Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2019 - 2 StR 208/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung , Nötigung in zwei Fällen, Anstiftung zum Diebstahl in 22 Fällen und wegen Diebstahls unter Auflösung einer Gesamtstrafe und Einbeziehung der darin enthaltenen Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
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- 1. Nach den Urteilsfeststellungen lebten der Angeklagte und seine Lebensgefährtin von Juni 2015 bis Anfang September 2015 in der Wohnung des Zeugen B. . Auch danach behielt der Angeklagte weiterhin einen Schlüs- sel zur Wohnung des Zeugen und war in ständigem Kontakt mit ihm. In der Zeit von August 2015 bis Oktober 2016 kam es zu den abgeurteilten Straftaten, die vor allem darauf zielten, Zugriff auf Konten des Zeugen zu bekommen bzw. zu behalten (Fälle II. 1 und 2 der Urteilsgründe), ihn unter Einsatz von Gewalt zur Zahlung von Geld zu veranlassen (Fälle II. 25 und 26 der Urteilsgründe) und ihn zur Begehung von Diebstählen anzustiften, deren Beute jedenfalls auch dem Angeklagten zugute kam (Fälle II. 3 bis 24 der Urteilsgründe).
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- 2. Die Verurteilung des zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
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- a) Die Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatrichters, dem es obliegt , das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 – 3 StR 404/16, StV 2018, 195).
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- b) So liegt es hier; die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Denn den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass das Tatgericht alle Umstände, die geeignet waren, seine Entscheidung zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat. Dies ist insbesondere dann unabdingbar, wenn der Tatrichter – wie vorliegend – seine Feststellungen zum Tatkerngeschehen allein oder im Wesentlichen auf die Angaben des (vermeintlichen ) Tatopfers stützt und daher seine Urteilsfindung maßgeblich von der Beantwortung der Frage abhängt, ob diesem zu glauben ist oder nicht. Hat der einzige Belastungszeuge zudem weitere Straftaten behauptet, von denen sich das Gericht nicht zu überzeugen vermag, so gewinnt das in diesem Rahmen besondere Bedeutung und bedarf näherer Erörterung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 – 3 StR 289/13; Beschluss vom 21. Februar 2017 – 3 StR 404/16, StV 2018, 195).
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- Dem Angeklagten waren mit der zugelassenen Anklage weitere Straftaten einer räuberischen Erpressung des Computerbetruges und einer Nötigung vorgeworfen worden. Von diesen Vorwürfen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf Ausführungen zu den Gründen hierfür hat die Strafkammer gemäß § 267 Abs. 5 StPO verzichtet. Dies begegnet im vorliegenden Fall durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- Das Landgericht hätte in der zugrunde liegenden Konstellation erörtern müssen, welche Umstände zum Freispruch aus tatsächlichen Gründen geführt haben. Der von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Anklageschrift lässt sich entnehmen, dass es sich bei den Anklagevorwürfen um Straftaten handelt, deren Opfer ebenfalls der Zeuge B. gewesen sein soll und die auf dessen Angaben beruhen. Dass die Strafkammer insoweit nicht zur Verurteilung gelangt ist, legt es nahe oder lässt es jedenfalls als möglich erscheinen, dass sie belastenden Angaben des Zeugen in der Hauptverhandlung nicht gefolgt ist oder dieser den Angeklagten belastende Angaben aus dem Ermittlungsverfahren – wie auch in den Fällen II. 25 und 26 der Urteilsgründe – in der Hauptverhandlung nicht wiederholt hat und sich die Strafkammer insoweit gehindert gesehen hat, eine Verurteilung auf Angaben aus dem Ermittlungsverfahren zu stützen. In beiden Konstellationen ist zu besorgen, dass das Landgericht den Angaben des Zeugen B. in den freigesprochenen Fällen letztlichkeinen Glauben geschenkt hat, ohne zu erkennen, dass sich daraus Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben auch hinsichtlich der zur Verurteilung gelangten Fälle ergeben konnten.
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- c) Auf diesem Erörterungsmangel beruht das angefochtene Urteil, denn der Senat vermag angesichts der dargelegten Beweiskonstellation trotz der ansonsten umfänglichen Würdigung der Aussage des Zeugen B. (UA S. 22-50) nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn es die Gründe für den Teilfreispruch in seine Beweiserwägungen miteinbezogen hätte.
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- 3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat für den Fall, dass das neu zur Entscheidung berufene Landgericht wiederum zu einer Verurteilung in den Fällen II. 25 und 26 der Urteilsgründe gelangen sollte, vorsorglich darauf hin, dass die Frage des Rücktritts insbesondere im Fall II. 26 der Urteilsgründe sorgfältigerer Erörterung bedarf. Dass insoweit von einem beendeten Versuch auszugehen ist, obwohl der Angeklagte erkannt hatte, dass sein erster Erpressungsversuch aus dem September 2016 nicht zum Erfolg geführt hatte, versteht sich nicht von selbst. Im Übrigen wird zu bedenken sein, ob die beiden Erpressungsversuche in den genannten Fällen nicht als eine Tat anzusehen sind. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte Anfang Oktober 2016 seiner unberechtigten Geldforderung „nochmals Nachdruck verlieh“, indem er den Geschädigten mit der Faust gegen das Jochbein boxte. Verstünde man – wie offenbar auch das Landgericht – die zweite Tat als in die gleiche Richtung zielende Fortsetzung der ersten, wären weder der Umstand, dass die Taten an verschiedenen Orten begangen worden sind, noch ihr zeitliches Auseinanderfallen ohne Weiteres geeignet, Tatmehrheit zu begründen (vgl. zu einem vergleichbaren Fall sukzessiver Tatbegehung BGH, Beschluss vom 22. November 2011 – 4 StR 480/11, StV 2012, 283).
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wird der Angeklagte verurteilt, so müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden. Soweit der Beweis aus anderen Tatsachen gefolgert wird, sollen auch diese Tatsachen angegeben werden. Auf Abbildungen, die sich bei den Akten befinden, kann hierbei wegen der Einzelheiten verwiesen werden.
(2) Waren in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet worden, welche die Strafbarkeit ausschließen, vermindern oder erhöhen, so müssen die Urteilsgründe sich darüber aussprechen, ob diese Umstände für festgestellt oder für nicht festgestellt erachtet werden.
(3) Die Gründe des Strafurteils müssen ferner das zur Anwendung gebrachte Strafgesetz bezeichnen und die Umstände anführen, die für die Zumessung der Strafe bestimmend gewesen sind. Macht das Strafgesetz Milderungen von dem Vorliegen minder schwerer Fälle abhängig, so müssen die Urteilsgründe ergeben, weshalb diese Umstände angenommen oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen verneint werden; dies gilt entsprechend für die Verhängung einer Freiheitsstrafe in den Fällen des § 47 des Strafgesetzbuches. Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen nach dem Strafgesetz in der Regel ein solcher Fall vorliegt; liegen diese Voraussetzungen nicht vor, wird aber gleichwohl ein besonders schwerer Fall angenommen, so gilt Satz 2 entsprechend. Die Urteilsgründe müssen ferner ergeben, weshalb die Strafe zur Bewährung ausgesetzt oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht ausgesetzt worden ist; dies gilt entsprechend für die Verwarnung mit Strafvorbehalt und das Absehen von Strafe. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist auch dies in den Urteilsgründen anzugeben.
(4) Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so müssen die erwiesenen Tatsachen, in denen die gesetzlichen Merkmale der Straftat gefunden werden, und das angewendete Strafgesetz angegeben werden; bei Urteilen, die nur auf Geldstrafe lauten oder neben einer Geldstrafe ein Fahrverbot oder die Entziehung der Fahrerlaubnis und damit zusammen die Einziehung des Führerscheins anordnen, oder bei Verwarnungen mit Strafvorbehalt kann hierbei auf den zugelassenen Anklagesatz, auf die Anklage gemäß § 418 Abs. 3 Satz 2 oder den Strafbefehl sowie den Strafbefehlsantrag verwiesen werden. Absatz 3 Satz 5 gilt entsprechend. Den weiteren Inhalt der Urteilsgründe bestimmt das Gericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nach seinem Ermessen. Die Urteilsgründe können innerhalb der in § 275 Abs. 1 Satz 2 vorgesehenen Frist ergänzt werden, wenn gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt wird.
(5) Wird der Angeklagte freigesprochen, so müssen die Urteilsgründe ergeben, ob der Angeklagte für nicht überführt oder ob und aus welchen Gründen die für erwiesen angenommene Tat für nicht strafbar erachtet worden ist. Verzichten alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel oder wird innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt, so braucht nur angegeben zu werden, ob die dem Angeklagten zur Last gelegte Straftat aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht festgestellt worden ist. Absatz 4 Satz 4 ist anzuwenden.
(6) Die Urteilsgründe müssen auch ergeben, weshalb eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet, eine Entscheidung über die Sicherungsverwahrung vorbehalten oder einem in der Verhandlung gestellten Antrag entgegen nicht angeordnet oder nicht vorbehalten worden ist. Ist die Fahrerlaubnis nicht entzogen oder eine Sperre nach § 69a Abs. 1 Satz 3 des Strafgesetzbuches nicht angeordnet worden, obwohl dies nach der Art der Straftat in Betracht kam, so müssen die Urteilsgründe stets ergeben, weshalb die Maßregel nicht angeordnet worden ist.