Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Feb. 2016 - 1 StR 624/15
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Schwurgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung und der Entziehungsanstalt angeordnet. Zudem hat es bestimmt, dass der Vollzug der Sicherungsverwahrung nach der Gesamtfreiheitsstrafe zu vollstrecken ist und nach dem Vollzug der Sicherungsverwahrung die Unterbringung in der Entziehungsanstalt. Die Revision ist unzulässig, soweit der Angeklagte eine nicht nä- her ausgeführte „allgemeine Verfahrensrüge“ erhoben hat (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der nicht näher ausgeführten Sachrüge erzielt das Rechtsmittel den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
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- Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Zuschrift ausgeführt: „I. Die Anordnung des vollständigen Vorwegvollzugs der Gesamt- freiheitsstrafe kann keinen Bestand haben, da die Kammer die Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 StPO nicht beachtet hat. Nach der in § 67 Abs. 1 StGB normierten Grundentscheidung des Gesetzgebers soll möglichst umgehend mit der Behandlung des süchtigen oder kranken Rechtsbrechers begonnen werden, weil dies am ehesten einen dauerhaften Erfolg verspricht. Eine Abweichung von der regelmäßigen Vollstreckungsreihenfolge ist - unbeschadet der Regelung in § 67 Abs. 2 S. 2 und 3 StGB - nur zulässig, wenn hierdurch der Zweck der Maßregel leichter erreicht werden kann (§ 67 Abs. 2 S. 1 StGB). Das Urteil muss in einem solchen Fall auf der Grundlage einer eingehenden, die Persönlichkeit des Angeklagten berücksichtigenden Beurteilung darlegen, wegen welcher besonderen Umstände der Vorwegvollzug der Strafe die Therapie günstiger beeinflussen wird und dass dieses Ziel im Maßregelvollzug nicht in gleicher Weise erreicht werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juli 1998 - 2 StR 291/98; Fischer, 63. Auflage, § 67 Rn. 5f., 8). Hingegen soll das Gericht bei einer verhängten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist (§ 67 Abs. 2 Satz 2 StGB); dies also dann, wenn nicht aus gewichtigen Gründen des Einzelfalls eine andere Entscheidung eher die Erreichung eines Therapieerfolges erwarten lässt. Liegen keine Gründe vor, die gegen eine Anordnung des Vorwegvollzugs eines Teils der Strafe sprechen, so hat der Tatrichter im Erkenntnisverfahren bei der Bemessung des vorweg zu vollziehenden Teils der Strafe keinen Beurteilungsspielraum mehr. Dieser Teil ist so zu berechnen, dass nach seiner Vollstreckung und einer anschließenden Unterbringung eine Bewährungsentscheidung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist (BGH, Beschluss vom 8. Januar 2008 - 1 StR 644/07 m.w.N.). Dies gilt auch in Fällen, in denen neben der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet wurde (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 5 StR 473/14). Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht im Ansatz gerecht. Die Kammer hat den Vorwegvollzug als zwingend angesehen , nachdem sie angeordnet hatte, dass die Sicherungsverwahrung vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollziehen ist (UA S. 81). Die Strafkammer hätte bedenken müssen, dass es gerade bei längeren Freiheitsstrafen darum gehen muss, den Betroffenen schon frühzeitig von seinem Hang zu befreien, damit er in der Vollzugsanstalt an der Verwirklichung des Vollzugszieles der Strafe mitarbeiten kann. Dies gilt hier umso mehr als eine erfolgreiche Therapie in die spätere Prüfung einzubeziehen ist, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung noch erfordert oder die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden kann (§§ 72 Abs. 3 Satz 2, 67c, 67e StGB). Die Erwägung der Kammer, dass die bisherige mangelnde Therapiemotivation durch einen längeren Haftaufenthalt geschaffen werden könne, vermag den vollständigen Vorwegvollzug nicht zu begründen. Darüber hinaus hat es die Strafkammer unterlassen, in dem Urteil mitzuteilen, wie lange die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt voraussichtlich erforderlich sein wird (vgl. dazu etwa BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2012 - 4 StR 409/12).
II. Daneben begegnet die angeordnete Reihenfolge der Vollstreckung der Maßregeln durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Kammer hat ihre Anordnung damit begründet, dass der Angeklagte 'derzeit als sehr gefährlich einzustufen ist, [und es nicht] verantwortet [werden] kann, ihm im Rahmen der Maßregel der Unterbringung in der Entziehungsanstalt die Lockerungen zu gewähren, welche für eine erfolgreiche Absolvierung dieser Maßregel erforderlich sind' (UA S. 81). Die Kammer hat dabei nicht beachtet, dass die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt im Zweifel grundsätzlich vor der Sicherungsverwahrung zu vollstrecken ist, weil eine erfolgreiche Entziehungskur die Voraussetzungen für eine Aussetzung der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung zur Bewährung (§ 67c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB) oder jedenfalls günstigere Voraussetzungen für die Resozialisierung in der Sicherungsverwahrung schaffen kann (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2015 - 5 StR 473/14). Die Frage einer Gefahr für die Allgemeinheit bei Vollzugslockerungen im Maßregelvollzug kann demgegenüber keine Rolle spielen (BGH, Beschluss vom 27. Juli 1999 - 4 StR 328/99).“
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- Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an. Der Rechtsfehler betrifft auch die zugehörigen Feststellungen, die deshalb ebenfalls aufzuheben sind (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Wird der Zeuge, nachdem er eidlich vernommen worden ist, in demselben Vorverfahren oder in demselben Hauptverfahren nochmals vernommen, so kann der Richter statt der nochmaligen Vereidigung den Zeugen die Richtigkeit seiner Aussage unter Berufung auf den früher geleisteten Eid versichern lassen.
(1) Wird die Unterbringung in einer Anstalt nach den §§ 63 und 64 neben einer Freiheitsstrafe angeordnet, so wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen.
(2) Das Gericht bestimmt jedoch, daß die Strafe oder ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn der Zweck der Maßregel dadurch leichter erreicht wird. Bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren soll das Gericht bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist. Dieser Teil der Strafe ist so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung nach Absatz 5 Satz 1 möglich ist. Das Gericht soll ferner bestimmen, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist, wenn die verurteilte Person vollziehbar zur Ausreise verpflichtet und zu erwarten ist, dass ihr Aufenthalt im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe beendet wird.
(3) Das Gericht kann eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 nachträglich treffen, ändern oder aufheben, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen. Eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 kann das Gericht auch nachträglich treffen. Hat es eine Anordnung nach Absatz 2 Satz 4 getroffen, so hebt es diese auf, wenn eine Beendigung des Aufenthalts der verurteilten Person im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes während oder unmittelbar nach Verbüßung der Strafe nicht mehr zu erwarten ist.
(4) Wird die Maßregel ganz oder zum Teil vor der Strafe vollzogen, so wird die Zeit des Vollzugs der Maßregel auf die Strafe angerechnet, bis zwei Drittel der Strafe erledigt sind.
(5) Wird die Maßregel vor der Strafe oder vor einem Rest der Strafe vollzogen, so kann das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 zur Bewährung aussetzen, wenn die Hälfte der Strafe erledigt ist. Wird der Strafrest nicht ausgesetzt, so wird der Vollzug der Maßregel fortgesetzt; das Gericht kann jedoch den Vollzug der Strafe anordnen, wenn Umstände in der Person des Verurteilten es angezeigt erscheinen lassen.
(6) Das Gericht bestimmt, dass eine Anrechnung nach Absatz 4 auch auf eine verfahrensfremde Strafe erfolgt, wenn deren Vollzug für die verurteilte Person eine unbillige Härte wäre. Bei dieser Entscheidung sind insbesondere das Verhältnis der Dauer des bisherigen Freiheitsentzugs zur Dauer der verhängten Strafen, der erzielte Therapieerfolg und seine konkrete Gefährdung sowie das Verhalten der verurteilten Person im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen. Die Anrechnung ist in der Regel ausgeschlossen, wenn die der verfahrensfremden Strafe zugrunde liegende Tat nach der Anordnung der Maßregel begangen worden ist. Absatz 5 Satz 2 gilt entsprechend.
(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.
(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.
(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.
(1) Wird eine Freiheitsstrafe vor einer wegen derselben Tat oder Taten angeordneten Unterbringung vollzogen und ergibt die vor dem Ende des Vollzugs der Strafe erforderliche Prüfung, dass
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der Zweck der Maßregel die Unterbringung nicht mehr erfordert oder - 2.
die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung unverhältnismäßig wäre, weil dem Täter bei einer Gesamtbetrachtung des Vollzugsverlaufs ausreichende Betreuung im Sinne des § 66c Absatz 2 in Verbindung mit § 66c Absatz 1 Nummer 1 nicht angeboten worden ist,
(2) Hat der Vollzug der Unterbringung drei Jahre nach Rechtskraft ihrer Anordnung noch nicht begonnen und liegt ein Fall des Absatzes 1 oder des § 67b nicht vor, so darf die Unterbringung nur noch vollzogen werden, wenn das Gericht es anordnet. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Das Gericht ordnet den Vollzug an, wenn der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist der Zweck der Maßregel nicht erreicht, rechtfertigen aber besondere Umstände die Erwartung, daß er auch durch die Aussetzung erreicht werden kann, so setzt das Gericht die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein. Ist der Zweck der Maßregel erreicht, so erklärt das Gericht sie für erledigt.