Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Feb. 2016 - 3 StR 547/15
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 23. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Nötigung und versuchter sexueller Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen forderte der Angeklagte die Geschädigte unter Vorhalt eines Messers auf, sich auszuziehen. Er wollte sie einschüchtern, um sie nackt zu sehen und anschließend mit ihr - freiwilligen - Geschlechtsverkehr auszuüben. Die Geschädigte zeigte ihm daraufhin ihre nackte Brust, worauf er keine weiteren Forderungen mehr stellte (Tat II. 1.). Einige Wochen später lockte der Angeklagte eine weitere Geschädigte unter dem Vorwand, dass er einen Babysitter suche, in seine Wohnung. Er schloss die Wohnungstür ab, bedrohte sie mit einem Messer und fragte, ob er ihre Brust anfassen dürfe. Der Zeugin gelang es, den ihr körperlich überlegenen Angeklagten wegzustoßen, die Wohnungstür aufzuschließen und zu fliehen (Tat II. 2.). Der Angeklagte leidet an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, ängstlichvermeidenden und narzisstischen Anteilen, Exhibitionismus sowie einer Alkoholabhängigkeit. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung, die eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB darstelle, war nach Auffassung des Landgerichts die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der festgestellten Straftaten erheblich beeinträchtigt.
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- 2. Der gesamte Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand.
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- a) Die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan.
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- Die Anordnung nach § 63 StGB bedarf einer besonders sorgfältigen Prüfung und Begründung, weil sie eine schwerwiegende und gegebenenfalls langfristig in das Leben des Betroffenen eingreifende Maßnahme darstellt. Sie setzt unter anderem die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Zustandes des Täters voraus, der dazu führte, dass er - sicher feststehend - die Tat zumindest mit erheblich eingeschränkter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB beging (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 - 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; Beschluss vom 6. Februar 1997 - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385). Auch das Vorliegen einer nicht pathologisch bedingten Störung kann Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB sein. Doch stellt die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nicht ohne Weiteres eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer relevanten Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters dar und rechtfertigt nur bei Vorliegen weiterer Umstände die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BGH, Beschlüsse vom 6. Februar 1997 - 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385, 386 f.; vom 11. November 2003 - 4 StR 424/03, NStZ 2004, 197, 198; vom 18. Juli 2013 - 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385 mwN). Denn bei solchen Störungen besteht häufig die Gefahr, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen , die sich innerhalb der Bandbreite des Verhaltens voll schuldfähiger Menschen bewegen, zu Unrecht als Symptome einer die Schuldfähigkeit erheblich beeinträchtigenden schweren seelischen Abartigkeit bewertet werden. Das gilt vor allem dann, wenn es um die Beurteilung kaum messbarer, objektiv schwer darstellbarer Befunde und Ergebnisse geht, wie es bei einer "kombinierten Persönlichkeitsstörung" der Fall ist (BGH, Beschlüsse vom 11. November 2003 - 4 StR 424/03, NStZ 2004, 197, 198; vom 9. Mai 2012 - 4 StR 120/12, StraFo 2012, 275).
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- Das sachverständig beratene Landgericht stützt die Anordnung der Maßregel vorliegend ohne nähere Ausführungen allein auf die Diagnose einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit paranoiden, ängstlich-vermeidenden und narzisstischen Anteilen. Damit hat es die Annahme einer schweren anderen seelischen Abartigkeit nicht rechtsfehlerfrei begründet. Insbesondere sind keine Umstände dargelegt, die darauf hindeuten, dass die Störung das Leben des Angeklagten vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belastet oder einengt wie im Fall einer krankhaften seelischen Störung. Vielmehr beschränkt sich das Landgericht im Wesentlichen auf eine Wiedergabe der vom Sachver- ständigen gestellten Diagnose. Näherer Ausführungen hätte es vorliegend aber umso mehr bedurft, als bei der Verurteilung des Angeklagten im Jahr 2012 wegen Verbreitung pornographischer Schriften u.a. bei gleicher Diagnose das Vorliegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit verneint worden war, weil der Schweregrad der Störungen nicht ausreichend gewesen sei.
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- b) Auch der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben. Das Landgericht hat die Strafe für die Tat II. 1. der Urteilsgründe dem Strafrahmen des § 240 Abs. 4 Satz 1, Satz 2 Nr. 1 StGB entnommen. Es hat allerdings die Prüfung versäumt, ob von der Regelwirkung des § 240 Abs. 4 StGB abzusehen war. Hierzu hätte Anlass bestanden, weil der vertypte Milderungsgrund nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorlag und die abgenötigte sexuelle Handlung im unteren Bereich der Erheblichkeitsschwelle des § 184h Nr. 1 StGB anzusiedeln ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Berücksichtigung dieser Umstände einen besonders schweren Fall der Nötigung verneint und deshalb im Strafrahmen des § 240 Abs. 1 StGB zu einer insgesamt milderen Strafe gelangt wäre. Damit hat die in diesem Fall verhängte Strafe keinen Bestand.
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- Der Senat hebt auch die für den Fall II. 2. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe auf, um der neu mit der Sache befassten Strafkammer eine insgesamt einheitliche Strafbemessung zu ermöglichen.
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- Bei der neu zu treffenden Entscheidung wird Folgendes zu berücksichtigen sein: Sollte der Angeklagte die im Jahr 1993 abgeurteilte sexuelle Nötigung im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben, bedarf es besonderer Begründung , warum von der Aburteilung dennoch eine Warnwirkung ausgegangen sein sollte, die der Angeklagte bei den vorliegenden Taten missachtet hätte; allenfalls dann wird diese Aburteilung straferschwerend berücksichtigt werden dürfen. Becker Schäfer Gericke Spaniol Tiemann
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
sexuelle Handlungen nur solche, die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von einiger Erheblichkeit sind, - 2.
sexuelle Handlungen vor einer anderen Person nur solche, die vor einer anderen Person vorgenommen werden, die den Vorgang wahrnimmt.
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter