Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juli 2014 - 3 StR 228/14
BUNDESGERICHTSHOF
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags und vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernten sich der Angeklagte und das spätere Opfer, S. , vor Pfingsten 2011 kennen und verliebten sich ineinander. Die Beziehung war jedoch alsbald von Streitigkeiten geprägt, da der Angeklagte sehr eifersüchtig war und versuchte, S. Vorschriften hinsichtlich ihrer Lebensführung zu machen, was die berufstätige , selbstbewusste und durchsetzungsfähige Frau nicht ohne Weiteres hinnahm. Im Rahmen der Streitigkeiten, in deren Verlauf sie den Angeklagten manchmal auch mit Ohrfeigen "zurechtwies", setzte sich S. meist durch, während sich der Angeklagte, der sich ihr wegen seiner Arbeitslosigkeit und seines steten Geldmangels ohnehin unterlegen fühlte, fügte. Das Tatwochenende wollten der Angeklagte und S. gemeinsam verbringen. Um dieses Zusammensein großzügig zu finanzieren, hatte der Angeklagte u.a. ihren Bruder ersucht, ihm Geld zu leihen, was am Freitagabend zu erneutem Streit führte, bei dem S. ihn wieder ohrfeigte. Als sie am folgenden Morgen zum Einkaufen aufbrach, übergab ihr der Angeklagte, um sich an der Finanzierung der gemeinsamen Haushaltsführung zu beteiligen, zwei 50 €-Scheine, die sie indes zerriss. Seinen Versuch, über "Smalltalk" und eine Umarmung eine Annäherung zu erreichen, wies sie mit dem Bemerken zurück, dass sie keinen Respekt mehr vor ihm habe und sie nicht mehr zusammenpassten. Dabei versetzte sie ihm erneut eine Ohrfeige. Nun packte er S. , so dass beide zu Boden fielen. Spätestens jetzt fasste der Angeklagte den Entschluss, S. zu töten. Er griff noch liegend in eine Küchenschublade, entnahm ihr ein Messer und fügte seinem Opfer damit sieben Stich- und vier Schnittverletzungen zu, von denen die gefährlichsten einen Lungenlappen verletzten und den Herzbeutel öffneten, was binnen einer Minute zum Tod der S. führte. Der Angeklagte war bei dieser Tat aufgrund eines Affektes nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB erheblich eingeschränkt. Danach fuhr der Angeklagte, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, nach Jülich und von dort zu seinem Bruder nach Baden-Baden.
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- Das Landgericht hat die Einzelfreiheitsstrafe von neun Jahren für den Totschlag dem oberen Bereich des Rahmens des § 213 StGB entnommen. Einen minder schweren Fall nach § 213 1. Alt. StGB hat es verneint, weil der Angeklagte auch früher Ohrfeigen hingenommen habe, ohne sich zu wehren, und insbesondere die andauernde Ablehnung des Angeklagten durch die später Getötete während des Wochenendes, ihr geäußerter Respektverlust und das endgültige Beziehungsaus tatauslösend waren. Die Würdigung der Gesamtumstände einschließlich des vertypten Strafmilderungsgrundes nach § 21 StGB führe jedoch zur Annahme eines sonstigen minder schweren Falles nach § 213 2. Alt. StGB.
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- 2. Die Begründung, mit der die Strafkammer einen minder schweren Fall des Totschlags nach § 213 1. Alt. StGB abgelehnt hat, hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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- Den Anforderungen an eine Misshandlung oder schwere Beleidigung im Sinne des § 213 1. Alt. StGB genügen zwar grundsätzlich nur solche Provokationen , die auf der Grundlage aller dafür maßgebenden Umstände unter objektiver Betrachtung und nicht nur aus der Sicht des Täters als schwer zu beurteilen sind; denn der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten Rechtsguts und die unter den Voraussetzungen des § 213 StGB mildere Beurteilung der Vernichtung menschlichen Lebens gebieten es, die Anforderungen an die Schwere der Misshandlung oder Beleidigung und auch der auf die tatauslösende Situation zulaufenden Entwicklung der Täter-Opfer-Beziehung nicht zu niedrig anzusetzen. Mit dieser Maßgabe kann jedoch auch eine für sich gesehen nicht als gravierend einzustufende Provokation dann als schwer zu bewerten sein, wenn sie nach einer Reihe von Kränkungen oder ehrverletzenden Situationen der "Tropfen" war, der "das Fass zum Überlaufen" brachte (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340 mwN). Erforderlich ist deshalb stets eine Gesamtbetrachtung aller für die Beurteilung maßgeblichen Umstände (BGH, Urteil vom 10. Oktober 1989 - 1 StR 239/89, BGHR StGB § 213 1. Alt. Beleidigung 5).
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- Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Das Landgericht hat lediglich den durch die später Getötete bekundeten Respektverlust und das endgültige Beziehungsaus als tatauslösend bewertet. Dagegen misst es offensichtlich der Ohrfeige kein wesentliches tatbestimmendes Gewicht bei. Indes hätte es die gesamte Entwicklung der Beziehung zwischen der später Getöteten und dem Angeklagten in den Blick nehmen und prüfen müssen, ob die dem Angriff des Angeklagten auf sein Opfer unmittelbar vorausgehende Ohrfeige im Zusammenwirken mit dem geäußerten Respektverlust vor dem Hintergrund früherer - auch tätlicher - "Zurechtweisungen" des sich immer wieder fügenden Angeklagten nicht "das Fass zum Überlaufen brachte", weshalb bei einer sachgerechten Bewertung aller maßgebenden Umstände, die immerhin beim Angeklagten so starke Affekte auslösten, dass eine Verminderung der Schuldfähigkeit nicht ausgeschlossen werden konnte, die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB möglicherweise gegeben waren.
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- 3. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Höhe der Strafe, auf die das Landgericht erkannt hat, auf dem aufgezeigten Rechtsfehler beruht. Das Landgericht hat zwar die Voraussetzungen eines minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 2. Alt. StGB angenommen. Dabei hat es jedoch den vertypten Strafmilderungsgrund des § 21 StGB in die Beurteilung einbezogen , der somit gemäß § 50 StGB für eine weitere Strafrahmenmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB nicht mehr zur Verfügung stand. Es erscheint indes möglich, dass die Strafkammer, hätte sie die Voraussetzungen des § 213 1. Alt. StGB bejaht, den Strafrahmen des § 213 StGB erneut nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert und eine geringere Strafe verhängt hätte. Eine solche weitere Milderung des Strafrahmens ist hier auch nicht grundsätzlich ausgeschlossen ; denn der über den Erregungszustand im Sinne des § 213 1. Alt. StGB hinausgehende Affekt, der zu einer von dieser Bestimmung nicht vorausgesetzten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führt, kann eine zusätzliche Strafrahmenverschiebung rechtfertigen, ohne dass dem § 50 StGB entgegensteht (BGH, Beschluss vom 21. Dezember 2010 - 3 StR 454/10, NStZ 2011, 339, 340 mwN).
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- 4. Der Senat hebt den Strafausspruch insgesamt auf, um dem neuen Tatgericht eine insgesamt stimmige Rechtsfolgenentscheidung zu ermöglichen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ein Umstand, der allein oder mit anderen Umständen die Annahme eines minder schweren Falles begründet und der zugleich ein besonderer gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 ist, darf nur einmal berücksichtigt werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Ein Umstand, der allein oder mit anderen Umständen die Annahme eines minder schweren Falles begründet und der zugleich ein besonderer gesetzlicher Milderungsgrund nach § 49 ist, darf nur einmal berücksichtigt werden.