Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Okt. 2017 - 2 StR 102/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 26. Oktober 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 357 Abs. 1 StPO beschlossen:
a) in den Fällen zwei bis acht der Urteilsgründe, auch soweit es den Angeklagten M. betrifft,
b) in den Fällen zehn bis 24 der Urteilsgründe,
c) im Ausspruch über die jeweiligen Gesamtstrafen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten G. D. wegen Betrugs in 24 Fällen und „wegen vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe in Tateinheit mit dem vorsätzlichen Besitz von Munition“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt; den Angeklagten J. D. hat es wegen Betrugs in 24 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Darüber hinaus hat es den nicht revidierenden Mitangeklagten M. wegen Betruges in 12 Fällen, wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt.
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- Die hiergegen gerichteten und auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten G. und J. D. haben den aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Teilerfolg und führen zur Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen zwei bis acht sowie zehn bis 24 der Urteilsgründe; die Urteilsaufhebung in den Fällen zwei bis acht der Urteilsgründe, an denen der nicht revidierende Mitangeklagte M. beteiligt war, war gemäß § 357 Satz 1 StPO auf diesen zu erstrecken. Im Übrigen sind die Rechtsmittel der Angeklagten unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- 1. Die tatrichterliche Annahme, dass die Taten zwei bis acht und zehn bis 24 der Urteilsgründe jeweils im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB) zueinander stehen, ist nicht tragfähig belegt.
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- Insoweit hat der Generalbundesanwalt in seinen Antragsschriften zutreffend ausgeführt: „In den Fällen 2 bis 8 und 10 bis 24 kann die Verurteilung […] keinen Bestand haben. Die Urteilsgründe lassen eine Nachprüfung der von der Strafkammer angenommenen tatmehrheitlichen Begehung dieser Taten nicht zu. Die hierzu getroffenen Feststellungen sind lückenhaft. 1. Das Landgericht hat - insoweit rechtsfehlerfrei - die Verwirklichung des Betrugstatbestands jeweils darin gesehen, dass entweder als Scheinhalter vorgesehene Personen oder zwischengeschaltete „Vermittler“ vor der Zulassung von Fahrzeugen telefonisch oder durch persönliche Vorsprache bei einem Versicherungsmakler die Zusage vorläufigen Versicherungsschutzes sowie die Übermittlung einer elektronischen Versicherungsbestätigungsnummer herbeiführten und dabei wahrheitswidrig die Bereitschaft zur Zahlung der anfallenden Versicherungsprämie vorspiegelten (UA S. 11-14, 43 f., 46). Nähere Einzelheiten zum tatbestandsmäßigen Verhalten der unmittelbar handelnden Personen - insbesondere zum Zeitpunkt der Kontakte mit den Versicherungen - hat das Landgericht nicht festgestellt. Dies wäre indes im Hinblick darauf erforderlich gewesen, dass die Zulassungen der Fahrzeuge in den Fällen 2 und 8, 3 und 6, 4 und 7, 13 und 15, 14 und 16, 21 und 22 sowie 23 und 24 jeweils am selben Tag erfolgten und hinsichtlich der Person des Scheinhalters und des die vorläufige Deckung zusagenden Versicherungsunternehmens übereinstimmen (vgl. UA S. 15 f., 18, 20). Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass die jeweiligen Deckungszusagen im Rahmen derselben - telefonischen oder persönlichen - Kontaktaufnahme mit der betroffenen Versicherung eingeholt wurden. Unter dieser Voraussetzung kommt - wie die Kammer nicht erkennbar bedacht hat - die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit und damit jeweils nur einer Tat im Rechtssinne in Betracht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2014 - 4 StR 207/14, BeckRS 2014, 19394; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2016 - 4 StR 75/16, NStZ-RR 2016,
281).
2. Unabhängig davon hat das Landgericht auch nicht erkennbar bedacht, dass bei einer Deliktserie für jeden Beteiligten gesondert zu prüfen ist, ob die einzelnen Straftaten in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Leistet ein Beteiligter für alle oder einige Einzeltaten einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten - soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt - als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die mehrere Einzeldelikte anderer Beteiligter gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm diese als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte nach obigen Grundsätzen ihrerseits gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr., BGH, Beschluss vom 13. Mai 2003 - 3 StR 128/03, NStZ-RR 2003, 265; BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 - 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177-189 (182 f.). Danach träfe die Annahme des Landgerichts, die Zahl der selbständigen Einzeltaten des Angeklagten entspreche der Anzahl der von den unmittelbar tatausführenden Tätern begangenen Betrugstaten, nur unter der Voraussetzung zu, dasser hinsichtlich jedes Betruges einen (allein) diesen fördernden Beitrag geleistet hat. Hierzu verhält sich das Urteil jedoch nicht abschließend; insbesondere hat die Strafkammer nicht festgestellt , dass den Scheinhaltern bzw. den Vermittlern, die jeweils in engem zeitlichem Zusammenhang mehrere Fahrzeuge versichert und zugelassen haben, zu jeder Einzeltat ein gesonderter Auftrag erteilt wurde. 3. Diese Umstände zwingen zur Aufhebung der Schuldsprüche in den bezeichneten Fällen. […]“
- 5
- Diesen Ausführungen tritt der Senat bei.
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- 2. Die Urteilsaufhebung war in den Fällen zwei bis acht der Urteilsgründe auf den an diesen Taten beteiligten, nicht revidierenden Mitangeklagten M. zu erstrecken (§ 357 Satz 1 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2013 - 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387).
- 7
- 3. Die Urteilsaufhebung führt hinsichtlich aller drei Angeklagten zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs.
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- 4. Die Sache bedarf im Umfang der Aufhebung neuer Verhandlung und Entscheidung. Appl Krehl RiBGH Dr. Eschelbach ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Appl Bartel Grube
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt.
(2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Jedoch kann das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen; soll in diesen Fällen wegen mehrerer Straftaten Geldstrafe verhängt werden, so wird insoweit auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt.
(3) § 52 Abs. 3 und 4 gilt sinngemäß.
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.
(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.
(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.
(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.
Erfolgt zugunsten eines Angeklagten die Aufhebung des Urteils wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Strafgesetzes und erstreckt sich das Urteil, soweit es aufgehoben wird, noch auf andere Angeklagte, die nicht Revision eingelegt haben, so ist zu erkennen, als ob sie gleichfalls Revision eingelegt hätten. § 47 Abs. 3 gilt entsprechend.