Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Okt. 2019 - 2 StR 411/19
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. auf dessen Antrag – am 22. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die hiergegen gerichtete und auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat zum Strafausspruch Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- Die Strafkammer hat bei der Bemessung der Freiheitsstrafe zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt, „dass er vorbestraft [ist], mit einer Körperver- letzung und Bedrohung auch teilweise einschlägig.“ Sie hat damit – im Ansatz rechtsfehlerfrei − aus der Einschlägigkeit der Vorverurteilung auf eine erhöhte Schuld des Täters geschlossen (vgl. Senat, Urteil vom 26. November 2014 – 2 StR 132/14, juris Rn. 4; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung , 6. Aufl., Rn. 657), jedoch übersehen, dass der Angeklagte die zur Aburteilung stehende Tat – Tatzeit war der 9. Juli 2017 – vor der einschlägigen „Vorverurteilung“ vom 22. Juni 2018 beging. Dass die Strafkammer bei der Strafzumessung nicht auf den Warneffekt der Vorverurteilung, sondern auf die vor dem verfahrensgegenständlichen Delikt liegende Tathandlung (vgl. Senat, Urteil vom 30. September 2009 − 2 StR 270/09, NStZ−RR 2010, 40; Beschluss vom 11. November 2015 – 2 StR 272/15, NStZ-RR 2016, 7 f.) bzw. das bereits vor der neuen Tat laufende Ermittlungsverfahren (vgl. zu den erforderlichen Feststellungen Senat, Beschlüsse vom 11. November 2015 – 2 StR 272/15, aaO; vom 10. Juli 2018 – 2 StR 224/18, juris Rn. 7) zur Erfassung der Täterpersönlichkeit abstellen wollte, ist auch unter Berücksichtigung der Gesamtheit der Urteilsgründe nicht erkennbar.
- 3
- Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass diese ohne den Wertungsfehler geringer ausgefallen wäre. Die Feststellungen sind hiervon nicht betroffen. Sie bleiben daher aufrechterhalten (§ 353 Abs. 2 StPO). Der neue Tatrichter kann ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese nicht zu den bisherigen in Widerspruch stehen. Er wird Gelegenheit haben − genauer als bisher − die Möglichkeit einer Gesamtstrafenlage mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts Langen vom 22. Juni 2018 in den Blick zu nehmen und – angesichts der möglichen Zäsurwirkung des Erkenntnisses − die Tatzeit der weiteren Verurteilung vom 7. Dezember 2018 festzustellen.
Grube Schmidt
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete, auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte und in der Hauptverhandlung vor dem Senat auf das Strafmaß beschränkte Revision hat keinen Erfolg.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts folgte der Angeklagte am frühen Morgen des 20. August 2008 der erheblich alkoholisierten Nebenklägerin R. auf deren Heimweg von einer Diskothek, wobei er noch nicht an einen gewaltsamen, sexuellen Übergriff dachte (UA S. 14). Nachdem die Nebenklägerin das Mietshaus betreten hatte, „spazierte (er) unschlüssig darüber , was er jetzt unternehmen sollte, noch ein wenig vor dem Haus hin und her" (UA S. 15). Als Frau R. erneut die Haustür öffnete, um nach ihrer Freundin zu schauen, drängte er sie mit seinem Körper zurück in den Flur und weiter in einen links davon gelegenen Seitenflur. Die Nebenklägerin war völlig apathisch, konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen und vor Schreck zunächst keinen Ton herausbringen. Spätestens jetzt war er entschlossen, auch gegen ihren Willen und etwa geleisteten Widerstand unter Ausnutzung ihrer - wie von ihm erkannt - alkoholbedingt erheblich geminderten Widerstandskraft sexuelle Handlungen vorzunehmen; er fasste sie an den Armen, brachte sie, obwohl sie ihn von sich wegzudrücken versuchte, aus dem Gleichgewicht und auf dem Steinfußboden des Seitenflurs zum Liegen. Sodann zog er ihr Jeans und Slip aus. Die Nebenklägerin hatte die Vorstellung, der Angeklagte wolle ihr Gewalt antun und sie danach umbringen. Sie war deshalb starr vor Schreck und wagte nicht, um Hilfe zu rufen. Der Angeklagte nahm an ihr verschiedene sexuelle Handlungen vor; unter anderem führte er einen Finger in ihre Scheide ein, obwohl sie ihn, als er dazu ansetzte, wegzudrücken versuchte und vernehmbar äußerte: "Lass mich!". Als er Anstalten machte, nunmehr den Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin auszuführen, stieß diese ihn so heftig weg, dass er wegen des erwarteten weiteren Widerstands von seinem Tatplan Abstand nahm und vom Tatort flüchtete.
- 3
- 2. Die Strafzumessung begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 4
- a) Die Wertung der Strafkammer, der Angeklagte habe die Nebenklägerin mit Beharrlichkeit "bis zu ihrem Haus verfolgt", ist frei von Rechtsfehlern. Zwar hatte der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Absicht, die Nebenklägerin zu vergewaltigen. Diese hatte ihm aber zuvor in der Diskothek, in der er sich ihr bereits genähert hatte, keine Beachtung geschenkt und "mit ablehnender Zurückhaltung" reagiert (UA S. 13). Unter diesen Umständen ist die Bewertung des Verhaltens des Angeklagten als beharrlich nicht rechtsfehlerhaft.
- 5
- b) Soweit die Strafkammer weiter ausführt, der Angeklagte habe die Nebenklägerin überrumpelt und in den dunklen Seiteneingang des Hausflurs gedrängt , handelt es sich nicht um einen Verstoß gegen § 46 Abs. 3 StGB, sondern - wie auch der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - um die Heranziehung der näheren Umstände der auch verwirklichten Tatbestandsalternative des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB.
- 6
- c) Rechtsfehlerfrei ist auch die strafschärfende Erwägung des Landgerichts , der Angeklagte sei „in den Jahren 2006 und 2007 dreimal, allerdings nicht einschlägig, strafrechtlich in Erscheinung getreten und wegen Diebstahls, Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und unerlaubten Handels mit Betäubungsmitteln jeweils mit Geldstrafe belegt worden“ (UA S. 40). Die Strafkammer stellt hier - ebenso wie im Blick auf den Vorfall vom 6. August 2004 - auf die Tathandlungen ab; dies folgt aus der Hervorhebung der Tatzeitpunkte. Im Übrigen kann allein die Tatsache, dass der Angeklagte nach der abzuurteilenden Tat bestraft worden ist, durchaus berücksichtigt werden , soweit dies zur zutreffenden Erfassung der Täterpersönlichkeit angezeigt erscheint.
- 7
- d) Der Senat lässt offen, ob die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe der Nebenklägerin vor ihrem Hause aufgelauert (UA S. 40), in einem Spannungsverhältnis zu der Feststellung steht, der Angeklagte sei, nachdem die Nebenklägerin im Hauseingang verschwunden war, unschlüssig darüber , was er jetzt unternehmen solle, noch ein wenig vor dem Haus hin und her gegangen (UA S. 15). Denn auf einem etwaigen Rechtsfehler würde das angefochtene Urteil nicht beruhen. Der Senat schließt aus, dass die Strafe, die nach Auffassung des Landgerichts „im unteren Bereich des Vertretbaren“ liegt, ohne die genannte Erwägung noch geringer ausgefallen wäre.
- 8
- e) Der Angeklagte ist nach der hier abgeurteilten Tat vom Amtsgericht Köln zu einer Geldstrafe verurteilt worden, ohne dass das Landgericht Feststellungen zu einer Erledigung der Sanktion getroffen hat. Der Senat schließt jedoch aus, dass der Angeklagte durch einen Verstoß gegen § 55 Abs. 1 StGB beschwert wäre. Fischer Rothfuß Roggenbuck Appl Cierniak
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Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat: Die tatrichterliche Erwägung, der Angeklagte habe sich „das in hiesiger Sache laufende Ermittlungsverfahren“ nicht „zur Warnung dienen lassen, sondern am 01.10.2012 erneut eine Körperverletzung begangen“, versteht der Se- nat unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Urteilsgründe dahin , dass der Tatrichter dem Umstand, dass der Angeklagte trotz des gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahrens in vorliegender Sache eine neuerliche und einschlägige Straftat begangen hat, Indizwirkung für seine fehlende Rechtstreue beigemessen hat. Dies dient der zutreffenden Erfassung der Täterpersönlichkeit und ist daher – ungeachtet des missverständlichen Hinweises auf die „Warnwirkung“ des anhängigen Verfahrens, die allein in dem wegen der späte- ren Tat geführten Strafverfahren zu seinen Ungunsten berücksichtigt werden kann – rechtlich unbedenklich (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 StR 16/98, NStZ 1998, 404; Senat, Urteil vom 30. September 2009 – 2 StR 270/09, NStZ-RR 2010, 40; Fischer StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 38). Krehl Eschelbach Ott Zeng Bartel