Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Apr. 2017 - 2 StR 346/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:200417B2STR346.16.0
bei uns veröffentlicht am20.04.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 346/16
vom
20. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:200417B2STR346.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 20. April 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 11. April 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Kompensationsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es im September und November 2007 zu zwei sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine da- mals 11-jährige Halbschwester S. . An einem Samstagmorgen Anfang September 2007 legte sich der Angeklagte in der Wohnung der Familie S. neben seine Halbschwester ins Bett, streichelte sie sodann unter der Bekleidung an der Brust und unter der Schlafanzughose und drang mit einem Finger in ihre Scheide ein.
3
An einem Samstagabend im November 2007 legte sich der Angeklagte erneut zu der Nebenklägerin ins Bett und streichelte sie. Anschließend zog er sie auf seinen Körper und fing an, sie und sich auszuziehen, zuerst die Oberteile , anschließend die jeweiligen Hosen. Nachdem er das Geschlechtsteil der Geschädigten gestreichelt hatte, "drückte er ihre Schulter nach oben, nahm Hüfte und Po in die Hand und drückte diese herunter", um sein Geschlechtsteil in ihre Scheide einführen zu können. Sodann vollzog er den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss.
4
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft des die Taten bestreitenden Angeklagten auf die Angaben seiner Halbschwester gestützt.

II.

5
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies zwingt zur Urteilsaufhebung. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an.
6
1. In Fällen, in denen "Aussage gegen Aussage" steht, ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 1 StR 700/13; Senat, Urteil vom 6. April 2016 – 2 StR 408/15; Beschluss vom 10. Januar 2017 – 2 StR 235/16, StV 2017, 367). Die Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 – 2 StR 351/14). Hierbei sind Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 – 2 StR 59/16, NStZ-RR 2016, 382; Beschluss vom 4. April 2017 – 2 StR 409/16).
7
2. Den hiernach an die Beweiswürdigung zu stellenden besonderen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
8
a) Das Landgericht hat seine Überzeugung auf die Aussage der Nebenklägerin gestützt und ausgeführt, dass deren Angaben ein hohes Maß an Konstanz aufwiesen. Als Beleg hat es während des zweiten Tatgeschehens gefallene Äußerungen und Angaben zu von ihr getragenen Kleidungsstücken und dem Ankleiden des Angeklagten nach dem zweiten Übergriff angeführt und im Übrigen darauf verwiesen, dass das Verschweigen des zweiten Tatvorwurfs in der ersten polizeilichen Vernehmung kein Ausdruck von Inkonstanz, sondern Folge einer "bewussten Aussagezurückhaltung" gewesen sei. Ausführungen zu Angaben der Nebenklägerin zum eigentlichen Tatgeschehen in den verschiedenen Vernehmungen und Befragungen finden sich in den Urteilsgründen – abgesehen davon, dass das Landgericht Erinnerungslücken der Nebenkläge- rin auch hinsichtlich des eigentlichen Tatgeschehens erwähnt – nicht.
9
Die Urteilsgründe enthalten damit schon keine zusammenhängende Darstellung der verschiedenen Aussagen der Nebenklägerin mit den zugehörigen Details, die eine Überprüfung der Aussagequalität und -konstanz hinsichtlich des jeweiligen Kerngeschehens ermöglichen. Die Erläuterung der Strafkammer, warum die Nebenklägerin in ihrer ersten Vernehmung keine Angaben zum zweiten Tatvorwurf gemacht habe und insoweit keine Inkonstanz vorliege, vermag einen vollständigen Überblick über die eigentlichen Aussagen zu den Tatvorwürfen nicht zu ersetzen. Angaben zu wenig tatspezifischen Erlebniswahrnehmungen , etwa zu einer bestimmten Schlafkleidung, erlauben dem Revisionsgericht insoweit keine zuverlässigen Rückschlüsse. Ohne Kenntnis der jeweiligen Angaben in den verschiedenen Befragungen ist dem Senat die Prüfung der für die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben sprechenden Aussagekonstanz und der sachverständigen Einschätzung, es handele sich um eine "unter aussageinhaltlichen Aspekten erstaunlich gut qualifizierbare Beschreibung von angeblichen Ereignissen, denen eine gewisse Vielgestaltigkeit und Variationsbreite zukäme", verwehrt.
10
Dies gilt auch mit Blick auf von der Nebenklägerin für sich in Anspruch genommene Erinnerungslücken, die aus Sicht der Kammer für die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage sprechen sollen, vor allem, weil eine solche Lücke sich unmittelbar auf das Kerngeschehen des ersten Übergriffs bezog. Auch insoweit wäre unerlässlich gewesen darzulegen, wie sich die Angaben der Nebenklägerin hierzu im Verlaufe des Verfahrens entwickelt haben, und anschließend zu erörtern, warum die den ersten Übergriff betreffenden Angaben in der Hauptverhandlung – sie habe sich entweder aus einem Reflex auf den Rücken gedreht , eventuell habe der Angeklagte sie auch herumgedreht – sich insoweit als (bloße) Erinnerungslücke und nicht etwa als gegenüber vorangegangenen Vernehmungen abweichende Aussage darstellen.
11
b) Die Strafkammer hat sich mit der Frage auseinander gesetzt, ob die Angaben der Nebenklägerin dazu gedient hätten, gezielt (wahrheitswidrig) gegen den Angeklagten vorzugehen. Sie hat diese Frage nachvollziehbar verneint und auf den Umstand verwiesen, dass sie die Tatvorwürfe "nur auf Druck ihrer besten Freundin sowie später auf Vorhalte des Vaters hin eröffnet" habe. Das Landgericht hat sich weiter zwar mit der Möglichkeit befasst, dass die Nebenklägerin von einer anderen Person zu einer wahrheitswidrigen Behauptung gedrängt worden sein könnte. Es hat diese Möglichkeit ausgeschlossen, weil insoweit allein die Eltern der Zeugin in Betracht zu ziehen seien, das denkbare Belastungsmotiv, ein mit dem Angeklagten gemeinsam ins Auge gefasster, im Jahre 2011 gescheiterter Hauskauf, aber nicht die bereits in den Jahren 2008/2009 liegende Eröffnung eines Übergriffs durch den Angeklagten ihrer Freundin A. gegenüber erklären könne.
12
Mit der aufgrund der Entstehungsgeschichte der Angaben jedenfalls denkbaren Alternative, die Nebenklägerin könne jeweils in einer momentanen Drucksituation unzutreffende Angaben zu Lasten des Angeklagten gemacht haben, die eine für sie unangenehme Lage beendeten, hat sich das Landgericht hingegen nicht befasst. Dies wäre aber erforderlich gewesen. Die ersten Angaben ihrer Freundin gegenüber, die nach ihren eigenen Angaben "sehr beharrlich und nervig" sein kann, erfolgten nach mehrfachem Nachfragen, was mit ihr los sei. Sie fielen kurz und knapp aus und beinhalteten eine "Lügengeschichte", wonach der Angeklagte sie abends wohl betrunken gemacht, sich in der Nacht an ihr vergangen und sie morgens Spermaflecken und Blut in ihrer Boxershort bemerkt habe. Ihr späterer Erklärungsversuch für diese unzutreffenden Angaben , sie habe das wahre Geschehen nicht erzählen wollen, damit ihre Freundin nicht noch mehr "ausraste", hätte für die Strafkammer Anlass sein müssen, sich mit der Plausibilität der nachträglichen Begründung auseinander zu setzen; dass die erfundene Geschichte ohne Weiteres geeignet gewesen wäre, für weniger Aufregung bei der Freundin A. zu sorgen, liegt jedenfalls nicht auf der Hand. Dabei hätte die Strafkammer auch in den Blick nehmen müssen, dass Ausgangspunkt der Angaben der Nebenklägerin eine von der Freundin herbeigeführte "Befragung" war, die der Nebenklägerin ersichtlich wenig ange- nehm war und die sie auf beharrliches Nachfragen offenbar nur durch eine "Lügengeschichte" (dies nach ihren Angaben freilich als Ersatz für einen tatsächlich stattgefundenen Übergriff) beenden konnte, um endlich Ruhe zu haben.
13
Eine Erörterung hätte um so mehr nahe gelegen, als auch die Offenbarung ihren Eltern gegenüber nicht in einer freiwillig von ihr herbeigeführten Aussagesituation erfolgte, sondern eine Reaktion auf einen von ihrem Vater ihr gegenüber erhobenen Vorwurf war. Dessen Frage, warum sie anders als seine Söhne so "asozial" sei, ließ sie weinend davon rennen. Der ihr gefolgten Mutter erklärte die Nebenklägerin auf die Frage, was los sei, der eine (Sohn) zocke den ganzen Tag, der andere packe kleine Kinder an. Dass bei dieser Entstehung des den Angeklagten belastenden Vorwurfs – wie die vom Landgericht gehörte Sachverständige meint – keine Anhaltspunkte für ein "gezieltes Vorgehen der Zeugin, etwa um sich mit falschen Schuldzuweisungen an dem Halbbruder für eigenes Fehlverhalten zu rechtfertigen", gegeben seien, hätte jedenfalls weiterer Erläuterung bedurft. Der Umstand, dass die Aussage "plötzlich und ungeplant im Raum gestanden habe, ohne von außen angeregt worden zu sein", schließt insoweit nicht die sich aus der Streit- und Vorwurfssituation ergebende Möglichkeit aus, die Nebenklägerin habe darauf spontan reagiert, um sich mit Blick auf die ihr vorgeworfene "Asozialität" zu ent- und die ihr vom Vater als "Vorbilder" vorgehaltenen Brüder mit unzutreffenden Angaben zu belasten. Das Landgericht hätte sich mit dieser Möglichkeit auch vor dem Hintergrund beschäftigen müssen, dass die Nebenklägerin von Anfang an gegen eine Anzeigenerstattung gewesen ist. Ein möglicher Grund hierfür könnte nämlich auch gewesen sein, eine aus der Situation heraus entstandene Falschbelastung des Bruders nicht weiter verfolgen zu wollen.
14
Die Sache bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung. Appl Krehl Eschelbach Zeng Bartel

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 7 0 0 / 1 3
vom
6. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Februar 2014 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
2
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussage- teils des Belastungszeugen herausstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Oktober 2000 – 1 StR 439/00, NStZ 2001, 161, 162).
4
b) Diesen besonderen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung nicht.
5
aa) Vorliegend handelt es sich um einen Fall, in dem zu der entscheidenden Frage, ob der Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin einvernehmlich erfolgte (wie der Angeklagte behauptet) oder vom Angeklagten erzwungen wurde (wie die Nebenklägerin behauptet), letztlich Aussage gegen Aussage steht (vgl. insoweit auch BGH, Beschluss vom 3. April 2002 – 3 StR 33/02, NStZ 2002, 494). Zudem hat die Nebenklägerin mehrfach nachweislich die Unwahrheit gesagt (beim Notruf, hinsichtlich ihres in der Wohnung aufhältlichen Bruders, zum Nachtatgeschehen) und dabei nicht nur wiederholt die Polizei, sondern auch das Gericht angelogen.
6
bb) Nicht einbezogen in die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Gesamtwürdigung hat die Kammer den Inhalt eines vom Angeklagten aufgezeichneten Streitgesprächs zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin , das nach den Feststellungen der Kammer nach dem anklagegegenständlichen Vorfall stattgefunden hat. In diesem Gespräch wirft die Nebenklägerin dem Angeklagten im Kern vor, er nutze sie aus, weil er das Geld, das er verdiene, seinen Verwandten schicke. Er solle seine Sachen holen und die Wohnung verlassen, sonst werde die Nebenklägerin ihn erstechen und dafür ins Gefängnis gehen. Wörtlich sagte die Nebenklägerin in diesem Zusammen- hang: „Ich bin so dumm, weil ich jedesMal, wenn du Sex haben willst, es dir auch gebe.“ Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte kurz zuvor die Neben- klägerin vergewaltigt haben soll, war dieser Inhalt des Streitgesprächs für die Beweiswürdigung ersichtlich von besonderem Belang und hätte deshalb in die Gesamtwürdigung einbezogen werden müssen.
7
cc) Soweit die Kammer meint, das Verletzungsbild bei dem Angeklagten lasse sich mit den Angaben der Nebenklägerin besser in Einklang bringen als mit der Einlassung des Angeklagten, ist dies nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Die Kammer findet es näherliegend, dass die Nebenklägerin – wie sie angibt – dem Angeklagten eine größere Kratzverletzung an der Brust unter seinem T-Shirt zugefügt hat, indem sie, als er zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs auf ihr lag, den Halsausschnitt seines T-Shirts nach unten gezogen und über den Halsausschnitt unter sein T-Shirt gefasst und ihn gekratzt habe. Demgegenüber sei fernerliegend, dass diese Verletzung – wie der Angeklagte behauptet – erst später entstanden sei, als sich beide in der Wohnung gegenüber gestanden hätten, denn dann hätte die Nebenklägerin dem ihr körperlich überlegenen Angeklagten unter das T-Shirt fassen müssen. Dabei erörtert die Kammer indes nicht die Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, sein Unterhemd sei kaputt gegangen, als ihn die Nebenklägerin aus dem Bett gezogen habe, und erst anschließend sei die Verletzung an seiner Brust erfolgt. Träfe die Einlassung des Angeklagten zu, hätte die Nebenklägerin zur Verursachung des Kratzers womöglich nicht unter ein T-Shirt des Angeklagten fassen müssen.
8
dd) Zu weiten Teilen der Einlassung des Angeklagten, eben auch zu der Frage, ob er – wie er behauptet – ein Unterhemd anhatte, das die Nebenklägerin kaputt gemacht hat, verhält sich das Urteil nicht. In den Urteilsgründen heißt es insoweit, dass die Kammer die Einlassung des Angeklagten zum Nachtatgeschehen zum Teil als unwiderleglich erachtet. Welche Teile der umfangreichen Einlassung des Angeklagten (mit Ausnahme des aufgezeichneten Telefonge- sprächs) dies sind, wird aus dem Urteil nicht hinreichend deutlich. Die Kammer teilt auch nicht für das Revisionsgericht nachvollziehbar mit, welchen Teilen der Einlassung des Angeklagten (mit Ausnahme des unmittelbaren Tatgeschehens) sie aus welchen Gründen keinen Glauben schenkt und sie für widerlegt erachtet.
9
ee) Nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind für den Senat in diesem Zusammenhang auch die Schlussfolgerungen, welche die Kammer aus dem Spurenbild an der Unterhose der Nebenklägerin gezogen hat. Einige der Spuren , die sich aus den im Urteil in Bezug genommenen Lichtbildern (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) ergeben, scheinen jedenfalls auf den ersten Blick nicht ohne weiteres mehr für die Schilderung der Nebenklägerin als für diejenige des Angeklagten zu sprechen.
10
ff) Hinzu kommt, dass das Landgericht die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Indizien jeweils eher isoliert in den Blick genommen hat. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers sowie der Glaubhaftigkeit seiner Angaben darf sich der Tatrichter indes nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen können, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt voneinander zu prüfen, um festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn nämlich jedes einzelne Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage aufkommen ließe, so kann doch eine Häufung von – jeweils für sich erklärbaren – Fragwürdigkeiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Tatvorwurfs führen (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2008 – 2 StR 394/08).
11
3. Die Gesamtwürdigung der Beweise, die für und gegen die Glaubhaftigkeit der Tatschilderungen der einzigen Belastungszeugin sprechen, erscheint daher insgesamt unvollständig und leidet unter Darstellungsmängeln. Die Sache bedarf deshalb neuer tatrichterlicher Prüfung. Angesichts der besonderen Umstände des Falls (mehrfache Falschangaben der Hauptbelastungszeugin) kann sich für das neue Tatgericht ausnahmsweise auch die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens anbieten (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 2003 – 2 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 87 f.).
Wahl Rothfuß Graf
Jäger Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 408/15
vom
6. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:060416U2STR408.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. April 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Ott, der Richter am Bundesgerichtshof Zeng,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt in der Verhandlung als Verteidiger,
Justizhauptsekretärin in der Verhandlung, Justizangestellte bei der Verkündung als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 15. Juni 2015 mit Ausnahme der Entscheidung über den Adhäsionsantrag mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs „eines leiblichen Kindes“ in sieben Fällen, davon in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit schwerem sexuellen Missbrauch eines Kindes unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Wegen eines weiteren Falls des sexuellen Missbrauchs eines „leiblichen Kindes“ hat es ihn zu einer Frei- heitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Daneben hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte im Sommer 2006 mit der Geschädigten, seiner 1997 geborenen Tochter, in der Abenddämmerung auf einen Waldspielplatz und band sie dort an ein Spielgerät. Anschließend entfernte er sich für 10-15 Minuten. Nach seiner Rückkehr forderte er sie auf, ihn sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies ablehnte, führte er sie immer tiefer in den Wald, wobei er ihr fortlaufend Angst machte. Als sich die Geschädigte schließlich bereit erklärte, seinem Ansinnen nachzukommen , ging er mit ihr zu seinem Auto zurück. Hier führte die Geschädigte auf Aufforderung ihres Vaters zunächst den Handverkehr und sodann den Oralverkehr bis zum Samenerguss an diesem durch. Der Angeklagte verpflichtete seine Tochter anschließend zur Geheimhaltung (Fall 1).
3
An einem Morgen rund vier Wochen später forderte der Angeklagte seine Tochter im häuslichen Wohnzimmer auf, ihn manuell zu befriedigen.Dem kam die Geschädigte nach und führte den Handverkehr an ihrem Vater bis zum Samenerguss durch (Fall 2). An einem Morgen in der Zeit vom 15. Januar 2008 bis zum 1. März 2009 ging die Geschädigte in das elterliche Schlafzimmer. Ihre Stiefmutter war aus nicht feststellbaren Gründen nicht anwesend und die Geschädigte wollte fragen, wann der Angeklagte aufstehen und Frühstück für sie und ihre Geschwister machen würde. Dem Wunsch des Angeklagten, zunächst den Handverkehr an ihm durchzuführen, kam die Geschädigte nach (Fall 3). Kurze Zeit nach dem 1. März 2009 bat der Angeklagte die damals 11jährige Geschädigte eines Abends erneut, ihn manuell zu befriedigen. Da die Geschädigte zunächst nicht wollte, wies der Angeklagte sie daraufhin, dass sie seiner Bitte, wenn sie ihn wirklich liebe, auch nachkommen solle. Daraufhin schloss er das Wohnzimmer ab und die Geschädigte führte den Handverkehr an ihm durch (Fall 4). Im Jahr 2010, als die Geschädigte 12 oder 13 Jahre alt war und sich ihre Stiefmutter für einige Tage im Krankenhaus aufhielt, wurde sie am Morgen von ihren Geschwistern in das elterliche Schlafzimmer geschickt, um nach dem Frühstück zu fragen. Auf Aufforderung des Angeklagten zog sie sich aus und setzte sich nackt auf seinen Penis, wobei er sich bis zum Samenerguss an ihr rieb und ihr währenddessen Zungenküsse gab (Fall 5). Zwischen dem 30. März 2011 und 30. Juni 2011 fragte die nunmehr 14jährige Geschädigte wiederum morgens nach dem Frühstück. Die Stiefmutter A. war bereits aufgestanden und fütterte draußen die Kaninchen. Die Geschädigte setzte sich nackt auf den Penis des Angeklagten, der sich an ihr rieb und dabei einen Finger in ihre Scheide einführte, was die Geschädigte schmerzte (Fall 6). Im gleichen Zeitraum betrat der Angeklagte an einem Tag, an dem alle anderen Familienmitglieder außer Haus waren, das Kinderzimmer der Geschädigten. Auf Geheiß des Angeklagten führte sie den Handverkehr an ihm durch (Fall 7). Circa 2-4 Wochen vor dem 21. Juni 2012 führte die Geschädigte anlässlich des morgendlichen Fragens nach dem Frühstück letztmalig den Handverkehr an dem Angeklagten durch (Fall 8).
4
Während des gesamten Tatzeitraums sprach die Geschädigte – außer einmal gegenüber ihrem Stiefbruder – mit niemanden über die Vorfälle. Sie fühlte sich aufgrund der Aufforderung des Angeklagten zur Geheimhaltung verpflichtet. Auch während einer zwischen 2009 bis Sommer 2012 durchgeführten Psychotherapie offenbarte sie sich nicht. Diese Behandlung bezog sich allein auf die Aufarbeitung der körperlichen Gewalt, die die Geschädigte von einer früheren Lebensgefährtin des Angeklagten erfahren hatte.
5
Am 21. Juni 2012 wurde die Geschädigte bei einem Ladendiebstahl erwischt. Als die Polizei sie heimbrachte, floh sie in den Wald, wo sie sich bis zum Abend aufhielt und sich mit einer Schere Ritzverletzungen beibrachte. Mit dem „Ritzen“ hatte sie schon einige Monate zuvor begonnen. Gegen Abend begab sie sich freiwillig und weinend zur Polizei. Dort berichtete sie zögerlich erstmals auch von den Missbrauchshandlungen, die mit einem Oralverkehr im Auto begonnen und zuletzt vor ca. 2 bis 4 Wochen stattgefunden hätten. Da sie nicht mehr nach Hause wollte und Suizidgedanken äußerte, wurde sie in der Kinderund Jugendpsychiatrie untergebracht. Dort wurde sie ermutigt, die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen. Am 11. Juli 2012 wurde sie erstmals polizeilich und im März 2013 richterlich vernommen. Im Februar 2014 erfolgte eine Befragung durch die Sachverständige.
6
Die Geschädigte lebt seit Sommer 2012 in einer Pflegefamilie. Sie hat den Realschulabschluss erreicht und strebt das Abitur an. Sie gibt sich erhebliche Mitschuld an dem Geschehen, weil sie mitgemacht habe, und hat ein schlechtes Gewissen gegenüber ihrer Stiefmutter A. , die sie sehr mochte.
7
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Es ist davon überzeugt, dass deren Angaben einem tatsächlichen Erleben entsprechen und glaubhaft sind.

II.

8
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
9
1. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) – sachlich -rechtlicher Überprüfung nicht stand.
10
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; BGH, Urteil vom 27. Juli 1994 – 3 StR 225/94, StV 1994, 580).
11
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen im Kern „Aussagegegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an die Tragfähigkeit einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; BGH, Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 18. Juni 1997 - 2 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 14; BGH, Beschluss vom 12. November 1998 – 4 StR 511/98, NStZ-RR 1999, 139). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der be- lastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656,657).
12
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter einem durchgreifenden Erörterungsmangel.
13
Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, von ihrem eigenen Fehlverhalten abzulenken. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Geschädigte im Alter von neun Jahren wahrheitswidrig behauptet hatte, entführt worden zu sein, als entdeckt worden war, dass sie einen unerlaubten Fahrradausflug gemacht hatte. Die Strafkammer hat das Ablenken von eigenem Fehlverhalten als Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass der Ladendiebstahl zum Zeitpunkt ihrer Offenbarung tatsächlich schon entdeckt war und nicht mehr verschleiert werden konnte. Ein Ablenkungsmotiv würde auch nur die Erstbezichtigung erklären, nicht aber, dass die Geschädigte um eines vergleichbaren geringfügigen Vorteils willen – anders als bei der Entführungsgeschichte , bei der sie ihre Lüge bald eingeräumt hatte – ihre Angaben über Jahre hinweg aufrechterhalten habe und in eine Pflegefamilie gewechselt sei. Im Übrigen habe die Geschädigte schon zuvor einem ihrer Stiefbrüder gegenüber offenbart, dass sie den Angeklagten auf dessen Wunsch befriedige.
14
Das Landgericht hat es jedoch versäumt, im Rahmen der Prüfung, ob die Geschädigte möglicherweise nur von eigenem Fehlverhalten ablenken wollte, sich auch damit auseinanderzusetzen, warum sie sich am 21. Juni 2013 ohne Weiteres gegenüber den Polizeibeamten offenbarte, wohingegen sie dazu ge- genüber ihrer Psychotherapeutin, die sie zwischen 2009 bis Sommer 2012 behandelt hatte, nicht bereit war. Zwar bezog sich die therapeutische Behandlung allein auf die Aufarbeitung der von der Geschädigten erlittenen körperlichen Gewalt. Allein aber der Hinweis der Strafkammer, die Geschädigte sei nicht bereit gewesen, dort ihre Missbrauchserfahrungen zu thematisieren, weil sie keinen Grund dafür gesehen habe, diese therapeutisch aufzuarbeiten und auch nicht gewusst habe, was es diesbezüglich zu erörtern gegeben haben solle, erklärt nicht, weshalb sie sich gegenüber den Polizeibeamten trotz der ihr vom Angeklagten auferlegten Geheimhaltungspflicht offenbaren konnte.
15
Ein Erörterungsmangel liegt letztlich aber auch darin, dass die Strafkammer sich nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, die nach ihrer Offenbarung am 21. Juni 2012 wegen Selbsttötungsabsicht in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war, dort „im weiteren Verlaufe der Behandlung dazu ermutigt [worden war], die Vorwürfe gegen ihren Vater nicht fallen zu lassen“. Offen bleibt schon, weshalb die Geschädigte überhaupt „ermutigt“ werden musste und inwiefern ein „fallen lassen“ der Vorwürfe zu besorgen war.
16
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der verfahrensrechtlich gebotenen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Die Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Senat, Urteil vom 28. November 2007 - 2 StR 477/07, BGHSt 52, 96, 98); Im Übrigen wird auf den Anfragebeschluss des Senats vom 8. Oktober 2014 (2 StR 137/14 und 337/14, NStZ-RR 2015, 382) verwiesen.
17
Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Nach den Feststellungen war die Vollstreckung der im Rahmen der Bildung der ersten Gesamtfreiheitsstrafe einbezogenen Freiheitsstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Melsungen vom 30. Juni 2011 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die dem Angeklagten hierbei auferlegte Bewährungsauflage der Ableistung von 100 Arbeitsstunden hatte dieser in der Folge umfassend erfüllt. Angesichts dieser Feststellungen hätte sich die Strafkammer gedrängt sehen müssen, die Voraussetzungen für eine Anrechnung auf Bewährungsauflagen erbrachter Leistungen gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 StGB i.V.m. § 56f Abs. 3 Satz 2 StGB zu prüfen und in den Urteilsgründen zu erörtern (vgl. Senat, Beschluss vom 7. März 2001 - 2 StR 43/01). Nach dieser Regelung sind Leistungen, die auf Bewährungsauflagen nach § 56b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 bis 4 StGB erbracht worden sind, entgegen der Auffassung des Landgerichts (vgl. UA S. 45) nicht bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen, sondern durch eine die Vollstreckung verkürzende Anrechnung auf die gebildete Gesamtfreiheitsstrafe auszugleichen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 1990 - 1 StR 283/89, BGHSt 36, 378, 381 ff.). Fischer Krehl Eschelbach Ott Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 235/16
vom
10. Januar 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100117B2STR235.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 1. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in jeweils fünf Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in weiteren fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. a) Der Angeklagte lebte seit dem Jahr 2006 zusammen mit seiner Lebensgefährtin und deren Kindern, u.a. mit der am 21. November 2000 geborenen Geschädigten, in einem gemeinsamen Haushalt. Am 7. August 2010 heirateten er und seine Lebensgefährtin.
4
Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2007 und dem 31. Dezember 2013 berührte der Angeklagte die Geschädigte an fünf verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen im Bereich der Brust, zog sich und dem Kind die Hose aus, manipulierte mit seiner Hand an der unbedeckten Vagina der Geschädigten und berührte sie mit seinem unbedeckten erigierten Glied. „In mehreren Fäl- len“ sagte die Geschädigte zum Angeklagten, „dass es weh tue und dass er das lassen solle. Das führte aber nicht dazu, dass die sexuellen Handlungen aufhör- ten“ (Fälle II. 1. bis 5. der Urteilsgründe).
5
Innerhalb des vorgenannten Zeitraums forderte der Angeklagte das Kind an weiteren vier verschiedenen nicht mehr feststellbaren Tagen dazu auf, an ihm den Oralverkehr zu vollziehen. Das Kind leistete den Aufforderungen Folge und nahm den Penis des Angeklagten in den Mund; in einem Fall kam es zum Samenerguss im Mund der Geschädigten, die das Ejakulat „unter“ einen Teppich spuckte. „In den anderen Fällen kam es außerhalb des Mundes des Kindes zur Ejakulation“ (Fälle II. 6. bis 9. der Urteilsgründe).
6
An einem nicht mehr feststellbaren Tag im Zeitraum zwischen dem 1. Dezember 2013 und dem 31. Januar 2014 vollzog der Angeklagte mit der Geschädigten den vaginalen Geschlechtsverkehr; dabei benutzte er ein Kondom. Zu der Geschädigten sagte er danach u.a., dass er sie liebe, es ihr „kleines Geheimnis“ sei und sie es niemandem verraten dürfe (Fall II. 10. der Urteilsgründe

).


7
b) Die Geschädigte offenbarte sich erstmals während ihrer Grundschulzeit , im März 2010, gegenüber einer Freundin, die ihrerseits davon der Hortleiterin erzählte. Die Geschädigte berichtete sodann auch der Hortleiterin und ei- ner weiteren Mitarbeiterin des Hortes „von den sexuellen Übergriffen“. Sodann wurde die Mutter der Geschädigten informiert, die mit ihrer Tochter ins Krankenhaus fuhr. Aufgrund der dort vorgenommenen körperlichen Untersuchungen konnten „sexuelle Übergriffe weder bestätigt noch widerlegt werden“.
8
Die Mutter der Geschädigten spiegelte dieser sodann vor, sie habe den Angeklagten einem Lügendetektortest unterzogen. Ihrer Tochter überreichte sie daraufhin einen Brief mit dem Ergebnis des vermeintlichen Testes, wonach der Angeklagte „100%-ig die Wahrheit gesagt“ und die Geschädigte gelogen habe. Zunächst blieb das Kind dabei, dass seine Angaben zu den sexuellen Übergriffen der Wahrheit entsprochen hätten; etwa zwei bis drei Wochen später, noch im Jahr 2010 vor der Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten, entschuldigte sich die Geschädigte bei dem Angeklagten.
9
In der Folgezeit traten zunehmend gesundheitliche, insbesondere psychische Probleme bei der Geschädigten auf. Sie unternahm Suizidversuche, „woraufhin es zu mehreren stationären Aufenthalten in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“ kam. Im Jahr 2013 offenbarte sich die Geschädigte einer weiteren Freundin. Der Angeklagte sei des Öfteren zu ihr ins Zimmer gekommen und habe sich nackt zu ihr ins Bett gelegt. Er sei dann mit seinem Glied an sie her- angerückt. Sie habe ihm „einen Blasen“ müssen und es habe auch Geschlechtsverkehr gegeben.
10
Wegen eines Antrags auf Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie kam im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 der von der Geschädigten „bereits in der Grundschulzeit offenbarte sexuelle Missbrauch zur Sprache“, woraufhin die Richterin die Staatsanwaltschaft informierte.
11
c) Die Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten auch sexuelle Übergriffe zum Nachteil seiner am 24. Januar 2009 geborenen leiblichen Tochter zur Last gelegt. Aufgrund des Ergebnisses einer aussagepsychologischen Begutachtung sei deren allgemeine Aussagetüchtigkeit „noch nicht gegeben“, so dass die Ju- gendkammer insoweit die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat.
12
2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung von dem festgestellten Tatgeschehen im Rahmen einer Gesamtwürdigung der erhobenen Beweise maßgeblich auf die Angaben der Geschädigten gestützt. Deren Angaben entsprächen einem tatsächlichen Erleben und seien glaubhaft.

II.

13
Die Revision des Angeklagten hat Erfolg.
14
1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten hält - auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. BGH, Urteil vom 18. September 2008 - 5 StR 224/08, NStZ 2009, 401, 402) - sachlichrechtlicher Überprüfung nicht stand.
15
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat, aaO).
Die revisionsgerichtliche Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16; weitere Nachweise bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 261 Rn. 3 und 38).
16
Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, besondere Anforderungen an dieDarlegung einer zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Urteil vom 3. Februar 1993 - 2 StR 531/92, BGHR StGB § 177 Abs. 1 Beweiswürdigung 15; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 30. August 2012 - 5 StR 394/12, NStZ-RR 2013, 19; Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002 - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657).
17
b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.
18
aa) Bereits die Feststellungen und Erwägungen zurAussageentstehung und -entwicklung, die für die Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014, 219), sind widersprüchlich und lückenhaft.
19
Zwar teilt das Urteil mit, dass sich die Geschädigte bereits im März 2010 ihrer damaligen Freundin offenbart habe. Nach Aussage dieser Zeugin sei zwar das Wort „Vergewaltigung“ nicht gefallen, es seien aber „konkrete Angaben“ zu sexuellen Handlungen (UA S. 7, 13) gewesen, die indes das Landgericht nicht weiter erläutert. An anderer Stelle des Urteils führt das Landgericht hingegen - widersprüchlich - aus, dass diese Zeugin sich in der Hauptverhandlung nicht mehr habe erinnern können, was genau die Geschädigte damals gesagt habe (UA S. 13).
20
Soweit Angaben der Geschädigten gegenüber weiteren Zeugen festgestellt sind, erscheinen diese Angaben gegenüber denjenigen der Geschädigten im Ermittlungsverfahren detailarm und kaum aussagekräftig. Deswegen ist der Schluss des Landgerichts, die Angaben der Geschädigten „zum Kern des Ge- schehens (seien) stets nachvollziehbar und widerspruchsfrei“ (UA S. 15), für den Senat nicht nachvollziehbar, zumal an anderer Stelle festgestellt ist, dass die Angaben der Geschädigten „teilweise widersprüchlich“ sind (UA S. 22). Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - zum Kerngeschehen Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).
21
bb) Das Landgericht hat zwar die Möglichkeit einer Falschbelastung des Angeklagten durch die Geschädigte erörtert. Es hat die Offenbarungssituation gewürdigt und erörtert, ob es der Geschädigten möglicherweise nur darum gegangen sein könnte, „bei ihrem leiblichen Vater wohnen zu können oder jeden- falls aus der Wohnung ihrer Mutter auszuziehen“ (UA S. 19), zumal die Ge- schädigte gegen eine Heirat ihrer Mutter mit dem Angeklagten gewesen sei. Das Landgericht hat das (mögliche) Motiv für eine Falschbelastung unter anderem mit der Erwägung ausgeschlossen, dass die Geschädigte das Ziel, aus der Wohnung der Mutter auszuziehen, zur Zeit der polizeilichen Vernehmung im Jahr 2014 bereits erreicht habe. Indes übersieht die Jugendkammer, dass sich die Geschädigte zum Zeitpunkt der Erstoffenbarung im März 2010 noch in einer anderen familiären Situation befand, insbesondere weil die Heirat, die erst im August 2010 erfolgte, noch ausstand. Bereits zu einem Zeitpunkt vor der Erstoffenbarung hat sie ihren leiblichen Vater zudem nicht nur regelmäßig besucht sondern „ihrer Mutter mehrfach gesagt, dasssie gerne bei ihrem leiblichen Vater wohnen möchte“ (UA S. 11).
22
Hinzu kommt, dass es - auch nach der Einlassung des Angeklagten - zwischen ihr und ihrem Stiefvater „seit dem Jahr 2008“ (UA S. 10) vermehrt zu Schwierigkeiten und daraus resultierenden Sanktionen gekommen ist. Dass sie „zu ihrer Mutter kein gutes Verhältnis gehabt“ (UA S. 21) habe, erläutert die Ju- gendkammer im Einzelnen nicht näher.
23
cc) Ein Erörterungsmangel liegt schließlich auch darin, dass das Landgericht sich nicht näher damit auseinandergesetzt hat, dass die Geschädigte, „in der Folgezeit“ (UA S. 5, 9) wegen Suizidversuchen mehrfach in die Kinder- und Jugendpsychiatrie eingewiesen worden war und der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs im Rahmen einer familiengerichtlichen Verhandlung im Juli 2014 wegen eines Antrags auf (erneute) Unterbringung der Geschädigten in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie von der Geschä- digten „zur Sprache“ kam. Offen bleibt schon, ab wann und welche psychischen Probleme bei der Geschädigten auftraten, wann, warum und von welcher Art die Suizidversuche gewesen sind, und wie lange die jeweiligen stationären Aufenthalte in der Kinder- und Jugendpsychiatrie dauerten. Inwieweit die jeweiligen Aussagen der Geschädigten, die zudem von einer Zeugin als Mädchen be- schrieben wird, das „immer habe auffallen wollen und Wert darauf gelegt habe, im Mittelpunkt zu stehen“ (UA S. 7) und auch „nicht immer die Wahrheit gesagt habe“ (UA S. 14), von diesen „psychischen Problemen“ bzw. von - ebenfalls nicht näher ausgeführten - „Verhaltensauffälligkeiten“ (UA S. 20) geprägt sein könnten, erschließt sich dem Senat mangels näherer Erörterung durch das Landgericht nicht.
24
2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Eschelbach Zeng ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Eschelbach Bartel Grube

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 3 5 1 / 1 4
vom
22. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. April
2015, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl
als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Eschelbach,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Richter am Bundesgerichtshof
Zeng,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 21. Mai 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine dagegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts lebte und arbeitete die Nebenklägerin T. als Kellnerin in B. . Den Vorschlag der ebenfalls als Kellnerin tätigen Zeugin Bo. , einer Freundin des Angeklagten, ebenso wie sie selbst gelegentlich in Deutschland der Prostitution nachzugehen, um mehr Geld zur Verfügung zu haben, wies die Nebenklägerin zurück.
3
Im Oktober 2011 reiste der Angeklagte mit seinen Begleiterinnen Kar. und Bo. nach Deutschland. In A. wohnten sie bei dem Barbetreiber Ü. , der Wohnungen u. a. an R. und B. vermietete , von denen einige der Prostitution nachgingen.
4
Zur gleichen Zeit berichtete der gesondert verfolgte Ka. in B. der Nebenklägerin wahrheitswidrig, in Deutschland eine Schwester zu haben, die ein Restaurant betreibe und gegen gute Bezahlung eine Kellnerin suche. Im Vertrauen darauf reiste die Nebenklägerin mit Ka. , der für sie die Reisekosten verauslagte, nach K. . Dort offenbarte ihr dieser, keine Schwester in Deutschland zu haben. Viemehr solle die Nebenklägerin, was mit dem Angeklagten abgesprochen sei, der Prostitution nachgehen. Der sich weigernden Nebenklägerin erklärte er, dass sie ihm jetzt Geld schulde, und er den Angeklagten verständigen werde. Wenig später erschien dieser mit seinen Begleiterinnen Bo. und Kar. in K. und verbrachte die Nebenklägerin in die Wohnung im Hause des Zeugen Ü. , die er dort bewohnte. Spätestens jetzt war der Angeklagte entschlossen, die Hilflosigkeit der lediglich bulgarisch und etwas russisch sprechenden Nebenklägerin, die darin bestand, dass sie in einem für sie fremden Land ohne Sprachkenntnisse, Geld, Arbeitsmöglichkeiten und Kontakte war, auszunutzen, um sie zu seinem finanziellen Vorteil in Deutschland der Prostitution zuzuführen. Ob der Zeuge Ka. und der Angeklagte zuvor vereinbart hatten, die Zeugin T. unter wahrheitswidrigen Angaben nach Deutschland zu lotsen, konnte die Kammer nicht feststellen.
5
Weil sich die Nebenklägerin zunächst weigerte, drohte er ihr damit, dass andernfalls "etwas Schlimmes" passieren würde. Gleichzeitig nahm er ihren Pass an sich, um sie an einer Flucht zu hindern. Zudem verlangte der Angeklagte , die Nebenklägerin müsse sich auf eine Beziehung zum Zeugen Ü. einlassen, der ihm dafür im Gegenzug seine bei diesem bestehenden Schulden erlassen werde. Die Nebenklägerin, die miterlebt hatte, wie der Angeklagte die Zeugin Bo. mehrfach geschlagen hatte, gehorchte aus Angst, zumal der Zeuge Ü. ihr gegenüber freundlich auftrat und ihr neben einem Mobiltelefon auch Münzen zur Verfügung stellte, um an den Automaten in seiner Bar zu spielen.
6
In der Zwischenzeit reiste Ka. wieder ab. Sein Angebot, mit nach B. zu kommen, lehnte die Nebenklägerin ab, da sie von Ka. , der ihr Vertrauen missbraucht hatte, keine Hilfe erwartete, sondern eine weitere Ausnutzung ihrer hilflosen Lage befürchtete.
7
Kurz darauf brachte der Angeklagte die Nebenklägerin zur Ausübung der Prostitution mit einer kurzen Unterbrechung nacheinander in zwei von dem Zeugen Ü. ausgewählte Bars. Er fuhr sie täglich zwischen 16 und 18 Uhr dorthin, um sie morgens zwischen 5 und 7 Uhr wieder abzuholen. Die Hälfte ihres Verdienstes musste die Nebenklägerin der Barfrau überlassen, die andere Hälfte dem Angeklagten. Um sicherzugehen, dass die Nebenklägerin arbeitete und um die Zahl der von ihr bedienten Freier zu kontrollieren, riefen der Angeklagte und Ü. die Nebenklägerin regelmäßig auf ihrem Mobiltelefon an. Da der Angeklagte mitunter der Meinung war, dass die Nebenklägerin nicht ausreichend Kunden bedienen bzw. heimlich Geld nach B. schicken würde, schlug er sie bei zwei Gelegenheiten in den Rücken, ohne dass dies zu sichtbaren Verletzungen führte.
8
Nachdem sich der Angeklagte Mitte Dezember 2011 mit dem Zeugen Ü. überworfen hatte und von diesem Repressalien fürchtete, kehrte er mit sei- nen Begleiterinnen Bo. und Kar. nach B. zurück. Das Angebot der beiden Frauen, mitzukommen, lehnte die Nebenklägerin ab, weil sie befürchtete, der Angeklagte würde ihr auf der Fahrt etwas antun und es deshalb das geringere Übel wäre, bei dem Zeugen Ü. zu bleiben, der sie allerdings in der Folgezeit nicht mehr zur Prostitution zwang. Im Februar 2012 gelang der Nebenklägerin die Flucht zu einer in Belgien lebenden Cousine.

II.

9
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.
10
1. Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung der Kammer hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatgerichts; der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt aber, ob dem Tatgericht dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2004, 238; 2005, 147, NJW 2006, 925, 928). In einem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung allein davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe zudem erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 1, 13 und 14). Aus den Urteilsgründen muss sich schließlich auch ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2, 11; Beweiswürdigung, unzureichende 1; BGH NStZ 2002, 48; NStZ-RR 2004, 238). Diesen Anforderungen genügt die landgerichtliche Beweiswürdigung nicht.
11
a) Das Landgericht hat die Verurteilung allein auf die Angaben der Nebenklägerin gestützt, die sie für glaubwürdig erachtet hat, weil sie den Sachverhalt - auch im Vergleich zu ihren Vernehmungen im Ermittlungsverfahren - durchgehend konstant, in sich widerspruchsfrei sowie auch insgesamt schlüssig und nachvollziehbar geschildert hatte. Nähere Einzelheiten hierzu - über die Mitteilung der landgerichtlichen Einschätzung hinaus - enthalten die Urteilsgründe nicht. Ohne Kenntnis aber von der Entstehungsgeschichte der Aussage und den Einzelheiten der Angaben der Zeugin im Ermittlungsverfahren kann der Senat, insbesondere in einem Fall, in dem dies wie in einer Aussage-gegenAussage -Konstellation besonders geboten ist, die Würdigung der den Angeklagten belastenden Aussage durch die Strafkammer nicht nachvollziehen.
12
b) Das Landgericht hat sich nach der knappen Würdigung der Angaben der Nebenklägerin mit einer Reihe von Umständen auseinandergesetzt, die der Überzeugungskraft ihrer Darlegungen entgegenstehen könnten. Es ist dabei zu der Überzeugung gelangt, dass etwa die Ablehnung des jeweiligen Angebots des Zeugen Ka. bzw. der Zeuginnen Bo. und Kar. , mit ihnen nach B. zurückzufahren, keinen Einfluss auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin hat, durch den Angeklagten (auch) mit Gewalt zur Prostitution gezwungen worden zu sein. Auch den Bekundungen der Zeugin Bo. , die berichtet hatte, die Nebenklägerin habe in ihrem Beisein angegeben , mit dem Zeugen Ka. nach Deutschland gekommen zu sein, um der Prostitution nachzugehen, hat sie keine Bedeutung für die Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin beigemessen.
13
Es mag dahinstehen, ob die Strafkammer jeden dieser Umstände mit tragfähiger Begründung als unbeachtlich angesehen hat. Jedenfalls fehlt es - über die isolierte Bewertung dieser Umstände hinaus - an einer umfassenden Gesamtwürdigung, bei der sämtliche für und gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstände gegeneinander hätten abgewogen werden müssen.
14
2. Diese Mängel der landgerichtlichen Beweiswürdigung führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass im Hinblick auf das Merkmal der auslandsspezifischen Hilflosigkeit der Umstand, dass die Nebenklägerin über ein Telefon verfügte und damit womöglich Hilfe hätte herbeirufen können, um ihren Aufenthalt in Deutschland zu beenden, gegebenenfalls der Erörterung bedarf.
Krehl Eschelbach Ott
Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 409/16
vom
4. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:040417B2STR409.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. April 2017 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 31. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit er verurteilt wurde. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen
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wegen Vergewaltigung in vier Fällen, sexueller Nötigung und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Außerdem hat es angeordnet, dass drei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe als bereits vollstreckt gelten. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachbeschwerde. Das Rechtsmittel ist begründet.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es ab dem Jahr 2007
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zu sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf seine Ehefrau, die Nebenklägerin. An einem nicht näher bestimmten Tag zwischen März 2007 und August 2011 waren der Angeklagte und die Nebenklägerin zunächst einvernehmlich intim. Der Angeklagte wünschte dann auch Oralverkehr, den seine Ehefrau ablehnte. Gegen ihren Willen drückte er ihre Beine auseinander und begann damit , an ihr den Oralverkehr durchzuführen. Den Versuch der Zeugin, sich aufzurichten , wehrte er ab, indem er sie mit den Händen nach hinten drückte. Er hielt sodann ihre Hände fest und drang mit seiner Zunge in ihre Vagina ein (Fall 5 der Anklageschrift). Im gleichen Zeitraum kam es mindestens bei einer Gelegenheit dazu,
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dass der Angeklagte die Hand der Nebenklägerin nahm und diese an sein Geschlechtsteil drückte. Sie versuchte, ihre Hand wegzuziehen, was ihr aber nicht gelang, weil der Angeklagte diese festhielt. Sodann rieb er mit der von ihm festgehaltenen Hand der Nebenklägerin bis zum Samenerguss an seinem Penis (Fall 4 der Anklageschrift). Etwa im Jahr 2008 fertigte der Angeklagte unbemerkt intime Fotos vom
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Genitalbereich der Nebenklägerin an. Als sie diese Fotos im März oder April 2009 auf der Kamera entdeckte und ihn darauf ansprach, warf er sie aus Wut gegen einen Türrahmen. Sie wurde dadurch für kurze Zeit bewusstlos (Fall 8 der Anklageschrift). In zumindest jeweils einem Fall ab dem Jahr 2010 drang der Angeklag5 te mit einem Finger und bei einer anderen Gelegenheit mit der ganzen Hand in die Vagina der Nebenklägerin ein. Als sie sich zu wehren versuchte, überwand er ihren Widerstand mit überlegener Kraft (Fälle 6 und 7 der Anklageschrift).
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An einem Tag um den 19. August 2011 wollte die Nebenklägerin nicht mit dem Angeklagten sexuell verkehren. Er kniete sich auf ihre Oberarme und führte seinen Penis in ihren Mund ein. Dabei hielt er den Kopf der Nebenklägerin mit einer Hand an ihren Haaren fest und stützte sich mit der anderen Hand am Bettrahmen ab. So erzwang er den Oralverkehr bis zum Samenerguss in ihr Gesicht (Fall 2 der Anklageschrift). Unmittelbar vor dem 40. Geburtstag der Nebenklägerin am 26. Mai
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2012 stieß der Angeklagte diese im Rahmen eines Streits mit Wucht gegen den Backofen in der Küche. Sie trug ein Hämatom davon (Fall 9 der Anklageschrift).

II.

Entgegen der Auffassung der Revision liegt kein Verfahrenshindernis
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vor. Die Tatumgrenzungsfunktion der Anklageschrift ist noch gewahrt. 1. Die Anklageschrift hat die Aufgabe, den Verfahrensgegenstand im
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Sinne von § 151 StPO zu kennzeichnen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 45; Urteil vom 29. Juli 1998 - 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 154 f.; Senat, Urteil vom 2. März 2011 - 2 StR 524/10, BGHSt 56, 183, 185). Sie bestimmt dadurch mittelbar auch den Umfang der Rechtskraft eines späteren Urteils und dient der Verhinderung einer Mehrfachverfolgung des Angeklagten wegen derselben Tat (Art. 103 Abs. 3 GG). § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO nennt Tatzeit und Tatort als Konkretisierungsmerkmale; jedoch stehen diese Merkmale nicht allein. Andere Umstände, insbesondere Einzelheiten der Tatbegehung, dienen ebenfalls der Tatkonkretisierung. Tatzeit und Tatort als Umgrenzungsmerkmale können dadurch ergänzt oder ersetzt werden. Ihr Fehlen oder ihre Unbestimmtheit ist nicht schon für sich genommen ein we- sentlicher Anklagemangel. Maßgeblich ist vielmehr, ob der historische Geschehensablauf mit der Gesamtheit der mitgeteilten Umgrenzungsmerkmale noch ausreichend gekennzeichnet ist. 2. Diesen Anforderungen genügt die Tatschilderung in der Anklage10 schrift noch ausreichend. Als Fall 5 der Anklageschrift wurde ein Fall des erzwungenen Oralver11 kehrs zum Gegenstand des Verfahrens gemacht, der sich durch Auseinanderdrücken der Beine der Ehefrau und Eindringen des Angeklagten mit der Zunge in ihre Vagina von anderen Taten unterscheidet. Insoweit ist er hinreichend konkretisiert, obwohl der in der Anklageschrift genannte Zeitraum, innerhalb dessen diese Tat begangen worden sein soll, sich über mehrere Jahre erstreckt. Der weitere Fall eines erzwungenen Oralverkehrs (Fall 2 der Anklageschrift ) lag nach dem Anklagesatz kurze Zeit vor dem 19. August 2011. Er ist durch die genauere Feststellung des Tatzeitpunkts und die andersartige Begehungsweise mit einem Eindringen mit dem Penis in den Mund der Nebenklägerin von anderen Taten abgegrenzt. Bei den Fällen des erzwungenen Handverkehrs (Fall 4 der Anklage12 schrift), des Einführens eines Fingers in die Scheide und des Einführens der ganzen Hand in die Vagina (Fälle 6 und 7 der Anklageschrift) handelt es sich um unterschiedliche Verhaltensweisen, die jeweils mehrfach vorgekommen sein können, aber im Zweifel zugunsten des Angeklagten als Einzelfälle zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden. Eine weitere Strafverfolgung wegen vergleichbarer Taten im beschriebenen Rahmen wird dadurch im Zweifel gemäß Art. 103 Abs. 3 GG ausgeschlossen. Die angeklagten und abgeurteilten Körperverletzungstaten sind durch
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die jeweilige Handlungsweise sowie durch den Tatanlass nach Entdeckung der intimen Fotos durch die Ehefrau (Fall 8 der Anklageschrift) beziehungsweise die Tatzeit „kurz vor dem 25.08.2012“ (Fall 9 der Anklageschrift) unterscheidbar dargestellt worden.

III.

Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlich-rechtlicher Über14 prüfung nicht stand. Dies zwingt zur Urteilsaufhebung, soweit der Angeklagte verurteilt wurde. Auf die erhobenen Verfahrensrügen kommt es danach nicht mehr an. 1. In Fällen, in denen „Aussage gegen Aussage“ steht, ist eine beson15 ders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 - 1 StR 700/13; Senat, Urteil vom 6. April 2016 - 2 StR 408/15 und Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16). Seine Urteilsgründe müssen erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. Senat, Urteil vom 22. April 2015 - 2 StR 351/14). Hierbei sind das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien in einer Gesamtschau zu bewerten (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Juli 2016 - 2 StR 59/16, NStZ-RR 2016, 382). 2. Den hiernach an die Beweiswürdigung zu stellenden besonderen An16 forderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte
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durch sein Verhalten verhindert, dass die Nebenklägerin nach Ende des Mut- terschutzes ihre Arbeit bei der Volksbank wieder aufnehmen konnte. Sie hatte weder eigenes Einkommen noch Einblick in die ehelichen Finanzen. Ihr war es „zunehmend peinlich“, dass sie den Angeklagten um Geld bitten musste, um neue Kleidung kaufen zu können. In den Phasen, in denen das eheliche Sexualleben ruhte, weil die Nebenklägerin nach der Geburt der Kinder sexuelle Handlungen ablehnte, unterhielt der Angeklagte außereheliche Beziehungen, wovon die Nebenklägerin erfuhr. Ab Mai 2013 hatte sie selbst eine Liebesbeziehung mit dem Zeugen L. aufgenommen und war zeitweilig mit diesem nach F. gezogen. Am 15. Juni 2013 hatte der Angeklagte das Pferd „D. “ verkauft, ohne mit der Nebenklägerin darüber gesprochen zu haben. Wegen des nicht näher erläuterten Geschehens in diesem Zusammenhang hatte sie gegen ihn Strafanzeige erstattet, wonach sie anschließend gefragt wurde, „ob noch etwas vorgefallen sei“. Erst dann hatte sie erstmals gegenüber den Ermittlungsbehörden von sexuellen Übergriffen des Angeklagten berichtet. Das Landgericht hat angenommen, die Aussagen der Nebenklägerin
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seien von so hoher Qualität, dass sie nicht in der Lage gewesen wäre, ihre Anschuldigungen so vorzutragen, wenn diese nicht erlebnisbasiert wären. Zudem sei Aussagekonstanz festzustellen. Soweit abweichende Angaben gemacht worden seien, beträfen diese nur Randgeschehen. Indem die Nebenklägerin von langem Duschen nach der Vergewaltigung gesprochen habe, habe sie über deliktstypisches Opferverhalten nach der Tat berichtet. Ihre Angaben dazu, dass auch einvernehmlicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe, seien teilweise entlastende Aussageelemente. Keine der strafbaren Handlungen sei von der Nebenklägerin dramatisierend beschrieben worden. Für eine Falschaussage habe kein Motiv vorgelegen. Ein mögliches Motiv, das alleinige Sorgerecht für die Kinder zu erhalten und den Angeklagten beruflich oder finanziell zu schädigen, würde völlig außer Verhältnis zu den massiven Tatvorwürfen stehen. Das Aussageverhalten der Nebenklägerin spreche nicht nur gegen eine „auswendig gelernte Falschaussage“, sondern auch gegen eine falsche Erinne- rung. Soweit die Nebenklägerin in der Kur erstmals einer „Präventologin“ von sexuellen Übergriffen ihres Ehemanns berichtet habe, sei eine Überlagerung ihrer Erinnerungen durch therapeutische Prozesse auszuschließen; dafür gebe es keine Anhaltspunkte. Damals sei die Nebenklägerin auch noch nicht endgültig zur Trennung von ihrem Ehemann entschlossen gewesen.
b) Diese Erwägungen sind lückenhaft.
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aa) Was die Nebenklägerin im Einzelnen im Vorverfahren und in der
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Hauptverhandlung ausgesagt hat, wird im Urteil nicht mitgeteilt. Daher kann die Annahme einer Aussagekonstanz, die erhebliche Beweisbedeutung haben soll, vom Senat nicht nachgeprüft werden. In Fällen, in denen Aussage gegen Aussage steht, muss auch eine Aussage der Geschädigten bei der Polizei in das Urteil mit aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts die rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung verwehrt ist (vgl. Senat, Beschluss vom 7. Juli 2014 - 2 StR 94/14, NStZ 2014, 667, 668). Das Landgericht hat die Angaben der Nebenklägerin bei der Polizei im Urteil jedoch nicht dargestellt. Die Mitteilung bereits des Anzeigenanlasses und der dabei gemachten
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Angaben wäre erforderlich gewesen, um nachvollziehen zu können, warum die Nebenklägerin ein Geschehen im Zusammenhang mit dem Verkauf des Pferdes zum Anlass für eine Strafanzeige genommen, aber die Sexualdelikte zu- nächst nicht erwähnt hat. Mit der „Erfahrung der Kammer“, dass Sexualstrafta- ten im Rahmen von Beziehungen oft erst spät zur Anzeige gebracht werden, ist dieser Ablauf nicht zu erklären. bb) Die Annahme des Landgerichts, die Aussagequalität sei derart
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hoch, dass die Nebenklägerin nicht in der Lage gewesen wäre, diese Angaben zu erfinden, ist in dieser Allgemeinheit nicht nachzuvollziehen. Der in zwei Varianten beschriebene Oralverkehr als „modus operandi“ erscheint nicht als derart komplexes Verhalten, dass eine unzutreffende Schilderung ohne Erlebnisbezug bereits wegen des Aussageinhalts ausgeschlossen wäre. Die wiederholte Wiedergabe eines solchen Geschehens lässt auch für sich genommen keine besondere Aussagekonstanz erkennen, zumal eine Vielzahl weiterer sexueller Übergriffe behauptet wurde, die von der Nebenklägerin nicht konkretisiert werden konnten. cc) Soweit das Landgericht darauf verwiesen hat, das sprunghafte Aus23 sageverhalten der Nebenklägerin spreche gegen eine auswendig gelernte oder aus anderer Quelle konstruierte Aussage, legt es einen Erfahrungssatz zugrunde , der nicht existiert. dd) Besondere Bedeutung kommt in der vorliegenden Fallkonstellation
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der Frage nach einem möglichen Motiv für falsche Angaben zu. Diese Frage hat das Landgericht nicht lückenlos beantwortet. Die Annahme, allein ein Interesse an der Erlangung des alleinigen Sor25 gerechts für die ehelichen Kinder oder ein Rachemotiv wegen ehelichen Fehlverhaltens des Angeklagten wäre wegen Unverhältnismäßigkeit nicht ausreichend , um ein Falschbelastungsmotiv der Nebenklägerin zu begründen, greift zu kurz. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass der Wunsch nach Erlangung des alleinigen Sorgerechts nicht ausreichend sein könnte, um eine Falschbelastungsmotivation zu entwickeln. Zudem wäre hier zu berücksichtigen , dass die Tochter der Nebenklägerin und des Angeklagten als derart stark belastet beschrieben wurde, dass sie Selbstmordgedanken geäußert habe. Daraus könnte sich ein verstärktes Interesse der Nebenklägerin an der Erlangung des alleinigen Sorgerechts ergeben haben.
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Schließlich steht dieses Interesse nicht allein. Es könnten zugleich finanzielle Interessen der Nebenklägerin angesichts der Tatsache, dass sie nicht über eigene Einkünfte verfügt, mit zu berücksichtigen sein. Ferner könnte Verärgerung der Nebenklägerin wegen der außerehelichen Beziehungen des Angeklagten eine ergänzende Rolle gespielt haben. Das Zusammentreffen mehrerer Gründe für eine unzutreffende Belastung des Angeklagten könnte dem Motivbündel ausreichendes Gewicht verliehen haben. ee) Der neue Tatrichter wird auch den Ursprung der Belastung des An27 geklagten durch Erstoffenbarung gegenüber der „Präventologin“ näher zu prü- fen haben. Der Hinweis auf das Fehlen bekannter Anhaltspunkte für einen sugges28 tiven Einfluss reicht nicht aus, wenn der Anlass, der Gegenstand sowie die Art und Weise der therapeutischen Maßnahmen nicht mitgeteilt werden und das Urteil offenlässt, wie sich die Nebenklägerin dabei geäußert hat (vgl. zur möglichen aussagepsychologischen Bedeutung therapeutischer Maßnahmen Senat, Urteil vom 20. Mai 2015 - 2 StR 455/14, StV 2017, 9, 10; Köhnken in Müller /Schlothauer [Hrsg.], Münchener Anwaltshandbuch Strafverteidigung, 2. Aufl., § 61 Rn. 24; Mack, Kriminalistik 2014, 459, 461; Steller, NJWSonderheft für G. Schäfer, 2002, S. 69, 70; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S. 105 ff.). Die Überlegung, die Nebenklägerin sei zu jener Zeit noch nicht endgültig zur Trennung vom Angeklagten entschlossen gewesen , überbrückt diese Lücke nicht ausreichend, da die Nebenklägerin seit ihrer Kur jedenfalls schon eine außereheliche Beziehung gepflegt hat. Appl Krehl Eschelbach Zeng Grube