon abgesehen, der Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen; der Angeklagte ist im Sinne des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO nur deshalb nicht wegen einer Straftat verurteilt worden, weil ein Verfahrenshindernis besteht: Er war in den weiteren seiner Verurteilung zu Grunde liegenden Fällen (Betrug in zwei Fällen, Computerbetrug in 15 Fällen, Unterschlagung) bereits rechtskräftig verurteilt. In dem seiner allein von der Staatsanwaltschaft angegriffenen Verurteilung wegen Totschlags zu Grunde liegenden Fall II.6 der Urteilsgründe hat der Angeklagte die Tötung des Opfers glaubhaft (UA 72) eingeräumt. Die Revision der Staatsanwaltschaft hätte aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. November 2017 dargelegten Gründen zu Ungunsten des Angeklagten Aussicht auf Erfolg gehabt, so dass der Angeklagte auch in diesem Fall nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt worden ist, weil durch seinen Tod während des Revisionsverfahrens ein Verfahrenshindernis eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005, aaO Rn. 3 und zur Maßgeblichkeit des Schuldspruchs BGH, Beschlüsse vom 13. Februar 2014 – 1 StR 631/13, NStZ-RR 2014, 160, und vom 18. Oktober 2017 – 3 StR 342/15, NStZ-RR 2018, 32 [Ls.]). Die vorgenannten Umstände lassen es billig erscheinen, dem Angeklagten ausnahmsweise die Auslagenerstattung zu versagen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. Mai 2017 – 2 BvR 1821/16, NZV 2017, 483, 484, und vom 29. Oktober 2015 – 2 BvR 388/13, NStZ-RR 2016, 159 f.).
4
Eine Entschädigung für die durchgeführten Strafverfolgungsmaßnahmen (insbesondere Untersuchungshaft) ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Angeklagte diese Maßnahmen zumindest grob fahrlässig verursacht hat. Im Übrigen wäre eine Entschädigung aus den zu § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO angeführten Gründen auch nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG zu versagen.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2018 - 4 StR 566/17

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2018 - 4 StR 566/17

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2018 - 4 StR 566/17 zitiert 4 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 467 Kosten und notwendige Auslagen bei Freispruch, Nichteröffnung und Einstellung


(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zu

Strafprozeßordnung - StPO | § 206a Einstellung des Verfahrens bei Verfahrenshindernis


(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen. (2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 5 Ausschluß der Entschädigung


(1) Die Entschädigung ist ausgeschlossen 1. für die erlittene Untersuchungshaft, eine andere Freiheitsentziehung und für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, soweit deren Anrechnung auf die verhängte Strafe unterbleibt,2. für eine Freiheitsen

Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen - StrEG | § 6 Versagung der Entschädigung


(1) Die Entschädigung kann ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Beschuldigte 1. die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2018 - 4 StR 566/17 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 21. März 2018 - 4 StR 566/17 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Feb. 2014 - 1 StR 631/13

bei uns veröffentlicht am 13.02.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 6 3 1 / 1 3 vom 13. Februar 2014 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , des Verteidigers und des Neben

Bundesgerichtshof Urteil, 08. Dez. 2005 - 4 StR 198/05

bei uns veröffentlicht am 08.12.2005

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 198/05 vom 8. Dezember 2005 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. wegen zu 1. und 2. : schwerer räuberischer Erpressung u.a. zu 3. : Beihilfe zur schweren räuberischen Erpressung u.a. zu 4. : Beihil

Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Okt. 2017 - 3 StR 342/15

bei uns veröffentlicht am 18.10.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 342/15 vom 18. Oktober 2017 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes ECLI:DE:BGH:2017:181017B3STR342.15.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Oktober 2017 gemäß § 206a St

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 26. Mai 2017 - 2 BvR 1821/16

bei uns veröffentlicht am 26.05.2017

Tenor Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 2016 - III 2 RVs 68/16 - verletzt den Beschwerdeführer hinsichtlich der Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen

Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 29. Okt. 2015 - 2 BvR 388/13

bei uns veröffentlicht am 29.10.2015

Tenor Der Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 21. August 2012 - 23 KLs 31/11 - verletzt den Beschwerdeführer hinsichtlich der Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen in seine

Referenzen

(1) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens ein Verfahrenshindernis heraus, so kann das Gericht außerhalb der Hauptverhandlung das Verfahren durch Beschluß einstellen.

(2) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar.

2
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten K. , Ab. , Az. und D. mit ihren Revisionen, mit denen sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Staatsanwaltschaft hat das Urteil im Hinblick auf den Angeklagten Ab. angefochten. Sie hat ihre – vom Generalbundesanwalt vertretene – auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und beanstandet, dass gegen den Angeklagten nicht auch die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 6 3 1 / 1 3
vom
13. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
, des Verteidigers und des Nebenklägervertreters am 13. Februar
2014 beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt. 2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens. Es wird jedoch davon abgesehen, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen. Sie ist auch nicht verpflichtet, für erlittene Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen.

Gründe:

1
Das Landgericht München II hat den Angeklagten am 13. August 2013 wegen Bedrohung in Tatmehrheit mit versuchtem Totschlag zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Während des Verfahrens über die Revision des Angeklagten ist dieser am 6. Januar 2014 verstorben.
2
1. Das Verfahren ist nach § 206a StPO einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999 - 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108). Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos, ohne dass es einer Aufhebung bedarf (BGH, Beschluss vom 5. August 1999 - 4 StR 640/98, BGHR StPO § 467 Abs. 3 Verfahrenshindernis

2).

3
2. Die Kostenentscheidung hat im Fall des Todes des Angeklagten nach denjenigen Grundsätzen zu erfolgen, die bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 25. September 2007 - 5 StR 116/01 Rn. 39, in BGHSt 52, 48 nicht abgedruckt).
Deshalb fallen die Auslagen der Staatskasse dieser nach § 467 Abs. 1 StPO zur Last. Jedoch wird nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, weil der Angeklagte nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt wird, weil mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist. Es wäre deshalb unbillig, der Staatskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999 - 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108, 116).
4
a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung in Tatmehrheit mit versuchtem Totschlag hätte Bestand gehabt, wenn der Angeklagte nicht vor der Entscheidung im Revisionsverfahren verstorben wäre. Die umfassende Nachprüfung des landgerichtlichen Urteils durch den Senat auf die mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat zum Schuldspruch keine den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
5
aa) Der Senat hat bei seiner Entscheidung in den Blick genommen, dass in dieser Sache Termin zur Durchführung einer Revisionshauptverhandlung bestimmt war, bei der noch zusätzliche rechtliche Gesichtspunkte, welche die Erfolgsaussichten der Revision des Angeklagten betreffen konnten, zur Sprache hätten kommen können. Um diese bei der Kostenentscheidung berücksichtigen zu können, hat der Senat den Verfahrensbeteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (vgl. auch BGH, Beschluss vom 16. Mai 2002 - 1 StR 553/01, bei Becker NStZ-RR 2003, 97, 103). Diese haben davon keinen Gebrauch gemacht.
6
bb) Der Senat hat auch berücksichtigt, dass der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift vom 14. November 2013 beantragt hatte, das Urteil des Landgerichts gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben, soweit der Angeklagte wegen versuchten Totschlags verurteilt worden ist. Die dort vertretene Auffassung, die Beweiserwägungen des Landgerichts zum Tötungsvorsatz seien nicht tragfähig , teilt der Senat indes nicht:
7
Nach den Urteilsfeststellungen hielt der Angeklagte mit beiden Händen einen Eispickel und schrie mehrfach aufgebracht und lautstark seine Tochter mit den Worten an: „I derschlag di mitm Pickel“. Sodann hob er den Eispickel mit einer ausholenden Bewegung über seinen Kopf und zog ihn sofort in einer fließenden Bewegung ohne zeitliche Verzögerung kraftvoll nach unten in Richtung des Kopfes seiner Tochter, die nur deshalb nicht getroffen wurde, weil der Freund der Tochter, der hinter ihr stand, geistesgegenwärtig mit nahezu gestrecktem Arm den Stiel des Eispickels ergriff und diesen dem Angeklagten entriss. Als der Freund der Tochter den Schlag in der Abwärtsbewegung abfangen konnte, war der Pickelaufsatz nur noch 10 bis 15 Zentimeter vom Kopf der Tochter entfernt. Ausgehend von diesen Feststellungen ist die auf der Grundlage einer Gesamtschau aller bedeutsamen Umstände der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten getroffene Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe mit Tötungsvorsatz gehandelt, rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat auch die organisch bedingte Persönlichkeitsstörung des Angeklagten und den Umstand, dass der Angeklagte seine Tochter und deren Freund zunächst zum Gehen aufgefordert hatte, in den Blick genommen.
8
b) Ob neben dem Schuldspruch auch der Strafausspruch Bestand gehabt hätte, ist für die Kostenentscheidung ohne Bedeutung. Zwar hängt die Frage, ob der Staatskasse auch die Aufwendungen des Angeklagten auferlegt werden, von den Erfolgsaussichten der von ihm eingelegten Revision ab (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2001 - 1 StR 235/01). Maßgeblich ist insoweit allerdings nicht die Strafzumessung, sondern lediglich, ob - wie hier - der ergangene Schuldspruch Bestand gehabt hätte. Denn bereits dann wäre es unbillig , der Staatskasse die notwendigen Aufwendungen des Angeklagten aufzuer- legen (vgl. § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO). Hierfür hätte es sogar genügt, wenn das Verfahren überhaupt nur bis zur Schuldspruchreife geführt worden wäre (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. März 1987 - 2 BvR 589/79 u.a., NJW 1987, 2427, 2428 und vom 5. Mai 2001 - 2 BvR 413/00).
9
3. Eine Entschädigung für die durchgeführten Strafverfolgungsmaßnahmen (insbesondere Untersuchungshaft) ist gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 StrEG bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Angeklagte diese Maßnahmen zumindest grob fahrlässig verursacht hat. Im Übrigen wäre eine Entschädigung auch nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 StrEG zu versagen.
10
4. Die Erstattung der den Nebenklägern entstandenen notwendigen Auslagen kommt bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses - wie hier - nicht in Betracht; in der Beschlussformel ist dies nicht besonders auszusprechen (BGH, Beschluss vom 5. August 1999 - 4 StR 640/98, BGHR StPO § 467 Abs. 3 Verfahrenshindernis 2). Raum Wahl Rothfuß Jäger Cirener

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 342/15
vom
18. Oktober 2017
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes
ECLI:DE:BGH:2017:181017B3STR342.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Oktober 2017 gemäß § 206a StPO beschlossen:
1. Das Verfahren wird eingestellt.
2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens; jedoch wird davon abgesehen, ihr die notwendigen Auslagen des Angeklagten aufzuerlegen.

Gründe:

1
Das Landgericht Bad Kreuznach hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs "eines Kindes" in 35 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Während des Verfahrens über die Revision des Angeklagten ist dieser am 25. Juli 2017 verstorben.
2
1. Das Verfahren ist nach § 206a StPO einzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999 - 4 StR 595/97, BGHSt 45, 108). Das angefochtene Urteil ist damit gegenstandslos, ohne dass es einer Aufhebung bedarf (vgl. BGH, Beschluss vom 5. August 1999 - 4 StR 640/98, BGHR StPO § 467 Abs. 3 Verfahrenshindernis 2).
3
2. Die Kostenentscheidung richtet sich im Fall des Todes des Angeklagten nach den Grundsätzen, die bei Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses allgemein anzuwenden sind. Deshalb fallen die Auslagen der Staatskas- se dieser nach § 467 Abs. 1 StPO zur Last. Jedoch wird nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, weil der Angeklagte nur deshalb nicht rechtskräftig verurteilt wird, weil mit seinem Tod ein Verfahrenshindernis eingetreten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 1999, aaO, 108, 116).
4
a) Die Verurteilung des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 35 Fällen hätte im Schuldspruch Bestand gehabt, wenn der Angeklagte nicht vor der Entscheidung im Revisionsverfahren verstorben wäre. Die Nachprüfung des landgerichtlichen Urteils durch den Senat auf die mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde begründete Revision des Angeklagten hat insoweit keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (vgl. die in dieser Sache bereits ergangenen Senatsbeschlüsse vom 29. Oktober 2015 - NStZ 2016, 277 - und 17. November 2016 - NStZ-RR 2017, 103).
5
b) Der Senat hätte das landgerichtliche Urteil allerdings im Strafausspruch aufgehoben, nachdem er die Sache dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt und dieser entschieden hatte, dem zeitlichen Abstand zwischen Tat und Urteil komme im Rahmen der Strafzumessung bei Taten, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zum Gegenstand haben, die gleiche Bedeutung zu wie bei anderen Straftaten (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Juni 2017 - GSSt 2/17). Dies ist jedoch für die Kostenentscheidung ohne Bedeutung. Zwar hängt die Frage, ob der Staatskasse auch die Aufwendungen des Angeklagten auferlegt werden, von den Erfolgsaussichten der von ihm eingelegten Revision ab. Maßgeblich ist indes insoweit nicht die Strafzumessung, sondern lediglich, ob - wie hier - der ergangene Schuldspruch Bestand gehabt hätte. Denn bereits dann wäre es unbillig, der Staatskasse die notwendigen Aufwendungen des Angeklagten aufzuerlegen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2014 - 1 StR 631/13, BGHR StPO § 467 Abs. 3 Verfahrenshindernis 4 mwN). Hierfür hätte es sogar genügt, wenn das Verfahren überhaupt nur bis zur Schuldspruchreife geführt worden wäre (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. März 1987 - 2 BvR 589/79 u.a., NJW 1987, 2427, 2428; vom 5. Mai 2001 - 2 BvR 413/00).
Becker Schäfer Spaniol
Berg Hoch

Tenor

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 2016 - III 2 RVs 68/16 - verletzt den Beschwerdeführer hinsichtlich der Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. In diesem Umfang wird der Beschluss aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung der Auslagenerstattung im Rahmen einer Verfahrenseinstellung wegen eines erst in der Revisionsinstanz festgestellten dauerhaften Verfahrenshindernisses (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO).

I.

2

1. Mit Anklageschrift vom 8. Oktober 2015 legte die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach dem Beschwerdeführer zur Last, sich einer Urkundenfälschung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz gemäß §§ 267 Abs. 1, 52 StGB, §§ 1, 6 PflVG schuldig gemacht zu haben. Er habe an einem Pkw der Marke Audi A4 die amtlichen polnischen Kennzeichen P..., welche für ein Fahrzeug der Marke BMW seiner Mutter ausgegeben worden waren, angebracht, um den Anschein einer ordnungsgemäßen Zulassung zu erwecken. Der Audi sei am 15. Juni 2015 auf einem Parkplatz in Mönchengladbach angetroffen worden. Dem Beschwerdeführer sei bekannt gewesen, dass der nach dem Gesetz erforderliche Haftpflichtversicherungsvertrag nicht bestanden habe.

3

Nachdem das Amtsgericht Mönchengladbach die Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen hatte, dass es den Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz durch einen Gebrauch des Pkws für nicht ausreichend konkretisiert halte, und die Akten an die Staatsanwaltschaft zurückgesandt hatte, reichte die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach eine neue Anklageschrift mit Datum vom 27. November 2015 beim Amtsgericht ein. Die im Übrigen mit der zuerst eingereichten Anklageschrift wortgleiche neue Anklageschrift enthielt folgende Änderung bei der Schilderung des Tatvorwurfs: Der Beschwerdeführer habe den Pkw der Marke Audi am 15. Juni 2015 auf einem Parkplatz in Mönchengladbach abgestellt.

4

Auf der Anklageschrift vom 8. Oktober 2015 wurde der Vermerk "zurückgenommen bzw. geändert" angebracht.

5

2. Mit Beschluss vom 11. Januar 2016 ließ das Amtsgericht Mönchengladbach die Anklage der Staatsanwaltschaft "vom 08.10.2015" unverändert zur Hauptverhandlung zu. Laut Hauptverhandlungsprotokoll vom 19. Februar 2016 wurde auch der Anklagesatz "aus der Anklageschrift vom 08.10.2015" verlesen.

6

In der Hauptverhandlung räumte der Beschwerdeführer den Tatvorwurf der Urkundenfälschung in vollem Umfang ein. Er habe das polnische Nummernschild angebracht, weil er Sorge gehabt habe, dass das Fahrzeug sonst abgeschleppt werden könnte. Den ihm zur Last gelegten weiteren Tatvorwurf eines Verstoßes gegen das Pflichtversicherungsgesetz bestritt er. Er habe das Fahrzeug nicht bewegt.

7

Das Amtsgericht Mönchengladbach verurteilte den Beschwerdeführer daraufhin am 19. Februar 2016 wegen Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.

8

3. Der Beschwerdeführer legte gegen das vorgenannte Urteil zunächst Berufung ein, erklärte dann jedoch, das eingelegte Rechtsmittel in eine Sprungrevision abändern zu wollen.

9

Mit Beschluss vom 28. Juni 2016 stellte das Oberlandesgericht Düsseldorf das Verfahren auf Kosten der Staatskasse ein, da dem Verfahren kein wirksamer Eröffnungsbeschluss zu Grunde gelegen habe und somit ein Verfahrenshindernis bestehe (§ 206a Abs. 1 StPO). Aus dem Verfahrensablauf ergebe sich, dass kein wirksamer Eröffnungsbeschluss hinsichtlich der Anklage der Staatsanwaltschaft vom 27. November 2015 vorliege. Der vom Amtsgericht Mönchengladbach gefasste Eröffnungsbeschluss beziehe sich auf die zurückgenommene Anklageschrift vom 8. Oktober 2015 und sei daher ins Leere gegangen. Das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses stelle ein in der Revisionsinstanz nicht mehr behebbares Verfahrenshindernis dar. Ein neues gerichtliches Verfahren wegen der dem Angeklagten zur Last gelegten Urkundenfälschung setze die Erhebung einer neuen Anklage voraus.

10

Das Oberlandesgericht sah gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon ab, die dem Beschwerdeführer entstandenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Zur Begründung führte es aus, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers, der jedenfalls einen Kennzeichenmissbrauch gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 1 StVG begangen habe, nur deshalb keinen Bestand habe, weil der erforderliche Eröffnungsbeschluss fehle und daher ein Verfahrenshindernis bestehe.

11

4. Eine vom Beschwerdeführer gegen die vorgenannte Auslagenentscheidung eingelegte "Gegenvorstellung" verwarf das Oberlandesgericht Düsseldorf durch Beschluss vom 17. August 2016 als unzulässig. Es sei keine der von der Rechtsprechung entwickelten Fallgruppen einschlägig, die ausnahmsweise die Überprüfung einer unanfechtbaren Entscheidung ermöglichten.

12

Eine Grundrechtsverletzung liege nicht vor. Die Unschuldsvermutung sei nicht verletzt worden. Der Beschwerdeführer habe in öffentlicher Hauptverhandlung gestanden, für ein anderes Fahrzeug ausgegebene Kennzeichen an seinem eigenen Kraftfahrzeug angebracht zu haben, um den Anschein ordnungsgemäßer Zulassung zu erwecken. Diese Einlassung habe im Rahmen der Kostenentscheidung zu Lasten des Beschwerdeführers verwendet werden dürfen.

II.

13

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Auslagenentscheidung in dem Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 2016 und rügt eine Verletzung des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie der Unschuldsvermutung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

14

Aus dem Willkürverbot folge für den Fall eines eingeräumten Ermessens die Verpflichtung, dieses sachgerecht auszuüben. Dieser Verpflichtung sei das Oberlandesgericht bei seiner Auslagenentscheidung zu Lasten des Beschwerdeführers nicht nachgekommen. Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fielen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten auch im Falle einer Verfahrenseinstellung grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Zwar könne gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO von einer Auslagenerstattung abgesehen werden. Der Umstand, dass im Falle eines Wegdenkens des Verfahrenshindernisses eine Verurteilung zu erwarten gewesen wäre, erfülle aber lediglich die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ausnahmeregelung. Den diesbezüglichen Feststellungen müsse sodann die Ausübung des eröffneten Ermessens folgen. Die Ausführungen des Oberlandesgerichts ließen aber keine Ausübung des eingeräumten Ermessens erkennen.

15

Der angegriffene Beschluss verletze auch die mit Verfassungsrang ausgestattete Unschuldsvermutung. Feststellungen zur Schuld des Angeklagten zu treffen, sei den Strafgerichten erst erlaubt, wenn die Schuld des Angeklagten in dem mit rechtsstaatlichen Verteidigungsgarantien ausgestatteten, bis zum prozessordnungsgemäßen Abschluss durchgeführten Strafverfahren nachgewiesen sei. Diese Grundsätze seien auch im Falle einer Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses bei der damit verbundenen Auslagenentscheidung zu beachten. Die gesetzlichen Voraussetzungen der Schuldspruchreife lägen bei einer Einstellung des Verfahrens regelmäßig nicht vor.

16

Indem das Oberlandesgericht ausdrücklich festgestellt habe, dass der Beschwerdeführer "jedenfalls einen Kennzeichenmissbrauch nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 StVG begangen" habe, habe es strafrechtliche Schuld festgestellt und der eine Erstattung ablehnenden Auslagenentscheidung gleichsam Strafcharakter beigemessen, obwohl das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen des genannten Delikts nicht bis zur Schuldspruchreife durchgeführt worden sei und dieser auch keine Verantwortung für das genannte Verfahrenshindernis trage.

III.

17

Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Generalbundesanwalt Stellung genommen. Er vertritt die Ansicht, dass die Verfassungsbeschwerde jedenfalls wegen eines Verstoßes gegen die Unschuldsvermutung begründet sei. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat von einer Stellungnahme abgesehen.

18

Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

IV.

19

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Die Auslagenentscheidung des angegriffenen Beschlusses des Oberlandesgerichts Düsseldorf verstößt gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

20

1. Das Oberlandesgericht hat gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, indem es im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut und unter Verkennung des Zwecks des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Versagung der Aus-lagenerstattung allein auf die Bejahung der Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO gestützt hat, ohne das ihm insoweit eröffnete Ermessen auszuüben.

21

a) Gerichtliche Entscheidungen verstoßen nicht bereits dann gegen das Willkürverbot, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthält oder von der herrschenden Rechtsprechung abweicht. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt der Norm in krasser Weise missdeutet wird und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 18, 85 <93>; 80, 48 <51>; 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>; stRspr).

22

Bei der Einräumung von Ermessen begründet das Willkürverbot eine Verpflichtung zu dessen sachgerechter Ausübung (BVerfGE 116, 1 <12>; zum Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung auf anderer verfassungsrechtlicher Grundlage vgl. BVerfGE 96, 100 <115>). Das zur Entscheidung berufene Rechtspflegeorgan darf seine Entscheidung daher nicht nach freiem Belieben treffen, sondern muss das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausüben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2010 - 1 BvR 285/10 -, juris, Rn. 9).

23

b) Gemessen an diesem Maßstab verletzt der Beschluss des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28. Juni 2016 das Willkürverbot.

24

Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen bei einer Verfahrenseinstellung sowohl die Verfahrenskosten als auch die notwendigen Auslagen grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Als Ausnahme von diesem Grundsatz eröffnet § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Möglichkeit, von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Das Ermessen ("kann davon absehen") ist also erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Angeschuldigte ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde. Zum Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehenden Umstand müssen demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeschuldigten die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfGK 3, 229 <232>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Oktober 2015 - 2 BvR 388/13 -, juris, Rn. 21).

25

Die Ausführungen des Oberlandesgerichts zur Auslagenentscheidung haben indes keine Ermessenserwägungen zum Gegenstand, sondern befassen sich ausschließlich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen, deren Vorliegen erst die zu treffende Ermessensentscheidung eröffnet. Auch in dem Beschluss vom 17. August 2016 über die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers hat das Oberlandesgericht keine Ermessenserwägungen angestellt. Die dortigen Ausführungen beschränken sich vielmehr auf die Darlegung, dass keine Verletzung der Unschuldsvermutung vorliege. Ob das Oberlandesgericht auf die Gegenvorstellung des Beschwerdeführers hin die gebotene Ermessensausübung überhaupt wirksam hätte nachholen können, kann daher dahingestellt bleiben.

26

Aufgrund der Art des Verfahrenshindernisses hatte das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall auch besondere Veranlassung, das Absehen von einer Auslagenerstattung eingehend zu begründen. Während ein vom Angeschuldigten schuldhaft selbst herbeigeführtes Verfahrenshindernis es in der Regel unbillig erscheinen lassen wird, dessen notwendige Auslagen - dem Grundsatz des § 467 Abs. 1 StPO entsprechend - der Staatskasse aufzuerlegen (vgl. Steinberger-Fraunhofer, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 2. Aufl. 2016, § 467 Rn. 26; Stöckel, in: KMR, StPO, Band 6, § 467 Rn. 26 ), ist im vorliegenden Fall das Verfahrenshindernis vom Amtsgericht zu vertreten, das den Eröffnungsbeschluss auf die falsche, da bereits zurückgenommene, Anklageschrift bezogen hat. Bei einem durch einen Verfahrensfehler des Gerichts eingetretenen Verfahrenshindernis kann es der Billigkeit entsprechen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzubürden (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 467 Rn. 58). Im vorliegenden Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass nach der Verfahrenseinstellung eine Verurteilung des Beschwerdeführers in einem neuen Verfahren in Betracht kommt, da die ihm zur Last gelegte Tat noch nicht verjährt ist. Sofern das Oberlandesgericht die damit verbundene mögliche doppelte Belastung des Beschwerdeführers mit seinen notwendigen Auslagen erkannt und nicht für unbillig erachtet haben sollte, hätte es dies im Rahmen der anzustellenden Ermessenserwägungen begründen müssen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. März 2006 - 3 Ws 61/06 -, juris, Rn. 5; OLG München, Beschluss vom 26. Februar 1987 - 2 Ws 176/87 -, juris).

27

Da das Oberlandesgericht Düsseldorf somit entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut und in Verkennung des Ausnahmecharakters des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kein Ermessen ausgeübt hat, ist die Auslagenentscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und stellt sich daher als willkürlich dar (vgl. BVerfGK 3, 229 <233>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 29. Oktober 2015 - 2 BvR 388/13 -, juris, Rn. 24).

28

Die Entscheidung beruht auf dem Verfassungsverstoß, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Auslagenentscheidung bei einer pflichtgemäßen Ermessensausübung anders ausgefallen wäre (vgl. hierzu: BVerfGE 89, 48 <60>; 104, 92 <114>).

29

2. Da bereits der Verstoß gegen das Willkürverbot zur Aufhebung der angegriffenen Auslagenentscheidung führt, kann dahinstehen, ob in der Begründung der Auslagenentscheidung zugleich ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung liegt.

V.

30

Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts ist hinsichtlich der Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen aufzuheben. Die Sache ist insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

31

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Tenor

Der Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 21. August 2012 - 23 KLs 31/11 - verletzt den Beschwerdeführer hinsichtlich der Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 15. Januar 2013 - 1 Ws 342/12 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

In diesem Umfang werden die Beschlüsse aufgehoben. Die Sache wird insoweit an das Landgericht Stralsund zurückverwiesen.

Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat dem Beschwerdeführer die im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung der Auslagenerstattung im Rahmen einer Verfahrenseinstellung wegen eines nach Eröffnung des Hauptverfahrens festgestellten dauerhaften Verfahrenshindernisses (§ 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO).

I.

2

1. Mit Anklageschrift vom 12. Juni 2009 legte die Staatsanwaltschaft Stralsund dem Beschwerdeführer zur Last, sich in zwei Fällen der Untreue in besonders schwerem Fall und in einem weiteren Fall des versuchten Betrugs strafbar gemacht zu haben. Dem Mitangeschuldigten Sch... wurde eine Strafbarkeit wegen versuchten Betrugs und wegen Untreue, jeweils in besonders schwerem Fall, zur Last gelegt. Mit Schriftsatz vom 19. März 2010 erhob die Staatsanwaltschaft Stralsund gegen den Beschwerdeführer eine weitere Anklage, durch die diesem zur Last gelegt wurde, sich in 22 Fällen jeweils wegen Untreue im besonders schweren Fall strafbar gemacht zu haben.

3

Das Landgericht Stralsund verband die beiden Verfahren und ließ im August 2010 die Anklageschrift vom 12. Juni 2009 vollständig, die Anklageschrift vom 19. März 2010 nur in eingeschränktem Umfang zur Hauptverhandlung zu. Mit Ladung vom 14. März 2011 beraumte das Gericht den ersten Hauptverhandlungstermin auf den 12. Mai 2011 an. Da der Beschwerdeführer jedoch am 14. April 2011 einen schweren Schlaganfall erlitt, hob das Landgericht alle Hauptverhandlungstermine auf. Nachdem das Landgericht ein psychiatrisches Sachverständigengutachten zur Verhandlungsfähigkeit des Beschwerdeführers eingeholt hatte, trennte es das Strafverfahren gegen diesen mit Beschluss vom 28. Oktober 2011 ab und stellte es zugleich zunächst vorläufig gemäß § 205 StPO ein.

4

Am 25. April 2012 verurteilte das Landgericht Stralsund den ursprünglichen Mitangeklagten Sch… wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten.

5

2. Mit Beschluss vom 21. August 2012 stellte das Landgericht Stralsund das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wegen dauerhafter Verhandlungsunfähigkeit endgültig gemäß § 206a StPO ein. Von der Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers sah das Landgericht ab. Diesbezüglich führte das Landgericht aus:

Die Kammer hat nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abzusehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen, da er wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift sind bereits dann erfüllt, wenn bei dem bei Feststellung des Verfahrenshindernisses gegebenen Verfahrensstand zumindest hinreichender Tatverdacht besteht und keine Umstände erkennbar sind, die bei Durchführung der Hauptverhandlung die Verdichtung des Tatverdachts zur prozessordnungsgemäßen Feststellung der Tatschuld in Frage stellen […].

[…]

Ein zumindest hinreichender Tatverdacht gegen den Angeklagten L… besteht weiterhin. Die Kammer hat insofern die Anklageschriften der Staatsanwaltschaft überwiegend zugelassen. Auch die Verhandlung gegen den Mitangeklagten Sch…, der durch Urteil der Kammer vom 27.06.2012 [sic], allerdings noch nicht rechtskräftig, wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, haben [sic] keinerlei Anhaltspunkte ergeben, dass der Angeklagte L… bei Durchführung der Hauptverhandlung nicht verurteilt worden wäre. […]

6

3. Die gegen die Auslagenentscheidung im vorgenannten Beschluss eingelegte sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Oberlandesgericht Rostock mit Beschluss vom 15. Januar 2013 als unbegründet. Die Entscheidung des Landgerichts, von einer Überbürdung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers auf die Staatskasse abzusehen, sei ermessensfehlerfrei erfolgt.

II.

7

Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die genannten Entscheidungen und rügt eine Verletzung des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG sowie der Unschuldsvermutung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).

8

Das Landgericht Stralsund habe gegen die Unschuldsvermutung verstoßen, indem es in seinem Beschluss ausgeführt habe, dass die Verhandlung gegen den (früheren) Mitangeklagten Sch… keinerlei Anhaltspunkte ergeben habe, dass der Beschwerdeführer bei Durchführung der Hauptverhandlung nicht verurteilt worden wäre, und dabei auf die Feststellungen in dem gegen den Angeklagten Sch... ergangenen Urteil verwiesen habe. Auf diese Weise habe das Landgericht dem Beschwerdeführer ersichtlich strafrechtliche Schuld zugewiesen. Das Oberlandesgericht Rostock habe sich dieser Schuldzuweisung des Landgerichts angeschlossen.

9

Soweit das Oberlandesgericht die Ansicht vertreten habe, dass das Absehen von einer Auslagenerstattung bereits möglich sei, wenn bei dem Verfahrensstand zum Zeitpunkt der Feststellung des Verfahrenshindernisses zumindest ein hinreichender Tatverdacht bestehe und keine Umstände erkennbar seien, die bei Durchführung der Hauptverhandlung die Verdichtung dieses Tatverdachts in Frage stellen könnten, habe das Gericht verkannt, dass bei den von ihm in Bezug genommenen Entscheidungen - anders als im Falle des Beschwerdeführers - jeweils bereits eine erstinstanzliche Verurteilung vorgelegen habe. Im Falle des Beschwerdeführers hätten sich der Aktenlage jedoch keine Anhaltspunkte für eine Einschätzung der Verurteilungswahrscheinlichkeit entnehmen lassen können.

10

Der Beschluss des Landgerichts Stralsund verstoße zudem gegen das Willkürverbot, da das Landgericht verkannt habe, dass das Absehen von einer Auslagenerstattung eine Ausnahme darstelle und zudem die Ausübung von Ermessen voraussetze. Das Landgericht habe keinerlei Ermessen ausgeübt und die Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO in krasser Weise verkannt, sodass sich der Schluss aufdränge, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruhe.

11

Auch der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock verstoße gegen das Willkürverbot. Das Oberlandesgericht habe zwar berücksichtigt, dass das Absehen von einer Auslagenerstattung gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eine Ermessensentscheidung erfordere. Es habe jedoch die Voraussetzungen für die Ausübung des Ermessens ebenso wie den Umstand verkannt, dass das Landgericht kein Ermessen ausgeübt habe. Das Oberlandesgericht habe diesen Fehler auch nicht durch eine eigene Ermessensentscheidung geheilt.

III.

12

Zu der Verfassungsbeschwerde hat der Generalbundesanwalt Stellung genommen. Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs hat Äußerungen der Vorsitzenden des 1., 2., 3. und 4. Strafsenats übermittelt, die jeweils auf Beschlüsse ihrer Senate verwiesen haben. Der Beschwerdeführer hat auf diese Stellungnahmen erwidert. Das Justizministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern hat von einer Stellungnahme abgesehen.

13

Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

IV.

14

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungskompetenz der Kammer eröffnenden Weise offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts Stralsund und des Oberlandesgerichts Rostock verstoßen gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

15

1. Der Beschwerdeführer ist durch die Auslagenentscheidung in dem angegriffenen Beschluss des Landgerichts Stralsund weiterhin beschwert, sodass auch diesbezüglich das für eine zulässige Verfassungsbeschwerde vorausgesetzte Rechtsschutzbedürfnis nach wie vor gegeben ist. Die Entscheidung des Landgerichts ist durch die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts nicht in einer Weise prozessual überholt worden, die Beschwer und Rechtsschutzbedürfnis entfallen ließen.

16

Eine prozessuale Überholung tritt ein, sofern das Rechtsmittelgericht den Sachverhalt in demselben Umfang wie das erstinstanzliche Gericht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen und entscheiden kann. Soweit im Rahmen eines Berufungsverfahrens das Berufungsgericht in vollem Umfang über den Prozessgegenstand entscheidet, wird daher die Entscheidung des erstinstanzlichen Tatgerichts prozessual überholt (BVerfGK 10, 134 <138>; 13, 231 <233>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 27. Juni 2014 - 2 BvR 429/12 -, juris, Rn. 14). Im vorliegenden Fall ist jedoch zu berücksichtigen, dass das Oberlandesgericht als Beschwerdegericht nicht über dieselbe Entscheidungskompetenz wie das erstinstanzlich zur Entscheidung berufene Landgericht verfügte, da das Beschwerdegericht gemäß § 464 Abs. 3 Satz 2 StPO an die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Gerichts, auf denen die Entscheidung beruht, gebunden ist.

17

2. Das Landgericht hat gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, indem es im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut und unter Verkennung des Zwecks des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Versagung der Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers allein auf die Bejahung der Voraussetzungen des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO stützte, ohne das dann eröffnete Ermessen auszuüben. Das Oberlandesgericht hat diesen Fehler im Rahmen seiner Beschwerdeentscheidung nicht geheilt, obwohl es durch den Ermessensnichtgebrauch des Landgerichts zur Vornahme einer eigenen Ermessensentscheidung verpflichtet war. Infolge dieses (erneuten) Ermessensnichtgebrauchs verstößt auch der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts gegen das Willkürverbot.

18

a) Gerichtliche Entscheidungen verstoßen allerdings nicht bereits dann gegen das Willkürverbot, wenn die Rechtsanwendung oder das eingeschlagene Verfahren Fehler enthält oder von der herrschenden Rechtsprechung abweicht. Willkür liegt vielmehr erst dann vor, wenn eine offensichtlich einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder der Inhalt der Norm in krasser Weise missdeutet wird und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 18, 85 <93>; 80, 48 <51>; 87, 273 <278 f.>; 96, 189 <203>; stRspr).

19

Bei der Einräumung von Ermessen begründet das Willkürverbot eine Verpflichtung zu dessen sachgerechter Ausübung (BVerfGE 116, 1 <12>; vgl. auch zum Anspruch auf pflichtgemäße Ermessensausübung auf anderer verfassungsrechtlicher Grundlage: BVerfGE 96, 100 <115>). Das zur Entscheidung berufene Rechtspflegeorgan darf seine Entscheidung daher nicht nach freiem Belieben treffen, sondern muss das ihm eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausüben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2010 - 1 BvR 285/10 -, juris, Rn. 9).

20

b) Gemessen an diesem Maßstab verletzten sowohl der Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 21. August 2012 (aa) als auch der Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 15. Januar 2013 (bb) das Willkürverbot.

21

aa) (1) Gemäß § 467 Abs. 1 StPO fallen bei einer Verfahrenseinstellung sowohl die Verfahrenskosten als auch die notwendigen Auslagen grundsätzlich der Staatskasse zur Last. Als Ausnahme von diesem Grundsatz eröffnet § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO die Möglichkeit, von der Erstattung der notwendigen Auslagen abzusehen, wenn der Angeschuldigte wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht. Das Ermessen ("kann davon absehen") ist also erst dann eröffnet, wenn das Gericht überzeugt ist, dass der Angeschuldigte ohne das Verfahrenshindernis verurteilt werden würde. Zum Verfahrenshindernis als alleinigem der Verurteilung entgegenstehenden Umstand müssen demnach weitere besondere Umstände hinzutreten, die es billig erscheinen lassen, dem Angeschuldigten die Auslagenerstattung zu versagen (BVerfGK 3, 229 <232> m.w.N.; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 14. September 1992 - 2 BvR 1941/89 -, juris, Rn. 26).

22

Es kann dahingestellt bleiben, ob und gegebenenfalls inwieweit bei der Ausübung des Ermessens wiederum auf die Stärke des Tatverdachts abgestellt werden kann (als zulässiges Ermessenskriterium angesehen: BGH, Beschluss vom 5. November 1999 - StB 1/99 -, juris, Rn. 17; gegen eine Berücksichtigung der Stärke des Tatverdachts im Rahmen der Ermessensausübung: OLG Celle, Beschluss vom 17. Juli 2014 - 1 Ws 283/14 -, juris, Rn. 15; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2010, § 467 Rn. 60 m. w. N. zu beiden Auffassungen). Nach wohl überwiegender Ansicht wird im Rahmen der Ermessensentscheidung dem Umstand, ob das Verfahrenshindernis bereits vor der Erhebung der Anklage bestand oder erst im Laufe des Verfahrens eingetreten ist, erhebliche Bedeutung beigemessen (BVerfGK 3, 229 <232>; OLG Thüringen, Beschluss vom 11. Januar 2007 - 1 Ws 195/05 -, juris, Rn.18; OLG Köln, Beschluss vom 26. Februar 2009 - 2 Ws 66/09 -, juris, Rn. 11; OLG Celle, Beschluss vom 17. Juli 2014, a.a.O., Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. 2015, § 467 Rn. 18).

23

(2) Soweit sich das Landgericht bei seiner Auslagenentscheidung auf den zur Überzeugung des Gerichts gegen den Beschwerdeführer fortbestehenden hinreichenden Tatverdacht stützt, hat es die Stärke des Tatverdachts jedenfalls nicht als Ermessenskriterium in eine Abwägung eingestellt. Es hat sich vielmehr verpflichtet gesehen, von einer Auslagenentscheidung zu Gunsten des Beschwerdeführers abzusehen ("Die Kammer hat nach § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO davon abzusehen […]"). Die weiteren Ausführungen des Landgerichts haben keine Ermessenserwägungen zum Gegenstand, sondern befassen sich ausschließlich mit den "tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Vorschrift". Auch der Verweis auf die Feststellungen in dem gegen den früheren Mitangeklagten Sch... ergangenen Urteil vom 25. April 2012 erfolgt nicht im Rahmen einer Ermessensausübung, sondern dient, wie sich aus dem Zusammenhang eindeutig ergibt, lediglich der Begründung, dass der mit Erlass des Eröffnungsbeschlusses bejahte hinreichende Tatverdacht auch durch weitere Erkenntnisse nicht in Frage gestellt worden sei.

24

Da das Landgericht somit entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut und in Verkennung des Ausnahmecharakters des § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO kein Ermessen ausgeübt hat, ist die Auslagenentscheidung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und stellt sich daher als willkürlich dar.

25

(3) Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Auslagenentscheidung bei einer pflichtgemäßen Ermessensausübung anders ausgefallen wäre und die Entscheidung daher auf dem Verfassungsverstoß beruht (vgl. zum Erfordernis des Beruhens der Entscheidung auf dem Verfassungsverstoß: BVerfGE 89, 48 <60>; 104, 92 <114>).

26

Selbst wenn man die Stärke des Tatverdachts als zulässiges Ermessenskriterium ansieht, lässt sich den Ausführungen des Landgerichts nicht eindeutig entnehmen, welches Gewicht es dem gegen den Beschwerdeführer fortbestehenden Tatverdacht zumisst. Das Landgericht verzichtet auf weitere Ausführungen zur Stärke des Tatverdachts und beschränkt sich - im Rahmen der auf das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen beschränkten Prüfung folgerichtig - auf die Feststellung, dass "zumindest" ein hinreichender Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer fortbestehe.

27

bb) Der Verstoß gegen das Willkürverbot durch den Ermessensnichtgebrauch des Landgerichts wird auch nicht durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock vom 15. Januar 2013 geheilt. Das Oberlandesgericht erkennt zwar zutreffend, dass eine Entscheidung gemäß § 467 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StPO eine Ermessensausübung erfordert. Es holt die vom Landgericht unterlassene Ermessensausübung im Rahmen der Entscheidung über die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers jedoch nicht nach, sondern beschränkt sich, ohne eigene Ermessenserwägungen anzustellen, auf die rechtliche Prüfung der - tatsächlich nicht vorliegenden - "Ermessensentscheidung des Landgerichts", die es "als fehlerfrei" erachtet.

28

Auch aus den weiteren Gründen des Beschlusses lässt sich nicht entnehmen, dass das Oberlandesgericht ein eigenes Ermessen ausgeübt hätte. Das Oberlandesgericht führt zwar abstrakt aus, dass alle Aspekte in die Ermessensentscheidung einzubeziehen seien, die ein Absehen von der regelmäßig zu erfolgenden Überbürdung der Kosten auf die Staatskasse angezeigt erscheinen ließen. Es benennt jedoch weder die Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung im konkreten Fall zum Tragen kommen, noch gewichtet es diese und nimmt eine Abwägung vor.

29

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist somit in Anbetracht des fortgesetzten Ermessensnichtgebrauchs, trotz der zutreffend erkannten Pflicht zu einer Ermessensentscheidung, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar und stellt sich daher ebenfalls als willkürlich dar.

30

3. Da bereits der Verstoß gegen das Willkürverbot jeweils zur Aufhebung der angegriffenen Beschlüsse führt - im Falle des Beschlusses des Landgerichts gemäß dem Rechtsschutzziel des Beschwerdeführers beschränkt auf die Auslagenentscheidung -, kann letztlich dahinstehen, ob in der Begründung der genannten Beschlüsse zugleich ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung liegt (vgl. BVerfGK 3, 229 <233 f.>).

31

Im Übrigen schließt die Unschuldsvermutung nicht aus, in einer das Strafverfahren ohne förmlichen Schuldspruch beendenden Entscheidung einen verbleibenden Tatverdacht festzustellen und zu bewerten und dies bei der Entscheidung über die kostenrechtlichen Folgen zu berücksichtigen. Rechtsfolgen, die keinen Strafcharakter haben, können auch in einer das Verfahren abschließenden Entscheidung an einen verbleibenden Tatverdacht geknüpft werden (BVerfGE 82, 106 <117>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 1991 - 2 BvR 1542/90 -, a.a.O., Rn. 13; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 1991 - 2 BvR 1590/89 -, juris, Rn. 25; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 7. Februar 2002 - 2 BvR 9/02 -, juris, Rn. 2).

V.

32

Die angegriffenen Beschlüsse des Landgerichts - hinsichtlich der Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen - und des Oberlandesgerichts sind daher aufzuheben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).

33

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung im Verfassungsbeschwerdeverfahren beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Die Entschädigung ist ausgeschlossen

1.
für die erlittene Untersuchungshaft, eine andere Freiheitsentziehung und für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis, soweit deren Anrechnung auf die verhängte Strafe unterbleibt,
2.
für eine Freiheitsentziehung, wenn eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet oder von einer solchen Anordnung nur deshalb abgesehen worden ist, weil der Zweck der Maßregel bereits durch die Freiheitsentziehung erreicht ist,
3.
für die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und das vorläufige Berufsverbot, wenn die Entziehung der Fahrerlaubnis oder das Berufsverbot endgültig angeordnet oder von einer solchen Anordnung nur deshalb abgesehen worden ist, weil ihre Voraussetzungen nicht mehr vorlagen,
4.
für die Beschlagnahme und den Vermögensarrest (§§ 111b bis 111h der Strafprozeßordnung), wenn die Einziehung einer Sache angeordnet ist.

(2) Die Entschädigung ist auch ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Entschädigung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Beschuldigte sich darauf beschränkt hat, nicht zur Sache auszusagen, oder daß er unterlassen hat, ein Rechtsmittel einzulegen.

(3) Die Entschädigung ist ferner ausgeschlossen, wenn und soweit der Beschuldigte die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch schuldhaft verursacht hat, daß er einer ordnungsgemäßen Ladung vor den Richter nicht Folge geleistet oder einer Anweisung nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 bis 3, Abs. 3 der Strafprozeßordnung zuwidergehandelt hat.

(1) Soweit der Angeschuldigte freigesprochen, die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen ihn abgelehnt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt wird, fallen die Auslagen der Staatskasse und die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse zur Last.

(2) Die Kosten des Verfahrens, die der Angeschuldigte durch eine schuldhafte Säumnis verursacht hat, werden ihm auferlegt. Die ihm insoweit entstandenen Auslagen werden der Staatskasse nicht auferlegt.

(3) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn der Angeschuldigte die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er in einer Selbstanzeige vorgetäuscht hat, die ihm zur Last gelegte Tat begangen zu haben. Das Gericht kann davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, wenn er

1.
die Erhebung der öffentlichen Klage dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt wird, weil ein Verfahrenshindernis besteht.

(4) Stellt das Gericht das Verfahren nach einer Vorschrift ein, die dies nach seinem Ermessen zuläßt, so kann es davon absehen, die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen.

(5) Die notwendigen Auslagen des Angeschuldigten werden der Staatskasse nicht auferlegt, wenn das Verfahren nach vorangegangener vorläufiger Einstellung (§ 153a) endgültig eingestellt wird.

(1) Die Entschädigung kann ganz oder teilweise versagt werden, wenn der Beschuldigte

1.
die Strafverfolgungsmaßnahme dadurch veranlaßt hat, daß er sich selbst in wesentlichen Punkten wahrheitswidrig oder im Widerspruch zu seinen späteren Erklärungen belastet oder wesentliche entlastende Umstände verschwiegen hat, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat, oder
2.
wegen einer Straftat nur deshalb nicht verurteilt oder das Verfahren gegen ihn eingestellt worden ist, weil er im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt hat oder weil ein Verfahrenshindernis bestand.

(2) Die Entschädigung für eine Freiheitsentziehung kann ferner ganz oder teilweise versagt werden, wenn das Gericht die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften anwendet und hierbei eine erlittene Freiheitsentziehung berücksichtigt.