Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Jan. 2020 - 2 StR 355/19

bei uns veröffentlicht am09.01.2020
vorgehend
Landgericht Neubrandenburg, 833 , s 23090/18

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 355/19
vom
9. Januar 2020
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
ECLI:DE:BGH:2020:090120B2STR355.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Januar 2020 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 5. April 2019 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit er verurteilt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie sichergestelltes Marihuana eingezogen. Von dem Vorwurf des bandenmäßigen Handeltreibens in vier weiteren Fällen hat es ihn „aus tatsächlichen Gründen“ freigesprochen. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat auf die Sachrüge hin Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen war der Angeklagte mit den bereits rechtskräftig verurteilten Rauschgifthändlern M. und Ma. befreundet.
3
Anfang 2018 machte der Angeklagte, ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr , M. mit dem in seiner Bundeswehreinheit tätigen, gesondert verfolgten K. , einem Mitglied der sog. „Rheinsberg Connection“ bekannt, um die Möglichkeit gemeinsamer Betäubungsmittelgeschäfte auszuloten. Am 14. Februar 2018 übernahm die gesondert verfolgte Mar. im Auftrag des M. von einer unbekannten Person 1 kg Marihuana, das später von Ma. abgeholt wurde (Fall 1).
4
Am 15. April 2018 fuhren die gesondert verfolgten Mar. und W. im Auftrag des M. nach Rheinsberg, wo sie 6.000 Euro für die vorangegangene Lieferung vom 14. Februar 2018 überbrachten und gleichzeitig weiter 10 kg Marihuana von einer unbekannten Person, die sie mit „Ku. “ (dem Namen des Angeklagten) ansprach, übernahmen. In der Folgezeit wurden die bei Mar. gelagerten Betäubungsmittel von M. und dem Angeklagten teilweise entnommen und weitergegeben. Am 18. Juni 2018 wurden auf dem allgemein zugänglichen Grundstück der Mutter des Angeklagten bei einer Durchsuchung 934,26 Gramm Marihuana mit einem THCAnteil von 133 Gramm sichergestellt. Bei der Durchsuchung bei den gesondert verfolgten Mar. und W. am 21. Juni 2018 wurden 4.070 Gramm Marihuana , 120,8 Gramm Amphetamin sowie Arzneimittel und Muskelaufbaupräparate sichergestellt (Fall 2).
5
Bereits am 21. April 2018 hatte Mar. im Auftrag M. s 1 kg Marihuana für 3.600 Euro, 1 kg Amphetamin und eine unbekannte Menge eines Testosteronpräparates von einem Hamburger Lieferanten übernommen. Dabei hatte der Angeklagte Mar. per WhatsApp-Sprachnachrichten zu dem Übergabeort, einer Aral-Tankstelle, navigiert (Fall 3).
6
Am 4. Mai 2018 übernahm W. in Rheinsberg 10 kg Marihuana, die für M. bestimmt waren. Dieses Geschäft hatte derAngeklagte am 2. Mai 2018 mit dem gesondert verfolgten K. „angeschoben“ , bevor er noch am selben Tage für zweieinhalb Wochen zu einer Bundeswehrübung nach Estland verreiste. Am 17. Juni 2018 fuhr der Angeklagte im Auftrag des M. in Begleitung des Ma. zu K. und übergab diesem einen Briefumschlag mit 3.600 Euro als Bezahlung für die Lieferung vom 4. Mai 2018 (Fall 4).

II.

7
Die Verurteilung des die Tatvorwürfe bestreitenden Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
8
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschluss vom 4. Dezember 2019 – 2 StR 208/19).
9
2. So liegt es hier; die Beweiswürdigung ist lückenhaft.
10
a) Das Landgericht stützt seine Überzeugungsbildung von der Beteiligung des Angeklagten auf belastende Angaben der beiden Haupttäter M.
und Ma. in der gegen diese geführten Hauptverhandlung. WährendM. und Ma. auf der Grundlage einer Verständigung gemäß § 257c StPO verurteilt wurden, war das Verfahren gegen den Angeklagten, der jegliche Tatbeteiligung bestritten hatte, abgetrennt worden. Weil die beiden Haupttäter ebenso wie weitere Zeugen, deren Bekundungen ebenfalls nicht wiedergegeben werden, in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten nunmehr von ihren früheren, diesen belastende Angaben abgerückt sind, hat die Strafkammer den Berichterstatter des vorangegangenen Strafverfahrens als Zeugen vernommen.
11
Hängt – wie hier – die Überzeugung von der Täterschaft eines bestreitenden Angeklagten entscheidend von der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben eines Mittäters ab, muss der Tatrichter die für die Richtigkeit der Angaben der Belastungszeugen sprechenden Gesichtspunkte umfassend prüfen, würdigen und diese im Urteil deutlich machen. Dabei sind erhöhte Anforderungen an die Sorgfältigkeit und Vollständigkeit der vorzunehmenden Gesamtwürdigung zu stellen, wenn die belastenden Angaben – wie hier – nur mittelbar über eine Vernehmungsperson in die Hauptverhandlung eingeführt werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 22. September 2011 – 2 StR 263/11, NStZ-RR 2012, 52, 53; vom 11. November 1987 – 2 StR 575/87, BGHR StPO § 261 Zeuge 2).
12
Diesen Anforderungen genügen die knappen Ausführungen des Landgerichts nicht. Es fehlt bereits an einer ausreichenden Darstellung der durch die Vernehmung des Berichterstatters in die Hauptverhandlung eingeführten Aussagen der bereits Verurteilten M. und Ma. . Hier wäre es aber – insbesonderevor dem Hintergrund des § 31 BtMG und einer in der früheren Hauptverhandlung gemäß § 257c StPO getroffenen Verständigung – erforderlich gewesen, den näheren Inhalt der den Angeklagten belastenden Aussagen und die Umstände ihrer Entstehung darzustellen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2009 – 4 StR 174/09, NStZ 2010, 228).
13
b) Auch im Übrigen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unter mehreren Gesichtspunkten lückenhaft.
14
So wird nicht erörtert und beweiswürdigend belegt, durch welchen konkreten Tatbeitrag der Angeklagte in den Fällen 1 und 2 der Urteilsgründe die jeweiligen Betäubungsmittelgeschäfte gefördert hat. Im Fall 4 bleibt offen, auf welcher Grundlage sich die Strafkammer die Überzeugung gebildet hat, der Angeklagte habe am 2. Mai 2018 das Geschäft mit K. „angescho- ben“. Soweit die Strafkammer davon ausgeht, der Angeklagte habe am 17. Juni 2018 durch Übergabe eines Briefumschlages mit 3.600 Euro die Lieferung der 10 kg Marihuana vom 4. Mai 2018 bezahlen wollen, hätte dies angesichts eines Grammpreises von dann nur 36 Cent näherer Erklärung bedurft.
15
c) Schließlich wäre zu erläutern gewesen, warum das Landgericht den Angeklagten auf der Grundlage früherer Einlassungen der Haupttäter M. und Ma. in vier Fällen verurteilt, in vier weiteren gleichgelagerten Fällen aber aus „tatsächlichen Gründen“ freigesprochen hat.
16
Dem Angeklagten waren mit der zugelassenen Anklage vier weitere Betäubungsmittelstraftaten im Zusammenwirken mit M. und Ma. vorgeworfen worden. Das Landgericht hätte in dieser Konstellation erörtern müssen, welche Umstände zum Freispruch aus tatsächlichen Gründen geführt haben. Dass die Strafkammer insoweit nicht zur Verurteilung gelangt ist, legt es nahe, dass sie den belastenden Angaben der beiden Haupttäter in dem früheren Verfahren hinsichtlich der Freispruchsfälle nicht gefolgt ist. Daraus könnten sich jedoch auch Zweifel an der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben hinsichtlich der zur Verurteilung gelangten Fälle ergeben.

III.

17
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat für den Fall, dass der neue Tatrichter wieder eine Beteiligung des Angeklagten an den Betäubungsmittelgeschäften feststellen sollte, darauf hin, dass – weil für den Schuldumfang und damit für die Strafzumessung bedeutsam – Feststellungen zum Mindestwirkstoffgehalt der gehandelten Betäubungsmittel zu treffen sein werden. Soweit die Betäubungsmittel teilweise nicht sichergestellt wurden und deshalb für eine Untersuchung nicht zur Verfügung stehen, muss das Tatgericht unter Berücksichtigung hinreichend sicher festgestellter Tatumstände (z. B. Herkunft, Preis, Beurteilung durch die Tatbeteiligten) und des Grundsatzes „in dubio pro reo“ die für den Angeklagten günstigste Wirkstoffkonzentration und Betäu- bungsmittelqualität durch eine „Schätzung“ bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 – 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247, 248).
18
Gegebenenfalls wird der neue Tatrichter auch zu bedenken haben, dass die Bezahlung von zuvor „auf Kommission“ gelieferten Betäubungsmitteln bei gleichzeitiger Entgegennahme einer neuen Lieferung die beiden Betäubungsmittelgeschäfte zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit verbindet (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17, BGHSt 63, 1 ff.).
Franke Appl Zeng Grube Schmidt

Vorinstanz:
Neubrandenburg, LG, 05.04.2019 - 833 Js 23090/18 22 KLs 16/18

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafprozeßordnung - StPO | § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten


(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

Betäubungsmittelgesetz - BtMG 1981 | § 31 Strafmilderung oder Absehen von Strafe


Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter1.durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich d

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 208/19
vom
4. Dezember 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter (schwerer) räuberischer Erpressung u. a.
ECLI:DE:BGH:2019:041219B2STR208.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. Dezember 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 4. Januar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit er verurteilt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung , versuchter räuberischer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung , Nötigung in zwei Fällen, Anstiftung zum Diebstahl in 22 Fällen und wegen Diebstahls unter Auflösung einer Gesamtstrafe und Einbeziehung der darin enthaltenen Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
2
1. Nach den Urteilsfeststellungen lebten der Angeklagte und seine Lebensgefährtin von Juni 2015 bis Anfang September 2015 in der Wohnung des Zeugen B. . Auch danach behielt der Angeklagte weiterhin einen Schlüs- sel zur Wohnung des Zeugen und war in ständigem Kontakt mit ihm. In der Zeit von August 2015 bis Oktober 2016 kam es zu den abgeurteilten Straftaten, die vor allem darauf zielten, Zugriff auf Konten des Zeugen zu bekommen bzw. zu behalten (Fälle II. 1 und 2 der Urteilsgründe), ihn unter Einsatz von Gewalt zur Zahlung von Geld zu veranlassen (Fälle II. 25 und 26 der Urteilsgründe) und ihn zur Begehung von Diebstählen anzustiften, deren Beute jedenfalls auch dem Angeklagten zugute kam (Fälle II. 3 bis 24 der Urteilsgründe).
3
2. Die Verurteilung des zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
4
a) Die Beweiswürdigung ist allerdings Sache des Tatrichters, dem es obliegt , das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Die revisionsgerichtliche Überprüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist etwa der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2017 – 3 StR 404/16, StV 2018, 195).
5
b) So liegt es hier; die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft. Denn den Urteilsgründen kann nicht entnommen werden, dass das Tatgericht alle Umstände, die geeignet waren, seine Entscheidung zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen miteinbezogen hat. Dies ist insbesondere dann unabdingbar, wenn der Tatrichter – wie vorliegend – seine Feststellungen zum Tatkerngeschehen allein oder im Wesentlichen auf die Angaben des (vermeintlichen ) Tatopfers stützt und daher seine Urteilsfindung maßgeblich von der Beantwortung der Frage abhängt, ob diesem zu glauben ist oder nicht. Hat der einzige Belastungszeuge zudem weitere Straftaten behauptet, von denen sich das Gericht nicht zu überzeugen vermag, so gewinnt das in diesem Rahmen besondere Bedeutung und bedarf näherer Erörterung (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar 2014 – 3 StR 289/13; Beschluss vom 21. Februar 2017 – 3 StR 404/16, StV 2018, 195).
6
Dem Angeklagten waren mit der zugelassenen Anklage weitere Straftaten einer räuberischen Erpressung des Computerbetruges und einer Nötigung vorgeworfen worden. Von diesen Vorwürfen hat das Landgericht den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf Ausführungen zu den Gründen hierfür hat die Strafkammer gemäß § 267 Abs. 5 StPO verzichtet. Dies begegnet im vorliegenden Fall durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
7
Das Landgericht hätte in der zugrunde liegenden Konstellation erörtern müssen, welche Umstände zum Freispruch aus tatsächlichen Gründen geführt haben. Der von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Anklageschrift lässt sich entnehmen, dass es sich bei den Anklagevorwürfen um Straftaten handelt, deren Opfer ebenfalls der Zeuge B. gewesen sein soll und die auf dessen Angaben beruhen. Dass die Strafkammer insoweit nicht zur Verurteilung gelangt ist, legt es nahe oder lässt es jedenfalls als möglich erscheinen, dass sie belastenden Angaben des Zeugen in der Hauptverhandlung nicht gefolgt ist oder dieser den Angeklagten belastende Angaben aus dem Ermittlungsverfahren – wie auch in den Fällen II. 25 und 26 der Urteilsgründe – in der Hauptverhandlung nicht wiederholt hat und sich die Strafkammer insoweit gehindert gesehen hat, eine Verurteilung auf Angaben aus dem Ermittlungsverfahren zu stützen. In beiden Konstellationen ist zu besorgen, dass das Landgericht den Angaben des Zeugen B. in den freigesprochenen Fällen letztlichkeinen Glauben geschenkt hat, ohne zu erkennen, dass sich daraus Zweifel an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben auch hinsichtlich der zur Verurteilung gelangten Fälle ergeben konnten.
8
c) Auf diesem Erörterungsmangel beruht das angefochtene Urteil, denn der Senat vermag angesichts der dargelegten Beweiskonstellation trotz der ansonsten umfänglichen Würdigung der Aussage des Zeugen B. (UA S. 22-50) nicht auszuschließen, dass das Landgericht zu einer abweichenden Überzeugungsbildung gelangt wäre, wenn es die Gründe für den Teilfreispruch in seine Beweiserwägungen miteinbezogen hätte.
9
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat für den Fall, dass das neu zur Entscheidung berufene Landgericht wiederum zu einer Verurteilung in den Fällen II. 25 und 26 der Urteilsgründe gelangen sollte, vorsorglich darauf hin, dass die Frage des Rücktritts insbesondere im Fall II. 26 der Urteilsgründe sorgfältigerer Erörterung bedarf. Dass insoweit von einem beendeten Versuch auszugehen ist, obwohl der Angeklagte erkannt hatte, dass sein erster Erpressungsversuch aus dem September 2016 nicht zum Erfolg geführt hatte, versteht sich nicht von selbst. Im Übrigen wird zu bedenken sein, ob die beiden Erpressungsversuche in den genannten Fällen nicht als eine Tat anzusehen sind. Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte Anfang Oktober 2016 seiner unberechtigten Geldforderung „nochmals Nachdruck verlieh“, indem er den Geschädigten mit der Faust gegen das Jochbein boxte. Verstünde man – wie offenbar auch das Landgericht – die zweite Tat als in die gleiche Richtung zielende Fortsetzung der ersten, wären weder der Umstand, dass die Taten an verschiedenen Orten begangen worden sind, noch ihr zeitliches Auseinanderfallen ohne Weiteres geeignet, Tatmehrheit zu begründen (vgl. zu einem vergleichbaren Fall sukzessiver Tatbegehung BGH, Beschluss vom 22. November 2011 – 4 StR 480/11, StV 2012, 283).
Franke Appl Krehl Eschelbach Meyberg

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter

1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder
2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
War der Täter an der Tat beteiligt, muss sich sein Beitrag zur Aufklärung nach Satz 1 Nummer 1 über den eigenen Tatbeitrag hinaus erstrecken. § 46b Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 43/16
vom
12. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:120516B1STR43.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Mai 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 21. August 2015, soweit es sie betrifft , aufgehoben
a) im Ausspruch über die Einzelstrafen in den Fällen B I, B II, B III, B VII und B VIII der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafen,
c) im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten wie folgt verurteilt: Den Angeklagten U. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, wegen unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei tatmehrheitlichen Fällen und wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren, denAngeklagten Z. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten M. (unter Freispruch im Übrigen und unter Einbeziehung einer rechtskräftigen Strafe) wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren. Bei dem Angeklagten U. hat die Strafkammer zudem die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und einen Vorwegvollzug von zwei Jahren Freiheitsstrafe angeordnet. Die Angeklagten erzielen jeweils mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen bleiben ihre Revisionen aus den Gründen der jeweiligen Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die Feststellungen tragen die Schuldsprüche. Zwar hat das Landgericht nur in den Fällen B IV und B IX der Urteilsgründe konkrete Feststellungen zu der Menge des Wirkstoffgehalts der jeweiligen Betäubungsmittel getroffen. Dieser Rechtsfehler betrifft aber nicht die jeweiligen Schuldsprüche, denn angesichts des An- und anschließenden Verkaufs jeweils ganz erheblicher Mengen von Betäubungsmitteln in den Fällen B I, B III, B VII und B VIII (ein bis vier Kilogramm Amphetamin, ein Kilogramm Heroin) ist auszuschließen, dass im Einzelfall die Grenze zur nicht geringen Menge unterschritten wurde (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 24. Februar 1994 – 4 StR 708/93, NJW 1994, 1885; Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl. 2016, Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 214).
3
Der Schuldspruch wird auch im Fall B II von den Feststellungen getragen , denn der vereinbarte Ankauf bezog sich mit 300 g Heroin jedenfalls nach der Vorstellung der hieran beteiligten Angeklagten auf durchschnittliche Betäubungsmittel und damit eine nicht geringe Menge. Ob die Qualität des schließlich gelieferten Rauschgifts von der vereinbarten Qualität nach unten abweicht, ist für den Schuldspruch des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerheblich (vgl. BGH, Urteil vom 14. April 1999 – 3 StR 22/99, NJW 1999, 2683, 2684 mwN; vgl. auch BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252).
4
2. Die Strafzumessung hält in den Fällen B I, B II, B III, B VII und B VIII der Urteilsgründe sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Wie dargelegt fehlt es in diesen Fällen an der Feststellung des Wirkstoffgehalts der jeweiligen Betäubungsmittel und damit an der Feststellung eines bestimmenden Strafzumessungsgrundes. Das Unrecht einer Betäubungsmittelstraftat und die Schuld des Täters werden maßgeblich durch die Wirkstoffkonzentration und die Wirkstoffmenge des Rauschgifts bestimmt. Für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht kann auf nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt deshalb regelmäßig nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 7. Dezember 2011 – 4 StR 517/11, NStZ 2012, 339 und vom 6. August 2013 – 3 StR 212/13, StV 2013, 703, je mwN). Stehen die Betäubungsmittel nicht für eine Untersuchung der Wirkstoffkonzentration zur Verfügung, ist diese – notfalls unter Anwendung des Zwei- felssatzes – unter Berücksichtigung der sicher festgestellten Umstände (Herkunft , Preis, Handelsstufe, Beurteilung durch die Tatbeteiligten, Begutachtungen in Parallelverfahren etc.) durch eine „Schätzung“ festzulegen (BGH aaO; Körner/Patzak/Volkmer aaO, Vor §§ 29 ff. BtMG Rn. 331 ff. mwN).
5
Eine derartige Festlegung ist auch nicht in den Fällen entbehrlich, in denen die Strafkammer jeweils zu Gunsten der Angeklagten davon ausgegangen ist, dass Monate später aufgefundene Betäubungsmittel mit konkret ermittelten Wirkstoffgehalten nicht ausschließbar aus vorher festgestellten Taten stammen (Fälle B III und B VIII). Denn damit hat die Strafkammer von ihrem bisherigen Ausgangspunkt aus ersichtlich nur nach dem Zweifelsgrundsatz einen Schluss zu Gunsten der Angeklagten ziehen, nicht aber zu deren Lasten die Wirkstoffkonzentration bestimmen wollen.
6
Die in den Fällen B I, B II, B III, B VII und B VIII der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen können deshalb nicht bestehen bleiben. Dies zieht die Aufhebung der jeweils verhängten Gesamtfreiheitsstrafen nach sich.
7
3. Die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe bei dem Angeklagten U. entzieht der für sich gesehen rechtsfehlerfreien Bestimmung des Vorwegvollzuges eines Teils der Gesamtfreiheitsstrafe nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB die Grundlage. Die neue Strafkammer wird hierüber neu zu entscheiden haben.
8
4. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen können bestehen bleiben (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die neue Strafkammer wird Feststellungen zu den jeweiligen Wirkstoffgehalten der Betäubungsmittel zu treffen haben und kann auch sonst ergänzende Feststellungen treffen, soweit diese mit den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Raum Radtke Mosbacher Fischer Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 4/17
vom
10. Juli 2017
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––
Das sowohl dem Transport des Kaufgeldes für den Erwerb einer früheren als
auch der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge dienende Aufsuchen
des Lieferanten verbindet als natürliche Handlung die beiden Umsatzgeschäfte
zu einer einheitlichen Tat im materiell-rechtlichen Sinne.
Im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung verbindet die Bezahlung einer
zuvor "auf Kommission" erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der
Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte
zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.
BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 – GSSt 4/17 – LG Stade
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:100717BGSST4.17.0

Der Große Senat für Strafsachen hat durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke, Prof. Dr. Jäger und Dr. Schäfer, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider sowie die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach und Gericke am 10. Juli 2017 beschlossen:
Das sowohl dem Transport des Kaufgeldes für den Erwerb einer früheren als auch der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge dienende Aufsuchen des Lieferanten verbindet als natürliche Handlung die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im materiell-rechtlichen Sinne. Im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung verbindet die Bezahlung einer zuvor "auf Kommission" erhaltenen Betäubungsmittelmenge aus Anlass der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.

Gründe:


I.


1
Die Vorlage betrifft die konkurrenzrechtliche Bewertung unterschiedlicher Modalitäten der Abwicklung von aufeinanderfolgenden Betäubungsmittelumsätzen , insbesondere dann, wenn die Bezahlung einer zunächst "auf Kommission" erworbenen Betäubungsmittelmenge im Zeitpunkt der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge noch nicht (vollständig) erledigt ist.
2
1. In einem beim 3. Strafsenat anhängigen Verfahren hat das Landgericht den Angeklagten unter anderem wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sieben Monaten verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen.
3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte in sechs Fällen von derselben Person jeweils mindestens 100 g Kokain mit einem Reinheitsgehalt von mindestens 30 %, um dieses gewinnbringend weiter zu veräußern und sich eine nicht unerhebliche Einnahmequelle von einiger Dauer zu verschaffen. Er fuhr deswegen zwischen Mitte August 2011 und Mitte Mai 2012 insgesamt sechs Mal nach vorheriger telefonischer Absprache mit dem Lieferanten in seinem Auto nach Bremen, erwarb dort das Rauschgift "auf Kommission" und bezahlte es jeweils nach gewinnbringendem Weiterverkauf bei Abholung der neuen, zuvor bestellten Betäubungsmittelmenge. Auf welche Weise das Entgelt für die sechste Betäubungsmittelmenge entrichtet wurde, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
4
b) Das Landgericht hat dieses Geschehen ohne weitere Erörterungen als sechs rechtlich selbstständige Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge abgeurteilt. Nur insoweit ist die Verurteilung des Angeklagten , gegen die er sich insgesamt mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts wendet, Gegenstand des Vorlageverfahrens. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das angefochtene Urteil im Strafausspruch wegen unterlassener Berücksichtigung eines eingezogenen Kraftfahrzeugs bei der Strafzumessung aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO) und die weiter gehende Revision des Angeklagten zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
5
2. Der 3. Strafsenat beabsichtigt, die Revision des Angeklagten in diesen sechs Verurteilungsfällen zu verwerfen, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Er ist ebenso wie das Landgericht der Ansicht, dass sechs in Tatmehrheit zueinander stehende Verbrechen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gegeben seien. Sie würden weder durch das sowohl dem Transport des Kaufgeldes für die erste als auch der Übernahme der weiteren Betäubungsmittelmenge dienende Aufsuchen des Lieferanten noch durch die Bezahlung der zuvor "auf Kommission" erhaltenen Betäubungsmittelmenge bei Gelegenheit der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge tateinheitlich miteinander verknüpft.
6
3. Der 3. Strafsenat sieht sich jedoch nach dem Ergebnis des gemäß § 132 Abs. 3 GVG durchgeführten Anfrageverfahrens daran gehindert, in diesem Sinne zu entscheiden.
7
a) Der 2. und der 4. Strafsenat haben mit Beschlüssen vom 31. Mai 2016 (2 ARs 403/15, NStZ-RR 2016, 313) und 1. September 2016 (4 ARs 21/15, NStZ-RR 2016, 373) mitgeteilt, dass sie an ihrer entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten. Dabei hat der 2. Strafsenat seine Rechtsprechung – in der Sache dem 4. Strafsenat folgend – dahin präzisiert, dass in dem Aufsuchen des Lieferanten, das der Bezahlung der bereits früher erworbenen und der Abholung der weiteren Rauschgiftmenge diene, ein den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erfüllendes Handlungselement liege, welches die Teilidentität der Ausführungshandlungen begründe. Es sei deshalb in sol- chen Fällen von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB auszugehen. Der 2. und der 4. Strafsenat sind der Auffassung, der eindeutige Wortlaut der Vorschrift lasse die Annahme von Tatmehrheit nicht zu. Dem Gewicht oder dem Unrechtsgehalt der jeweiligen Tathandlung komme bei der rechtlichen Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses keine Bedeutung zu.
8
b) Der 5. Strafsenat hat mit Beschluss vom 2. März 2016 (5 ARs 60/15) entschieden, dass seine Rechtsprechung der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats nicht entgegenstehe und er an eventuell früherer, abweichender Rechtsprechung aus den Gründen des Anfragebeschlusses nicht festhalte. Der 1. Strafsenat hat von einer Stellungnahme zu dem Anfragebeschluss abgesehen.

II.


9
1. Mit Beschluss vom 15. November 2016 (3 StR 236/15) hat der 3. Strafsenat die Sache gemäß § 132 Abs. 2 GVG dem Großen Senat für Strafsachen zur Entscheidung über folgende Rechtsfrage vorgelegt: Verbindet das sowohl dem Transport des Kaufgeldes für die erste als auch der Übernahme der weiteren Betäubungsmittelmenge dienende Aufsuchen des Lieferanten oder die Bezahlung einer zuvor auf "Kommission" erhaltenen Betäubungsmittelmenge bei Gelegenheit der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im materiellrechtlichen Sinn?
10
2. Der Generalbundesanwalt hat beantragt zu beschließen: Weder das sowohl dem Transport des Kaufgeldes für die erste als auch der Übernahme der weiteren Betäubungsmittelmenge dienende Aufsuchen des Lieferanten noch die Bezahlung einer zuvor auf "Kommission" erhaltenen Betäubungsmittelmenge bei Gelegenheit der Übernahme einer weiteren Betäubungsmittelmenge verbindet die beiden Umsatzgeschäfte zu einer einheitlichen Tat im materiell-rechtlichen Sinn.

III.


11
Die Voraussetzungen einer Divergenzvorlage nach § 132 Abs. 2 GVG sind gegeben, da der 3. Strafsenat mit seiner beabsichtigten Entscheidung von Rechtsprechung des 2. und des 4. Strafsenats abweichen würde.

IV.


12
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die Vorlegungsfrage wie aus der Entscheidungsformel ersichtlich. Aus der Anwendung der Konkurrenzregel des § 52 Abs. 1 StGB auf den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln ergibt sich danach Folgendes:
13
Aufeinanderfolgende, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehende Umsatzgeschäfte eines Betäubungsmittelhändlers werden im Sinne des § 52 StGB zu einer Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln verbunden , wenn sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um die vorangegange- ne Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine weitere, zuvor bestellte Lieferung abzuholen, wenn also das Aufsuchen des Lieferanten zugleich beiden Umsatzgeschäften dient. Kommt es hingegen ohne eine vergleichbare teilidentische Ausführungshandlung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel lediglich aus Anlass der Bezahlung zuvor gelieferter Betäubungsmittel, handelt es sich um einen Fall der natürlichen Handlungseinheit.
14
Im Einzelnen:
15
1. Nach § 52 Abs. 1 StGB liegt materiell-rechtlich Tateinheit vor, wenn dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrfach verletzt:
16
a) Den Begriff "dieselbe Handlung" in § 52 Abs. 1 StGB definiert das Gesetz nicht ausdrücklich. Nach allgemeiner Auffassung wird der Handlungsbegriff in den §§ 52 Abs. 1 ff. StGB vorausgesetzt (MüKo-StGB/von HeintschelHeinegg , 3. Aufl., Vorbemerkung zu § 52 Rn. 8). Da die sachlich-rechtlichen Regelungen des § 52 StGB in erster Linie als Voraussetzung für ein funktionierendes Rechtsfolgensystem dienen, ist der Handlungsbegriff im Sinne der Konkurrenzlehre unabhängig vom jeweils erfüllten Tatbestand allgemein zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 1997 – 2 StR 520/96, BGHSt 43, 252, 256; von Heintschel-Heinegg aaO, Rn. 12). Er knüpft an den Vollzug eines Verhaltens im natürlichen Sinne und damit letztlich an eine Körperbewegung an (SSW-StGB/Eschelbach, 3. Aufl., § 52 Rn. 31, 57). Die für die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB erforderliche Verknüpfung der Tatbestände hat der Bundesgerichtshof dabei allein in der Überlagerung der objektiven Ausführungshandlungen gesehen (BGH, Beschluss vom 11. November 1976 – 4 StR 266/76, BGHSt 27, 66, 67; vgl. dazu auch RG, Urteil vom 28. April 1899 – Rep. 1158/99, RGSt 32, 137, 138 f.). Einen darüber hinausgehenden "inneren Zusammenhang" hat der Bundesgerichtshof dagegen nicht gefordert (BGH aaO). Abzugrenzen ist eine derartige Überschneidung jedoch von einem Zusammenfallen zweier Tatbestände, bei dem der Täter den einen Tatbestand nur gelegentlich der anderen Tat verwirklicht (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 27. April 2004 – 1 StR 466/03, NStZ 2004, 694; Urteil vom 5. August 2010 – 3 StR 210/10, juris Rn. 16). An diesen bereits in der früheren Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen hat der Bundesgerichtshof auch in der Folgezeit festgehalten (vgl. die Darstellung bei LK/Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., Vor § 52 Rn. 9 ff., § 52 Rn. 6 ff; jeweils mwN). Eine Einschränkung der Annahme von Tateinheit ergibt sich auch nicht aus dem in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs formulierten Erfordernis der Identität in einem für beide Tatbestandsverwirklichungen notwendigen Teil (vgl. BGH, Beschluss vom 11. November 1976 – 4 StR 266/76, BGHSt 27, 66, 67 unter Bezugnahme auf Geerds, Zur Lehre von den Konkurrenzen im Strafrecht, 1961, S. 277). Das Kriterium der Notwendigkeit bezieht sich insoweit lediglich auf die Tatbestandsverwirklichung in ihrer konkreten Form, mithin auf den konkreten Tatplan des Täters (BGH aaO).
17
b) Eine mehrfache Gesetzesverletzung durch eine Tat ist zunächst bei einer Handlung im natürlichen Sinne gegeben, also dann, wenn sich ein Willensentschluss in einem Ausführungsakt erschöpft (sog. natürliche Handlung; vgl. LK/Rissing-van Saan aaO, Vor § 52 Rn. 9, § 52 Rn. 6; jeweils mwN). Darüber hinaus kann von einer Tat im Rechtssinne auszugehen sein, wenn mehrere Handlungen im natürlichen Sinne zu einer Handlungseinheit zusammengefasst werden. Das ist der Fall, wenn zwischen mehreren menschlichen, strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, dass sich das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrach- tungsweise (objektiv) auch für einen Dritten als ein einheitlich zusammengefasstes Tun darstellt und die einzelnen Betätigungsakte durch ein gemeinsames subjektives Element miteinander verbunden sind (sog. natürliche Handlungseinheit ; vgl. nur BGH, Urteile vom 27. März 1953 – 2 StR 801/52, BGHSt 4, 219, 220, vom 21. September 2000 – 4 StR 284/00, BGHSt 46, 146, 153, und vom 29. März 2012 – 3 StR 422/11, NStZ 2012, 525). Eine weitere Fallgruppe stellt die sog. tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinne dar, die sich dadurch auszeichnet, dass mehrere natürliche Handlungen unter – unterschiedlichen – rechtlichen Aspekten zu einer Handlungseinheit zusammengefasst werden, wie dies etwa in Fällen der mehraktigen oder zusammengesetzten Delikte oder bei Dauerdelikten der Fall sein kann (LK/Rissing-van Saan aaO, Vor § 52 Rn. 20 ff.). Wiederum darüber hinausgehend können auch der Sinn und Zweck der jeweils verletzten gesetzlichen Tatbestände, die im Wege der Auslegung zu ermitteln sind, zur Annahme einer tatbestandlichen Handlungseinheit führen, die – anders als die natürliche Handlungseinheit – vorwiegend normativ bestimmt wird. Solche Handlungseinheiten werden etwa bei Delikten mit pauschalierenden Handlungsbeschreibungen wie z.B. den Organisationsdelikten der §§ 129 ff. StGB (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 9. Juli 2015 – 3 StR 537/14, BGHSt 60, 308, 311 ff.) sowie in Fällen wiederholter oder fortlaufender Tatbestandsverwirklichungen (sog. tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinne; vgl. dazu LK/Rissing-van Saan aaO, Vor § 52 Rn. 23 ff., 36 mwN) angenommen.
18
Der Sache nach stellt auch die sog. Bewertungseinheit eine tatbestandliche Zusammenfassung einer Mehrzahl natürlicher Handlungen zu einer Tat im Rechtssinne dar (vgl. LK/Rissing-van Saan aaO, Vor § 52 Rn. 39 ff. mwN [Unterfall der tatbestandlichen Handlungseinheit i.w.S:]; anders MüKo-StGB/von Heintschel-Heinegg aaO, § 52 Rn. 39 mwN [Rechtsfigur sui generis]). Haupt- anwendungsfall der Bewertungseinheit ist das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln (LK/Rissing-van Saan aaO, Rn. 39).
19
2. Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne des § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG ist jede eigennützige, auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, wobei verschiedene Betätigungen, die auf die Förderung ein und desselben Güterumsatzes abzielen, eine tatbestandliche Bewertungseinheit bilden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256 mwN). Eine auf den gewinnorientierten Umsatz von Betäubungsmitteln ausgerichtete Tätigkeit ist auch darin zu sehen, dass sich der Täter zu einer Örtlichkeit begibt, an welcher er von seinem Lieferanten eine zuvor bestellte, zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmte Betäubungsmittellieferung vereinbarungsgemäß übernehmen soll (BGH, Urteil vom 20. August 1991 – 1 StR 273/91, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 28). Das Aufsuchen des Lieferanten zur Abholung einer bereits zuvor verabredeten Lieferung zur Weiterveräußerung vorgesehener Betäubungsmittel verwirklicht daher den Tatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln.
20
Dem – weit auszulegenden (BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 262) – Begriff des Handeltreibens mit Betäu- bungsmitteln unterfallen aber nicht nur Handlungen, die unmittelbar der Beschaffung und der Weitergabe von Betäubungsmitteln an Abnehmer dienen. Tatbestandlich erfasst werden nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vielmehr auch dem eigentlichen Betäubungsmittelumsatz nachfolgende Zahlungsvorgänge, ohne dass danach differenziert wird, ob der Handelnde auf Seiten des Abnehmers oder des Lieferanten tätig geworden ist (BGH, Beschluss vom 5. August 2014 – 3 StR 340/14, NStZ-RR 2015, 16; Urteile vom 7. Februar 2008 – 5 StR 242/07, NStZ 2008, 465; vom 17. Juli 1997 – 1 StR 791/96, BGHSt 43, 158, 162; vgl. auch BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 2002 – 2 StR 294/02, juris; vom 23. Mai 2007 – 2 StR 569/06, NStZ 2008, 42, 43; vom 27. Juni 2008 – 3 StR 212/08, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Konkurrenzen 7). So hat der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit mehrfach entschieden, dass auch die bloße Übermittlung des für eine Betäubungsmittellieferung zu entrichtenden Geldbetrages vom Abnehmer an den Lieferanten den Tatbestand des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln erfüllt (vgl. BGH, Urteile vom 11. Juli 1995 – 1 StR 189/95, StV 1995, 641; vom 7. Februar 2008 – 5 StR 242/07, NStZ 2008, 465; Beschlüsse vom 5. November 1991 – 1 StR 361/91, StV 1992, 161; vom 17. Mai 1996 – 5 StR 119/96, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 50).
21
3. Gemessen daran gilt in Bezug auf die Vorlegungsfrage das Folgende:
22
a) ln der Fallkonstellation des Ausgangsverfahrens liegt Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB vor.
23
aa) Bei aufeinanderfolgenden, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehenden Umsatzgeschäften liegt eine jedenfalls teilweise, Tateinheit begründende Überschneidung der objektiven Ausführungshandlungen darin, dass sich der Täter zu seinem Lieferanten begibt, um einerseits die vorangegangene Lieferung zu bezahlen und dabei zugleich eine neue, zuvor bestellte Lieferung abzuholen, also das Aufsuchen des Lieferanten als verbindendes Element gleichermaßen beiden Umsatzgeschäften dient. Damit sind die Voraussetzungen für das Vorliegen einer teilidentischen Ausführungshandlung und damit für die Annahme von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB erfüllt.
24
bb) Entgegen der Auffassung des vorlegenden Senats ergeben sich – unterBerücksichtigung des Zwecks der §§ 52 ff. StGB, das verwirklichte Unrecht und die Schuld im Einzelfall sachgerecht zu erfassen – auch aus den Besonderheiten des weiten Tatbegriffs beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln bei dieser Fallgestaltung keine durchgreifenden Bedenken gegen die Annahme von Tateinheit.
25
(1) Wie ausgeführt sind die Voraussetzungen von Tateinheit im Sinne von § 52 Abs. 1 StGB unabhängig von den im jeweiligen Einzelfall verwirklichten Tatbeständen zu bestimmen. Maßgebend ist insoweit allein, ob sich zwei oder mehrere Straftatbestände in ihren Ausführungshandlungen notwendig jedenfalls teilweise überschneiden. Ein darüber hinausgehendes sachlich-rechtliches Kriterium für eine einschränkende Auslegung der Voraussetzungen von Tateinheit ist § 52 Abs. 1 StGB nicht zu entnehmen (vgl. MüKo-StGB/von Heintschel-Heinegg aaO, Vor §§ 52 ff. Rn. 8).
26
(2) Die Auffassung, wonach eine teilidentische Ausführungshandlung im Sinne von § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG nur dann zu einer tateinheitlichen Verbindung zweier an sich unabhängiger, sich auf unterschiedliche Betäubungsmittelmengen beziehender Handelsgeschäfte führt, wenn sie für jedes dieser Geschäfte einen nicht unerheblichen eigenen Unrechts- und Schuldgehalt aufweist und dadurch deren Unwert und die jeweilige Schuld des Täters zumindest mitprägt, was bei dem untergeordneten Teilakt der Fahrt zum Zwecke der Bezahlung eines bereits abgewickelten Betäubungsmittelgeschäfts nicht der Fall sei, findet im Gesetz keine Stütze. Sie beruht vielmehr allein auf einer einschränkenden, auf die jeweilige konkrete Fallgestaltung bezogenen Auslegung des Begriffs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Damit steht sie zugleich im Widerspruch zu der vom Bundesgerichtshof in ständiger Recht- sprechung vorgenommenen weiten Auslegung des Begriffs des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, die ihren Ausdruck schon im Beschluss des Großen Senats vom 26. Oktober 2005 (GSSt 1/05, BGHSt 50, 252) gefunden hat und von der abzuweichen der Große Senat auch weiterhin keinen Anlass sieht.
27
(3) Auch als generelles Abgrenzungskriterium zwischen Tateinheit und Tatmehrheit ist die Ansicht, wonach eine teilidentische Ausführungshandlung beim Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nur dann zu einer tateinheitlichen Verbindung zweier Handelsgeschäfte führen kann, wenn sie für jedes dieser Geschäfte einen nicht unerheblichen eigenen Unrechts- und Schuldgehalt aufweist , nicht tragfähig. Mag auch das eigentliche Umsatzgeschäft in Gestalt der Übergabe einer bestellten Betäubungsmittelmenge bereits abgewickelt sein, sind gleichwohl Fallgestaltungen denkbar, in denen die Fahrt des Täters zum Zwecke der Bezahlung des gelieferten Rauschgifts beim Lieferanten nicht lediglich als untergeordneter Teilakt zu bewerten ist. Denkbar ist dies etwa beim Transport hoher Geldsummen oder in Fällen, in denen der Täter die mit sich geführten Geldbeträge auf dem Transport gegen Dritte etwa mit (Waffen-)Gewalt "verteidigt" und dadurch das Handeltreiben gegebenenfalls zu einem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln im Sinne von § 30a Abs. 2 Nr. 2 StGB wird.
28
b) Kommt es im Rahmen einer bestehenden Lieferbeziehung ohne eine für beide Umsatzgeschäfte teilidentische Ausführungshandlung zur Entgegennahme weiterer Betäubungsmittel aus Anlass der Bezahlung zuvor bereits "auf Kommission" gelieferter Betäubungsmittel, verbindet dies beide Handelsgeschäfte zu einer Tat im Sinne einer natürlichen Handlungseinheit.
29
aa) Beide strafrechtlichen Betätigungen sind jeweils für sich genommen Bestandteile zweier unterschiedlicher Umsatzgeschäfte im Sinne des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln; die Annahme einer (einzigen) Bewertungseinheit kommt danach regelmäßig nicht in Betracht. Jedoch stehen beide Betätigungsakte – ohne tatbestandliche Überschneidung in zumindest einem Teil der Ausführungshandlung, sondern aufeinander folgend – in einem unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang. In objektiver Hinsicht erscheinen sie daher vor dem Hintergrund der zwischen den Beteiligten bestehenden Lieferbeziehung als ein einheitliches, zusammengehöriges Tun. In einer solchen Konstellation ist nicht lediglich von einem nur gelegentlichen Zusammentreffen zweier Tatbestände auszugehen.
30
bb) Auch das für die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit weiterhin erforderliche subjektive Element des einheitlichen Willens, von dem die einzelnen Betätigungsakte getragen sein müssen, ist in den Fällen der Bezahlung einer früheren und der Entgegennahme der Betäubungsmittel einer weiteren Lieferung regelmäßig gegeben. Zwar erfüllen beide Betätigungen als gesonderte Handlungen das Tatbestandsmerkmal des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nur für die jeweilige Lieferung. Gemeinsame Grundlage ist aber auch hier regelmäßig der über die einzelnen Umsatzgeschäfte hinausreichende Wille von Lieferant und Abnehmer, im Rahmen einer über ein Einzelgeschäft hinausreichenden Lieferbeziehung nicht nur ein Umsatzgeschäft zu tätigen und insgesamt aus mehreren Rauschgiftgeschäften größtmöglichen Gewinn zu erzielen.
Limperg Raum Sost-Scheible Franke
Jäger Schäfer Schneider König
Krehl Eschelbach Gericke