Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2015 - 2 StR 373/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet hingegen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.
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- a) Nach den Feststellungen konsumierte der mehrfach vorbestrafte, heute 41 Jahre alte Angeklagte seit jungen Jahren Kokain und Speed sowie ab dem 15. Lebensjahr auch Heroin. Nach Antritt einer Jugendstrafe im Jahr 1993 nahm er kein Heroin mehr zu sich, jedoch konsumierte er weiterhin Kokain, Marihuana und Amphetamine. Der Angeklagte war in seinem Leben überwiegend ohne Beschäftigung. Zur Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums beging er auch Straftaten.
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- Im Jahr 2011 begann der Angeklagte erneut, Heroin zu konsumieren. Ab 2012 nahm er zusätzlich Methadon zu sich. Zur Finanzierung seines Konsums beging er Diebstähle und Einbruchsdiebstähle. Ab Mai 2012 begann er zudem, Heroin gewinnbringend weiter zu verkaufen und verübte die verfahrensgegenständlichen Taten. Ab Juni 2013 ließ sich der Angeklagte durch den Drogenersatzstoff Subutex subsituieren, um von seinem Heroinkonsum loszukommen. Zur Finanzierung seines Beikonsums von Kokain und anderen Betäubungsmitteln setzte er den verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelhandel jedoch noch bis März 2014 fort.
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- Nach seiner Festnahme im März 2014 wurde der Angeklagte von der Haft verschont, erhielt jedoch die Weisung, eine elektronische Fußfessel zu tragen. Im Rahmen dessen standen ihm zunächst dreieinhalb Stunden zur täglichen freien Verfügung, später sechs Stunden. Bis zur Hauptverhandlung war es zu keinem Rückfall hinsichtlich des Konsums oder Handels von Betäubungsmitteln gekommen.
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- b) Die Strafkammer hat von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Aufgrund der Substitution bestehe bei ihm kein Hang mehr, Heroin zu sich zu nehmen. Soweit ein gegebenenfalls auf andere Betäubungsmittel bezogener Hang bestehe, fehle es an der erhöhten Wahrscheinlichkeit , dass der Angeklagte infolge dieses Hangs weitere Straftaten begehen werde, da er seit über einem Jahr nicht rückfällig geworden sei.
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- c) Die Ablehnung der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat keinen Bestand. Die vom Landgericht getroffene Gefährlichkeitsprognose lässt die gebotene Würdigung aller für und gegen eine Rückfallgefahr maßgeblichen Umstände vermissen.
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- Zwar hat das Landgericht für die Prognose, ob die Gefahr, dass der Angeklagte infolge eines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, zu Recht auf den Zeitpunkt der tatrichterlichen Hauptverhandlung abgestellt. Auch kann es gegen eine Gefährlichkeit sprechen, wenn ein Täter bis zu diesem Zeitpunkt über einen langen Zeitraum hinweg keine hangbedingte Straftat mehr begangen hat. Bestehen aber Anhaltspunkte in der Persönlichkeit des Täters, seinem bisherigen Rauschmittelkonsum (Zeiträume, Mengen, Stoffe), dem Vorleben , Vorstrafen, der Anlasstat oder seinem Nachtatverhalten, die demgegenüber für eine Rückfallgefahr sprechen, müssen diese in die anzustellende Gefahrenprognose eingestellt werden.
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- Dies hat das Landgericht vorliegend versäumt. Es hat schon den für eine Rückfallgefahr sprechenden Umstand nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen langjährigen Konsumenten verschiedener Betäubungsmittel handelte, der zur Finanzierung seines Konsums auch schon zahlreiche Straftaten begangen hat. Auch hat das Gericht nicht bedacht, dass der Angeklagte seit seiner Haftverschonung im März 2014 mit der Weisung belegt war, eine elektronische Fußfessel zu tragen, und er im Rahmen dessen seine Wohnung nur stundenweise verlassen konnte, weshalb dem Umstand, dass er in dieser Zeit - neben Subutex - weder Betäubungsmittel konsumiert noch mit ihnen gehandelt hat, möglicherweise nur eingeschränkte Aussagekraft zukommen kann.
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- Im Übrigen hätte sich das Landgericht zunächst damit auseinander setzen müssen, im Hinblick auf welche "berauschenden Mittel" ein Hang des Angeklagten besteht und welches Ausmaß diesem Hang zukommt, da beide Umstände in die Gefahrenprognose einzustellen gewesen wären. Daher durfte es das Landgericht nicht offen lassen, ob bei dem Angeklagten überhaupt ein Hang vorliegt. Insofern hat das Gericht bereits verkannt, dass nicht nur das vom Angeklagten zunächst konsumierte Heroin, sondern auch das später konsumierte Subutex ein berauschendes Mittel im Sinne des § 64 StGB ist (vgl. zu Methadon, Senat, Beschluss vom 27. Juni 2001 - 2 StR 204/01, Beschluss vom 5. Juli 2000 - 2 StR 87/00, NStZ-RR 2001, 12; BGH, Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 StR 17/98, NStZ 1998, 414).
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- 2. Die Frage der Maßregelanordnung bedarf daher - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 S. 2 StGB).
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- Der Strafausspruch kann bestehen bleiben, da auszuschließen ist, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
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- Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung gemäß § 358 Abs. 2 StPO nicht. Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Appl Krehl RiBGH Dr. Eschelbach ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl Ott Bartel
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.