Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2020 - 2 StR 551/19

published on 21/01/2020 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Jan. 2020 - 2 StR 551/19
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 551/19
vom
21. Januar 2020
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.
ECLI:DE:BGH:2020:210120B2STR551.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. Januar 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 15. August 2019
a) im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 79 Fällen, des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Führen einer verbotenen Waffe, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen sowie wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 472 Fällen verurteilt ist;
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) im Ausspruch über die Jugendstrafe, bb) soweit eine Entscheidung über die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 322 Fällen, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb und Führen einer verbotenen Waffe, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in sieben Fällen sowie des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 472 Fällen“ zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.
2
Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch in den Fällen 1 bis 63 und 308 bis 802 der Urteilsgründe sowie zur Einziehungsentscheidung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
4
2. Hingegen führt das Rechtsmittel zur Abänderung des Schuldspruchs in den Fällen 64 bis 307 der Urteilsgründe und zur Aufhebung der unterbliebenen Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt sowie – dadurch bedingt − des Ausspruchs über die Jugendstrafe.
5
a) Der Generalbundesanwalt hat zur Abänderung des Schuldspruchs in den Fällen 64 bis 307 in seiner Antragsschrift vom 5. Dezember 2019 Folgendes ausgeführt: „Die Annahme vonTatmehrheit – was die Fälle 64-307 der Urteils- gründe angeht – begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat erkennbar nicht bedacht, dass im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung die Bezahlung einer zuvor auf Kommission erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 ff.). So liegt der Fall hier: Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen kaufte und übernahm der Angeklagte in insgesamt 241 Fällen von dem gesondert verfolgten A. jeweils 100g Marihuana und in drei weiteren Fällen jeweils 500g Marihuana (Fälle 64-307 der Urteilsgründe). Die Bezahlung erfolgte jeweils mit der erneuten Übergabe am Folgetag (UA S. 6). Es ist daher insgesamt nur von einer Tat des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auszugehen. Der Schuldspruch ist daher – wie beantragt – entsprechend § 354 Abs. 1 analog StPO zu ändern. § 265 StPO steht nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht wirksamer als geschehen hiergegen hätte verteidigen können.“
6
Dem stimmt der Senat zu. Die Abänderung des Schuldspruchs in den Fällen 64 bis 307 der Urteilsgründe führt unter Berücksichtigung der weiteren rechtsfehlerfreien Schuldsprüche in den Fällen 51 bis 63, 308 bis 318, 323 bis 372, 375 bis 377 und 802 der Urteilsgründe zur Verurteilung wegen unerlaubtem Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 79 Fällen. Gleichzeitig hat der Senat den Schuldspruch wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln klarstellend ohne den Zusatz "in nicht geringer Menge" gefasst, da der Qualifikationstatbestand des bewaffneten Handeltreibens nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG stets voraussetzt, dass die Tat eine solche Menge betrifft (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2019 – 3 StR 382/19, juris Rn. 3 mwN).
7

b) Die unterbliebene Entscheidung über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 Satz 1 StGB hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil die Jugendkammer die mögliche Anordnung der Maßregel nicht erörtert hat, obwohl hierzu Anlass bestand.
8
aa) Nach den Feststellungen begann der Angeklagte vor drei Jahren mit dem Konsum von Crystal, sein täglicher Bedarf steigerte sich allmählich auf zuletzt bis zu 1,5 Gramm/täglich. Die in den Fällen 1 bis 50 und 378 bis 799 der Anklageschrift erworbenen Betäubungsmittel dienten seinem Eigenkonsum ; er handelte mit Drogen, um seinen Lebensunterhalt und auch seinen eigenen Drogenkonsum zu finanzieren.
9
bb) Diese Feststellungen legen die Annahme eines Hangs des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, Drogen im Übermaß zu sich zu nehmen, den symptomatischen Zusammenhang mit den verfahrensgegenständlichen Taten, aber auch die Gefahr weiterer gewichtiger Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nahe. Da der Angeklagte nach seinen Angaben eine Langzeittherapie anstrebt, liegt auch die gemäß § 64 Satz 2 StGB erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht der Maßregel nicht fern.
10
c) Die Schuldspruchänderung in den Fällen 64 bis 307 lässt den Strafausspruch unberührt, weil die abweichende konkurrenzrechtliche Bewertung den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht verändert. Jedoch war wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung (vgl. Senat, Beschluss vom 17. Dezember 2013 – 2 StR 154/13, juris Rn. 4 mwN) auch der Strafausspruch aufzuheben. Zwar liegt nach den bisherigen Feststellungen die Annahme, dass die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die Ahndung seiner Tat durch die Verhängung einer Jugendstrafe entbehrlich machen könnte, eher fern. Der Senat kann aber gleichwohl nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt in Anwendung von § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, Jugendstrafe zu verhängen.
Franke Eschelbach RiBGH Meyberg ist wegen Krankheit an der Unterschrift gehindert. Franke Grube Schmidt

Vorinstanz:
Gera, LG, 15.08.2019 - 766 Js 27902/18 2 KLs
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ein- oder ausführt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(2) Ebenso wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 Jahre eine Person unter 18 Jahren bestimmt, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben, sie, ohne Handel zu treiben, einzuführen, auszuführen, zu veräußern, abzugeben oder sonst in den Verkehr zu bringen oder eine dieser Handlungen zu fördern, oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt oder sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft und dabei eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind.

(3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.