Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2018 - 1 StR 105/18

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:040418B1STR105.18.0
bei uns veröffentlicht am04.04.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 105/18
vom
4. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:040418B1STR105.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 sowie entsprechend § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 24. November 2017 wird mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit gewerbs- und bandenmä- ßiger Urkundenfälschung zu einer „Freiheitsstrafe“ von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
2
Seine dagegen gerichtete Revision erweist sich als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Näherer Erörterung bedarf lediglich Folgendes:
3
1. In Bezug auf die am 12. Oktober 2016 in Österreich begangene Tat des Angeklagten, der italienischer Staatsangehöriger ist, begründet § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB im Rahmen stellvertretender Strafrechtspflege die Anwendbarkeit deutschen Strafrechts. Ein Verfahrenshindernis (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 1995 – 1 StR 681/94, NStZ 1995, 440, 441; LK-StGB/Werle/Jeßberger, 12. Aufl., § 7 Rn. 118) besteht daher nicht.
4
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen landgerichtlichen Feststellungen legte der Angeklagte zur Anmietung eines Mietfahrzeugs der Autovermietung C. in deren Filiale am Flughafen S. einen gefälschten, auf einen Aliasnamen lautenden italienischen Personalausweis und einen ebenfalls gefälschten italienischen Führerschein vor, um in den Besitz des Wagens zu gelangen , der später von Tatbeteiligten in Italien veräußert werden sollte. Für diese durch einen ausländischen Täter begangene Auslandstat liegen die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor.
5
a) Die fragliche Tat (zum Tatbegriff Ambos in Münchener Kommentar zum StGB, 3. Aufl., § 7 Rn. 6 ff. mwN) war nach dem maßgeblichen österreichischen Tatortstrafrecht jedenfalls gemäß §§ 146, 147 Abs. 1 erster Fall und Abs. 2, § 148 des österreichischen Strafgesetzbuchs mit Strafe bedroht (vgl. auch Übernahmeersuchen der Staatsanwaltschaft Salzburg an die Staatsanwaltschaft München I vom 10. April 2017, Blatt 580 und 580 Rückseite der Sachakten). Zudem ist der Angeklagte im Inland, nämlich am Flughafen H. , festgenommen worden.
6
b) Obwohl die Tat auslieferungsfähig ist, fehlt es an einer Auslieferung, weil seitens der Republik Österreich eine Auslieferung nicht begehrt wird und seitens der Italienischen Republik ein Auslieferungsersuchen nicht innerhalb angemessener Frist gestellt worden ist.
7
aa) In Österreich war durch die Staatsanwaltschaft Salzburg unter dem dortigen Aktenzeichen gegen den Angeklagten wegen der hier verfahrensgegenständlichen Tat vom 12. Oktober 2016 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt worden. Insoweit hatte die Staatsanwaltschaft Salzburg durch Schreiben vom 10. April 2017 die Staatsanwaltschaft München I (zum Aktenzeichen ) um die Übernahme der Strafverfolgung we- gen dieser Tat ersucht (siehe Bl. 580-582 der Sachakten). Dem ist die Staatsanwaltschaft München I nachgekommen (vgl. Bl. 661 der Sachakten) und hat unter dem vorgenannten Aktenzeichen Anklage gegen den Angeklagten auch wegen der auf österreichischem Staatsgebiet begangenen Tat erhoben. Angesichts des Übernahmeersuchens ist ein Auslieferungsbegehren der Republik Österreich ausgeschlossen.
8
bb) Ausweislich des Vermerks der Generalstaatsanwaltschaft München (Az.: ) vom 7. November 2017 sind die italienischen Behörden unter Fristsetzung bis zum 6. November 2017 um Mitteilung ersucht worden , ob wegen der hier fraglichen Tat vom 12. Oktober 2016 in Salzburg die Auslieferung des Angeklagten begehrt wird (Bl. 760 der Sachakten). Wie sich aus dem Vermerk weiter ergibt, war eine Rückmeldung der italienischen Behörden bis einschließlich 7. November 2017 ausgeblieben. Eine solche ist auch später nicht erfolgt.
9
Der Senat hat durch Nachfrage bei der Generalstaatsanwaltschaft München zu dem im vorstehenden Absatz genannten Aktenzeichen ermittelt, ob auf das Telefax der deutschen Behörden noch bis zur Entscheidung des Senats über die Revision des Angeklagten ein Auslieferungsersuchen der Italienischen Republik gestellt worden oder eine Reaktion auf die Nachfrage erfolgt ist. Dies war nicht der Fall. Da weder der Tatortstaat noch der Heimatstaat des Angeklagten trotz Eröffnung dieser Möglichkeit die Auslieferung erstreben, war und ist die Anwendung deutschen Strafrechts eröffnet. Ein Verfahrenshindernis bzgl. der Tat vom 12. Oktober 2016 besteht nicht.
10
c) Angesichts des Vorstehenden kann offen bleiben, ob die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB zum Zeitpunkt der Entscheidung des Revisionsgerichts zu dessen Überzeugung feststehen müssen (so etwa BGH, Urteil vom 30. April 1999 – 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64, 73) oder ob der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Auslieferungsfähigkeit im Sinne von § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB der Zeitpunkt der Urteilsverkündung in der (letzten) Tatsacheninstanz ist (in diese Richtung BGH, Beschluss vom 12. Juli 2001 – 1 StR 171/01, NStZ 2001, 588 f.). Denn zu beiden Zeitpunkten war aufgrund stellvertretender Strafrechtspflege inländisches Strafrecht auf die Tat anwendbar.
11
2. Auch eine zunächst unzureichende Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) durch das Landgericht führt nicht zu einem Teilerfolg des Rechtsmittels. Zwar beanstandet die Revision mit Schreiben vom 22. Februar 2018 im rechtlichen Ausgangspunkt zu Recht, die seitens des Landgerichts freibeweislich erhobenen tatsächlichen Umstände zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB (vgl. dazu Vermerk der Vorsitzenden vom 26. Januar 2018, Bl. 873 f. der Sachakten) seien nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden. Die darin ursprünglich liegende Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG im Rahmen des Freibeweisverfahrens (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1966 – 2 StR 157/66, BGHSt 21, 85, 87; KK-StPO/Krehl, 7. Aufl., § 244 Rn. 17) führt jedoch nicht zur Teilaufhebung des angefochtenen Urteils. Die zunächst unterbliebene Gewährung rechtlichen Gehörs hat sich zum einen im Ergebnis nicht zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt, und zum anderen hat er im Rahmen des Revisionsverfahrens zu sämtlichen – bereits in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts aufgezeigten – hier bedeutsamen tatsächlichen und rechtlichen Umständen Stellung nehmen können.
12
Aufgrund der durch den Senat selbst freibeweislich durchgeführten Ermittlungen steht fest, dass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB hinsichtlich der (möglichen) Auslieferung an den Heimatstaat Italien auch zum Zeitpunkt der Verkündung des tatgerichtlichen Urteils vorlagen. Von den zugrunde liegenden tatsächlichen Umständen hat die Revision jedenfalls aufgrund der Antragsschrift des Generalbundesanwalts Kenntnis erhalten und sich zu diesen in dem genannten Schriftsatz vom 22. Februar 2018 geäußert. Dieser ist Gegenstand der Senatsberatungen gewesen.
13
Hinsichtlich einer rechtlich grundsätzlich möglichen Auslieferung des Angeklagten an den Tatortstaat Österreich war der Revision das an die Staatsanwaltschaft München I gerichtete Übernahmeersuchen der Staatsanwaltschaft Salzburg (Bl. 580-582 der Sachakten) bereits aufgrund der gewährten Akteneinsicht bekannt; denn das Ersuchen war Bestandteil derjenigen Akten, bezüglich derer die Revision bereits nach ihrem eigenen Vorbringen (Seite 1 des Schreibens vom 22. Februar 2018) Einsicht genommen hatte.
14
3. Der Strafausspruch enthält aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler.
15
Allerdings ändert der Senat in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO den Strafausspruch dahingehend ab, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt ist. Ungeachtet des Umstandes, dass auch bereits die verkündete Urteilsformel auf eine entsprechende „Freiheitsstrafe“ lautete, belegen der wegen drei Taten er- folgte Schuldspruch, die getroffenen Feststellungen sowie die Strafzumessungserwägungen unzweifelhaft und für die Verfahrensbeteiligten ohne Weiteres erkennbar die vom Landgericht eigentlich gemeinte Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe.
Graf Jäger Bellay Radtke Hohoff

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 7 Geltung für Auslandstaten in anderen Fällen


(1) Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. (2) Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, g

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Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2001 - 1 StR 171/01

bei uns veröffentlicht am 12.07.2001

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 171/01 vom 12. Juli 2001 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein Veröffentlichung: ja StGB § 7 Abs. 2 Nr. 2 Der Senat neigt dazu, daß in einem Fall der stellvertretenden Strafrechtspflege n

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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

(2) Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

1.
zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder
2.
zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 171/01
vom
12. Juli 2001
in der Strafsache
gegen
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: nein
Veröffentlichung: ja
Der Senat neigt dazu, daß in einem Fall der stellvertretenden Strafrechtspflege
nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB das Revisionsgericht nach rechtsfehlerfreier Behandlung
der Sache durch den Tatrichter nicht erneut prüfen muß, ob der Angeklagte
(nunmehr) ausgeliefert werden kann.
BGH, Beschl. vom 12. Juli 2001 - 1 StR 171/01 - LG Landshut
wegen Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juli 2001 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 4. Dezember 2000 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes in Tateinheit mit Totschlag und vier tateinheitlichen Fällen des versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die gegen die Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten bleibt erfolglos, da die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


Nach den Feststellungen erschoß der Angeklagte, ein jugoslawischer Staatsangehöriger albanischer Volkszugehörigkeit, am 7. Dezember 1998 nach einer Auseinandersetzung in einer Gaststätte in Prizren (Jugoslawien /Serbien/Kosovo) mit mehreren Feuerstößen aus einem Sturmgewehr zwei unbewaffnete Landsleute und fügte dabei vier weiteren Schußverletzungen zu. Anschließend flüchtete er zu seiner in Deutschland lebenden Schwester.

II.


Für die im Ausland begangene Tat gilt nach § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB deutsches Strafrecht, weil der Angeklagte, der (auch) zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen worden ist und nicht ausgeliefert werden kann.
1. Das Landgericht hat nach Anfragen beim Bundesministerium der Justiz und beim Auswärtigen Amt rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Angeklagte nicht ausgeliefert wird. Das Auslieferungsersuchen Jugoslawiens vom 11. Mai 1999 war abgelehnt worden, u.a. weil "es sich bei dem Angeklagten um einen Kosovaren handelt, der Tatort, an dem auch die maßgeblichen Zeugen leben, außerhalb des heutigen Einwirkungsbereichs der jugoslawischen Justiz liegt und es in der Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten und einem seiner später getöteten Opfer auch um die Haltung des Angeklagten zur (albanischen Untergrundorganisation) UCK gegangen sein soll". Ein Auslieferungsersuchen aus dem Kosovo, das der Angeklagte - anders als die Bundesrepublik Deutschland - bei seinen Heimatbehörden hätte anregen können, wurde nicht gestellt. Hinsichtlich des Kosovo war mit einer Auslieferung auch nicht zu rechnen , weil das dortige Justizsystem erst im Aufbau begriffen war. Dies war bereits im Ermittlungsverfahren, zudem während der dreimonatigen Hauptverhandlung und dann nochmals am Tag der Urteilsverkündung durch die Strafkammer überprüft worden.
2. Die Revision macht geltend, die Justiz im Kosovo arbeite nun - anders als im Zeitpunkt der Urteilsverkündung - wieder, so daß der Angeklagte nunmehr dorthin ausgeliefert werden könne. Die Richterstellen im Kosovo seien teilweise mit entsandten deutschen Richtern besetzt. Daher würden dort inzwi-
schen zumindest Verbrechen wieder verfolgt. Der Rechtshilfeverkehr mit Deutschland sei laut Auskunft des Auswärtigen Amtes wieder aufgenommen und ausweislich eines Zeitungsartikels vom April 2001 sei auch das Gericht in Prizren wieder tätig.

a) Fraglich ist, ob das Revisionsgericht nach rechtsfehlerfreier Behandlung dieser Sache durch den Tatrichter erneut prüfen muß, ob der Angeklagte (nunmehr) ausgeliefert werden kann (vgl. zur unzureichenden Prüfung durch den Tatrichter BGHR StGB § 7 Abs. 2 Nr. 2 Auslieferung 1 sowie BGH NStZ 1995, 440, 441; zur eigenständigen Prüfung durch das Revisionsgericht vgl. BGHSt 45, 64, 73). Für eine Verpflichtung des Revisionsgerichts zur erneuten Amtsermittlung auch in Fällen, in denen der Tatrichter für den damaligen Zeitpunkt zutreffend die Auslieferungsfähigkeit verneint hatte, sprechen die bisher nahezu einhellige Einordnung des Fehlens der deutschen Gerichtsbarkeit als Verfahrenshindernis (BGHSt 34, 1, 3; BGH NStZ 1995, 440, 441; Gribbohm in LK 11. Aufl. vor § 3 Rdn. 1, § 3 Rdn. 9 und § 7 Rdn. 78; vgl. aber auch BGHSt 20, 22, 25), das völkerrechtliche Nichteinmischungsprinzip (vgl. BayObLG NJW 1998, 392 = JR 1998, 472 mit Anm. Lagodny) und die Bezeichnung der stellvertretenden Strafrechtspflege als lediglich subsidiäre Ergänzung der Strafgewalt anderer Staaten (BGHSt 34, 334, 336; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, 5. Aufl. Seite 170; Gribbohm aaO vor § 3 Rdn. 136; Oehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Rdn. 143, 823). Demgegenüber neigt der Senat dazu, daß der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Auslieferungsfähigkeit im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB der Zeitpunkt der Urteilsverkündung in der letzten Tatsacheninstanz ist, daß also das Revisionsgericht nicht überprüfen muß, ob nach der rechtsfehlerfreien Prüfung durch den Tatrichter noch Ä nderungen eingetreten sind. Das Gesetz kennt auch befristete Prozeßvorausset-
zungen (vgl. § 16 StPO). Bei zunehmender Internationalisierung könnte es die Funktionsfähigkeit der stellvertretenden Strafrechtspflege, die u.a. der Solidarität der Staaten bei der Verbrechensverfolgung im Interesse eines weltweiten Schutzes der Rechtsgüter dient (Pappas, Stellvertretende Strafrechtspflege, 1996, Seite 11 f.; Oehler aaO Rdn. 811, 840; vgl. auch BGH NStZ 1985, 545), gefährden, wenn bei umfangreichen Verfahren auch noch in der Revisionsinstanz unter Einbeziehung der betroffenen Bundesministerien immer wieder alle denkbaren Auslieferungsmöglichkeiten im Hinblick auf gegebenenfalls mehrere Heimat- und Tatortstaaten überprüft werden müßten. Die Möglichkeit einer späteren Strafvollstreckung im Heimatland des Angeklagten bleibt hiervon unberührt.

b) Diese Frage kann hier jedoch offenbleiben. Das Bundesministerium der Justiz hat auf vorsorgliche Anfrage des Senats mit Schreiben vom 22. Juni 2001 mitgeteilt: "Im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt teile ich mit, daß das Justizsystem im Kosovo weiterhin im Aufbau begriffen ist. Auch unter Berücksichtigung der aktuellen Bedingungen der Rechtspflege im Kosovo käme die Bewilligung einer Auslieferung in diesem Fall nicht in Betracht. Mit einem Auslieferungsersuchen der United Nations Interim Administration ist auf absehbare Zeit nicht zu rechnen".
Damit ist mit einer positiven Auslieferungsentscheidung der nach dem Auslieferungsrecht zuständigen Stelle (vgl. § 74 IRG sowie Gribbohm aaO § 7 Rdn. 75; Schönke/Schröder/Eser, StGB 26. Aufl. § 7 Rdn. 26) nicht zu rechnen. Da eine Auslieferung auch auf der Grundlage außenpolitischer Ermessenserwägungen abgelehnt werden kann (Pappas aaO Seite 31 Fn. 121), obliegt es
den Gerichten nicht - wie von der Revision angeregt - auf eine nähere Begründung der Nichtauslieferungsentscheidung hinzuwirken.

III.


Die Sachrüge und die Verfahrensrügen haben aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg. Ergänzend bemerkt der Senat: Der auf die Vernehmung einer Sachverständigen für Islamistik gerichtete Beweisantrag vom 19. Oktober 2000 ist vollständig beschieden worden. Dazu trägt die Revision vor, das beantragte Sachverständigengutachten zu Aussagen des Korans hinsichtlich des Verhaltens vor Gericht sei für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit bei den vernommenen moslemischen Zeugen bedeutsam. Der mit einer Wahrunterstellung begründete Ablehnungsbeschluß der Strafkammer erfasse nur einen Teil der Beweisbehauptung; der übrige - "optisch in die Begründung (des Beweisantrages) gerutschte" - Teil der Beweisbehauptung sei dagegen unter Verstoß gegen § 244 Abs. 6 StPO nicht beschieden worden. Die Revision weist insoweit zu Recht darauf hin, daß die Wahrunterstellung den Beweisantrag erschöpfen muß; andernfalls ist er durch die Wahrunterstellung nicht erledigt. Dabei ist zu beachten, daß sich das Beweisthema auch aus der Antragsbegründung ergeben kann (BGH StV 1995, 230), jedoch ist nicht alles, was der Antragsteller in der Umschreibung der Beweisthematik aussagt, in jedem Fall auch Bestandteil der Beweisbehauptung (Herdegen in KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 47). Wird in Beweisanträgen - wie hier - nicht klar zwischen Tatsachenbehauptung und Schlußfolgerungen getrennt, kann es Sache des Antragstellers sein, im Falle einer Antragszurückweisung mit einem erneuten Antrag auf eine (nun im Revisionsverfahren geltend ge-
machte) Verkürzung des Beweisthemas hinzuweisen (BGH, Beschlüsse vom 24. August 1999 - 1 StR 672/98 - und 1. September 1998 - 1 StR 457/98; BGH StV 1989, 465). Durch den prägnanten Ablehnungsbeschluß, der unter wörtlicher Wiedergabe der im "Antragstenor" genannten Beweistatsache diese als wahr unterstellt, hat die Strafkammer klargestellt, wie sie den Beweisantrag auslegt. Diese Auslegung ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Es wäre daher Sache des damaligen Verteidigers gewesen, dieses angebliche Mißverständnis , gegebenenfalls durch Stellung eines neuen Beweisantrags, zu beseitigen.
Schäfer Wahl Boetticher Hebenstreit Schaal

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

(2) Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

1.
zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder
2.
zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das deutsche Strafrecht gilt für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt.

(2) Für andere Taten, die im Ausland begangen werden, gilt das deutsche Strafrecht, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt und wenn der Täter

1.
zur Zeit der Tat Deutscher war oder es nach der Tat geworden ist oder
2.
zur Zeit der Tat Ausländer war, im Inland betroffen und, obwohl das Auslieferungsgesetz seine Auslieferung nach der Art der Tat zuließe, nicht ausgeliefert wird, weil ein Auslieferungsersuchen innerhalb angemessener Frist nicht gestellt oder abgelehnt wird oder die Auslieferung nicht ausführbar ist.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.