Bundesgerichtshof Beschluss, 29. März 2017 - 2 StR 78/17

bei uns veröffentlicht am29.03.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 78/17
vom
29. März 2017
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischen Diebstahls
ECLI:DE:BGH:2017:290317B2STR78.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 29. März 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 1. November 2016
a) im Schuldspruch dahin berichtigt, dass der Angeklagte des besonders schweren räuberischen Diebstahls schuldig ist,
b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Da der Angeklagte – wie das Landgericht zutreffend angenommen hat (UA S. 14 f.) – neben dem Grundtatbestand des § 252 StGB auch die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt hat, war die Verwirklichung dieses Qualifikationsmerkmals im Schuldspruch durch die Bezeichnung der Tat als besonders schwerer räuberischer Diebstahl zum Ausdruck zu bringen (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 3. Januar 2017 – 2 StR 467/16 mwN; BGH, Beschluss vom 3. September 2009 – 3 StR 297/09, NStZ 2010, 101; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 260 Rn. 25a).
3
2. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der Angeklagte seit dem Jahr 2000 mit phasenweisen Unterbrechungen immer wieder Heroin. Seit dieser Zeit beging er zunehmend Diebstahlsdelikte, weswegen gegen ihn mehrfach Freiheitsstrafen verhängt wurden. So wurde er im Jahr 2004 wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz (Erwerb von Heroin) in 25 Fällen sowie wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt, die er – nach Widerruf der Zurückstellung der Strafvollstreckung – vollständig verbüßte (UA S. 5). Wegen eines Drogenrückfalls im Jahr 2009 kam es unter anderem zur Trennung von seiner Lebensgefährtin. In der Folgezeit absolvierte er erstmals eine Drogentherapie und arbeitete anschließend in einer Logistikfirma. Kurz vor der verfahrensgegenständlichen Tat hatte der Angeklagte einen erneuten Rückfall. Seine Lebensgefährtin trennte sich von ihm, er verlor seinen Arbeitsplatz und blieb in der Frankfurter Drogen- szene „hängen“ (UA S. 4).Nach den auf seiner Einlassung beruhenden Fest- stellungen konsumierte er am Tattag ein halbes Gramm Heroin und kurz vor der Tat ein halbes Gramm Kokain. Den Alkohol entwendete er, um „wieder runter zu kommen“ (UA S. 9 f.).Aktuell hat sich der Angeklagte aus der Haft mit der Bitte um Unterstützung und Therapie an mehrere Suchtberatungs- und Lebenshilfeorganisationen gewandt, die ihn zum Teil auf ihre Wartelisten gesetzt haben (UA S. 9).
5
b) Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht prüfen und entscheiden müssen, ob die Voraussetzungen für die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB vorliegen. Angesichts des festgestellten (langjährigen) Konsums von Heroin liegt ein Hang des Angeklagten, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, nahe. Gleiches gilt für den Symptomcharakter der festgestellten Tat. Die Angaben des Angeklagten zu seiner Tatmotivation deuten darauf hin, dass ein Fall vorliegt, bei dem der Hang neben anderen Ursachen zur Begehung der Tat beigetragen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 2 StR 174/13 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 64 Rn. 13). Nach den bisher getroffenen Feststellungen erscheint eine Suchtbehandlung auch nicht von vorneherein aussichtslos, zumal der Angeklagte selbst bestrebt ist, sich von seinem Drogenkonsum zu lösen.
6
c) Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; Senat, Beschluss vom 28. Januar 2016 – 2 StR 424/15; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR9/90, BGHSt 37, 5, 7 ff.), da er die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. Senat , Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 363; Beschluss vom 5. November 2015 – 2 StR 373/15).
7
d) Die Frage der Maßregelanordnung bedarf daher unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Strafausspruch kann bestehen bleiben, da auszuschließen ist, dass die Strafkammer bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Appl Krehl Zeng Bartel Grube

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Wer, bei einem Diebstahl auf frischer Tat betroffen, gegen eine Person Gewalt verübt oder Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben anwendet, um sich im Besitz des gestohlenen Gutes zu erhalten, ist gleich einem Räuber zu bestrafen.

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 467/16
vom
3. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:030117B2STR467.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. Januar 2017 gemäß § 346 Abs. 2, § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
1. Der Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 12. September 2016, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 30. Juni 2016 als unzulässig verworfen worden ist, wird aufgehoben. 2. Auf die Revision des Angeklagten wird das vorbezeichnete Urteil zum Schuldspruch dahingehend klargestellt, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen. 4. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision hatte das Landgericht gemäß § 346 Abs. 1 StPO verworfen, weil es davon ausging, dass die Revisionsbegrün- dungsschrift nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO angebracht worden sei.
2
Der Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 12. September 2016, mit dem die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 30. Juni 2016 als unzulässig verworfen worden war, war aufzuheben. Die Revision ist zulässig angebracht worden. Die Revisionsbegründungsschrift ist fristgemäß in der gemeinsamen Posteingangsstelle des Justizzentrums Mühlhausen eingegangen, aufgrund eines Zuleitungsfehlers jedoch nicht zur Verfahrensakte sondern zur Handakte der Staatsanwaltschaft gelangt.
3
Die sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im Verwerfungsbeschluss ist damit gegenstandslos.
4
Die Revision ist indes aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
5
Die Verwirklichung des Qualifikationsmerkmals des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB war im Schuldspruch durch die Bezeichnung der Tat als besonders schwerer Raub zum Ausdruck zu bringen (st. Rspr.; Senat, Beschluss vom 8. Juli 2014 – 2 StR 144/14, Rn. 8, juris; Beschluss vom 15. Mai 2012 – 2 StR 54/12, StV 2013, 38; Beschluss vom 8. August 2012 – 2 StR 279/12, NStZ-RR 2013, 7, 8).
Fischer Appl Eschelbach
Zeng Grube

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 297/09
vom
3. September 2009
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schweren räuberischen Diebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 3. September 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2, § 354 Abs. 1 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 11. Februar 2009 werden verworfen; jedoch wird das Urteil
a) im Schuldspruch dahin berichtigt, dass die Angeklagten des besonders schweren räuberischen Diebstahls schuldig sind;
b) im Strafausspruch hinsichtlich des Angeklagten A. dahin ergänzt, dass auch das Urteil des Amtsgerichts Wuppertal vom 25. September 2008 (Az.: 82 Ls 10 Js 1227/08 - 27/08) in die Verurteilung einbezogen wird.
Jeder Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten des "schweren" räuberischen Diebstahls schuldig gesprochen. Es hat gegen den Angeklagten A. unter Einbeziehung der Urteile des Amtsgerichts Wuppertal vom 2. Dezember 2005, 9. März 2006 und 26. April 2007 eine Einheitsjugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt sowie gegen den Angeklagten D. unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren erkannt. Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten sind mit folgenden Maßgaben unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO:
2
Da die Angeklagten - wie das Landgericht zutreffend erkannt hat - die Voraussetzungen des § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB verwirklicht haben, hat der Senat den Schuldspruch dahin gefasst, dass sie des besonders schweren räuberischen Diebstahls schuldig sind; denn die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat verlangt eine Kennzeichnung der Qualifikation in der Urteilsformel, bei welcher der gegenüber § 250 Abs. 1 StGB erhöhte Unrechtsgehalt zum Ausdruck kommt (vgl. BGH, Beschl. vom 7. März 2006 - 3 StR 52/06; BGHR StPO § 260 Abs. 4 Satz 1 Urteilsformel 4; Schoreit in KK 6. Aufl. § 260 Rdn. 30).
3
Die Einbeziehung des gegen den Angeklagten A. ergangenen Urteils des Amtsgerichts Wuppertal vom 25. September 2008 in die Verurteilung dieses Angeklagten ist in der Entscheidungsformel ausweislich der Urteilsgründe infolge eines offensichtlichen Versehens unterblieben. Der Senat hat den Urteilstenor deshalb in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ergänzt.
Sost-Scheible Pfister Hubert
Schäfer Mayer

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 174/13
vom
30. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen (unerlaubten) Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 10. Januar 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Nach den Feststellungen begann der Angeklagte ab dem 14. Lebensjahr Cannabis zu konsumieren, anschließend kam Alkohol hinzu. Zwischen dem 16. und dem 18. Lebensjahr nahm der Angeklagte verschiedene Drogen zu sich, "neben Amphetamin und Kokain auch Pilze, Ecstasy und Speed" (UA S. 2). Nach etwa zweijähriger Abstinenz fing der Angeklagte im Alter von 20 Jahren erneut an, Alkohol und Cannabisprodukte zu konsumieren. Drei Jahre später nahm er Heroin, das er zunächst vier Jahre lang injizierte, später rauchte und nasal zu sich nahm. Schließlich nahm er in Bulgarien an einem MethadonProgramm teil, wobei der Angeklagte daneben weiterhin Heroin konsumierte. Als Entlohnung für seine der Verurteilung zugrunde liegenden Tätigkeiten durfte sich der Angeklagte u.a. aus dem gebunkerten Heroinbestand frei bedienen und bis zu fünf Gramm Heroin täglich entnehmen, "um seinen eigenen Konsum zu decken" (UA S. 5).
3
Das Landgericht hat in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB verneint. Ein Hang sei nicht gegeben, da seine Leistungsfähigkeit erhalten geblieben sei. Zudem gehe die "abgeurteil- te Straftat des Angeklagten … nicht auf einen Hang bei ihm zurück, Betäu- bungsmittel zu konsumieren, sondern ist im Hinblick auf seine Methadonsubstitution auf seine finanzielle Notlage aufgrund der lang andauernden Erwerbslosigkeit zurückzuführen" (UA S. 9 f.).
4
2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne von § 64 StGB sowie des erforderlichen symptomatischen Zusammenhangs zwischen den abgeurteilten Taten und dem Hang ausgegangen ist.
5
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betroffene auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12 mwN, insoweit in NStZ-RR 2013, 74 nicht abgedruckt ). Nicht erforderlich ist, dass beim Täter bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (BGH, Beschluss vom 6. September 2007 – 4 StR 318/07, NStZ-RR 2008, 8). Dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum die Gesundheit sowie die Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betroffenen beeinträchtigt sind, kommt nur eine indizielle Bedeutung zu. Das Fehlen solcher Beeinträchtigungen schließt nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hangs aus (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204; Beschluss vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198, 199; Fischer , StGB, 60. Aufl., § 64 Rn. 10a).
6
Hier drängt sich das Vorliegen eines Hanges schon angesichts des festgestellten (langjährigen) Konsumverhaltens des Angeklagten auf, insbesondere mit Blick auf den von ihm für unerlässlich gehaltenen – freilich mengenmäßig nicht näher konkretisierten – Beikonsum von Heroin (vgl. zum Beikonsum bei Methadon: Senatsbeschluss vom 27. Juni 2001 – 2 StR 204/01, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 7 mwN). Die "über Monate hinweg erhalten" (UA S. 9) gebliebene Leistungsfähigkeit des noch relativ jungen Angeklagten ist angesichts dessen nicht ausschlaggebend. Dass beim Angeklagten die Voraussetzungen des § 21 StGB zur Tatzeit rechtsfehlerfrei verneint wurden, stünde im Übrigen einer Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht entgegen (Senatsbeschluss vom 5. Juli 2000 – 2 StR 87/00, NStZ-RR 2001, 12).
7
b) Auch der Symptomwert der festgestellten Tat für den Hang des Angeklagten liegt – entgegen der Auffassung des Landgerichts – ausgesprochen nahe. Nach ständiger Rechtsprechung ist nicht erforderlich, dass der Hang die alleinige Ursache für die Anlasstat ist. Vielmehr ist ein symptomatischer Zusammenhang auch dann zu bejahen, wenn der Hang neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, dass der Angeklagte eine erhebliche rechtswidrige Tat begangen hat, und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch für die Zukunft zu besorgen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12, insoweit in NStZ-RR 2013, 74 nicht abgedruckt; Beschluss vom 25. Oktober 2011 – 4 StR 416/11). So liegt es hier. Denn der sich in finanzieller Notlage befindliche und arbeitslose Angeklagte durfte als Gegenleistung für seine der Verurteilung zugrunde liegenden Tätigkeiten aus dem – im Übrigen zum Handel dienenden – Heroinbestand u.a. täglich bis zu fünf Gramm Heroin für den Eigenkonsum entnehmen. Damit liegt es sehr nahe, dass der Drogenkonsum des Angeklagten jedenfalls mitursächlich für die Tat gewesen ist.
8
c) Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Maßregel deswegen ausscheiden müsste, weil es an der hinreichend konkreten Aussicht eines Behandlungserfolges fehlt (§ 64 Satz 2 StGB).
9
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf deshalb unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung.
10
3. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. Senat, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362 f.).
11
4. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
Fischer Schmitt Eschelbach Ott Zeng

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 424/15
vom
28. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280116B2STR424.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts , zu Ziffer 2. auf dessen Antrag, und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 28. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 12. Mai 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten H. Ü. wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Den Angeklagten A. Ü. hat es wegen Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es Verfalls- und Einziehungsentscheidungen getroffen.
2
Die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten bleiben zum Schuld- und zum Strafausspruch sowie zu den Verfalls- und Einziehungsentscheidungen ohne Erfolg. Sie führen jedoch zur Aufhebung des Urteils, soweit die Nichtanordnung der Unterbringung in einen Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) betroffen ist. Wie die Revision mit Recht beanstandet, hat sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterzubringen sind, obwohl hierzu Anlass bestand.
3
Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte H. Ü. seit mehreren Jahren Cannabisprodukte sowie Amphetamin und Heroin, außerdem Diazepam und Rohypnol. Auch der wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringe Menge und wegen Besitzes von Amphetamin vorbestrafte Angeklagte A. Ü. konsumierte bereits seit mehreren Jahren Cannabisprodukte. Darüber hinaus verwendeten die beiden Angeklagten einen Teil der verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel zum Eigenkonsum. Zwar vermochte das Landgericht – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hinweist – keine genauen Angaben zu den Konsummengen der beiden Angeklagten treffen. Der Angeklagte H. Ü. hatte jedoch angegeben, vor seiner Inhaftierung täglich zwei Gramm Heroin konsumiert zu haben; der Angeklagte A. Ü. hatte bekundet, Marihuana und Amphetamin zu konsumieren, und hinzugefügt, dass sein Konsum größer als derjenige seines Bruders sei.
4
Bei dieser Sachlage hätte sich das Landgericht bezüglich beider Angeklagten zur näheren Erörterung der Frage gedrängt sehen müssen, ob die Voraussetzungen des § 64 StGB vorlagen.
5
Über die Frage der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist deshalb hinsichtlich beider Angeklagter neu zu befinden. Dass nur die Angeklagten Re- vision eingelegt haben, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es nicht. Der Senat schließt aus, dass die Strafen geringer ausgefallen wären, wenn das Landgericht die Maßregel angeordnet hätte. Fischer Appl Eschelbach Zeng Bartel

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 373/15
vom
5. November 2015
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2015:0511152STR373.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. November 2015 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 26. Mai 2015 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in elf Fällen, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Freisprechung im Übrigen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils zum Schuld- und Strafausspruch hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet hingegen durchgreifenden sachlich-rechtlichen Bedenken.
3
a) Nach den Feststellungen konsumierte der mehrfach vorbestrafte, heute 41 Jahre alte Angeklagte seit jungen Jahren Kokain und Speed sowie ab dem 15. Lebensjahr auch Heroin. Nach Antritt einer Jugendstrafe im Jahr 1993 nahm er kein Heroin mehr zu sich, jedoch konsumierte er weiterhin Kokain, Marihuana und Amphetamine. Der Angeklagte war in seinem Leben überwiegend ohne Beschäftigung. Zur Finanzierung seines Betäubungsmittelkonsums beging er auch Straftaten.
4
Im Jahr 2011 begann der Angeklagte erneut, Heroin zu konsumieren. Ab 2012 nahm er zusätzlich Methadon zu sich. Zur Finanzierung seines Konsums beging er Diebstähle und Einbruchsdiebstähle. Ab Mai 2012 begann er zudem, Heroin gewinnbringend weiter zu verkaufen und verübte die verfahrensgegenständlichen Taten. Ab Juni 2013 ließ sich der Angeklagte durch den Drogenersatzstoff Subutex subsituieren, um von seinem Heroinkonsum loszukommen. Zur Finanzierung seines Beikonsums von Kokain und anderen Betäubungsmitteln setzte er den verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittelhandel jedoch noch bis März 2014 fort.
5
Nach seiner Festnahme im März 2014 wurde der Angeklagte von der Haft verschont, erhielt jedoch die Weisung, eine elektronische Fußfessel zu tragen. Im Rahmen dessen standen ihm zunächst dreieinhalb Stunden zur täglichen freien Verfügung, später sechs Stunden. Bis zur Hauptverhandlung war es zu keinem Rückfall hinsichtlich des Konsums oder Handels von Betäubungsmitteln gekommen.
6
b) Die Strafkammer hat von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Aufgrund der Substitution bestehe bei ihm kein Hang mehr, Heroin zu sich zu nehmen. Soweit ein gegebenenfalls auf andere Betäubungsmittel bezogener Hang bestehe, fehle es an der erhöhten Wahrscheinlichkeit , dass der Angeklagte infolge dieses Hangs weitere Straftaten begehen werde, da er seit über einem Jahr nicht rückfällig geworden sei.
7
c) Die Ablehnung der Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB hat keinen Bestand. Die vom Landgericht getroffene Gefährlichkeitsprognose lässt die gebotene Würdigung aller für und gegen eine Rückfallgefahr maßgeblichen Umstände vermissen.
8
Zwar hat das Landgericht für die Prognose, ob die Gefahr, dass der Angeklagte infolge eines Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, zu Recht auf den Zeitpunkt der tatrichterlichen Hauptverhandlung abgestellt. Auch kann es gegen eine Gefährlichkeit sprechen, wenn ein Täter bis zu diesem Zeitpunkt über einen langen Zeitraum hinweg keine hangbedingte Straftat mehr begangen hat. Bestehen aber Anhaltspunkte in der Persönlichkeit des Täters, seinem bisherigen Rauschmittelkonsum (Zeiträume, Mengen, Stoffe), dem Vorleben , Vorstrafen, der Anlasstat oder seinem Nachtatverhalten, die demgegenüber für eine Rückfallgefahr sprechen, müssen diese in die anzustellende Gefahrenprognose eingestellt werden.
9
Dies hat das Landgericht vorliegend versäumt. Es hat schon den für eine Rückfallgefahr sprechenden Umstand nicht berücksichtigt, dass es sich bei dem Angeklagten um einen langjährigen Konsumenten verschiedener Betäubungsmittel handelte, der zur Finanzierung seines Konsums auch schon zahlreiche Straftaten begangen hat. Auch hat das Gericht nicht bedacht, dass der Angeklagte seit seiner Haftverschonung im März 2014 mit der Weisung belegt war, eine elektronische Fußfessel zu tragen, und er im Rahmen dessen seine Wohnung nur stundenweise verlassen konnte, weshalb dem Umstand, dass er in dieser Zeit - neben Subutex - weder Betäubungsmittel konsumiert noch mit ihnen gehandelt hat, möglicherweise nur eingeschränkte Aussagekraft zukommen kann.
10
Im Übrigen hätte sich das Landgericht zunächst damit auseinander setzen müssen, im Hinblick auf welche "berauschenden Mittel" ein Hang des Angeklagten besteht und welches Ausmaß diesem Hang zukommt, da beide Umstände in die Gefahrenprognose einzustellen gewesen wären. Daher durfte es das Landgericht nicht offen lassen, ob bei dem Angeklagten überhaupt ein Hang vorliegt. Insofern hat das Gericht bereits verkannt, dass nicht nur das vom Angeklagten zunächst konsumierte Heroin, sondern auch das später konsumierte Subutex ein berauschendes Mittel im Sinne des § 64 StGB ist (vgl. zu Methadon, Senat, Beschluss vom 27. Juni 2001 - 2 StR 204/01, Beschluss vom 5. Juli 2000 - 2 StR 87/00, NStZ-RR 2001, 12; BGH, Beschluss vom 18. Februar 1998 - 1 StR 17/98, NStZ 1998, 414).
11
2. Die Frage der Maßregelanordnung bedarf daher - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neuer Verhandlung und Entscheidung. Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich nicht, dass eine stationäre Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 S. 2 StGB).
12
Der Strafausspruch kann bestehen bleiben, da auszuschließen ist, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf niedrigere Einzelstrafen oder eine geringere Gesamtstrafe erkannt hätte.
13
Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung gemäß § 358 Abs. 2 StPO nicht. Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Appl Krehl RiBGH Dr. Eschelbach ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl Ott Bartel

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.