Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Nov. 2019 - 4 StR 403/19

bei uns veröffentlicht am06.11.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 403/19
vom
6. November 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Wohnungseinbruchdiebstahls
ECLI:DE:BGH:2019:061119B4STR403.19.1

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 6. November 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 2. April 2019, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe aufgehoben , dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. 2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten gegen das vorgenannte Urteil wird verworfen. 3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren nach den §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Wohnungseinbruchdiebstahls in zwei Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus den Urteilen des Amtsgerichts Münster vom 3. November 2017 und vom 25. September 2018 – unter Auflösung der in dem letztgenannten Urteil gebildeten Gesamtstrafe – zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt, wobei von dieser Strafe zwei Monate als vollstreckt gelten. Darüber hinaus hat es ihn im Fall II. 6. der Urteilsgründe wegen eines weiteren Wohnungseinbruchdieb- stahls zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Einziehung von Wertersatz angeordnet, ein Tatmittel eingezogen und die in dem Urteil vom 25. September 2018 angeordnete „Fahrerlaubnissperre“ aufrechterhalten. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten; das Rechtsmittel erzielt den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Anwendung des § 55 Abs. 1 StGB in dem angefochtenen Urteil begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Vor den beiden einbezogenen Vorverurteilungen wurde der Angeklagte am 14. März 2017, rechtskräftig seit dem 28. April 2017, wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe verurteilt; ferner wurde ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das Landgericht teilt den Vollstreckungsstand dieser Entscheidung nicht mit. Daher kann der Senat nicht prüfen, ob die in dem Urteil des Amtsgerichts Münster vom 3. November 2017 abgeurteilten Taten aus den Jahren 2012 und 2013 mit dieser Vorverurteilung gesamtstrafenfähig sind. Käme dem Urteil vom 14. März 2017 insoweit Zäsurwirkung zu, wäre die Entscheidung vom 3. No- vember 2017 gesamtstrafenrechtlich „verbraucht“; in der Folge wäre hier nur eine einheitliche nachträgliche Gesamtstrafe mit den drei Einzelstrafen aus der Verurteilung vom 25. September 2018 zu bilden. Von daher kann der Senat auch nicht ausschließen, dass der Angeklagte durch den aufgezeigten Rechtsfehler beschwert ist.
3
2. Der Senat hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, nach § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO zu verfahren; der Aufhebung zugehöriger Feststellungen bedarf es nicht (§ 353 Abs. 2 StPO). Das nach § 462a Abs. 3 StPO zuständige Gericht, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels zukommt , wird die erforderlichen ergänzenden Feststellungen zu treffen haben.
4
3. Der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter wird vorsorglich auf Folgendes hingewiesen: Sollte die Geldstrafe aus der Entscheidung vom 14. März 2017 – das Fahrverbot ist erledigt – nach der Verurteilung vom 3. November 2017, aber vor dem zuletzt ergangenen Urteil vom 25. September 2018 bezahlt oder sonst erledigt sein, änderte dies nichts an der Zäsurwirkung der Entscheidung vom 14. März 2017. Denn im Zeitpunkt der Verurteilung des Angeklagten am 3. November 2017 zu der zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe hätte die Gesamtstrafenlage bestanden; auch haben inzwischen nicht etwa sämtliche hierfür in Betracht zu ziehenden Strafen ihre vollständige Erledigung gefunden (vgl. zu Vorstehendem insgesamt BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2007 – 4 StR 266/07; vom 27. März 2014 – 4 StR 574/13; vom 15. April 2014 – 3 StR 123/14; vom 8. Juni 2016 – 4 StR 73/16; vom 10. April 2019 – 4 StR 25/19; vom 8. Mai 2019 – 1 StR 144/19; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 55 Rn. 10).
Quentin Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

Strafgesetzbuch - StGB | § 55 Nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe


(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen h

Strafprozeßordnung - StPO | § 462 Verfahren bei gerichtlichen Entscheidungen; sofortige Beschwerde


(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b d

Strafprozeßordnung - StPO | § 460 Nachträgliche Gesamtstrafenbildung


Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 55 des Strafgesetzbuches) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine

Strafprozeßordnung - StPO | § 462a Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer und des erstinstanzlichen Gerichts


(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte z

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 55 des Strafgesetzbuches) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen.

(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b des Strafgesetzbuches), die Aufhebung des Vorbehalts der Einziehung und die nachträgliche Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes (§ 74f Absatz 1 Satz 4 des Strafgesetzbuches), die nachträgliche Anordnung der Einziehung des Wertersatzes (§ 76 des Strafgesetzbuches) sowie für die Verlängerung der Verjährungsfrist (§ 79b des Strafgesetzbuches).

(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte zu hören. Das Gericht kann von der Anhörung des Verurteilten in den Fällen einer Entscheidung nach § 79b des Strafgesetzbuches absehen, wenn infolge bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß die Anhörung nicht ausführbar ist.

(3) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Unterbrechung der Vollstreckung anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

Ist jemand durch verschiedene rechtskräftige Urteile zu Strafen verurteilt worden und sind dabei die Vorschriften über die Zuerkennung einer Gesamtstrafe (§ 55 des Strafgesetzbuches) außer Betracht geblieben, so sind die erkannten Strafen durch eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung auf eine Gesamtstrafe zurückzuführen.

(1) Die nach § 450a Abs. 3 Satz 1 und den §§ 458 bis 461 notwendig werdenden gerichtlichen Entscheidungen trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluß. Dies gilt auch für die Wiederverleihung verlorener Fähigkeiten und Rechte (§ 45b des Strafgesetzbuches), die Aufhebung des Vorbehalts der Einziehung und die nachträgliche Anordnung der Einziehung eines Gegenstandes (§ 74f Absatz 1 Satz 4 des Strafgesetzbuches), die nachträgliche Anordnung der Einziehung des Wertersatzes (§ 76 des Strafgesetzbuches) sowie für die Verlängerung der Verjährungsfrist (§ 79b des Strafgesetzbuches).

(2) Vor der Entscheidung sind die Staatsanwaltschaft und der Verurteilte zu hören. Das Gericht kann von der Anhörung des Verurteilten in den Fällen einer Entscheidung nach § 79b des Strafgesetzbuches absehen, wenn infolge bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß die Anhörung nicht ausführbar ist.

(3) Der Beschluß ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluß, der die Unterbrechung der Vollstreckung anordnet, hat aufschiebende Wirkung.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

(1) Wird gegen den Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in deren Bezirk die Strafanstalt liegt, in die der Verurteilte zu dem Zeitpunkt, in dem das Gericht mit der Sache befaßt wird, aufgenommen ist. Diese Strafvollstreckungskammer bleibt auch zuständig für Entscheidungen, die zu treffen sind, nachdem die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe unterbrochen oder die Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafvollstreckungskammer kann einzelne Entscheidungen nach § 462 in Verbindung mit § 458 Abs. 1 an das Gericht des ersten Rechtszuges abgeben; die Abgabe ist bindend.

(2) In anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Fällen ist das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig. Das Gericht kann die nach § 453 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an das Amtsgericht abgeben, in dessen Bezirk der Verurteilte seinen Wohnsitz oder in Ermangelung eines Wohnsitzes seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat; die Abgabe ist bindend. Abweichend von Absatz 1 ist in den dort bezeichneten Fällen das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig, wenn es die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten hat und eine Entscheidung darüber gemäß § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches noch möglich ist.

(3) In den Fällen des § 460 entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges. Waren die verschiedenen Urteile von verschiedenen Gerichten erlassen, so steht die Entscheidung dem Gericht zu, das auf die schwerste Strafart oder bei Strafen gleicher Art auf die höchste Strafe erkannt hat, und falls hiernach mehrere Gerichte zuständig sein würden, dem Gericht, dessen Urteil zuletzt ergangen ist. War das hiernach maßgebende Urteil von einem Gericht eines höheren Rechtszuges erlassen, so setzt das Gericht des ersten Rechtszuges die Gesamtstrafe fest; war eines der Urteile von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen, so setzt das Oberlandesgericht die Gesamtstrafe fest. Wäre ein Amtsgericht zur Bildung der Gesamtstrafe zuständig und reicht seine Strafgewalt nicht aus, so entscheidet die Strafkammer des ihm übergeordneten Landgerichts.

(4) Haben verschiedene Gerichte den Verurteilten in anderen als den in § 460 bezeichneten Fällen rechtskräftig zu Strafe verurteilt oder unter Strafvorbehalt verwarnt, so ist nur eines von ihnen für die nach den §§ 453, 454, 454a und 462 zu treffenden Entscheidungen zuständig. Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. In den Fällen des Absatzes 1 entscheidet die Strafvollstreckungskammer; Absatz 1 Satz 3 bleibt unberührt.

(5) An Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges, wenn das Urteil von einem Oberlandesgericht im ersten Rechtszuge erlassen ist. Das Oberlandesgericht kann die nach den Absätzen 1 und 3 zu treffenden Entscheidungen ganz oder zum Teil an die Strafvollstreckungskammer abgeben. Die Abgabe ist bindend; sie kann jedoch vom Oberlandesgericht widerrufen werden.

(6) Gericht des ersten Rechtszuges ist in den Fällen des § 354 Abs. 2 und des § 355 das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen worden ist, und in den Fällen, in denen im Wiederaufnahmeverfahren eine Entscheidung nach § 373 ergangen ist, das Gericht, das diese Entscheidung getroffen hat.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 266/07
vom
17. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 17. Juli 2007 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 28. Februar 2007 dahin geändert , dass der Angeklagte wegen Totschlags, verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und fünf Monaten verurteilt wird. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Totschlags unter Einbeziehung der durch Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 verhängten Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten und einer Woche und wegen verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie wegen falscher Verdächtigung zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 5. Dezember 2006 - 4 StR 484/06 - im Ausspruch über die beiden Gesamtfreiheitsstrafen mit den Feststellungen aufgehoben und die weiter gehende Revision verworfen.
2
Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 wegen Totschlags, verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe und wegen falscher Verdächtigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
Die Gesamtstrafenbildung, die das Landgericht nach Zurückverweisung der Sache vorzunehmen hatte, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht in die Gesamtstrafe, die es aus den rechtskräftigen Einzelstrafen von neun Jahren und sechs Monaten wegen Totschlags, von drei Jahren wegen verbotenen Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe und von sechs Monaten wegen falscher Verdächtigung zu bilden hatte, auch die durch Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 verhängte Geldstrafe von 30 Tagessätzen einbezogen hat.
4
Der Einbeziehung dieser Geldstrafe im Wege der nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB steht entgegen, dass aus dieser wegen Beleidigung verhängten Geldstrafe und der durch Strafbefehl des Amtsgerichts Krefeld vom 10. März 2005 wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung verhängten Geldstrafe von 90 Tagessätzen gemäß § 460 StPO im Beschlusswege nachträglich eine Gesamtstrafe zu bilden ist, weil die Beleidigung am 20. Februar 2005 begangen wurde, sodass allein der Strafbefehl vom 10. März 2005 eine Zäsur bilden kann (vgl. BGHSt 32, 190, 193). Nach den Feststellungen wurde dieser Strafbefehl aber am 10. März 2005 von dem zuständigen Richter vor 14.00 Uhr unterzeichnet. Da der Angeklagte den hier abgeurteilten Totschlag am Abend des 10. März 2005 nach 20.00 Uhr, den Verstoß gegen das Waffengesetz am 14. November 2005 und das Vergehen der falschen Verdächtigung am 28. November 2005 begangen hat, ist für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung aus den wegen dieser Taten verhängten Freiheitsstrafen und der Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 2. Mai 2005 kein Raum.
5
Die Zäsurwirkung des Strafbefehls vom 10. März 2006 ist auch nicht etwa deshalb entfallen, weil die Geldstrafe aus dem Strafbefehl vom 10. März 2005 nunmehr nach Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe in der Zeit vom 30. November 2006 bis zum 12. Februar 2007 erledigt ist. Da die Erledigung erst nach Erlass des Strafbefehls vom 2. Mai 2005 eingetreten ist, steht sie einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 460 StPO nicht entgegen (vgl. Fischer in KK StPO 5. Aufl. § 460 Rdn. 10; Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 460 Rdn. 13, jew. m.w.N.). Ein Nachtragsverfahren nach § 460 StPO ist erst dann ausgeschlossen, wenn sämtliche Strafen, die für eine Gesamtstrafenbildung in Betracht gekommen wären, vollständig vollstreckt, verjährt oder erlassen sind (vgl. Fischer aaO; Meyer-Goßner aaO).
6
Die Einbeziehung der Geldstrafe von 30 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 2. Mai 2005 muss deshalb entfallen. Der Senat setzt die gegen den Angeklagten verhängte Gesamtfreiheitsstrafe um einen Monat herab.
7
Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels gibt keinen Anlass, den Angeklagten von den Kosten des Verfahrens und seinen Auslagen gemäß § 473 Abs. 4 StPO teilweise zu entlasten.
Tepperwien Athing Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR574/13
vom
27. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. März 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Detmold vom 6. September 2013, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit den zugehörigen Feststellungen mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem für das Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls unter Einbeziehung der Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hagenow vom 8. April 2013 unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die mit der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe aus der Freiheitsstrafe für die verfahrensgegenständliche Tat und den noch nicht erledigten Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hagenow vom 8. April 2013 hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Nach den Feststellungen wurden die den einbezogenen Strafen zu Grunde liegenden Taten am 2. Januar 2012, 6. Februar 2012 und 10. Mai 2012 begangen. Bis zu ihrer Aburteilung durch das Amtsgericht Hagenow wurde der Angeklagte noch am 8. Mai 2012 durch das AmtsgerichtBerlin-Tiergarten, am 19. Oktober 2012 durch das Amtsgericht Peine, am 6. Dezember 2012 durch das Amtsgericht Wolfsburg und am 20. Februar 2013 durch das Amtsgericht Bremen jeweils wegen Diebstahls zu Geldstrafen verurteilt. Den Vollstreckungsstand der vom Amtsgericht Bremen verhängten Geldstrafe hat das Landgericht nicht aufzuklären vermocht und die Gesamtstrafenbildung insoweit dem Verfahren nach § 460 StPO überlassen. Zu den Geldstrafen aus den Urteilen der Amtsgerichte Berlin-Tiergarten, Peine und Wolfsburg lässt sich den Ur- teilsgründen lediglich entnehmen, dass sie „den Angaben des Angeklagten zufolge“ bereits vollständig vollstreckt sind. Wann diese Vollstreckungen abge- schlossen werden, teilt das Urteil ebenso wenig mit, wie die Tatzeiten hinsichtlich der Urteile vom 19. Oktober und 6. Dezember 2012.
4
Auf der Grundlage dieser Feststellungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass die von den Amtsgerichten Berlin-Tiergarten und Peine verhängten Geldstrafen im Zeitpunkt der Entscheidung des Amtsgerichts Hagenow am 8. April 2013 noch nicht erledigt waren und deshalb zwischen den vom Amtsge- richt Hagenow für die Taten vom 2. Januar und vom 6. Februar 2012 verhängten Einzelstrafen und der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts BerlinTiergarten vom 8. Mai 2012 sowie zwischen der vom Amtsgericht Hagenow für die Tat vom 10. Mai 2012 festgesetzten Einzelstrafe und der vom Amtsgericht Peine am 19. Oktober 2012 verhängten Geldstrafe jeweils eine Gesamtstrafenlage im Sinne von § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB bestand. Da eine Gesamtstrafenbildung im Nachtragsverfahren nach § 460 StPO erst dann ausgeschlossen ist, wenn sämtliche dafür in Betracht zu ziehenden Strafen vollständig erledigt sind (BGH, Beschluss vom 17. Juli 2007 – 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369, 370; Bringewat, Die Bildung der Gesamtstrafe, 1987, Rn. 346; Nestler, JA 2011, 248, 253), stünde eine zwischenzeitlich eingetretene Vollstreckung der Geldstrafen aus den Urteilen der Amtsgerichte Berlin-Tiergarten und Peine der Nachholung einer unterbliebenen Gesamtstrafenbildung mit den vom Amtsgericht Hagenow verhängten und noch nicht erledigten Einzelstrafen nicht entgegen. In diesem Fall wären die Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Hagenow infolge der Zäsurwirkung der zu diesem Zeitpunkt noch unerledigten Verurteilungen durch die Amtsgerichte Berlin-Tiergarten (bezogen auf die Einzelstrafen für die Taten vom 2. Januar und vom 6. Februar 2012) und Peine (bezogen auf die Einzelstrafe für die Tat vom 10. Mai 2012) gesamtstrafenrechtlich „verbraucht“ (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2011 – 4 StR 249/11, NStZ-RR 2011, 307; Beschluss vom 28. Juli 2006 – 2 StR 215/06, NStZ 2007, 28, 29) und stünden für eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit der für die verfahrensgegenständlichen Tat vom 23. Januar 2013 verhängten Strafe nicht mehr zur Verfügung.
5
Das nach §§ 460, 462 StPO zuständige Gericht wird den Vollstreckungsstand der für die Bildung der nachträglichen Gesamtstrafe bedeutsamen Verurteilungen klären müssen. Es hat auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 1 2 3 / 1 4
vom
15. April 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am 15. April
2014 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 17. Oktober 2013, soweit es ihn betrifft,
a) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben aufrechterhalten,
b) im Adhäsionsausspruch dahin ergänzt, dass eine Verpflichtung zur Zahlung von Schmerzensgeld und zum Ersatz des materiellen Schadens des Mitangeklagten für den Angeklagten nur insoweit besteht, als die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Versicherer übergegangen sind. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Strafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Viersen vom 13. März 2012 eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zwei Monaten verhängt. Im Adhäsionsververfahren hat es den Angeklagten zur Zahlung eines Schmerzens- gelds von 20.000 € an den durch die Tat geschädigten Mitangeklagten verurteilt und die Verpflichtung des Angeklagten festgestellt, diesem allen aus der Tat entstandenen materiellen Schaden zu erstatten. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Gesamtstrafenausspruch hat keinen Bestand.
3
Das Amtsgericht Viersen hat gegen den Angeklagten am 13. März 2012 eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen ausgesprochen. Danach läge zwar grundsätzlich Gesamtstrafenfähigkeit vor, denn die vom Landgericht nunmehr abgeurteilte Tat hat der Angeklagte bereits am 28. Juli 2011 begangen. Indes teilt das Landgericht den Stand der Vollstreckung der Geldstrafe nicht mit; wäre diese zum Zeitpunkt des landgerichtlichen Urteils bereits erledigt gewesen, so wäre der Angeklagte durch die Bildung der Gesamtstrafe beschwert.
4
Zudem hat das Amtsgericht Mainz den Angeklagten nachfolgend am 8. Mai 2012 wegen schweren räuberischen Diebstahls zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Die Tatzeit teilt das Landgericht nicht mit. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die der Entscheidung des Amtsgerichts Mainz zu Grunde liegende Tat noch vor dem 13. März 2012 be- gangen wurde mit der Folge, dass insoweit (ebenfalls) Gesamtstrafenfähigkeit vorläge.
5
Über die Bildung einer Gesamtstrafe ist deshalb neu zu entscheiden. Die bisherigen Feststellungen werden von dem Rechtsfehler nicht berührt und können aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter wird zum Stand der Vollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Viersen und zu der vom Amtsgericht Mainz abgeurteilten Tat ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
6
2. Der Adhäsionsausspruch ist unter den im Hinblick auf § 116 SGB X bzw. § 86 VVG erforderlichen Vorbehalt zu stellen, dass eine Ersatzpflicht des Angeklagten nur insoweit besteht, als der Anspruch des Mitangeklagten nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Versicherer übergegangen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2009 - 3 StR 304/09, StraFo 2010, 117).
Schäfer Pfister Hubert
Mayer Gericke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 73/16
vom
8. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:080616B4STR73.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 8. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 4. September 2015, soweit es die Angeklagte betrifft, im Strafausspruch aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an das Amtsgericht Gelsenkirchen – Strafrichter – zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und fahrlässiger Körperverletzung unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 17. Oktober 2014 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revi- sion der Angeklagten. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs ; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Gesamtstrafenentscheidung des Landgerichts hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Strafkammer dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 17. Oktober 2014 zu Unrecht Zäsurwirkung beigemessen hat.
3
a) Wurde die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen, die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abgeurteilte Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden. Der letzten Vorverurteilung kommt, da die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis hätten geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 356/13, NStZ-RR 2014, 74). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde (vgl. Beschlüsse vom 17. November 2015 – 4 StR 276/15, StraFo 2016, 82; vom 7. Mai 2013 – 4 StR 111/13, wistra 2013, 354; Urteil vom 12. August 1998 – 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 180 f.; Beschluss vom 22. Juli 1997 – 1 StR 340/97, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13) oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 2009 – 5 StR 269/09; vom 17. Juli 2007 – 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369 f.; vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193).
4
b) Bei der im angefochtenen Urteil vorgenommenen Gesamtstrafenbildung hat die Strafkammer übersehen, dass in dem Verfahren des Amtsgerichts Gelsenkirchen Az. 16 a Ds–40 Js 2487/12–262/12, in dem die Angeklagte zu der zur Bewährung ausgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt wurde, am 23. Januar 2014 ein Berufungsurteil des Landgerichts Essen erging, in welchem zumindest über die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung entschieden wurde. Nach dieser Berufungsentscheidung, die zu einem Teil der Straffrage ergangen ist, bestimmt sich nach der gesetzlichen Regelung des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB der Zeitpunkt der dieser Vorverurteilung zukommenden Zäsurwirkung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. November 2015 – 4 StR 407/15, NStZ-RR 2016, 75 [LS]; vom 30. Juni 1960 – 2 StR 147/60, BGHSt 15, 66, 69 ff.). Da die im einbezogenen Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 17. Oktober 2014 mit einer Bewährungsstrafe von sieben Monaten geahndete Tat am 14. Januar 2014, mithin vor dem Berufungsurteil des Landgerichts Essen vom 23. Januar 2014 begangen wurde, sind beide Vorverurteilungen der Angeklagten untereinander gesamtstrafenfähig. Demgegenüber wurde die im angefochtenen Urteil abgeurteilte Tat erst am 5. April 2014 und damit nach dem Berufungsurteil des Landgerichts Essen verübt, so dass eine nachträgliche Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Vorverurteilung durch das Amtsgericht Gelsenkirchen vom 17. Oktober 2014 nicht in Betracht kommt.
5
2. Die im angefochtenen Urteil verhängte Einzelfreiheitsstrafe von sieben Monaten kann gleichfalls nicht bestehen bleiben. Das bei alleiniger Revision des Angeklagten zu beachtende verfahrensrechtliche Verbot der reformatio in peius aus § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO hat im Falle der fehlerhaften nachträglichen Gesamtstrafenbildung zur Folge, dass dem Angeklagten ein durch die fehlerhafte Anwendung des § 55 StGB erlangter Vorteil nicht mehr genommen werden darf (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Dezember 1995 – 2 StR 584/95, StV 1996, 265 [LS]; vom 11. Februar 1988 – 4 StR 516/87, BGHSt 35, 208, 212; Urteil vom 3. November 1955 – 3 StR 369/55, BGHSt 8, 203). Das Verschlech- terungsverbot führt hier dazu, dass die Einzelstrafe für die im angefochtenen Urteil neu abgeurteilte Tat und die zwingend nach § 460 StPO zu bildende Gesamtstrafe aus den Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen vom 17. Oktober 2014 sowie dem Verfahren des Amtsgerichts Gelsenkirchen Az. 16 a Ds– 40 Js 2487/12–262/12 zusammen die Dauer von 17 Monaten (Summe der Gesamtstrafen von elf Monaten aus dem angefochtenen Urteil und von sechs Monaten aus dem vorbezeichneten Verfahren des Amtsgerichts Gelsenkirchen) nicht übersteigen dürfen. Da die Höhe der nunmehr im Verfahren nach § 460 StPO noch festzusetzenden nachträglichen Gesamtstrafe aus den sich aus den Vorverurteilungen ergebenden (Einzel-)Strafen offen ist, hebt der Senat, um jede Schlechterstellung der Angeklagten auszuschließen, den Einzelstrafausspruch mit auf. Der neue Tatrichter wird – zweckmäßigerweise nach Durchführung des Verfahrens zur nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 460 StPO – unter Beachtung des Verbots der reformatio in peius eine neue Einzelstrafe zu bestimmen haben.
6
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen, aus denen sich ergibt, dass die Angeklagte bei Begehung der neuerlichen Tat in drei – nicht wie von der Strafkammer angenommen in vier – Verfahren unter Bewährung stand, können bestehen bleiben. Neu getroffene ergänzende Feststellungen dürfen den bisherigen nicht widersprechen.
7
3. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen eine Erwachsene richtet und die Strafgewalt des Strafrichters ausreicht, macht der Senat von seinem Ermessen Gebrauch (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 1994 – 4 StR 75/94, BGHR StPO § 354 Abs. 3 Zuständigkeit 1 mwN) und verweist die Sache an den Strafrichter des Amtsgerichts Gelsenkirchen zurück, der nach § 462a Abs. 3 Satz 1 StPO auch für die nach § 460 StPO vorzunehmende Gesamtstrafenbildung zuständig ist.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 25/19
vom
10. April 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:100419B4STR25.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. April 2019 einstimmig gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 4. September 2018 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Hiergegen richtet sich die auf Formalrügen und auf die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die Revision hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg und führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; im Übrigen ist das Rechtsmittelunbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrügen versagen. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat im Hinblick auf die Verfahrensrüge fehlerhafter Ablehnung eines Beweisantrags auf Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens:
3
Zwar begegnet die Begründung, mit der das Landgericht den Anträgen des Angeklagten auf Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache, dass „eine Zahl von fünf bis sechs Schlägen mit der Hand in das Gesicht einer anderen Person Spuren […] hinterlasse , die auch nach einem Zeitraum von vier bis sechs Stunden […] noch sichtbar sein müssen“ bzw. dass „ein gewaltsames Eindringen in die Vagina einer Frau mit zwei Fingern innere Verletzungen […]“ zur Folge habe, die auch nach vier bis sechs Stunden „noch sichtbar sein müssen“, die Qualität eines Beweisantrags abgesprochen hat, rechtlichen Bedenken.
4
Ein Beweisantrag im Sinne des § 244 Abs. 3 und 4 StPO erfordert inhaltlich die Behauptung einer bestimmten Beweistatsache. Dies setzt voraus, dass der tatsächliche Vorgang oder der Zustand bezeichnet wird, der mit dem benannten Beweismittel unmittelbar belegt werden kann. Nicht ausreichend ist die Benennung eines Beweisziels, also der Folgerung, die das Gericht nach Auffassung des Antragstellers aus von ihm nicht näher umschriebenen tatsächlichen Vorgängen oder Zuständen ziehen soll.
5
Ob der Antragsteller eine hinreichend konkretisierte Beweisbehauptung aufstellt, ist erforderlichenfalls durch Auslegung des Antrags nach seinem Sinn und Zweck zu ermitteln. Bei dieser Auslegung hat das Gericht die Beweisbehauptung unter Würdigung aller in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umstände, des sonstigen Vorbringens des Antragstellers sowie ggf. des Akten- inhalts zu beurteilen. Dabei dürfen keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere für einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ; denn insoweit ist der Antragsteller vielfach nicht in der Lage, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge oder Zustände exakt zu bezeichnen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14, NStZ 2016, 116; LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 96 mwN).
6
Gemessen hieran enthält das Beweisbegehren des Antragstellers die hinreichend bestimmte Behauptung einer dem Beweis zugänglichen Tatsache bzw. eines Erfahrungssatzes (vgl. LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 95). Zwar erweckt die Formulierung des Antrags für sich genommen den Eindruck, der Angeklagte behaupte lediglich ein Beweisziel und benenne in seiner Antragsbegründung – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift hingewiesen hat – nicht ausdrücklich, aufgrund welcher konkreten Anknüpfungstatsachen der als Beweismittel benannte Sachverständige sein Gutachten erstatten soll. Dem Antragsvorbringen in Verbindung mit dem übrigen Akteninhalt lässt sich jedoch hinreichend klar entnehmen, dass der Antragsteller – ausgehend von dem in den Akten dokumentierten Befund, dass wenige Stunden nach der Anzeige der verfahrensgegenständlichen Tat Verletzungsspuren nicht festgestellt worden sind – den Sachverständigen zum Beweis des Erfahrungssatzes hören will, dass aus rechtsmedizinischer Sicht unter Zugrundelegung des von dem Tatopfer geschilderten Geschehens sichtbare Verletzungsspuren zu erwarten wären.
7
Auf der verfahrensfehlerhaften Behandlung der Beweisanträge als Beweisermittlungsanträge beruht das Urteil unter den hier gegebenen Umständen jedoch nicht.
8
Das Landgericht hat die Anträge unter Aufklärungsgesichtspunkten (§ 244 Abs. 2 StPO) geprüft und die begehrte Beweiserhebung wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit abgelehnt; zur Begründung ist in dem Beschluss ausgeführt, dass es die im Beweisantrag bezeichneten Anknüpfungstatsachen, wonach der Angeklagte der Geschädigten „5 bis 6 Schläge“ versetzt habe bzw. die vaginale Penetration mit den Fingern „gewaltsam“ erfolgt sei, nicht feststellen werde. Mit dieser knappen, aber tragfähigen Begründung hat das Landgericht zweifelsfrei zu erkennen gegeben, dass es diejenigen Tatsachen, auf die sich der Sachverständige nach dem Inhalt der Beweisanträge stützen müsste, als Beweisgrundlage bereits ausgeschlossen hat. Die Ablehnung der Beweisanträge wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels (vgl. BGH, Beschluss vom 29. November 2017 – 3 StR 526/17, NStZ 2018, 300; LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 238 mwN) lag sonach auf der Hand.
9
Eine Verletzung des Beweisantragsrechts rührt auch nicht aus einem möglichen Widerspruch zwischen den schriftlichen Urteilsgründen und der Begründung für die Antragsablehnung (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2018 – 2 StR 283/18, NStZ 2019, 103). Das Landgericht hat seinen Feststellungen die polizeilichen Angaben des Tatopfers zugrunde gelegt, wonach der Angeklagte ihr im Verlaufe des Tatgeschehens zwei Ohrfeigen versetzt habe. Soweit das Tatopfer erstmals in der Hauptverhandlung angegeben hatte, der Angeklagte habe ihr im Verlaufe des Tatgeschehens fünf bis sechs Schläge versetzt, hat sich die Kammer mit diesen Angaben auseinandergesetzt und hat sie ihren Feststellungen mit tragfähiger Begründung nicht zugrunde gelegt. Dass die vaginale Penetration unmittelbar unter Einsatz körperlicher Gewalt erfolgte, so dass unter Berücksichtigung der Lebenserfahrung sichtbare Verletzungen zu erwarten wären, hat das Landgericht nicht festgestellt.
10
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Der Strafausspruch kann jedoch nicht bestehen bleiben. Auf der Grundlage der Feststellungen kann nicht geprüft und entschieden werden, ob das Landgericht im Ergebnis zu Recht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung mit den (Geld-)Strafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom 18. Mai 2017 gemäß § 55 StGB abgesehen hat. Feststellungen zum Vollstreckungsstand der Strafe aus dieser grundsätzlich gesamtstrafenfähigen Vorverurteilung fehlen. Den Urteilsgründen kann auch nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob das Landgericht von der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe abgesehen hat, weil der Angeklagte die verfahrensgegenständliche Tat zeitlich zwischen zwei ihrerseits gesamtstrafenfähigen Vorverurteilungen begangen hat.
11
a) Ist die neu abzuurteilende Tat zwischen zwei Vorverurteilungen begangen , die untereinander nach der Regelung des § 55 StGB gesamtstrafenfähig sind, darf aus der Strafe für die neu abzuurteilende Tat und der Strafe aus der letzten Vorverurteilung keine Gesamtstrafe gebildet werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. November 2016 – 2 StR 204/16, StV 2018, 411; vom 8. Juni 2016 – 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275, 276; vom 17. Juli 2007 – 4 StR 266/07, NStZ-RR 2007, 369 und vom 7. Dezember 1983 – 1 StR 148/83, BGHSt 32, 190, 193). Einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB steht in diesem Fall die von der ersten Vorverurteilung ausgehende Zäsurwirkung entgegen. Sie entfiele nur, wenn die der ersten Vorverurteilung zugrundeliegende Strafe bereits vor der zweiten Vorverurteilung – etwa infolge vollständiger Vollstreckung der Strafe – erledigt wäre (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2013 – 3 StR 161/13, BGHR StPO § 460 Anwendung 1). Ist dies nicht der Fall, so kommt der zweiten Vorverurteilung, wenn die Taten aus beiden Vorverurteilungen bereits in dem früheren Erkenntnis geahndet werden können, gesamtstrafenrechtlich keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Dezember 2013 – 4 StR 356/13, NStZ-RR 2014, 74). Dies gilt unabhängig davon, ob eine nachträgliche Gesamtstrafe tatsächlich gebildet wurde oder im Verfahren nach § 460 StPO noch nachgeholt werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juni 2016 – 4 StR 73/16, NStZ-RR 2016, 275 mwN).
12
b) Der Angeklagte war vor Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat am 20. März 2017 durch Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom 28. Juli 2016 wegen einer am 28. Juli 2015 begangenen vorsätzlichen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen verurteilt worden. Außerdem war er – zeitlich nach Begehung der verfahrensgegenständlichen Tat am 20. März 2017 – mit Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom 18. Mai 2017 wegen Beleidigung in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt worden; die Taten, die dieser Verurteilung zugrunde lagen, hat der Angeklagte am 25. Dezember 2015 und damit zeitlich vor dem Urteil des Amtsgerichts Offenburg vom 28. Juli 2016 begangen. Feststellungen dazu, dass sich die Vorverurteilungen tatsächlich gesamtstrafenfähig gegenüberstanden, sind den Urteilsgründen jedoch nicht zu entnehmen.
13
Bei dieser Sachlage kann nicht geprüft und entschieden werden, ob eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung tatsächlich ausschied oder rechtsfehlerfrei unterblieben ist. Auch in Ansehung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten , der zwar einer geregelten Erwerbstätigkeit nachgeht, aber Schulden hat, kann eine Beschwer des Angeklagten durch eine möglicherweise fehlerhaft unterbliebene Gesamtstrafenbildung nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Da auch nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass das neu zur Entscheidung berufene Tatgericht einen Härteausgleich vorzunehmen hat, war die für sich genommen rechtsfehlerfrei verhängte Strafe von drei Jahren aufzuheben.
Die Feststellungen können aufrechterhalten bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind möglich; sie dürfen den bisher getroffenen Feststellungen nicht widersprechen.
14
Die Sache bedarf daher im Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung.
Quentin Cierniak Bender
Feilcke Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 144/19
vom
8. Mai 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:080519B1STR144.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 8. Mai 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 7. November 2018 im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in fünf Fällen und versuchter Steuerhinterziehung in zwei Fällen unter Einbeziehung von Einzelgeldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts N. vom 26. Januar 2018 zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt, wovon neun Monate der Strafe als vollstreckt gelten. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtfreiheitsstrafe; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Den Urteilsgründen ist lediglich zu entnehmen, dass die Geldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 15 Euro aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 1. Juni 2016 „erledigt“ ist. Der Zeitpunkt einer eventuellen vollständigen Zahlung der Geldstrafe oder gegebenenfalls der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe wird nicht mitgeteilt. Sollte diese Geldstrafe vollständig erst nach Verkündung des Urteils des Amtsgerichts N. vom 26. Januar 2018 bezahlt oder anderweitig vollstreckt worden sein, wäre auch sie in die Gesamtstrafe einzubeziehen gewesen, denn sowohl die dem Urteil des AmtsgerichtsN. zugrundeliegenden Taten als auch die verfahrensgegenständlichen Taten sind zeitlich vor dem Erlass des Strafbefehls des Amtsgerichts K. vom 1. Juni 2016 begangen worden (vgl. BGH, Beschluss vom 14. September 2017 – 4 StR 303/17 Rn. 2).
3
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Weitergehende Feststellungen zu den Voraussetzungen einer möglichen Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts K. vom 1. Juni 2016 wird das neue Tatgericht zu treffen haben.
Raum Jäger Bellay
Hohoff Pernice