Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juli 2019 - 2 StR 93/19

bei uns veröffentlicht am30.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 93/19
vom
30. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:300719B2STR93.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 3 auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 12. Dezember 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen unerlaubten Besitzes von in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und unerlaubtem Besitz von Munition sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäu- bungsmitteln“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
3
Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
1. Das Landgericht hat, soweit für die Maßregelfrage relevant, im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
Der über keine Berufsausbildung verfügende Angeklagte wanderte Anfang der 2000er Jahre nach G. aus und kehrte 2008 nach Deutschland zurück. Seit seiner Rückkehr ist es ihm nicht gelungen, ein reguläres Beschäftigungsverhältnis aufzunehmen. Er bezieht seitdem Sozialleistungen (ALG II). Daneben geht er einer geringfügigen Beschäftigung im Sicherheitsgewerbe nach, wo er als Ordner bei Fußballspielen eingesetzt wird. Er engagiert sich seit Jahren ehrenamtlich für die von seiner Kirchengemeinde eingerichtete Tafel, unterstützt auch zahlreiche andere Projekte und betätigt sich als Wahlhelfer. Der Angeklagte begann im Alter von etwa 18 Jahren Cannabis zu rauchen. Nachdem er dies zunächst unregelmäßig tat, verstetigte sich der Cannabiskonsum in den folgenden Jahren. Etwa seit dem Jahr 2010 raucht der Angeklagte grundsätzlich täglich (zumeist in den Abendstunden) Cannabis in einer Größenordnung von 0,5 Gramm Haschisch oder Marihuana. Wenn er – etwa im Zuge einer ehrenamtlichen Tätigkeit oder als Ordner bei Fußballspielen – beschäftigt ist, gelingt es ihm, ohne Cannabis auszukommen. Nach den verfahrensgegenständlichen Taten im November 2017 und März 2018 hat sich der Angeklagte bemüht, seinen Cannabiskonsum zu reduzieren und sich hierzu auch an einen Suchttherapeuten gewandt. Andere Betäubungsmittel oder Alkohol konsumiert er nicht.
6
Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Taten hat die Strafkammer festgestellt, dass sie auch der Finanzierung des Eigenkonsums bzw. dem Verschaffen von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum dienten.
7
2. Das Landgericht geht davon aus, dass beim Angeklagten kein Hang im Sinne des § 64 StGB vorliege. Es fehle an einer erheblichen Beeinträchtigung der Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit, die über einen dauerhaften Drogenkonsum hinaus zur Begründung eines Hanges erforderlich sei. Der Angeklagte sei sozial integriert. Er gehe zwar nur einer geringfügigen Erwerbstätigkeit nach, sein erhebliches soziales Engagement mache aber deutlich, dass er durch seinen Drogenkonsum nicht beeinträchtigt sei. Vielmehr habe er seine eher geringfügige tägliche Dosis nicht gesteigert und sei in der Lage, seinen Konsum zu steuern. Wenn er einer Beschäftigung nachgehe, konsumiere er kein Cannabis. Auch sei keine soziale Gefährlichkeit des Angeklagten festzustellen , da er – ungeachtet der zum Eigenkonsum begangenen Taten – trotz seines langjährigen Konsums bisher nicht wegen Taten im Zusammenhang damit in Erscheinung getreten sei. Zudem bemühe sich der Angeklagte mit professioneller Hilfe um eine Einstellung seines Cannabiskonsums.
8
3. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
9
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte , auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZRR 2014, 271). Eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit kommt nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden, sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (BGH, Beschlüsse vom 20. September 2017 – 1 StR 348/17 Rn. 10; vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204 und vom 10. August 2007 – 2 StR 344/07, StV 2008, 76 mwN; Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204).
10
b) Bereits der „grundsätzlich tägliche“ Konsum von 0,5 Gramm Cannabis legt die Annahme eines beim Angeklagten bestehenden Hanges nahe. Auch wenn sich der nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte sozial engagiert und zeitweise abstinent lebt, kann im Hinblick darauf, dass die verfahrensgegenständlichen Taten des „in eingeschränkten finanziellen Verhältnissen“ lebenden Angeklagten auch dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum bzw. dessen Finanzierung dienten, die Ursächlichkeit des jahrelangen Missbrauchs von Cannabis für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten nicht verneint werden.
11
c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nach den Urteilsgründen ebenfalls nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 7. September 2017 – 3 StR 307/17, juris Rn. 10 mwN).
12
d) Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass der Strafausspruch und die Nichtanordnung der Maßregel sich gegenseitig beeinflusst hätten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. September 2016 – 3 StR 283/16, juris Rn. 5). Es ist daher auszuschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf mildere Einzelstrafen oder eine mildere Gesamtstrafe erkannt hätte.
Franke Krehl Meyberg Grube Wenske

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Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafprozeßordnung - StPO | § 358 Bindung des Tatgerichts; Verbot der Schlechterstellung


(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen. (2) Das angefochtene Urte

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

10
Das Landgericht ist zwar im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB jedenfalls dann gegeben ist, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, StV 2017, 672 und vom 14. Juni 2016 – 1 StR 219/16, BGHR StGB § 64 Hang 4; BGH, Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ- RR 2014, 271). Der Schluss der Kammer, dass die dissozialen Persönlichkeitsanteile des Angeklagten – und nicht auch die Polytoxikomanie – allein ursächlich für dessen soziale Gefährdung seien, begegnet jedoch durchgreifenden Bedenken. Dies ergibt sich zunächst bereits daraus, dass nach den Feststellungen des Landgerichts die dissozialen Primärpersönlichkeitsanteile auch die Bereitschaft zum missbräuchlichen Substanzkonsum umfassen (UA S. 30) und dieser damit – wenn auch mittelbar – ebenfalls kausal für die von der Kammer angenommene soziale Gefährdung des Angeklagten ist. Zudem kommt eine soziale Gefährdung oder soziale Gefährlichkeit nicht nur dann in Betracht, wenn der Betroffene Rauschmittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 6. November 2002 – 1 StR 382/02, NStZ-RR 2003, 106 f. mwN und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103 f.; BGH, Beschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 f.), sondern insbesondere auch bei Beschaffungskriminalität (BGH, Beschluss vom 10. August 2007 – 2 StR 344/07, StV 2008, 76 mwN). Angesichts der Feststellungen des Landgerichts, dass die verfahrensgegenständlichen Taten auch dazu dienen sollten, den Betäubungsmittelkonsum des Angeklagten zu finanzieren (UA S. 16 f., 26), kann die Ursächlichkeit der Polytoxikomanie für die soziale Gefährdung und soziale Gefährlichkeit des Angeklagten daher nicht verneint werden. Im Übrigen erscheint im vorliegenden Fall eine eindeutige Abgrenzbarkeit von jahrzehntelangem, multiplem Substanzkonsum und dissozialen Persönlichkeitsanteilen kaum möglich.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 421/11
vom
20. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag -
am 20. Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Verden vom 7. Juli 2011

a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte
wegen räuberischer Erpressung in drei tateinheitlichen Fällen
und wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe verurteilt
ist;

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine
Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "räuberischer Erpressung und wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Im Übrigen ist die Revision unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen nötigte der Angeklagte die drei Geschädigten durch eine einheitliche Bedrohung mit Körperverletzungshandlungen jeweils zur Herausgabe von Bargeld. Damit hat er sich - wie das Landgericht in den Urteilsgründen zutreffend darlegt - der räuberischen Erpressung in drei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 1999 - 5 StR 207/99, NStZ 1999, 618, 619). Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
3
2. Keinen Bestand haben kann das angefochtene Urteil, soweit es das Landgericht unterlassen hat zu prüfen, ob der Angeklagte in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist.
4
a) Nach den getroffenen Feststellungen nahm der Angeklagte seit dem Jahr 2000 Haschisch; binnen zwei Jahren steigerte er den Konsum bis hin zum täglichen Gebrauch. Hinzu kam erstmals im Jahr 2002 Alkohol, den der Angeklagte vermehrt nach Ende der zweiten Inhaftierung im Januar 2008 trank. Soweit er einer Arbeit nachging, konnte er den Alkoholkonsum jedoch unterlas- sen. Eine kurze Zeit lang injizierte er in geringen Mengen Heroin, ließ hiervon jedoch ohne therapeutische oder medikamentöse Unterstützung während seiner ersten Inhaftierung ab. Er konsumiert derzeit täglich bis zu drei "6er-Träger" Bier über den Tag verteilt und "gelegentlich bis zu ca. 2 Gramm Haschisch, wobei ihm ein täglicher Konsum aufgrund seiner finanziellen Situation aber nicht möglich ist. Dazu kommt gelegentlicher Kokainkonsum, wenn ihm diese Droge angeboten wird oder er finanziell zum Erwerb in der Lage ist."
5
Im Jahr 2003 wurde der Angeklagte u.a. wegen mehrfacher Raub-, Erpressungs - und Diebstahlsdelikte zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Taten hatte er zur Finanzierung seines Haschischkonsums begangen. Im September 2008 wurde gegen den Angeklagten wegen versuchten Diebstahls eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt. Auch hier sollte der Beuteerlös zum Erwerb von Drogen verwendet werden.
6
Vor den hier abgeurteilten Taten konsumierte der Angeklagte zunächst seit dem Nachmittag im Verlauf mehrerer Stunden zwei bis drei Bier á 0,5 Liter sowie ca. eine halbe Flasche Wodka. Am Abend trank er in einer Diskothek nicht näher feststellbare Mengen Bier und Wodka, rauchte zwei Joints und "zog sich 1-2 'Nasen' Kokain". Auf dem Heimweg beging er die Erpressungen. Mit dem erbeuteten Bargeld begab er sich unmittelbar in eine benachbarte Tankstelle und kaufte dort u.a. einen "6er-Träger Bier". Eine im Rahmen der anschließenden Festnahme durchgeführte Atemalkoholmessung ergab einen Wert von 1,78 Promille. Nachdem der Angeklagte die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbracht hatte, wurde er am frühen Morgen des 6. Dezember 2009 entlassen. Anschließend trank er im Verlauf des Tages weiter Alkohol in nicht näher feststellbarer Menge. Als er wegen des Waffendelikts am selben Tag erneut festgenommen worden war, wurde bei einem nochmaligen Atemalkohol- test ein Wert von 1,82 Promille festgestellt. Das Landgericht ist zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass seine Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Erpressungstaten infolge vorangegangenen Alkoholkonsums erheblich vermindert war. Eine Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung hat es u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass sich die Lebensverhältnisse des Angeklagten seit den Taten nicht entscheidend verändert haben, er nach wie vor arbeitslos sei und auch weiterhin Drogen konsumiere.
7
b) Vor diesem Hintergrund hätte sich das Landgericht gedrängt sehen müssen zu prüfen, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist (§ 64 StGB); denn die getroffenen Feststellungen legen nahe, dass der Angeklagte einen Hang zum übermäßigen Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum hat, die Erpressungen von ihm im Rausch begangen wurden oder zumindest auf seinen Hang zurückgehen und die Gefahr besteht, dass er infolge des Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
8
Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 mwN). Ein solches Verhalten belegen die Urteilsfeststellungen. Der Angeklagte konsumiert bereits seit über zehn Jahren nach Möglichkeit täglich Haschisch , zudem mehrere Liter Bier und anderen Alkohol sowie nach Verfügbarkeit auch Kokain; die Veränderung von Lebensumständen vermag ihn davon nicht abzuhalten. Dass es dem Angeklagten in früheren Zeiten gelungen ist, den kurzzeitig betriebenen geringen Heroinkonsum ohne therapeutische Hilfe einzustellen, kann zwar indiziell gegen einen Hang sprechen. Für sich betrachtet führt dieser Umstand jedoch nicht dazu, eine Abhängigkeit oder Neigung des Angeklagten hinsichtlich der anderen von ihm konsumierten Rauschmittel zu verneinen.
9
Die Umstände legen auch nahe, dass der Angeklagte Alkohol und Drogen im Übermaß konsumiert. Denn ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 mwN). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198). Dass der Angeklagte im Falle einer Beschäftigung in der Lage war, seinen Alkoholkonsum zu unterlassen, steht daher dem Vorliegen eines Hangs nicht entgegen, zumal der Angeklagte nach den Feststellungen bislang im Wesentlichen ohne Arbeit ist. Nahe liegt demgegenüber ein Hang insbesondere bei Beschaffungskriminalität (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210), die hier jedenfalls bei den zwei Vorstrafen vom 11. Juni 2003 und vom 17. September 2008 festgestellt wurde. Auch mit den hier abgeurteilten Erpressungen wollte sich der Angeklagte Geld beschaffen , um sich Alkohol und Marihuana besorgen zu können.
10
Die Erpressungen beging der Angeklagte unter dem Einfluss von Rauschmitteln und durch diese enthemmt. Das erbeutete Geld setzte er unver- züglich noch vor Ort in Alkohol um. Es liegt daher nahe, dass er diese Taten im Rausch beging oder sie zumindest auf einen Hang zum Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum zurückgingen. Im Hinblick auf seine - auch einschlägigen - früheren Straftaten liegt es auch nicht fern, dass die von § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzte Gefahr erheblicher künftiger Taten infolge eines Hanges vorliegt.
11
Es sind ferner keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten von seinem Hang zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 - 2 BvL 3/90 u.a., NStZ 1994, 578), zumal das Landgericht bislang nicht zu klären vermochte, weshalb eine Drogentherapie in früherer Zeit unterblieben ist.
12
c) Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5), er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
13
Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 3 8 6 / 1 3
vom
15. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. Mai 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger des Angeklagten,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 14. Juni 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Vom Vorwurf einer weiteren Brandstiftung hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat nur den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich der Angeklagte und M. nachts in der Wohnung von N. und K. auf. Zwischen den deutlich alkoholisierten Personen kam es zu einem Streit. Die von N. alarmierte Polizei verwies den Angeklagten und M. der Wohnung. Beide gingen sodann in der Absicht, an einem anderen Ort weiterzutrinken, zur Wohnung eines Bekannten des M. in den sechsten Stock eines in der Nachbarschaft gelegenen Hauses. Als sie dort niemand antrafen, begab sich der Angeklagte zu der in diesem Haus im Erdgeschoss gelegenen Wohnung des S. , seines Cousins.
3
Der Angeklagte trat die schlecht gesicherte Wohnungstür auf und gelangte so in die Wohnung. Verärgert darüber, dass auch S. nicht anwesend war, zündete er mit seinem Feuerzeug die dort wegen Sanierungsarbeiten im Schlafzimmer aufgestapelten Möbel an. Es entwickelte sich schnell ein heftiges Feuer, das zur Zerstörung des Fensters, zum weitgehenden Abplatzen des Wandputzes im Schlafzimmer und zu einer starken Verrußung der gesamten Wohnung führte. Der Angeklagte wusste, dass sich in dem Haus mehrere Wohnungen befanden. Die Folgen seiner Brandstiftung - eine längere Unbewohnbarkeit der Wohnung seines Cousins - nahm er billigend in Kauf.
4
M. war an der Brandstiftung nicht beteiligt. Er war nicht mit in die Wohnung hineingegangen, hatte jedoch von draußen mitbekommen, dass es dort zu einem Brand kam, und hatte sodann das Gebäude verlassen. Nachdem einige Zeit vergangen war, kam ihm der Angeklagte nachgelaufen.
5
2. Die Angriffe der Revision gegen den Schuld- und den Strafausspruch bleiben ohne Erfolg. Lediglich ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat insoweit:
6
a) Die beantragte Einholung eines "Glaubwürdigkeitsgutachtens" betreffend die polizeiliche Aussage des Zeugen M. hat die Strafkammer ohne Rechtsfehler abgelehnt. Sie konnte sich auf die eigene Sachkunde berufen, die ihr durch die Angaben des psychiatrischen Sachverständigen zur Vernehmungsfähigkeit des Zeugen in der Tatnacht vermittelt worden war. Insoweit hatte der Sachverständige einerseits ausgeführt, die unterschiedlichen, logisch nicht immer nachvollziehbaren Angaben des Zeugen bei seiner Vernehmung ließen den Einfluss einer hirnorganischen Störung nicht ausgeschlossen erscheinen und damit im Zusammenwirken mit dem genossenen Alkohol an der Vernehmungsfähigkeit zweifeln. Andererseits sei es möglich, dass der Zeuge inkonsistent geantwortet habe, weil seine Darstellung nicht in allen Punkten der Wahrheit entsprochen habe. Nachdem sich in der Hauptverhandlung - auch nach Ansicht des Sachverständigen - keinerlei Anhaltpunkte für eine psychische Beeinträchtigung des Zeugen ergeben hatten, hat sich das Landgericht daraufhin rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die teilweisen Ungereimtheiten in der Aussage der Zeugen davon herrührten, dass dieser in der Tatnacht mehr wusste, als er bei der Vernehmung angeben wollte. Vor diesem Hintergrund war die Zuziehung eines Sachverständigen nicht geboten. Mit den Schwächen der Aussage hat sich das Landgericht bei der Beurteilung, ob die den Angeklagten belastenden Angaben zutreffen, im Rahmen der Beweiswürdigung ohne Rechtsfehler auseinandergesetzt.
7
b) Die Feststellungen des Landgerichts beruhen auf einer tatrichterlichen Beweiswürdigung, die der Nachprüfung im Revisionsverfahren standhält (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2006 - 3 StR 139/06, NJW 2007, 384, 387). Danach gilt: Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht prüft dessen Überzeugungsbildung nur darauf, ob sie auf rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht. Dies ist namentlich der Fall, wenn die Würdigung des Tatgerichts mit gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen oder unbezweifel- barem Erfahrungswissen unvereinbar ist, Widersprüche oder sonstige Verstöße gegen die Gesetze der Logik enthält oder Lücken aufweist, sich insbesondere nicht mit naheliegenden alternativen Geschehensabläufen befasst, obwohl sich dies nach dem Beweisergebnis aufdrängt. Dagegen ist es für die revisionsrechtliche Prüfung ohne Belang, ob die vom Tatrichter gezogenen Schlüsse zwingend oder auch nur naheliegend sind und eine abweichende Würdigung der Beweise aus der Sicht des Revisionsgerichts ebenso gut möglich oder überzeugender gewesen wäre.
8
Das Landgericht hat - sachverständig beraten - ausgeschlossen, dass der Brand anders als durch vorsätzliche Brandlegung entstanden ist. Von der Täterschaft des Angeklagten, der in der Hauptverhandlung keine Aussage gemacht hat, hat es sich aufgrund einer Gesamtschau von Indizien überzeugt. Danach kündigten der Angeklagte und M. kurz vor dem Brand an, in das später vom Brand betroffene Haus gehen zu wollen. Der Angeklagte bestritt , nachdem er von der Polizei in der Tatnacht in der Wohnung seiner Eltern am Küchentisch schlafend und in der Hand ein Feuerzeug haltend angetroffen worden war, bei seiner polizeilichen Vernehmung zwar den Tatvorwurf, räumte aber ein, in der Wohnung seines Cousins gewesen zu sein. Der Zeuge M. belastete bei seiner polizeilichen Vernehmung den Angeklagten dahin, dass dieser in die Wohnung gegangen und aus der Wohnung alsbald ein Lichtschein zu sehen gewesen sei. Dieser Aussage ist das Landgericht gefolgt und hat damit zugleich den Zeugen M. als (Mit)Verursacher des Brandes ausgeschlossen. Es hat dabei die Widersprüche, die sich zwischen den Aussagen gegenüber zwei Polizeibeamten in der Tatnacht und den Bekundungen in der Hauptverhandlung ergeben haben, nicht außer Betracht gelassen, indes mit der Besonderheit der Befragungssituation, insbesondere der fehlenden Information der Vernehmungspersonen über die Hintergründe, sowie mit der Alkoholisierung des Zeugen in der Tatnacht und seinem Bemühen, zwar den Tatver- dacht von sich zu weisen, aber zugleich den Angeklagten nicht übermäßig zu belasten, nachvollziehbar erklärt. Ergänzend hat die Strafkammer darauf abgestellt , dass dem Angeklagten die Zerstörung von Sachen durch Feuer nicht fremd war. Zudem war ein Motiv für den Zeugen, die Wohnung in Brand zu setzen , nicht erkennbar, während nach Darlegungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen für den Angeklagten in der zur Tatzeit herrschenden Stresssituation und der alkoholischen Enthemmung ein Abreagieren durch die Brandlegung in Betracht gekommen ist.
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3. Das Urteil hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht eine Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt abgelehnt und dies damit begründet hat, bei dem Angeklagten liege keine Abhängigkeitserkrankung , sondern lediglich ein schädlicher Gebrauch von Alkohol gemäß ICD 10 F10.1 vor. Damit hat das Landgericht einen unzutreffenden Maßstab für die Annahme eines Hangs im Sinne von § 64 StGB angelegt.
10
Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint. Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits die Gesundheit, Arbeitsund Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus. Dass der Angeklagte in der Lage war, während der Arbeitszeiten seinen Alkoholkonsum zu unterlassen, steht daher dem Vorliegen eines Hangs nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204 mwN). Das Landgericht bejaht den konstellativen Faktor der erheblichen Alkoholisierung zur Tatzeit, derentwegen es auch von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten ausgegangen ist. Es liegt angesichts der Vorstrafe des Angeklagten sowie der weiteren von der Kammer festgestellten Geschehnisse in der Vergangenheit auch nicht fern, dass die von § 64 StGB vorausgesetzte Gefahr erheblicher künftiger Taten infolge des Hangs festgestellt werden wird. Es sind zuletzt keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich , dass keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten von seinem Hang zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren.
11
Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5).
12
Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben. Becker Pfister Hubert Mayer Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 421/11
vom
20. Dezember 2011
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 1. a) und 2. auf dessen Antrag -
am 20. Dezember 2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Verden vom 7. Juli 2011

a) im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte
wegen räuberischer Erpressung in drei tateinheitlichen Fällen
und wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe verurteilt
ist;

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine
Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten
in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels
, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "räuberischer Erpressung und wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit eine Entscheidung zur Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) unterblieben ist. Im Übrigen ist die Revision unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen nötigte der Angeklagte die drei Geschädigten durch eine einheitliche Bedrohung mit Körperverletzungshandlungen jeweils zur Herausgabe von Bargeld. Damit hat er sich - wie das Landgericht in den Urteilsgründen zutreffend darlegt - der räuberischen Erpressung in drei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 1999 - 5 StR 207/99, NStZ 1999, 618, 619). Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
3
2. Keinen Bestand haben kann das angefochtene Urteil, soweit es das Landgericht unterlassen hat zu prüfen, ob der Angeklagte in einer Entziehungsanstalt unterzubringen ist.
4
a) Nach den getroffenen Feststellungen nahm der Angeklagte seit dem Jahr 2000 Haschisch; binnen zwei Jahren steigerte er den Konsum bis hin zum täglichen Gebrauch. Hinzu kam erstmals im Jahr 2002 Alkohol, den der Angeklagte vermehrt nach Ende der zweiten Inhaftierung im Januar 2008 trank. Soweit er einer Arbeit nachging, konnte er den Alkoholkonsum jedoch unterlas- sen. Eine kurze Zeit lang injizierte er in geringen Mengen Heroin, ließ hiervon jedoch ohne therapeutische oder medikamentöse Unterstützung während seiner ersten Inhaftierung ab. Er konsumiert derzeit täglich bis zu drei "6er-Träger" Bier über den Tag verteilt und "gelegentlich bis zu ca. 2 Gramm Haschisch, wobei ihm ein täglicher Konsum aufgrund seiner finanziellen Situation aber nicht möglich ist. Dazu kommt gelegentlicher Kokainkonsum, wenn ihm diese Droge angeboten wird oder er finanziell zum Erwerb in der Lage ist."
5
Im Jahr 2003 wurde der Angeklagte u.a. wegen mehrfacher Raub-, Erpressungs - und Diebstahlsdelikte zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Taten hatte er zur Finanzierung seines Haschischkonsums begangen. Im September 2008 wurde gegen den Angeklagten wegen versuchten Diebstahls eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt. Auch hier sollte der Beuteerlös zum Erwerb von Drogen verwendet werden.
6
Vor den hier abgeurteilten Taten konsumierte der Angeklagte zunächst seit dem Nachmittag im Verlauf mehrerer Stunden zwei bis drei Bier á 0,5 Liter sowie ca. eine halbe Flasche Wodka. Am Abend trank er in einer Diskothek nicht näher feststellbare Mengen Bier und Wodka, rauchte zwei Joints und "zog sich 1-2 'Nasen' Kokain". Auf dem Heimweg beging er die Erpressungen. Mit dem erbeuteten Bargeld begab er sich unmittelbar in eine benachbarte Tankstelle und kaufte dort u.a. einen "6er-Träger Bier". Eine im Rahmen der anschließenden Festnahme durchgeführte Atemalkoholmessung ergab einen Wert von 1,78 Promille. Nachdem der Angeklagte die Nacht in der Ausnüchterungszelle verbracht hatte, wurde er am frühen Morgen des 6. Dezember 2009 entlassen. Anschließend trank er im Verlauf des Tages weiter Alkohol in nicht näher feststellbarer Menge. Als er wegen des Waffendelikts am selben Tag erneut festgenommen worden war, wurde bei einem nochmaligen Atemalkohol- test ein Wert von 1,82 Promille festgestellt. Das Landgericht ist zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass seine Steuerungsfähigkeit bei Begehung der Erpressungstaten infolge vorangegangenen Alkoholkonsums erheblich vermindert war. Eine Aussetzung der Vollstreckung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung hat es u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass sich die Lebensverhältnisse des Angeklagten seit den Taten nicht entscheidend verändert haben, er nach wie vor arbeitslos sei und auch weiterhin Drogen konsumiere.
7
b) Vor diesem Hintergrund hätte sich das Landgericht gedrängt sehen müssen zu prüfen, ob die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen ist (§ 64 StGB); denn die getroffenen Feststellungen legen nahe, dass der Angeklagte einen Hang zum übermäßigen Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum hat, die Erpressungen von ihm im Rausch begangen wurden oder zumindest auf seinen Hang zurückgehen und die Gefahr besteht, dass er infolge des Hanges weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
8
Der Hang im Sinne von § 64 StGB verlangt eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit oder zumindest eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung , immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel zu sich zu nehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 mwN). Ein solches Verhalten belegen die Urteilsfeststellungen. Der Angeklagte konsumiert bereits seit über zehn Jahren nach Möglichkeit täglich Haschisch , zudem mehrere Liter Bier und anderen Alkohol sowie nach Verfügbarkeit auch Kokain; die Veränderung von Lebensumständen vermag ihn davon nicht abzuhalten. Dass es dem Angeklagten in früheren Zeiten gelungen ist, den kurzzeitig betriebenen geringen Heroinkonsum ohne therapeutische Hilfe einzustellen, kann zwar indiziell gegen einen Hang sprechen. Für sich betrachtet führt dieser Umstand jedoch nicht dazu, eine Abhängigkeit oder Neigung des Angeklagten hinsichtlich der anderen von ihm konsumierten Rauschmittel zu verneinen.
9
Die Umstände legen auch nahe, dass der Angeklagte Alkohol und Drogen im Übermaß konsumiert. Denn ausreichend für die Annahme eines Hangs zum übermäßigen Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls, dass der Betroffene aufgrund seiner Konsumgewohnheiten sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 mwN). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelgenuss bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hangs zukommen; das Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 1. April 2008 - 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198). Dass der Angeklagte im Falle einer Beschäftigung in der Lage war, seinen Alkoholkonsum zu unterlassen, steht daher dem Vorliegen eines Hangs nicht entgegen, zumal der Angeklagte nach den Feststellungen bislang im Wesentlichen ohne Arbeit ist. Nahe liegt demgegenüber ein Hang insbesondere bei Beschaffungskriminalität (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210), die hier jedenfalls bei den zwei Vorstrafen vom 11. Juni 2003 und vom 17. September 2008 festgestellt wurde. Auch mit den hier abgeurteilten Erpressungen wollte sich der Angeklagte Geld beschaffen , um sich Alkohol und Marihuana besorgen zu können.
10
Die Erpressungen beging der Angeklagte unter dem Einfluss von Rauschmitteln und durch diese enthemmt. Das erbeutete Geld setzte er unver- züglich noch vor Ort in Alkohol um. Es liegt daher nahe, dass er diese Taten im Rausch beging oder sie zumindest auf einen Hang zum Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum zurückgingen. Im Hinblick auf seine - auch einschlägigen - früheren Straftaten liegt es auch nicht fern, dass die von § 64 Satz 1 StGB vorausgesetzte Gefahr erheblicher künftiger Taten infolge eines Hanges vorliegt.
11
Es sind ferner keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, den Angeklagten von seinem Hang zu heilen oder doch über eine gewisse Zeitspanne vor dem Rückfall in die akute Sucht zu bewahren (BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 - 2 BvL 3/90 u.a., NStZ 1994, 578), zumal das Landgericht bislang nicht zu klären vermochte, weshalb eine Drogentherapie in früherer Zeit unterblieben ist.
12
c) Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5), er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
13
Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtfreiheitsstrafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
Becker von Lienen Schäfer Mayer Menges

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

10
c) Über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die Nichtan- wendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
5
Die vom Landgericht angeordnete Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist von der teilweisen Aufhebung des Strafausspruchs ebenfalls nicht betroffen. Dies entspricht dem Prinzip der Zweispurigkeit von Strafe und Maßregel: Zwischen diesen Rechtsfolgen besteht grundsätzlich keine Wechselwirkung; sie sollen unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden. Etwas anderes kann nur gelten, wenn sich den Urteilsgründen oder der Strafhöhe im Einzelfall entnehmen lässt, dass die Strafe und die Anordnung einer Maßregel (oder ihre Nichtanordnung) sich gegenseitig beeinflusst haben (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 365). Dies ist hier indes nicht der Fall.