Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juli 2019 - 2 StR 93/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 3 auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen unerlaubten Besitzes von in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Besitz von Munition sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäu- bungsmitteln“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt.
- 2
- Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 4
- 1. Das Landgericht hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
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- Der über keine Berufsausbildung verfügende Angeklagte wanderte Anfang der 2000er Jahre nach G. aus und kehrte 2008 nach Deutschland zurück. Seit seiner Rückkehr ist es ihm nicht gelungen, ein reguläres Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen. Er bezieht seitdem Sozialleistungen (ALG II). Daneben geht er einer geringfügigen Beschäftigung im Sicherheitsgewerbe nach, wo er als Ordner bei Fußballspielen eingesetzt wird. Er engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für die von seiner Kirchengemeinde eingerichtete Tafel, unterstützt auch zahlreiche andere Projekte und betätigt sich als Wahlhelfer. Der Angeklagte begann im Alter von etwa 18 Jahren Cannabis zu rauchen. Nachdem er dies zunächst unregelmäßig tat, verstetigte sich der Cannabiskonsum in den folgenden Jahren. Etwa seit dem Jahr 2010 raucht der Angeklagte grundsätzlich täglich (zumeist in den Abendstunden) Cannabis in einer Größenordnung von 0,5 Gramm Haschisch oder Marihuana. Wenn er – etwa im Zuge einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder als Ordner bei Fußballspielen – beschäftigt ist, gelingt es ihm, ohne Cannabis auszukommen. Nach den verfahrensgegenständlichen Taten im November 2017 und März 2018 hat sich der Angeklagte bemüht, seinen Cannabiskonsum zu reduzieren und sich hierzu auch an einen Suchttherapeuten gewandt. Andere Betäubungsmittel oder Alkohol konsumiert er nicht.
- 6
- Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten hat die Strafkammer festgestellt, dass sie auch der Finanzierung des Eigenkonsums bzw. dem Verschaffen von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum dienten.
- 7
- 2. Das Landgericht geht davon aus, dass beim Angeklagten kein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliege. Es fehle an einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit, die über einen dauerhaften Drogenkonsum hinaus zur Begründung eines Hanges erforderlich sei. Der Angeklagte sei sozial integriert. Er gehe zwar nur einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nach, sein erhebliches soziales Engagement mache aber deutlich, dass er durch seinen Drogenkonsum nicht beeinträchtigt sei. Vielmehr habe er seine eher geringfügige tägliche Dosis nicht gesteigert und sei in der Lage, seinen Konsum zu steuern. Wenn er einer Beschäftigung nachgehe, konsumiere er kein Cannabis. Auch sei keine soziale Gefährlichkeit des Angeklagten festzustellen , da er – ungeachtet der zum Eigenkonsum begangenen Taten – trotz seines langjährigen Konsums bisher nicht wegen Taten im Zusammenhang damit in Erscheinung getreten sei. Zudem bemühe sich der Angeklagte mit professioneller Hilfe um eine Einstellung seines Cannabiskonsums.
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- 3. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
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- a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte , auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZRR 2014, 271). Eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (BGH, Beschlüsse vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17 Rn. 10; vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204 und vom 10. August 2007 – 2 StR 344/07, StV 2008, 76 mwN; Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204).
- 10
- b) Bereits der „grundsätzlich tägliche“ Konsum von 0,5 Gramm Cannabis legt die Annahme eines beim Angeklagten bestehenden Hanges nahe. Auch wenn sich der nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte sozial engagiert und zeitweise abstinent lebt, kann im Hinblick darauf, dass die verfahrensgegenständlichen Taten des „in eingeschränkten finanziellen Verhältnissen“ lebenden Angeklagten auch dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum bzw. dessen Finanzierung dienten, die Ursächlichkeit des jahrelangen Missbrauchs von Cannabis für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten nicht verneint werden.
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- c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nach den Urteilsgründen ebenfalls nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. September 2017 – 3 StR 307/17, juris Rn. 10 mwN).
- 12
- d) Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass der Strafausspruch und die Nichtanordnung der Maßregel sich gegenseitig beeinflusst hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2016 – 3 StR 283/16, juris Rn. 5). Es ist daher auszuschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf mildere Einzelstrafen oder eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.