Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Juli 2012 - 1 StR 301/12

bei uns veröffentlicht am10.07.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 301/12
vom
10. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Juli 2012 beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten vom 25. Juni 2012 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Heilung der Mängel von nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechenden Verfahrensrügen wird zurückgewiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe - Auswärtige Jugendkammer in Pforzheim - vom 22. Februar 2012 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat zum Wiedereinsetzungsantrag gemäß § 44 StPO: 1. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.

a) Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinem Verteidiger mit der Sachrüge und mit Verfahrensrügen in- nerhalb der Frist des § 345 StPO begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 7).

b) Die Zulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs ergibt sich auch nicht daraus, dass geltend gemacht wird, den Angeklagten treffe an den Mängeln kein Verschulden, er sei sich des Formerfordernisses des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht einmal bewusst gewesen.
Das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung dient nicht der Heilung von Zulässigkeitsmängeln von fristgemäß erhobenen Verfahrensrügen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; BGH wistra 1992, 28). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46; BGH, Beschluss vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08).
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl.
BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschluss vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01; Beschluss vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07; BGH, Beschluss vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08; Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 44 Rn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
2. Im Übrigen könnten die erhobenen Aufklärungsrügen hier auch unter Berücksichtigung des im Rahmen des Wiedereinsetzungsantrags vorgebrachten neuen Sachvortrags keinen Erfolg haben. Sie benennen keine konkreten Beweistatsachen, sondern lediglich das Beweisziel. Zudem belegen sie nicht, aus welchen Gründen sich das Tatgericht zu den von der Verteidigung vermissten Beweiserhebungen hätte gedrängt sehen müssen.
Nack Rothfuß Hebenstreit Jäger Cirener

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

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War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 6/08
vom
27. März 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
__________________
Zur Verlesung von schriftlichen Erklärungen des Angeklagten durch das Gericht
und zur Behandlung hierauf gerichteter Beweisanträge.
BGH, Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - LG Hildesheim
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am 27.
März 2008 gemäß §§ 44, 46 Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zur Wiederholung einer Verfahrensrüge wird
zurückgewiesen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 1. Juni 2007 im Strafausspruch
aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 19. Mai 2004 (15 KLs 5423 Js 81242/00) erkannten Strafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Mona- ten verurteilt. Außerdem hat es bestimmt, dass die "von dem Angeklagten in dem einbezogenen Urteil bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen angerechnet wird".
2
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten haben seine beiden Verteidiger mit mehreren Verfahrensrügen und der Sachrüge fristgerecht begründet. Die von Rechtsanwalt Dr. W. erhobene Rüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO), hat den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt, weil der Gerichtsbeschluss vom 23. Januar 2006, mit dem der Besetzungseinwand zurückgewiesen worden war, nicht mitgeteilt worden ist. Von diesem Formfehler hat der Angeklagte durch die seinen Verteidigern zugestellte Stellungnahme des Generalbundesanwalts erfahren. Daraufhin hat er durch Rechtsanwalt Dr. W. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung der Verfahrensrüge beantragt und in der Anlage die um den Gerichtsbeschluss ergänzte Rüge übergeben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe die Frist zu deren Erhebung unverschuldet versäumt, weil er sich auf die ordnungsgemäße Sachbearbeitung durch den Verteidiger habe verlassen können.
3
I. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.
4
Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinen Verteidigern mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensrügen fristgerecht begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 7). Auch die Rüge fehlerhafter Gerichtsbeset- zung ist nicht verspätet, sondern lediglich nicht in der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form erhoben worden.
5
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; BGH wistra 1992, 28). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46). Die Gegenmeinung, die in einem solchen Fall aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit generell Wiedereinsetzung gewähren will (vgl. Wendisch in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 44 Rdn. 16; Berndt StraFo 2003, 112, 114) berücksichtigt nicht ausreichend, dass Formvorschriften zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Strafprozesses erforderlich sind.
6
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01; Beschl. vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 44 Rdn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
7
Auch bei Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bliebe die ergänzte Rüge ohne Erfolg; denn sie wäre unbegründet, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat.
8
II. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler auf. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bedarf der näheren Erörterung lediglich die Beanstandung, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2, 3 StPO die schriftliche Erklärung des Angeklagten vom 3. November 2006 nicht im Wege des Urkundsbeweises verlesen.
9
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
10
In der Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vorgeworfen , die D. GmbH zur Auszahlung eines Darlehens von 2,4 Mio. DM durch die Täuschung über den Verwendungszweck des Geldes - den Kauf von Geräteteilen zur Herstellung von 20 Kaltlichtbestrahlungsgeräten - veranlasst zu haben. Nach Verlesung der Anklageschrift hat sich der Angeklagte zur Sache nicht eingelassen. In der Hauptverhandlung vom 10. November 2006 (41. Hauptverhandlungstag) hat er beantragt, im Wege des Urkundsbeweises sein an das Landgericht adressiertes, zur Strafakte gelangtes Schreiben vom 3. November 2006 zu verlesen zu dem Beweisthema: "Die Verlesung wird folgenden Wortlaut der Erklärung ergeben: ….". Angefügt war dem Antrag das vierseitige Schreiben im Wortlaut. In ihm hat sich der Angeklagte zur finanziellen Lage der D GmbH geäußert, die bisherige Beweisaufnahme bewertet und insbesondere die Behauptung aufgestellt, es sei zwischen ihm und der durch den Zeugen De. vertretenen D. GmbH tatsächlich ein Kaufvertrag über 20 Kaltlichtbestrahlungsgeräte abgeschlossen worden, der nur zur Beschönigung der Bilanz der GmbH als Darlehensvertrag bezeichnet worden sei; das ausbezahlte Darlehen habe in Wirklichkeit eine Anzahlung auf den Kaufpreis sein sollen. Außerdem hat er in dem Schreiben mehrere Beweisbehauptungen aufgestellt und dafür Beweismittel benannt.
11
Mit Beschluss vom 20. November 2006 hat die Strafkammer den Verlesungsantrag mit folgender Begründung abgelehnt: "Soweit der Angeklagte beantragt , seine eigene Erklärung zu verlesen, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, weil es an einer Beweistatsache fehlt. Da der Angeklagte wiederholt … erklärt hat, er wolle sich nicht einlassen, sieht sich die Kammer daran gehindert, die Erklärung von Amts wegen zu verlesen. Die schriftliche Äußerung des Angeklagten spiegelt seine Auffassung und Meinung zu bestimmten Geschehnissen wieder. Würde sie verlesen, käme dies einer Einlassung insoweit gleich (sog. Einlassungssurrogat). Damit wäre die Möglichkeit zur Bewertung seines Schweigens zu diesen Punkten im Übrigen eröffnet, was der Angeklagte gerade ausdrücklich nicht wünscht."
12
2. Die Rüge hat keinen Erfolg. Die Ablehnung des Antrags hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
13
a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Begehren des Angeklagten nicht um einen Beweisantrag handelte, der nur unter einer der Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StPO hätte zurückgewiesen werden können.
14
aa) Das Schreiben des Angeklagten vom 3. November 2006 enthielt - wenn man von den Beweisanträgen absieht, über die das Landgericht gesondert entschieden hat und die nicht Gegenstand der Rüge sind - sowohl seiner Zweckbestimmung als auch seinem Inhalt nach im Kern eine den Vorwurf des Betrugs bestreitende Einlassung zur Sache, auch wenn der Angeklagte wieder- holt ausdrücklich erklärt hatte, von seinem Schweigerecht Gebrauch machen zu wollen. Ist ein Angeklagter aber bereit, Angaben zur Sache zu machen, so ist er gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 2 StPO zu vernehmen. Die Vernehmung erfolgt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem Zweck der Vorschrift durch eine mündliche Befragung mit mündlichen Antworten (BGH NStZ 2000, 439; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 243 Rdn. 44; Meyer-Goßner aaO § 243 Rdn. 30). Der Angeklagte hat daher keinen Anspruch darauf, dass das Gericht seine schriftliche Einlassung in der Hauptverhandlung verliest (vgl. BGH NJW 1994, 2904, 2906 - insoweit in BGHSt 40, 211 nicht abgedruckt; BGH NStZ 2000, 439; 2004, 163, 164; StV 2007, 622; Tolksdorf aaO § 243 Rdn. 44 m. w. N.; Frister in SK-StPO 54. Lfg. § 243 Rdn. 71). Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte zu dem in § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO vorgesehenen Zeitpunkt der Hauptverhandlung zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, in deren späteren Verlauf jedoch zum Anklagevorwurf Stellung nehmen will (vgl. BGH NStZ 1986, 370).
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bb) Diese gesetzlich vorgesehene Form der Einlassung des Angeklagten kann nicht dadurch umgangen werden, dass dieser seine Stellungnahme zur Anklage in einem Schreiben an das Gericht niederlegt und nach dessen Eingang einen Antrag auf Verlesung des Wortlauts im Urkundsbeweis stellt. Die Beweisbehauptung, der Angeklagte habe sich in einem Schriftstück in einer bestimmten Weise zum Tatvorwurf geäußert, betrifft für sich grundsätzlich keine für die Entscheidung über den Schuldspruch oder Rechtsfolgenausspruch relevante Beweistatsache, die im formellen Strengbeweis aufzuklären ist (vgl. BGH NJW 1994, 2904, 2906; NStZ 2000, 439; StV 2007, 622; Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 18 m. w. N.; aA Schlothauer StV 2007, 623, 625). Anders liegt es nur, wenn gerade der Inhalt des Schriftstückes an sich als Beweisgrundlage für den Urteilsspruch heranzuziehen ist. Im Einzelnen:
16
Die Sacheinlassung eines Angeklagten ist zwar Teil der Beweisaufnahme im materiellen Sinn, weil sie den Umfang der durchzuführenden formellen Beweisaufnahme bestimmt und über eine Tatsache, die dieser glaubhaft eingestanden hat, kein Beweis erhoben werden muss (vgl. Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 3; Schlüchter in SK-StPO aaO § 244 Rdn. 26, 28; vgl. auch Frister in SK-StPO aaO § 243 Rdn. 52). Sie gehört jedoch nicht zu der in den §§ 244 - 257 StPO geregelten formellen Beweisaufnahme und ist damit kein Beweismittel im technischen Sinn (vgl. Schlüchter aaO). Dies ergibt sich schon daraus, dass gemäß § 243 Abs. 3 und 4, § 244 Abs. 1 StPO die Vernehmung eines aussagebereiten Angeklagten zur Sache nach Verlesung der Anklageschrift vor Beginn der eigentlichen Beweisaufnahme erfolgt und das Gesetz somit eine Trennung der Einlassung von der formellen Beweisaufnahme vorsieht (Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 2).
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An dieser gesetzlichen Konzeption ändert sich im Grundsatz nichts dadurch , dass der Angeklagte auf sein Recht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, sich vor der formellen Beweisaufnahme mündlich zum Tatvorwurf zu äußern, verzichtet und statt dessen rechtliches Gehör in der Weise in Anspruch nimmt, dass er dem Gericht eine schriftliche Stellungnahme zu der Beschuldigung überreicht oder zusendet. Nicht anders als bei einer mündlichen Einlassung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO erwächst dem Gericht hieraus zunächst lediglich die Verpflichtung, das Vorbringen des Angeklagten zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, inwieweit dieses nach Maßgabe des § 244 Abs. 2 StPO Anlass gibt, die Sachaufklärung durch formelle Beweisaufnahme auf bestimmte zusätzliche Gesichtspunkte zu erstrecken. Es gilt hier nichts anderes als in den Fällen, in denen sich der Angeklagte schon vor der Hauptverhandlung schriftlich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf geäußert hat, etwa nach § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO, durch Einwendungen im Sinne des § 201 Abs. 1 StPO oder im Zusammenhang mit Anträgen nach § 219 Abs. 1 StPO. Insoweit ist bis- her - soweit ersichtlich - nicht ernsthaft vertreten worden, dass derartige schriftliche Äußerungen in der Hauptverhandlung verlesen werden müssen, um gegebenenfalls die gerichtliche Aufklärungspflicht zu aktivieren.
18
Unterschiede ergeben sich erst dann, wenn gerade der Inhalt der Einlassung des Angeklagten als Grundlage des Urteilsspruchs herangezogen werden soll. Legt der Angeklagte bei seiner Vernehmung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO etwa ein Geständnis ab, so wird dieses durch seine mündliche Äußerung im Rahmen der materiellen Beweisaufnahme zum Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) und darf daher vom Gericht bei der Urteilsfindung verwertet werden (siehe oben). Anders liegt es bei einem Geständnis, das der Angeklagte dem Gericht in schriftlicher Form zukommen lässt. Hier muss der Wortlaut des Schriftstücks durch Verlesung im formellen Urkundsbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wenn das Geständnis als Grundlage des Urteils herangezogen werden soll (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 33; Meyer-Goßner aaO § 249 Rdn. 13). Es gilt hier nichts anderes als für schriftliche Geständnisse des Angeklagten, die nicht für das Gericht bestimmt waren und etwa durch Sicherstellung oder Beschlagnahme Bestandteil der Verfahrensakten geworden sind. Ebenso liegt es bei einer erheblichen Divergenz zwischen der mündlichen Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und seiner schriftlichen Stellungnahme zum Tatgeschehen, wenn aus letzterer Schlussfolgerungen dazu gezogen werden sollen, ob die mündliche Einlassung glaubhaft ist (vgl. Frister aaO § 243 Rdn. 72). Wird in diesen Fällen ein Antrag gestellt, die schriftliche Erklärung des Angeklagten zu verlesen , ist dies ein Beweisantrag, der nur unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StPO zurückgewiesen werden kann. Allerdings wird schon die Aufklärungspflicht im Regelfall zur Verlesung des Schriftstückes drängen.
19
Nach diesen Maßstäben handelte es sich bei dem Beweisbegehren vom 10. November 2006 nicht um einen Beweisantrag. Es war nicht darauf gerichtet, den Wortlaut des Schreibens als solchen dem Urteil zugrunde zu legen; vielmehr wollte der Angeklagte lediglich seine den Tatvorwurf bestreitende Einlassung sowie vor deren Hintergrund seine Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme strengbeweislich in die Hauptverhandlung eingeführt wissen , obwohl das Gesetz diese Form der Beweiserhebung hierfür gerade nicht vorsieht. Das Gericht hatte den Inhalt des Schreibens auch ohne dessen urkundsbeweisliche Verlesung zur Kenntnis zu nehmen und - soweit durch § 244 Abs. 2 StPO geboten - für die Gestaltung und gegebenenfalls den Umfang der Beweiserhebung zu berücksichtigen, aber auch bei der Beurteilung von deren Ergebnissen in Betracht zu ziehen.
20
cc) Abschließend bemerkt der Senat zu diesem Punkt:
21
Das vom Angeklagten mit seinem Vorgehen ersichtlich verfolgte Interesse , nach einer Verlesung seiner schriftlichen Einlassung durch das Gericht im formellen Strengbeweis (§ 249 Abs. 1 StPO) im Revisionsverfahren mit der Rüge einer Verletzung des § 261 StPO beanstanden zu können, das Urteil habe sich mit wesentlichem Entlastungsvorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt , rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. Frister aaO; Frisch in SK-StPO 37. Aufbau-Lfg. § 337 Rdn. 81 m. w. N.). Zwar handelt es sich bei einer schriftlichen Einlassung um eine grundsätzlich verlesbare Urkunde, weil das Gesetz die Verlesung nicht ausschließt (vgl. BGHSt 39, 305, 306). Jedoch kann ein schweigender Angeklagter das Gericht nicht zur Verlesung einer schriftlichen Einlassung zwingen und damit im Ergebnis wählen, ob er sich mündlich oder schriftlich zur Sache einlassen will. Ein solches Wahlrecht zwischen einer durch das Gericht verlesenen, ihre Sachbehandlung im Urteil inhaltlich revisionsrechtlich voll überprüfbaren schriftlichen Einlassung einerseits und einer in der Hauptverhandlung selbst vorgetragenen, revisionsrechtlich nur mittelbar über deren Wiedergabe im Urteil überprüfbaren Aussage andererseits ist mit der auf die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit angelegten Konzeption des Strafverfahrens und dem hieran anknüpfenden inhaltlich eingeschränkten System der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht vereinbar (vgl. Geppert in FS für Rudolphi S. 643, 654).
22
b) Aus dem Gesagten folgt, dass auch die gerichtliche Pflicht zur Amtsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) es nicht gebot, das Schreiben des Angeklagten vom 3. November 2006 im Wege des Urkundsbeweises zu verlesen. Daher ist es revisionsrechtlich unerheblich, dass sich das Landgericht nach dem Wortlaut seines Ablehnungsbeschlusses nicht bewusst war, dieses verlesen zu können (vgl. BGHSt 39, 305, 306).
23
Gemäß § 244 Abs. 2 StPO hat das Gericht die Pflicht, zur Ermittlung des wahren Sachverhalts von Amts wegen die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und zulässigen Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung über den Tatvorwurf von Bedeutung sind und zur Sachaufklärung beitragen können. Deshalb muss es im Rahmen der angeklagten Tat die beweisbedürftigen Tatsachen mit allen zulässigen Beweismitteln feststellen, die für die Schuldfrage oder die in Betracht kommenden Rechtsfolgen erheblich sind (vgl. Gollwitzer aaO § 244 Rdn. 40; Schlüchter aaO § 244 Rdn. 31, 35). Der konkrete Inhalt des Schreibens vom 3. November 2006 enthielt jedoch - wie oben dargestellt - als rein bestreitende Einlassung zum Tatvorwurf kein für den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wesentliches Vorbringen, aus dem für sich zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten Schlüsse hätten gezogen werden können. Zu seiner Verlesung im Urkundsbeweis drängte daher nichts. Soweit das Schreiben Beweisanträge enthielt, hat das Landgericht darüber entschieden. Eine Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben.
24
Dem Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wurde dadurch Rechnung getragen, dass sein Schreiben Aktenbestandteil geworden ist, das Gericht dessen Inhalt zur Kenntnis genommen hat und unter Aufklärungsgesichtspunkten verpflichtet war, die Beweisaufnahme auf alle nach dem Inhalt des Schreibens sich aufdrängenden Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken. Somit kann eine zur Akte gelangte schriftliche Einlassung den Umfang und den Inhalt der Beweisaufnahme bestimmen. Wenn das Gericht einer nach dem Inhalt einer schriftlichen Einlassung sich aufdrängenden Beweistatsache nicht nachgeht oder ein sich danach aufdrängendes Beweismittel nicht verwendet, beispielsweise einen Tatzeugen oder Alibizeugen nicht vernimmt, verletzt es insoweit seine Aufklärungspflicht. Mit der Aufklärungsrüge kann dann aber nicht die unterlassene Verlesung der Einlassung als solche gerügt werden, sondern nur die unterlassene Erhebung von Beweisen, die sich aufgrund der zum Akteninhalt gewordenen schriftlichen Erklärung aufdrängte.
25
Darüber hinaus gilt hier: Soweit das im Verlesungsantrag des Angeklagten wiedergegebene Schreiben vom 3. November 2006 Anlass hätte geben können, bestimmten Beweisanregungen nachzugehen, insbesondere den Zeugen De. nochmals zu vernehmen, ist die Aufklärungsrüge unzulässig. Es fehlt an der Mitteilung sowohl des zu erwartenden Beweisergebnisses als auch der Umstände, aufgrund derer sich die Beweiserhebung aufgedrängt hat. Zudem wäre die Aufklärungsrüge auch unbegründet. Die in der schriftlich formulierten Einlassung enthaltenen Behauptungen wurden - soweit bedeutsam - vom Landgericht bei der Beweisaufnahme berücksichtigt und in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert.
26
III. Der Strafausspruch hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht Stand, weil das Landgericht die festgestellte Verletzung des Gebots zügiger Verfah- renserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) in einer der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht werdenden Weise kompensiert hat.
27
1. Das Landgericht hat für den Betrug mit rechtsfehlerfreien Erwägungen eine Einzelstrafe von fünf Jahren als eigentlich verwirkt angesehen. Sodann hat es unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung (vgl. hierzu BGH NJW 2007, 3294 ff.) die ohne Rechtsfehler festgestellte Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und neun Monaten dadurch kompensiert, dass es eine Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt hat. Aus dieser Strafe und den Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 19. Mai 2004 (15 KLs 5423 Js 81242/00) - eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, neunzehn Freiheitsstrafen von sechs Monaten, vier Geldstrafen von 120 Tagessätzen und acht Geldstrafen von 180 Tagessätzen - hat es unter Auflösung der verhängten Gesamtstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet und darauf die bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen angerechnet.
28
2. Dies entspricht nicht dem Verfahren, in dem nach der nach Verkündung des angefochtenen Urteils geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu kompensieren ist (vgl. BGH-GS- NJW 2008, 860 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Danach ist die Kompensation nicht mehr durch einen bezifferten Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen. Vielmehr muss zunächst eine schuldangemessene, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafe festgesetzt werden, wobei der lange zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen und als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen sind (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Aus dieser Strafe und den einbeziehenden Strafen ist sodann eine Gesamtstrafe zu bilden, die in der Urteilsformel verhängt wird. Schließlich muss die Kompensation dadurch vorgenommen werden, dass in der Urteilsformel ausgesprochen wird, welcher bezifferte Teil der verhängten Gesamtstrafe als Kompensation der Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht.
29
Der neue Tatrichter ist durch § 358 Abs. 2 StPO nicht gehindert, für den Betrug eine höhere Einzelstrafe als die bisher erkannte von drei Jahren und sechs Monaten zu verhängen, die jedoch die im angefochtenen Urteil als an sich verwirkt und ohne Kompensation als schuldangemessen angesehene Einzelstrafe von fünf Jahren nicht übersteigen darf. Die zu verbüßende Strafe (die aus der schuldangemessenen Strafe und den einzubeziehenden Einzelstrafen zu bildenden Gesamtstrafe abzüglich des zur Kompensation der Verfahrensverzögerung für vollstreckt zu erklärenden Teils) darf jedoch fünf Jahre und sechs Monate nicht übersteigen. Die bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen ist gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB kraft Gesetzes auf die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen.
30
Der Angeklagte wird, auch wenn der neue Tatrichter auf eine fünf Jahre und sechs Monate übersteigende Gesamtfreiheitsstrafe erkennt, hier durch die Kompensation in Form einer Anrechnung besser gestellt, weil sich der Zeitpunkt , zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, vorverlagert wird. Er kann deshalb - bei Vorliegen der übrigen, hier durchaus in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB - früher zur Bewährung aus dem Strafvollzug entlassen werden. Durch die Anwendung des früheren Strafabschlagsmodells ist er daher beschwert.
31
3. Die Feststellungen des Landgerichts sind durch die rechtsfehlerhafte Verfahrensweise bei der Kompensation nicht berührt. Sie können daher aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 57/01
vom
15. März 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 15. März 2001 gemäß
§§ 44, 46 Abs. 1, 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung von Verfahrensrügen wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stade vom 14. September 2000 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, mit unerlaubter Ausübung der tatsächlichen Gewalt über eine halbautomatische Selbstladekurzwaffe und mit dem Führen derselben zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
1. Wie der Generalbundesanwalt näher dargelegt hat, ist das Wiedereinsetzungsgesuch unzulässig, da infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge die Revisionsbegründungsfrist nicht versäumt worden war und eine von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahmesituation zur Gewährung von Wiedereinsetzung zur Ergänzung der bisherigen Revisionsbegründung nicht gegeben
ist (st. Rspr., vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 3, 7). Im übrigen weist der Senat daraufhin, daß die sachlichrechtlichen Ausführungen in dem nachgereichten Schriftsatz vom 13. Dezember 2000 unbeschadet des Fristablaufs vom Senat berücksichtigt werden konnten und mußten und daß die beiden - verspäteten - Verfahrensrügen den Bestand des Urteils aus den nachfolgend genannten Gründen ohnehin nicht hätten gefährden können.
2. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.

a) Die Strafkammer hat einen bedingten Tötungsvorsatz, der sich bei den festgestellten Tatumständen und den vorausgegangenen Drohungen des Angeklagten regelrecht aufgedrängt hatte, ohne Rechtsfehler bejaht. Daß sie im Schuld- und Strafausspruch nicht berücksichtigt hat, daß sich dieser bedingte Tötungsvorsatz auf alle vier im Eingangsbereich befindlichen Gäste bezogen hatte, weil der Angeklagte auf diese Gruppe und nicht auf einen einzelnen von ihnen gezielt und dabei seine Waffe leer geschossen hatte, weshalb er wegen versuchten Totschlags in vier tateinheitlich begangenen Fällen hätte verurteilt werden müssen (vgl. BGH, Beschl. vom 6. September 2000 - 3 StR 226/00), beschwert ihn nicht.

b) Soweit die Verteidigung beanstandet, daß die Strafkammer nicht die Voraussetzungen des § 213 StGB bejaht hat, übersieht sie, daß dies für den Angeklagten nachteilig gewesen wäre, da der Strafrahmen des § 213 StGB mit Freiheitsstrafe von einem bis zehn Jahren höher als der zweifach gemilderte Strafrahmen nach §§ 21, 23, 49 Abs. 1, 212 StGB ist. Im übrigen weist weder
die Strafrahmenwahl noch die engere Strafzumessung einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
3. Die verspäteten Verfahrensrügen hätten der Revision nicht zum Erfolg verhelfen können. Ob der Beweisantrag zum Beweis der Tatsache, daß sich der Angeklagte die Waffe zum Eigenschutz besorgt hatte, als bedeutungslos hätte abgelehnt werden dürfen, kann dabei offen bleiben, da die Strafzumessung auf einem etwaigen Fehler nicht beruhen würde. Die Strafkammer hat die Strafe dem zweifach gemilderten Strafrahmen des § 212 StGB entnommen und dabei lediglich ergänzend berücksichtigt, daß tateinheitlich zwei Tatbestände des Waffengesetzes verwirklicht worden sind. Dabei hat sie jedoch rechtsfehlerhaft zu Gunsten des Angeklagten die Voraussetzungen einer - ohnehin rechtlich zweifelhaften - erheblichen Minderung der Schuld nach § 21 StGB auf Grund der erheblichen Alkoholisierung und Erregung des Angeklagten auch für die Tatbestände des bereits seit Monaten begangenen Tatbestandes der Ausübung der tatsächlichen Gewalt und für das ebenfalls schon vor Trinkbeginn erfolgte Führen der halbautomatischen Selbstladekurzwaffe angenommen. Durch diesen Fehler zu Gunsten des Angeklagten wäre eine etwaig unterbliebene Berücksichtigung des Selbstschutzes bei der Gewichtung der Waffenverstöße mehr als ausgeglichen.
Der Antrag auf Einnahme eines Ortsaugenscheins "zur Klärung der Sichtverhältnisse" stellt keinen Beweisantrag dar, da es an der Angabe einer konkreten unter Beweis gestellten Tatsache fehlt.
Der Schriftsatz des Verteidigers vom 26. Februar 2001, hier eingegangen am 15. März 2001, hat bei der Beratung vorgelegen.
Kutzer Miebach Winkler Pfister von Lienen

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 432/07
vom
25. September 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. September 2007 beschlossen
:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der Frist zur Anbringung weiterer
Verfahrensrügen wird zurückgewiesen (§ 46 StPO).
2. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München I vom 10. Januar 2007 wird als unbegründet
verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Angeklagten, die der Verteidiger, Rechtsanwalt S. - dem das Urteil rechtswirksam zugestellt worden ist - innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO mit Verfahrensrügen und der Sachrüge begründet hat. Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist hat der Angeklagte persönlich beim Rechtspfleger des Amtsgerichts München die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Anbringung weiterer Verfahrensrügen mit der Begründung beantragt, er wolle umfangreiche Rügen, die zwei Leitz-Ordner füllten, erheben.
2
1. Eine Wiedereinsetzung zur Anbringung von Verfahrensrügen kommt nicht in Betracht, da die Revision des Angeklagten frist- und formgerecht mit Verfahrensrügen und der - auch vom Angeklagten selbst erhobenen - Sachrüge begründet worden ist (BGHSt 1, 44). Nur bei besonderen Verfahrenslagen, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint, kommen Ausnahmen von diesem Grundsatz in Betracht. Ein solcher Fall liegt bei dem von zwei Verteidigern vertretenen Angeklagten nicht vor. Der Angeklagte hat selbst vorgetragen, dass ihn die Rechtspfleger über die richtige Art der Revisionsbegründung belehrt und ihn darauf hingewiesen hätten, dass die Verfahrensrügen wohl nicht wirksam seien. Erst danach hätten sie es abgelehnt, die zahlreichen Rügen des Angeklagten zu protokollieren. Dies war sachgerecht, denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sollen die Revisionsgerichte vor einer Überlastung durch unsachgemäßes Vorbringen Rechtsunkundiger bewahrt werden. Auch soll vermieden werden, dass Revisionen rechtsunkundiger Angeklagter schon von vornherein an Formfehlern oder sonstigen Mängeln scheitern (BVerfGE 64, 135, 152).
3
2. Die vom Verteidiger, Rechtsanwalt S. , erhobenen Verfahrensrügen sind teilweise unzulässig, im Übrigen unbegründet. Zu den zwei Befangenheitsrügen und dem Vorwurf, die Vorsitzende der Strafkammer habe vor der Vernehmung des Zeugen C. eigene Ermittlungen angestellt und die Verteidigung nicht über die Ergebnisse informiert und ihr als Organ der Rechtspflege Vernehmungsprotokolle und Aktenbestandteile vorenthalten, ist den Urteilsgründen folgendes zu entnehmen: „Von seiner Aussage und der Übergabe der Unterlagen ließ er sich letztlich auch durch Aktionen des Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalt Co. , der sein Erscheinen zu verhindern versuchte , nicht abhalten. Der Zeuge berichtete, dass Rechtsanwalt Co. ihn telefonisch kontaktiert habe und ihn aufgefordert habe , nicht nach Deutschland zu kommen oder sich zunächst mit Co. zu treffen. Daraufhin habe er sich bemüht, Kontakt mit der Zeugin D. zu bekommen. Dies sei ihm über den Zivilanwalt K. der Zeugin D. gelungen. Der daraufhin geladene Zeuge K. bestätigte diesen Kontakt. Er berichtete, dass C. gefragt habe, wo Frau D. sei. Auf die Mitteilung, dass sich Frau D. in der Justizvollzugsanstalt Aichach befinde, habe C. zum Ausdruck gebracht, dass er sich wegen der Anrufe des Rechtsanwalts Co. bedroht fühle. Rechtsanwalt Co. wirkte nach der Aussage des Zeugen K. auch auf ihn ein. Bei drei Telefonaten - am 23.05., 24.05. und 02.06.2006 - habe Co. sich als Rechtsanwalt des C. ausgegeben und größte Schwierigkeiten für die Zeugin D. angedroht, falls C. gegen den Angeklagten aussage. Es werde „zappenduster“, wenn C. erst einmal aussage. Auch gäbe es keine Unterlagen in der Türkei, die den Angeklagten belasten würden. Dieses Vorgehen des Verteidigers Co. steht aufgrund der glaubhaften Aussagen der Zeugen K. , C. und D. fest“.
4
Das befremdliche Verhalten des Verteidigers, Rechtsanwalt Co. , das auf eine unlautere Beeinflussung von Zeugen gerichtet war, machte die Vorgehensweise der Vorsitzenden unumgänglich.
5
3. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.
Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 6/08
vom
27. März 2008
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
__________________
Zur Verlesung von schriftlichen Erklärungen des Angeklagten durch das Gericht
und zur Behandlung hierauf gerichteter Beweisanträge.
BGH, Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 6/08 - LG Hildesheim
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 3. auf dessen Antrag - am 27.
März 2008 gemäß §§ 44, 46 Abs. 1, 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen
:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand zur Wiederholung einer Verfahrensrüge wird
zurückgewiesen.
2. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 1. Juni 2007 im Strafausspruch
aufgehoben; die Feststellungen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges unter Einbeziehung der durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 19. Mai 2004 (15 KLs 5423 Js 81242/00) erkannten Strafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Mona- ten verurteilt. Außerdem hat es bestimmt, dass die "von dem Angeklagten in dem einbezogenen Urteil bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen angerechnet wird".
2
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten haben seine beiden Verteidiger mit mehreren Verfahrensrügen und der Sachrüge fristgerecht begründet. Die von Rechtsanwalt Dr. W. erhobene Rüge, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO), hat den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht genügt, weil der Gerichtsbeschluss vom 23. Januar 2006, mit dem der Besetzungseinwand zurückgewiesen worden war, nicht mitgeteilt worden ist. Von diesem Formfehler hat der Angeklagte durch die seinen Verteidigern zugestellte Stellungnahme des Generalbundesanwalts erfahren. Daraufhin hat er durch Rechtsanwalt Dr. W. die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung der Verfahrensrüge beantragt und in der Anlage die um den Gerichtsbeschluss ergänzte Rüge übergeben. Zur Begründung hat er ausgeführt, er habe die Frist zu deren Erhebung unverschuldet versäumt, weil er sich auf die ordnungsgemäße Sachbearbeitung durch den Verteidiger habe verlassen können.
3
I. Das Wiedereinsetzungsgesuch ist unzulässig.
4
Das Gesetz räumt die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur für den Fall ein, dass eine Frist versäumt worden ist (§ 44 Satz 1 StPO). Eine Fristversäumung liegt hier nicht vor, weil die Revision des Angeklagten von seinen Verteidigern mit der Sachrüge und mit mehreren Verfahrensrügen fristgerecht begründet worden ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1, 3, 7). Auch die Rüge fehlerhafter Gerichtsbeset- zung ist nicht verspätet, sondern lediglich nicht in der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form erhoben worden.
5
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Wiederholung einer zunächst vom Verteidiger nicht formgerecht vorgetragenen und daher unzulässigen Verfahrensrüge widerspräche im Übrigen der Systematik des Revisionsverfahrens. Könnte ein Angeklagter, dem durch die Antragsschrift des Generalbundesanwalts ein formaler Mangel in der Begründung einer Verfahrensrüge aufgezeigt worden ist, diese unter Hinweis auf ein Verschulden seines Verteidigers nachbessern, würde im Ergebnis die Formvorschrift des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO außer Kraft gesetzt. Da den Angeklagten selbst an dem Mangel regelmäßig keine Schuld trifft, wäre ihm auf einen entsprechenden Antrag hin stets Wiedereinsetzung zu gewähren (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1; BGH wistra 1992, 28). Dies würde nicht mit dem öffentlichen Interesse in Einklang stehen, einen geordneten Fortgang des Verfahrens zu sichern und ohne Verzögerung alsbald eine klare Verfahrenslage zu schaffen (BGHSt 1, 44, 46). Die Gegenmeinung, die in einem solchen Fall aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit generell Wiedereinsetzung gewähren will (vgl. Wendisch in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 44 Rdn. 16; Berndt StraFo 2003, 112, 114) berücksichtigt nicht ausreichend, dass Formvorschriften zur Gewährleistung eines ordnungsgemäßen Strafprozesses erforderlich sind.
6
Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung einer Verfahrensrüge kommt daher nur in besonderen Prozesssituationen ausnahmsweise in Betracht, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (vgl. BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 8; BGH, Beschl. vom 15. März 2001 - 3 StR 57/01; Beschl. vom 25. September 2007 - 1 StR 432/07; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 44 Rdn. 7 ff.). Eine solche Ausnahmesituation liegt im vorliegenden Fall ersichtlich nicht vor.
7
Auch bei Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bliebe die ergänzte Rüge ohne Erfolg; denn sie wäre unbegründet, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargelegt hat.
8
II. Der Schuldspruch weist keinen Rechtsfehler auf. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bedarf der näheren Erörterung lediglich die Beanstandung, das Landgericht habe unter Verstoß gegen § 244 Abs. 2, 3 StPO die schriftliche Erklärung des Angeklagten vom 3. November 2006 nicht im Wege des Urkundsbeweises verlesen.
9
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
10
In der Anklageschrift hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten vorgeworfen , die D. GmbH zur Auszahlung eines Darlehens von 2,4 Mio. DM durch die Täuschung über den Verwendungszweck des Geldes - den Kauf von Geräteteilen zur Herstellung von 20 Kaltlichtbestrahlungsgeräten - veranlasst zu haben. Nach Verlesung der Anklageschrift hat sich der Angeklagte zur Sache nicht eingelassen. In der Hauptverhandlung vom 10. November 2006 (41. Hauptverhandlungstag) hat er beantragt, im Wege des Urkundsbeweises sein an das Landgericht adressiertes, zur Strafakte gelangtes Schreiben vom 3. November 2006 zu verlesen zu dem Beweisthema: "Die Verlesung wird folgenden Wortlaut der Erklärung ergeben: ….". Angefügt war dem Antrag das vierseitige Schreiben im Wortlaut. In ihm hat sich der Angeklagte zur finanziellen Lage der D GmbH geäußert, die bisherige Beweisaufnahme bewertet und insbesondere die Behauptung aufgestellt, es sei zwischen ihm und der durch den Zeugen De. vertretenen D. GmbH tatsächlich ein Kaufvertrag über 20 Kaltlichtbestrahlungsgeräte abgeschlossen worden, der nur zur Beschönigung der Bilanz der GmbH als Darlehensvertrag bezeichnet worden sei; das ausbezahlte Darlehen habe in Wirklichkeit eine Anzahlung auf den Kaufpreis sein sollen. Außerdem hat er in dem Schreiben mehrere Beweisbehauptungen aufgestellt und dafür Beweismittel benannt.
11
Mit Beschluss vom 20. November 2006 hat die Strafkammer den Verlesungsantrag mit folgender Begründung abgelehnt: "Soweit der Angeklagte beantragt , seine eigene Erklärung zu verlesen, handelt es sich nicht um einen Beweisantrag, weil es an einer Beweistatsache fehlt. Da der Angeklagte wiederholt … erklärt hat, er wolle sich nicht einlassen, sieht sich die Kammer daran gehindert, die Erklärung von Amts wegen zu verlesen. Die schriftliche Äußerung des Angeklagten spiegelt seine Auffassung und Meinung zu bestimmten Geschehnissen wieder. Würde sie verlesen, käme dies einer Einlassung insoweit gleich (sog. Einlassungssurrogat). Damit wäre die Möglichkeit zur Bewertung seines Schweigens zu diesen Punkten im Übrigen eröffnet, was der Angeklagte gerade ausdrücklich nicht wünscht."
12
2. Die Rüge hat keinen Erfolg. Die Ablehnung des Antrags hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
13
a) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass es sich bei dem Begehren des Angeklagten nicht um einen Beweisantrag handelte, der nur unter einer der Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StPO hätte zurückgewiesen werden können.
14
aa) Das Schreiben des Angeklagten vom 3. November 2006 enthielt - wenn man von den Beweisanträgen absieht, über die das Landgericht gesondert entschieden hat und die nicht Gegenstand der Rüge sind - sowohl seiner Zweckbestimmung als auch seinem Inhalt nach im Kern eine den Vorwurf des Betrugs bestreitende Einlassung zur Sache, auch wenn der Angeklagte wieder- holt ausdrücklich erklärt hatte, von seinem Schweigerecht Gebrauch machen zu wollen. Ist ein Angeklagter aber bereit, Angaben zur Sache zu machen, so ist er gemäß § 243 Abs. 4 Satz 2, § 136 Abs. 2 StPO zu vernehmen. Die Vernehmung erfolgt nach dem allgemeinen Sprachgebrauch und dem Zweck der Vorschrift durch eine mündliche Befragung mit mündlichen Antworten (BGH NStZ 2000, 439; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 243 Rdn. 44; Meyer-Goßner aaO § 243 Rdn. 30). Der Angeklagte hat daher keinen Anspruch darauf, dass das Gericht seine schriftliche Einlassung in der Hauptverhandlung verliest (vgl. BGH NJW 1994, 2904, 2906 - insoweit in BGHSt 40, 211 nicht abgedruckt; BGH NStZ 2000, 439; 2004, 163, 164; StV 2007, 622; Tolksdorf aaO § 243 Rdn. 44 m. w. N.; Frister in SK-StPO 54. Lfg. § 243 Rdn. 71). Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte zu dem in § 243 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO vorgesehenen Zeitpunkt der Hauptverhandlung zunächst von seinem Schweigerecht Gebrauch macht, in deren späteren Verlauf jedoch zum Anklagevorwurf Stellung nehmen will (vgl. BGH NStZ 1986, 370).
15
bb) Diese gesetzlich vorgesehene Form der Einlassung des Angeklagten kann nicht dadurch umgangen werden, dass dieser seine Stellungnahme zur Anklage in einem Schreiben an das Gericht niederlegt und nach dessen Eingang einen Antrag auf Verlesung des Wortlauts im Urkundsbeweis stellt. Die Beweisbehauptung, der Angeklagte habe sich in einem Schriftstück in einer bestimmten Weise zum Tatvorwurf geäußert, betrifft für sich grundsätzlich keine für die Entscheidung über den Schuldspruch oder Rechtsfolgenausspruch relevante Beweistatsache, die im formellen Strengbeweis aufzuklären ist (vgl. BGH NJW 1994, 2904, 2906; NStZ 2000, 439; StV 2007, 622; Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 18 m. w. N.; aA Schlothauer StV 2007, 623, 625). Anders liegt es nur, wenn gerade der Inhalt des Schriftstückes an sich als Beweisgrundlage für den Urteilsspruch heranzuziehen ist. Im Einzelnen:
16
Die Sacheinlassung eines Angeklagten ist zwar Teil der Beweisaufnahme im materiellen Sinn, weil sie den Umfang der durchzuführenden formellen Beweisaufnahme bestimmt und über eine Tatsache, die dieser glaubhaft eingestanden hat, kein Beweis erhoben werden muss (vgl. Meyer-Goßner aaO § 244 Rdn. 3; Schlüchter in SK-StPO aaO § 244 Rdn. 26, 28; vgl. auch Frister in SK-StPO aaO § 243 Rdn. 52). Sie gehört jedoch nicht zu der in den §§ 244 - 257 StPO geregelten formellen Beweisaufnahme und ist damit kein Beweismittel im technischen Sinn (vgl. Schlüchter aaO). Dies ergibt sich schon daraus, dass gemäß § 243 Abs. 3 und 4, § 244 Abs. 1 StPO die Vernehmung eines aussagebereiten Angeklagten zur Sache nach Verlesung der Anklageschrift vor Beginn der eigentlichen Beweisaufnahme erfolgt und das Gesetz somit eine Trennung der Einlassung von der formellen Beweisaufnahme vorsieht (Herdegen in KK 5. Aufl. § 244 Rdn. 2).
17
An dieser gesetzlichen Konzeption ändert sich im Grundsatz nichts dadurch , dass der Angeklagte auf sein Recht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO, sich vor der formellen Beweisaufnahme mündlich zum Tatvorwurf zu äußern, verzichtet und statt dessen rechtliches Gehör in der Weise in Anspruch nimmt, dass er dem Gericht eine schriftliche Stellungnahme zu der Beschuldigung überreicht oder zusendet. Nicht anders als bei einer mündlichen Einlassung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO erwächst dem Gericht hieraus zunächst lediglich die Verpflichtung, das Vorbringen des Angeklagten zur Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, inwieweit dieses nach Maßgabe des § 244 Abs. 2 StPO Anlass gibt, die Sachaufklärung durch formelle Beweisaufnahme auf bestimmte zusätzliche Gesichtspunkte zu erstrecken. Es gilt hier nichts anderes als in den Fällen, in denen sich der Angeklagte schon vor der Hauptverhandlung schriftlich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwurf geäußert hat, etwa nach § 136 Abs. 1 Satz 4 StPO, durch Einwendungen im Sinne des § 201 Abs. 1 StPO oder im Zusammenhang mit Anträgen nach § 219 Abs. 1 StPO. Insoweit ist bis- her - soweit ersichtlich - nicht ernsthaft vertreten worden, dass derartige schriftliche Äußerungen in der Hauptverhandlung verlesen werden müssen, um gegebenenfalls die gerichtliche Aufklärungspflicht zu aktivieren.
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Unterschiede ergeben sich erst dann, wenn gerade der Inhalt der Einlassung des Angeklagten als Grundlage des Urteilsspruchs herangezogen werden soll. Legt der Angeklagte bei seiner Vernehmung nach § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO etwa ein Geständnis ab, so wird dieses durch seine mündliche Äußerung im Rahmen der materiellen Beweisaufnahme zum Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) und darf daher vom Gericht bei der Urteilsfindung verwertet werden (siehe oben). Anders liegt es bei einem Geständnis, das der Angeklagte dem Gericht in schriftlicher Form zukommen lässt. Hier muss der Wortlaut des Schriftstücks durch Verlesung im formellen Urkundsbeweis in die Hauptverhandlung eingeführt werden, wenn das Geständnis als Grundlage des Urteils herangezogen werden soll (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 33; Meyer-Goßner aaO § 249 Rdn. 13). Es gilt hier nichts anderes als für schriftliche Geständnisse des Angeklagten, die nicht für das Gericht bestimmt waren und etwa durch Sicherstellung oder Beschlagnahme Bestandteil der Verfahrensakten geworden sind. Ebenso liegt es bei einer erheblichen Divergenz zwischen der mündlichen Einlassung des Angeklagten in der Hauptverhandlung und seiner schriftlichen Stellungnahme zum Tatgeschehen, wenn aus letzterer Schlussfolgerungen dazu gezogen werden sollen, ob die mündliche Einlassung glaubhaft ist (vgl. Frister aaO § 243 Rdn. 72). Wird in diesen Fällen ein Antrag gestellt, die schriftliche Erklärung des Angeklagten zu verlesen , ist dies ein Beweisantrag, der nur unter den Voraussetzungen des § 244 Abs. 3 StPO zurückgewiesen werden kann. Allerdings wird schon die Aufklärungspflicht im Regelfall zur Verlesung des Schriftstückes drängen.
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Nach diesen Maßstäben handelte es sich bei dem Beweisbegehren vom 10. November 2006 nicht um einen Beweisantrag. Es war nicht darauf gerichtet, den Wortlaut des Schreibens als solchen dem Urteil zugrunde zu legen; vielmehr wollte der Angeklagte lediglich seine den Tatvorwurf bestreitende Einlassung sowie vor deren Hintergrund seine Bewertung des bisherigen Ergebnisses der Beweisaufnahme strengbeweislich in die Hauptverhandlung eingeführt wissen , obwohl das Gesetz diese Form der Beweiserhebung hierfür gerade nicht vorsieht. Das Gericht hatte den Inhalt des Schreibens auch ohne dessen urkundsbeweisliche Verlesung zur Kenntnis zu nehmen und - soweit durch § 244 Abs. 2 StPO geboten - für die Gestaltung und gegebenenfalls den Umfang der Beweiserhebung zu berücksichtigen, aber auch bei der Beurteilung von deren Ergebnissen in Betracht zu ziehen.
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cc) Abschließend bemerkt der Senat zu diesem Punkt:
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Das vom Angeklagten mit seinem Vorgehen ersichtlich verfolgte Interesse , nach einer Verlesung seiner schriftlichen Einlassung durch das Gericht im formellen Strengbeweis (§ 249 Abs. 1 StPO) im Revisionsverfahren mit der Rüge einer Verletzung des § 261 StPO beanstanden zu können, das Urteil habe sich mit wesentlichem Entlastungsvorbringen nicht ausreichend auseinandergesetzt , rechtfertigt keine andere Beurteilung (vgl. Frister aaO; Frisch in SK-StPO 37. Aufbau-Lfg. § 337 Rdn. 81 m. w. N.). Zwar handelt es sich bei einer schriftlichen Einlassung um eine grundsätzlich verlesbare Urkunde, weil das Gesetz die Verlesung nicht ausschließt (vgl. BGHSt 39, 305, 306). Jedoch kann ein schweigender Angeklagter das Gericht nicht zur Verlesung einer schriftlichen Einlassung zwingen und damit im Ergebnis wählen, ob er sich mündlich oder schriftlich zur Sache einlassen will. Ein solches Wahlrecht zwischen einer durch das Gericht verlesenen, ihre Sachbehandlung im Urteil inhaltlich revisionsrechtlich voll überprüfbaren schriftlichen Einlassung einerseits und einer in der Hauptverhandlung selbst vorgetragenen, revisionsrechtlich nur mittelbar über deren Wiedergabe im Urteil überprüfbaren Aussage andererseits ist mit der auf die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit angelegten Konzeption des Strafverfahrens und dem hieran anknüpfenden inhaltlich eingeschränkten System der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht vereinbar (vgl. Geppert in FS für Rudolphi S. 643, 654).
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b) Aus dem Gesagten folgt, dass auch die gerichtliche Pflicht zur Amtsaufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) es nicht gebot, das Schreiben des Angeklagten vom 3. November 2006 im Wege des Urkundsbeweises zu verlesen. Daher ist es revisionsrechtlich unerheblich, dass sich das Landgericht nach dem Wortlaut seines Ablehnungsbeschlusses nicht bewusst war, dieses verlesen zu können (vgl. BGHSt 39, 305, 306).
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Gemäß § 244 Abs. 2 StPO hat das Gericht die Pflicht, zur Ermittlung des wahren Sachverhalts von Amts wegen die Beweisaufnahme auf alle Tatsachen und zulässigen Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung über den Tatvorwurf von Bedeutung sind und zur Sachaufklärung beitragen können. Deshalb muss es im Rahmen der angeklagten Tat die beweisbedürftigen Tatsachen mit allen zulässigen Beweismitteln feststellen, die für die Schuldfrage oder die in Betracht kommenden Rechtsfolgen erheblich sind (vgl. Gollwitzer aaO § 244 Rdn. 40; Schlüchter aaO § 244 Rdn. 31, 35). Der konkrete Inhalt des Schreibens vom 3. November 2006 enthielt jedoch - wie oben dargestellt - als rein bestreitende Einlassung zum Tatvorwurf kein für den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wesentliches Vorbringen, aus dem für sich zu Gunsten oder zu Lasten des Angeklagten Schlüsse hätten gezogen werden können. Zu seiner Verlesung im Urkundsbeweis drängte daher nichts. Soweit das Schreiben Beweisanträge enthielt, hat das Landgericht darüber entschieden. Eine Verfahrensrüge ist insoweit nicht erhoben.
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Dem Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) wurde dadurch Rechnung getragen, dass sein Schreiben Aktenbestandteil geworden ist, das Gericht dessen Inhalt zur Kenntnis genommen hat und unter Aufklärungsgesichtspunkten verpflichtet war, die Beweisaufnahme auf alle nach dem Inhalt des Schreibens sich aufdrängenden Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken. Somit kann eine zur Akte gelangte schriftliche Einlassung den Umfang und den Inhalt der Beweisaufnahme bestimmen. Wenn das Gericht einer nach dem Inhalt einer schriftlichen Einlassung sich aufdrängenden Beweistatsache nicht nachgeht oder ein sich danach aufdrängendes Beweismittel nicht verwendet, beispielsweise einen Tatzeugen oder Alibizeugen nicht vernimmt, verletzt es insoweit seine Aufklärungspflicht. Mit der Aufklärungsrüge kann dann aber nicht die unterlassene Verlesung der Einlassung als solche gerügt werden, sondern nur die unterlassene Erhebung von Beweisen, die sich aufgrund der zum Akteninhalt gewordenen schriftlichen Erklärung aufdrängte.
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Darüber hinaus gilt hier: Soweit das im Verlesungsantrag des Angeklagten wiedergegebene Schreiben vom 3. November 2006 Anlass hätte geben können, bestimmten Beweisanregungen nachzugehen, insbesondere den Zeugen De. nochmals zu vernehmen, ist die Aufklärungsrüge unzulässig. Es fehlt an der Mitteilung sowohl des zu erwartenden Beweisergebnisses als auch der Umstände, aufgrund derer sich die Beweiserhebung aufgedrängt hat. Zudem wäre die Aufklärungsrüge auch unbegründet. Die in der schriftlich formulierten Einlassung enthaltenen Behauptungen wurden - soweit bedeutsam - vom Landgericht bei der Beweisaufnahme berücksichtigt und in der Beweiswürdigung ausführlich erörtert.
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III. Der Strafausspruch hält indes rechtlicher Nachprüfung nicht Stand, weil das Landgericht die festgestellte Verletzung des Gebots zügiger Verfah- renserledigung (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) in einer der neuen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht gerecht werdenden Weise kompensiert hat.
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1. Das Landgericht hat für den Betrug mit rechtsfehlerfreien Erwägungen eine Einzelstrafe von fünf Jahren als eigentlich verwirkt angesehen. Sodann hat es unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung (vgl. hierzu BGH NJW 2007, 3294 ff.) die ohne Rechtsfehler festgestellte Verfahrensverzögerung von zwei Jahren und neun Monaten dadurch kompensiert, dass es eine Einzelstrafe von drei Jahren und sechs Monaten festgesetzt hat. Aus dieser Strafe und den Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 19. Mai 2004 (15 KLs 5423 Js 81242/00) - eine Freiheitsstrafe von acht Monaten, neunzehn Freiheitsstrafen von sechs Monaten, vier Geldstrafen von 120 Tagessätzen und acht Geldstrafen von 180 Tagessätzen - hat es unter Auflösung der verhängten Gesamtstrafen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten gebildet und darauf die bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen angerechnet.
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2. Dies entspricht nicht dem Verfahren, in dem nach der nach Verkündung des angefochtenen Urteils geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK zu kompensieren ist (vgl. BGH-GS- NJW 2008, 860 - zum Abdruck in BGHSt bestimmt). Danach ist die Kompensation nicht mehr durch einen bezifferten Abschlag auf die an sich schuldangemessene Strafe vorzunehmen. Vielmehr muss zunächst eine schuldangemessene, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafe festgesetzt werden, wobei der lange zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil sowie die besonderen Belastungen, denen der Angeklagte wegen der überlangen Verfahrensdauer ausgesetzt war, bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen und als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen sind (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO). Aus dieser Strafe und den einbeziehenden Strafen ist sodann eine Gesamtstrafe zu bilden, die in der Urteilsformel verhängt wird. Schließlich muss die Kompensation dadurch vorgenommen werden, dass in der Urteilsformel ausgesprochen wird, welcher bezifferte Teil der verhängten Gesamtstrafe als Kompensation der Verfahrensverzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss stets im Auge behalten werden, dass die Verfahrensdauer als solche sowie die hiermit verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafzumessung eingeflossen sind und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht.
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Der neue Tatrichter ist durch § 358 Abs. 2 StPO nicht gehindert, für den Betrug eine höhere Einzelstrafe als die bisher erkannte von drei Jahren und sechs Monaten zu verhängen, die jedoch die im angefochtenen Urteil als an sich verwirkt und ohne Kompensation als schuldangemessen angesehene Einzelstrafe von fünf Jahren nicht übersteigen darf. Die zu verbüßende Strafe (die aus der schuldangemessenen Strafe und den einzubeziehenden Einzelstrafen zu bildenden Gesamtstrafe abzüglich des zur Kompensation der Verfahrensverzögerung für vollstreckt zu erklärenden Teils) darf jedoch fünf Jahre und sechs Monate nicht übersteigen. Die bereits bezahlte Gesamtgeldstrafe von 360 Tagessätzen ist gemäß § 51 Abs. 2, 4 Satz 1 StGB kraft Gesetzes auf die zu verbüßende Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen.
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Der Angeklagte wird, auch wenn der neue Tatrichter auf eine fünf Jahre und sechs Monate übersteigende Gesamtfreiheitsstrafe erkennt, hier durch die Kompensation in Form einer Anrechnung besser gestellt, weil sich der Zeitpunkt , zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, vorverlagert wird. Er kann deshalb - bei Vorliegen der übrigen, hier durchaus in Betracht kommenden Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB - früher zur Bewährung aus dem Strafvollzug entlassen werden. Durch die Anwendung des früheren Strafabschlagsmodells ist er daher beschwert.
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3. Die Feststellungen des Landgerichts sind durch die rechtsfehlerhafte Verfahrensweise bei der Kompensation nicht berührt. Sie können daher aufrechterhalten bleiben. Der neue Tatrichter kann ergänzende, zu ihnen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen treffen. Becker Pfister von Lienen Hubert Schäfer