Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2014 - 1 StR 586/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hatte den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in 29 Fällen und Beihilfe zur Steuerhinterziehung in fünf Fällen unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem amtsgerichtlichen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil richtete sich die auf eine nicht näher ausgeführte Verfahrensrüge sowie die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Aufgrund der durchgeführten Revisionshauptverhandlung vom 9. April 2013 hat der Senat den Schuldspruch teilweise abgeändert und den Strafausspruch zum Teil aufgehoben.
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- 1. Für die Revisionshauptverhandlung war der vom Landgericht bestellte Pflichtverteidiger Dr. N. vom Senat geladen worden. Er trat als einziger Verteidiger des Angeklagten, der sich nicht auf freiem Fuß befand und deswegen unter Hinweis auf § 350 Abs. 3 StPO vom Hauptverhandlungstermin benachrichtigt worden war, in der Verhandlung auf. Einen ausdrücklichen Antrag auf Beiordnung von Dr. N. als Verteidiger auch für die Revisionshauptverhandlung stellten weder der (in der Verhandlung nicht anwesende) Angeklagte noch der Verteidiger selbst. Gleichwohl beantragt Rechtsanwalt Dr. N. nun die Festsetzung einer Pauschgebühr für die Revisionshauptverhandlung. Indem er geltend macht, in der Ladung sei seine konkludente Beiordnung als Verteidiger für die Revisionshauptverhandlung zu sehen, beantragt er zugleich die Feststellung dieser Beiordnung.
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- 2. Gemäß § 51 Abs. 2 Satz 2 RVG ist der Bundesgerichtshof für die Entscheidung über die Festsetzung einer Pauschgebühr für die Tätigkeit eines Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung zuständig, wenn er den Rechtsanwalt bestellt hat.
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- An einer ausdrücklichen Bestellung fehlt es zwar. Rechtsanwalt Dr. N. ist hier jedoch stillschweigend zum Verteidiger des Angeklagten für die Revisionshauptverhandlung bestellt worden. Er hat nicht nur eine Terminsnachricht zugestellt bekommen, sondern war auch als einziger Verteidiger des nicht auf freiem Fuß befindlichen (vgl. dazu § 350 Abs. 3 StPO) Angeklagten in der Revisionshauptverhandlung aufgetreten. Seine Beiordnung war auch rechtlich geboten (vgl. dazu BGH, Verfügungen des Vorsitzenden vom 20. Juli 2009 – 1 StR 344/08, StV 2011, 645, und vom 19. Dezember 1996 – 1 StR 76/96, NStZ 1997, 299); denn der Senat hätte die Revisionshauptverhandlung ohne Anwesenheit eines Verteidigers nicht durchgeführt. Anlass für die mündliche Verhandlung war die Schwierigkeit der Rechtslage im Bereich der Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung durch Unterlassen, dabei insbe- sondere die Auslegung des Merkmals „pflichtwidrig“ in § 370Abs. 1 Nr. 2 AO und die Frage der Zurechnung fremder Pflichtverletzungen nach den allgemeinen Grundsätzen der Mittäterschaft. Für die Erörterung dieser Rechtsfragen bedurfte der Angeklagte eines Verteidigers in der Hauptverhandlung. Nachdem ein weiterer vom Termin benachrichtigter Verteidiger des Angeklagten zum Termin nicht erschienen war, lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Bestellung von Dr. N. zum Verteidiger für die Revisionshauptverhandlung vor (vgl. § 140 Abs. 2 StPO).
Mosbacher Fischer
Annotations
(1) Dem Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter und dem Verteidiger sowie dem Nebenkläger und den Personen, die nach § 214 Absatz 1 Satz 2 vom Termin zu benachrichtigen sind, sind Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen. Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, so ist dieser zu laden.
(2) Der Angeklagte kann in der Hauptverhandlung erscheinen oder sich durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Die Hauptverhandlung kann, soweit nicht die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, auch durchgeführt werden, wenn weder der Angeklagte noch ein Verteidiger anwesend ist. Die Entscheidung darüber, ob der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird, liegt im Ermessen des Gerichts.
(3) (weggefallen)
(1) In Strafsachen, gerichtlichen Bußgeldsachen, Verfahren nach dem Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen, in Verfahren nach dem IStGH-Gesetz, in Freiheitsentziehungs- und Unterbringungssachen sowie in Verfahren nach § 151 Nummer 6 und 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist dem gerichtlich bestellten oder beigeordneten Rechtsanwalt für das ganze Verfahren oder für einzelne Verfahrensabschnitte auf Antrag eine Pauschgebühr zu bewilligen, die über die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis hinausgeht, wenn die in den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses bestimmten Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit nicht zumutbar sind. Dies gilt nicht, soweit Wertgebühren entstehen. Beschränkt sich die Bewilligung auf einzelne Verfahrensabschnitte, sind die Gebühren nach dem Vergütungsverzeichnis, an deren Stelle die Pauschgebühr treten soll, zu bezeichnen. Eine Pauschgebühr kann auch für solche Tätigkeiten gewährt werden, für die ein Anspruch nach § 48 Absatz 6 besteht. Auf Antrag ist dem Rechtsanwalt ein angemessener Vorschuss zu bewilligen, wenn ihm insbesondere wegen der langen Dauer des Verfahrens und der Höhe der zu erwartenden Pauschgebühr nicht zugemutet werden kann, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten.
(2) Über die Anträge entscheidet das Oberlandesgericht, zu dessen Bezirk das Gericht des ersten Rechtszugs gehört, und im Fall der Beiordnung einer Kontaktperson (§ 34a des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz) das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt liegt, durch unanfechtbaren Beschluss. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig, soweit er den Rechtsanwalt bestellt hat. In dem Verfahren ist die Staatskasse zu hören. § 42 Absatz 3 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Absatz 1 gilt im Bußgeldverfahren vor der Verwaltungsbehörde entsprechend. Über den Antrag nach Absatz 1 Satz 1 bis 3 entscheidet die Verwaltungsbehörde gleichzeitig mit der Festsetzung der Vergütung.
(1) Dem Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter und dem Verteidiger sowie dem Nebenkläger und den Personen, die nach § 214 Absatz 1 Satz 2 vom Termin zu benachrichtigen sind, sind Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen. Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, so ist dieser zu laden.
(2) Der Angeklagte kann in der Hauptverhandlung erscheinen oder sich durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Die Hauptverhandlung kann, soweit nicht die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, auch durchgeführt werden, wenn weder der Angeklagte noch ein Verteidiger anwesend ist. Die Entscheidung darüber, ob der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird, liegt im Ermessen des Gerichts.
(3) (weggefallen)
(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn
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zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet; - 2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird; - 3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann; - 4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist; - 5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet; - 6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt; - 7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird; - 8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist; - 9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist; - 10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint; - 11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.
(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
(3) (weggefallen)