Bundesfinanzhof Beschluss, 17. März 2010 - X B 114/09

published on 17/03/2010 00:00
Bundesfinanzhof Beschluss, 17. März 2010 - X B 114/09
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Gericht

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Gründe

1

Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat keinen Erfolg. Der von ihnen geltend gemachte Verfahrensmangel, der gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Zulassung der Revision ermöglichen würde, liegt nicht vor.

2

1. Nach der Rechtsprechung ist ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auch dann gegeben, wenn das Finanzgericht (FG) fehlerhaft statt eines Sachurteils ein Prozessurteil erlässt (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Januar 2002 IV B 32/01, BFH/NV 2002, 927, sowie vom 6. Juli 1988 II B 183/87, BFHE 153, 509, BStBl II 1988, 897, und Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 78, m.w.N.). Ob dieses bei jedem Irrtum in der Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften gilt oder nur, wenn der Irrtum das Verfahren des Gerichts bei der Urteilsfindung beeinflusst hat (so BFH-Beschlüsse vom 26. Februar 1970 IV B 93/69, BFHE 99, 6, BStBl II 1970, 545, und vom 24. Mai 1988 IV B 125/87, BFH/NV 1989, 175), insbesondere bei fehlerhafter Entscheidung über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (vgl. etwa Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 2003  4 B 83/02, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungsreport 2003, 901; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 56 Rz 65; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 78; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 115 FGO Rz 234; offen gelassen etwa in BFH-Beschlüssen vom 19. August 2004 II B 79/03, BFH/NV 2004, 1670, und vom 26. September 2005 VIII B 293/03, BFH/NV 2006, 109), kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Das FG hat zu Recht die Wiedereinsetzung der Kläger in den vorigen Stand abgelehnt.

3

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung einer gesetzlichen Frist gehindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Eine Fristversäumnis ist nur dann als entschuldigt anzusehen, wenn sie durch die äußerste, den Umständen des Falles angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden konnte (z.B. BFH-Urteil vom 13. Juli 1995 V R 51/94, BFH/NV 1996, 193, m.w.N.).

4

Die von den Klägern geltend gemachten Gründe --mangelnde Sprach- und Rechtskenntnisse-- vermögen die Versäumung der Einspruchsfrist nicht zu entschuldigen.

5

a) Die Amtssprache ist gemäß § 87 der Abgabenordnung (AO) deutsch. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) war daher verpflichtet, den Steuerbescheid in deutscher Sprache abzufassen. Das gilt auch für die Rechtsbehelfsbelehrung, die dem Steuerbescheid beigefügt war und die die Einspruchsfrist von einem Monat (§ 355 Abs. 1 Satz 1, § 356 Abs. 1 AO) in Gang gesetzt hat (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 1976 VII R 102/75, BFHE 118, 294, BStBl II 1976, 440). Zwar darf eine unzureichende Kenntnis der deutschen Sprache nicht dazu führen, dass der Anspruch des Beteiligten auf rechtliches Gehör (Art. 103 des Grundgesetzes --GG--) verkürzt oder sein Anspruch auf Gleichbehandlung mit anderen, der deutschen Sprache mächtigen Beteiligten (Art. 3 GG) verletzt wird. Deshalb sind Sprachschwierigkeiten des Beteiligten bei der Prüfung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angemessen zu berücksichtigen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 21. Mai 1997 VII S 37/96, BFH/NV 1997, 634; Söhn in HHSp, § 110 AO Rz 179).

6

Aber auch der der Amtssprache nicht mächtige Beteiligte hat --wie jeder andere Beteiligte-- die ihm in eigener Sache obliegenden Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Diese Sorgfaltspflicht besteht für den der Amtssprache Unkundigen darin, sich in angemessener Zeit eine Übersetzung der ihm zugehenden amtlichen Schriftstücke zu verschaffen und dann entsprechend zu reagieren. Denn auch ohne dass er dessen Inhalt kennt, muss der Adressat eines amtlichen Schriftstücks damit rechnen, dass die Behörde mit dem Schriftstück einen Anspruch gegen ihn geltend macht oder eine Sanktion gegen ihn verhängt und gleichzeitig mit der Bekanntgabe des Schriftstücks eine Frist in Lauf gesetzt wird, innerhalb derer der Betroffene sich gegen die Verfügung wenden kann und zur Vermeidung von Nachteilen wenden muss (vgl. BFH-Urteil in BFHE 118, 294, BStBl II 1976, 440).

7

Die Kläger haben dieser Sorgfaltspflicht nicht genügt. Selbst wenn sie der deutschen Sprache nicht ausreichend mächtig gewesen sein sollten, um den Inhalt der Einspruchsentscheidung und insbesondere die Rechtsbehelfsbelehrung zu verstehen --was aber im Hinblick auf die in ihrem Schreiben vom 24. Juli 2008 an das FG zu erkennende Qualität ihrer Sprachkenntnisse wenig wahrscheinlich ist--, konnten sie dem Einspruchsbescheid vom 11. Juni 2008 entnehmen, dass es sich um eine Entscheidung der Finanzbehörde handelte. Bei Zweifeln über den Inhalt der Entscheidung hätten sie sich unverzüglich um eine Übersetzung oder um eine Erläuterung bemühen müssen. Dies gilt umso mehr, als es in dem Verfahren um nicht unerhebliche Beträge ging. Dass sie sich um eine Übersetzung des Bescheides bemüht haben, wurde von den Klägern nicht dargelegt.

8

b) Bei einem rechtsunkundigen Steuerpflichtigen kann ebenfalls ein Rechtsirrtum über Verfahrensfragen zur Wiedereinsetzung führen. Voraussetzung ist auch hier, dass der Steuerpflichtige Zweifel, die bei ihm hätten aufkommen müssen, rechtzeitig klärt (z.B. BFH-Beschluss vom 23. Juli 1992 VIII R 73/91, BFH/NV 1993, 40).

9

Selbst wenn die Kläger ursprünglich --zu Unrecht-- der Auffassung gewesen sein sollten, das Aussetzungsverfahren sei noch nicht beendet gewesen, mussten sich wegen der eindeutigen Rechtsbehelfsbelehrung in der Einspruchsentscheidung sowie dem darin enthaltenen Hinweis, dass die Aussetzung der Vollziehung am 13. Juni 2008 ende, Zweifel an ihrer Rechtsauffassung aufdrängen. Um diese auszuräumen, hätten sie entweder ihre Steuerberaterin oder Herrn S, der ihnen in dem Aussetzungsverfahren vor dem FG, 7 V 4426/07, zur Seite gestanden hatte, über das Verhältnis vom Aussetzungsverfahren zum Einspruchsverfahren sowie die Möglichkeiten, gegen die Einspruchsentscheidung vorzugehen, befragen können. Auch dieses haben die Kläger unterlassen.

10

c) An dem Vorwurf der fehlenden Sorgfalt der Kläger ändert sich auch nichts dadurch, dass sie sich nach Erhalt der Einspruchsentscheidung in Schreiben vom 17. Juni 2008 und 29. Juni 2008 an das FA gewandt und um Klärung der Angelegenheit gebeten haben. Die Antwort des FA vom 23. Juni 2008, die damit noch innerhalb der Rechtmittelfrist erfolgt ist, zeigt insbesondere mit der Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung vom 11. Juni 2008, dass für das FA die inhaltliche Diskussion der steuerlichen Behandlung der Objekte L und B in T in den Streitjahren beendet gewesen ist. Die Kläger konnten aus diesem Verhalten des FA nicht ableiten, dass die Einspruchsentscheidung mit der Rechtsbehelfsbelehrung für sie nicht mehr gelten sollte.

11

Da die Kläger somit ihre Angelegenheiten in Bezug auf die Einspruchsentscheidung nicht mit der ihnen obliegenden Sorgfalt behandelt haben, müssen sie sich die Versäumung der Klagefrist als Verschulden zurechnen lassen, so dass das FG die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu Recht abgelehnt hat.

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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat. (2) Die Revision ist nu
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published on 08/03/2016 00:00

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Tatbestand 1 I. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage der Kläger, Beschwerdeführer und Rügeführer (Kläger) abgewiesen, weil die Klagefrist nicht eingehalten worden war. W
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Annotations

(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.

(1) Wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

(2) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde beträgt die Frist einen Monat. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder ohne Antrag bewilligt werden, außer wenn der Antrag vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet das Gericht, das über die versäumte Rechtshandlung zu befinden hat.

(5) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(1) Die Amtssprache istDeutsch.

(2) Werden bei einer Finanzbehörde in einer fremden Sprache Anträge gestellt oder Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Dokumente vorgelegt, kann die Finanzbehörde verlangen, dass unverzüglich eine Übersetzung vorgelegt wird. In begründeten Fällen kann die Vorlage einer beglaubigten oder von einem öffentlich bestellten oder beeidigten Dolmetscher oder Übersetzer angefertigten Übersetzung verlangt werden. Wird die verlangte Übersetzung nicht unverzüglich vorgelegt, so kann die Finanzbehörde auf Kosten des Beteiligten selbst eine Übersetzung beschaffen. Hat die Finanzbehörde Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen, erhalten diese eine Vergütung in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes.

(3) Soll durch eine Anzeige, einen Antrag oder die Abgabe einer Willenserklärung eine Frist in Lauf gesetzt werden, innerhalb deren die Finanzbehörde in einer bestimmten Weise tätig werden muss, und gehen diese in einer fremden Sprache ein, so beginnt der Lauf der Frist erst mit dem Zeitpunkt, in dem der Finanzbehörde eine Übersetzung vorliegt.

(4) Soll durch eine Anzeige, einen Antrag oder eine Willenserklärung, die in fremder Sprache eingehen, zugunsten eines Beteiligten eine Frist gegenüber der Finanzbehörde gewahrt, ein öffentlich-rechtlicher Anspruch geltend gemacht oder eine Leistung begehrt werden, so gelten die Anzeige, der Antrag oder die Willenserklärung als zum Zeitpunkt des Eingangs bei der Finanzbehörde abgegeben, wenn auf Verlangen der Finanzbehörde innerhalb einer von dieser zu setzenden angemessenen Frist eine Übersetzung vorgelegt wird. Andernfalls ist der Zeitpunkt des Eingangs der Übersetzung maßgebend, soweit sich nicht aus zwischenstaatlichen Vereinbarungen etwas anderes ergibt. Auf diese Rechtsfolge ist bei der Fristsetzung hinzuweisen.

(1) Der Einspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 1 ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Ein Einspruch gegen eine Steueranmeldung ist innerhalb eines Monats nach Eingang der Steueranmeldung bei der Finanzbehörde, in den Fällen des § 168 Satz 2 innerhalb eines Monats nach Bekanntwerden der Zustimmung, einzulegen.

(2) Der Einspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 ist unbefristet.

(1) Ergeht ein Verwaltungsakt schriftlich oder elektronisch, so beginnt die Frist für die Einlegung des Einspruchs nur, wenn der Beteiligte über den Einspruch und die Finanzbehörde, bei der er einzulegen ist, deren Sitz und die einzuhaltende Frist in der für den Verwaltungsakt verwendeten Form belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Einspruchs nur binnen eines Jahres seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder schriftlich oder elektronisch darüber belehrt wurde, dass ein Einspruch nicht gegeben sei. § 110 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt sinngemäß.

(1) War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Das Verschulden eines Vertreters ist dem Vertretenen zuzurechnen.

(2) Der Antrag ist innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

(3) Nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war.

(4) Über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet die Finanzbehörde, die über die versäumte Handlung zu befinden hat.